Language of document : ECLI:EU:C:2010:661

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

9. November 2010(*)

„Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Anerkennung als Flüchtling oder als Person mit subsidiärem Schutzstatus – Art. 12 – Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling – Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c – Begriff ‚schwere nichtpolitische Straftat‘ – Begriff ‚Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen‘ – Zugehörigkeit zu einer Organisation, die an terroristischen Handlungen beteiligt ist – Spätere Aufnahme dieser Organisation in die Liste von Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP – Individuelle Verantwortung für einen Teil der von dieser Organisation begangenen Handlungen – Voraussetzungen – Asylrecht gemäß nationalem Verfassungsrecht – Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2004/83/EG“

In den verbundenen Rechtssachen C‑57/09 und C‑101/09

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 14. Oktober und 25. November 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar und 13. März 2009, in den Verfahren

Bundesrepublik Deutschland

gegen

B (C‑57/09),

D (C‑101/09),

Beteiligte:

Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht (C‑57/09 und C‑101/09),

Bundesbeauftragter für Asylangelegenheiten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (C‑101/09),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot sowie der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič, U. Lõhmus und L. Bay Larsen (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von B, vertreten durch Rechtsanwalt R. Meister,

–        von D, vertreten durch Rechtsanwälte H. Jacobi und H. Odendahl,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, J. Möller und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und A. Engman als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von T. Eicke, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Juni 2010

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung in erster Linie des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, berichtigt in ABl. 2005, L 204, S. 24, im Folgenden: Richtlinie) und in zweiter Linie des Art. 3 dieser Richtlinie.

2        Diese Ersuchen ergehen in Verwaltungsstreitsachen zwischen B (C‑57/09) und D (C‑101/09), die türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit sind, einerseits und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Inneren, dieses vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), andererseits, in denen sich B gegen die Ablehnung seines Antrags auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt und D gegen den Widerruf seiner Asyl- und Flüchtlingsanerkennung durch dieses Amt wendet.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge

3        Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 4. Oktober 1967 in Kraft trat (im Folgenden: Genfer Konvention).

4        Art. 1 der Genfer Konvention enthält u. a. in Abschnitt A eine Definition des Begriffs „Flüchtling“ im Sinne der Konvention und sieht in Abschnitt F vor:

„Die Bestimmungen dieses Abkommens finden keine Anwendung auf Personen, in Bezug auf die aus schwer wiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist,

b)       dass sie ein schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes begangen haben, bevor sie dort als Flüchtling aufgenommen wurden;

c)       dass sie sich Handlungen zu Schulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.“

5        Art. 33 („Verbot der Ausweisung und Zurückweisung“) der Genfer Konvention bestimmt:

„1.      Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.

2.      Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“

 Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten

6        Art. 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

 Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

7        Nach den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. September 2001 auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1373 (2001).

8        In den Erwägungsgründen dieser Resolution bekräftigt der Sicherheitsrat die „Notwendigkeit, durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen zu bekämpfen“.

9        In Ziff. 5 dieser Resolution heißt es, „dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen“.

10      Am 12. November 2001 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1377 (2001), in der er „betont, dass Akte des internationalen Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen stehen und dass die Finanzierung, Planung und Vorbereitung sowie jegliche andere Form der Unterstützung von Akten des internationalen Terrorismus ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen [dieser] Charta stehen“.

 Unionsrecht

Die Richtlinie

11      Laut dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie stellt die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.

12      Das wesentliche Ziel der Richtlinie ist es nach ihrem sechsten Erwägungsgrund einerseits, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits, sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

13      Der neunte Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Diejenigen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten verbleiben dürfen, nicht weil sie internationalen Schutz benötigen, sondern aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, fallen nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie.“

14      Laut ihrem zehnten Erwägungsgrund achtet die Richtlinie die Grundrechte und befolgt insbesondere die in der Charta der Grundrechte anerkannten Grundsätze. Die Richtlinie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts für Asylsuchende sicherzustellen.

15      Die Erwägungsgründe 16 und 17 der Richtlinie lauten:

„(16) Es sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention zu leiten.

(17)      Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention eingeführt werden.“

16      Der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

„Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt; sie sind unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, ‚dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen‘ und ‚dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen‘.“

17      Nach ihrem Art. 1 zielt die Richtlinie auf die Festlegung von Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz sowie des Inhalts des zu gewährenden Schutzes.

18      Nach Art. 2 der Richtlinie bezeichnen die Begriffe

„a) ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d) und f);

c)      ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

d)      ‚Flüchtlingseigenschaft‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder eines Staatenlosen als Flüchtling durch einen Mitgliedstaat;

g)      ‚Antrag auf internationalen Schutz‘ das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie ersucht;

…“

19      Art. 3 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung der Frage, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind.“

20      Art. 12 („Ausschluss“) in Kapitel III („Anerkennung als Flüchtling“) der Richtlinie sieht in den Abs. 2 und 3 vor:

„(2)      Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er

b)      eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Aufnahmelandes begangen hat, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, d. h. vor dem Zeitpunkt der Ausstellung eines Aufenthaltstitels aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft; insbesondere grausame Handlungen können als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft werden, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden;

c)      sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

(3)      Absatz 2 findet auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.“

21      Gemäß Art. 13 der Richtlinie erkennen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen der Kapitel II und III der Richtlinie erfüllen, die Flüchtlingseigenschaft zu, während sie Drittstaatsangehörigen, die die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllen, nach Art. 18 den subsidiären Schutzstatus zuerkennen.

22      Art. 14 („Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung der Flüchtlingseigenschaft“) in Kapitel IV („Flüchtlingseigenschaft“) der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Bei Anträgen auf internationalen Schutz, die nach Inkrafttreten dieser Richtlinie gestellt wurden, erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, wenn er gemäß Artikel 11 nicht länger Flüchtling ist.

(3)      Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen die Flüchtlingseigenschaft ab, beenden diese oder lehnen ihre Verlängerung ab, falls der betreffende Mitgliedstaat nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft feststellt, dass

a)      die Person gemäß Artikel 12 von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist;

…“

23      Art. 21 in Kapitel VII („Inhalt des internationalen Schutzes“) der Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten achten den Grundsatz der Nichtzurückweisung in Übereinstimmung mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen.

(2)      Ein Mitgliedstaat kann, sofern dies nicht aufgrund der in Absatz 1 genannten völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist, einen Flüchtling unabhängig davon, ob er als solcher förmlich anerkannt ist oder nicht, zurückweisen, wenn

a)      es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem [er] sich aufhält,

b)      er eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt, weil er wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt wurde.“

24      Gemäß ihren Art. 38 und 39 trat die Richtlinie am 9. November 2004 in Kraft und war spätestens zum 10. Oktober 2006 umzusetzen.

 Der Gemeinsame Standpunkt 2001/931/GASP

25      Zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) nahm der Rat der Europäischen Union am 27. Dezember 2001 den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 93) an.

26      Nach Art. 1 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 gilt dieser für die in seinem Anhang aufgeführten „Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind“.

27      Nach Art. 1 Abs. 2 und 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 bezeichnen die Begriffe

„(2)      … ‚Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind‘

–        Personen, die terroristische Handlungen begehen, zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern;

–        Vereinigungen oder Körperschaften, die unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen sind oder unter deren Kontrolle stehen; ferner Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die im Namen oder auf Weisung dieser Personen, Vereinigungen und Körperschaften handeln, einschließlich der Gelder, die aus Vermögen stammen oder hervorgehen, das unmittelbar oder mittelbar Eigentum dieser Personen und mit ihnen assoziierter Personen, Vereinigungen und Körperschaften ist oder unter deren Kontrolle steht.

(3)      … ‚terroristische Handlung‘ eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,

iii)      die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:

k)      Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.

…“

28      Der Gemeinsame Standpunkt 2001/931 enthält einen Anhang mit der Überschrift „Erste Liste der in Artikel 1 genannten Personen, Vereinigungen und Körperschaften“. In dieser Liste waren ursprünglich weder die DHKP/C noch die PKK aufgeführt.

29      Der Inhalt dieses Anhangs wurde durch den Gemeinsamen Standpunkt 2002/340/GASP des Rates vom 2. Mai 2002 (ABl. L 116, S. 75) aktualisiert.

30      In Abschnitt 2 („Gruppen und Organisationen“) des in dieser Weise aktualisierten Anhangs sind unter Ziff. 9 die „Kurdische Arbeiterpartei (PKK)“ und unter Ziff. 19 die „Revolutionäre Volksbefreiungsarmee/‑front/‑partei (DHKP/C) (auch Devrimci Sol, Dev Sol)“ aufgeführt. Diese Organisationen wurden sodann gemäß den späteren Gemeinsamen Standpunkten des Rates weiter auf der Liste nach Art. 1 Abs. 1 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 geführt, zuletzt gemäß dem Beschluss 2010/386/GASP des Rates vom 12. Juli 2010 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 Anwendung finden (ABl. L 178, S. 28).

 Der Rahmenbeschluss 2002/475/JI

31      Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164, S. 3) verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die in diesem Artikel aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch die Art ihrer Begehung oder den jeweiligen Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen können, als terroristische Straftaten eingestuft werden, wenn sie mit einem der ebenfalls in diesem Artikel genannten Ziele begangen werden.

32      Art. 2 („Straftaten im Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung“) Abs. 2 dieses Rahmenbeschlusses bestimmt:

„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die nachstehenden vorsätzlichen Handlungen unter Strafe gestellt werden:

b)      Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung einschließlich Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Tätigkeit mit dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den strafbaren Handlungen der terroristischen Vereinigung beiträgt.“

 Nationales Recht

33      Art. 16a Abs. 1 des Grundgesetzes lautet:

„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“

34      Das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798, im Folgenden: AsylVfG) gilt nach seinem § 1 für Ausländer, die Schutz als politisch Verfolgte nach Art. 16a Abs. 1 Grundgesetz oder Schutz vor Verfolgung nach der Genfer Konvention beantragen.

35      Nach § 2 AsylVfG genießen Asylberechtigte im Bundesgebiet die Rechtsstellung nach der Genfer Konvention.

36      Die Rechtsstellung von Flüchtlingen war ursprünglich in § 51 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (im Folgenden: AuslG) geregelt.

37      Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002 (BGBl. 2002 I S. 361, im Folgenden: Terrorismusbekämpfungsgesetz) wurde § 51 Abs. 3 AuslG mit Wirkung ab 11. Januar 2002 erstmals ein Satz 2 angefügt, der die in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention aufgeführten Ausschlussgründe widerspiegelt.

38      Mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), das am 28. August 2007 in Kraft getreten ist, hat die Bundesrepublik Deutschland u. a. die Richtlinie umgesetzt.

39      Gegenwärtig sind die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling in § 3 AsylVfG geregelt. In § 3 Abs. 1 und 2 AsylVfG heißt es:

„(1)      Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne [der Genfer Konvention], wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt …, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 des [Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz)] ausgesetzt ist.

(2)      Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

2.      vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder

3.      den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.

Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.“

40      Die in § 3 Abs. 2 AsylVfG genannten Ausschlussgründe haben vom 28. August 2007 an die Regelung des § 60 Abs. 8 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (im Folgenden: AufenthG) ersetzt, die ihrerseits an die Stelle des § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG getreten war.

41      § 60 Abs. 1 AufenthG in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) bestimmt:

„In Anwendung [der Genfer Konvention] darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. …“

42      Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind „[d]ie Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft … unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

 Rechtssache C‑57/09

43      B, der im Jahr 1975 geboren wurde, reiste Ende 2002 nach Deutschland ein, wo er Asyl und Flüchtlingsschutz beantragte und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf die Türkei begehrt.

44      Zur Begründung gab er u. a. an, dass er in der Türkei bereits als Schüler mit der Dev Sol (inzwischen: DHKP/C) sympathisiert und von Ende 1993 bis Anfang 1995 in den Bergen den bewaffneten Guerillakampf unterstützt habe.

45      Nach seiner Verhaftung im Februar 1995 sei er körperlich schwer misshandelt und unter Folter zu einer Aussage gezwungen worden.

46      Im Dezember 1995 sei er zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

47      Im Jahr 2001 sei er während der Haft ein weiteres Mal zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden, nachdem er die Tötung eines der Spitzeltätigkeit verdächtigten Mitgefangenen auf sich genommen habe.

48      Im Dezember 2002 sei er wegen seines gesundheitlichen Zustands für sechs Monate bedingt aus der Haft entlassen worden und habe dies genutzt, um die Türkei zu verlassen und nach Deutschland zu reisen.

49      Mit Bescheid vom 14. September 2004 lehnte das Bundesamt den Asylantrag von B als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlägen. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass B, da er eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe, unter den Ausschlussgrund des § 51 Abs. 3 Satz 2 Alternative 2 AuslG (danach des § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG, dann des § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG) falle.

50      Mit demselben Bescheid stellte das Bundesamt ferner fest, dass nach den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf die Türkei kein Abschiebungshindernis vorliege, und drohte B die Abschiebung in die Türkei an.

51      Mit Urteil vom 13. Juni 2006 hob das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen den Bescheid des Bundesamts auf und verpflichtete dieses, B als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass in Bezug auf die Türkei ein Abschiebungsverbot bestehe.

52      Mit Urteil vom 27. März 2007 wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die vom Bundesamt gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegte Berufung zurück, da B als Asylberechtigter gemäß Art. 16a des Grundgesetzes und als Flüchtling anzuerkennen sei.

53      Das Oberverwaltungsgericht war insbesondere der Ansicht, dass der vom Bundesamt geltend gemachte Ausschlussgrund dahin zu verstehen sei, dass er nicht allein der Sanktionierung einer in der Vergangenheit begangenen schweren nichtpolitischen Straftat, sondern auch der Abwehr der Gefahr diene, die der Antragsteller für den Aufnahmemitgliedstaat darstellen könne. Die Anwendung dieses Ausschlussgrundes erfordere eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte umfassende Würdigung des Einzelfalls.

54      Das Bundesamt legte gegen dieses Urteil Revision zum Bundesverwaltungsgericht ein, wofür es sich auf den zweiten und dritten Ausschlussgrund gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG (danach § 3 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AsylVfG) berief und geltend machte, dass entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beide Ausschlussgründe weder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland noch eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderten.

55      Das Bundesamt wies auch darauf hin, dass die Ausschlussgründe in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83 zu den Grundsätzen gehörten, von denen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 der Richtlinie nicht abweichen dürften.

 Rechtssache C‑101/09

56      D, der im Jahr 1968 geboren wurde, hält sich seit Mai 2001 in Deutschland auf und beantragte dort am 11. Mai 2001 Asyl.

57      Zur Begründung gab er u. a. an, er sei 1990 in die Berge geflohen, um sich der PKK anzuschließen. Er sei Guerillakämpfer und hoher Funktionär der PKK gewesen. Ende 1998 habe ihn die PKK in den Nordirak geschickt.

58      Aufgrund politischer Differenzen mit der Führung der PKK habe er sich im Mai 2000 von der PKK getrennt und werde seither bedroht. Er habe sich noch ungefähr ein Jahr im Nordirak aufgehalten, sei dort aber nicht sicher gewesen.

59      Das Bundesamt erkannte ihn im Mai 2001 als Asylberechtigten an und erkannte ihm nach dem damals geltenden innerstaatlichen Recht die Flüchtlingseigenschaft zu.

60      Nach dem Inkrafttreten des Terrorismusbekämpfungsgesetzes leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein und widerrief mit Bescheid vom 6. Mai 2004 gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG die Asyl- und die Flüchtlingsanerkennung von D. Das Bundesamt war der Auffassung, schwerwiegende Gründe rechtfertigten die Annahme, dass D außerhalb Deutschlands vor seiner dortigen Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat begangen habe und dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt habe.

61      Mit Urteil vom 29. November 2005 hob das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen diesen Widerrufsbescheid auf.

62      Die hiergegen vom Bundesamt eingelegte Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 27. März 2007 zurückgewiesen. Auf der Grundlage ähnlicher Erwägungen wie in dem am selben Tag ergangenen Urteil in der B betreffenden Verwaltungsstreitsache gelangte das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass auch im Fall von D die in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Ausschlussgründe nicht vorlägen.

63      Das Bundesamt legte gegen dieses Urteil Revision ein, die es im Wesentlichen ebenso begründete wie seine Revision in dem B betreffenden Verfahren.

 Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

64      Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach den es bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts die Revisionsbeklagten der Ausgangsverfahren im Fall der Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht hinreichend sicher vor neuer Verfolgung seien. Die positiven Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung seien daher in beiden Verfahren gegeben. Jedoch könne den Revisionsbeklagten die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt werden, wenn einer der Ausschlussgründe des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie vorliege.

65      Das vorlegende Gericht erläutert weiter, dass im Fall des Vorliegens eines dieser Ausschlussgründe die Revisionsbeklagten der Ausgangsverfahren einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte nach Art. 16a des Grundgesetzes hätten, da dieser Artikel keine Personengruppe vom Asylanspruch ausschließe.

66      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass weder das Vorliegen eines der genannten Ausschlussgründe nach Art. 12 der Richtlinie noch die etwaige Feststellung, dass Art. 16a des Grundgesetzes und die Richtlinie miteinander unvereinbar seien, für die Revisionsbeklagten der Ausgangsverfahren notwendig zum Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland führen würden.

67      Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof in beiden Ausgangsverfahren die fünf folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, wobei wegen der jeweiligen näheren Umstände dieser Verfahren die erste und die fünfte Frage leicht unterschiedlich formuliert sind:

1.      Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vor, wenn

–      der Antragsteller (Rechtssache C‑57/09) einer Organisation angehört hat, die im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 aufgeführt ist und terroristische Methoden anwendet, und der Antragsteller den bewaffneten Kampf dieser Organisation aktiv unterstützt hat;

–      der Ausländer (Rechtssache C‑101/09) langjährig als Kämpfer und Funktionär – zeitweise auch als Mitglied des Führungsgremiums – in eine Organisation (hier: die PKK) eingebunden war, die bei ihrem bewaffneten Kampf gegen den Staat (hier: die Türkei) immer wieder auch terroristische Methoden angewendet hat und im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 aufgeführt ist, und der Ausländer damit deren bewaffneten Kampf in hervorgehobener Position aktiv unterstützt hat?

2.      Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie voraus, dass von dem Betreffenden weiterhin eine Gefahr ausgeht?

3.      Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus?

4.      Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:

a)      Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, dass der Betreffende Abschiebungsschutz nach Art. 3 EMRK oder nach nationalen Bestimmungen genießt?

b)      Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen unverhältnismäßig?

5.      Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie mit der Richtlinie zu vereinbaren, dass

–      der Antragsteller (Rechtssache C‑57/09) trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie einen Anspruch auf Asyl nach nationalem Verfassungsrecht hat;

–      der Ausländer (Rechtssache C‑101/09) trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie weiterhin nach nationalem Verfassungsrecht als Asylberechtigter anerkannt bleibt?

68      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 4. Mai 2009 sind die Rechtssachen C‑57/09 und C‑101/09 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

69      In den Ausgangsverfahren erließ das Bundesamt die streitigen Bescheide auf der Grundlage der Rechtsvorschriften, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie, also vor dem 9. November 2004, galten.

70      Diese Bescheide, die die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen veranlasst haben, werden daher zeitlich von der Geltung der Richtlinie nicht erfasst.

71      Es ist jedoch zu beachten, dass der Gerichtshof, wenn die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts betreffen, grundsätzlich gehalten ist, darüber zu befinden. Weder aus dem Wortlaut der Art. 68 EG und 234 EG noch aus dem Zweck des durch den letztgenannten Artikel eingerichteten Verfahrens ergibt sich nämlich, dass die Verfasser des EG‑Vertrags von der Zuständigkeit des Gerichtshofs solche Vorabentscheidungsersuchen ausnehmen wollten, die sich auf eine Richtlinie in dem besonderen Fall beziehen, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaats, um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt zu regeln, auf den Inhalt der Bestimmungen eines völkerrechtlichen Abkommens verweist, die durch diese Richtlinie übernommen worden sind. In einem solchen Fall besteht ein eindeutiges Unionsinteresse daran, dass zur Vermeidung künftiger Auslegungsdivergenzen die Bestimmungen dieses völkerrechtlichen Abkommens, die in das nationale Recht und in das Unionsrecht übernommen worden sind, unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie herangezogen werden, einheitlich ausgelegt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C‑175/08, C‑176/08, C‑178/08 und C‑179/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 48).

72      In den vorliegenden Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz in das nationale Recht Gründe des Ausschlusses von der Flüchtlingsanerkennung eingeführt worden seien, die im Wesentlichen den in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention niedergelegten entsprächen. Da die in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe im Wesentlichen ebenfalls den in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Konvention niedergelegten entsprechen, hat das Bundesamt in den beiden Bescheiden, die in den Ausgangsverfahren vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassen worden sind, Ausschlussklauseln geprüft und angewandt, die im Wesentlichen denen entsprechen, die später in die Richtlinie aufgenommen wurden.

73      Hinsichtlich des Bescheids des Bundesamts, mit dem die Anerkennung von D als Flüchtling widerrufen wurde, ist ferner zu beachten, dass Art. 14 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verpflichtet, dem Betreffenden die Flüchtlingseigenschaft abzuerkennen, wenn sie nach deren Zuerkennung feststellen, dass er gemäß Art. 12 der Richtlinie von dieser Zuerkennung „hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist“.

74      Im Unterschied zu dem in Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehenen unterliegt der in Abs. 3 Buchst. a dieses Artikels normierte Aberkennungsgrund keiner Übergangsregelung und kann nicht auf Anträge oder Entscheidungen beschränkt werden, die nach Inkrafttreten der Richtlinie gestellt oder erlassen wurden. Ebenso wenig ist dieser Aberkennungsgrund, wie es für die in Abs. 4 dieses Artikels genannten Aberkennungsgründe gilt, fakultativ ausgestaltet.

75      Unter diesen Umständen sind die Vorlagefragen zu beantworten.

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

76      Die Richtlinie wurde auf der Grundlage insbesondere des Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c EG erlassen, durch den der Rat beauftragt worden war, in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen anderen Verträgen Asylmaßnahmen im Bereich der Mindestnormen für die Anerkennung von Staatsangehörigen dritter Länder als Flüchtlinge zu beschließen.

77      Aus den Erwägungsgründen 3, 16 und 17 der Richtlinie geht hervor, dass die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und dass die Bestimmungen der Richtlinie über die Voraussetzungen der Anerkennung als Flüchtling und über den Inhalt des Flüchtlingen zu gewährenden Schutzes erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten (Urteile Salahadin Abdulla u. a., Randnr. 52, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C‑31/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).

78      Die Bestimmungen der Richtlinie sind daher im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen anderen Verträgen, auf die Art. 63 Abs. 1 Nr. 1 EG (jetzt Art. 78 Abs. 1 AEUV) Bezug nimmt, auszulegen. Diese Auslegung muss zudem, wie dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie zu entnehmen ist, die Achtung der Grundrechte und die Befolgung der insbesondere in der Charta der Grundrechte anerkannten Grundsätze gewährleisten (vgl. Urteile Salahadin Abdulla u. a., Randnrn. 53 und 54, sowie Bolbol, Randnr. 38).

 Zur ersten Frage

79      Mit seiner ersten Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine „schwere nichtpolitische Straftat“ oder „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie vorliegen, wenn die betreffende Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den bewaffneten Kampf dieser Organisation, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, aktiv unterstützt hat.

80      Zur Beantwortung dieser Frage, mit der geklärt werden soll, inwieweit die Zugehörigkeit einer Person zu einer in der genannten Liste aufgeführten Organisation unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie fallen kann, ist zunächst zu prüfen, ob die von einer solchen Organisation begangenen Handlungen, wie es das vorlegende Gericht voraussetzt, zu den Kategorien von schweren Straftaten und von Handlungen gehören können, auf die sich diese Buchst. b und c beziehen.

81      Es ist erstens festzustellen, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des genannten Buchst. b angesehen werden müssen.

82      Was zweitens die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, anbelangt, so wird im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie angegeben, dass sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u. a. in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert sind.

83      Zu diesen Akten gehören die Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, denen zu entnehmen ist, dass dieser von dem Grundsatz ausgeht, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

84      Daraus folgt, dass, wie alle Regierungen, die schriftliche Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, und die Europäische Kommission in ihren Erklärungen vertreten haben, die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten die Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie auch auf eine Person anwenden können, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt war, die eine internationale Dimension aufweisen.

85      Sodann stellt sich die Frage, inwieweit eine Zugehörigkeit zu einer solchen Organisation impliziert, dass die betreffende Person unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie fällt, wenn sie, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat.

86      Insoweit ist hervorzuheben, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie, wie im Übrigen auch Art. 1 Abschnitt F Buchst. b und c der Genfer Konvention, eine Person nur dann von der Flüchtlingsanerkennung auszuschließen erlaubt, wenn „schwerwiegende Gründe“ zu der Annahme berechtigen, dass sie eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb ihres Aufnahmelandes „begangen hat“, bevor sie als Flüchtling aufgenommen wurde, oder dass sie sich Handlungen „zuschulden kommen ließ“, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

87      Dem Wortlaut dieser Richtlinienbestimmungen ist zu entnehmen, dass die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats diese Bestimmungen erst anwenden darf, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffenden, der im Übrigen die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt, unter einen der beiden Ausschlusstatbestände fallen.

88      Folglich kann erstens, auch wenn die Handlungen einer Organisation, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, unter einen der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe fallen können, allein der Umstand, dass die betreffende Person einer solchen Organisation angehört hat, nicht automatisch zur Folge haben, dass sie nach diesen Bestimmungen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen ist.

89      Es besteht nämlich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie hinsichtlich der verfolgten Ziele, und es ist nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie den Ausschluss einer Person von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie in Betracht zieht, sich nur auf deren Zugehörigkeit zu einer Organisation stützt, die in einer Liste aufgeführt ist, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen hat.

90      Indessen erlaubt die Aufnahme einer Organisation in eine Liste wie die im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 enthaltene die Feststellung, dass die Vereinigung, der die betreffende Person angehört hat, terroristischer Art ist, was einen Gesichtspunkt darstellt, den die zuständige Stelle zu berücksichtigen hat, wenn sie in einem ersten Schritt prüft, ob die Vereinigung Handlungen begangen hat, die unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie fallen.

91      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Umstände, unter denen die beiden Organisationen, denen die Revisionsbeklagten der Ausgangsverfahren jeweils angehört haben, in die genannte Liste aufgenommen wurden, nicht mit einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände vergleichbar sind, die jeder Entscheidung, eine Person gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen, vorausgehen muss.

92      Zweitens fällt, anders als die Kommission geltend gemacht hat, auch die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2002/475 nicht notwendig und automatisch unter die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe.

93      Der Rahmenbeschluss 2002/475 wurde nämlich nicht nur, ebenso wie der Gemeinsame Standpunkt 2001/931, in einem anderen Kontext erlassen als dem der Richtlinie, der im Wesentlichen humanitärer Art ist, sondern die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieses Rahmenbeschlusses definierte vorsätzliche Handlung der Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung, die die Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht unter Strafe zu stellen hatten, ist auch nicht geeignet, die automatische Anwendung der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie genannten Ausschlussgründe auszulösen, die eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände jedes Einzelfalls voraussetzen.

94      Aus allen diesen Erwägungen ergibt sich, dass der Ausschluss einer Person, die einer sich terroristischer Methoden bedienenden Organisation angehört hat, von der Flüchtlingsanerkennung eine individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände voraussetzt, die es erlaubt, zu beurteilen, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass diese Person im Rahmen ihrer Handlungen innerhalb dieser Organisation eine schwere nichtpolitische Straftat begangen hat oder sich Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, oder im Sinne des Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie andere zu solchen Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.

95      Für die Feststellung, dass die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe vorliegen, ist es erforderlich, dass der betreffenden Person ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft der Person in dieser Organisation begangen wurden, zugerechnet werden kann, wobei dem in diesem Abs. 2 verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist.

96      Diese individuelle Verantwortung ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen.

97      Hierfür hat die zuständige Stelle insbesondere die Rolle zu prüfen, die die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, ihre Position innerhalb dieser Organisation, den Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, die etwaigen Pressionen, denen sie ausgesetzt gewesen wäre, oder andere Faktoren, die geeignet waren, ihr Verhalten zu beeinflussen.

98      Eine staatliche Stelle, die bei dieser Prüfung feststellt, dass die betreffende Person, wie D, eine hervorgehobene Position in einer sich terroristischer Methoden bedienenden Organisation innehatte, kann vermuten, dass diese Person eine individuelle Verantwortung für von dieser Organisation im relevanten Zeitraum begangene Handlungen trägt, jedoch bleibt nichtsdestoweniger die Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände erforderlich, bevor die Entscheidung erlassen werden kann, die betreffende Person gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen.

99      In Anbetracht der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage in beiden Rechtssachen zu antworten, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie dahin auszulegen ist,

–        dass der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch einen schwerwiegenden Grund darstellt, der zu der Annahme berechtigt, dass diese Person eine „schwere nichtpolitische Straftat“ oder „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, begangen hat;

–        dass in einem solchen Kontext die Feststellung, dass schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass eine Person eine solche Straftat begangen hat oder sich solche Handlungen hat zuschulden kommen lassen, eine Beurteilung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls voraussetzt, um zu ermitteln, ob von der betreffenden Organisation begangene Handlungen die in den genannten Bestimmungen festgelegten Voraussetzungen erfüllen und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist.

 Zur zweiten Frage

100    Mit seiner zweiten Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie voraussetzt, dass von der betreffenden Person weiterhin eine Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeht.

101    Es ist sogleich darauf hinzuweisen, dass in der Systematik der Richtlinie eine möglicherweise von einem Flüchtling für den betreffenden Mitgliedstaat ausgehende gegenwärtige Gefahr nicht im Rahmen des Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie Berücksichtigung findet, sondern im Rahmen zum einen ihres Art. 14 Abs. 4 Buchst. a, wonach dieser Mitgliedstaat die einem Flüchtling zuerkannte Rechtsstellung insbesondere dann aberkennen kann, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass dieser eine Gefahr für die Sicherheit darstellt, und zum anderen ihres Art. 21 Abs. 2, nach dem der Aufnahmemitgliedstaat, wozu ihn auch Art. 33 Abs. 2 der Genfer Konvention ermächtigt, einen Flüchtling zurückweisen kann, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass dieser eine Gefahr für die Sicherheit oder die Allgemeinheit dieses Mitgliedstaats darstellt.

102    Nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie, der dem des Art. 1 Abschnitt F Buchst. b und c der Genfer Konvention entspricht, ist ein Drittstaatsangehöriger von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er außerhalb des Aufnahmelandes, bevor er als Flüchtling aufgenommen wurde, eine schwere nichtpolitische Straftat „begangen hat“ oder dass er sich Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, „zuschulden kommen ließ“.

103    Mit diesen beiden Ausschlussgründen sollen nach dem Wortlaut der sie festlegenden Bestimmungen, wie von allen Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, und von der Kommission vorgetragen worden ist, Handlungen geahndet werden, die in der Vergangenheit begangen wurden.

104    Insoweit ist hervorzuheben, dass die in Frage stehenden Ausschlussgründe mit dem Ziel geschaffen wurden, von der Flüchtlingsanerkennung Personen auszuschließen, die als des sich aus ihr ergebenden Schutzes unwürdig angesehen werden, und zu verhindern, dass diese Anerkennung den Urhebern bestimmter schwerwiegender Straftaten ermöglicht, sich einer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen. Es entspräche daher nicht dieser doppelten Zielsetzung, den Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung vom Bestehen einer gegenwärtigen Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat abhängig zu machen.

105    Demnach ist auf die zweite Frage zu antworten, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie nicht voraussetzt, dass von der betreffenden Person eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeht.

 Zur dritten Frage

106    Mit seiner dritten Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt.

107    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2, sofern die dort festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, die betreffende Person von der Anerkennung als Flüchtling „ausgeschlossen [ist]“ und dass im System der Richtlinie Art. 2 Buchst. c die Eigenschaft als „Flüchtling“ ausdrücklich davon abhängig macht, dass Art. 12 auf den Betreffenden keine Anwendung findet.

108    Der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung aus einem der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c genannten Gründe hängt, wie im Rahmen der Antwort auf die erste Frage ausgeführt worden ist, mit der Schwere der begangenen Handlungen zusammen, die von einem solchen Grad sein muss, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz erheben kann, der mit der Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie verbunden ist.

109    Da die zuständige Behörde bereits im Rahmen ihrer Beurteilung der Schwere der begangenen Handlungen und der individuellen Verantwortung der betreffenden Person alle Umstände berücksichtigt hat, die für diese Handlungen und für die Lage dieser Person kennzeichnend sind, kann sie, wenn sie zu dem Ergebnis gelangt, dass Art. 12 Abs. 2 Anwendung findet, nicht, wie die deutsche, die französische und die niederländische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs geltend gemacht haben, zur Vornahme einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sein, die eine erneute Beurteilung des Schweregrads der begangenen Handlungen einschließt.

110    Es ist zu betonen, dass der Ausschluss einer Person von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie keine Stellungnahme zu der gesonderten Frage impliziert, ob diese Person in ihr Herkunftsland ausgewiesen werden darf.

111    Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt.

 Zur vierten Frage

112    Angesichts der Antwort auf die dritte Frage ist die vierte Frage, die das vorlegende Gericht in beiden Rechtssachen gestellt hat, nicht zu beantworten.

 Zur fünften Frage

113    Mit seiner fünften Frage in beiden Rechtssachen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es mit der Richtlinie im Sinne ihres Art. 3 vereinbar ist, dass ein Mitgliedstaat nach seinem Verfassungsrecht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennt.

114    Insoweit ist zu beachten, dass es Art. 3 der Richtlinie den Mitgliedstaaten gestattet, günstigere Normen u. a. zur Entscheidung der Frage zu erlassen oder beizubehalten, wer als Flüchtling gilt, sofern jedoch diese Normen mit der Richtlinie vereinbar sind.

115    In Anbetracht des den Ausschlussgründen der Richtlinie zugrunde liegenden Zwecks, der darin liegt, die Glaubwürdigkeit des durch die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention vorgesehenen Schutzsystems zu erhalten, läuft es aber dem in Art. 3 der Richtlinie niedergelegten Vorbehalt zuwider, dass ein Mitgliedstaat Bestimmungen erlässt oder beibehält, die die Rechtsstellung des Flüchtlings einer Person gewähren, die hiervon nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie ausgeschlossen ist.

116    Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es, wie dem letzten Satzteil des Art. 2 Buchst. g der Richtlinie zu entnehmen ist, der Richtlinie nicht zuwiderläuft, dass eine Person um eine „andere … Form des Schutzes“ außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie ersucht.

117    Die Richtlinie geht ebenso wie die Genfer Konvention von dem Grundsatz aus, dass die Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht einen nationalen Schutz gewähren können, der mit Rechten verbunden ist, die Personen, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Flüchtlingsanerkennung ausgeschlossen sind, den Aufenthalt im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats gestatten.

118    Die Gewährung einer solchen, nationalen Schutz beinhaltenden Rechtsstellung aus anderen Gründen als dem, dass internationaler Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie gewährt werden muss, d. h. aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, fällt, wie im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie klargestellt wird, nicht in deren Anwendungsbereich.

119    Diese andere Form des Schutzes, zu deren Gewährung die Mitgliedstaaten befugt sind, darf indessen nicht, wie besonders die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie verwechselbar sein.

120    Soweit die nationalen Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz gemäß der Richtlinie erlauben, beeinträchtigen sie daher das von der Richtlinie geschaffene System nicht.

121    Demnach ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Art. 3 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennen können, soweit diese andere Form des Schutzes nicht die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie birgt.

 Kosten

122    Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen,

–        dass der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist, und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch einen schwerwiegenden Grund darstellt, der zu der Annahme berechtigt, dass diese Person eine „schwere nichtpolitische Straftat“ oder „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, begangen hat;

–        dass in einem solchen Kontext die Feststellung, dass schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass eine Person eine solche Straftat begangen hat oder sich solche Handlungen hat zuschulden kommen lassen, eine Beurteilung der genauen tatsächlichen Umstände des Einzelfalls voraussetzt, um zu ermitteln, ob von der betreffenden Organisation begangene Handlungen die in den genannten Bestimmungen festgelegten Voraussetzungen erfüllen und ob der betreffenden Person eine individuelle Verantwortung für die Verwirklichung dieser Handlungen zugerechnet werden kann, wobei dem in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist.

2.      Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie 2004/83 setzt nicht voraus, dass von der betreffenden Person eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgeht.

3.      Der Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie 2004/83 setzt keine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus.

4.      Art. 3 der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten nach ihrem nationalen Recht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht zuerkennen können, soweit diese andere Form des Schutzes nicht die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie birgt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.