Language of document : ECLI:EU:C:2015:404

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

18. Juni 2015(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Schienenverkehrssektor und Nebenleistungen – Missbrauch einer beherrschenden Stellung –Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 20 und 28 Abs. 1 – Verwaltungsverfahren – Beschluss, mit dem eine Nachprüfung angeordnet wird – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung – Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung – Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz – Zufallsfund“

In der Rechtssache C‑583/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 15. November 2013,

Deutsche Bahn AG mit Sitz in Berlin (Deutschland),

DB Mobility Logistics AG mit Sitz in Berlin,

DB Energie GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main (Deutschland),

DB Netz AG mit Sitz in Frankfurt am Main,

Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) mbH mit Sitz in Bodenheim (Deutschland),

DB Schenker Rail GmbH mit Sitz in Mainz (Deutschland),

DB Schenker Rail Deutschland AG mit Sitz in Mainz,

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte W. Deselaers, E. Venot und J. Brückner,

Rechtsmittelführerinnen,

andere Parteien des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch L. Malferrari und R. Sauer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Königreich Spanien, vertreten durch A. Rubio González und L. Banciella Rodríguez-Miñón als Bevollmächtigte,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Schneider, X. Lewis sowie M. Moustakali als Bevollmächtigte,

Streithelferin im ersten Rechtszug,

Rat der Europäischen Union,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J.‑C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça und C. Lycourgos,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2014,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Februar 2015

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Deutsche Bahn AG und ihre Tochtergesellschaften DB Mobility Logistics AG, DB Energie GmbH, DB Netz AG, Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) mbH, DB Schenker Rail GmbH und DB Schenker Rail Deutschland AG (im Folgenden gemeinsam: Deutsche Bahn) die Aufhebung des Urteils Deutsche Bahn u. a./Kommission des Gerichts der Europäischen Union (T‑289/11, T‑290/11 und T‑521/11, EU:T:2013:404, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Beschlüsse der Kommission K (2011) 1774 vom 14. März 2011, K (2011) 2365 vom 30. März 2011 und K (2011) 5230 vom 14. Juli 2011 (im Folgenden gemeinsam: streitige Beschlüsse) abgewiesen hat, mit denen Nachprüfungen gemäß Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bei der Deutschen Bahn AG sowie allen ihren Tochtergesellschaften angeordnet worden waren (Sachen COMP/39.678 und COMP/39.731).

 Rechtlicher Rahmen

2        Art. 20 („Nachprüfungsbefugnisse der Kommission“) der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:

„(1)      Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen.

(2)      Die mit den Nachprüfungen beauftragten Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen sind befugt,

a)      alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel der Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu betreten;

b)      die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, zu prüfen;

c)      Kopien oder Auszüge gleich in welcher Form aus diesen Büchern und Geschäftsunterlagen anzufertigen oder zu erlangen;

d)      betriebliche Räumlichkeiten und Bücher oder Unterlagen jeder Art für die Dauer und in dem Ausmaß zu versiegeln, wie es für die Nachprüfung erforderlich ist;

e)      von allen Vertretern oder Mitgliedern der Belegschaft des Unternehmens oder der Unternehmensvereinigung Erläuterungen zu Tatsachen oder Unterlagen zu verlangen, die mit Gegenstand und Zweck der Nachprüfung in Zusammenhang stehen, und ihre Antworten zu Protokoll zu nehmen.

(3)      Die mit Nachprüfungen beauftragten Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen üben ihre Befugnisse unter Vorlage eines schriftlichen Auftrags aus, in dem der Gegenstand und der Zweck der Nachprüfung bezeichnet sind und auf die in Artikel 23 vorgesehenen Sanktionen für den Fall hingewiesen wird, dass die angeforderten Bücher oder sonstigen Geschäftsunterlagen nicht vollständig vorgelegt werden oder die Antworten auf die nach Maßgabe von Absatz 2 des vorliegenden Artikels gestellten Fragen unrichtig oder irreführend sind. Die Kommission unterrichtet die Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll, über die Nachprüfung rechtzeitig vor deren Beginn.

(4)      Die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind verpflichtet, die Nachprüfungen zu dulden, die die Kommission durch Entscheidung angeordnet hat. Die Entscheidung bezeichnet den Gegenstand und den Zweck der Nachprüfung, bestimmt den Zeitpunkt des Beginns der Nachprüfung und weist auf die in Artikel 23 und Artikel 24 vorgesehenen Sanktionen sowie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof Klage gegen die Entscheidung zu erheben. Die Kommission erlässt diese Entscheidungen nach Anhörung der Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll.

(5)      Die Bediensteten der Wettbewerbsbehörde des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Nachprüfung vorgenommen werden soll, oder von dieser Behörde entsprechend ermächtigte oder benannte Personen unterstützen auf Ersuchen dieser Behörde oder der Kommission die Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen aktiv. Sie verfügen hierzu über die in Absatz 2 genannten Befugnisse.

(6)      Stellen die beauftragten Bediensteten der Kommission und die anderen von ihr ermächtigten Begleitpersonen fest, dass sich ein Unternehmen einer nach Maßgabe dieses Artikels angeordneten Nachprüfung widersetzt, so gewährt der betreffende Mitgliedstaat die erforderliche Unterstützung, gegebenenfalls unter Einsatz von Polizeikräften oder einer entsprechenden vollziehenden Behörde, damit die Bediensteten der Kommission ihren Nachprüfungsauftrag erfüllen können.

(7)      Setzt die Unterstützung nach Absatz 6 nach einzelstaatlichem Recht eine Genehmigung eines Gerichts voraus, so ist diese zu beantragen. Die Genehmigung kann auch vorsorglich beantragt werden.

(8)      Wird die in Absatz 7 genannte Genehmigung beantragt, so prüft das einzelstaatliche Gericht die Echtheit der Entscheidung der Kommission sowie, ob die beantragten Zwangsmaßnahmen nicht willkürlich und, gemessen am Gegenstand der Nachprüfung, nicht unverhältnismäßig sind. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Zwangsmaßnahmen kann das einzelstaatliche Gericht von der Kommission unmittelbar oder über die Wettbewerbsbehörde des betreffenden Mitgliedstaats ausführliche Erläuterungen anfordern, und zwar insbesondere zu den Gründen, die die Kommission veranlasst haben, das Unternehmen einer Zuwiderhandlung gegen Artikel [101 oder 102 des AEU-Vertrags] zu verdächtigen, sowie zur Schwere der behaupteten Zuwiderhandlung und zur Art der Beteiligung des betreffenden Unternehmens. Das einzelstaatliche Gericht darf jedoch weder die Notwendigkeit der Nachprüfung in Frage stellen noch die Übermittlung der in den Akten der Kommission enthaltenen Informationen verlangen. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Kommissionsentscheidung ist dem Gerichtshof vorbehalten.“

3        Nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 dürfen die mittels der Ermittlungsbefugnisse der Kommission erlangten Informationen unbeschadet der Art. 12 und 15 dieser Verordnung über den Informationsaustausch zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden bzw. über die Zusammenarbeit mit Gerichten der Mitgliedstaaten nur zu dem Zweck verwertet werden, zu dem sie eingeholt wurden.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

4        Die Deutsche Bahn ist ein Unternehmen, das in den Bereichen nationaler und internationaler Güter- und Passagierverkehr, Logistik und Nebenleistungen im Schienenverkehr tätig ist.

5        Am 14. März 2011 erließ die Kommission einen ersten Beschluss, der die Deutsche Bahn verpflichtete, eine Nachprüfung wegen einer möglicherweise nicht gerechtfertigten bevorzugten Behandlung zu dulden, die die DB Energie GmbH anderen Tochtergesellschaften der Gruppe insbesondere in Form eines Rabattsystems für die Lieferung von Bahnstrom habe zukommen lassen (im Folgenden: erster Nachprüfungsbeschluss). Diese erste Nachprüfung fand vom 29. bis zum 31. März 2011 statt.

6        Am 30. März 2011 erließ die Kommission gegenüber der Deutschen Bahn einen zweiten Nachprüfungsbeschluss wegen etwaiger Praktiken von DUSS mit dem Ziel, in Deutschland tätige Wettbewerber der Gruppe zu benachteiligen, indem deren Zugang zu DB Terminals erschwert oder sie bei dessen Gewährung diskriminiert worden seien (im Folgenden: zweiter Nachprüfungsbeschluss). Diese zweite Nachprüfung fand am 30. März und 1. April 2011 statt.

7        Am 14. Juli 2011 erließ die Kommission einen dritten an die Deutsche Bahn gerichteten Nachprüfungsbeschluss wegen der Einrichtung eines möglicherweise wettbewerbswidrigen Systems des strategischen Einsatzes der von Gesellschaften der Gruppe verwalteten Infrastruktur mit dem Ziel, Tätigkeiten der Wettbewerber der Gruppe im Bereich des Schienentransports, die einen Zugang zu den Terminals von DUSS erfordern, zu behindern, zu erschweren oder zu verteuern (im Folgenden: dritter Nachprüfungsbeschluss). Diese dritte Nachprüfung fand am 26. Juli 2011 statt.

8        Die Deutsche Bahn, deren Rechtsbeistände bei den Nachprüfungen anwesend waren, erhob keine Einwände. Sie beanstandete auch nicht das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung und widersetzte sich den Nachprüfungen nicht im Sinne von Art. 20 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003.

 Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteils

9        Mit Klageschriften, die am 10. Juni und 5. Oktober 2011 eingereicht wurden, erhob die Deutsche Bahn beim Gericht drei Klagen – die verbunden wurden – auf Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse und der von der Kommission während dieser Nachprüfungen getroffenen Maßnahmen und auf Verpflichtung der Kommission zur Rückgabe sämtlicher Kopien von Dokumenten, die im Rahmen der Nachprüfungen angefertigt worden waren.

10      Zur Stützung ihrer Klagen machte die Deutsche Bahn fünf Klagegründe geltend, mit denen im Wesentlichen eine Verletzung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) mangels einer vorherigen richterlichen Genehmigung, eine Verletzung des Grundrechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta und Art. 6 EMRK, verschiedene Verstöße gegen die Verteidigungsrechte und eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerügt wurden.

11      Das Gericht hat die Klagen der Deutschen Bahn insgesamt abgewiesen.

 Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

12      Die Deutsche Bahn beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        die drei streitigen Beschlüsse für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten für das Verfahren im ersten Rechtszug und für das Rechtsmittelverfahren aufzuerlegen.

13      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen,

–        der Deutschen Bahn die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

 Zum ersten Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Auslegung und Anwendung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 7 der Charta und Art. 8 EMRK

 Vorbringen der Deutschen Bahn

14      Die Deutsche Bahn wirft dem Gericht zunächst vor, das Urteil Colas Est u. a./Frankreich (Nr. 3797/97, EGMR 2002-III) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verkannt zu haben und dessen Urteile Société Métallurgique Liotard Frères/Frankreich (vom 5. Mai 2011, Nr. 29598/08) und Canal Plus u. a./Frankreich (vom 21. Dezember 2010, Nr. 29408/08) nicht geprüft zu haben, soweit es in Rn. 72 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Ermächtigung nur eines der Merkmale sei, die der EGMR herangezogen habe, um einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK festzustellen.

15      Sie rügt weiter, das Gericht habe sich in Rn. 66 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft auf die Urteile Harju/Finnland (vom 15. Februar 2011, Nr. 56716/09,) und Heino/Finnland (vom 15. Februar 2011, Nr. 56720/09) des EGMR berufen, soweit es dort festgestellt habe, aus diesen Urteilen lasse sich der allgemeine Grundsatz ableiten, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung durch eine umfassende Kontrolle im Anschluss an die Nachprüfung kompensiert werden könne.

16      Schließlich trägt die Deutsche Bahn vor, dass die vom Gericht in den Rn. 74 bis 101 des angefochtenen Urteils aufgeführten fünf Kategorien von Garantien keinen ausreichenden Schutz ihrer Verteidigungsrechte gegen den Eingriff in ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung böten, den die Nachprüfungen der Kommission in ihren Geschäftsräumen darstellten.

17      Die Kommission tritt diesem Vorbringen, unterstützt von der EFTA-Überwachungsbehörde und dem Königreich Spanien, entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

18      Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund möchte die Deutsche Bahn im Wesentlichen dartun, dass das angefochtene Urteil mit Rechtsfehlern behaftet ist, soweit das Gericht unter Verkennung von Art. 7 der Charta und Art. 8 EMRK festgestellt habe, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung die Rechtmäßigkeit der streitigen Beschlüsse nicht beeinträchtige.

19      Dazu ist festzustellen, dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 19, Dow Benelux/Kommission, 85/87, EU:C:1989:379, Rn. 30, sowie Dow Chemical Ibérica u. a./Kommission, 97/87 bis 99/87, EU:C:1989:380, Rn. 16), der nunmehr in Art. 7 der Charta, der Art. 8 EMRK entspricht, Ausdruck gefunden hat.

20      Es ist ferner darauf hinzuweisen, dass sich der in Art. 8 EMRK vorgesehene Schutz nach der Rechtsprechung des EGMR zwar auf bestimmte Geschäftsräume erstrecken kann, aber der EGMR gleichwohl entschieden hat, dass der öffentliche Eingriff im Fall beruflicher oder geschäftlicher Räume oder Tätigkeiten weiter gehen kann als in anderen Fällen (EGMR, Urteile vom 16. Dezember 1992, Niemietz/Deutschland, Serie A Nr. 251-B, und 14. März 2013, Bernh Larsen Holding AS u. a./Norwegen, Nr. 24117/08).

21      Im vorliegenden Fall ist zunächst festzustellen, dass dem Gericht, wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht vorgeworfen werden kann, die Urteile Métallurgique Liotard Frères/Frankreich und Canal Plus/Frankreich des EGMR nicht berücksichtigt zu haben, da diese keine Verletzung von Art. 8 EMRK, sondern von Art. 6 Abs. 1 EMRK betrafen.

22      Ferner hat das Gericht in Rn. 72 des angefochtenen Urteils unter Verweis auf Rn. 49 des Urteils Colas Est u. a./Frankreich zu Recht darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung nur eines der Merkmale war, die der EGMR herangezogen hat, um im Ergebnis einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK festzustellen. In dieser Randnummer hat das Gericht hinzugefügt, dass der EGMR den Umfang der Befugnisse der nationalen Wettbewerbsbehörde, die Umstände des Eingriffs sowie die begrenzte Zahl von Garantien berücksichtigt hat und sich diese Gesichtspunkte von der Lage unterschieden, wie sie sich im Unionsrecht darstellt.

23      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 auf das Recht ihrer Bediensteten beschränken, u. a. die von ihnen bezeichneten Räume zu betreten, sich die von ihnen angeforderten Unterlagen vorlegen zu lassen und davon Kopien anzufertigen und sich den Inhalt der von ihnen angegebenen Möbel zeigen zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 31).

24      Zudem ist zu beachten, dass nach Art. 20 Abs. 6 und 7 der Verordnung Nr. 1/2003 die Genehmigung eines Gerichts beantragt werden muss, wenn der betreffende Mitgliedstaat in einem Fall, in dem sich das Unternehmen widersetzt, die für die Erfüllung des Nachprüfungsauftrags erforderliche Unterstützung gegebenenfalls unter Einsatz von Polizeikräften oder einer entsprechenden vollziehenden Behörde gewährt und diese Genehmigung nach nationalem Recht vorausgesetzt wird. Die Genehmigung kann auch vorsorglich beantragt werden. Weiter ergibt sich aus Art. 20 Abs. 8 dieser Verordnung, dass das nationale Gericht zwar u. a. prüft, ob die beantragten Zwangsmaßnahmen nicht willkürlich und, gemessen am Gegenstand der Nachprüfung, nicht unverhältnismäßig sind, es aber die Notwendigkeit der Nachprüfung nicht in Frage stellen darf. Diese Bestimmung sieht eine dem Gerichtshof vorbehaltene nachträgliche Rechtmäßigkeitsprüfung vor.

25      Folglich hat das Gericht in Rn. 67 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass angesichts der Rechtsprechung des EGMR das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung als solches nicht geeignet ist, zur Rechtswidrigkeit einer Nachprüfungsmaßnahme zu führen.

26      Weiter ist zu dem Vorbringen der Deutschen Bahn, wonach sich das Gericht in Rn. 66 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft auf die Urteile Harju/Finnland und Heino/Finnland des EGMR berufen habe, festzustellen, dass der EGMR dort ausdrücklich ausgeführt hat, dass das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle sowohl der Tatsachen- als auch der Rechtsfragen kompensiert werden kann.

27      Daraus folgt, dass das in den Rn. 15 und 26 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen der Deutschen Bahn unbegründet ist.

28      Schließlich ist zu beachten, dass das Gericht in Rn. 73 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen hat, dass der Schutz gegen willkürliche Eingriffe der öffentlichen Gewalt nach der Rechtsprechung des EGMR einen rechtlichen Rahmen und strikte Grenzen erfordert, und sodann in den Rn. 74 bis 100 des angefochtenen Urteils fünf Kategorien von Garantien aufgeführt und geprüft hat, die den Rahmen für den Nachprüfungsbeschluss bilden müssen. Das Gericht ist in Rn. 100 zu dem Ergebnis gekommen, dass jede dieser Garantien im vorliegenden Fall gewährleistet gewesen sei.

29      In diesem Zusammenhang genügt die Feststellung, dass die detaillierte Prüfung, die das Gericht vorgenommen hat, sowohl den Anforderungen des EGMR genügt, wie aus der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils hervorgeht, als auch dem Wortlaut der Verordnung Nr. 1/2003 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs entspricht.

30      Zum einen ergibt sich nämlich aus Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003, dass der Nachprüfungsbeschluss den Gegenstand und den Zweck der Nachprüfung, die gegen das betreffende Unternehmen vorgesehenen Sanktionen und ferner angeben muss, dass das Unternehmen beim Gerichtshof Klage erheben kann.

31      Zum anderen sind nach ständiger Rechtsprechung die der Kommission verliehenen Nachprüfungsbefugnisse genau eingegrenzt, so hinsichtlich des Ausschlusses von Unterlagen nichtgeschäftlicher Art von dem Bereich, in dem die Kommission ermitteln darf, des Rechts auf Hinzuziehung eines juristischen Beistands, des Anspruchs auf Wahrung der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwälten und Mandanten oder der Pflicht zur Begründung des Nachprüfungsbeschlusses und der Möglichkeit zur Klageerhebung vor dem Gemeinschaftsrichter (vgl. in diesem Sinne Urteil Roquette Frères, C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 44 bis 50).

32      Wie zudem der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat und in Rn. 26 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, wird das Bestehen einer nachträglichen gerichtlichen Kontrolle vom EGMR als geeignet angesehen, das Fehlen einer vorherigen richterlichen Ermächtigung zu kompensieren, und bildet damit eine grundlegende Garantie, um die Vereinbarkeit der fraglichen Nachprüfungsmaßnahme mit Art. 8 EMRK zu gewährleisten (vgl. u. a. EGMR, Urteil Delta Pekárny a.s./Tschechische Republik, Nr. 97/11, §§ 83, 87 und 92, 2. Oktober 2014).

33      Ebenso verhält es sich im Rahmen des in der Europäischen Union geschaffenen Systems, da in Art. 20 Abs. 8 der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich vorgesehen ist, dass der Gerichtshof für die Prüfung der Rechtmäßigkeit des von der Kommission erlassenen Nachprüfungsbeschlusses zuständig ist.

34      Die durch die Verträge vorgesehene Kontrolle setzt voraus, dass der Unionsrichter auf der Grundlage der vom Kläger zur Stützung seiner Klagegründe vorgelegten Beweise eine umfassende Prüfung vornimmt, d. h. eine Prüfung, die sich sowohl auf die Rechts- als auch auf die Tatsachenfragen erstreckt (vgl. in diesem Sinne Urteile Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 62, und CB/Kommission, C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 44).

35      Folglich hat das Gericht zu Recht entschieden, dass das durch Art. 8 EMRK geschützte Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung durch das Fehlen einer vorherigen richterlichen Genehmigung nicht verletzt worden ist.

36      Demnach ist ebenfalls festzustellen, dass keine Verletzung von Art. 7 der Charta nachgewiesen worden ist.

37      Unter diesen Umständen ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Auslegung und Anwendung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gemäß Art. 47 der Charta und Art. 6 Abs. 1 EMRK

 Vorbringen der Deutschen Bahn

38      Die Deutsche Bahn macht geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, soweit es festgestellt habe, dass die streitigen Beschlüsse das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz mit Rücksicht darauf, dass im Unionsrecht eine nachträgliche gerichtliche Überprüfung gegeben sei, nicht verletzt hätten.

39      Die Deutsche Bahn wirft dem Gericht insbesondere vor, seine Begründung auf die Urteile des EGMR, Société Métallurgique Liotard Frères/Frankreich und Canal Plus u. a./Frankreich, gestützt zu haben, obwohl die dort fraglichen Sachverhalte nicht vergleichbar gewesen seien, weil die französische Wettbewerbsbehörde im Rahmen jener Verfahren vorab eine richterliche Genehmigung eingeholt habe.

40      Die Kommission tritt diesem Vorbringen mit Unterstützung der EFTA-Überwachungsbehörde und des Königreichs Spanien entgegen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

41      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht in den Rn. 109 und 110 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt hat, dass den Urteilen Société Métallurgique Liotard Frères/Frankreich und Canal Plus/Frankreich des EGMR zu entnehmen ist, dass sie den Umfang der Kontrolle, darin eingeschlossen eine Kontrolle sämtlicher tatsächlicher und rechtlicher Gesichtspunkte und im Fall einer festgestellten Regelwidrigkeit die Ermöglichung einer angemessenen Wiedergutmachung, und nicht deren Zeitpunkt betreffen.

42      Außerdem hat das Gericht in Rn. 112 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Unionsrichter, der über eine gegen einen Nachprüfungsbeschluss erhobene Nichtigkeitsklage entscheidet, eine Kontrolle sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht ausübt und befugt ist, Beweise zu würdigen und den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären.

43      Es ist festzustellen, dass diese Beurteilung auch der in Rn. 34 des vorliegenden Urteils angeführten ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs entspricht. Die vom Gericht in den Rn. 109 bis 112 des angefochtenen Urteils vorgenommene Beurteilung ist daher nicht rechtsfehlerhaft.

44      Zudem haben – entgegen dem Vorbringen der Deutschen Bahn – Unternehmen, an die ein Nachprüfungsbeschluss gerichtet worden ist, die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses anzufechten, und zwar, wie der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge erläutert hat, unmittelbar nach der Mitteilung dieses Beschlusses. Dies bedeutet, dass das Unternehmen nicht den Erlass der abschließenden Entscheidung der Kommission über die mutmaßliche Verletzung der Wettbewerbsregeln abwarten muss, um eine Nichtigkeitsklage bei den Unionsgerichten zu erheben.

45      Schließlich hat das Gericht in Rn. 113 des angefochtenen Urteils hinsichtlich der unionsrechtlichen Garantien zur Gewährleistung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs hingewiesen, wonach die Nichtigerklärung des Nachprüfungsbeschlusses oder die Feststellung einer Regelwidrigkeit bei der Durchführung der Nachprüfung dazu führt, dass es der Kommission nicht möglich ist, die dabei erlangten Informationen für die Zwecke des Zuwiderhandlungsverfahrens zu verwenden (Urteil Roquette Frères, C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 49).

46      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Gericht zu Recht der Ansicht war, dass das durch Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierte Grundrecht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz durch das Fehlen einer vorherigen gerichtlichen Kontrolle nicht verletzt wurde.

47      In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass dieses Grundrecht ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der nunmehr in Art. 47 der Charta zum Ausdruck kommt und im Unionsrecht dem Art. 6 Abs. 1 EMRK entspricht (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Chalkor/Kommission, C‑386/10 P, EU:C:2011:815, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung, Telefónica und Telefónica de España/Kommission, C‑295/12 P, EU:C:2014:2062, Rn. 40, sowie CB/Kommission, C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 43).

48      Aus den oben angeführten Gründen ist auch festzustellen, dass keine Verletzung von Art. 47 der Charta nachgewiesen wurde.

49      Der zweite Rechtsmittelgrund ist demnach zurückzuweisen.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund: Verletzung der Verteidigungsrechte angesichts von Unregelmäßigkeiten bei der ersten Nachprüfung

 Vorbringen der Deutschen Bahn

50      Die Deutsche Bahn rügt die vom Gericht in Rn. 162 des angefochtenen Urteils getroffene Feststellung, es sei legitim gewesen, dass die Kommission ihre Bediensteten vor dem ersten Nachprüfungsbeschluss über Verdachtsmomente gegenüber DUSS informiert habe.

51      Dazu führt die Deutsche Bahn aus, die Kommission habe durch ihr Verhalten bewusst das Risiko geschaffen, dass die ihren Bediensteten mitgeteilten Informationen über den Komplex DUSS diese veranlasst hätten, ihr Augenmerk speziell auch auf DUSS-Dokumente zu richten, obwohl diese Dokumente außerhalb des Gegenstands der ersten Nachprüfung gelegen hätten. Daher sei die vom Gerichtshof in seinem Urteil Dow Benelux/Kommission (85/87, EU:C:1989:379) anerkannte Ausnahme von dem Verbot, außerhalb des Nachprüfungszwecks liegende Dokumente zu verwerten, entgegen der Feststellung des Gerichts nicht anwendbar gewesen.

52      Auch sei diese vorherige Unterrichtung der Kommissionsbediensteten über den Komplex DUSS für eine effiziente Durchsetzung der Wettbewerbsregeln nicht notwendig gewesen.

53      Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit des Vorbringens der Deutschen Bahn zu dem Rechtsfehler, den das Gericht mit der Annahme von Zufallsfunden begangen haben soll. Es handele sich um Tatsachenfeststellungen, die im Rahmen des Rechtsmittels nicht erörtert werden könnten.

 Würdigung durch den Gerichtshof

54      Was die von der Kommission bestrittene Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittelgrundes betrifft, ist zunächst festzustellen, dass die Deutsche Bahn nicht nur eine neue Beurteilung der Tatsachen durch den Gerichtshof begehrt, sondern einen Rechtsfehler rügt, den das Gericht durch die Feststellung begangen haben soll, es sei legitim gewesen, dass die Kommission ihre Bediensteten vor der ersten Nachprüfung über das Bestehen von Verdachtsmomenten gegenüber DUSS als allgemeinen Hintergrund der Sache informiert habe.

55      Der dritte Rechtsmittelgrund ist daher zulässig.

56      In der Sache ist darauf hinzuweisen, dass Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003 die Kommission dazu verpflichtet, Nachprüfungsentscheidungen unter Angabe von Gegenstand und Zweck der Nachprüfung zu begründen, was, wie der Gerichtshof klargestellt hat, insofern ein grundlegendes Erfordernis darstellt, als dadurch nicht nur die Berechtigung des beabsichtigten Eingriffs in den betroffenen Unternehmen aufgezeigt werden soll, sondern auch diese Unternehmen in die Lage versetzt werden sollen, den Umfang ihrer Mitwirkungspflicht zu erkennen und zugleich ihre Verteidigungsrechte zu wahren (Urteile Roquette Frères, C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 47, sowie Nexans und Nexans Frankreich/Kommission, C‑37/13 P, EU:C:2014:2030, Rn. 34).

57      Zudem dürfen im Laufe von Nachprüfungen erlangte Informationen nach Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 zu keinen anderen als den im Prüfungsauftrag oder Nachprüfungsbeschluss angegebenen Zwecken verwertet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Dow Benelux/Kommission, 85/87, EU:C:1989:379, Rn. 17).

58      Der Gerichtshof hat dargelegt, dass ein solches Erfordernis neben dem in Art. 28 der Verordnung Nr. 1/2003 ausdrücklich genannten Berufsgeheimnis die Verteidigungsrechte der Unternehmen schützen soll, die Art. 20 Abs. 4 gewährleisten soll. Diese Rechte würden nämlich in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, wenn die Kommission gegenüber den Unternehmen bei einer Nachprüfung erlangte Beweise anführen könnte, die in keinem Zusammenhang mit Gegenstand und Zweck dieser Nachprüfung stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Dow Benelux/Kommission, 85/87, EU:C:1989:379, Rn. 18).

59      Dies bedeutet jedoch nicht, dass es der Kommission verwehrt wäre, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, um Informationen, die sie bei einer früheren Nachprüfung zufällig erlangt hat, auf ihre Richtigkeit zu prüfen oder zu vervollständigen, wenn diese Informationen einen Hinweis auf Verhaltensweisen liefern, die gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrags verstoßen. Eine solche Lösung ginge nämlich über das hinaus, was zum Schutz des Berufsgeheimnisses und der Verteidigungsrechte notwendig ist, und würde die Kommission in ungerechtfertigter Weise bei der Erfüllung ihrer Aufgabe behindern, über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln im Gemeinsamen Markt zu wachen und Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV zu ermitteln (vgl. in diesem Sinne Urteil Dow Benelux/Kommission, 85/87, EU:C:1989:379, Rn. 19).

60      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass zum einen die Kommission verpflichtet ist, den Beschluss, mit dem eine Nachprüfung angeordnet wird, zu begründen. Zum anderen dürfen, soweit die Begründung des Beschlusses die den Kommissionsbediensteten verliehenen Befugnisse eingrenzt, nur Dokumente gesucht werden, die in den Gegenstand der Nachprüfung fallen.

61      Im vorliegenden Fall geht jedoch aus Rn. 162 des angefochtenen Urteils sowie den Ausführungen der Kommission in der mündlichen Verhandlung hervor, dass diese kurz vor der Nachprüfung ihre Mitarbeiter darüber informierte, dass eine weitere Beschwerde gegen die Deutsche Bahn vorlag, die sich auf ihre Tochtergesellschaft DUSS bezog.

62      Auch wenn die Effektivität einer Nachprüfung, wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, voraussetzt, dass die Kommission den damit beauftragten Bediensteten vor der Nachprüfung alle Informationen erteilt, aufgrund deren diese das Wesen und den Umfang der etwaigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln verstehen können, sowie Informationen über den Ablauf der Nachprüfung selbst gibt, muss sich doch die Gesamtheit dieser Informationen allein auf den Gegenstand der Nachprüfung beziehen, die durch den Beschluss angeordnet worden ist.

63      Zwar hat das Gericht in Rn. 75 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass der Nachprüfungsbeschluss der Kommission der Begründungspflicht unterliegt. Es hat jedoch nicht in Betracht gezogen, dass dann, wenn die Kommission ihre Bediensteten vor der ersten Nachprüfung über die weitere Beschwerde in Bezug auf das betreffende Unternehmen informierte, der in dem Nachprüfungsbeschluss bezeichnete Gegenstand der Nachprüfung auch Angaben zu dieser weiteren Beschwerde hätte umfassen müssen.

64      Diese vorherige Unterrichtung nicht über den allgemeinen Hintergrund der Angelegenheit, sondern über das Vorliegen einer anderen Beschwerde liegt außerhalb des Gegenstands des ersten Nachprüfungsbeschlusses. Daher verletzt das Fehlen eines Hinweises auf diese Beschwerde im Rahmen des Gegenstands dieses Nachprüfungsbeschlusses die Begründungspflicht und die Verteidigungsrechte des betreffenden Unternehmens.

65      Es ist weiter festzustellen, dass das Gericht in Rn. 134 des angefochtenen Urteils ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Umstand, dass der zweite Nachprüfungsbeschluss erging, während die erste Nachprüfung lief, die Bedeutung der bei dieser Gelegenheit erlangten Informationen für die Ingangsetzung der zweiten Nachprüfung zeigt und dass sich die dritte Nachprüfung unzweifelhaft teilweise auf Informationen stützte, die bei den ersten beiden Nachprüfungen gesammelt worden waren. Daraus hat es geschlossen, dass die Bedingungen, unter denen die Informationen über DUSS bei der ersten Nachprüfung erlangt wurden, die Rechtmäßigkeit des zweiten und des dritten Nachprüfungsbeschlusses berühren können.

66      Damit wies die erste Nachprüfung Unregelmäßigkeiten auf, da die Kommissionsbediensteten, die im Vorhinein über außerhalb des Nachprüfungsgegenstands liegende Informationen verfügten, Unterlagen beschlagnahmten, die außerhalb des Gebiets der Nachprüfung lagen, das durch den ersten Nachprüfungsbeschluss eingegrenzt worden war.

67      Aus alledem folgt, dass das Gericht in Rn. 162 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft zu der Feststellung gelangte, es sei rechtmäßig gewesen, dass die Kommissionsbediensteten vor dem ersten Nachprüfungsbeschluss über das Vorliegen der das Unternehmen DUSS betreffenden Beschwerde als Teil des allgemeinen Hintergrundes informiert worden seien – ohne dass überdies das Gericht dafür eine Begründung gegeben hätte –, obwohl eine solche vorherige Information offensichtlich nicht zum Gegenstand des ersten Nachprüfungsbeschlusses gehört und somit die Garantien missachtet, die die Nachprüfungsbefugnisse der Kommission eingrenzen.

68      Unter diesen Umständen ist dem dritten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

69      Demnach ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die Klage gegen den zweiten und den dritten Nachprüfungsbeschluss abgewiesen worden ist, ohne dass der vierte Rechtsmittelgrund der Deutschen Bahn geprüft zu werden braucht, der eine fehlerhafte Anwendung der Beweislastregeln durch das Gericht betrifft und ebenfalls auf die Nichtigerklärung des zweiten und des dritten Nachprüfungsbeschlusses gerichtet ist.

 Zur Klage vor dem Gericht

70      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.

71      Aus den Rn. 56 bis 67 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass der dritte Klagegrund der im ersten Rechtszug erhobenen Klage begründet ist und dass der zweite und der dritte Nachprüfungsbeschluss wegen einer Verletzung der Verteidigungsrechte für nichtig zu erklären sind.

 Kosten

72      Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet, über die Kosten.

73      Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

74      Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung trägt in einem Fall, in dem jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, jede Partei ihre eigenen Kosten. Der Gerichtshof kann jedoch entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

75      Da dem Rechtsmittel der Deutschen Bahn teilweise stattgegeben worden ist, trägt die Kommission außer der Hälfte der ihr im vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten die Hälfte der Kosten, die der Deutschen Bahn in diesem Rechtsmittelverfahren entstanden sind. Die Deutsche Bahn trägt die Hälfte der ihr in diesem Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten sowie die Hälfte der der Kommission in dem Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

76      Was die Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug betrifft, so hat die Kommission in den Rechtssachen T‑290/11 und T‑521/11 die Kosten zu tragen, während der Deutschen Bahn die Kosten in der Rechtssache T‑289/11 aufzuerlegen sind.

77      Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. In Anwendung dieser Bestimmung trägt das Königreich Spanien seine eigenen Kosten für das Verfahren im ersten Rechtszug und für das Rechtsmittelverfahren.

78      Nach Art. 140 Abs. 2 dieser Verfahrensordnung trägt die EFTA-Überwachungsbehörde, die dem Rechtsstreit als Streithelferin beigetreten ist, ihre eigenen Kosten. Demnach trägt die EFTA-Überwachungsbehörde ihre eigenen Kosten für das Verfahren im ersten Rechtszug und für das Rechtsmittelverfahren.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil Deutsche Bahn u. a./Kommission (T‑289/11, T‑290/11 und T‑521/11, EU:T:2013:404) des Gerichts der Europäischen Union wird aufgehoben, soweit darin die Klage gegen den zweiten und den dritten Nachprüfungsbeschluss, K (2011) 2365 vom 30. März 2011 und K (2011) 5230 vom 14. Juli 2011, abgewiesen worden ist.

2.      Die Beschlüsse K (2011) 2365 vom 30. März 2011 und K (2011) 5230 der Europäischen Kommission vom 14. Juli 2011 werden für nichtig erklärt.

3.      Im Übrigen wird das Rechtsmittel zurückgewiesen.

4.      Die Deutsche Bahn AG, die DB Mobility Logistics AG, die DB Energie GmbH, die DB Netz AG, die Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) mbH, die DB Schenker Rail GmbH und die DB Schenker Rail Deutschland AG tragen außer der Hälfte der ihnen im vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten die Hälfte der Kosten, die in diesem Rechtsmittelverfahren der Europäischen Kommission entstanden sind.

5.      Die Europäische Kommission trägt außer der Hälfte der ihr im vorliegenden Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten die Hälfte der Kosten, die in diesem Rechtsmittelverfahren der Deutschen Bahn AG, der DB Mobility Logistics AG, der DB Energie GmbH, der DB Netz AG, der Deutschen Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) mbH, der DB Schenker Rail GmbH und der DB Schenker Rail Deutschland AG entstanden sind.

6.      Die Deutsche Bahn AG, die DB Mobility Logistics AG, die DB Energie GmbH, die DB Netz AG, die Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS) mbH, die DB Schenker Rail GmbH und die DB Schenker Rail Deutschland AG tragen die Kosten in der Rechtssache T‑289/11.

7.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten in den Rechtssachen T‑290/11 und T‑521/11.

8.      Das Königreich Spanien trägt seine eigenen Kosten.

9.      Die EFTA-Überwachungsbehörde trägt ihre eigenen Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.