Language of document : ECLI:EU:C:2012:662

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

25. Oktober 2012(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Verkehr – Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft – Richtlinie 91/440/EWG – Art. 5 Abs. 3 – Eisenbahnunternehmen – Unabhängigkeit der Geschäftsführung – Entscheidungen über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen – Art. 7 Abs. 3 – Zuweisung der Mittel an den Betreiber der Infrastruktur – Richtlinie 2001/14/EG – Art. 6 Abs. 1 – Ausgeglichenheit der Einnahmen und Ausgaben – Angemessene Bedingungen – Unvollständige Umsetzung“

In der Rechtssache C‑557/10

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 26. November 2010,

Europäische Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk und M. França als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Portugiesische Republik, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. Pereira de Miranda als Bevollmächtigte,

Beklagte,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter A. Borg Barthet (Berichterstatter), E. Levits und J.‑J. Kasel und der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. September 2012

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klageschrift beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft (ABl. L 237, S. 25) in der durch die Richtlinie 2001/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 (ABl. L 75, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/440) sowie aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (ABl. L 75, S. 29) in der zuletzt durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 (ABl. L 315, S. 44) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14) verstoßen hat, dass sie jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch das öffentliche Eisenbahnunternehmen CP Comboios de Portugal EPE (im Folgenden: CP) von einer Genehmigung der Regierung abhängig gemacht hat und nicht die nationalen Maßnahmen erlassen hat, die erforderlich sind, um der Verpflichtung zur Festlegung von Bedingungen nachzukommen, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur, der Rede Ferroviária Nacional – REFER EP (Gesellschaft zum Betrieb des nationales Schienennetzes, im Folgenden: REFER), ausgleichen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

2        In Art. 3 der Richtlinie 91/440 heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet

–        ‚Eisenbahnunternehmen‘ jedes nach geltendem Gemeinschaftsrecht zugelassene öffentlich-rechtliche oder private Unternehmen, dessen Haupttätigkeit im Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistungen zur Beförderung von Gütern und/oder Personen besteht, wobei dieses Unternehmen die Traktion sicherstellen muss; dies schließt auch Unternehmen ein, die ausschließlich die Traktionsleistung erbringen;

…“

3        Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie, der in Abschnitt II, „Unabhängigkeit der Geschäftsführung“, steht, bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Eisenbahnunternehmen in Bezug auf die Geschäftsführung, die Verwaltung und die innerbetriebliche Verwaltungs-, Wirtschafts- und Rechnungsführungskontrolle eine unabhängige Stellung haben, kraft deren sie insbesondere über ein Vermögen, einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind.“

4        Art. 5 Abs. 3 der genannten Richtlinie sieht vor:

„Im Rahmen der vom Staat festgelegten gesamtpolitischen Leitlinien und unter Berücksichtigung der einzelstaatlichen – gegebenenfalls mehrjährigen – Pläne oder Verträge, einschließlich der Investitions- und Finanzpläne, können die Eisenbahnunternehmen insbesondere

–        über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen entscheiden;

…“

5        Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten können dem Betreiber der Infrastruktur ferner unter Wahrung der Artikel 73, 87 und 88 des Vertrags Mittel zuweisen, die in angemessenem Verhältnis zu den Aufgaben, der Größe und dem Finanzbedarf stehen, und zwar insbesondere für Neuinvestitionen.“

6        Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen fest, gegebenenfalls einschließlich der Leistung von Vorauszahlungen, um sicherzustellen, dass sich die Einnahmen eines Betreibers der Infrastruktur aus Wegeentgelten, dem Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten und der staatlichen Finanzierung einerseits und die Fahrwegausgaben andererseits unter normalen geschäftlichen Umständen und über einen angemessenen Zeitraum zumindest ausgleichen.

Unbeschadet des etwaigen langfristigen Ziels, dass die Infrastrukturkosten bei allen Verkehrsträgern durch deren Nutzer auf der Grundlage eines gerechten und nichtdiskriminierenden Wettbewerbs der Verkehrsträger gedeckt werden, wenn der Eisenbahnverkehr gegenüber anderen Verkehrsträgern konkurrenzfähig ist, kann ein Mitgliedstaat im Rahmen der Entgeltregelungen der Artikel 7 und 8 von einem Betreiber der Infrastruktur verlangen, seine Einnahmen und Ausgaben ohne staatliche Mittel auszugleichen.“

 Portugiesisches Recht

7        Durch das Decreto‑Lei Nr. 104/97 vom 29. April 1997 (Diário da República I, Serie A, Nr. 99 vom 29. April 1997) wurde die REFER gegründet. Ihre Satzung ist in Anhang I dieses Decreto‑Lei veröffentlicht.

8        Art. 12 Abs. 2 dieses Decreto‑Lei bestimmt laut seiner Überschrift den Gegenstand und den Anwendungsbereich dieser Satzung wie folgt:

„Die Regierung verfolgt die künftige Entwicklung der Lage des Unternehmens, um das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens sowie die Erfüllung der für den Bau, die Installierung und die Renovierung der Eisenbahninfrastruktur eingegangenen Verbindlichkeiten in einer Weise sicherzustellen, die die Verfolgung angemessener Politiken zur Modernisierung des Schienenverkehrs nicht beeinträchtigt.“

9        Das Decreto‑Lei Nr. 270/2003 vom 28. Oktober 2003 (Diário da República I, Serie A, Nr. 250 vom 28. Oktober 2003) legt die Bedingungen für die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich des Schienentransports und des Betriebs der Eisenbahninfrastruktur fest. Dieses Decreto‑Lei regelt insbesondere in seinem Art. 63 die Ausgeglichenheit der Konten des Betreibers der Infrastruktur wie folgt:

„1.      Die Konten des Betreibers der Infrastruktur müssen ein Gleichgewicht aufweisen zwischen

a)      den Einnahmen aus Wegeentgelten, dem Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten und der staatlichen Finanzierung, gegebenenfalls in Form von Vorschüssen, einerseits und

b)      den Kosten des für das Betreiben und die Wartung der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienstes andererseits.

2.      Unbeschadet des etwaigen langfristigen Ziels, dass die Infrastrukturkosten bei allen Verkehrsträgern zunehmend durch deren Nutzer auf der Grundlage eines gerechten und nichtdiskriminierenden Wettbewerbs der Verkehrsträger gedeckt werden, muss der Betreiber der Infrastruktur, wenn der Eisenbahnverkehr gegenüber anderen Verkehrsträgern konkurrenzfähig ist, insbesondere wenn die Umweltkosten bei den anderen Verkehrsträgern gleichermaßen internalisiert werden, im Rahmen der in diesem Kapitel vorgesehenen Entgeltregelung das in Abs. 1 genannte Gleichgewicht ohne staatliche Finanzierung erreichen.

3.      Zur Beurteilung des in Abs. 1 genannten Gleichgewichts und zur Bestimmung der Notwendigkeit von Ausgleichszahlungen des Staates an den für das Betreiben der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienst ist ein Verfahren zur Aufteilung der Kosten vorzusehen, das in transparenter Weise zeigt, dass nur die Kosten der Geschäftsführung, der Wartung, der Instandhaltung und der Zurverfügungstellung der Infrastruktur berücksichtigt werden.

7.      Für die Zwecke des Abs. 1 Buchst. b des vorliegenden Artikels werden Finanzierungs‑ und außergewöhnliche Kosten nicht als Kosten des für das Betreiben der Infrastruktur zuständigen gemeinwirtschaftlichen Dienstes angesehen.

8.      Durch Naturkatastrophen verursachte außergewöhnliche Kosten sind vom Staat zu ersetzen.“

10      Durch das Decreto‑Lei Nr. 300/2007 vom 23. August 2007 (Diário da República I, Serie A, Nr. 162 vom 23. August 2007) wurde die für staatseigene und öffentliche Unternehmen in Portugal geltende Regelung geändert.

11      Art. 10 dieses Decreto‑Lei bestimmt:

„1.      Die Rechte des Staates als Anteilseigner werden über die Generaldirektion ‚Staatskasse und Finanzen‘ unter der Leitung des Finanzministers ausgeübt, der im Einklang mit den im nachstehenden Artikel vorgesehenen Leitlinien und nach Abstimmung durch gemeinsamen Beschluss mit den für den Sektor zuständigen Ministern Befugnisse übertragen kann.

3.      Die in den vorstehenden Absätzen genannten Rechte können indirekt über rein öffentliche Kapitalgesellschaften ausgeübt werden.“

12      Art. 37 Abs. 1 dieses Decreto‑Lei bestimmt in Bezug auf die Gründung von Gesellschaften und den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen Folgendes:

„[D]ie Beteiligung des Staates oder anderer öffentlicher Einrichtungen des Staates sowie öffentlicher Unternehmen an der Gründung von Unternehmen und dem Erwerb oder der Veräußerung von Kapitalanteilen bedarf der Genehmigung des Finanzministers und des für den Sektor zuständigen Ministers …

…“

13      Das Decreto‑Lei Nr. 137‑A/2009 vom 12. Juni 2009 (Diário da República I, Nr. 112, Supplement vom 12. Juni 2009) bestimmt den Gesellschaftszweck und die Rechtsform der CP. Dieses Decreto‑Lei enthält in seinem Anhang I auch die Satzung dieses Unternehmens.

14      Art. 2 dieses Decreto‑Lei lautet wie folgt:

„Rechtsform

Die [CP] ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, das über administrative und finanzielle Eigenständigkeit sowie eigenes Vermögen verfügt und der Aufsicht und Überwachung durch die für Finanzen und Transport zuständigen Mitglieder der Regierung unterliegt.“

15      Art. 1 („Bezeichnung und Sitz“) Abs. 1 der Satzung der CP bestimmt:

„Die [CP] ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen mit Rechtspersönlichkeit, das über administrative und finanzielle Eigenständigkeit sowie eigenes Vermögen verfügt und eine Rechts‑ und Geschäftsfähigkeit besitzt, die sämtliche Rechte und Pflichten umfasst, die zur Verfolgung ihres Gesellschaftszwecks erforderlich oder zweckdienlich sind.“

16      Der Gesellschaftszweck der CP ist in Art. 2 dieser Satzung definiert. Diese Bestimmung lautet wie folgt:

„1.      Der Gesellschaftszweck der [CP] besteht hauptsächlich in der Erbringung von Eisenbahnverkehrsleistungen zur Beförderung von Personen und Gütern auf Schienenstrecken, Streckenabschnitten und Anschlussgleisen, die zum nationalen Schienennetz gehören oder gehören werden.

3.      Daneben kann die [CP] auch folgende Tätigkeiten ausüben …

4.      Im Rahmen der Verwirklichung des in der vorstehenden Nummer definierten Gesellschaftszwecks kann die [CP]

a)      gemäß den gesetzlichen Vorschriften Gesellschaften gründen und Kapitalanteile erwerben;

…“

17      Gemäß Art. 9 dieser Satzung besitzt die CP folgende Zuständigkeiten:

„1.      Der Verwaltungsrat verfügt über umfassende Verwaltungs‑ und Geschäftsführungsbefugnisse gemäß den gesetzlichen Vorschriften und der Satzung.

2.      Es ist insbesondere Aufgabe des Verwaltungsrats

l)      über die Gründung von Gesellschaften und den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen gemäß den gesetzlichen Vorschriften zu entscheiden;

…“

18      Art. 21 gehört zu Kapitel IV („Aufsicht“) dieser Satzung. Dieser Artikel sieht unter der Überschrift „Leitlinien für die Geschäftsführung“ Folgendes vor:

„1. Die Regierung bestimmt gemäß den gesetzlichen Vorschriften die von der [CP] zu verfolgenden allgemeinen Ziele dergestalt, dass gewährleistet ist, dass diese mit den in den gesetzlichen Vorschriften vorgesehenen allgemeinen und sektoriellen Politiken im Einklang stehen.

2.      Die Regierung verfolgt die Entwicklung der Lage des Unternehmens, um zu gewährleisten, dass die Bedürfnisse der Allgemeinheit zu einem angemessenen Grad erfüllt werden und das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens sichergestellt ist, so dass die Verfolgung angemessener Politiken zur Modernisierung des Schienenverkehrs gewährleistet ist.“

 Vorverfahren

19      In ihrem Aufforderungsschreiben vom 26. Januar 2008 wies die Kommission die portugiesischen Behörden darauf hin, dass sie an der Vereinbarkeit der portugiesischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung u. a. der Richtlinien 91/440 und 2001/14 mit dem Unionsrecht zweifle. Die portugiesischen Behörden antworteten auf das Aufforderungsschreiben und lieferten Informationen und Argumente hinsichtlich der Beachtung dieser Richtlinien durch die portugiesischen Rechtsvorschriften.

20      Mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die portugiesischen Behörden, in der sie gleichwohl die Ansicht vertrat, dass die Portugiesische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 5 Abs. 3 und 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 sowie aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 verstoßen habe.

21      Die portugiesischen Behörden antworteten mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme und lieferten verschiedene Erläuterungen.

22      Da die Kommission die Antwort der portugiesischen Behörden für unzureichend hielt, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

 Zur Klage

 Zum Antrag auf Aussetzung des Verfahrens

23      Die portugiesische Regierung hat mit ihrem Vorbringen in erster Linie die geltend gemachte Vertragsverletzung bestritten und hilfsweise beantragt, das Verfahren bis zum 31. Dezember 2011 auszusetzen, da an diesem Datum die legislativen und vertraglichen Maßnahmen in Kraft treten sollten, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Eisenbahnunternehmen gegenüber dem Staat verstärkten und die Entgeltregelung der Eisenbahninfrastruktur änderten.

24      Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, und kann der Gerichtshof spätere Veränderungen nicht berücksichtigen (vgl. u. a. Urteile vom 27. September 2007, Kommission/Frankreich, C‑9/07, Randnr. 8, und vom 18. November 2010, Kommission/Spanien, C‑48/10).

25      Das Vorbringen der portugiesischen Regierung ist daher im Hinblick auf die Lage zu prüfen, die bei Ablauf der in der Stellungnahme gesetzten Frist bestand, und es ist zurückzuweisen, soweit es spätere Änderungen der nationalen Rechtsvorschriften betrifft.

26      Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens ist demnach zurückzuweisen.

 Zur ersten Rüge: Verstoß gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440

 Vorbringen der Parteien

27      Die Kommission macht geltend, dass die portugiesischen Rechtsvorschriften, die die CP der Aufsicht und Überwachung durch die Mitglieder der Regierung unterstellen, gegen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 verstießen.

28      Sie stützt sich insbesondere darauf, dass der portugiesische Staat nach den nationalen Rechtsvorschriften jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch die CP von einer Genehmigung der Regierung abhängig mache.

29      Aufgrund des Erfordernisses einer vorherigen Genehmigung der Regierung für bestimmte Rechtsakte könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Eisenbahnunternehmen unabhängig oder gegenüber dem Staat autonom seien und die Möglichkeit hätten, ihre internen Angelegenheiten im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts selbst zu regeln.

30      Aus Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 gehe nämlich eindeutig hervor, dass der Staat keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen über den Erwerb oder die Veräußerung von Vermögensgegenständen ausüben dürfe. Dieser Artikel bestimme zwar, dass solche Entscheidungen im Rahmen der vom Staat festgelegten gesamtpolitischen Leitlinien zu treffen seien; diese Leitlinien könnten jedoch lediglich die bei diesen Entscheidungen zu berücksichtigenden Kriterien festlegen.

31      Die Beteiligung der Regierung an der Geschäftsführung der CP gehe auch über die bloße Ausübung der Aktionärsrechte hinaus, da der Staat als Aktionär durch die von den Ministern für Finanzen und Transport ausgeübte Kontrolle auf der Grundlage einer anderen für den gesamten öffentlichen Sektor geltenden Regelung eingreife.

32      Die portugiesische Regierung widerspricht den Schlussfolgerungen der Kommission. Sie macht geltend, dass das Erfordernis einer ministeriellen Genehmigung für den Erwerb oder die Veräußerung von Kapitalanteilen für alle Arten von öffentlichen Unternehmen gelte. Ein solches Erfordernis hänge mit der Rolle des Staates als Kapitaleigner zusammen. Die Beschlussfassung über den Kauf oder Verkauf von Gesellschaftsanteilen finde innerhalb der Organe der Gesellschaft statt, so dass die Eigenständigkeit der Geschäftsführung des Eisenbahnunternehmens entsprechend den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 gewährleistet sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

33      Wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangen die Richtlinien 91/440 und 2001/14 keine Privatisierung der Eisenbahn. Art. 3 der Richtlinie 91/440 definiert vielmehr „Eisenbahnunternehmen“ als „jedes … öffentlich-rechtliche oder private Unternehmen“. Der etablierte Betreiber des Eisenbahnsektors kann also öffentlich bleiben.

34      Im Übrigen sieht Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 91/440, der in Abschnitt II („Unabhängigkeit der Geschäftsführung“) steht, vor, dass Eisenbahnunternehmen „eine unabhängige Stellung haben, kraft deren sie insbesondere über ein Vermögen, einen Haushaltsplan und eine Rechnungsführung verfügen, die von Vermögen, Haushaltsplan und Rechnungsführung des Staates getrennt sind“.

35      Die Kommission wirft der Portugiesischen Republik im Wesentlichen vor, dass ihre Regelung jeden Kauf oder jede Veräußerung von Aktien durch die CP, die – wie aus Art. 37 Abs. 1 des Decreto‑Lei Nr. 300/2007 hervorgeht – ihren rein öffentlichen Status beibehalten hat, von einer vorherigen Genehmigung des Transportministers abhängig mache. Aufgrund dieser von den Eisenbahnunternehmen für bestimmte Rechtsakte verlangten vorherigen Genehmigung könnten diese Unternehmen weder als unabhängig noch als gegenüber dem Staat autonom angesehen werden und hätten daher nicht die Möglichkeit, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln.

36      Die Kommission ist der Ansicht, dass aus Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 eindeutig hervorgehe, dass der Staat keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen über den Erwerb oder die Veräußerung von Vermögensgegenständen ausüben dürfe. Diese Bestimmung sieht nämlich vor, dass die Eisenbahnunternehmen insbesondere über Personal, Vermögensgegenstände und Anschaffungen entscheiden können.

37      Im dritten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/440 und im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/12 zur Änderung der Richtlinie 91/440 heißt es dazu, dass die Unabhängigkeit der Eisenbahnunternehmen vom Staat zu gewährleisten ist und dass diese Unternehmen die Möglichkeit haben müssen, ihre internen Angelegenheiten selbst zu regeln.

38      Wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausführt, können die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 zwar die gesamtpolitischen Leitlinien bestimmen, doch darf der Staat, um dem Ziel der Unabhängigkeit der Geschäftsführung der Eisenbahnunternehmen zu genügen, keinen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungen dieser Unternehmen über die Veräußerung oder den Erwerb von Vermögensgegenständen ausüben.

39      Indem die portugiesischen Rechtsvorschriften jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen von einer Genehmigung der Regierung abhängig machen, haben sie außerdem die CP einer externen politischen Kontrolle unterstellt, die in keiner Weise den Modalitäten und den Handlungs‑ und Kontrollmöglichkeiten entspricht, die den Aktionären einer privatrechtlichen Aktiengesellschaft zur Verfügung stehen.

40      Der portugiesische Staat hat folglich eine entscheidende Rolle bei den internen Entscheidungsprozessen der Eisenbahnunternehmen beibehalten, die mit der dem Eisenbahnunternehmen zugestandenen Freiheit, Entscheidungen über die von ihm verwalteten Vermögensgegenstände zu treffen, nicht vereinbar ist.

41      Zwar hat die Portugiesische Republik nach einem Gesetzesvorschlag, der bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist noch nicht angenommen war, die Bedingung der vorherigen Genehmigung abgeschafft, doch ist nach der in Randnr. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, und der Gerichtshof kann spätere Veränderungen nicht berücksichtigen.

42      Die erste Rüge der Kommission ist daher begründet.

 Zur zweiten Rüge: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14

 Vorbringen der Parteien

43      Die Kommission weist darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 Bedingungen festlegen müssten, die sicherstellten, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur ausglichen. In Portugal reichten die Einnahmen aus Wegeentgelten, die staatliche Finanzierung und der Gewinn aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten jedoch nicht aus, um die Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur, der REFER, auszugleichen.

44      Trotz der nationalen Rechtsvorschriften, die den portugiesischen Staat verpflichteten, die Entwicklung des die Infrastruktur betreibenden Unternehmens zu verfolgen, um dessen wirtschaftliches und finanzielles Gleichgewicht sicherzustellen, sowie die Entwicklung der finanziellen Lage des Betreibers der Infrastruktur zu verfolgen, habe sich das finanzielle Ungleichgewicht der REFER nicht zum Positiven entwickelt.

45      Die portugiesische Regierung bestätigt, dass sie sich verpflichtet habe, mit der REFER auf der Grundlage von Mehrjahresverträgen das Niveau der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen für den Betrieb der Infrastruktur festzulegen und die entsprechende Vergütung zu bestimmen. Es sei so möglich, die Ausgeglichenheit der Konten der REFER zu erreichen, die bestimmte gegebene Niveaus der operationellen und technischen Qualität festlege, während die Behörden sich verpflichteten, mit dem erforderlichen Investitionsvolumen und der Art der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung vereinbare Beträge beizusteuern.

46      Es sei vorgesehen, unter Berücksichtigung erstens der eindeutigen Bestimmung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, zweitens der Erforderlichkeit einer Rationalisierung oder Senkung der Betriebskosten und drittens der Notwendigkeit einer schrittweise erfolgenden allmählichen Konvergenz der betreffenden gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung und des dieser entsprechenden finanziellen Ausgleichs durch die öffentliche Hand mit der CP und der REFER Verträge über die gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen abzuschließen.

47      Die portugiesische Regierung macht schließlich geltend, dass sie ein Verfahren eingeleitet habe, das zum Erlass von Rechtsvorschriften führen werde, die die Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Eisenbahnunternehmens gegenüber dem Staat stärkten und die Ausgeglichenheit der Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur durch angemessene Maßnahmen förderten, insbesondere durch Änderung der Entgeltregelung der Eisenbahninfrastruktur und Festlegung der Rechte und Pflichten betreffend den Bau, die Instandhaltung und die Finanzierung der Infrastruktur durch einen Vertrag mit der REFER.

 Würdigung durch den Gerichtshof

48      Die Portugiesische Regierung bestreitet nicht, dass sie bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht die Maßnahmen erlassen hatte, die erforderlich sind, um den Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 nachzukommen, die die Mitgliedstaaten zur Festlegung von Bedingungen verpflichten, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur ausgleichen.

49      Wie in den Randnrn. 24 und 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, muss der Gerichtshof den Sachverhalt jedoch im Hinblick auf die Situation beurteilen, die bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist vorlag.

50      Die zweite Rüge der Kommission ist daher begründet.

 Kosten

51      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Portugiesische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 91/440/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft in der durch die Richtlinie 2001/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 geänderten Fassung sowie aus Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 91/440 in der durch die Richtlinie 2001/12 geänderten Fassung und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung in der durch die Richtlinie 2007/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 geänderten Fassung verstoßen, dass sie jede einzelne Entscheidung über den Erwerb oder die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen durch das öffentliche Eisenbahnunternehmen CP Comboios de Portugal EPE von einer Genehmigung der Regierung abhängig gemacht hat und nicht die nationalen Maßnahmen erlassen hat, die erforderlich sind, um der Verpflichtung zur Festlegung von Bedingungen nachzukommen, die sicherstellen, dass sich die Einnahmen und Ausgaben des Betreibers der Infrastruktur, der Rede Ferroviária Nacional – REFER EP, ausgleichen.

2.      Die Portugiesische Republik trägt die Kosten.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Portugiesisch.