Language of document : ECLI:EU:C:2014:336

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 30. April 2014(1)

Verbundene Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13

Adala Bero (C‑473/13)

gegen

Regierungspräsidium Kassel

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

und

Ettayebi Bouzalmate (C‑514/13)

gegen

Kreisverwaltung Kleve

(Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts München [Deutschland])

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2008/115/EG – Gemeinsame Normen und Verfahren auf dem Gebiet der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung – Voraussetzungen und Regelung der Inhaftnahme – Art. 16 Abs. 1 – Inhaftierung in speziellen Hafteinrichtungen – Nationale Regelung, die die Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt des Bundeslands vorsieht, wenn dieses nicht über eine spezielle Hafteinrichtung verfügt – Zulässigkeit“

und

Rechtssache C‑474/13

Thi Ly Pham

gegen

Stadt Schweinfurt, Amt für Meldewesen und Statistik

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])

„Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Richtlinie 2008/115/EG – Gemeinsame Normen und Verfahren auf dem Gebiet der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung – Voraussetzungen und Regelung der Inhaftnahme – Art. 16 Abs. 1 – Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt – Pflicht zur gesonderten Unterbringung des Betroffenen von gewöhnlichen Strafgefangenen – Unterbleiben der gesonderten Unterbringung aufgrund des Verzichts des Betroffenen auf diese Garantie – Zulässigkeit“





I –    Einleitung

1.        Darf ein abzuschiebender Drittstaatsangehöriger in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht werden, weil in dem Bundesland, das seine Inhaftnahme zu vollziehen hat, keine speziellen Hafteinrichtungen im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG(2) vorhanden sind?

2.        Darf dieser Drittstaatsangehörige ferner in die gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen einwilligen und damit auf das ihm durch die genannte Bestimmung verliehene Recht verzichten, von ihnen getrennt untergebracht zu werden?

3.        Dies sind im Wesentlichen die Fragen, die die verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 sowie die Rechtssache C‑474/13 aufwerfen.

4.        Der Gerichtshof wird somit aufgefordert, klarzustellen, unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten, hier die Bundesrepublik Deutschland, die Inhaftnahme abzuschiebender Drittstaatsangehöriger auf der Grundlage der Richtlinie sicherzustellen haben.

5.        Im Einklang mit Art. 79 Abs. 2 AEUV dient die Richtlinie zur Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen und rechtlichen Garantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung ihrer Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden(3).

6.        Aus den Erwägungsgründen 13 und 16 der Richtlinie und aus dem Wortlaut ihres Art. 15 Abs. 1 ergibt sich, dass die von den Mitgliedstaaten bei der Abschiebung eingesetzten Zwangsmaßnahmen von möglichst geringer Intensität sein müssen. Um die Wirksamkeit der Rückkehrverfahren zu gewährleisten, sieht die Richtlinie deshalb eine Abstufung von Maßnahmen vor, die von der die Freiheit des Betroffenen am wenigsten beschränkenden Maßnahme – der Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise – bis zu den sie am stärksten beschränkenden Maßnahmen – der Inhaftnahme in einer speziellen Einrichtung – reichen. Nur wenn die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung mittels Abschiebung nach einer anhand jedes Einzelfalls vorzunehmenden Beurteilung durch das Verhalten des Betroffenen gefährdet zu werden droht, können die Mitgliedstaaten ihm durch Inhaftnahme die Freiheit entziehen(4).

7.        Die letztgenannte Maßnahme ist die am stärksten die Freiheit einschränkende Maßnahme, die die Richtlinie im Rahmen eines Zwangsabschiebungsverfahrens zulässt(5). Sie stellt grundsätzlich ein letztes Mittel dar(6). Sie ist daher durch den Unionsgesetzgeber im Rahmen des Kapitels IV der Richtlinie strikt begrenzt worden, um zum einen die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele und zum anderen die Beachtung der Grundrechte der betroffenen Drittstaatsangehörigen zu gewährleisten(7).

8.        In diesem Rahmen sieht Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie in der französischen Sprachfassung Folgendes vor:

„La rétention s’effectue en règle générale dans des centres de rétention spécialisés. Lorsqu’un État membre ne peut les placer dans un centre de rétention spécialisé et doit les placer dans un établissement pénitentiaire, les ressortissants de pays tiers placés en rétention sont séparés des prisonniers de droit commun.“(8)

9.        Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie stellt somit zwei Anforderungen an die Mitgliedstaaten in Bezug auf die Voraussetzungen und die Regelung der Inhaftierung.

10.      Zum einen muss die Inhaftierung in einer speziellen Einrichtung mit angepasster Lebensweise erfolgen, und zum anderen muss der Mitgliedstaat, wenn die Inhaftierung ausnahmsweise in einer gewöhnlichen Haftanstalt erfolgen muss, die Absonderung der Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen gewährleisten; die letztgenannte Anforderung erscheint unantastbar, da sie unabhängig vom Ort der Inhaftierung verpflichtend ist.

11.      Beide Anforderungen sind aber in Deutschland nur teilweise erfüllt.

12.      Man muss nämlich wissen, dass es nach den Art. 83 und 84 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (im Folgenden: GG) Aufgabe der Bundesländer ist, die zur Sicherung der Abschiebung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger angeordnete Haft zu vollziehen.

13.      Von den 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland verfügten aber, als die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen ergangen sind, zehn nicht über spezielle Hafteinrichtungen, so dass abzuschiebende Drittstaatsangehörige in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht und zum Teil denselben Regeln und Einschränkungen unterworfen wurden wie die gewöhnlichen Strafgefangenen(9).

14.      So war in der Rechtssache C‑473/13 Frau Adala Bero, eine syrische Staatsangehörige, vom 6. Januar bis 2. Februar 2011 in der Justizvollzugsanstalt der Stadt Frankfurt am Main inhaftiert, da das Land Hessen nicht über eine für die Aufnahme von Frauen geeignete spezielle Hafteinrichtung verfügte. Aus den von Frau Bero eingereichten Erklärungen geht hervor, dass sie nicht gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen und den Untersuchungshäftlingen untergebracht wurde.

15.      In der Rechtssache C‑514/13 war Herr Ettayebi Bouzalmate, ein marokkanischer Staatsangehöriger, ab dem 14. Juli 2013 für drei Monate(10) in einer besonderen Abteilung der Justizvollzugsanstalt der Stadt München inhaftiert, da es im Land Bayern keine speziellen Hafteinrichtungen gab.

16.      In der Rechtssache C‑474/13 schließlich war Frau Thi Ly Pham, eine vietnamesische Staatsangehörige, vom 29. März bis 10. Juli 2012 in der Justizvollzugsanstalt der Stadt Nürnberg (Bayern) inhaftiert und hatte überdies ihrer Unterbringung mit den gewöhnlichen Strafgefangenen zugestimmt.

17.      Aus der von Frau Pham eingereichten Stellungnahme geht hervor, dass sie die folgende vorformulierte Erklärung unterzeichnete:

„Abschiebegefangene Pham Thi Ly

Ich erkläre mich mit der gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen einverstanden.

Nürnberg, den 30. März 2012

Unterschrift“

18.      Alle diese Haftanordnungen ergingen auf der Grundlage von § 62a Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (im Folgenden: AufenthG) vom 30. Juli 2004(11), mit dem Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden soll.

19.      § 62a Abs. 1 AufenthG lautet:

„Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden, kann sie in diesem Land in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen.“(12)

20.      In den Ausgangsverfahren werfen der Bundesgerichtshof (Rechtssachen C‑473/13 und C‑474/13) und das Landgericht München (Rechtssache C‑514/13) die Frage auf, ob die Inhaftierung im Hinblick auf die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellten Grundsätze rechtmäßig ist.

21.      Die Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 wurden angesichts der übereinstimmenden Vorlagefrage zu gemeinsamem schriftlichen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden. Da die Rechtssache C‑474/13 einen engen Bezug zu den verbundenen Rechtssachen aufweist, habe ich mich dafür entschieden, gemeinsame Schlussanträge vorzulegen.

A –    Verbundene Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13

22.      In den verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 werfen der Bundesgerichtshof und das Landgericht München die Frage nach der Art der Gründe auf, die es einem Mitgliedstaat erlauben, die Inhaftierung eines illegalen Migranten in einer gewöhnlichen Haftanstalt anzuordnen.

23.      Die vorlegenden Gerichte möchten insbesondere wissen, ob § 62a Abs. 1 AufenthG mit den Grundsätzen vereinbar ist, die Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie zugrunde liegen, und ob bei der Umsetzung dieser Grundsätze der föderalen Struktur Deutschlands und den jedem Bundesland vorbehaltenen Zuständigkeiten Rechnung zu tragen ist.

24.      Die deutschen Rechtsvorschriften erlauben nämlich dem zuständigen Land ausdrücklich, abzuschiebende Drittstaatsangehörige in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen, wenn „spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden [sind]“.

25.      Der Bundesgerichtshof und das Landgericht München haben daher beschlossen, die Verfahren auszusetzen und den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Die von ihnen in diesem Rahmen gestellten Fragen stimmen im Wesentlichen überein.

26.      In der Rechtssache C‑473/13 ersucht der Bundesgerichtshof um Vorabentscheidung über folgende Frage:

Ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederungen dieses Mitgliedstaats vorhanden sind, in anderen aber nicht?

27.      Das Landgericht München formuliert seine Frage in der Rechtssache C‑514/13 wie folgt:

Ergibt sich aus Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie auch dann die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen zu vollziehen, wenn solche Einrichtungen nur in einem Teil der föderalen Untergliederung dieses Mitgliedstaats vorhanden sind, in einem anderen, in dem nach den Vorgaben der föderalen Untergliederung dieses Mitgliedstaats die Haft vollzogen wird, aber nicht?

28.      Die Parteien der Ausgangsverfahren, die deutsche, die niederländische, die schwedische und die schweizerische Regierung sowie die Europäische Kommission haben Erklärungen eingereicht.

B –    Rechtssache C‑474/13

29.      Die Rechtssache C‑474/13 steht im selben Kontext wie die verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13. Sie wirft allerdings die Frage nach der Tragweite der Pflicht zur gesonderten Unterbringung von illegalen Migranten und gewöhnlichen Strafgefangenen gemäß Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie auf. Die Betroffene war nämlich, wie bereits ausgeführt, für die Dauer von drei Monaten in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg untergebracht und hatte überdies in ihre gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen eingewilligt.

30.      In dieser Rechtssache möchte der Bundesgerichtshof daher wissen, ob eine solche Haft im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgrund der Einwilligung der Betroffenen rechtmäßig ist.

31.      Der Bundesgerichtshof hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen, und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist es mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie vereinbar, einen Abschiebungshäftling gemeinsam mit Strafgefangenen unterzubringen, wenn er in diese gemeinsame Unterbringung einwilligt?

32.      Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die deutsche und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben Erklärungen eingereicht.

C –    Belang der Fragen

33.      Die drei Vorabentscheidungsersuchen werfen eine echte Grundsatzfrage in Bezug auf die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen der Inhaftierung abzuschiebender Migranten auf.

34.      Die Frage der Inhaftierung von rückkehrpflichtigen Migranten ruft Bilder einer Wirklichkeit hervor, die allzu oft durch tragische Geschehnisse illustriert wird. Insgesamt gesehen wirft sie das Problem der Schaffung eines angemessenen Systems auf der Ebene der Europäischen Union auf. Die bloße Betrachtung dieses Systems führt zu der Feststellung, dass die Logik der aufgestellten Grundsätze zu einem Ungleichgewicht zwischen den Mitgliedstaaten führt. Einige von ihnen müssen aufgrund ihrer geografischen Lage eine schwerere Last tragen als andere, und die wirtschaftliche Belastung, die sich daraus ergibt, sollte nicht verschwiegen werden.

35.      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und ihm folgend der Gerichtshof haben insoweit in Urteilen, die allgemein bekannt sind(13), in Anwendung fundamentaler Rechtsgrundsätze darauf hingewiesen, dass das derzeit geltende System nicht dazu führen darf, dass alle Last allein von den Mitgliedstaaten zu schultern ist, die unmittelbar von massenhafter Einwanderung betroffen sind.

36.      Bevor die fraglichen Urteile ergangen sind, führte nämlich die schlichte Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts notgedrungen dazu, dass sich bestimmte Mitgliedstaaten in einer angenehmeren Lage befanden als andere.

37.      Die beiden Gerichte haben dann festgestellt, dass die Einfachheit dem Erfordernis der Beachtung der Grundrechte zu weichen habe.

38.      Ich möchte dem Gerichtshof heute in den uns aktuell vorliegenden Fällen ein Vorgehen in ähnlichem Geiste nahelegen.

39.      Wegen des Zustroms von Migranten hat die Abschiebungshaft enorme Bedeutung erlangt. Die Gründe für diese bedrückende Situation sind vielfältig und bekannt. Sie fallen in den Bereich der Außenpolitik der Mitgliedstaaten und der Union, der ihnen vorbehalten ist.

40.      Dagegen unterliegen die rechtlichen Voraussetzungen der Entscheidung über die Inhaftierung und die materiellen Bedingungen ihres Vollzugs der gerichtlichen Kontrolle.

41.      Um die rechtlichen Voraussetzungen von Haftentscheidungen geht es hier nicht. Die materiellen Bedingungen des Vollzugs dieser Entscheidungen stellen dagegen den Kern des unterbreiteten Problems dar.

42.      Die Richtlinie stellt unmissverständlich klar, dass die Inhaftnahmeentscheidung ein letztes Mittel darstellt. Sie sieht deren völlige Subsidiarität im Zusammenhang mit dem Erfordernis vor, die Abschiebung des Migranten zu gewährleisten. Die Richtlinie verdeutlicht somit besonders gut, dass die Situation des Migranten, dessen einziger Fehler seine Notlage ist und dessen einziges Vergehen darin besteht, dass er ihr, und sei es unter Eingehung ungeheurer Risiken für einen vollkommen ungewissen Ausgang, zu entkommen sucht, eine ganz andere ist als die eines Straftäters. Dieses grundlegende Merkmal muss sich in der Regelung zum Vollzug der Maßnahme niederschlagen, die sich daher von der Vollstreckung einer Strafe unterscheiden muss.

43.      Es ist nämlich sogleich klarzustellen, dass die gewöhnlichen Haftanstalten, bei denen es sich entweder um Strafvollzugsanstalten, die ganz bestimmten Zwecken im Zusammenhang mit dem Begriff der Strafe selbst dienen, oder um Arresteinrichtungen handelt, nicht mit den speziellen Hafteinrichtungen, wie sie die Richtlinie vorsieht, verwechselt werden dürfen. Eine Person wird nur in zwei Fällen in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftiert: vor ihrer Verurteilung oder zur Vollstreckung einer Strafe, beides als Bestandteil eines Verfahrens wegen einer schweren Straftat.

44.      Vor der Verurteilung ist die Haft nur aus ganz bestimmten Gründen zulässig, die als Grundvoraussetzung Anhaltspunkte für die Wahrscheinlichkeit oder sogar große Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat von gewisser Schwere erfordern; hinzu kommen Gesichtspunkte in Bezug auf die Art der begangenen Tat, die Umstände ihrer Begehung, die fehlende Gewähr für das Erscheinen der fraglichen Person, die Notwendigkeit, Beweise zu sichern und die Ausübung von Druck auf Zeugen zu verhindern, sowie Aspekte der Persönlichkeit der fraglichen Person, die ihre fortwährende Verfügbarkeit für die Justizbehörden unerlässlich machen.

45.      Die Inhaftnahme vor der Verurteilung trägt somit insbesondere dem Erfordernis Rechnung, Kontakte mit Dritten oder eine Flucht zu verhindern. Hieraus folgt notwendigerweise, dass auch in Bezug auf die Einrichtungen oder Abteilungen von Einrichtungen für noch nicht verurteilte Personen die geltende Haftregelung grundlegende Ziele berücksichtigt. Die Verpflichtungen, die sich hieraus ergeben, können innerhalb dieser Strukturen in keinem Fall die Bewegungsfreiheit der Personen, die sich dort gegen ihren Willen aufhalten, den freien Zugang Dritter oder freien Kontakt zur Außenwelt zulassen, da die Haftregelungen gerade geschaffen wurden, um solche Kontakte zu verhindern.

46.      Dies gilt erst recht für Einrichtungen oder Abteilungen von Einrichtungen, in denen verurteilte Häftlinge untergebracht sind; bei ihnen gehört die Verhinderung der Flucht sowie von Meutereien und Angriffen auf das Personal zu den vorrangigen und im Übrigen legitimen Zielen der Justizvollzugsverwaltung. Die Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte schlägt sich natürlich in den für die Inhaftierten geltenden Regelungen und in der Art und Weise des Betriebs dieser Einrichtungen nieder.

47.      Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen beruht die Grundregel für das Funktionieren solcher Einrichtungen auf der Trennung von Männern, Frauen und Minderjährigen, die in der Unterbringung in eigenen Einrichtungen oder in gesonderten Abteilungen derselben Einrichtung zum Ausdruck kommt.

48.      Im Fall von Minderjährigen ist zu bedenken, dass ihre Inhaftierung stets eine aus grundsätzlichen Erwägungen ausnahmsweise Maßnahme darstellt, so dass sie nur bei Minderjährigen zur Anwendung kommt, die entweder kurz vor ihrer Volljährigkeit stehen oder ein schwieriges psychologisches Profil aufweisen, und in jedem Fall nur aufgrund der Begehung schwerer Straftaten.

49.      Somit ist unter Beachtung zum einen dieser Gegebenheiten und zum anderen der Vorschriften der Richtlinie und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zu prüfen, ob die Anwendung solcher Regelungen auf Migranten, die sich in Abschiebungshaft befinden, nicht gegen die ihnen in der Union zuerkannten Rechte verstößt.

50.      In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, weshalb meines Erachtens ein abzuschiebender Drittstaatsangehöriger nicht mit der Begründung in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht werden darf, dass es in dem für den Vollzug der Haft zuständigen Bundesland keine speziellen Hafteinrichtungen im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie gibt.

51.      Ich werde auch ausführen, dass die gemeinsame Unterbringung eines solchen Drittstaatsangehörigen mit gewöhnlichen Strafgefangenen nicht damit gerechtfertigt werden darf, dass er auf sein nach der genannten Vorschrift bestehendes Recht, gesondert von Letzteren untergebracht zu werden, verzichtet habe.

II – Rechtlicher Rahmen

52.      In den Erwägungsgründen 11, 13, 16, 17 und 24 der Richtlinie heißt es:

„(11) Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollte für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten. …

(13)      Der Rückgriff auf Zwangsmaßnahmen sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele ausdrücklich den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Wirksamkeit unterliegen. … Die Mitgliedstaaten sollten über verschiedene Möglichkeiten verfügen, Rückführungen zu überwachen.

(16)      Das Mittel der Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung sollte nur begrenzt zum Einsatz kommen und sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Eine Inhaftnahme ist nur gerechtfertigt, um die Rückkehr vorzubereiten oder die Abschiebung durchzuführen und wenn weniger intensive Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen.

(17)      In Haft genommene Drittstaatsangehörige sollten eine menschenwürdige Behandlung unter Beachtung ihrer Grundrechte und im Einklang mit dem Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht erfahren. Unbeschadet des ursprünglichen Aufgriffs durch Strafverfolgungsbehörden, für den einzelstaatliche Rechtsvorschriften gelten, sollte die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen erfolgen.

(24)      Die Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die vor allem in der Charta … verankert sind.“

53.      Art. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, einschließlich der Verpflichtung zum Schutz von Flüchtlingen und zur Achtung der Menschenrechte, anzuwenden sind.“

54.      Art. 4 („Günstigere Bestimmungen“) der Richtlinie bestimmt in seinem Abs. 3:

„Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, die für Personen, auf die die Richtlinie Anwendung findet, günstiger sind, sofern diese Vorschriften mit der Richtlinie im Einklang stehen.“

55.      Art. 15 Abs. 2 letzter Unterabsatz der Richtlinie lautet: „Ist die Inhaftnahme nicht rechtmäßig, so werden die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich freigelassen.“

56.      Art. 16 („Haftbedingungen“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.“

57.      Die Abs. 2 und 3 von Art. 17 der Richtlinie lauten:

„(2)      Bis zur Abschiebung in Haft genommene Familien müssen eine gesonderte Unterbringung erhalten, die ein angemessenes Maß an Privatsphäre gewährleistet.

(3)      In Haft genommene Minderjährige müssen die Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungsmöglichkeiten und, je nach Dauer ihres Aufenthalts, Zugang zur Bildung erhalten.“

58.      Schließlich sieht Art. 18 („Notlagen“) der Richtlinie vor:

„(1)      Führt eine außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist, zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen eines Mitgliedstaats oder seines Verwaltungs- oder Justizpersonals, so kann der betreffende Mitgliedstaat, solange diese außergewöhnliche Situation anhält, … dringliche Maßnahmen in Bezug auf die Haftbedingungen ergreifen, die von den Haftbedingungen nach den Artikeln 16 Absatz 1 und 17 Absatz 2 abweichen.

(2)      Ein Mitgliedstaat, der auf diese außergewöhnlichen Maßnahmen zurückgreift, setzt die Kommission davon in Kenntnis. Er unterrichtet die Kommission ebenfalls, sobald die Gründe für die Anwendung dieser außergewöhnlichen Maßnahmen nicht mehr vorliegen.

(3)      Dieser Artikel ist nicht so auszulegen, als gestatte er den Mitgliedstaaten eine Abweichung von ihrer allgemeinen Verpflichtung, alle geeigneten – sowohl allgemeinen als auch besonderen – Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass sie ihren aus dieser Richtlinie hervorgehenden Verpflichtungen nachkommen.“

III – Vorbemerkungen

59.      Vorab ist festzustellen, dass die Richtlinie, wie sich aus den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Rechtssache C‑473/13 ergibt, nicht in die deutsche Rechtsordnung umgesetzt worden war, als am 6. Januar 2011 die Inhaftnahme von Frau Bero angeordnet wurde.

60.      § 62a AufenthG trat nämlich am 26. November 2011 in Kraft, d. h. nach der Haftentlassung der Betroffenen. Diese Vorschrift war somit im Rahmen des gegen Frau Bero eingeleiteten Verfahrens nicht anwendbar. Dagegen kann sie sich auf Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie berufen, da die in Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie auf den 24. Dezember 2010 festgesetzte Umsetzungsfrist abgelaufen war, als sie in Haft genommen wurde.

61.      Nach ständiger Rechtsprechung kann sich, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich umgesetzt hat, ein Einzelner gegenüber diesem Staat auf inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen der Richtlinie berufen. Letzteres trifft, wie der Gerichtshof im Urteil El Dridi(14) ausgeführt hat, auf die Art. 15 und 16 der Richtlinie zu, die unbedingt und hinreichend genau sind, ohne dass es weiterer besonderer Gesichtspunkte bedürfte, um ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten zu ermöglichen(15).

IV – Analyse von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie

62.      Die Prüfung jeder der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen setzt eine gemeinsame Auslegung von Wortlaut und Zweck von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie voraus.

A –    Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie

63.      Ich werde der französischen und der deutschen Sprachfassung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie besondere Aufmerksamkeit widmen. Zwischen diesen beiden Sprachfassungen besteht nämlich ein substanzieller Unterschied, und dies hatte offenkundig Auswirkungen auf die vom deutschen Gesetzgeber in seinem innerstaatlichen Umsetzungsgesetz verwendeten Begriffe.

64.      Im ersten Satz von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie wird die Grundregel aufgestellt, dass „[d]ie Inhaftierung … grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen [erfolgt]“.

65.      Diese Grundregel hat in allen Sprachen der Union einen klaren und homogenen Wortlaut(16). Ich bin deshalb überzeugt, dass der Unionsgesetzgeber den Grundsatz aufstellen wollte, dass die Mitgliedstaaten vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen verpflichtet sind, spezielle Hafteinrichtungen für die Abschiebung von Drittstaatsangehörigen zu errichten.

66.      Die Rigorosität dieses Grundsatzes wird nämlich durch die Verwendung des Ausdrucks „grundsätzlich“, der Ausnahmen voraussetzt, gemildert.

67.      Der Unionsgesetzgeber sieht in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor(17).

68.      So können nach der französischen Sprachfassung dieser Vorschrift Drittstaatsangehörige vor ihrer Abschiebung in gewöhnlichen Haftanstalten in Haft genommen werden, „[l]orsqu’un État membre ne peut les placer dans un centre de rétention spécialisé“(18), oder, in ihrer englischen Fassung, „[w]here a Member State cannot provide accomodation in a specialised detention facility“(19).

69.      Die deutsche Sprachfassung dieser Vorschrift enthält aber einen substanziellen Unterschied hinsichtlich der Umstände, unter denen ein Mitgliedstaat von dem in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie festgelegten Grundsatz abweichen darf. Sie erlaubt nämlich die Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt, wenn „in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden [sind]“(20).

70.      Diese Fassung schlägt sich nur teilweise in der deutschen Rechtsvorschrift nieder, mit der Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie umgesetzt wird. § 62a Abs. 1 AufenthG sieht nämlich, wie bereits ausgeführt, Folgendes vor:

„Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Land nicht vorhanden, kann sie in diesem Land in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden …“(21)

71.      Es ist festzustellen, dass sich die Tragweite der Gründe, aus denen ein Mitgliedstaat von dem festgelegten Grundsatz abweichen darf, und damit die Tragweite der Ausnahme selbst durch die Auswirkungen der deutschen Fassung in Verbindung mit der Umsetzung des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie in die deutsche Rechtsordnung substanziell geändert hat.

72.      Vor der Prüfung der Vereinbarkeit des in Rede stehenden Umsetzungsgesetzes mit dem Unionsrecht ist daher zu prüfen, ob die deutsche Sprachfassung dieser Vorschrift, die durch den Gebrauch der Wendung „[s]ind … solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden“(22) gekennzeichnet ist, als legitime Grundlage für eine Auslegung dienen kann, die die in den Ausgangsverfahren getroffenen Maßnahmen rechtfertigt.

73.      Meiner Ansicht nach liegt es auf der Hand, dass die deutsche Sprachfassung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie fehlerhaft ist.

74.      Zum einen sind die Fassungen dieser Vorschrift und insbesondere der Wendung „[l]orsqu’un État membre ne peut“(23) [kann ein État membre … nicht] in allen übrigen Sprachen der Union homogen und ihren Fassungen in französischer und in englischer Sprache nachgebildet. Wie der Gerichtshof entschieden hat, kann aber eine abweichende Sprachfassung alleine keinen Vorrang vor den übrigen Sprachfassungen haben(24).

75.      Zum anderen muss nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, um eine einheitliche Auslegung und Anwendung einer Bestimmung sicherzustellen, deren Fassung in einer Sprache der Union von den übrigen Sprachfassungen abweicht, diese Bestimmung nicht nur anhand der allgemeinen Systematik der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört, sondern auch anhand des vom Unionsgesetzgeber verfolgten Zwecks(25).

76.      Die deutsche Sprachfassung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie und insbesondere der Gebrauch der Wendung „[s]ind … solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden“(26) nimmt aber dem Grundsatz, den der Unionsgesetzgeber in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie aufstellt, jede praktische Wirksamkeit und beeinträchtigt mit Sicherheit die von ihm verfolgten Ziele.

77.      Es besteht nämlich kein Zweifel daran, dass der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten verpflichten wollte, spezielle Hafteinrichtungen zu errichten, um die Wirksamkeit der besonderen, für abzuschiebende Migranten günstigeren Regelung herbeizuführen. Entgegen der von der deutschen Regierung geäußerten Ansicht ist es folglich völlig offenkundig, dass er nicht die Absicht hatte, den Mitgliedstaaten zu erlauben, sich auf das Fehlen solcher Einrichtungen in seinem Hoheitsgebiet zu berufen, um von dem aufgestellten Grundsatz abzuweichen.

78.      Wäre dies der Fall, würde letztlich die Errichtung an die Besonderheiten der Abschiebungshaft angepasster Einrichtungen zu einer bloßen Möglichkeit, die völlig der freien Beurteilung der Mitgliedstaaten überlassen bliebe. Aus diesem Blickwinkel müsste die Wendung „[l]orsqu’un État membre ne peut“(27) in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass sie Fälle betrifft, in denen ein „Mitgliedstaat nicht will“, da der Satzteil dann eben diesen Sinn hätte.

79.      Dies liefe auch darauf hinaus, die Mitgliedstaaten vom Bau spezieller Hafteinrichtungen abzuhalten, indem man ihnen gestattete, illegale Migranten in gewöhnlichen Haftanstalten unterzubringen – was nach der Systematik der Richtlinie die Ausnahme sein sollte –, und letztlich einen schwerwiegenden Verstoß der Mitgliedstaaten gegen ihre Verpflichtungen gutzuheißen, die sich nicht nur aus der Richtlinie, sondern auch aus dem Völkerrecht ergeben.

80.      Ich bin daher der Ansicht, dass die deutsche Sprachfassung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie, wonach ein Mitgliedstaat die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt anordnen darf, wenn in seinem Hoheitsgebiet keine speziellen Hafteinrichtungen vorhanden sind, für die Zwecke der Prüfung der vorliegenden Fragen nicht heranzuziehen ist.

B –    Ziel von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie

81.      Das Ziel von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie ergibt sich aus dem in ihrem Art. 1 zum Ausdruck gebrachten Leitprinzip, das nur im Einklang und im Zusammenhang mit Art. 1 der Charta verstanden werden kann. Diese Vorschrift des Primärrechts, deren Anwendbarkeit hier außer Frage steht, lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ Diese Bezugnahme auf die Würde des Menschen ist somit zwangsläufig in den Bezugnahmen auf die Grundrechte in Art. 1 der Richtlinie enthalten.

82.      Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie und, allgemeiner, die speziell die Voraussetzungen der Abschiebungshaft von Ausländern betreffenden Bestimmungen können folglich nur dann konkret und im Einklang mit diesen Rechtsvorschriften angewandt werden, wenn sie die Beachtung dieser Werte gewährleisten.

83.      Dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie die Abschiebungshaft eines Drittstaatsangehörigen auf zwei, die Voraussetzungen und die Regelung der Haft betreffende Hauptgrundsätze stützt, geschieht daher meines Erachtens, um den genannten Vorschriften zu genügen. Zum einen muss die Inhaftierung in einer speziellen Einrichtung mit angepasster Lebensweise erfolgen, und zum anderen muss der Mitgliedstaat, wenn die Inhaftierung ausnahmsweise in einer gewöhnlichen Haftanstalt erfolgen muss, die Absonderung des Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen gewährleisten; die letztgenannte Anforderung erscheint unantastbar, da sie unabhängig vom Ort der Inhaftierung verpflichtend ist.

84.      Überdies – und wiederum im Einklang mit den in Art. 1 der Richtlinie enthaltenen Bezugnahmen – setzt der Unionsgesetzgeber hier die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte um. Dieser verlangt nämlich, dass der Ort, die Regelung und die Bedingungen der Inhaftierung von illegalen Migranten „angemessen“ sein müssen, damit die in den Art. 3, 5 und 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankerten Rechte nicht verletzt werden(28).

85.      Der Unionsgesetzgeber setzt auch die zehnte und die elfte der vom Ministerkomitee des Europarats am 4. Mai 2005 angenommenen „20 Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr“ um, auf die im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie Bezug genommen wird.

86.      Die zehnte Leitlinie verlangt nämlich in Nr. 1, dass vor der Abschiebung in Haft genommene Personen „normalerweise“ in speziell diesem Zweck gewidmeten Örtlichkeiten untergebracht werden, die materielle Bedingungen und eine Regelung bieten, die ihrem rechtlichen Status angemessen sind(29). Sie schreibt ferner in Nr. 4 vor, diese Personen von Untersuchungshäftlingen und verurteilten Personen abzusondern. Die elfte Leitlinie verlangt in ihren Nrn. 2 bis 4, dass Familien zum Schutz ihrer Intimsphäre gesonderte Quartiere erhalten, die mit Personal und Einrichtungen ausgestattet sind, die den besonderen Bedürfnissen von Kindern Rechnung tragen, indem sie ihnen u. a. den Zugang zu Bildung und die Ausübung von Freizeitaktivitäten ermöglichen(30).

87.      Zu diesem Zweck hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine nicht abschließende Liste von Kriterien aufgestellt, anhand deren er die Angemessenheit des Ortes, der Bedingungen und der Regelung der Haft beurteilt(31).

88.      Zunächst müssen die Gestaltung und Anordnung der Örtlichkeiten so weit wie möglich den Eindruck einer Gefängnisumgebung vermeiden. Diese Örtlichkeiten müssen sodann mit Personal ausgestattet sein, das über angemessene Qualifikationen und insbesondere über einige sprachliche und medizinische Kenntnisse verfügt. Die Örtlichkeiten müssen sauber sein und einen für die Zahl der Personen, die dort untergebracht werden können, ausreichenden Lebensraum bieten. Insbesondere müssen sie über nicht gemischte Gemeinschaftsräume verfügen sowie über frei zugängliche Sanitäreinrichtungen in ausreichender Zahl. Darüber hinaus müssen sie über einen Raum und die notwendigen Gegenstände für die Verpflegung sowie ein frei zugängliches Telefon verfügen. Das Zentrum muss ferner über medizinische Geräte verfügen und über einen Raum, der dem Empfang von Familien und Konsularbehörden vorbehalten ist. Darüber hinaus muss es Bildungs- und Freizeiträume und insbesondere einen Ort für Spaziergänge im Freien bieten. Für den Fall, dass das Zentrum Familien aufnimmt, verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schließlich, dass die Zimmer speziell mit den wesentlichen für die Unterbringung von Kleinkindern erforderlichen Vorrichtungen mit angepasstem und gesichertem Kinderpflegematerial ausgestattet sind(32).

89.      Im Hinblick auf diese Kriterien hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass das Gefängnis kein „geeigneter“ oder „angemessener“ Ort für die Aufnahme und die Inhaftierung abzuschiebender Drittstaatsangehöriger ist.

90.      Die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten und vom Unionsgesetzgeber umgesetzten Anforderungen beruhen auf der Art und dem Zweck der Maßnahme der Abschiebungshaft.

91.      Diese unterscheidet sich ihrem Wesen nach sehr deutlich von einer Strafmaßnahme. Es geht nicht darum, den Migranten für ein von ihm begangenes Verbrechen oder Vergehen zu bestrafen, sondern um die Vorbereitung seiner Abschiebung aus dem betreffenden Mitgliedstaat. Im Rahmen der französischen Sprachfassung der Richtlinie verwendet der Unionsgesetzgeber im Übrigen mit Bedacht in Bezug auf den Migranten keine Begriffe wie „détention“ oder „emprisonnement“. Im Übrigen stellt er in Art. 15 der Richtlinie klar, dass die Haft nur gegenüber Personen angeordnet werden darf, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, und allein zur Durchführung der Abschiebung dienen darf(33). Im Kontext der Richtlinie 2003/9/EG(34) definiert er schließlich den Gewahrsam als „die räumliche Beschränkung eines Asylbewerbers durch einen Mitgliedstaat auf einen bestimmten Ort, an dem der Asylbewerber keine Bewegungsfreiheit hat“(35).

92.      Die Inhaftnahme stellt somit keine Strafe dar, die nach der Begehung einer Straftat ausgesprochen wird, und sie zielt nicht darauf ab, das Verhalten des Betroffenen zu korrigieren, um ihn im Laufe der Zeit wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Im Übrigen fehlt den Gründen, auf denen die Rechtsgrundlage der Inhaftnahme beruht, jeder Strafgedanke. Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der abzuschiebende Migrant in diesem Stadium nicht den Status eines Straftäters hat und dass – mag der betreffende Mitgliedstaat, wozu er nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs berechtigt ist, das illegale Eindringen in sein Hoheitsgebiet auch als „Straftat“ qualifizieren – der Gerichtshof überdies entschieden hat, dass die etwaige Strafbarkeit dieses Verhaltens hinter der Priorität, die der Abschiebung einzuräumen ist, zurückzutreten hat(36).

93.      Folglich gibt es keinen legitimen Grund, diese Inhaftierung unter den Bedingungen und Regelungen des Strafvollzugs durchzuführen.

94.      Die in Art. 1 der Charta verankerte oberste Pflicht der Mitgliedstaaten, die Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten, impliziert erstens, den Männern, Frauen und Kindern, die auf ihre Abschiebung warten, nicht den Anschein von Straftätern zu geben – was für sich genommen die Menschenwürde verletzt –, indem sie wie solche behandelt werden.

95.      Zweitens muss im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit(37) gewährleistet werden, dass sie nicht durch die Art und Weise des Vollzugs der Haft den Zwängen des Strafvollzugs unterworfen werden, die die Einhaltung der in der Richtlinie und den von ihr umgesetzten Rechtsvorschriften festgelegten Regeln und Grundsätze sowie die Achtung der Grundrechte, von denen sich die Richtlinie leiten lässt, offenkundig unmöglich machen. Dies setzt voraus, dass eine Regelung und materielle Voraussetzungen der Haft geschaffen werden, die an den rechtlichen Status der Migranten angepasst sind und ihren besonderen Bedürfnissen, insbesondere denen der Schutzbedürftigsten, Rechnung tragen können. So verhält es sich mit den Bestimmungen von Art. 17 Abs. 2 und 3 der Richtlinie, wonach bis zur Abschiebung in Haft genommene Familien eine angemessene Unterbringung und Minderjährige Zugang zur Bildung und die Gelegenheit zu geeigneten Freizeitbeschäftigungen erhalten müssen; diese Bestimmungen sind dabei im Übrigen nur die Resonanz auf die Art. 7, 14 Abs. 1 und 24 der Charta.

96.      Die logische und notwendige Folge des Vorstehenden ist das Erfordernis der Unterbringung in speziell an die Natur der Abschiebungshaft angepassten Einrichtungen. Insoweit beschreibt die Richtlinie die Mindestvoraussetzungen, denen die Haft genügen muss, vorbehaltlich der Anwendung noch weniger strenger Voraussetzungen.

97.      Es liegt auf der Hand, dass das Gefängnis den in der Richtlinie aufgestellten Regeln und Grundsätzen nicht genügen kann, weil es ganz einfach für eine andere Verwendung als die Abschiebungshaft vorgesehen ist. Die materiellen Bedingungen sind nämlich mit Sicherheit ungeeignet, insbesondere für die Aufnahme von Familien und Kindern. Die interne Anstaltsordnung führt zur Allgegenwart eines Gefühls des Eingesperrtseins, denn die Ausgangszeiten sind genau festgelegt, die Präsenz von Wachpersonal ist stark, die Überwachung ist eng und die Betreuung ist umfassend(38). Hinzu kommt, dass die Haftanstalten durch Ungewissheit, Promiskuität, Stress, Unsicherheit und eine abweisende Umwelt gekennzeichnet sind; auch darf nicht vergessen werden, dass die administrativen Zwänge, die derartigen Einrichtungen inhärent sind, die administrativen und juristischen Schritte, die von den Migranten unternommen werden können, tendenziell einschränken.

98.      Aus denselben Erwägungen verlangt die Richtlinie für den Fall, dass die Abschiebungshaft ausnahmsweise in einer gewöhnlichen Haftanstalt erfolgen muss, eine gesonderte Unterbringung von Migranten und gewöhnlichen Strafgefangenen.

99.      Diese Pflicht zur gesonderten Unterbringung ist ihrerseits ein unmittelbarer Bestandteil der Achtung der Menschenwürde und der Grundrechte dessen, dem weder ein Verbrechen noch auch nur ein Vergehen anzulasten ist. Sie ermöglicht es, auch innerhalb der Struktur der Haftanstalt zu gewährleisten, dass sich die Abschiebungshaft des Migranten vom Vollzug einer Strafe unterscheidet und dass diese Haft unter Bedingungen und im Rahmen einer Regelung erfolgt, die an seinen rechtlichen Status angepasst sind. Sie erlaubt es schließlich, den Gefahren vorzubeugen, die mit der Kriminalisierung bestimmter Migranten verbunden sind, und mit dem Gefängnisumfeld verbundene Gewalttaten, denen gerade die schutzlosesten Personen zum Opfer fallen können, zu verhindern.

100. Dies setzt meines Erachtens eine strikte Trennung der Migranten von den gewöhnlichen Strafgefangenen durch die Einrichtung einer eigenen, von der übrigen Haftanstalt vollkommen isolierten Abteilung voraus, die keine Möglichkeit der Kommunikation mit den verurteilten oder vor ihrer Verurteilung inhaftierten Personen bietet. In Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 1 ihres Richtlinienvorschlags vom 1. September 2005(39) verlangte die Kommission im Übrigen von den Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass der Drittstaatsangehörige „ständig räumlich getrennt von den gewöhnlichen Gefängnisinsassen untergebracht ist“(40). Mit gutem Grund.

101. Die für den Betrieb von Justizvollzugsanstalten geltenden Regeln stehen meiner Auffassung nach der Umsetzung der in der Richtlinie aufgestellten Grundsätze aus Gründen entgegen, die insbesondere mit den dem Betrieb solcher Anstalten innewohnenden berechtigten Sicherheitserfordernissen zusammenhängen. Lässt man den Kontakt zwischen gewöhnlichen Strafgefangenen und Ausländern in Abschiebungshaft zu und verschafft zugleich den Letztgenannten die in den Rechtsvorschriften vorgeschriebene Flexibilität des Systems, insbesondere in Bezug auf die Kontakte nach außen, geht man das Risiko ein, dass die Verurteilten selbst dies ausnutzen, um direkt oder über die Migranten Kontakte nach außen zu knüpfen, mit den Folgen, die man sich leicht ausmalen kann. Daher überrascht es nicht, wenn insbesondere den von der Justizvollzugsanstalt München vorgelegten Erläuterungen – wenn ich sie recht verstehe – zu entnehmen ist, dass die Ausländer in Abschiebungshaft in Wirklichkeit dem Strafvollzugssystem unterliegen und nicht einem speziell angepassten und mit den Vorschriften der Richtlinie im Einklang stehenden System. Dies kann im Übrigen nicht der Justizvollzugsverwaltung selbst angelastet werden, da sie aus den soeben angeführten Gründen, u. a. der Sicherheit, nicht anders handeln kann. Somit sind es die Logik und die Zwänge des Systems selbst, die ihrer Natur nach mit den Anforderungen der Richtlinie unvereinbar sind und zu ihrer Unanwendbarkeit im Gefängnisumfeld führen.

102. Somit besteht meines Erachtens kein Zweifel daran, dass der Unionsgesetzgeber angesichts der Zielsetzung der von ihm in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellten Anforderungen die Absicht hatte, abzuschiebende Drittstaatsangehörige dem Strafvollzugssystem zu entziehen, als er von allen Mitgliedstaaten verlangte, zum einen spezielle Hafteinrichtungen in ihrem Hoheitsgebiet zu errichten und zum anderen für die gesonderte Unterbringung der abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen von den gewöhnlichen Strafgefangenen zu sorgen, wenn sie ausnahmsweise die Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt anordnen.

103. Dies vorausgeschickt, sind nun die einzelnen im Rahmen der verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 sowie der Rechtssache C‑474/13 gestellten Fragen näher zu untersuchen.

V –    Prüfung der Fragen

A –    Vorbemerkungen

104. Zum richtigen Verständnis des Zusammenhangs, in den sich die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen einfügen, ist auf folgende Gesichtspunkte hinzuweisen.

105. Ich erinnere erstens daran, dass es gemäß Art. 83 und 84 GG Aufgabe der Länder ist, die zur Sicherung der Abschiebung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger angeordnete Haft zu vollziehen.

106. Von den 16 Ländern der Bundesrepublik Deutschland verfügen aber zehn über keine speziellen Hafteinrichtungen(41). Unter diesen Umständen werden abzuschiebende Drittstaatsangehörige, abgesehen von den Fällen, in denen bestimmte Länder auf Amtshilfe zurückgreifen, in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht, und einige von ihnen werden denselben Regeln und Einschränkungen unterworfen, wie sie für gewöhnliche Strafgefangene oder Untersuchungshäftlinge gelten.

107. Diese Situation wurde vom Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (im Folgenden: CPT) des Europarats in einem am 22. Februar 2012 vorgelegten Bericht verurteilt(42).

108. Zweitens ist die gesonderte Unterbringung der abzuschiebenden Migranten, insbesondere von Frauen und Kindern, von den gewöhnlichen Strafgefangenen nicht in allen deutschen Haftanstalten gewährleistet(43). Dies geht nicht nur aus den Erklärungen der deutschen Regierung hervor, sondern auch aus der nationalen Rechtsprechung.

109. So hat das Landgericht Leipzig (Sachsen) mit Beschluss vom 20. September 2011 auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie die Inhaftierung eines tunesischen Staatsangehörigen aufgehoben, da dieser die Zelle mit einer verurteilten Person teilte(44). Nach dem Bericht des CPT vom 22. Februar 2012 gab es im fraglichen Zeitraum in der Justizvollzugsanstalt Leipzig keine spezielle Abteilung für die Aufnahme abzuschiebender Drittstaatsangehöriger(45).

110. Mit Beschluss vom 21. August 2012 hat das Landgericht Traunstein (Bayern) die Abschiebungshaft für einen Minderjährigen ebenfalls aufgehoben, weil dieser in einer Jugendstrafanstalt untergebracht war(46). Die Justizvollzugsanstalt München verfügt nämlich nur über eine gesonderte Abteilung für die Aufnahme von männlichen Erwachsenen. Wie die deutsche Regierung in ihrer Stellungnahme gegenüber dem CPT angegeben hat, werden Minderjährige daher in der Jugendstrafanstalt zusammen mit jugendlichen Straftätern untergebracht(47). Weibliche Migranten werden in der Frauenabteilung der Haftanstalt untergebracht. Dieselbe Situation besteht in den Ländern Baden-Württemberg, Hessen(48) und Sachsen(49).

111. Abgesehen von der Rechtswidrigkeit einer solchen Situation ist diese schockierend. Schwangere Frauen und Minderjährige sind nämlich besonders schutzbedürftig und benötigen wegen ihres Zustands, ihres Alters und ihrer Abhängigkeit besondere Aufmerksamkeit seitens der Behörden; davon geht weder der Unionsgesetzgeber in Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung ab(50).

112. Was drittens die Ausgestaltung der Abteilungen betrifft, so werden zwar besondere Trakte eingerichtet, doch können die Migranten meist bei Mahlzeiten, Spaziergängen oder aus Anlass einer Krankenbehandlung mit den gewöhnlichen Strafgefangenen in Berührung kommen. So werden nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt München im Rahmen der Rechtssache C‑514/13 Personen im Verwaltungsgewahrsam bei der Aufnahme und bei Besuchen, in den verschiedenen Warteräumen (Arztbesuch, Überstellung) oder bei Aufenthalten in der Krankenabteilung nicht von den gewöhnlichen Strafgefangenen getrennt. Herr Bouzalmate etwa hat nach seinem Suizidversuch zwölf Tage in der gemeinsamen Krankenabteilung der Justizvollzugsanstalt verbracht.

113. Schließlich erfolgt die Inhaftierung illegaler Migranten in den meisten Ländern offenbar unter den allgemeinen Bedingungen des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vom 16. März 1976, insbesondere den Bestimmungen in dessen §§ 3 bis 49, 51 bis 121, 171, 173 bis 175 (Vorschriften in Bezug auf Kleidung, Einkäufe und Arbeit), 178 Abs. 3 (besondere Vorschrift für Jugendliche) und 179 bis 187(51).

114. Nach dieser Bestandsaufnahme ist nun auf die verschiedenen konkreten Fälle einzugehen.

B –    Verbundene Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13

115. Mit ihrer Frage möchten die vorlegenden Gerichte vom Gerichtshof wissen, ob Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es im Hinblick auf dessen föderale Struktur den Bundesländern erlaubt, abzuschiebende Drittstaatsangehörige in einer gewöhnlichen Haftanstalt unterzubringen, wenn im Hoheitsgebiet des zuständigen Bundeslands keine speziellen Hafteinrichtungen vorhanden sind.

116. Ich möchte sogleich klarstellen, dass die Frage, ob und gegebenenfalls innerhalb welcher Fristen die Richtlinie die unverzügliche Errichtung einer Mindestzahl spezieller Hafteinrichtungen vorschreibt, meines Erachtens nicht in den Rahmen der vorliegenden Fragen fällt. Die von diesen Fragen aufgeworfenen Probleme betreffen die Einzelfälle, die dem Gerichtshof vorgelegt wurden, und laufen auf die Frage hinaus, ob ein Mitgliedstaat, ohne eine außergewöhnliche Lage geltend zu machen, aus der Ausnahme von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie die Regel machen darf.

117. Frau Bero wurde nämlich, wie bereits ausgeführt, mit der Begründung, dass es im Land Hessen keine speziellen Hafteinrichtungen gebe, die Frauen aufnehmen könnten, in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftiert. Aus den von Frau Bero eingereichten Erklärungen geht auch hervor, dass sie nicht gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen und Untersuchungshäftlingen untergebracht wurde.

118. Herr Bouzalmate war in einer besonderen Abteilung der Justizvollzugsanstalt München inhaftiert, da das Land Bayern nicht über spezielle Hafteinrichtungen verfügt.

119. Der Bundesgerichtshof und das Landgericht München fragen sich, ob es legitim sein kann, einen solchen, auf die föderale Struktur Deutschlands gestützten Grund im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie geltend zu machen.

120. Einerseits führen sie aus, dass die nationalen Behörden die Abschiebungshaft von Drittstaatsangehörigen in speziellen Einrichtungen unabhängig davon sicherzustellen hätten, wo sie sich im Hoheitsgebiet befänden. Daher seien die den einzelnen Bundesländern vorbehaltenen Zuständigkeiten für die Umsetzung der in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie festgelegten Grundsätze nicht zu berücksichtigen. In einem solchen Fall liefe die Inhaftierung der Betroffenen somit den Anforderungen der Richtlinie zuwider.

121. Andererseits stellen die vorlegenden Gerichte fest, dass die Union gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV die föderale Struktur der Mitgliedstaaten zu beachten habe.

122. In ihren Erklärungen weist die deutsche Regierung darauf hin, dass Art. 4 Abs. 2 EUV den Unionsgesetzgeber verpflichte, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck komme. Folglich könnten die Länder nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes unter Berücksichtigung ihrer Größe, ihrer geografischen Lage und der Zahl der Abschiebungshäftlinge frei darüber entscheiden, ob und inwieweit sie spezielle Hafteinrichtungen errichteten und betrieben, und müssten auch frei darüber entscheiden können, gegebenenfalls eine administrative Kooperation mit anderen Ländern einzugehen. Die deutsche Regierung ist daher der Auffassung, dass in die Verwaltungshoheit eines Landes eingegriffen würde, wenn es abzuschiebende Migranten deswegen nicht in einer gewöhnlichen Haftanstalt seiner Zuständigkeit unterbringen dürfte, weil es andernorts im Inland spezielle Hafteinrichtungen gebe.

123. Angesichts dessen ist die deutsche Regierung daher der Auffassung, dass die in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie geregelte Ausnahme die Fälle umfassen müsse, in denen in einem Mitgliedstaat spezielle Hafteinrichtungen im Gebiet des zuständigen Bundeslands fehlten, der Staat aber gleichwohl verpflichtet sei, die in seinen institutionellen Vorschriften festgelegte Aufteilung der Zuständigkeiten zu achten.

124. Es trifft zwar zu, dass nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie ein Mitgliedstaat die Unterbringung eines illegalen Migranten in einer gewöhnlichen Haftanstalt anordnen kann, wenn er ihn nicht in einer speziellen Hafteinrichtung unterbringen kann. Diese Bestimmung enthält aber keine näheren Angaben zu den Gründen, aus denen einem Mitgliedstaat dies unmöglich ist.

125. Überlässt der Unionsgesetzgeber es unter diesen Umständen dem Ermessen jedes Mitgliedstaats, die Gründe zu bestimmen, aus denen ein Einzelner statt in einer speziellen Hafteinrichtung in einer gewöhnlichen Haftanstalt untergebracht werden darf?

126. Die deutsche und die niederländische Regierung bejahen diese Frage. Sie stellen bei ihrer Auslegung keine Verbindung zwischen den Art. 16 und 18 der Richtlinie her, obwohl Letzterer für Ersteren so aufschlussreich ist, dass es mir geboten erscheint, beide in Verbindung miteinander zu lesen; im Übrigen stellt Art. 18 seinem ausdrücklichen Wortlaut nach eine Ausnahme von Art. 16 dar.

127. So stellt Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie einen Grundsatz auf, und zwar den Vollzug der Inhaftierung in einer speziellen Hafteinrichtung, und sieht eine Ausnahme für den Fall vor, dass der Mitgliedstaat dies nicht tun kann.

128. Art. 18 der Richtlinie sieht ausdrücklich vor, wann eine solche Ausnahme möglich ist, nämlich dann, wenn der Mitgliedstaat mit „Notlagen“, so der in der Überschrift dieser Vorschrift verwendete Ausdruck, konfrontiert ist.

129. In diesem Stadium kann übrigens bereits die Frage gestellt werden, welche Gründe den Unionsgesetzgeber dazu veranlasst haben, ausdrücklich eine auf das Vorliegen einer Notlage gestützte Ausnahme vorzusehen, wenn eine Ausnahme so natürlich und normal ist, wie es die deutsche und die niederländische Regierung darstellen. Was aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung zulässig ist, müsste erst recht in Notlagen zulässig sein, ohne dass dies in der Richtlinie klargestellt werden müsste.

130. Es ist somit nach dem Geist der Richtlinie erforderlich, die Gründe, die von den Mitgliedstaaten für die Anordnung der Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt geltend gemacht werden können, streng einzugrenzen, nicht nur, weil es sich um die stärkste nach der Richtlinie zulässige freiheitsbeschränkende Maßnahme handelt, sondern auch, weil es sich um eine Ausnahme handelt, so dass es unerlässlich ist, auf die in der Richtlinie selbst zur Gewährleistung ihrer praktischen Wirksamkeit gesetzten Grenzen des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten hinzuweisen.

131. Notlagen wie die in Art. 18 der Richtlinie definierten stellen also den einzigen vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich genannten Grund dar, um von der Verpflichtung zur Unterbringung in einer speziellen Haftanstalt abzuweichen. Nach dieser Vorschrift darf ein Mitgliedstaat Notmaßnahmen erlassen, die von den in den Art. 16 Abs. 1 und 17 Abs. 2 der Richtlinie aufgestellten Grundsätzen abweichen, wenn eine außergewöhnlich große Zahl von rückkehrpflichtigen Drittstaatsangehörigen zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten seiner Hafteinrichtungen oder seines Verwaltungs- und Justizpersonals führt. Diese Bestimmung erlaubt eine Berücksichtigung der sehr viel höheren Lasten, die bestimmte Mitgliedstaaten aufgrund ihrer geografischen Lage bewältigen müssen. Ein starker Zustrom von Migranten, wie er in den an das Mittelmeer grenzenden Mitgliedstaaten auftreten kann, fällt meiner Auffassung nach unter diese Ausnahme.

132. Ist dies der einzige Grund, der geltend gemacht werden kann?

133. Der Wortlaut der Richtlinie scheint es nicht zu erlauben, diese Frage zu bejahen. Dagegen können aus ihm die Merkmale abgeleitet werden, die etwaige von einem Mitgliedstaat zu diesen Zwecken geltend gemachte Umstände aufweisen müssten.

134. In Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie werden nämlich die in seinem Abs. 1 vorgesehenen Ausnahmen ausdrücklich als „außergewöhnliche Maßnahmen“ qualifiziert, und in diesem Fall wird der Mitgliedstaat dazu verpflichtet, die Kommission von Beginn und Ende der fraglichen Maßnahmen in Kenntnis zu setzen.

135. Es liegt für mich auf der Hand, dass allein außergewöhnliche Umstände, die von ähnlicher Dringlichkeit oder Schwere wie die im Rahmen von Art. 18 der Richtlinie angesprochenen sind, außergewöhnliche Maßnahmen rechtfertigen können, die der grundsätzlichen Kontrolle durch die Kommission unterliegen.

136. Ich bin daher der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat, mit Ausnahme von Notlagen aufgrund eines starken Zustroms von Migranten, die Inhaftierung eines abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen in einer gewöhnlichen Haftanstalt nur dann anordnen darf, wenn außergewöhnliche und berechtigte Gründe wie die eines unabweisbaren Erfordernisses vorliegen, in denen unbestreitbar zum Ausdruck kommt, dass die Abwägung der Interessen diese Lösung gebietet. Wenn sich ein Mitgliedstaat mit Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Unterbringung eines abzuschiebenden Migranten konfrontiert sieht, müsste er meiner Ansicht nach auf der Grundlage einer Beurteilung jedes Einzelfalls die Gründe angeben, aus denen die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt geboten ist, wobei die Trennung des Migranten von den gewöhnlichen Strafgefangenen gewährleistet sein muss. Er müsste darüber hinaus seine Entscheidung anhand der Umstände des Einzelfalls begründen und die Verpflichtungen beachten, die Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie ihm auferlegt. Mir scheint auch – obwohl sich die Kommission dem in der mündlichen Verhandlung nicht angeschlossen hat –, dass der Migrant die Möglichkeit haben muss, diese Unterbringungsentscheidung mit einem Rechtsbehelf, zumindest verwaltungsrechtlicher Art, anzufechten.

137. Im Licht dieser Erwägungen, die auf dem bloßen Wortlaut der Vorschrift selbst beruhen, werde ich die von den zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Ausgangsverfahren und die von den Regierungen der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Erklärungen geltend gemachten Gründe nacheinander untersuchen.

1.      Die vom Regierungspräsidium Kassel (Rechtssache C‑473/13) und von der Kreisverwaltung Kleve (Rechtssache C‑514/13) geltend gemachten Gründe

138. In den verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 stützen sich die zuständigen nationalen Behörden zur Rechtfertigung der fraglichen Inhaftierungen auf die jedem Land vorbehaltenen Zuständigkeiten und auf den Wortlaut von § 62a Abs. 1 AufenthG. Diese Vorschrift erlaubt es, wie bereits dargelegt, jedem der Länder, die Abschiebungshaft illegaler Migranten in gewöhnlichen Haftanstalten anzuordnen, wenn sie in ihrem Hoheitsgebiet nicht über spezielle Hafteinrichtungen verfügen.

139. Ich erinnere aber daran, dass gegenwärtig zehn Länder nicht über solche Einrichtungen verfügen. So ergibt sich aus den Unterlagen, die das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑514/13 eingereicht hat, dass Abschiebungshäftlinge im Land Bayern seit dem 1. Januar 2012 automatisch in den Justizvollzugsanstalten Aschaffenburg, München und Nürnberg untergebracht werden(52).

140. Die Inhaftierung eines illegalen Migranten in einer gewöhnlichen Haftanstalt mit der Begründung, dass es in einem Teil des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats keine speziellen Hafteinrichtungen gebe, ist aber meiner Ansicht nach kein akzeptabler Grund, da er den vorstehend definierten Kriterien in keinem Fall entspricht. Diese Situation ergibt sich nämlich weder aus einer Lage wie der in Art. 18 der Richtlinie ausdrücklich beschriebenen, noch weist sie Merkmale der Dringlichkeit oder Schwere auf, die den dort genannten entsprächen. In Wirklichkeit entsteht der Eindruck, dass es schlicht deshalb keine speziellen Hafteinrichtungen gibt, weil in bestimmten Ländern keine errichtet wurden, und dass die Kapazitäten der bestehenden Unterbringungseinrichtungen nicht in Anspruch genommen wurden.

141. Im Übrigen bin ich nicht der Auffassung, dass die föderale Struktur des Mitgliedstaats einer Anwendung der Grundsätze der Richtlinie entgegensteht.

142. Insoweit ist auf zwei wesentliche Grundsätze unserer Rechtsprechung hinzuweisen.

143. Erstens hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen oder Übungen seiner internen Rechtsordnung, die sich aus seinem bundesstaatlichen Aufbau ergeben, berufen kann, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie festgelegten Verpflichtungen zu rechtfertigen(53). Daher ist es nach ständiger Rechtsprechung nicht Aufgabe der Unionsorgane, die Verteilung der Zuständigkeiten aufgrund der organisationsrechtlichen Vorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten und die jeweiligen Pflichten der Behörden des Bundes und der Länder zu berücksichtigen oder sich auch nur zu ihnen zu äußern(54).

144. Folglich muss ein Mitgliedstaat, sobald er über eine spezielle Hafteinrichtung mit ausreichender Aufnahmekapazität in seinem Hoheitsgebiet verfügt, ungeachtet seiner föderalen Organisation und der geografischen Lage der Einrichtung anordnen, dass der Betroffene dort untergebracht wird.

145. Zweitens müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Rechtsvorschriften die Achtung der Grundrechte des Einzelnen sicherstellen. Insbesondere dürfen die Mitgliedstaaten keine Regelung, auch strafrechtlicher Art, anwenden, die die Verwirklichung der mit einer Richtlinie verfolgten Ziele gefährden und sie damit ihrer praktischen Wirksamkeit berauben könnte. In Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 und 3 EUV heißt es nämlich, dass die Mitgliedstaaten „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen [ergreifen], die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“, und insbesondere „alle Maßnahmen [unterlassen], die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten“; dazu gehören auch die mit den Richtlinien verfolgten Ziele. Diese Verpflichtung ist für alle Behörden der Mitgliedstaaten bindend(55), unabhängig davon, ob es sich um Behörden des Bundes oder der Länder handelt, wenn der Mitgliedstaat eine föderale Organisation hat.

146. In Deutschland sind die Zuständigkeiten für die Durchführung des Unionsrechts zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. Es ist jedoch hervorzuheben, dass gemäß Art. 35 Abs. 1 GG alle Behörden des Bundes und der Länder sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten, ohne dass dies die von der deutschen Regierung in ihren Erklärungen geltend gemachte Verwaltungshoheit der Länder beeinträchtigen würde.

147. In Anwendung dieser Bestimmung erlaubt § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes den Behörden der Länder, um Amtshilfe zu ersuchen, wenn sie eine Amtshandlung, insbesondere wegen des Fehlens der zu ihrer Vornahme erforderlichen Einrichtungen oder Dienstkräfte, nicht selbst vornehmen können.

148. So hat das Saarland einen Kooperationsvertrag geschlossen, der es ihm erlaubt, Drittstaatsangehörige in der speziellen Hafteinrichtung in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) in Abschiebungshaft zu nehmen. Von den 152 Plätzen dieser Einrichtung stehen dem Saarland 50 zur Verfügung(56). Der Stadtstaat Hamburg hat ebenfalls einen Kooperationsvertrag abgeschlossen, um die Abschiebungshaft von Frauen und Minderjährigen in speziellen Hafteinrichtungen im Land Brandenburg zu gewährleisten(57). Dasselbe gilt offenbar für die Länder Sachsen und Schleswig-Holstein, die auf der Grundlage eines Kooperationsvertrags mit dem Land Brandenburg Migranten in den speziellen Hafteinrichtungen Berlin-Köpenick und Eisenhüttenstadt unterbringen(58).

149. Im Rahmen der Rechtssache C‑514/13 hat das vorlegende Gericht im Übrigen die Inanspruchnahme von Amtshilfe ausdrücklich in Betracht gezogen. Aus den Verfahrensunterlagen vom 10., 12. und 13. September 2013 geht nämlich hervor, dass es die Behörden des Landes Rheinland-Pfalz ausdrücklich ersucht hat, den Betroffenen in der speziellen Hafteinrichtung in Ingelheim unterzubringen. Diesem Antrag wurde zunächst entsprochen, doch wurde er später nach einem Suizidversuch des Betroffenen abgelehnt.

150. Ich bin daher der Auffassung, dass die föderale Struktur Deutschlands einer Unterbringung illegaler Migranten in speziellen Hafteinrichtungen nicht entgegensteht, auch wenn das zuständige Land nicht über solche Einrichtungen verfügen sollte.

151. In diesem Fall erlauben es nämlich meines Erachtens die Kooperationsverträge zwischen den verschiedenen Bundesländern – wenn auch auf freiwilliger Basis –, die Beachtung von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie sicherzustellen und zugleich die föderale Struktur Deutschlands zu respektieren.

2.      Die von den Regierungen der Mitgliedstaaten in ihren Erklärungen angeführten Gründe

a)      Interesse und Wohlergehen des Migranten

152. Nach Auffassung der deutschen und der niederländischen Regierung gibt es Umstände, unter denen es das Interesse und das Wohlergehen des Migranten erforderten, ihn in einer gewöhnlichen Haftanstalt unterzubringen, und die somit eine Abweichung von den in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie aufgestellten Grundsätzen rechtfertigten. Diese Unterbringung stelle eine „günstigere Maßnahme“ im Sinne von Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie dar, die es den zuständigen nationalen Behörden erlaube, im Interesse des Migranten eine „maßgeschneiderte Lösung“ im Sinne des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie zu finden(59).

153. Die deutsche Regierung führt dazu aus, da die durchschnittliche Haftdauer von gewöhnlichen Strafgefangenen deutlich länger sei als die von Migranten, böten gewöhnliche Haftanstalten ein Freizeit- und Betreuungsangebot an, das stärker etabliert und umfangreicher sei als in den speziellen Hafteinrichtungen, und wiesen bessere Rahmenbedingungen in Bezug auf die Sicherheit auf. So könnten Minderjährige, die in Jugendhaftanstalten untergebracht würden, in den Genuss besonderer Betreuungen und Ausbildungen gelangen, die in diesen Jugendhafteinrichtungen vorgehalten würden, und, wenn sie dies wünschten, an Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilnehmen. Personen mit einem besonderen Leiden könnten eine medizinische Betreuung erhalten, die in den speziellen Hafteinrichtungen nicht notwendigerweise angeboten werde. Schließlich könnten Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit anderer darstellten, wegen der Struktur der Haftanstalt besser betreut und von qualifiziertem Personal überwacht werden.

154. Außerdem lassen sich nach Auffassung der deutschen Regierung durch die Unterbringung des Migranten in einer örtlichen Haftanstalt die mit der geografischen Entfernung der speziellen Hafteinrichtungen verbundenen Nachteile vermeiden. Zunächst stelle diese Unterbringung die Effizienz der Abschiebung sicher. Sodann erlaube sie es, dem Migranten Ortswechsel über große Entfernungen hinweg zu ersparen, und erleichtere nicht nur die Aufrechterhaltung des Kontakts zu Familie und Freunden, sondern auch rechtliche Schritte. Schließlich werde in Fällen, in denen ein Familienmitglied in der Haftanstalt in Haft genommen werde, durch die Unterbringung des Migranten in derselben Anstalt die Zusammenführung der Familienmitglieder ermöglicht.

155. Einige dieser Argumente wurden von der deutschen Regierung in ihrer Antwort an das CPT auf den Bericht vom 22. Februar 2012 vorgebracht(60).

156. Mit Ausnahme sicherlich der Personen, die eine Gefahr für die Sicherheit anderer darstellen und bei denen mir die Bezugnahme auf die Theorie des unabweisbaren Erfordernisses sachgemäß erscheint, bringe ich diesen Ausführungen große Zweifel entgegen.

157. Zwar verlangt Art. 5 der Richtlinie von den Mitgliedstaaten tatsächlich die Berücksichtigung des Kindeswohls, der familiären Bindungen und des Gesundheitszustands der Betroffenen bei der Umsetzung der Richtlinie, dies jedoch offenkundig nicht in dem von der deutschen und der niederländischen Regierung in ihren Erklärungen unterstellten Sinne.

158. Es gibt sicher Situationen, in denen der Aufenthalt in einer gewöhnlichen Haftanstalt dem in einer speziellen Hafteinrichtung vorzuziehen ist. Dies sind genau die vom Unionsgesetzgeber in Art. 18 der Richtlinie beschriebenen Fälle oder solche, die ihnen der Schwere oder Dringlichkeit nach entsprechen. Außerhalb dieser Fälle erscheint es schwer vertretbar, dass die Haft in einer gewöhnlichen Haftanstalt eine „günstigere Maßnahme“ oder eine „maßgeschneiderte Lösung“ für jemanden darstellen könnte, der auf seine Abschiebung wartet, sei es ein Minderjähriger oder eine erkrankte Person. Damit würde wiederum die Funktion der Strafhaft außer Acht gelassen, die als Sanktionsinstrument gedacht ist, mit dem der begangene Gesetzesverstoß geahndet werden soll.

159. Insoweit liegt es auf der Hand, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf den Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie berufen können, um eine solche Inhaftnahme anzuordnen.

160. Diese Vorschrift verleiht nämlich den Mitgliedstaaten zwar die Befugnis, Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, die für illegal aufhältige Drittstaatsangehörige günstiger sind als die Vorschriften der Richtlinie, sofern diese Vorschriften mit der Richtlinie im Einklang stehen, doch hat der Gerichtshof im Urteil El Dridi(61) darauf hingewiesen, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, in dem von ihr geregelten Bereich strengere Normen anzuwenden(62).

161. Die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt stellt aber offenkundig nicht nur eine strengere Maßnahme dar als die im Rahmen der Zwangsabschiebung vorgesehenen, sondern verstößt auch gegen die von der Richtlinie festgelegten Grundsätze, wenn mit ihr nicht die nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie erforderlichen Garantien einhergehen.

162. Kommen wir auf die von der deutschen und der niederländischen Regierung im Rahmen ihrer Erklärungen vorgebrachten Argumente zurück.

163. Erstens könnten die in einer Jugendstrafanstalt untergebrachten Minderjährigen in den Genuss von Betreuungen und speziellen Ausbildungen kommen und an Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilnehmen. Von welchen Betreuungen ist die Rede? Während in einer Jugendstrafanstalt untergebrachte Jugendliche, also Straftäter, sicherlich psychologische Betreuung benötigen, ist nicht ersichtlich, warum junge Migranten, die keine Straftäter sind, per definitionem eine solche Betreuung benötigen sollten.

164. Ich sehe hierin eine Gleichstellung des Migranten mit einem Straftäter, die schon aufgrund seiner Unterbringung in einer Abteilung für Minderjährige eine Trennung des Kindes von seinen Eltern nach sich zieht, was die Richtlinie gerade vermeiden will. Die Art. 1 und 24 der Charta, insbesondere Art. 24 Abs. 3, wonach „[j]edes Kind … Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen [hat]“, finden sich hierin nicht wieder.

165. Außerdem sollen nach der Richtlinie zwar Minderjährige in den Genuss altersgemäßer Aktivitäten, insbesondere sportlicher und Freizeitaktivitäten, kommen können, doch bezweifle ich stark, dass der Unionsgesetzgeber erwogen haben könnte, dass sie sich an gemeinsamen Aktivitäten mit jungen Straftätern beteiligen, und zwar wegen der Gefahren einer Kriminalisierung, die eine solche Situation mit sich bringen kann.

166. Zweitens könnten Migranten mit einem besonderen Leiden in den gewöhnlichen Haftanstalten geeignete medizinische Betreuung erhalten, die in den speziellen Hafteinrichtungen nicht zwangsläufig verfügbar sei. Es ist klar, dass man nicht von jeder Hafteinrichtung verlangen kann, dass sie die komplette Bandbreite medizinischer Leistungen anbietet. Allerdings müssen sie nach Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie eine medizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten gewährleisten. Wenn ein Gesundheitszustand eine schwierige Behandlung erfordert, bezweifle ich stark, dass Gefängnisse als Ort für eine Krankenhausbehandlung dienen können. Die Strafgefangenen selbst müssen im Übrigen mit großer Sicherheit ab einem gewissen Schweregrad Pflegeleistungen erhalten, die außerhalb der Anstalt erbracht werden.

167. Drittens erlaube die Inhaftierung in einer gewöhnlichen örtlichen Haftanstalt oder einer Haftanstalt des zuständigen Landes es dem Migranten, Kontakte zu seiner Familie und seinen Freunden aufrechtzuerhalten. Ein Einschnitt besteht insoweit aber zwangsläufig, da der Migrant abgeschoben werden soll, und die etwaige Anwesenheit seiner Eltern vor Ort es ihm nicht ermöglicht, in den Genuss von Vorschriften zu kommen, die ihm einen Verbleib im Unionsgebiet gestatten würden.

168. Viertens beeinträchtige der Transport eines Migranten zu einer entfernten speziellen Einrichtung die Effizienz des Abschiebungsverfahrens. Dieses Argument ist nach meinem Dafürhalten nicht statthaft, da es gerade die Eigenheit einer speziellen Hafteinrichtung ist, sämtliche Schritte zu erleichtern, die es erlauben, eine schnelle und wirksame Rückkehr des Einzelnen in sein Herkunftsland unter Beachtung der ihm zustehenden Rechte sicherzustellen.

169. Fünftens könnte ein Migrant in derselben Haftanstalt untergebracht werden, in der andere Mitglieder seiner Familie inhaftiert sind. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine solche Unterbringung nicht in einer speziellen Hafteinrichtung möglich sein sollte, in der die gemeinsame Unterbringung von Familien gemäß Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie die Regel ist. Dieses Erfordernis einer gemeinsamen Unterbringung von Familien scheint mir im Gegenteil der wesentliche Unterschied zwischen dem System der Abschiebungshaft und dem der Strafhaft zu sein und infolgedessen den Rückgriff auf Letztere zu verbieten. Insoweit werden die mit dem System der Inhaftierung in Zellen verbundenen Zwänge wie zeitlich festgelegte Mahlzeiten und Aufgaben, stark eingeschränkte „Hofgänge“ und bisweilen das Tragen von Einheitskleidung meines Erachtens in der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt München sehr gut veranschaulicht.

b)      Die Kosten für die Schaffung spezieller Hafteinrichtungen und die mit der Überstellung nach entfernten Hafteinrichtungen verbundenen Lasten

170. Die deutsche Regierung trägt vor, es wäre überaus kostspielig, für alle Betroffenen – Männer, Frauen und Minderjährige – in jedem Land spezielle Hafteinrichtungen zu errichten, namentlich wegen der verhältnismäßig geringen Zahl insbesondere von Frauen und Kindern(63). Sie ist ferner der Auffassung, dass der Mitgliedstaat bei der Ausgestaltung dieser Hafteinrichtungen über eine gewisse Flexibilität verfügen müsse, da die Zahl der unterzubringenden Personen schwanke und die Dauer ihrer Inhaftierung wenige Wochen oder Monate nicht überschreite.

171. Die niederländische, die schwedische und die schweizerische Regierung weisen darüber hinaus auf die schwere und unverhältnismäßige Belastung hin, die mit einem Transport des Migranten und der verantwortlichen Behörden über große Entfernungen zu einer geografisch weit entfernten speziellen Hafteinrichtung verbunden sein könnte, was zu Verzögerungen führen und ein unverhältnismäßiges Hindernis für die Durchführung des Rückkehrverfahrens darstellen würde. Insoweit führt die niederländische Regierung speziell die Situation an, in der sich ein Mitgliedstaat befinden könne, wenn eine spezielle Hafteinrichtung über keinen freien Platz verfüge oder vorübergehend geschlossen sei.

172. Ich verstehe, dass ein Mitgliedstaat mit einem Problem der Überbelegung seiner Hafteinrichtungen konfrontiert sein kann, wenn er sich in einer Phase starker Ausweitung der Verwaltungshaft befindet, und dass er auch gezwungen sein mag, einige Einrichtungen beispielsweise wegen Umbaus oder Renovierung zu schließen. Gleichwohl darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Unterbringung illegaler Migranten in Gefängnissen gleichermaßen zu einer Überbelegung dieser Anstalten führen kann, die ihrerseits große Kosten verursacht. Meiner Kenntnis nach klagen viele Mitgliedstaaten aber gerade über eine Situation ständiger Überbelegung der gewöhnlichen Haftanstalten.

173. Ich verstehe ebenfalls, dass der Transport zu einer speziellen Hafteinrichtung Kosten nach sich ziehen und organisatorische Maßnahmen erfordern kann, obwohl das Abschiebungsverfahren in Kürze durchgeführt werden soll. Kein Mitgliedstaat konnte aber bei Erlass der Richtlinie davon ausgehen oder auch nur vorgeben, dass die darin aufgestellten Verpflichtungen und Grundsätze kostenfrei umgesetzt werden könnten. Insoweit ist auch zu bedenken, dass die Einweisung von Migranten in gewöhnliche Haftanstalten ihrerseits sehr aufwendig in Bezug auf Raumbedarf und Ausstattung der Räumlichkeiten ist. Sie erfordert eine komplette Umstrukturierung bestimmter Abteilungen dieser Anstalten, damit die Modalitäten der Abschiebungshaft mit den Vorschriften der Richtlinie im Einklang stehen. Infolgedessen scheinen mir die von den Mitgliedstaaten behaupteten Einsparungen illusorisch zu sein. Schließlich würde mich interessieren, wie hoch bei gleicher Zahl von Plätzen die jeweiligen Kosten einer gewöhnlichen Haftanstalt und einer speziellen Hafteinrichtung sind.

174. Angesichts all dessen bin ich daher der Auffassung, dass mit Ausnahme der Notlagen, auf die sich Art. 18 der Richtlinie ausdrücklich bezieht, allein außergewöhnliche Umstände, die eine vergleichbare Schwere oder Dringlichkeit aufweisen wie die in dieser Vorschrift genannten oder ein unabweisbares Erfordernis darstellen, es rechtfertigen können, dass ein Mitgliedstaat gezwungen ist, von dem in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie aufgestellten Grundsatz abzuweichen und die Inhaftierung eines abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen in einer gewöhnlichen Haftanstalt anzuordnen.

175. Meiner Ansicht nach erfüllt keiner der im Rahmen der Ausgangsverfahren angeführten Gründe diese Kriterien.

176. Nach alledem ist daher Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie meines Erachtens dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es aufgrund seiner föderalen Struktur den Bundesländern erlaubt, abzuschiebende Drittstaatsangehörige in einer gewöhnlichen Haftanstalt in Haft zu nehmen, wenn es im Hoheitsgebiet des zuständigen Bundeslands keine speziellen Hafteinrichtungen gibt.

C –    Rechtssache C‑474/13

177. In der Rechtssache C‑474/13 möchte der Bundesgerichtshof wissen, ob sich ein Mitgliedstaat nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie von der Verpflichtung, einen zwecks Abschiebung in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftierten Drittstaatsangehörigen gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen, mit der Begründung befreien kann, dass der Migrant in die gemeinsame Unterbringung eingewilligt habe(64).

178. Mit anderen Worten: Kann ein in Abschiebungshaft genommener Migrant darin einwilligen, genauso behandelt zu werden wie ein Straftäter oder Krimineller?

179. In seinem Vorlagebeschluss führt der Bundesgerichtshof aus, der Betroffene sollte seiner gemeinsamen Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen „wegen der Kontaktmöglichkeiten zu Landsleuten oder Gleichaltrigen“ zustimmen können. Das Trennungsgebot bezwecke ausschließlich eine Besserstellung des Betroffenen, und der Verzicht hierauf berühre nicht den Kerngehalt der Menschenwürde, da der Strafvollzug nicht als solcher menschenunwürdig sei.

180. Der Unionsgesetzgeber habe allerdings in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie keine Ausnahme vom Trennungsgebot vorgesehen. Zudem sei fraglich, ob nicht die Gefahr einer Umgehung des Trennungsgebots bestehe, etwa „wenn die beteiligten Behörden die Betroffenen regelmäßig vorformulierte Einwilligungserklärungen unterschreiben lassen oder sie zu einer Einwilligung drängen“.

181. In ihren Erklärungen haben die Stadt Schweinfurt, das Amt für Meldewesen und Statistik sowie die deutsche und die niederländische Regierung die Auffassung vertreten, dass eine solche Praxis mit Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie vereinbar sei.

182. Sie stützen sich im Wesentlichen auf das Interesse und das Wohlergehen des Migranten, die es unter bestimmten Umständen verlangten, von dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Trennungsgebot abzuweichen. Die gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen erlaube es nämlich, seine Situation zu verbessern und damit dem mit dieser Bestimmung verfolgten Zweck zu genügen.

183. Nach Auffassung der deutschen Regierung, die im Übrigen von der niederländischen Regierung geteilt wird, erlaubt es die gemeinsame Unterbringung dem Betroffenen u. a., „während der Haft soziale Kontakte zu Landsleuten zu pflegen“; ferner erleichtere sie Besuche von Verwandten und Bekannten. Durch die gemeinsame Unterbringung könne somit die soziale Isolation vermieden werden, der der Betroffene aufgrund der geografischen Entfernung und der geringen Zahl von Personen gleicher Nationalität und Sprache in einer speziellen Hafteinrichtung ausgesetzt wäre. Eine solche Situation sei schwieriger als die Nachteile, die mit der gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen verbunden sein könnten. Es verstoße auch nicht gegen die Menschenwürde, wenn ein abzuschiebender Migrant unter denselben Bedingungen wie Strafgefangene und gemeinsam mit ihnen untergebracht sei. Im Gegenteil gebiete es die Achtung der Menschenwürde, den Wunsch des Betroffenen nach gemeinsamer Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen derselben Staatsangehörigkeit zu respektieren.

184. Im Ergebnis wird allseits geltend gemacht, dass eine solche Praxis eine günstigere Maßnahme für den Betroffenen darstellen könne als ein striktes Trennungsgebot. Nach Auffassung der niederländischen Regierung steht diese Praxis folglich im Einklang mit Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie und ermöglicht es, im Sinne des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie „im Interesse des Ausländers eine für ihn maßgeschneiderte Lösung zu suchen“.

185. Ich weise diese Auslegung entschieden zurück; meines Erachtens liegt es auf der Hand, dass die vom Bundesgerichtshof vorgelegte Frage zu verneinen ist.

186. Mit seiner Frage zielt das vorlegende Gericht auf den Fall ab, dass die Betroffene „eingewilligt“ hat, zusammen mit gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht zu werden, indem sie eine schriftliche Einwilligungserklärung abgegeben hat. Das Verb „einwilligen“ setzt aber ein vorheriges Ersuchen voraus. Im Kontext der Rechtssache C‑474/13 bedeutet dies, dass die zuständigen nationalen Behörden die Betroffene zuvor auf die eine oder andere Weise darum „ersucht“ haben, auf diese Garantie zu verzichten.

187. Aus der von Frau Pham eingereichten Stellungnahme geht hervor, dass sie die folgende vorformulierte Erklärung unterzeichnet hat:

„Abschiebegefangene Pham Thi Ly

Ich erkläre mich mit der gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen einverstanden.

Nürnberg, den 30. März 2012

Unterschrift“

188. Angesichts der mir zur Verfügung stehenden Informationen habe ich den Eindruck, dass das Vorgehen der nationalen Behörden nicht vom Interesse Frau Phams und noch weniger von einem etwaigen von ihr geäußerten Wunsch in Bezug auf die Bedingungen ihrer Inhaftierung geleitet war. Kein Bestandteil der Akte und erst recht nicht die von Frau Pham unterzeichnete Erklärung lässt die Annahme zu, dass sie ausdrücklich darum ersucht hätte, zusammen mit Landsleuten untergebracht zu werden. Das Gegenteil ist der Fall. Aus den mir vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass sie der deutschen Sprache nicht mächtig war und dass am 31. März 2012 nur drei Vietnamesinnen in einer der 37 gewöhnlichen Haftanstalten des Landes Bayern inhaftiert waren. Ich bin der Ansicht, dass das Vorgehen der Behörden in Wirklichkeit dem Fehlen geeigneter Strukturen für die Aufnahme von Frau Pham geschuldet war; im Übrigen haben sie keine Alternative zu ihrer Inhaftierung vorgeschlagen.

189. Es erscheint mir aber problematisch, einem Mitgliedstaat zu gestatten, einen Migranten, der sich angesichts seiner Zwangsabschiebung und der Schwäche seiner Position ohnehin in einer verzweifelten Lage befindet, auf die eine oder andere Weise zu ersuchen, auf eine ihm durch das Unionsrecht ausdrücklich gewährte Garantie zu verzichten, weil dieser Staat nicht über die erforderlichen Infrastrukturen verfügt, um ihn in einer speziellen Hafteinrichtung unterzubringen oder ihn gegebenenfalls von den gewöhnlichen Strafgefangenen zu trennen.

190. Wiederum würde, wenn man den Mitgliedstaaten gestattete, sich vom Gebot der Trennung eines Migranten von gewöhnlichen Strafgefangenen mit der Begründung zu befreien, dieser habe hierin eingewilligt, es den nationalen Behörden ermöglicht, die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellte Verpflichtung zu umgehen und letztlich eine schwerwiegende Verletzung der diesen Staaten obliegenden Pflichten aus der Richtlinie und dem Völkerrecht zu rechtfertigen.

191. Im Rahmen der Rechtssache C‑474/13 scheint es mir somit auf der Hand zu liegen, dass eine solche Einwilligung keinen stichhaltigen Grund darstellen kann, der es dem Mitgliedstaat erlaubt, von dem Trennungsgebot in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie abzuweichen.

192. Der Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie ist vollkommen klar und begründet, wie bereits ausgeführt, eine unbedingte und genau bestimmte Verpflichtung. Der Unionsgesetzgeber sieht keine Ausnahme von der Trennungspflicht vor, so dass ein Mitgliedstaat auf der Grundlage der Richtlinie nicht von diesem Grundsatz abweichen darf, wobei dies meines Erachtens selbst für Notlagen im Sinne von Art. 18 der Richtlinie gilt.

193. Sodann stehen die Ziele der Richtlinie, auf die ich nicht nochmals eingehen werde, einer solchen Praxis offenkundig entgegen.

194. Wenn sich ein Mitgliedstaat von der Verpflichtung befreit, abzuschiebende Migranten gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen, nimmt er eine Haltung ein, die nicht nur dem Zweck der Richtlinie – der darin besteht, die Migranten auf humane und menschenwürdige Weise unter vollständiger Beachtung ihrer Grundrechte zurückzuführen(65) – zuwiderläuft, sondern auch außer Verhältnis zum Ziel der Abschiebungshaft steht.

195. Diese Haltung geht nämlich dahin, die Abschiebungshaft eines Drittstaatsangehörigen mit einer Maßnahme des Strafvollzugs gleichzusetzen, so dass ein illegaler Migrant ebenso behandelt wird wie ein Straftäter, da er an demselben Ort, unter denselben Bedingungen und gemäß denselben Regelungen inhaftiert wird wie die gewöhnlichen Strafgefangenen.

196. Ich vermag zwar die Auffassung des Bundesgerichtshofs zu teilen, wenn er den Grundsatz aufstellt, dass der Vollzug einer Strafe als solcher nicht die Menschenwürde verletzt. Die Verbüßung einer dem Gesetz entsprechenden und in rechtmäßiger Weise verhängten Strafe durch den Verurteilten ist auch für ihn, der damit seine Schuld gegenüber der Gesellschaft begleicht, ein Mittel, um seine Würde als Bürger wiederzuerlangen. Aber kann dies vorbehaltlos auch für Frau Pham gelten, die sich in der Lage einer Person befindet, die eine Strafe verbüßt, obwohl sie sich keiner Straftat schuldig gemacht hat? Mir scheint, dass hier keine Parallele gezogen werden kann.

197. Zudem erscheint es mir im Hinblick auf die Grundrechte mehr als gewagt, zu behaupten, dass die Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt „die Situation [des Migranten] verbessern“ kann, und damit die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellten Grundsätze unter Berufung auf die Wahrung der Interessen des illegalen Migranten und seiner Würde ins Gegenteil zu verkehren. Im Übrigen kann, wie ich bereits in den Nrn. 159 bis 161 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, eine solche Praxis nicht mit Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie gerechtfertigt werden, da es sich dabei für sich genommen um eine bedeutend strengere Maßnahme handelt als die vom Unionsgesetzgeber vorgesehene.

198. Ich pflichte daher keineswegs der vom vorlegenden Gericht in seinem Vorlagebeschluss vertretenen – und auch von der niederländischen Regierung geteilten – Auffassung bei, wonach der Betroffene auf diese Garantie verzichten könne, wenn beispielsweise „Kontaktmöglichkeiten zu Landsleuten oder Gleichaltrigen“ bestünden. Eine Strafanstalt ist weder ein Ferienclub noch ein Begegnungszentrum. Zudem ergibt sich aus den vom Land Bayern erstellten Statistiken über die Staatsangehörigkeit der am 31. März 2012 – dem Tag, an dem Frau Pham in Haft genommen wurde – im gesamten Landesgebiet(66) (d. h. in 37 Justizvollzugsanstalten, darunter im Wesentlichen neun, die Frauen aufnehmen)(67) inhaftierten Personen, dass nur drei weibliche Strafgefangene vietnamesischer Staatsangehörigkeit waren, während sieben afrikanischer Herkunft waren – was 57 Länder und ebenso viele Sprachen und Dialekte umfasst – und keine chinesischer, irakischer, libanesischer oder albanischer Herkunft. Die Kontaktmöglichkeiten scheinen mir jedenfalls recht rar zu sein.

199. Schließlich habe ich in Anbetracht der Umstände, unter denen die Einwilligungserklärung von Frau Pham abgegeben wurde, Zweifel an ihrem Wert.

200. Erstens geht aus der von Frau Pham eingereichten Stellungnahme hervor, dass sie nicht über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügte, um die von ihr unterschriebene Erklärung zu verstehen, und alles deutet darauf hin, dass diese Erklärung nicht übersetzt wurde.

201. Zudem erfolgte der fragliche Verzicht in einer Situation, in der ein enormes Ungleichgewicht zwischen den mit dem Vollzug der Haft betrauten Behörden und der illegalen Migrantin bestand. Man sollte nicht vergessen, dass sich eine in Abschiebungshaft befindliche Person in einer Position der Schwäche gegenüber den Behörden befindet, und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Person ihre Einwilligung unter Druck gibt, so gering dieser auch sein mag. Dazu heißt es im Vorlagebeschluss, dass „die beteiligten Behörden die Betroffenen regelmäßig vorformulierte Einwilligungserklärungen unterschreiben lassen oder sie zu einer Einwilligung drängen“.

202. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich der Migrant während seiner Inhaftierung in einer psychologischen Notsituation befinden und, beispielsweise wegen seiner Sprache, Schwierigkeiten haben kann, die ihm zustehenden Rechte in Erfahrung zu bringen. Etliche Personen haben in diesem Stadium nicht die Mittel für einen Rechtsbeistand und sind sich ihrer Rechte gerade dann, wenn sie aufgefordert werden, auf sie zu verzichten, nicht vollständig bewusst. Viele werden die Tragweite und die Folgen einer derartigen Erklärung nicht absehen können. Deshalb können wir nicht das Risiko eingehen, einer unter solchen Umständen erteilten Einwilligung Rechtswirksamkeit zuzubilligen.

203. Darüber hinaus scheint es, dass Frau Pham, da die ihr vorgeschlagene Situation aus den genannten Gründen eine Verschlechterung ihrer Lage darstellte, zur Gewährleistung der Wahrung ihrer Rechte rechtlichen Beistand hätte haben müssen. Aus den in der mündlichen Verhandlung abgegebenen Erklärungen geht jedoch hervor, dass sie erst in einem späteren Verfahrensstadium anwaltlichen Beistand hatte.

204. Infolgedessen bin ich angesichts all dieser Umstände der Auffassung, dass Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, sich von der Verpflichtung, einen zwecks Abschiebung in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftierten Drittstaatsangehörigen gesondert von gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen, mit der Begründung zu befreien, dass dieser in die gemeinsame Unterbringung eingewilligt habe.

VI – Ergebnis

205. Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs und des Landgerichts München wie folgt zu beantworten:

1.      In den verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13:

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die es aufgrund seiner föderalen Struktur den Bundesländern erlaubt, abzuschiebende Drittstaatsangehörige in einer gewöhnlichen Haftanstalt in Haft zu nehmen, wenn es im Hoheitsgebiet des zuständigen Bundeslands keine speziellen Hafteinrichtungen gibt.

2.      In der Rechtssache C‑474/13:

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, sich von der Verpflichtung, einen zwecks Abschiebung in einer gewöhnlichen Haftanstalt inhaftierten Drittstaatsangehörigen gesondert von gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen, mit der Begründung zu befreien, dass dieser in die gemeinsame Unterbringung eingewilligt habe.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98, im Folgenden: Richtlinie).


3 – Vgl. Art. 1 sowie Erwägungsgründe 2 und 11 der Richtlinie.


4 – Urteil El Dridi (C‑61/11 PPU, EU:C:2011:268, Rn. 39 und 41).


5 – A. a. O. (Rn. 42).


6 – So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Urteil Popov/Frankreich vom 19. Januar 2012 ausgeführt, dass „die Unterbringung in Verwaltungshaft ein letztes Mittel [ist], für das es keine Alternative geben [kann]“ (§ 119). Siehe auch Resolution 1707 (2010), in der die Parlamentarische Versammlung des Europarats feststellt, dass „die Inhaftierung von … illegalen Migranten … eine Ausnahme [ist], die nur angewandt werden darf, wenn alle anderen Möglichkeiten geprüft wurden und sich keine von ihnen als tragfähig erwiesen hat“ (Punkt 9.1.1).


7 – Vgl. insbesondere Erwägungsgründe 13, 16, 17 und 24 der Richtlinie.


8 –      Hervorhebung nur hier.


9 – Es handelt sich um die Länder Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Spezielle Haftanstalten gibt es dagegen in den Ländern Berlin, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Saarland in Kooperation, Brandenburg und Bremen.


10 – In der mündlichen Verhandlung wurde bekannt, dass die Haftanordnung gegenüber Herrn Bouzalmate aufgehoben wurde.


11 – BGBl. 2004 I S. 1950.


12 –      Hervorhebung nur hier.


13 – Vgl. u. a. EGMR, Urteile S.D./Griechenland vom 11. Juni 2009, Popov/Frankreich und Aden Ahmed/Malta vom 23. Juli 2013.


14 – EU:C:2011:268.


15 – Rn. 46 und 47 und die dort angeführte Rechtsprechung.


16 – Im Tschechischen „Zajištění se zpravidla vykonává ve zvláštních zajišťovacích zařízeních“, im Französischen „La rétention s’effectue en règle générale dans des centres de rétention spécialisés“, im Englischen „Detention shall take place as a rule in specialised detention facilities“, im Finnischen „Säilöönotto tapahtuu yleensä erityisissä säilöönottolaitoksissa“, im Italienischen „Il trattenimento avviene di norma in appositi centri di permanenza temporanea“, im Niederländischen „Voor bewaring wordt in de regel gebruik gemaakt van speciale inrichtingen voor bewaring“ oder im Polnischen „Przetrzymywanie odbywa się z reguły w specjalnych ośrodkach detencyjnych“.


17 – Siehe auch die Ausnahme in Art. 18 der Richtlinie, auf die ich zurückkommen werde.


18 – Hervorhebung nur hier.


19 – Hervorhebung nur hier.


20 – Hervorhebung nur hier.


21 –      Hervorhebung nur hier.


22 – Hervorhebung nur hier.


23 – Hervorhebung nur hier.


24 – Vgl. u. a. Urteil Ferriere Nord/Kommission (C‑219/95 P, EU:C:1997:375, Rn. 15).


25 – Vgl. u. a. Urteil Endendijk (C‑187/07, EU:C:2008:197, Rn. 22 ff.).


26 – Hervorhebung nur hier.


27 – Hervorhebung nur hier.


28 – Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass jeder Freiheitsentzug nicht nur unter eine der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a bis f EMRK genannten Ausnahmen fallen, sondern auch „ordnungsgemäß“ sein muss (vgl. insbesondere EGMR, Urteil Popov/Frankreich, § 118 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu diesem Zweck verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Zusammenhang zwischen dem für den zulässigen Freiheitsentzug angeführten Grund einerseits und dem Ort und der Art und Weise der Inhaftierung andererseits (a. a. O.).


29 – Vgl. auch die achte der zehn Leitlinien zur Festlegung der Umstände, unter denen die Inhaftierung von Asylbewerbern und illegalen Migranten rechtlich zulässig ist; darin führt die Parlamentarische Versammlung des Europarats aus, dass der Ort, die Bedingungen und die Art und Weise der Inhaftierung angemessen sein müssen. Vgl. ferner das Themenpapier „The Human Rights of Irregular Migrants in Europe“ (CommDH/IssuePaper[2007]1, Abschnitt III Ziff. ii).


30 – Derselbe Gedankengang liegt der Forderung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in der zweiten ihrer „15 europäische[n] Regeln zur Festlegung von Mindestnormen für die Haftbedingungen von illegalen Migranten und Asylbewerbern“ zugrunde, dass inhaftierte Personen in Zentren untergebracht werden, die speziell für die Inhaftnahme in Zusammenhang mit der Einwanderung ausgestaltet sind, und nicht in Gefängnissen. In der fünften und der sechsten Regel sieht sie ferner vor, dass die zu diesem Zweck bestimmten Örtlichkeiten materielle Bedingungen und Regelungen bieten, die an den rechtlichen Status und die faktische Situation der Betroffenen angepasst sind.


31 – Siehe auch die Erläuterungen zur zehnten und zur elften der 20 Leitlinien des Europarats zur Frage der erzwungenen Rückkehr.


32 – Siehe Urteil Popov/Frankreich des EGMR.


33 – Der Unionsgesetzgeber setzt damit die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte um, wonach ein Freiheitsentzug nur dann mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK vereinbar ist, wenn er in Durchführung eines Ausweisungsverfahrens erfolgt und in angemessenem Verhältnis zu diesem Ziel steht (siehe EGMR, Urteile vom 15. November 1996, Chahal/Vereinigtes Königreich, Reports of Judgments and Decisions 1996‑V, §§ 112 und 113, sowie Popov/Frankreich, § 140).


34 – Richtlinie des Rates vom 27. Januar 2003 über Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18).


35 – Art. 2 Buchst. k der Richtlinie 2003/9. Hervorhebung nur hier.


36 – Vgl. Urteil El Dridi (EU:C:2011:268, Randnr. 59).


37 – Vgl. Erwägungsgründe 13 und 16 der Richtlinie.


38 – Siehe hierzu die Erläuterungen der Justizvollzugsanstalt München in Anlage 2 des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13.


39 – KOM(2005) 391 endgültig.


40 – Hervorhebung nur hier.


41 – Seit der Einreichung der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen scheint sich diese Situation geändert zu haben. So geht aus einer Entscheidung des Innenministeriums des Landes Bayern vom November 2013 hervor, dass die Justizvollzugsanstalt Mühldorf am Inn gegenwärtig umstrukturiert wird, um dort eine spezielle Hafteinrichtung zu schaffen, die 82 Personen, darunter 14 Frauen, aufnehmen kann, die auf ihre Abschiebung warten. Diese Anstalt wurde aufgrund ihrer geografischen Nähe zum Flughafen München ausgewählt (vgl. „Aus Mühldorfer ‚Kuschelknast‘ wird Bayerns einziges ‚Abschiebe-Gewahrsam‘“, Wochenblatt vom 14. November 2013).


42 – Report to the German Government on the visit to Germany carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 25 November to 7 December 2010 (CPT/Inf [2012] 6, Nr. 33).


43 – Aus der Stellungnahme der deutschen Regierung zum Bericht des CPT vom 22. Februar 2012 (Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht über den Besuch des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe [CPT] vom 25. November bis 7. Dezember 2010 (CPT/Inf [2012] 7) geht hervor, dass die Inhaftierung von abzuschiebenden Migranten in gewöhnlichen Haftanstalten in den Ländern Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen in eigenen, vom Rest der Anstalt getrennten Abteilungen durchgeführt wird (S. 19 und 20).


44 – LG Leipzig – 07 T 104/11.


45 – Siehe CPT/Inf (2012) 6, Nr. 31.


46 – LG Traunstein – 4 T 3104/12.


47 – „In der Regel werden Minderjährige nicht in Abschiebungshaft genommen. Dies geschieht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. In der Regel werden Minderjährige in die Obhut des Jugendamts gegeben“ (CPT/Inf [2012] 7, S. 20).


48 – Vgl. Stellungnahme des Landes Hessen in Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13, in der es ausführt: „Für weibliche erwachsene und für jugendliche und heranwachsende weibliche und männliche Abschiebungshäftlinge können aufgrund der geringen Zahl keine eigenen Abschiebungshaftabteilungen eingerichtet werden. Diese werden – soweit Abschiebungshaft überhaupt erforderlich wird – in den Justizvollzugsanstalten Frankfurt am Main III (Frauen) und in … Jugendanstalten … untergebracht.“


49 – Vgl. Antwort des Landes Sachsen in Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13, in der auf die Antwort auf Frage 49 der parlamentarischen Anfrage vom 5. September 2012 (Drucksache 17/10597) verwiesen wird, in der es heißt: „Aufgrund der äußerst geringen Zahl weiblicher Abschiebungshäftlinge (oft lediglich eine Frau) erfolgt deren Unterbringung – auch zur Vermeidung einer totalen Isolation der Abschiebungshäftlinge – in der JVA Chemnitz auf einer Untersuchungshaftstation“ (S. 114).


50 – Vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2012 (V ZB 41/12), in dem er ausdrücklich auf die getrennte Unterbringung minderjähriger Abschiebungshäftlinge von gewöhnlichen Strafgefangenen Bezug nimmt und die Bedeutung der in Art. 17 Abs. 3 bis 5 der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen hervorhebt.


51 – Vgl. die Stellungnahmen der verschiedenen Länder zu Frage 52 der parlamentarischen Anfrage vom 5. September 2012 (S. 124 bis 127).


52 – Vgl. Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13.


53 –      Vgl. Urteil Kommission/Deutschland (C‑67/05, EU:C:2005:791, Rn. 9 und die dort angeführte Rechtsprechung).


54 – Vgl. u. a. Urteil Deutschland/Kommission (C‑8/88, EU:C:1990:241, Rn. 13).


55 – Vgl. Urteil Impact (C‑268/06, EU:C:2008:223, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. insoweit auch Beschluss Région wallonne/Kommission (C‑95/97, EU:C:1997:184, Rn. 7).


56 – Siehe Anlage 3b des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13.


57 – Siehe die Antwort des Landes Hamburg in Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13.


58 – Vgl. S. 3 der Erklärungen von Frau Bero.


59 – Nrn. 29 ff. der Erklärungen der niederländischen Regierung.


60 – Siehe CPT/Inf (2012) 7. Nach Ansicht der deutschen Regierung stünden bei der Inhaftierung in einer gewöhnlichen Haftanstalt in bestimmten Fällen Infrastrukturen und Personal zur Verfügung, und die Betroffenen würden an einem Ort festgehalten, der in relativer Nähe zu ihrem „Wohnsitz“ liege (S. 20). Siehe auch die Antwort des Landes Hessen in Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13, in der es heißt: „Spezielle Hafteinrichtungen sind in Hessen nicht geplant und … auch nicht erforderlich.“


61 – EU:C:2011:268.


62 – Rn. 33.


63 – In ihrer Antwort auf den vom CPT erstellten Bericht führte die deutsche Regierung ebenfalls wirtschaftliche Gesichtspunkte im Zusammenhang mit der Errichtung spezieller Hafteinrichtungen an und vertrat die Auffassung, dass angesichts der verhältnismäßig geringen Zahl gegenwärtig inhaftierter Personen das bestehende System als angemessen betrachtet werden könne (CPT/Inf[2012] 7, S. 20). Siehe auch die Antwort des Landes Hessen in Anlage 3a des Vorlagebeschlusses in der Rechtssache C‑514/13, in der es heißt: „Spezielle Hafteinrichtungen sind in Hessen nicht geplant und … auch nicht erforderlich.“


64 – Auch diese Inhaftierung wurde von den Behörden des Landes Bayern auf der Grundlage von § 62a Abs. 1 AufenthG angeordnet. In den Akten gibt es keinen Hinweis auf den Grund dafür, dass Frau Pham nicht in einer speziellen Hafteinrichtung untergebracht werden konnte. Aufgrund der Informationen, die mir im Rahmen der verbundenen Rechtssachen C‑473/13 und C‑514/13 zur Verfügung standen, nehme ich jedoch an, dass ihre Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt mit dem Fehlen spezieller Hafteinrichtungen in Bayern gerechtfertigt wurde. Da diese Rechtfertigung meines Erachtens im Hinblick auf die in Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie aufgestellten Anforderungen nicht trägt, wäre eine solche Inhaftierung folglich rechtswidrig. Gleichwohl stellt sich, falls es für sie einen berechtigten Grund gäbe, die Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit insoweit, als die Betroffene nach ihrer Einwilligung gemeinsam mit gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht wurde.


65 – Vgl. Erwägungsgründe 13, 16, 17 und 24 der Richtlinie.


66 – Bayerisches Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung – Strafvollzugsstatistik in Bayern 2012, Stichtagerhebung zum 31. März (Kennziffer B VI 6 j 2012, S. 10).


67 – Siehe http://www.justizvollzug-bayern.de/JV/Anstalten/Zustaendigkeiten.