Language of document : ECLI:EU:C:2016:449

Rechtssache C‑12/15

Universal Music International Holding BV

gegen

Michael Tétreault Schilling u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Art. 5 Nr. 3 – Unerlaubte Handlung oder Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist – Schädigendes Ereignis – Fahrlässigkeit des Rechtsanwalts bei der Erstellung eines Vertrags – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 16. Juni 2016

1.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Bestimmungen dieser Verordnung, die als mit den Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens gleichbedeutend angesehen werden können – Auslegung dieser Bestimmungen gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Übereinkommen – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Begriff – Autonome Auslegung – Enge Auslegung

(Übereinkommen vom 27. September 1968; Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

2.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Begriff – Schadenshaftungsklage, die nicht an einen Vertrag anknüpft

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

3.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist – Begriff – Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs und Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

4.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist – Begriff – Ort der Verwirklichung des Schadens in Form eines finanziellen Verlusts auf dem Bankkonto des Klägers – Nichteinbeziehung in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

5.        Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Den nationalen Gerichten bei der Prüfung ihrer internationalen Zuständigkeit obliegende Kontrollpflichten – Fehlen – Würdigung der Einwände des Beklagten – Zulässigkeit

(Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

1.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 22, 23, 25)

2.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 24)

3.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 26-28, 34-37)

4.        Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass unter Umständen, in denen wegen eines bei der Erstellung eines Aktienoptionsvertrags in diesen eingefügten Fehlers – der zur Multiplikation des Kaufpreises der betroffenen Aktien geführt hat – ein Schaden entstanden ist, als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte nicht der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem dieser Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht und der die unmittelbare Folge eines unerlaubten Verhaltens ist, das sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat.

Ein reiner Vermögensschaden, der sich unmittelbar auf dem Bankkonto des Klägers verwirklicht, lässt sich nämlich für sich genommen nicht als „relevanter Anknüpfungspunkt“ nach Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 qualifizieren. Nur dann, wenn auch die anderen spezifischen Gegebenheiten des Falles zur Zuweisung der Zuständigkeit an die Gerichte des Ortes, an dem sich ein reiner Vermögensschaden verwirklicht hat, beitragen, könnte ein solcher Schaden dem Kläger in vertretbarer Weise die Erhebung einer Klage vor diesem Gericht ermöglichen.

(vgl. Rn. 38-40, Tenor 1)

5.        Das mit einem Rechtsstreit befasste Gericht hat bei der Zuständigkeitsprüfung nach der Verordnung Nr. 44/2001 alle ihm vorliegenden Informationen zu würdigen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehören.

Auch wenn nämlich das angerufene nationale Gericht im Fall des Bestreitens der Behauptungen des Klägers durch den Beklagten nicht verpflichtet ist, im Stadium der Ermittlung der Zuständigkeit ein Beweisverfahren durchzuführen, erfordern sowohl das Ziel einer geordneten Rechtspflege, das der Verordnung Nr. 44/2001 zugrunde liegt, als auch die gebotene Achtung der Autonomie des Richters bei Ausübung seines Amtes, dass dieses Gericht seine internationale Zuständigkeit im Licht aller ihm vorliegender Informationen prüfen kann.

(vgl. Rn. 45, 46, Tenor 2)