Language of document : ECLI:EU:C:2013:288

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

8. Mai 2013(*)

„Grundfreiheiten – Beschränkung – Rechtfertigung – Staatliche Beihilfen – Begriff des öffentlichen Bauauftrags – In bestimmten Gemeinden belegene Grundstücke und Bauten – Regionale Regelung, die deren Übertragung vom Bestehen einer ‚ausreichenden Bindung‘ des potenziellen Käufers oder Mieters zu der Zielgemeinde abhängig macht – Soziale Auflage für die Bauherren und Parzellierer – Steuerliche Anreize und Subventionsmechanismen“

In den verbundenen Rechtssachen C‑197/11 und C‑203/11

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verfassungsgerichtshof (Belgien) mit Entscheidungen vom 6. April 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 28. April 2011, in den Verfahren

Eric Libert,

Christian Van Eycken,

Max Bleeckx,

Syndicat national des propriétaires et copropriétaires ASBL,

Olivier de Clippele

gegen

Flämische Regierung,

sonst am Verfahren beteiligt:

Kollegium der Französischen Gemeinschaftskommission,

Regierung der Französischen Gemeinschaft,

Ministerrat (C‑197/11),

und

All Projects & Developments NV u. a.

gegen

Flämische Regierung,

sonst am Verfahren beteiligt:

Kollegium der Französischen Gemeinschaftskommission,

Regierung der Französischen Gemeinschaft,

Ministerrat,

Immo Vilvo NV,

PSR Brownfield Developers NV (C‑203/11),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter M. Ilešič, E. Levits, J.‑J. Kasel und M. Safjan,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Libert, Herrn Van Eycken und Herrn Bleeckx, vertreten durch F. Gosselin, avocat,

–        des Syndicat national des propriétaires et copropriétaires ASBL, vertreten durch C. Lesaffer und E. Desair, avocats,

–        der All Projects & Developments NV u. a., vertreten durch P. de Bandt und J. Dewispelaere, advocaten,

–        der flämischen Regierung, vertreten durch P. van Orshoven und A. Vandaele, advocaten,

–        des Kollegiums der Französischen Gemeinschaftskommission und der Regierung der Französischen Gemeinschaft, vertreten durch M. Uyttendaele und J. Sautois, avocats,

–        der Immo Vilvo NV, vertreten durch P. Flamey und P. J. Vervoort, advocaten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, C. Schillemans und K. Bulterman als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch T. van Rijn, I. Rogalski, S. Thomas und F. Wilman als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Oktober 2012

folgendes

Urteil

1        Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV sowie der Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, mit Berichtigungen in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).

2        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Libert, Herrn Van Eycken, Herrn Bleeckx, dem Syndicat national des propriétaires et copropriétaires ASBL und Herrn de Clippele einerseits und der flämischen Regierung andererseits sowie zwischen der All Projects & Developments NV und 35 weiteren Gesellschaften einerseits und der flämischen Regierung andererseits über Bestimmungen, die die Übertragung von Liegenschaften, die in bestimmten, von der flämischen Regierung bezeichneten Gemeinden (im Folgenden: Zielgemeinden) belegen sind, von einer „besonderen Bedingung“ abhängig machen, nach der diese Güter nur an Personen „übertragen“, d. h. verkauft, für mehr als neun Jahre vermietet oder mit einem Erbpacht- oder Erbbaurecht belastet, werden können, die nach dem Dafürhalten einer provinzialen Bewertungskommission eine „ausreichende Bindung“ zu diesen Gemeinden haben.

3        In der Rechtssache C‑203/11 möchte der Verfassungsgerichtshof (Belgien) vom Gerichtshof außerdem wissen, ob die Art. 49 AEUV, 56 AEUV, 63 AEUV, 107 AEUV und 108 AEUV sowie die Bestimmungen der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36) und der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 (ABl. L 188, S. 14) (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) Bestimmungen entgegenstehen, nach denen für die Parzellierer und Bauherren in bestimmten Fällen eine „soziale Auflage“ gilt wie im Wesentlichen die Verwendung eines Teils ihres Bauprojekts auf die Errichtung von Sozialwohnungen oder die Zahlung eines Sozialbeitrags, wofür diesen Wirtschaftsteilnehmern im Gegenzug verschiedene Steueranreize und Subventionsmechanismen zugutekommen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

4        Art. 1 der Richtlinie 2004/18 sieht vor:

„(1)      Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten die Definitionen der Absätze 2 bis 15.

(2)      a)      ‚Öffentliche Aufträge‘ sind zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern geschlossene schriftliche entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen im Sinne dieser Richtlinie.

      b)      ‚Öffentliche Bauaufträge‘ sind öffentliche Aufträge über entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Planung und die Ausführung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen. Ein ‚Bauwerk‘ ist das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- oder Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll.

…“

5        Art. 1 der Richtlinie 2004/38 lautet:

„Diese Richtlinie regelt

a)      die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen;

b)      das Recht auf Daueraufenthalt der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

c)      die Beschränkungen der in den Buchstaben a) und b) genannten Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.“

6        Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“

7        Art. 22 („Räumlicher Geltungsbereich“) der Richtlinie 2004/38 lautet:

„Das Recht auf Aufenthalt und das Recht auf Daueraufenthalt erstrecken sich auf das gesamte Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats. Die Mitgliedstaaten können das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Daueraufenthalt nur in den Fällen räumlich beschränken, in denen sie dieselben Beschränkungen auch für ihre eigenen Staatsangehörigen vorsehen.“

8        Art. 24 („Gleichbehandlung“) dieser Richtlinie bestimmt in seinem Abs. 1:

„Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im [EG-]Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.“

9        Die Entscheidung 2005/842/EG der Kommission vom 28. November 2005 über die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 [EG] auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden (ABl. L 312, S. 67, im Folgenden: DAWI-Entscheidung), sah in ihrem Art. 1 vor:

„Die vorliegende Entscheidung bestimmt, unter welchen Voraussetzungen staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen und demzufolge von der in Artikel 88 Absatz 3 [EG] verankerten Notifizierungspflicht freigestellt werden können.“

10      Art. 3 („Vereinbarkeit und Freistellung von der Notifizierungspflicht“) dieser Entscheidung bestimmte:

„Staatliche Beihilfen, die in Form von Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gewährt werden und gleichzeitig die in dieser Entscheidung genannten Voraussetzungen erfüllen, sind mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und von der Notifizierungspflicht gemäß Artikel 88 Absatz 3 [EG] freigestellt, sofern in den sektorspezifischen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in Bezug auf die Gemeinwohlverpflichtungen nichts anderes bestimmt ist.“

11      Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/123 heißt es:

„Diese Richtlinie findet nur auf die Anforderungen für die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit Anwendung. Sie findet somit keine Anwendung auf Anforderungen wie Straßenverkehrsvorschriften, Vorschriften bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, der Stadtplanung und der Raumordnung, Baunormen …“

12      Art. 2 („Anwendungsbereich“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden.

(2)      Diese Richtlinie findet auf folgende Tätigkeiten keine Anwendung:

a)      nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse;

j)      soziale Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sozialwohnungen, der Kinderbetreuung und der Unterstützung von Familien und dauerhaft oder vorübergehend hilfsbedürftigen Personen, die vom Staat, durch von ihm beauftragte Dienstleistungserbringer oder durch von ihm als gemeinnützig anerkannte Einrichtungen erbracht werden;

…“

 Belgisches Recht

13      Das Dekret der Flämischen Region vom 27. März 2009 über die Grundstücks- und Immobilienpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 15. Mai 2009, S. 37408, im Folgenden: flämisches Dekret) umfasst ein Buch 4 über die Maßnahmen in Bezug auf bezahlbare Wohnungen, in dessen Titel 1 ein Kapitel 3 („Soziale Auflagen“) enthalten ist, in dem sich folgender Art. 4.1.16 findet:

„§ 1. Wenn ein Parzellierungsprojekt oder ein Bauprojekt einer Norm unterliegt, die aufgrund von Kapitel 2 Abschnitt 2 festgelegt wurde, wird die Parzellierungsgenehmigung bzw. die städtebauliche Genehmigung von Rechts wegen mit einer sozialen Auflage verbunden.

Eine soziale Auflage … verpflichtet den Parzellierer oder den Bauherrn, Maßnahmen auszuführen, damit ein Angebot an Sozialwohnungen verwirklicht werden kann, das dem für das Parzellierungsprojekt oder das Bauprojekt anwendbaren Prozentsatz entspricht.

…“

14      Art. 4.1.17 dieses Dekrets, der in demselben Kapitel 3 enthalten ist, bestimmt:

„Der Parzellierer oder der Bauherr kann eine soziale Auflage wahlweise wie folgt erfüllen:

1.      in natura gemäß den Regeln der Artikel 4.1.20 bis 4.1.24;

2.      durch den Verkauf der für das vorgeschriebene Angebot an Sozialwohnungen erforderlichen Grundstücke an eine Organisation für sozialen Wohnungsbau gemäß den Regeln des Artikels 4.1.25;

3.      durch die Vermietung von im Rahmen einer Parzellierung oder eines Bauprojekts errichteten Wohnungen an ein soziales Vermietungsbüro gemäß den Regeln des Artikels 4.1.26;

4.      durch eine Kombination der Nrn. 1, 2 und/oder 3.“

15      In Art. 4.1.19 des flämischen Dekrets heißt es:

„Der Parzellierer oder der Bauherr kann eine soziale Auflage ganz oder teilweise erfüllen, indem er einen Sozialbeitrag an die Gemeinde zahlt, in der das Parzellierungsprojekt oder das Bauprojekt entwickelt wird. Der Sozialbeitrag wird berechnet, indem die Anzahl der grundsätzlich zu errichtenden Sozialwohnungen oder Parzellen mit 50 000 Euro multipliziert und der Betrag anhand des ABEX-Indexes mit demjenigen von Dezember 2008 als Basisindex indexiert wird. …“

16      Die Art. 4.1.20 bis 4.1.24 des flämischen Dekrets sehen für die Privatunternehmen, die die „soziale Auflage“ in natura erfüllen, Steueranreize und Subventionsmechanismen vor wie die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes und eines ermäßigten Satzes der Registrierungsgebühren (Art. 4.1.20 § 3 Abs. 2), eine Übernahmegarantie für errichtete Wohnungen, zu deren Übernahme keine Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau bereit ist (Art. 4.1.21), und Infrastrukturzuschüsse (Art. 4.1.23).

17      Art. 4.1.22 dieses Dekrets lautet:

„Die aufgrund der sozialen Auflage verwirklichten käuflichen Sozialwohnungen und Sozialparzellen werden im Namen und für Rechnung des Bauherrn oder Parzellierers durch eine Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau, zu deren Tätigkeitsbereich die Gemeinde gehört, angeboten. Das Angebot erfolgt unter den durch die flämische Regierung festgelegten Bedingungen für die Übertragung von Immobilien durch die Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen und die Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau. Der Bauherr oder Parzellierer und die Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau schließen hierzu einen Verwaltungsvertrag.

Die Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau übt in Bezug auf die betreffenden käuflichen Sozialwohnungen und Sozialparzellen alle durch das Flämische Wohnungsgesetzbuch oder aufgrund desselben festgelegten Rechte aus, als ob sie die Wohnungen und Parzellen selbst verwirklicht hätte.“

18      Außerdem sieht Buch 3 des flämischen Dekrets vor, dass Subventionen unabhängig von der Erfüllung einer „sozialen Auflage“ gewährt werden. Insbesondere handelt es sich um Subventionen für „Aktivierungsprojekte“ (Art. 3.1.2 dieses Dekrets), um eine im Rahmen des Abschlusses von Renovierungsvereinbarungen gewährte Steuerermäßigung für natürliche Personen (Art. 3.1.3 ff. des Dekrets) und um eine pauschale Herabsetzung der Erhebungsgrundlage für Registrierungsgebühren (Art. 3.1.10 des Dekrets).

19      Art. 5.2.1 in Buch 5 („Wohnen in der eigenen Region“) des flämischen Dekrets bestimmt:

„§ 1. Es gilt eine besondere Bedingung für die Übertragung von Grundstücken und den darauf errichteten Bauten in den Gebieten, die folgende zwei Bedingungen erfüllen:

1.      [S]ie unterliegen der Gebietseinteilung ‚Wohnerweiterungsgebiet‘ im Sinne des königlichen Erlasses vom 28. Dezember 1972 über die Einrichtung und Anwendung der Sektorenplanentwürfe und Sektorenpläne, und dies am Tag des Inkrafttretens dieses Dekrets;

2.      sie liegen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der privatschriftlichen Übertragungsurkunde in den Zielgemeinden, die in der neuesten, im Belgischen Staatsblatt veröffentlichten Liste im Sinne von Artikel 5.1.1 angeführt sind, wobei die privatschriftliche Übertragungsurkunde für die Anwendung dieser Bestimmung als sechs Monate vor dem Erhalt eines festen Datums unterschrieben gilt, wenn zwischen dem Datum der Unterzeichnung und dem Datum des Erhalts eines festen Datums mehr als sechs Monate verstrichen sind.

Die besondere Übertragungsbedingung beinhaltet, dass Grundstücke und darauf errichtete Bauten nur an Personen (weiter) übertragen werden können, die nach dem Dafürhalten einer provinzialen Bewertungskommission eine ausreichende Bindung zur Gemeinde haben. Unter ‚Übertragen‘ ist Folgendes zu verstehen: Verkauf, Vermietung für mehr als neun Jahre oder Belastung mit einem Erbpacht- oder Erbbaurecht.

Die besondere Übertragungsbedingung verfällt endgültig und ohne Möglichkeit der Erneuerung nach zwanzig Jahren ab dem Zeitpunkt, zu dem die der Bedingung unterliegende ursprüngliche Übertragung ein festes Datum erhalten hat.

§ 2. Eine Person hat für die Anwendung von § 1 Absatz 2 eine ausreichende Bindung zur Gemeinde, wenn sie eine oder mehrere der folgenden Bedingungen erfüllt:

1.      Sie ist mindestens sechs Jahre lang ohne Unterbrechung in der Gemeinde oder in einer angrenzenden Gemeinde wohnhaft gewesen, vorausgesetzt, dass diese Gemeinde ebenfalls in der Liste im Sinne von Artikel 5.1.1 angeführt ist;

2.      sie verrichtet zum Zeitpunkt der Übertragung Tätigkeiten in der Gemeinde, sofern diese Tätigkeiten durchschnittlich mindestens eine halbe Arbeitswoche in Anspruch nehmen;

3.      sie hat aufgrund eines wichtigen und dauerhaften Umstands eine gesellschaftliche, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindung zur Gemeinde aufgebaut.

…“

20      Für die Zwecke der Anwendung dieser Bestimmungen sind „Zielgemeinden“ nach Art. 5.1.1 des flämischen Dekrets diejenigen mit den höchsten durchschnittlichen Grundstückspreisen je Quadratmeter und der höchsten internen oder externen Migrationsintensität. Aus dem Erlass der Flämischen Regierung vom 19. Juni 2009 zur Festlegung der Liste der Gemeinden im Sinne von Art. 5.1.1 Abs. 1 des Dekrets vom 27. März 2009 über die Grundstücks- und Immobilienpolitik (Belgisches Staatsblatt vom 22. September 2009, S. 63341) geht hervor, dass es 69 Zielgemeinden gibt.

21      Schließlich können nach Art. 5.2.3 des flämischen Dekrets die provinziale Bewertungskommission und geschädigte Dritte die Nichtigerklärung von Übertragungen beantragen, die unter Verstoß gegen die besondere Bedingung stattgefunden haben.

 Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

 Rechtssache C‑197/11

22      In dieser Sache beantragten Herr Libert, Herr Van Eycken und Herr Bleeckx, die in Belgien wohnhaft sind, sowie das Syndicat national des propriétaires et copropriétaires ASBL und Herr de Clippele, ein Notar, beim Verfassungsgerichtshof die Nichtigerklärung der Bestimmungen des Buchs 5 des flämischen Dekrets aus dem Grund, dass diese das Recht einschränkten, in den Zielgemeinden Liegenschaften zu erwerben oder zu verkaufen.

23      Der Verfassungsgerichtshof stellt insoweit in seiner Vorlageentscheidung fest, dass die bei ihm angefochtenen Bestimmungen zum einen die Personen, die keine „ausreichende Bindung“ zu den Zielgemeinden im Sinne von Art. 5.2.1 § 2 dieses Dekrets hätten, daran hinderten, Liegenschaften in diesen Gemeinden zu erwerben, für mehr als neun Jahre zu mieten oder ein Erbpacht- oder Erbbaurecht daran zu erwerben. Zum anderen könnten diese Bestimmungen die Unionsbürger, die eine Immobilie in diesen Gemeinden besäßen oder mieteten, davon abhalten, die Gemeinden zu verlassen und sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten oder dort eine Berufstätigkeit auszuüben, da sie nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer außerhalb dieser Gemeinden keine „ausreichende Bindung“ mehr zu ihnen hätten.

24      Der Verfassungsgerichtshof führt dazu aus, das flämische Dekret solle ausweislich der Gesetzesmaterialien den Immobilienbedarf der einheimischen Bevölkerung in bestimmten flämischen Gemeinden befriedigen, in denen die hohen Grundstückspreise zu einer „Gentrifizierung“ führten, d. h. zum Ausschluss der weniger begüterten Bevölkerung vom Immobilienmarkt aufgrund des Zuzugs „finanzkräftigerer“ Personen aus anderen Gemeinden. Er fragt sich daher erstens, ob ein solches Ziel im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs als im „Allgemeininteresse“ liegend angesehen werden und damit die von der flämischen Regierung erlassenen einschränkenden Maßnahmen rechtfertigen könnte, und zweitens, ob diese Maßnahmen für die Erreichung eines solchen Ziels erforderlich und gemessen daran verhältnismäßig sind.

25      Der Verfassungsgerichtshof hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV und die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass sie der durch Buch 5 des flämischen Dekrets eingeführten Regelung entgegenstehen, durch die die Übertragung von Grundstücken und darauf errichteten Bauten in bestimmten, sogenannten Zielgemeinden davon abhängig gemacht wird, dass der Käufer oder Mieter eine ausreichende Bindung zu der betreffenden Gemeinde im Sinne von Art. 5.2.1 § 2 des Dekrets nachweist?

 Rechtssache C‑203/11

26      Im Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens dieser Sache geht es um eine Klage auf Nichtigerklärung mehrerer Bestimmungen des flämischen Dekrets, die die All Projects & Developments NV und 35 weitere Gesellschaften belgischen Rechts, die eine gewerbliche Tätigkeit im Immobiliensektor in der Flämischen Region ausüben, beim Verfassungsgerichtshof erhoben.

27      Diese Gesellschaften machen zum einen geltend, die für sie nach Buch 4 des flämischen Dekrets geltende soziale Auflage verstoße gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen die Niederlassungsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit, den freien Kapitalverkehr und die Richtlinien 2006/123 und 2004/18, und die im selben Buch 4 vorgesehenen Steueranreize und Subventionsmechanismen, die ihnen im Gegenzug für die soziale Auflage zugutekämen, könnten rechtswidrige staatliche Beihilfen darstellen, die Gegenstand eines Rückforderungsbeschlusses sein könnten, da sie bei der Europäischen Kommission nicht angemeldet worden seien.

28      Zum anderen bringen die genannten Gesellschaften vor, die in Buch 5 des flämischen Dekrets vorgesehene „besondere Bedingung“ für die Übertragung von Immobilien behindere in Anbetracht dessen, dass die Zahl der potenziellen Käufer für die von ihnen in den Zielgemeinden hergestellten Parzellen und Wohnungen aufgrund der Anwendung dieser Bedingung zurückgehe, die Ausübung der vom Unionsrecht anerkannten Rechte und der vom AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten.

29      Vor diesem Hintergrund hat der Verfassungsgerichtshof, da er Zweifel an der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts hat, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind die Art. 107 AEUV und 108 AEUV, an sich oder in Verbindung mit der DAWI-Entscheidung, so auszulegen, dass sie es erfordern, dass die in den Art. 3.1.3, 3.1.10, 4.1.20 § 3 Abs. 2, 4.1.21 und 4.1.23 des flämischen Dekrets enthaltenen Maßnahmen vor der Annahme oder dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen bei der Europäischen Kommission gemeldet werden müssen?

2.      Ist eine Regelung, die privaten Akteuren, deren Parzellierung oder Bauprojekt eine bestimmte Mindestgröße aufweist, von Rechts wegen eine soziale Auflage in Höhe eines Prozentsatzes von mindestens 10 % und höchstens 20 % dieser Parzellierung oder dieses Bauprojekts aufgibt, die in natura oder durch Zahlung einer Geldsumme von 50 000 Euro pro nicht verwirklichte Sozialparzelle oder Sozialwohnung erfüllt werden kann, anhand der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder des freien Kapitalverkehrs zu prüfen, oder ist sie als eine komplexe Regelung einzustufen, die anhand jeder dieser Freiheiten zu prüfen ist?

3.      Ist die Richtlinie 2006/123 unter Berücksichtigung ihres Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und j anwendbar auf einen Pflichtbeitrag von privaten Akteuren zur Errichtung von Sozialwohnungen und ‑appartements, die als soziale Auflage in Verbindung mit jeder Bau- oder Parzellierungsgenehmigung für ein Projekt, das einen gesetzlich festgelegten Mindestumfang aufweist, von Rechts wegen aufgegeben wird, wobei die errichteten Sozialwohnungen mit einer vorher festgelegten Preisdeckelung durch Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau gekauft werden, um an eine breite Kategorie von Privatpersonen vermietet zu werden, oder im Wege der Substitution durch die Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau an Privatpersonen verkauft werden, die derselben Kategorie angehören?

4.      Ist, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der Begriff „zu prüfende Anforderung“ in Art. 15 der Richtlinie 2006/123 so auszulegen, dass er die Verpflichtung für private Akteure erfasst, zusätzlich zu oder als Teil ihrer üblichen Tätigkeit zum sozialen Wohnungsbau beizutragen und die errichteten Wohnungen mit einer Preisdeckelung an oder im Wege der Substitution durch halböffentliche Behörden zu übertragen, obwohl diese privaten Akteure kein weiteres Initiativrecht auf dem Markt der Sozialwohnungen besitzen?

5.      Hat, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der nationale Richter mit

a)      der Feststellung, dass eine neue gemäß Art. 15 der Richtlinie 2006/123 zu prüfende Anforderung nicht auf spezifische Weise gemäß Art. 15 Abs. 6 dieser Richtlinie geprüft worden wäre, und

b)      der Feststellung, dass diese neue Anforderung nicht gemäß Art. 15 Abs. 7 dieser Richtlinie mitgeteilt worden wäre,

eine Sanktion – und bejahendenfalls welche – zu verbinden?

6.      Ist, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der Begriff „unzulässige Anforderung“ in Art. 14 der Richtlinie 2006/123 so auszulegen, dass er in den in diesem Artikel beschriebenen Fällen einer nationalen Regelung nicht nur dann entgegensteht, wenn diese die Aufnahme oder Ausübung der Dienstleistungstätigkeit von einer Anforderung abhängig macht, sondern auch dann, wenn diese Regelung lediglich vorsieht, dass die Nichterfüllung dieser Anforderung zur Folge hat, dass der finanzielle Ausgleich für die Erbringung einer gesetzlich vorgeschriebenen Dienstleistung verfällt und dass die geleistete finanzielle Sicherheit für die Ausübung dieser Dienstleistung nicht zurückgegeben wird?

7.      Ist, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der Begriff „konkurrierende Marktteilnehmer“ in Art. 14 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 so auszulegen, dass er auch auf eine öffentliche Einrichtung anwendbar ist, deren Aufgaben sich teilweise mit denjenigen von Dienstleistungserbringern überschneiden können, wenn sie die in Art. 14 Nr. 6 derselben Richtlinie erwähnten Entscheidungen trifft und gleichzeitig verpflichtet ist, in der letzten Phase in einem Stufensystem die Sozialwohnungen zu kaufen, die von einem Dienstleistungserbringer zur Erfüllung der ihm obliegenden sozialen Auflage errichtet wurden?

8.      a)      Ist, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der Begriff „Genehmigungsregelung“ in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 so auszulegen, dass er auf durch eine öffentliche Einrichtung nach Erteilung der ursprünglichen Bau- oder Parzellierungsgenehmigung erteilte Bescheinigungen anwendbar ist, die notwendig sind, um Anspruch auf einige der Ausgleichszahlungen für die Erfüllung einer sozialen Auflage zu haben, die von Rechts wegen mit dieser ursprünglichen Genehmigung verbunden war, und die gleichzeitig notwendig sind, um Anspruch auf die Rückgabe der durch den Dienstleistungserbringer verpflichtend zu leistenden finanziellen Sicherheit zugunsten dieser öffentlichen Einrichtung zu erheben?

b)      Ist, wenn die dritte Vorlagefrage bejaht wird, der Begriff „Genehmigungsregelung“ in Art. 4 Nr. 6 der Richtlinie 2006/123 so auszulegen, dass er auf einen Vertrag anwendbar ist, den ein privater Akteur aufgrund einer Gesetzesnorm mit einer öffentlichen Einrichtung im Rahmen der Substitution durch diese Einrichtung für den Verkauf einer Sozialwohnung schließen muss, die von ihm errichtet wurde, um eine von Rechts wegen mit einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung verbundene soziale Auflage in natura zu erfüllen, wenn man berücksichtigt, dass der Abschluss dieses Vertrags eine Voraussetzung für die Vollziehbarkeit der Genehmigung darstellt?

9.      Sind die Art. 49 AEUV und 56 AEUV so auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die zur Folge hat, dass mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung bezüglich eines Projekts von einem bestimmten Mindestumfang von Rechts wegen eine soziale Auflage verbunden wird, die darin besteht, in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Projekts Sozialwohnungen zu verwirklichen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an oder im Wege der Substitution durch eine öffentliche Einrichtung verkauft werden müssen?

10.      Ist Art. 63 AEUV so auszulegen, dass er einer Regelung entgegensteht, die zur Folge hat, dass mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung bezüglich eines Projekts von einem bestimmten Mindestumfang von Rechts wegen eine soziale Auflage verbunden wird, die darin besteht, in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Projekts Sozialwohnungen zu verwirklichen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an oder im Wege der Substitution durch eine öffentliche Einrichtung verkauft werden müssen?

11.      Ist der Begriff „öffentlicher Bauauftrag“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 so auszulegen, dass er auf eine Regelung Anwendung findet, die zur Folge hat, dass mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung bezüglich eines Projekts von einem bestimmten Mindestumfang von Rechts wegen eine soziale Auflage verbunden wird, die darin besteht, in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des Projekts Sozialwohnungen zu verwirklichen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an oder im Wege der Substitution durch eine öffentliche Einrichtung verkauft werden müssen?

12.      Sind die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV und die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass sie der durch Buch 5 des flämischen Dekrets eingeführten Regelung entgegenstehen, durch die die Übertragung von Grundstücken und darauf errichteten Bauten in bestimmten, sogenannten Zielgemeinden davon abhängig gemacht wird, dass der Käufer oder Mieter eine ausreichende Bindung zu der betreffenden Gemeinde im Sinne von Art. 5.2.1 § 2 des Dekrets nachweist?

30      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 7. Juni 2011 sind die Rechtssachen C‑197/11 und C‑203/11 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Frage in der Rechtssache C‑197/11 und zur zwölften Frage in der Rechtssache C‑203/11

31      Mit diesen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV sowie die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 einer Regelung wie der in Buch 5 des flämischen Dekrets vorgesehenen entgegenstehen, die die Übertragung von Liegenschaften in den Zielgemeinden der Überprüfung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Erwerbers oder Mieters zu diesen Gemeinden durch eine provinziale Bewertungskommission unterwirft.

 Vorbemerkungen

32      Die flämische Regierung macht geltend, dass diese Fragen nicht zu beantworten seien, weil sie nur einen rein innerstaatlichen Sachverhalt beträfen, der keinen Bezug zum Unionsrecht aufweise. Die Rechtsstreitigkeiten der Ausgangsverfahren, die entweder belgische Staatsbürger mit Wohnsitz in Belgien oder im belgischen Staatsgebiet niedergelassene Unternehmen beträfen, wiesen nämlich nicht über die Grenzen ein und desselben Mitgliedstaats hinaus, so dass die angeführten Bestimmungen des Unionsrechts keine Anwendung fänden.

33      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zu ihrer Durchführung erlassenen Maßnahmen nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Randnr. 33, sowie vom 5. Mai 2011, McCarthy, C‑434/09, Slg. 2011, I‑3375, Randnr. 45).

34      Es steht zwar fest, dass die Kläger der Ausgangsverfahren belgische Staatsangehörige sind und dass sämtliche Elemente der Ausgangsrechtsstreitigkeiten innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats liegen. Allerdings ist keineswegs auszuschließen, dass in anderen Mitgliedstaaten als im Königreich Belgien ansässige Privatpersonen oder Unternehmen etwa die Absicht haben, Liegenschaften in den Zielgemeinden zu erwerben oder zu mieten, und die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des flämischen Dekrets sie somit berühren würden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Garkalns, C‑470/11, Randnr. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Außerdem hat das vorlegende Gericht, wie der Generalanwalt in Nr. 23 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, den Gerichtshof gerade im Rahmen eines Verfahrens zur Nichtigerklärung dieser Bestimmungen angerufen, die nicht nur für belgische Staatsbürger, sondern auch für die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Geltung haben. Die Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Anschluss an das vorliegende Urteil treffen wird, wird folglich Wirkungen auch in Bezug auf die letztgenannten Staatsbürger entfalten.

36      Unter diesen Umständen hat sich der Gerichtshof zu den beiden genannten Fragen zu äußern.

 Zum Vorliegen einer Beschränkung der vom AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten

37      In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob und inwieweit die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV und die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 Rechtsvorschriften wie den in den Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehen.

38      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 21 AEUV und in ihrem jeweiligen Bereich die Art. 45 AEUV und 49 AEUV sowie die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 nationale Maßnahmen verbieten, die die Angehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, diesen Staat zu verlassen, um ihr Recht auf Freizügigkeit in der Union wahrzunehmen. Solche Maßnahmen stellen, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Staatsbürger Anwendung finden, Beschränkungen der Grundfreiheiten dar, die mit diesen Artikeln gewährleistet werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Januar 2008, Kommission/Deutschland, C‑152/05, Slg. 2008, I‑39, Randnrn. 21 und 22, vom 1. Dezember 2011, Kommission/Ungarn, C‑253/09, Slg. 2011, I-12391, Randnrn. 46, 47 und 86, und vom 21. Februar 2013, N., C‑46/12, Randnr. 28).

39      Hier hindern, wie vom Verfassungsgerichtshof in seinen Vorlageentscheidungen festgestellt, die Bestimmungen von Buch 5 des flämischen Dekrets Personen ohne „ausreichende Bindung“ zu einer Zielgemeinde im Sinne von Art. 5.2.1 § 2 dieses Dekrets daran, Grundstücke oder darauf errichtete Bauten zu erwerben, für mehr als neun Jahre zu mieten oder ein Erbpacht- oder Erbbaurecht daran zu vereinbaren.

40      Außerdem halten diese Bestimmungen die Staatsbürger der Union, die in den Zielgemeinden eine Immobilie besitzen oder mieten, davon ab, diese Gemeinden zu verlassen, um sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufzuhalten oder dort einer Berufstätigkeit nachzugehen. Nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer außerhalb der Zielgemeinden hätten diese Staatsbürger nämlich nicht mehr unbedingt eine „ausreichende Bindung“ zu der betroffenen Gemeinde, die nach dem genannten Art. 5.2.1 § 2 erforderlich ist, um die in der vorstehenden Randnummer erwähnten Rechte auszuüben.

41      Daraus folgt, dass die Bestimmungen von Buch 5 des flämischen Dekrets sicher Beschränkungen der in den Art. 21 AEUV, 45 AEUV und 49 AEUV sowie 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 verankerten Grundfreiheiten darstellen.

42      Was sodann den in Art. 56 AEUV verankerten freien Dienstleistungsverkehr anbelangt, könnten die in Rede stehenden Bestimmungen des flämischen Dekrets auch die Ausübung der Tätigkeiten der im Immobiliensektor aktiven Unternehmen beschränken, was sowohl für die Unternehmen gilt, die im belgischen Staatsgebiet niedergelassen sind und ihre Dienstleistungen u. a. Gebietsfremden anbieten, als auch für die Unternehmen, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.

43      In Anwendung dieser Bestimmungen können nämlich die Liegenschaften in einer Zielgemeinde nicht an jeden Staatsbürger der Union verkauft oder vermietet werden, sondern nur an diejenigen, die nachweisen können, dass sie eine „ausreichende Bindung“ zu der betreffenden Gemeinde haben, was offenkundig die Dienstleistungsfreiheit der fraglichen Immobilienunternehmen beschränkt.

44      In Bezug auf den freien Kapitalverkehr ist schließlich darauf hinzuweisen, dass die Maßnahmen, die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, solche umfassen, die geeignet sind, die Einwohner eines Mitgliedstaats von Investitionen in Immobilien in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten (vgl. Urteil vom 1. Oktober 2009, Woningstichting Sint Servatius, C‑567/07, Slg. 2009, I‑9021, Randnr. 21).

45      Dies ist insbesondere bei nationalen Maßnahmen der Fall, die Investitionen in Immobilien einem Verfahren der vorherigen Genehmigung unterwerfen und somit bereits durch ihren Gegenstand den freien Kapitalverkehr beschränken (vgl. Urteil Woningstichting Sint Servatius, Randnr. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      In den Ausgangsverfahren steht aber fest, dass Buch 5 des flämischen Dekrets ein solches Verfahren der vorherigen Genehmigung vorsieht, mit dem überprüft werden soll, ob eine „ausreichende Bindung“ des potenziellen Erwerbers oder Mieters einer Liegenschaft zu der betreffenden Zielgemeinde besteht.

47      Somit gebietet sich die Schlussfolgerung, dass die Obliegenheit, sich einem solchen Verfahren zu unterwerfen, Gebietsfremde davon abhalten kann, in einer der Zielgemeinden der Flämischen Region in Immobilien zu investieren, und dass eine solche Obliegenheit daher eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne des Art. 63 AEUV darstellt.

48      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Bestimmungen von Buch 5 des flämischen Dekrets offenkundig Beschränkungen der Grundfreiheiten darstellen, die mit den Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV sowie 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 gewährleistet werden.

 Zur Rechtfertigung der mit dem flämischen Dekret eingeführten Maßnahmen

49      Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs können nationale Maßnahmen, die geeignet sind, die Ausübung der durch den AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, allerdings zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile Woningstichting Sint Servatius, Randnr. 25, und Kommission/Ungarn, Randnr. 69).

50      Die flämische Regierung macht insoweit geltend, die Voraussetzung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Käufers oder Mieters zu der betreffenden Gemeinde sei insbesondere durch das Ziel gerechtfertigt, den Immobilienbedarf der am wenigsten begüterten einheimischen Bevölkerung zu befriedigen, insbesondere denjenigen sozial schwacher Personen und junger Haushalte sowie alleinstehender Personen, die nicht in der Lage seien, ausreichendes Kapital für den Kauf oder die Miete einer Liegenschaft in den Zielgemeinden aufzubauen. Dieser Teil der örtlichen Bevölkerung sei nämlich wegen der Ankunft von aus anderen Gemeinden zuziehenden Personengruppen mit größerem finanziellen Wohlstand, die den hohen Preis der Grundstücke und Bauten in den Zielgemeinden stemmen könnten, vom Immobilienmarkt ausgeschlossen.

51      Mit der durch Buch 5 des flämischen Dekrets eingeführten Regelung solle daher in raumplanerischer Absicht ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sichergestellt werden.

52      Solche Erfordernisse im Zusammenhang mit der Sozialwohnungspolitik eines Mitgliedstaats können zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen und damit Beschränkungen wie die mit dem flämischen Dekret eingeführten rechtfertigen (vgl. Urteile Woningstichting Sint Servatius, Randnrn. 29 und 30, sowie vom 24. März 2011, Kommission/Spanien, C‑400/08, Slg. 2011, I‑1915, Randnr. 74).

53      Zu prüfen bleibt jedoch, ob die Voraussetzung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ zu der betreffenden Zielgemeinde eine Maßnahme darstellt, die für die Erreichung des von der flämischen Regierung angeführten Ziels, wie es vorstehend in den Randnrn. 50 und 51 dargestellt worden ist, erforderlich und angemessen ist.

54      Dazu ist festzustellen, dass Art. 5.2.1 § 2 des flämischen Dekrets drei alternative Bedingungen vorsieht, deren Erfüllung von der provinzialen Bewertungskommission für die Feststellung, dass die Voraussetzung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Käufers oder Mieters zu der betreffenden Zielgemeinde vorliegt, systematisch zu überprüfen ist. Die erste Bedingung besteht darin, dass die Person, der die Liegenschaft übertragen werden soll, vor der beabsichtigten Übertragung mindestens sechs Jahre lang ununterbrochen in der Zielgemeinde oder in einer angrenzenden Gemeinde wohnhaft gewesen sein muss. Nach der zweiten Bedingung muss dieser Käufer oder Mieter zum Zeitpunkt der Übertragung Tätigkeiten in der betreffenden Gemeinde verrichten, die durchschnittlich mindestens eine halbe Arbeitswoche in Anspruch nehmen. Die dritte Bedingung verlangt, dass der Käufer oder Mieter aufgrund eines wichtigen und dauerhaften Umstands eine gesellschaftliche, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindung zu dieser Gemeinde aufgebaut hat.

55      Wie aber der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, steht keine dieser Bedingungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den sozioökonomischen Aspekten, die dem von der flämischen Regierung geltend gemachten Ziel entsprechen, ausschließlich die am wenigsten begüterte einheimische Bevölkerung auf dem Immobilienmarkt zu schützen. Solche Bedingungen können nämlich nicht nur von dieser am wenigsten begüterten Bevölkerung erfüllt werden, sondern auch von anderen Personen, die über ausreichende Mittel verfügen und folglich keinen besonderen Bedarf an sozialem Schutz auf dem Immobilienmarkt haben. Daher gehen die betreffenden Maßnahmen über das hinaus, was zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.

56      Außerdem wären andere, weniger einschränkende Maßnahmen als die mit dem flämischen Dekret erlassenen geeignet, dem damit verfolgten Ziel zu entsprechen, ohne zwangsläufig zu einem faktischen Verbot des Erwerbs oder der Miete für jeden potenziellen Käufer oder Mieter, der die genannten Bedingungen nicht erfüllt, zu führen. Vorstellbar wären z. B. Kaufprämien oder sonstige speziell zugunsten der am wenigsten begüterten Personen konzipierte Arten von Beihilfen, um insbesondere denjenigen, die ein schwaches Einkommen nachweisen können, den Kauf oder die Miete von Liegenschaften in den Zielgemeinden zu ermöglichen.

57      Schließlich ist konkret zur dritten oben, in Randnr. 54 genannten Bedingung, nach der aufgrund eines wichtigen und dauerhaften Umstands eine gesellschaftliche, familiäre, soziale oder wirtschaftliche Bindung des potenziellen Käufers oder Mieters zu der betreffenden Gemeinde geknüpft worden sein muss, darauf hinzuweisen, dass ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen kann, die geeignet ist, den Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere denjenigen, die eine Grundfreiheit betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Soll ein derartiges System trotz des Eingriffs in eine solche Grundfreiheit gerechtfertigt sein, muss es daher auf objektiven, nicht diskriminierenden im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden hinreichende Grenzen gesetzt werden (vgl. u. a. Urteil Woningstichting Sint Servatius, Randnr. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      In Anbetracht des vagen Charakters dieser Bedingung und des Fehlens einer Beschreibung der Situationen, in denen sie im konkreten Fall als erfüllt anzusehen wäre, genügen aber die Bestimmungen von Art. 5.2.1 des flämischen Dekrets diesen Anforderungen nicht.

59      Folglich beruht ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung wie das in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten in Rede stehende nicht auf Bedingungen, die geeignet sind, der Ermessensausübung durch die provinziale Bewertungskommission hinreichende Grenzen zu setzen, und kann daher einen Eingriff in eine vom Unionsrecht verbürgte Grundfreiheit nicht rechtfertigen.

60      Nach alledem ist auf die Frage in der Rechtssache C‑197/11 und auf die zwölfte Frage in der Rechtssache C‑203/11 zu antworten, dass die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV sowie die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 einer Regelung wie der in Buch 5 des flämischen Dekrets vorgesehenen entgegenstehen, die die Übertragung von Liegenschaften in den Zielgemeinden der Überprüfung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Erwerbers oder Mieters zu diesen Gemeinden durch eine provinziale Bewertungskommission unterwirft.

 Zur zweiten, zur neunten und zur zehnten Frage in der Rechtssache C‑203/11

61      Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV einer Regelung wie der in Buch 4 des flämischen Dekrets erlassenen entgegenstehen, nach der bestimmten Wirtschaftsteilnehmern mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung eine „soziale Auflage“ erteilt wird.

62      Zur Beantwortung dieser Fragen ist vorab festzustellen, dass, auch wenn diese Regelung von den drei Grundfreiheiten erfasst werden kann, die das vorlegende Gericht angesprochen hat, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, wie der Generalanwalt in Nr. 68 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, im Ausgangsverfahren doch eine unvermeidbare Folge der Beschränkung des freien Kapitalverkehrs sind und daher keine eigenständige Prüfung besagter Regelung im Hinblick auf die Art. 49 AEUV und 56 AEUV rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome, C‑182/08, Slg. 2009, I‑8591, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Die in Buch 4 des flämischen Dekrets vorgesehene Regelung ist daher ausschließlich in Ansehung des freien Kapitalverkehrs zu prüfen.

64      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gehören zu den Maßnahmen, die durch Art. 63 Abs. 1 AEUV verboten sind, solche, die geeignet sind, die Einwohner eines Mitgliedstaats von Investitionen in Immobilien in anderen Mitgliedstaaten abzuhalten. Dies ist insbesondere bei nationalen Maßnahmen der Fall, die Investitionen in Immobilien einem Verfahren der vorherigen Genehmigung unterwerfen und somit bereits durch ihren Gegenstand den freien Kapitalverkehr beschränken (vgl. Urteil Woningstichting Sint Servatius, Randnrn. 21 und 22).

65      Im Ausgangsverfahren steht fest, dass sich bestimmte Bauherren oder Parzellierer, um eine Bau- oder Parzellierungsgenehmigung zu erhalten, gemäß Buch 4 des flämischen Dekrets einem Verfahren unterwerfen müssen, in dessen Rahmen ihnen die Erfüllung einer sozialen Auflage obliegt, die darin besteht, einen Teil ihres Projekts auf die Errichtung von Sozialwohnungen zu verwenden oder der Gemeinde, in der das Projekt verwirklicht wird, einen finanziellen Beitrag zu zahlen.

66      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass in Anbetracht dessen, dass die fraglichen Investoren, wie vom Verfassungsgerichtshof in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt, die Grundstücke nicht frei für die Zwecke nutzen können, für die sie sie zu erwerben beabsichtigen, die mit Buch 4 des flämischen Dekrets eingeführte Regelung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

67      Allerdings kann nach der oben, in Randnr. 52 angeführten Rechtsprechung die Verpflichtung dieser Wirtschaftsteilnehmer zur Erfüllung der mit dem genannten Dekret vorgesehenen sozialen Auflage, da sie ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sicherstellen soll, durch Erfordernisse im Zusammenhang mit der Sozialwohnungspolitik eines Mitgliedstaats als zwingender Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.

68      Dem vorlegenden Gericht kommt jedoch zu, in Ansehung der Umstände des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob eine solche Verpflichtung dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit genügt, d. h., ob sie für die Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich und angemessen ist.

69      Nach alledem ist auf die zweite, die neunte und die zehnte Frage in der Rechtssache C‑203/11 zu antworten, dass Art. 63 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Regelung wie der in Buch 4 des flämischen Dekrets erlassenen, nach der bestimmten Wirtschaftsteilnehmern mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung eine „soziale Auflage“ erteilt wird, nicht entgegensteht, sofern das vorlegende Gericht die Feststellung trifft, dass diese Regelung für die Erreichung des Ziels, ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sicherzustellen, erforderlich und angemessen ist.

 Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑203/11

70      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in dem flämischen Dekret vorgesehenen Steueranreize und Subventionsmechanismen in Anbetracht der Art. 107 AEUV und 108 AEUV in Verbindung mit der DAWI-Entscheidung als staatliche Beihilfen einzustufen sind, die bei der Kommission angemeldet werden müssen.

71      Manche dieser Maßnahmen sollen gerade die soziale Auflage für die Bauherren und Parzellierer ausgleichen und bestehen erstens in der Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes beim Verkauf von Wohnungen und eines ermäßigten Satzes der Registrierungsgebühren beim Kauf eines Baugrundstücks (Art. 4.1.20 § 3 Abs. 2 des flämischen Dekrets), zweitens in einer Übernahmegarantie für die errichteten Wohnungen (Art. 4.1.21 dieses Dekrets) und drittens in Infrastrukturzuschüssen (Art. 4.1.23 des Dekrets).

72      Andere Maßnahmen bezwecken die „Reaktivierung“ von Grundstücken und Gebäuden und bestehen in einer im Zusammenhang mit dem Abschluss von Renovierungsvereinbarungen gewährten Steuerermäßigung für natürliche Personen (Art. 3.1.3 ff. des genannten Dekrets) und in einer pauschalen Herabsetzung der Erhebungsgrundlage für Registrierungsgebühren (Art. 3.1.10 des Dekrets). Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner Vorlageentscheidung erläutert hat, sind zwar die durch diese Maßnahmen Begünstigten natürliche Personen, doch ändert das nichts daran, dass die Maßnahmen mittelbar den im Sektor der Immobilienrenovierung tätigen Unternehmen einen Vorteil verschaffen.

73      Zur Beantwortung der ersten Frage in der Rechtssache C‑203/11 sind dem vorlegenden Gericht die Auslegungshinweise zu geben, die ihm die Feststellung ermöglichen, ob die in den beiden vorstehenden Randnummern beschriebenen Maßnahmen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden können (Urteil vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo, C‑140/09, Slg. 2010, I‑5243, Randnrn. 23 und 24).

74      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt die Einstufung als staatliche Beihilfe, dass die in der genannten Bestimmung aufgestellten Voraussetzungen sämtlich erfüllt sind. So muss es sich erstens um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss diese Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (Urteile Fallimento Traghetti del Mediterraneo, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 29. März 2012, 3M Italia, C‑417/10, Randnr. 37).

75      Im Ausgangsverfahren hält das vorlegende Gericht zwar die erste und die vierte der in der vorstehenden Randnummer angeführten Voraussetzungen durch die mit dem flämischen Dekret erlassenen Maßnahmen für erfüllt, es hat jedoch Zweifel in Bezug auf die zweite Voraussetzung betreffend die Auswirkung dieser Maßnahmen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und hinsichtlich der dritten Voraussetzung betreffend die Selektivität der Maßnahmen.

76      Was die zweite Voraussetzung betrifft, so bedarf es für die Qualifizierung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe nicht des Nachweises einer tatsächlichen Auswirkung der fraglichen Beihilfe auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten und einer tatsächlichen Wettbewerbsverzerrung, sondern nur der Prüfung, ob die Beihilfe geeignet ist, diesen Handel zu beeinträchtigen und den Wettbewerb zu verfälschen (Urteile vom 15. Dezember 2005, Unicredito Italiano, C‑148/04, Slg. 2005, I‑11137, Randnr. 54, und vom 10. Januar 2006, Cassa di Risparmio di Firenze u. a., C‑222/04, Slg. 2006, I‑289, Randnr. 140).

77      Der innergemeinschaftliche Handel wird insbesondere dann durch eine von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe beeinflusst, wenn sie die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen, konkurrierenden Unternehmen in diesem Handel stärkt (vgl. u. a. Urteile Unicredito Italiano, Randnr. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Cassa di Risparmio di Firenze u. a., Randnr. 141).

78      Insoweit braucht das begünstigte Unternehmen nicht selbst am innergemeinschaftlichen Handel teilzunehmen. Wenn nämlich ein Mitgliedstaat einem Unternehmen eine Beihilfe gewährt, kann die inländische Tätigkeit dadurch beibehalten oder verstärkt werden, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen, in den Markt dieses Mitgliedstaats einzudringen, verringern. Zudem kann die Stärkung eines Unternehmens, das bis dahin nicht am innergemeinschaftlichen Handel teilgenommen hat, dieses in die Lage versetzen, in den Markt eines anderen Mitgliedstaats einzudringen (Urteile Unicredito Italiano, Randnr. 58, und Cassa di Risparmio di Firenze u. a., Randnr. 143).

79      In der Rechtssache C‑203/11 lässt sich nicht ausschließen, dass die mit dem flämischen Dekret erlassenen Maßnahmen die Stellung der begünstigten Unternehmen gegenüber anderen, konkurrierenden Unternehmen, die sich am innergemeinschaftlichen Handel beteiligen, stärken. Außerdem könnte der Wettbewerbsvorteil, der durch die den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern gewährten Subventionen verliehen wird, es seiner Art nach Wirtschaftsteilnehmern, die in anderen Mitgliedstaaten als dem Königreich Belgien ansässig sind, erschweren, in den belgischen Markt einzudringen, oder gar den fraglichen belgischen Wirtschaftsteilnehmer erleichtern, sich andere Märkte zu erschließen.

80      Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass eine nationale Maßnahme, mit der die staatlichen Stellen bestimmten Unternehmen eine Steuerbefreiung gewähren, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, aber die Begünstigten finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist (vgl. Urteil vom 15. Juni 2006, Air Liquide Industries Belgium, C‑393/04 und C‑41/05, Slg. 2006, I‑5293, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

81      Nach dem achten Erwägungsgrund und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1998/2006 der Kommission vom 15. Dezember 2006 über die Anwendung der Artikel 87 [EG] und 88 [EG] auf „De-minimis“-Beihilfen (ABl. L 379, S. 5) wird jedoch davon ausgegangen, dass Beihilfen, die einen Gesamtbetrag von 200 000 Euro innerhalb von drei Jahren nicht übersteigen, den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und den Wettbewerb nicht verfälschen oder zu verfälschen drohen. Solche Maßnahmen sind vom Begriff der staatlichen Beihilfen ausgenommen und unterliegen somit nicht der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV.

82      Im Ausgangsrechtsstreit wird es Sache des vorlegenden Gerichts sein, im Licht der vorstehenden Auslegungshinweise und auf der Grundlage aller maßgeblichen Umstände des Falles die tatsächliche Würdigung vorzunehmen, ob der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch die mit dem flämischen Dekret erlassenen Maßnahmen beeinträchtigt werden kann und ob die Verordnung Nr. 1998/2006 im vorliegenden Fall Anwendung findet.

83      Was die dritte oben, in Randnr. 74 angeführte Voraussetzung angeht, die die Vorteilhaftigkeit der genannten Maßnahmen betrifft, so gelten als Beihilfen Maßnahmen gleich welcher Art, die unmittelbar oder mittelbar Unternehmen begünstigen oder als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (vgl. u. a. Urteil vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, C‑451/03, Slg. 2006, I‑2941, Randnr. 59).

84      Dagegen wird eine staatliche Maßnahme nicht von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfasst, soweit sie als Ausgleich anzusehen ist, der die Gegenleistung für Leistungen bildet, die von den Unternehmen, denen sie zugutekommt, zur Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen erbracht werden, so dass diese Unternehmen in Wirklichkeit keinen finanziellen Vorteil erhalten und die genannte Maßnahme somit nicht bewirkt, dass sie gegenüber den mit ihnen im Wettbewerb stehenden Unternehmen in eine günstigere Wettbewerbsstellung gelangen (Urteil vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, C‑280/00, Slg. 2003, I‑7747, Randnr. 87).

85      Ein derartiger Ausgleich ist im konkreten Fall jedoch nur dann nicht als staatliche Beihilfe zu qualifizieren, wenn eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 88).

86      Wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge der Prüfung dieser Voraussetzungen vorausgeschickt hat, ist die Klarstellung angebracht, dass die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung nur auf die mit Buch 4 des flämischen Dekrets erlassenen und oben in Randnr. 71 genannten Maßnahmen angewandt werden kann, die allein die soziale Auflage für die Parzellierer und Bauherren ausgleichen sollen.

87      Was die Voraussetzungen angeht, die erfüllt sein müssen, damit die besagten Maßnahmen nicht als staatliche Beihilfe einzustufen sind, müssen erstens die durch diesen Ausgleich begünstigten Unternehmen tatsächlich mit der Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen betraut sein, und diese Verpflichtungen müssen klar definiert sein (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 89).

88      Insoweit kann unter Berücksichtigung insbesondere des weiten Ermessens der Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen werden, dass Dienstleistungen des sozialen Wohnungsbaus als „Gemeinwohldienstleistungen“ eingestuft werden können. Dabei hat der vom vorlegenden Gericht angesprochene Umstand, dass die soziale Auflage nicht unmittelbar den Einzelnen, die Sozialwohnungen beantragen, sondern den Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau zugutekommt, keinerlei Einfluss auf die Qualifizierung der fraglichen Dienstleistung.

89      Zweitens sind die Parameter, anhand deren der Ausgleich berechnet wird, zuvor objektiv und transparent aufzustellen, um zu verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der das Unternehmen, dem er gewährt wird, gegenüber konkurrierenden Unternehmen begünstigt (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 90).

90      In diesem Zusammenhang erweist sich, wie vom Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge festgestellt, dass zwar anhand der Bestimmungen des flämischen Dekrets erkennbar ist, wer durch die mit dem Dekret erlassenen Maßnahmen begünstigt wird, sie aber nicht hinreichend objektiv und transparent die Feststellung ermöglichen, auf der Grundlage welcher Parameter der Ausgleich berechnet wird.

91      Drittens darf der gewährte Ausgleich nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der Gemeinwohlverpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 92).

92      Viertens ist dieser Ausgleich auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen, das so angemessen mit den notwendigen Mitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten Gemeinwohlanforderungen genügen kann, bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind (Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, Randnr. 93).

93      Die Prüfung dieser letzten beiden Voraussetzungen erfordert eine Würdigung der tatsächlichen Gegebenheiten des Ausgangsrechtsstreits.

94      Der Gerichtshof ist aber, angenommen, ihm stünden die für diese Würdigung nötigen Anhaltspunkte zur Verfügung, was in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall ist, nicht befugt, den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu würdigen oder die von ihm ausgelegten Vorschriften des Unionsrechts auf nationale Maßnahmen oder Gegebenheiten anzuwenden, da dafür ausschließlich das vorlegende Gericht zuständig ist (vgl. Urteil Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti, Randnr. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95      Somit ist es Sache des Verfassungsgerichtshofs, im Licht der vorstehenden Auslegungshinweise zu beurteilen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahmen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV einzustufen sind.

96      Für den Fall, dass das vorlegende Gericht dies für die Maßnahmen zum Ausgleich der von den Bauherren und Parzellierern zu erfüllenden sozialen Auflage bejahen sollte, möchte es vom Gerichtshof noch wissen, ob diese Maßnahmen nach der DAWI-Entscheidung von der Anmeldepflicht des Art. 108 Abs. 3 AEUV befreit sein könnten.

97      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die DAWI-Entscheidung nach ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. b u. a. für staatliche Beihilfen gilt, die in Form von Ausgleichszahlungen an im sozialen Wohnungsbau tätige Unternehmen, die Tätigkeiten ausführen, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft wurden, gewährt werden.

98      Wie im siebten Erwägungsgrund dieser Entscheidung ausgeführt wird, verfügen die Mitgliedstaaten in der Frage, welche Arten von Leistungen als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse anzusehen sind, über einen großen Ermessensspielraum.

99      Art. 3 der DAWI-Entscheidung stellt klar, dass staatliche Beihilfen, die Unternehmen, die mit der Erbringung solcher Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, in Form von Ausgleichszahlungen gewährt werden, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und von der Notifizierungspflicht freigestellt sind, sofern sie die in den Art. 4 bis 6 dieser Entscheidung genannten Voraussetzungen erfüllen.

100    Wie vom Generalanwalt in Nr. 61 seiner Schlussanträge festgestellt, leiten sich diese Voraussetzungen aus den im Urteil Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg aufgestellten, insbesondere den drei ersten, ab, zu deren Erfüllung sich der Gerichtshof, wie bereits oben, in Randnr. 94 ausgeführt, im vorliegenden Urteil nicht zu äußern hat.

101    Um festzustellen, ob die Freistellung von der Pflicht zur Anmeldung bei der Kommission gemäß der DAWI-Entscheidung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens Anwendung findet, kommt es folglich dem vorlegenden Gericht zu, zu überprüfen, ob die genannten Voraussetzungen in Bezug auf die mit Buch 4 des flämischen Dekrets erlassenen und oben, in Randnr. 71 angeführten Maßnahmen erfüllt sind.

102    Daher ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑203/11 zu antworten, dass die in dem flämischen Dekret vorgesehenen Steueranreize und Subventionsmechanismen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden können. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe erfüllt sind, und bejahendenfalls in Bezug auf die in Buch 4 des flämischen Dekrets vorgesehenen Maßnahmen, mit denen die soziale Auflage für die Bauherren und Parzellierer ausgeglichen werden soll, zu überprüfen, ob aber auf solche Maßnahmen die DAWI-Entscheidung Anwendung findet.

 Zu den Fragen 3 bis 8 in der Rechtssache C‑203/11

103    Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2006/123 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Anwendung findet, und ersucht bejahendenfalls um Auslegung mehrerer Bestimmungen dieser Richtlinie.

104    Zur Beantwortung dieser Fragen ist darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie, wie in ihrem neunten Erwägungsgrund ausgeführt, u. a. auf „Anforderungen wie … Vorschriften bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, der Stadtplanung und der Raumordnung, Baunormen“ keine Anwendung findet.

105    Außerdem findet die genannte Richtlinie nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. j keine Anwendung auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sozialwohnungen und der Unterstützung von dauerhaft oder vorübergehend hilfsbedürftigen Personen, die vom Staat oder durch von ihm beauftragte Dienstleistungserbringer erbracht werden.

106    Wie sich aber aus den Randnrn. 50 und 51 dieses Urteils ergibt, betrifft das flämische Dekret Ziele der Raumplanung und des sozialen Wohnungsbaus.

107    Daher ist festzustellen, dass die Richtlinie 2006/123 auf eine Regelung wie das flämische Dekret keine Anwendung findet und dass demzufolge die Fragen 3 bis 8 in der Rechtssache C‑203/11 nicht beantwortet zu werden brauchen.

 Zur elften Frage in der Rechtssache C‑203/11

108    Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Errichtung von Sozialwohnungen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an eine öffentliche Einrichtung des sozialen Wohnungsbaus oder im Wege der Substitution des Dienstleistungserbringers, der die Wohnungen verwirklicht hat, durch diese Einrichtung verkauft werden müssen, unter den Begriff des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 fällt.

109    Zur Beantwortung dieser Frage ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 ein öffentlicher Bauauftrag vorliegt, wenn vier Kriterien erfüllt sind, d. h., es muss ein schriftlicher Vertrag bestehen, der entgeltlich ist, zwischen einem Wirtschaftsteilnehmer und einem öffentlichen Auftraggeber geschlossen wurde und entweder die Ausführung oder gleichzeitig die Planung und die Ausführung von Bauvorhaben im Zusammenhang mit einer der in Anhang I dieser Richtlinie genannten Tätigkeiten oder eines Bauwerks oder die Erbringung einer Bauleistung durch Dritte, gleichgültig mit welchen Mitteln, gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen zum Gegenstand hat.

110    Da der Gerichtshof nicht über alle notwendigen Informationen verfügt, anhand deren er überprüfen könnte, ob diese Kriterien im Ausgangsverfahren erfüllt sind, wird er sich hier folglich darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, die ihm für die Vornahme dieser Beurteilung von Nutzen sein können.

111    Was insbesondere das Bestehen eines schriftlichen Vertrags angeht, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass der Verfassungsgerichtshof Zweifel daran zu haben scheint, ob dieses Kriterium im vorliegenden Fall erfüllt ist, da die soziale Auflage, die in der Verwirklichung von Sozialwohnungen besteht, nicht wirklich zwischen der Verwaltung und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer vereinbart werde. Sie werde den Bauherren und Parzellierern nämlich unmittelbar durch das flämische Dekret auferlegt und finde auf sie aufgrund des bloßen Umstands Anwendung, dass sie Eigentümer von Grundstücken seien, für die sie eine Bau- oder Parzellierungsgenehmigung beantragten.

112    Wie vom Generalanwalt in Nr. 86 seiner Schlussanträge ausgeführt, setzt die Schlussfolgerung, dass zwischen einer Rechtsperson, die als öffentlicher Auftraggeber angesehen werden könnte, und einem Bauherrn oder Parzellierer eine gewisse Vertragsbeziehung besteht, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs voraus, dass zwischen der Verwaltung und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer ein Erschließungsvertrag zur Festlegung der von Letzterem zu realisierenden Bauwerke und der diesbezüglichen Bedingungen geschlossen worden sein muss.

113    Ist ein solcher Vertrag unterzeichnet worden, kann allein der Umstand, dass die Errichtung von Sozialwohnungen unmittelbar durch die innerstaatliche Regelung vorgeschrieben wird und der Vertragspartner der Verwaltung notwendigerweise der Eigentümer der Baugrundstücke ist, der Beziehung zwischen der Verwaltung und dem betroffenen Wirtschaftsteilnehmer nicht ihren vertraglichen Charakter nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2001, Ordine degli Architetti u. a., C‑399/98, Slg. 2001, I‑5409, Randnrn. 69 und 71).

114    Das flämische Dekret verlangt zwar in seinem Art. 4.1.22 Abs. 1 ausdrücklich den Abschluss eines Verwaltungsvertrags zwischen dem Bauherrn oder Parzellierer und der Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau, doch regelt dieser Vertrag, wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, grundsätzlich nicht die Beziehungen zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer. Außerdem scheint der Vertrag nicht die Errichtung der Sozialwohnungen zu betreffen, sondern nur die anschließende Phase ihres Inverkehrbringens.

115    Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller anwendbaren Rechtsvorschriften und aller maßgeblichen Umstände des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob sich die dort in Rede stehende Errichtung von Sozialwohnungen in den Rahmen eines Vertragsverhältnisses zwischen einem öffentlichen Auftraggeber und einem Wirtschaftsteilnehmer einfügt und ob die oben, in Randnr. 109 genannten übrigen Kriterien erfüllt sind.

116    Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass zum einen die Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/18 auf einen öffentlichen Bauauftrag noch von der Bedingung abhängt, dass dessen geschätzter Wert den in Art. 7 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehenen Schwellenwert für deren Anwendung erreicht, und dass zum anderen nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zwei Arten von Aufträgen, die von öffentlichen Einrichtungen vergeben werden, nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts der Union fallen.

117    Es handelt sich erstens um Aufträge, die von einer öffentlichen Einrichtung an eine rechtlich von dieser verschiedene Person vergeben werden, wenn diese Einrichtung über die betreffende Person eine Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und die genannte Person zugleich ihre Tätigkeiten im Wesentlichen für die Einrichtung oder die Einrichtungen ausübt, die ihre Anteile innehat bzw. innehaben (vgl. Urteil vom 19. Dezember 2012, Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a., C‑159/11, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

118    Zweitens handelt es sich um Verträge, mit denen eine Zusammenarbeit von öffentlichen Einrichtungen bei der Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden Gemeinwohlaufgabe vereinbart wird. In einem solchen Fall sind die unionsrechtlichen Vergabevorschriften nicht anwendbar, sofern außerdem solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer besser gestellt wird als seine Wettbewerber und die darin vereinbarte Zusammenarbeit nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen (vgl. Urteil Ordine degli Ingegneri della Provincia di Lecce u. a., Randnrn. 34 und 35).

119    Nach alledem ist auf die elfte Frage in der Rechtssache C‑203/11 zu antworten, dass die Errichtung von Sozialwohnungen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an eine öffentliche Einrichtung des sozialen Wohnungsbaus oder im Wege der Substitution des Dienstleistungserbringers, der die Wohnungen verwirklicht hat, durch diese Einrichtung verkauft werden müssen, unter den Begriff des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18 fällt, wenn die in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 Kosten

120    Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Art. 21 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV, 56 AEUV und 63 AEUV sowie die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG stehen einer Regelung wie der in Buch 5 des Dekrets der Flämischen Region vom 27. März 2009 über die Grundstücks- und Immobilienpolitik vorgesehenen entgegen, die die Übertragung von Liegenschaften, die in bestimmten, von der flämischen Regierung bezeichneten Gemeinden belegen sind, der Überprüfung des Bestehens einer „ausreichenden Bindung“ des potenziellen Erwerbers oder Mieters zu diesen Gemeinden durch eine provinziale Bewertungskommission unterwirft.

2.      Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung wie der in Buch 4 dieses Dekrets der Flämischen Region erlassenen, nach der bestimmten Wirtschaftsteilnehmern mit der Erteilung einer Bau- oder Parzellierungsgenehmigung eine „soziale Auflage“ erteilt wird, nicht entgegensteht, sofern das vorlegende Gericht die Feststellung trifft, dass diese Regelung für die Erreichung des Ziels, ein ausreichendes Wohnangebot für einkommensschwache Personen oder andere benachteiligte Gruppen der örtlichen Bevölkerung sicherzustellen, erforderlich und angemessen ist.

3.      Die in dem besagten Dekret der Flämischen Region vorgesehenen Steueranreize und Subventionsmechanismen können als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV angesehen werden. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe erfüllt sind, und bejahendenfalls in Bezug auf die in Buch 4 dieses Dekrets vorgesehenen Maßnahmen, mit denen die soziale Auflage für die Bauherren und Parzellierer ausgeglichen werden soll, zu überprüfen, ob aber auf solche Maßnahmen die Entscheidung 2005/842/EG der Kommission vom 28. November 2005 über die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 [EG] auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt werden, Anwendung findet.

4.      Die Errichtung von Sozialwohnungen, die anschließend mit einer Preisdeckelung an eine öffentliche Einrichtung des sozialen Wohnungsbaus oder im Wege der Substitution des Dienstleistungserbringers, der die Wohnungen verwirklicht hat, durch diese Einrichtung verkauft werden müssen, fällt unter den Begriff des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 596/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009, wenn die in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien erfüllt sind, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprachen: Französisch und Niederländisch.