Language of document : ECLI:EU:T:2000:102

BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

7. April 2000 (1)

„Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes - Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels - Zulässigkeit - Fumus boni iuris - Dringlichkeit - Interessenabwägung“

In der Rechtssache T-326/99 R

Nancy Fern Olivieri, Toronto (Kanada), Prozeßbevollmächtigte: Barrister P. Sands und J. Marks sowie Solicitor R. Stein, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Nathan & Noesen, 18, rue des Glacis, Luxemburg,

Antragstellerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater R. Wainwright und durch H. Støvlbæk, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Antragsgegnerin,

unterstützt durch

Apotex Europe Ltd mit Sitz in Leeds (Vereinigtes Königreich), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Bogaert und M. Le Berre, Brüssel, Rechtsanwältin S. Fries, zugelassen in Baden-Württemberg, und Solicitor G. Castle, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. Lutgen, 1, rue Jean-Pierre Brasseur, Luxemburg,

Streithelferin,

wegen Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung der Kommission vom 25. August 1999 über die Zulassung des Humanarzneimittels „Ferriprox“ (ABl. C 270, S. 2)

erläßt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN

folgenden

Beschluß

Rechtlicher Rahmen

Maßgebende Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93

1.
    In Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. L 214, S. 1) heißt es:

„Der mit Artikel 8 der Richtlinie 75/319/EWG geschaffene Ausschuß für Arzneispezialitäten ... ist zuständig für die Formulierung des Gutachtens der [Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln] zu allen Fragen bezüglich der Zulässigkeit der nach dem zentralisierten Verfahren eingereichten Dossiers, der Erteilung, Änderung, Aussetzung oder des Widerrufs einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Humanarzneimittels entsprechend den Bestimmungen dieses Titels sowie bezüglich der Pharmakovigilanz.“

2.
    Nach Artikel 6 Absatz 1 sind „[e]inem Antrag auf Genehmigung eines Humanarzneimittels ... die in den Artikeln 4 und 4a der Richtlinie 65/65/EWG, im Anhang der Richtlinie 75/318/EWG und in Artikel 2 der Richtlinie 75/319/EWG genannten Angaben und Unterlagen beizufügen“.

3.
    Artikel 7 bestimmt:

„Zur Erstellung eines Gutachtens

a)    muß der Ausschuß [für Arzneispezialitäten] prüfen, ob die gemäß Artikel 6 vorgelegten Angaben und Unterlagen den Anforderungen der Richtlinien 65/65/EWG, 75/318/EWG und 75/319/EWG entsprechen, und prüfen, ob die in dieser Verordnung genannten Bedingungen für die Erteilung einer Genehmigung für das Arzneimittel erfüllt sind;

...“

4.
    In Artikel 11 heißt es:

„Unbeschadet der Anwendung anderer Vorschriften des Gemeinschaftsrechts wird die Genehmigung nach Artikel 3 versagt, wenn sich nach Prüfung der gemäß Artikel 6 vorgelegten Angaben und Unterlagen ergibt, daß die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Arzneimittels vom Antragsteller nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen werden konnte.

...“

5.
    Artikel 13 Absatz 2 lautet:

„In Ausnahmefällen und nach Konsultation des Antragstellers kann eine Genehmigung vorbehaltlich besonderer Bedingungen erteilt werden, die jährlich von der Agentur neu beurteilt werden.

Solche Ausnahmeentscheidungen können nur aufgrund objektiver und nachweisbarer Argumente getroffen werden und müssen sich auf einen der in Teil 4 Abschnitt G des Anhangs der Richtlinie 75/318/EWG genannten Gründe stützen.“

6.
    In Artikel 68 Absatz 2 heißt es:

„Eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels, das in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, darf nur entsprechend den in dieser Verordnung festgelegten Verfahren erteilt ... werden.“

Maßgebende Vorschriften des Anhangs der Richtlinie 75/318/EWG

7.
    Der Anhang der Richtlinie 75/318/EWG des Rates vom 20. Mai 1975 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die analytischen, toxikologisch-pharmakologischen und ärztlichen oder klinischen Vorschriften und Nachweise über Versuche mit Arzneimittelspezialitäten (ABl. L 147, S. 1) wurde durch den Anhang der Richtlinie 91/507/EWG der Kommission vom 19. Juli 1991 (ABl. L 270, S. 32) ersetzt.

8.
    In Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318 sind die Voraussetzungen festgelegt, denen die dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels beizufügenden Angaben und Unterlagen entsprechen müssen.

9.
    In der zweiten Begründungserwägung zu Teil 4 dieses Anhangs wird die klinische Prüfung definiert als „systematische Untersuchung von Arzneimitteln am Menschen, sowohl bei Patienten als auch bei gesunden Probanden, um die Wirkungen und/oder unerwünschten Reaktionen eines Prüfpräparates festzustellen oder zu bestätigen sowie Resorption, Verteilung, Stoffwechsel und Exkretion eines Wirkstoffs zu untersuchen und die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels zu sichern“.

10.
    In Abschnitt C von Teil 4 des Anhangs ist die Vorlage der Ergebnisse der klinischen Prüfungen geregelt. In Abschnitt C Nummer 1 heißt es:

„Die Angaben über ärztliche oder klinische Versuche müssen so ausführlich sein, daß sie eine objektive Beurteilung gestatten:

...

-    vom Prüfer unterzeichneter Abschlußbericht. Für Multicenterstudien unterzeichnen alle Prüfer oder der koordinierende Prüfer.“

11.
    Abschnitt G von Teil 4 des Anhangs behandelt die Dokumentation, die bei Anträgen unter außergewöhnlichen Umständen vorzulegen ist. Er lautet:

„Sofern ein Antragsteller nachweisen kann, daß er aus folgenden Gründen in bezug auf bestimmte Heilanzeigen keine vollständigen Auskünfte über die Qualität, Wirksamkeit bzw. Unbedenklichkeit bei bestimmungsgemäßem Gebrauch erteilen kann, weil

-    die Indikation, für die das Arzneimittel bestimmt ist, so selten vorkommt, daß dem Antragsteller billigerweise nicht zugemutet werden kann, die vollständigen Angaben vorzulegen, [oder]

-    beim jeweiligen Stand der Wissenschaft es nicht möglich ist, vollständige Auskünfte zu erteilen, ...

...

kann die Genehmigung für das Inverkehrbringen mit folgenden Auflagen erteilt werden:

a)    Der Antragsteller führt innerhalb eines von der zuständigen Behörde festgelegten Zeitraums ein bestimmtes Versuchsprogramm durch, dessen Ergebnisse die Grundlage einer Neubeurteilung des Nutzen/Risiko-Profils bilden;

b)    das Arzneimittel darf nur auf ärztliche Verschreibung abgegeben werden; gegebenenfalls darf es nur unter strenger ärztlicher Kontrolle, möglicherweise in Krankenhäusern, verabreicht werden; radioaktive Arzneimittel werden nur von dazu befugten Personen verabreicht;

c)    in der Packungsbeilage und in der für Ärzte bestimmten Information müssen diese darauf aufmerksam gemacht werden, daß für bestimmte namentlich bezeichnete Gebiete noch keine ausreichenden Angaben über das betreffende Arzneimittel vorliegen.“

Sachverhalt

12.
    Thalassaemia major ist eine genetische Krankheit, die sich in einer schweren Anämie äußert. Zu ihrer Behandlung sind häufige Bluttransfusionen unerläßlich. Diese führen indessen zu einer erhöhten Eisenkonzentration in den Organen des Patienten. Da der Körper über keine natürliche Möglichkeit verfügt, den erhöhten Eisenspiegel abzubauen, kommt es durch den Anstieg des Eisengehalts insbesondere zu Schäden an Herz und Leber, die die Lebenserwartung des Patienten verkürzen.

13.
    Als pharmakologische Behandlung zur Bekämpfung des erhöhten Eisenspiegels ist gegenwärtig Deferoxamin verfügbar. Die Behandlung mit Deferoxamin ist aber unangenehm, da sie durch subkutane Infusionen erfolgt, die mehrmals wöchentlichvorgenommen werden müssen und jeweils bis zu zwölf Stunden dauern können. Außerdem kann es zu einer Überempfindlichkeit gegenüber dem Mittel kommen.

14.
    Dr. Nancy Fern Olivieri ist eine weltweit anerkannte Spezialistin für diese Krankheit. Im Rahmen ihrer Forschungen zur Behandlung an dieser Krankheit leidender Patienten hat sie seit 1989 eingehende Studien und umfangreiche Untersuchungen von Deferipron vorgenommen, einem oral verabreichten Eisenchelatbildner.

15.
    Von 1989 bis Mai 1996 nahm die Antragstellerin als Prüferin an drei klinischen Prüfungen von Deferipron teil, die zum Teil von der Firma Apotex finanziert wurden und die Bezeichnungen LA-01, LA-02 und LA-03 trugen. Bei den Prüfungen LA-01 und LA-03 war sie koordinierende Prüferin.

16.
    Mit der Prüfung LA-01, einer randomisierten Prüfung von Deferipron und Deferoxamin, sollte die relative Wirksamkeit der beiden Substanzen ermittelt werden. Die Prüfung LA-03 galt der Beurteilung der Wirksamkeit und der Verwendungssicherheit von Deferipron auf lange Sicht. Am 24. Mai 1996 brach Apotex die Prüfungen LA-01 und LA-03 vorzeitig ab.

17.
    Die Prüfung LA-02 war eine gezielte Sicherheitsprüfung für Funktionsstörungen des Knochenmarks und der Gelenke. Die Antragstellerin nahm an dieser Prüfung nicht bis zu ihrem Ende teil.

18.
    Keiner der drei Berichte über die klinischen Prüfungen trägt die Unterschrift der Antragstellerin.

19.
    Bei einer nach den Prüfungen LA-01 und LA-03 angestellten Untersuchung gelangte die Antragstellerin zu dem Ergebnis, daß Deferipron Herz und Leber schädige und daß seine Verwendung beträchtliche Risiken für Herzerkrankungen und den Eintritt einer Leberfibrose berge. Sie brach sofort Versuche mit dem Mittel an Menschen ab.

20.
    Am 6. Februar 1998 reichte Apotex Europe Ltd (nachstehend: Apotex) bei der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (nachstehend: Agentur) gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2309/93 einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels „Ferriprox“ mit dem Wirkstoff Deferipron ein. Dieses Arzneimittel, das den Vorzug oraler Verabreichung aufweist, soll wie Deferoxamin der Bekämpfung eines zu hohen Eisenspiegels dienen.

21.
    Bei diesem Arzneimittel wurde das zentralisierte Genehmigungsverfahren angewandt.

22.
    Während des Prüfungsverfahrens gab Apotex schriftliche und mündliche Erklärungen ab, und am 27. Januar 1999 erstellte der Ausschuß fürArzneispezialitäten (nachstehend: Ausschuß) ein positives Gutachten für die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels, wobei er vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne von Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2309/93 und Abschnitt G von Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318 ausging.

23.
    Da Apotex nicht widersprach, wurde das positive Gutachten des Ausschusses als endgültig behandelt und von der Agentur am 4. März 1999 der Kommission übermittelt. Diese Information wurde im April 1999 veröffentlicht.

24.
    Am 28. April 1999 teilte die Antragstellerin, nachdem sie von dieser Information erfahren hatte, der Agentur ihre Bedenken wegen der durch das Inverkehrbringen von Ferriprox drohenden Gesundheitsrisiken mit. Sie betonte insbesondere die Gefahr von Leberfibrosen für Patienten, die mit Deferipron behandelt würden.

25.
    Am 20. Mai 1999 teilte der Präsident des Ausschusses der Kommission mit, er habe neue, möglicherweise wichtige Informationen über die Sicherheit von Deferipron erhalten, die er sofort im Licht früherer Angaben untersuchen lassen werde, um festzustellen, ob sich das Nutzen/Risiko-Profil dadurch ändere. Der Ausschuß fragte die Kommission nach dem in solchen Fällen anzuwendenden Verfahren. Zugleich wurde Apotex aufgefordert, das Dossier über den Genehmigungsantrag um alle zusätzlich verfügbaren Angaben zu ergänzen oder zu bestätigen, daß der Agentur sämtliche gegenwärtig verfügbaren Angaben zur Gefahr von Leberfibrose übermittelt worden seien.

26.
    Mit Schreiben vom 15. Juni 1999 ersuchte die Kommission den Ausschuß um Prüfung, „ob es neue wissenschaftliche oder technische Fragen gibt, die im Gutachten der Agentur nicht behandelt worden sind“.

27.
    In den Monaten Mai und Juni 1999 stand die Antragstellerin wegen ihrer Bedenken in bezug auf Deferipron sowohl über ihre Rechtsanwälte als auch unmittelbar in regelmäßigem Kontakt zur Agentur.

28.
    Am 21. Juni 1999 trat eine bei der Agentur gebildete Ad-hoc-Arbeitsgruppe von Sachverständigen (nachstehend: Ad-hoc-Gruppe) zusammen, um die neuen Informationen zur Sicherheit des Erzeugnisses und deren Implikationen zu untersuchen.

29.
    Aufgrund der Empfehlungen der Ad-hoc-Gruppe beschloß der Ausschuß, sein positives Gutachten für die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ferriprox in Anbetracht außergewöhnlicher Umstände aufrechtzuerhalten, sprach sich aber für eine Überarbeitung der Entwürfe für die Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels und der Packungsbeilage aus, um die Angaben zum Risiko der Leberfibrose zu erweitern. Am 23. Juni 1999 verabschiedete derAusschuß ein geändertes Gutachten, über das die Agentur am 7. Juli 1999 die Kommission informierte.

30.
    Das geänderte Gutachten des Ausschusses wurde in einen geänderten Entscheidungsentwurf eingearbeitet. Nachdem der in Artikel 73 der Verordnung Nr. 2309/93 vorgesehene Ständige Ausschuß für Humanarzneimittel am 13. August 1999 eine befürwortende Stellungnahme zum geänderten Entscheidungsentwurf abgegeben hatte, erließ die Kommission am 25. August 1999 die Entscheidung über die Zulassung des Humanarzneimittels Ferriprox (nachstehend: angefochtene Entscheidung), die Apotex am 2. September 1999 mitgeteilt wurde. Sie wurde gemäß Artikel 12 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2309/93 am 24. September 1999 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht (ABl. C 270, S. 2).

Verfahren

31.
    Mit Klageschrift, die am 19. November 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Antragstellerin Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 25. August 1999 über die Zulassung des Arzneimittels Ferriprox und des geänderten Gutachtens des Ausschusses vom 23. Juni 1999 erhoben.

32.
    Mit besonderem Schriftsatz, der am gleichen Tag eingegangen ist, hat die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung eingereicht.

33.
    Am 9. Dezember 1999 hat die Kommission zu diesem Antrag Stellung genommen.

34.
    Am 17. Januar 2000 hat die Antragstellerin schriftlich auf die Stellungnahme der Kommission geantwortet. Auf das Ersuchen, sich zu einem speziellen Punkt in der Antwort der Antragstellerin zu äußern, hat die Kommission am 28. Januar 2000 erneut Stellung genommen.

35.
    Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2000, der am 7. Februar in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist, hat die Antragstellerin beantragt, die Vorlage mehrerer in den Stellungnahmen der Kommission genannten Dokumente sowie weiterer Dokumente durch die Kommission anzuordnen.

36.
    Am 7. Februar 2000 hat die Antragstellerin eine geänderte Fassung ihrer Antwort auf die Stellungnahme der Kommission vom 28. Januar 2000 sowie neue Anlagen eingereicht.

37.
    Am 10. Februar 2000 hat die Kommission einige der im Schriftsatz der Antragstellerin vom 4. Februar 2000 genannten Schriftstücke vorgelegt. Sie hat jedoch mitgeteilt, daß andere Schriftstücke nicht übermittelt werden könnten, weil sie vertrauliche Angaben enthielten oder ihr nicht zur Verfügung stünden.

38.
    Mit Schriftsatz, der am 1. Dezember 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Apotex ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission im Verfahren der einstweiligen Anordnung beantragt.

39.
    Dieser Antrag auf Zulassung als Streithelferin ist den Parteien gemäß Artikel 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts übermittelt worden, die hierzu fristgerecht Stellung genommen haben.

40.
    Mit Beschluß vom 1. Februar 2000 hat der Präsident des Gerichts Apotex als Streithelferin zugelassen und ihr gestattet, ihren Standpunkt in der Anhörung mündlich vorzutragen.

41.
    Die Beteiligten haben sich am 15. Februar 2000 mündlich geäußert.

42.
    Am 16. Februar 2000 hat die Kommission eine nicht vertrauliche Fassung des Dokuments in Anlage 1 ihrer Stellungnahme vorgelegt, die den übrigen Beteiligten sofort übermittelt worden ist.

Rechtliche Würdigung

43.
    Gemäß den Artikeln 242 EG und 243 EG in Verbindung mit Artikel 4 des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) in der Fassung des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG des Rates vom 8. Juni 1993 (ABl. L 144, S. 21) kann das Gericht, wenn es dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

44.
    Artikel 104 § 2 der Verfahrensordnung bestimmt, daß Anträge auf einstweilige Anordnungen die Umstände anführen müssen, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt; ferner ist die Notwendigkeit der beantragten Anordnungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft zu machen (Fumus boni iuris). Diese Voraussetzungen müssen nebeneinander erfüllt sein, so daß ein Antrag auf Aussetzung des Vollzugs zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Slg. 1999, II-2027, Randnr. 42). Das Gericht nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der bestehenden Interessen vor (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Slg. 1999, I-4011, Randnr. 59, sowie Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 21. Juli 1999 in der Rechtssache T-191/98 R, DSR-Senator Lines/Kommission, Slg. 1999, II-2531, Randnr. 22, und vom 25. November 1999 in der Rechtssache T-222/99 R, Martinez und de Gaulle/Parlament, Slg. 1999, II-3397, Randnr. 22).

Zur Zulässigkeit

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

45.
    Die Antragstellerin meint, ihr müsse die Antragsbefugnis zuerkannt werden.

46.
    Erstens sei sie individuell betroffen, weil ihr nach der anwendbaren Regelung in Abschnitt C Nummer 1 von Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318, die vorsehe, daß der Abschlußbericht über klinische Versuche vom Prüfer zu unterzeichnen sei, ein Recht auf Teilnahme am Verfahren zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung zugestanden habe.

47.
    Der Ausschuß habe sich bei der Beurteilung von Ferriprox auf die Prüfungen LA-01 und LA-03 gestützt, deren koordinierende Prüferin sie gewesen sei und deren Ergebnisse in die Berichte übernommen worden seien, die sie nicht unterzeichnet habe. Dadurch sei gegen Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2309/93 verstoßen worden, der durch Verweisung auf den Anhang der Richtlinie 75/318 vorschreibe, daß die an die Agentur gehenden Berichte vom Prüfer unterzeichnet sein müßten.

48.
    Außerdem habe die Ad-hoc-Gruppe die Bedeutung der Rolle der Antragstellerin im Prüfungsverfahren sowie den Ernst der von ihr aufgeworfenen Fragen anerkannt.

49.
    Zweitens sei sie wegen bestimmter besonderer Eigenschaften individuell betroffen. Die Genehmigung sei nämlich auf der Grundlage der von ihr geleiteten Prüfungen erteilt worden. Sie sei daher die einzige Person, die bestätigen könne, daß die Ergebnisse der klinischen Versuche im Genehmigungsantrag von Apotex ordnungsgemäß dargestellt worden seien. Sie sei auch die Einzige, deren Ruf durch das Vertrauen geschädigt werde, das die Kommission den Berichten über die klinischen Prüfungen geschenkt habe, für die sie die Hauptverantwortung trage und deren Ergebnisse verfälscht worden seien.

50.
    Die Kommission verneint die Antragsbefugnis der Antragstellerin, weil diese von der angefochtenen Entscheidung weder individuell im Sinne des Urteils des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62 (Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213) noch unmittelbar betroffen sei.

51.
    Erstens verleihe die anwendbare Regelung Dritten kein Recht zur Teilnahme am Verfahren zur Genehmigung des Inverkehrbringens eines Arzneimittels. Sie verschaffe auch keine Verfahrensgarantie, die einem Dritten gestatten würde, seine berechtigten Interessen geltend zu machen, und auf deren Verletzung er sich berufen könnte (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, Cofaz u. a./Kommission, Slg. 1986, 391, Randnr. 23, und vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache 75/84, Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021, Randnr. 22; Urteile des Gerichts vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache T-37/92, BEUC und NCC/Kommission, Slg. 1994, II-285, Randnr. 36, und vom 27. April 1995 in der Rechtssache T-96/92, CCE de la Société générale des grandes sources u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1213, Randnrn. 31 ff.). Die Pflicht desPrüfers zur Unterzeichnung der Berichte über die von ihm durchgeführten Prüfungen, die sich aus Artikel 6 der Verordnung Nr. 2309/93 ergebe, der auf den Anhang der Richtlinie 75/318 verweise, stelle keine „Verfahrensgarantie“ für ihn dar. Folglich sei die Beteiligung der Antragstellerin am Verfahren zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung für sich genommen nicht geeignet, sie in bezug auf diese zu individualisieren, weil die anwendbare Regelung kein subjektives Recht auf Anhörung oder auf Berücksichtigung ihrer Interessen vorsehe (Beschluß des Gerichts vom 3. Juni 1997 in der Rechtssache T-60/96, Merck u. a./Kommission, Slg. 1997, II-849, Randnr. 73).

52.
    Ferner seien die Ergebnisse der Prüfungen LA-01 und LA-03, die sich in den von der Antragstellerin nicht unterzeichneten Berichten befänden, für die Beurteilung durch den Ausschuß nicht entscheidend gewesen. Die fehlende Unterschrift sei auf die Entdeckung von Problemen bei der Durchführung der Prüfungen zurückzuführen, die deren Beendigung durch Apotex gerechtfertigt hätten. Apotex sei nach der anwendbaren Regelung jedenfalls verpflichtet gewesen, jede Information über die Beurteilung des betreffenden Arzneimittels einschließlich der vom Prüfer nicht unterzeichneten Berichte vorzulegen.

53.
    Schließlich habe die Genehmigung des Inverkehrsbringens, da sie aufgrund „außergewöhnlicher Umstände“ erfolgt sei, erteilt werden können, ohne daß alle erforderlichen klinischen Daten vorgelegen hätten.

54.
    Zweitens sei die Antragstellerin nicht infolge besonderer Eigenschaften und/oder tatsächlicher Umstände individuell betroffen.

55.
    Die Auswirkungen der angefochtenen Entscheidung auf den Ruf der Antragstellerin seien nicht geeignet, diese zu individualisieren. Die Verordnung Nr. 2309/93 gestatte der Kommission nicht, Gesichtspunkte wie die von der Antragstellerin angeführten zu berücksichtigen. Artikel 68 dieser Verordnung sei zu entnehmen, daß nur die Kriterien der Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität des Produkts und kein anderes bei der Entscheidung über die Erteilung einer Genehmigung heranzuziehen seien (Urteile des Gerichtshofes vom 26. Januar 1984 in der Rechtssache 301/82, Clin-Midy, Slg. 1984, 251, vom 7. Dezember 1993 in der Rechtssache C-83/92, Pierrel u. a., Slg. 1993, I-6419, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531).

56.
    Selbst wenn man unterstelle, daß allein die Antragstellerin bestätigen könne, daß die Ergebnisse der von ihr durchgeführten Prüfungen von Apotex nicht verfälscht worden seien, wäre sie deshalb von der angefochtenen Entscheidung nicht individuell betroffen, da ihre Einwände von der Agentur geprüft worden seien und der Ausschuß ein geändertes Gutachten abgegeben habe.

57.
    Die Antragstellerin sei von der angefochtenen Entscheidung auch nicht unmittelbar betroffen. Sie habe nämlich nicht dargetan, daß diese unmittelbar ihren Rufbeeinträchtige. Ihre Befürchtungen seien nicht ausreichend substantiiert und stichhaltig, um einen offensichtlichen Kausalzusammenhang zwischen der angefochtenen Entscheidung und deren angeblichen negativen Folgen für sie zu belegen. Eine Schädigung des Rufes der Antragstellerin resultiere jedenfalls nicht aus der angefochtenen Entscheidung, sondern aus der angeblichen Verfälschung der Ergebnisse ihrer Berichte, die Apotex vorgelegt habe.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

58.
    Gemäß Artikel 104 § 1 Absatz 2 der Verfahrensordnung ist ein Antrag auf einstweilige Anordnung nur zulässig, wenn er von einer Partei eines beim Gericht anhängigen Rechtsstreits gestellt wird. Diese Regelung ist keine bloße Formalität, sondern setzt voraus, daß die dem Antrag auf einstweilige Anordnung zugrunde liegende Klage vom Gericht tatsächlich geprüft werden kann.

59.
    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Zulässigkeit der Klage im Rahmen eines Verfahrens der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht zu prüfen, um der Entscheidung zur Hauptsache nicht vorzugreifen. Wird wie im vorliegenden Fall geltend gemacht, daß die dem Antrag auf einstweilige Anordnung zugrunde liegende Klage offensichtlich unzulässig sei, kann es sich jedoch als erforderlich erweisen, das Vorliegen bestimmter Anhaltspunkte festzustellen, aus denen sich schließen läßt, ob die Zulässigkeit der Klage glaubhaft gemacht ist (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 27. Januar 1988 in der Rechtssache 376/87 R, Distrivet/Rat, Slg. 1988, 209, Randnr. 21; Beschlüsse des Präsidenten des Gerichts vom 30. Juni 1999 in der Rechtssache T-13/99 R, Pfizer Animal Health/Rat, Slg. 1999, II-1961, Randnr. 121, und vom 15. Februar 2000 in der Rechtssache T-1/00 R, Hölzl u. a./Kommission, Slg. 2000, II-251, Randnr. 21).

60.
    Im vorliegenden Fall ist die angefochtene Entscheidung nicht an die Antragstellerin gerichtet. Sie hat daher darzutun, daß es Anhaltspunkte für die Annahme gibt, daß diese Entscheidung sie im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG unmittelbar und individuell betrifft.

61.
    Als Beleg dafür, daß die angefochtene Entscheidung sie individuell betrifft, beruft sich die Antragstellerin insbesondere auf das Recht zur Teilnahme am Verfahren zum Erlaß dieses Rechtsakts, das ihr die anwendbare Regelung verleihe.

62.
    Insoweit entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß der Umstand, daß eine Person in irgendeiner Weise an dem Verfahren beteiligt ist, das zum Erlaß eines Rechtsakts der Gemeinschaft führt, nur dann geeignet ist, diese Person hinsichtlich des fraglichen Rechtsakts zu individualisieren, wenn die anwendbare Gemeinschaftsregelung ihr bestimmte Verfahrensgarantien einräumt (Beschlüsse des Gerichts vom 9. August 1995 in der Rechtssache T-585/93, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2205, Randnrn. 56 und 63, und vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache T-12/96, Area Cova u. a./Rat und Kommission, Slg. 1999, II-2301, Randnr. 59; Urteile des Gerichts vom 13. Dezember 1995 in den RechtssachenT-481/93 und T-484/93, Exporteurs in Levende Varkens u. a./Kommission, Slg. 1995, II-2941, Randnr. 55, und vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-398/94, Kahn Scheepvaart/Kommission, Slg. 1996, II-477, Randnrn. 48 und 49).

63.
    Keine Bestimmung der anzuwendenden Gemeinschaftsregelung schreibt der Kommission vor, vor Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels ein Verfahren durchzuführen, in dem andere Personen als der Antragsteller u. a. Anspruch darauf hätten, gehört zu werden.

64.
    Abschnitt C Nummer 1 von Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318 bestimmt indessen, daß die Angaben über ärztliche oder klinische Versuche so ausführlich sein müssen, daß sie eine objektive Beurteilung gestatten, und legt fest, daß der Abschlußbericht vom Prüfer und bei Multicenterstudien von allen Prüfern oder vom koordinierenden Prüfer zu unterzeichnen ist.

65.
    Zwar stellt diese Vorschrift keine Verfahrensgarantie dar, weil sie keine Beteiligung des Prüfers am Verfahren zum Erlaß des Rechtsakts bei der Agentur und der Kommission vorschreibt, doch kann nicht ausgeschlossen werden, daß ein Verstoß gegen sie geeignet sein kann, den Prüfer, dessen Unterschrift auf dem der Agentur übergebenen Abschlußbericht fehlt, hinsichtlich des Rechtsakts, mit dem das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels genehmigt wird, zu individualisieren. Die Durchführung der klinischen Versuche durch den Prüfer stellt nämlich eine unerläßliche Voraussetzung für jeden Genehmigungsantrag dar, und seine Unterschrift auf dem Abschlußbericht stellt die Echtheit der darin enthaltenen Angaben sicher.

66.
    Zudem enthalten die Verordnung Nr. 2309/93 und die Rechtsakte, auf die sie verweist, genaue Bestimmungen über die Form von Genehmigungsanträgen für das Inverkehrbringen, ihre Behandlung und die anschließenden Entscheidungen. Insbesondere sieht Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2309/93 folgendes vor: „Einem Antrag auf Genehmigung eines Humanarzneimittels sind die in den Artikeln 4 und 4a der Richtlinie 65/65/EWG, im Anhang der Richtlinie 75/318/EWG und in Artikel 2 der Richtlinie 75/319/EWG genannten Angaben und Unterlagen beizufügen.“ Die Einhaltung der Vorschriften des Artikels 6 Absatz 1 dieser Verordnung ist wesentlich, um das grundlegende Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu erreichen (vgl. analog dazu Urteil Norbrook Laboratories, Randnrn. 40 und 41).

67.
    Im vorliegenden Fall genügt für eine erste Beurteilung der Zulässigkeit der Klage die Feststellung, daß die Berichte über die Prüfungen LA-01 und LA-03, bei denen die Antragstellerin koordinierende Prüferin war, von ihr nicht unterzeichnet wurden.

68.
    Ferner kann ein Antragsteller nach der Rechtsprechung unabhängig davon, ob die berührten Interessen wirtschaftlicher oder sonstiger Art sind, geltend machen, voneinem Akt in einer Weise betroffen zu sein, die ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebe (Beschluß Greenpeace u. a./Kommission, Randnr. 50). Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß sich die Antragstellerin als anerkannte Spezialistin für die Behandlung an Thalassaemia major erkrankter Personen und als koordinierende Prüferin für die Versuche LA-01 und LA-03 auf ein Interesse an der Erhaltung der Gesundheit dieser Personen berufen kann.

69.
    Folglich ist, da die anwendbare Regelung geschaffen wurde, um den Schutz eines hohen Niveaus der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen, und da die Antragstellerin sich auf ihr Interesse am Schutz der öffentlichen Gesundheit beruft, davon auszugehen, daß es Anhaltspunkte dafür gibt, daß die Antragstellerin von der angefochtenen Entscheidung individuell betroffen sein könnte.

70.
    Ferner ist die Antragstellerin, da die Gefahr einer Beeinträchtigung der öffentlichen Gesundheit eine unmittelbare Folge des Inverkehrbringens von Ferriprox wäre, von der angefochtenen Entscheidung auf den ersten Blick auch unmittelbar betroffen. Die Absicht von Apotex, Gebrauch von der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ferriprox zu machen, steht nämlich außer Zweifel (vgl. analog dazu Urteil des Gerichts vom 27. April 1995 in der Rechtssache T-435/93, ASPEC u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1281, Randnr. 60).

71.
    Demzufolge ist davon auszugehen, daß es Anhaltspunkte dafür gibt, daß die dem Antrag auf einstweilige Anordnung zugrunde liegende Klage für zulässig erklärt werden könnte.

Zum Fumus boni iuris

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

72.
    In ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung verweist die Antragstellerin auf die Klagegründe, die sie im Rahmen ihrer Nichtigkeitsklage geltend macht, um so die Notwendigkeit der Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung glaubhaft zu machen.

73.
    Erstens sei die angefochtene Entscheidung auf die Angaben in dem von Apotex eingereichten Genehmigungsantrag gestützt. Entgegen den Artikeln 7 und 11 der Verordnung Nr. 2309/93 seien diese Angaben aber nicht überprüft worden.

74.
    Zweitens seien offensichtliche Beurteilungsfehler bei der Würdigung dieses Antrags begangen worden. Die bekannten Untersuchungen, die sie und unabhängige Forscher zur Sicherheit und Wirksamkeit von Deferipron durchgeführt hätten, seien nicht oder zumindest nicht in befriedigender Weise berücksichtigt worden.

75.
    Drittens sei Artikel 13 der Verordnung Nr. 2309/93, der die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in „Ausnahmefällen“ zulasse, fehlerhaft angewandt worden. Insbesondere habe die Kommission bei derAnwendung dieser Bestimmung keine vernünftige Abwägung zwischen der erhöhten Gefahr von Schäden in Zusammenhang mit der Verwendung von Deferipron und der therapeutischen Wirksamkeit dieses Produkts für die Kranken vorgenommen. Außerdem habe die Kommission nicht ausreichend berücksichtigt, daß nur eine geringe Zahl von Personen an dieser Krankheit leide und die meisten von ihnen mit bewährten und sicheren Methoden behandelt werden könnten. Die Kommission habe daher im vorliegenden Fall die Existenz eines Ausnahmefalls nicht belegen können.

76.
    Viertens habe die Kommission, als sie auf das Verfahren in Ausnahmefällen nach Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 2309/93 zurückgegriffen und dies damit begründet habe, Deferipron sei ein Mittel, das für die Gruppe der Patienten erforderlich sei, die keine anderen Arzneien verwenden könnten, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Da weltweit nur 40 Personen zu dieser Gruppe gehörten, hätte die angemessene Entscheidung darin bestanden, die Anwendung von Deferipron im Rahmen eines streng kontrollierten klinischen Versuchs auf diese Gruppe zu begrenzen. Dann wären Patienten, die nicht zu dieser Gruppe gehörten, nicht unnötig erheblichen gesundheitlichen Gefährdungen ausgesetzt worden.

77.
    Fünftens schließlich sei der Vorsorgegrundsatz verkannt worden. Die Ergebnisse der Ad-hoc-Gruppe zeigten, daß die von der Antragstellerin gelieferten Informationen die bereits bestehenden Zweifel verstärkt hätten („reinforce the already existing doubts“). Die Erteilung der Genehmigung sei unter solchen Umständen mit dem Vorsorgegrundsatz unvereinbar, dem zufolge bei Zweifeln Zurückhaltung angebracht sei.

78.
    In ihrer Stellungnahme zu den Erklärungen der Kommission macht die Antragstellerin geltend, diese habe die Gefahren, die Deferipron für die menschliche Gesundheit aufweise, unterbewertet. Die Desensibilisierung und die Behandlung mit Diäthylentriaminopentaessigsäure (DTPA) seien für die Gruppe von Patienten, für die Deferipron zugelassen sei, nämlich für diejenigen, die unter Allergien oder einer Überempfindlichkeit gegenüber Deferoxamin litten, therapeutische Ersatzlösungen für Deferipron. DTPA sei zwar nicht hierfür zugelassen, dürfe aber bei anderen Indikationen als der, für die es zugelassen sei, von Ärzten verschrieben werden.

79.
    Außerdem sei nicht der Nachweis erbracht worden, daß Patienten, die Allergie- oder Toxizitätsprobleme bei Deferoxamin gehabt hätten, anschließend mit Deferipron sicherer behandelt worden seien oder hätten behandelt werden können. Die Versuche, die Apotex nach den Bedingungen der Genehmigung für das Inverkehrbringen (auf der Grundlage von Ergebnissen einer Untersuchung mit der Bezeichnung LA-06) durchzuführen habe, seien lediglich eine Fortsetzung des Versuchs LA-02. Dieser habe aber nicht Patienten gegolten, die eine Behandlung mit Deferoxamin nicht vertrügen, und der Versuch LA-06 könne keine verläßlichenErgebnisse zur sicheren Verwendung von Deferipron bei Leberfibrose und Herzerkrankungen liefern. Folglich hätte das Fehlen von Nachweisen den Ausschuß dazu veranlassen müssen, Apotex vor Erstellung eines positiven Gutachtens zur Genehmigung für das Inverkehrbringen aufzufordern, einen neuen klinischen Versuch durchzuführen.

80.
    Ferner beruhe die Beurteilung von Deferipron auf unzutreffenden und irreführenden Angaben von Apotex, die insbesondere in dem den Stellungnahmen der Kommission beigefügten Bericht über den Versuch LA-01 enthalten seien, dessen koordinierende Prüferin sie gewesen sei.

81.
    Zu beanstanden seien auch die Heranziehung von Serumferritin bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Deferipron und die von der Kommission daraus gezogenen Schlüsse sowie die Beurteilung der Toxizität von Deferipron für Leber und Herz.

82.
    Sämtliche in der Erwiderung gerügten Fehler hätten vermieden werden können, wenn Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben, die Apotex der Agentur gemacht habe, nachgeprüft worden wären.

83.
    In der mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin auf eine Frage des Richters der einstweiligen Anordnung ausdrücklich bestätigt, daß sie den Klagegrund einer Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend mache, weil die Berichte über die Versuche LA-01 und LA-03, bei denen sie koordinierende Prüferin gewesen sei, nicht von ihr unterzeichnet worden seien.

84.
    Die Kommission ist zunächst der Auffassung, daß die Antragstellerin nicht nachgewiesen habe, daß offensichtliche Beurteilungsfehler begangen worden seien. Alle von der Antragstellerin vorgetragenen Gesichtspunkte seien im Prüfbericht des Ausschusses vom Januar 1999 und in dessen Ergänzung vom Juni 1999 gebührend berücksichtigt worden. Der Ausschuß habe nämlich sowohl die im Genehmigungsantrag enthaltenen als auch die von der Antragstellerin gemachten Angaben zur Wirksamkeit und Sicherheit von Deferipron eingehend untersucht und nachgeprüft.

85.
    Entgegen der Behauptung der Antragstellerin habe der Ausschuß sämtliche Angaben im Genehmigungsantrag nachgeprüft, wie dies in den Artikeln 7 und 11 der Verordnung Nr. 2309/93 vorgeschrieben sei. Eine unabhängige Untersuchung oder Sonderuntersuchungen, die über die vom Sekretariat der Agentur durchgeführte Validierung hinausgingen, seien nicht erforderlich.

86.
    Die Pflicht des Ausschusses, eine vollständige Prüfung der Angaben im Genehmigungsantrag für das Inverkehrbringen vorzunehmen, um Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels festzustellen, sei im Fall von Deferipron erfüllt worden.

87.
    Die Rüge der fehlenden Wirksamkeit von Deferipron sei falsch. Es habe sich bei einer Gesamtheitsbetrachtung der Probanden als wirksam erwiesen. Den veröffentlichten Daten sei zu entnehmen, daß die Nichtüberschreitung einer Schwelle von 2 500 mcg/l Ferritin der wesentliche Faktor für das Überleben der an Thalassämie erkrankten Personen ohne Herzerkrankung sei. Auf der Grundlage der Angaben im Genehmigungsantrag von Apotex sei der Ausschuß zu dem Ergebnis gelangt, daß Deferipron eine Erhöhung der Konzentrationen von Serumferritin über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr wirksam verhindere. Insbesondere der Versuch LA-02 habe gezeigt, daß diese Konzentrationen bei 54 % der Patienten nach einem Jahr unter 2 500 mcg/l gelegen hätten, wobei ein ähnlicher Anteil (58 %) der an dem Versuch beteiligten Patienten bei dessen Beginn Konzentrationen von weniger als 2 500 mcg/l Serumferritin aufgewiesen habe. Außerdem seien nach einem Jahr der Behandlung die durchschnittlichen Konzentrationen von Serumferritin tatsächlich zurückgegangen.

88.
    Außerdem habe die Untersuchung einer Untergruppe gezeigt, daß selbst bei den Patienten mit dem größten Eisenüberschuß (mehr als 5 000 mcg/l zu Beginn des Versuchs) die durchschnittlichen Konzentrationen von Serumferritin allmählich abgenommen hätten.

89.
    Auch die Toxizität von Deferipron für die Herz- und Leberfunktionen sei nicht erwiesen. Trotz einer gründlichen Prüfung der Informationen der Antragstellerin und von Apotex sei die Ad-hoc-Gruppe zu der Auffassung gelangt, daß die neuen Daten nicht den Schluß auf einen Zusammenhang zwischen der Behandlung mit Deferipron und der Leberfibrose zuließen. Sie habe sich daher auf den Standpunkt gestellt, daß kein Anlaß bestehe, das Gutachten, in dem die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen in Ausnahmefällen befürwortet worden sei, zu überdenken.

90.
    Die Ad-hoc-Gruppe habe in ihren Empfehlungen an den Ausschuß vorgeschlagen, die Beschränkungen bei den Indikationen beizubehalten, den Arzt über das Fehlen endgültiger Ergebnisse bezüglich des Zusammenhangs zwischen Leberfibrose und Deferipron hinzuweisen und die Untersuchung von Probanden mit einer Hepatitis-C-Erkrankung zu empfehlen, von Apotex eine schriftliche Bestätigung über die Vorlage ihrer Absatzzahlen in jedem Mitgliedstaat zu verlangen, um sicherzustellen, daß Deferipron nicht außerhalb der genehmigten Indikationen verschrieben werde, und von Apotex und aus anderen Quellen weitere Informationen einzuholen, sobald diese verfügbar seien. Alle Empfehlungen seien vom Ausschuß in seinem geänderten Gutachten beschlossen worden.

91.
    Da es kein völlig gefahrloses Arzneimittel gebe, hänge der Grad des annehmbaren Risikos vom therapeutischen Wert und von der Einzigartigkeit des Arzneimittels ab. Im vorliegenden Fall führe die Nichtbehandlung der Thalassämie zum vorzeitigen Tod der Patienten, während die Verabreichung von Deferipron dasLeben derjenigen verlängern könne, bei denen es bisher keine therapeutische Ersatzlösung für Deferoxamin gegeben habe.

92.
    Auch bei der Anwendung von Artikel 13 der Verordnung Nr. 2309/93 seien keine Fehler begangen worden. Die dort vorgesehenen Ausnahmeentscheidungen könnten nur aus objektiven und nachprüfbaren Gründen getroffen werden und müßten auf einem der in Abschnitt G von Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318 angeführten Gründe beruhen. Insoweit sei auf die erste der dort genannten Ausnahmen (siehe oben, Randnr. 11) und auf die von der Antragstellerin selbst eingeräumte Tatsache hinzuweisen, daß die Thalassämie eine seltene Erkrankung sei. Deshalb sei eine Anwendung dieser Bestimmungen gerechtfertigt gewesen.

93.
    Außerdem seien die Bedingungen, die im geänderten Gutachten des Ausschusses enthalten seien, sehr restriktiv. Die Gruppe der Patienten, für die Deferipron zugelassen sei, sei durch Abgabebeschränkungen hinreichend begrenzt, weil nur Ärzte, die in der Behandlung von Patienten mit Thalassämie Erfahrung hätten, Deferipron verschreiben dürften, sowie durch die Beschränkung seiner Verwendung auf Patienten, bei denen eine Behandlung mit Deferoxamin kontraindiziert sei oder bei denen Deferoxamin stark toxisch wirke. Außerdem würden die Ärzte in den Hinweisen für die Verschreibung von Ferriprox darauf aufmerksam gemacht, daß die verfügbaren Daten bezüglich einer Verschlimmerung der Leberfibrose durch Deferipron und dessen Wirkung auf die Herzfunktion nicht eindeutig seien. Auf Empfehlung der Ad-hoc-Gruppe sei eine weitere Warnung vor einem Zusammenhang zwischen Leberfibrose und Hepatitis C bei Thalassämie-Patienten hinzugefügt worden.

94.
    Die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in Ausnahmefällen verlange vom Antragsteller auch die Durchführung eines Versuchsprogramms innerhalb bestimmter Fristen, dessen Ergebnisse die Grundlage einer jährlichen Neubeurteilung des Nutzen/Risiko-Profils bildeten. Ein Verstoß gegen diese Auflage könne zur Aussetzung oder zum Widerruf der Genehmigung für das Inverkehrbringen führen. Ferner sei Apotex verpflichtet, detaillierte Unterlagen über alle vermuteten Nebenwirkungen zu erstellen, die innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft aufträten und ihr von einem Angehörigen eines Gesundheitsberufs mitgeteilt würden. Schließlich könne die Kommission, falls eine Dringlichkeitsmaßnahme erforderlich werde, um die Sicherheit des Produkts sicherzustellen, „vorläufige Notfallmaßnahmen“ im Sinne von Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 542/95 der Kommission vom 10. März 1995 über die Prüfung von Änderungen einer Zulassung gemäß der Verordnung Nr. 2309/93 (ABl. L 55, S. 15) in ihrer geänderten Fassung auferlegen.

95.
    Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei ebensowenig mißachtet worden. Wenn ein Organ in einem bestimmten Bereich über einen Ermessensspielraum verfüge, sei eine in diesem Bereich erlassene Maßnahme nur dann rechtswidrig, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet sei (Urteil des Gerichtshofes vom 5. Mai 1998 in der Rechtssache C-180/96, VereinigtesKönigreich/Kommission, Slg. 1998, I-2265, Randnr. 97). Das treffe auf die angefochtene Entscheidung nicht zu. Unzutreffend sei insbesondere die Behauptung der Antragstellerin, daß die meisten Personen, die die Voraussetzungen für die Einnahme von Deferipron erfüllten, mit Hilfe bereits bewährter, sicherer und verfügbarer Methoden behandelt werden könnten. Die von der Antragstellerin genannten Ersatzbehandlungen (DTPA-Therapie und Verabreichung von Deferoxamin in geringeren Dosen) seien nicht zufriedenstellend. Für die Gruppe von Patienten, für die Deferipron zugelassen sei, gebe es auch kein anderes geeignetes Arzneimittel.

96.
    Schließlich komme der Vorsorgegrundsatz bei den Genehmigungen für Arzneimittel darin zum Ausdruck, daß die Kriterien der Sicherheit und der Wirksamkeit zu beachten seien, sowie in den zahlreichen Informationen, die dem Ausschuß zur Beurteilung vorgelegt werden müßten, bevor eine Genehmigung empfohlen werden könne. Die Einhaltung dieses Grundsatzes sei Teil der Verpflichtung der Kommission und des Ausschusses, die in der Verordnung Nr. 2309/93 festgelegten Regeln zu beachten.

97.
    Apotex hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie schließe sich den Ausführungen der Kommission voll und ganz an.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

98.
    Die Antragstellerin vertritt im wesentlichen die Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung aufgrund von Verfahrensmängeln bei ihrem Erlaß mit offensichtlichen Beurteilungsfehlern behaftet sei. Einer dieser Mängel, nämlich die fehlende Unterschrift des Prüfers unter den dem Genehmigungsantrag beigefügten Berichten über klinische Versuche, stelle einen Verstoß gegen eine wesentliche Formvorschrift dar.

99.
    In der dritten Begründungserwägung von Teil 4 des Anhangs der Richtlinie 75/318 heißt es: „Die Beurteilung der Anträge auf Genehmigung für das Inverkehrbringen stützt sich auf die ärztlichen bzw. klinischen Prüfungen, einschließlich klinischer pharmakologischer Prüfungen, zur Feststellung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Erzeugnisses bei bestimmungsgemäßer Anwendung, wobei seine therapeutischen Indikationen für den Menschen berücksichtigt werden.“ In Abschnitt C von Teil 4 dieses Anhangs ist festgelegt, daß der dem Genehmigungsantrag beizufügende Abschlußbericht über klinische Versuche vom Prüfer unterzeichnet werden muß.

100.
    Im vorliegenden Fall ist unstreitig, daß die Berichte über die klinischen Versuche LA-01 und LA-03, die dem Genehmigungsantrag von Apotex beigefügt waren, von der Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als koordinierende Prüferin nicht unterzeichnet worden sind.

101.
    Daher ist zu klären, ob das Fehlen der Unterschrift unter diesen Berichten auf den ersten Blick als wesentlicher Formmangel im Sinne von Artikel 230 Absatz 2 EG betrachtet werden kann, der die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung rechtfertigt. Hierzu sind der Zweck der angeblich verletzten Rechtsnorm sowie die Auswirkung zu prüfen, die der mögliche Verstoß auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung haben konnte.

102.
    Die Pflicht zur Unterzeichnung des Schlußberichts durch den Prüfer des klinischen Versuchs betrifft eine Formalität, die als wesentlicher Bestandteil des Verfahrens zur Ausarbeitung der Entscheidung über die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels geeignet ist, sich auf deren Gültigkeit auszuwirken. Diese Formalität ist erforderlich, da sie es ermöglicht, die Richtigkeit der Angaben - insbesondere der Testergebnisse - sicherzustellen, die in dem dem Genehmigungsantrag beigefügten Bericht enthalten sind; damit wird dafür gesorgt, daß die Beurteilung des Arzneimittels nicht auf inhaltlich unzutreffenden Tatsachen beruht. Folglich ist die Verletzung dieser Formalität geeignet, die Rechtmäßigkeit der am Ende des Verfahrens ergangenen Entscheidung zu beeinträchtigen, wenn nachgewiesen wird, daß der vom Prüfer nicht gebilligte Schlußbericht infolge von unzutreffenden oder fehlenden Angaben bei der Agentur und der Kommission einen Irrtum über einen wesentlichen Punkt hervorgerufen hat.

103.
    Die Regelung schließt allerdings nicht aus, daß vom Prüfer nicht unterzeichnete Berichte über klinische Versuche in bestimmten Fällen dem Genehmigungsantrag beigefügt werden können. Sie schreibt nämlich vor, daß ihm alle für die Bewertung des betreffenden Arzneimittels zweckdienlichen Angaben, ob günstig oder ungünstig für das Erzeugnis, beizufügen sind. In der Einleitung des Anhangs der Richtlinie 75/318 heißt es ausdrücklich: „Insbesondere sind alle zweckdienlichen Einzelheiten über jegliche unvollständigen oder abgebrochenen toxikologischen und pharmakologischen Versuche bzw. klinische Prüfungen zu dem Arzneimittel vorzulegen.“

104.
    Daraus folgt, daß der dem Genehmigungsantrag beigefügte Bericht über einen klinischen Versuch unabhängig davon, ob er vom Prüfer unterzeichnet ist, für die Beurteilung der Wirksamkeit und der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels stets unerläßlich ist.

105.
    Ein Verfahren zur Genehmigung des Inverkehrbringens eines Arzneimittels weist daher einen Mangel auf, der zu ihrer Nichtigerklärung führen kann, wenn die Agentur und dadurch die Kommission die gesundheitlichen Vor- und Nachteile des Arzneimittels nicht ordnungsgemäß beurteilen konnten, weil der Bericht über den dieses Mittel betreffenden klinischen Versuch in einem oder mehreren wesentlichen Punkten unzutreffende oder unvollständige Angaben enthält, die durch ergänzende Angaben gegenüber der Agentur während des Verfahrens nicht richtiggestellt werden konnten.

106.
    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Akten u. a., daß der Bericht über den Versuch LA-01 - zusammen mit den Berichten über die Versuche LA-02 und LA-03 - dem Genehmigungsantrag von Apotex beigefügt wurde. Ferner ist ihnen zu entnehmen, daß die Agentur den Versuch LA-01 zwangsläufig berücksichtigt hat, und sei es nur, um ihn als Grundlage für die Beurteilung der Wirksamkeit von Deferipron auszuschließen (vgl. das Dokument „Ferriprox - Overview of the procedure“ der Agentur vom 2. Dezember 1999, S. 2, den Beurteilungsbericht des Ausschusses vom 27. Januar 1999 [Anlage 1 des Dokuments der Agentur, S. 13 bis 15] und die wissenschaftliche Diskussion im „Öffentlichen Europäischen Beurteilungsbericht“ des Ausschusses vom 25. August 1999 [Anlage 4 des Dokuments der Agentur]).

107.
    Die Antragstellerin behauptet, daß der der Stellungnahme der Kommission beigefügte Bericht über den Versuch LA-01 unzutreffende und irreführende Sachverhaltsangaben und Auslegungen enthalte. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß es in den am 11. Juni 1999 vorgelegten Schlußfolgerungen von Professor Olalla Marañón, dem vom Ausschuß mit der Erstellung eines Berichts über die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen betrauten Mitberichterstatter, heißt:

„Die Schreiben eines koordinierenden Prüfers der wichtigsten klinischen Versuche sind besorgniserregend. Es muß sichergestellt werden, daß alle tatsächlichen Angaben mitgeteilt wurden und zutreffen. Diese Frage sollte vom [Ausschuß] erörtert werden“ ( Punkt 5).

108.
    Sollte das Gericht feststellen, daß die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ferriprox aufgrund einer Beurteilung der Agentur erteilt worden ist, die auf einem Bericht über einen klinischen Versuch mit inhaltlich unzutreffenden oder unvollständigen Angaben beruhte, so würde dieser Feststellung entscheidende Bedeutung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zukommen. Das Vorbringen der Antragstellerin zu den Bedingungen, unter denen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Ferriprox von der Agentur beurteilt worden sind, muß daher eingehend geprüft werden. Eine solche Prüfung kann jedoch im Rahmen des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung nicht durchgeführt werden.

109.
    Da das Vorbringen der Antragstellerin auf den ersten Blick nicht als völlig unbegründet betrachtet werden kann, sind die übrigen Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs zu prüfen.

Zur Dringlichkeit und zur Interessenabwägung

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

110.
    Die Antragstellerin beruft sich zur Glaubhaftmachung der Dringlichkeit einer Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung erstens auf die Bedrohung der öffentlichen Gesundheit durch Deferipron und zweitens auf den Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens infolge der Beeinträchtigung ihres Rufes durch die angefochtene Entscheidung.

111.
    Beim ersten Aspekt ist nach Auffassung der Antragstellerin die Ausssetzung des Vollzugs das einzige Mittel, um die öffentliche Gesundheit ausreichend zu schützen.

112.
    Die drei von ihr durchgeführten oder geleiteten klinischen Versuche hätten zu dem Ergebnis geführt, daß Deferipron bei etwa der Hälfte der behandelten Personen unwirksam sei. Die Tatsache, daß die zu hohe Eisenkonzentration im Körper der Patienten nicht abgebaut werde, führe zu deren vorzeitigem Tod. Beweise für die Toxizität dieser Substanz seien ebenfalls erbracht worden. Die längere Anwendung von Deferipron bringe erhebliche Risiken für Leberfibrose und Herzerkrankungen und damit für einen vorzeitigen Tod der betreffenden Patienten mit sich.

113.
    Diese Ergebnisse hätten sie bewogen, alle Versuche am Menschen auszusetzen und jede Verabreichung von Deferipron unter ihrer Verantwortung zu beenden.

114.
    Schließlich stellten die an die Genehmigung für das Inverkehrbringen geknüpften Bedingungen nicht sicher, daß geeignete Vorsichtsmaßnahmen ergriffen würden, um schädliche Wirkungen der Einnahme von Deferipron zu verhindern. Die Bedingungen, von denen die Genehmigung von Ferriprox abhängig gemacht worden sei, schränkten die Gruppe von Patienten, denen dieses Arzneimittel verschrieben werden könne, nicht hinreichend ein, stellten nicht sicher, daß Patienten und Ärzte ordnungsgemäß über das Vorliegen und die Schwere von Risiken in bezug auf Leberfibrose und Herzerkrankungen aufgeklärt würden, und stellten keine zweckmäßigen Anforderungen an die Kontrolle der Wirksamkeit und der Toxizität von Deferipron - insbesondere hinsichtlich des Auftretens und Fortschreitens der Leberfibrose bei Patienten, denen das Mittel verabreicht werde - auf.

115.
    Zum zweiten Aspekt - der Beeinträchtigung ihres Rufes - weist die Antragstellerin darauf hin, daß die Ergebnisse ihrer Forschungen über Wirksamkeit und Sicherheit von Deferipron sowie die Kontakte, die sie zur Agentur geknüpft habe, für das Beurteilungsverfahren maßgebend gewesen seien. Sie sei insbesondere besorgt, daß Natur und Ergebnisse ihrer Forschungen der Agentur und der Kommission ungenau dargestellt und/oder von diesen falsch verstanden worden seien. Wenn die Ergebnisse ihrer Forschungen der Agentur oder der Kommission ordnungsgemäß geschildert worden wären, wäre die Genehmigung nicht erteilt worden. Ihre Forschungen belegten, daß Deferipron solange nicht als ungefährlich behandelt werden könne, bis über seine Toxizität zufriedenstellende Tierversuche durchgeführt worden seien. Da ihr Standpunkt unter Wissenschaftlern weithin bekannt sei, wirke sich die angefochtene Entscheidung unmittelbar auf die Einschätzung der Qualität ihrer Forschungen und deren Glaubwürdigkeit aus.

116.
    Wenn sich ihre Besorgnisse wegen der Sicherheit und Wirksamkeit von Deferipron nach dem Inverkehrbringen des Mittels als begründet erweisen sollten, hätte dies zudem angesichts der natürlichen und verständlichen Annahme, daß die Genehmigung für das Inverkehrbringen, und sei es nur zum Teil, aufgrund der Ergebnisse ihrer Arbeiten erteilt worden sei, zwangsläufig eine negative Auswirkung auf ihr Ansehen bei Ärzten und Wissenschaftlern.

117.
    Es könnte jedenfalls zu Auswirkungen auf die finanziellen Mittel kommen, die ihr künftig für ihre Forschungen zur Verfügung stünden.

118.
    Schließlich sei die Beeinträchtigung ihres Rufes dauerhaft und nicht wiedergutzumachen.

119.
    Die Kommission hält ebenso wie Apotex die Dringlichkeit nicht für gegeben.

120.
    Was die Gefährdung der öffentlichen Gesundheit angehe, so sei der Erlaß der angefochtenen Entscheidung, die an strenge Auflagen geknüpft sei, unter dem Aspekt der Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels gerechtfertigt. Der behauptete schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden könne vom Gericht nur insoweit berücksichtigt werden, als er den Interessen der Partei zugefügt werden könne, die die einstweilige Anordnung beantrage (Beschluß Pfizer Animal Health/Rat, Randnr. 136, und Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. November 1999 in der Rechtssache C-329/99 P[R], Pfizer Animal Health/Rat, Slg. 1999, I-8343, Randnr. 94). Die Antragstellerin leide aber nicht an Thalassämie. Sie habe daher kein durch die Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung bis zum Ende des Verfahrens in der Hauptsache bedrohtes Interesse.

121.
    Außerdem wäre mit der Aussetzung des Vollzugs für die betroffenen Patienten ein wesentlich höheres Risiko verbunden als mit dem Inverkehrbringen des Mittels, da einigen von ihnen ihre aktuelle Behandlung genommen und anderen der Zugang zu diesem Mittel versperrt würde. Da diese Patienten nicht über eine Ersatztherapie für Deferoxamin verfügten, bestehe ein hohes Risiko vorzeitigen Todes.

122.
    Was den Schaden in Form der Beeinträchtigung des Rufes der Antragstellerin anbelange, so müsse dargelegt werden, daß er mit gewisser Wahrscheinlichkeit eingetreten sei oder unmittelbar bevorstehe (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 23. Mai 1990 in den Rechtssachen C-51/90 R und C-59/90 R, Comos-Tank u. a./Kommission, Slg. 1990, I-2167, Randnr. 29). Ein Beweis für einen immateriellen oder finanziellen Schaden sei aber nicht erbracht worden.

123.
    Die Befürchtungen der Antragstellerin, daß die Genehmigung von Deferipron sich negativ auf die Einschätzung ihrer beruflichen Fähigkeiten seitens ihrer Kollegen und ihrer Patienten sowie auf die finanziellen Mittel auswirken könne, die sie künftig für ihre Forschungen erlangen könne, seien nicht stichhaltig genug undreichten somit nicht aus, um einen offensichtlichen Kausalzusammenhang zwischen der angefochtenen Entscheidung und diesen angeblichen negativen Auswirkungen herstellen zu können. Wie die Antragstellerin selbst einräume, sei ihre These, daß Deferipron solange nicht als gefahrlos betrachtet werden können, wie nicht ergänzende Versuche zur Toxizität unternommen worden seien, in Wissenschaftskreisen hinreichend bekannt. Mit einer öffentlichen Bekanntgabe in diesen Kreisen, daß sie mit der angefochtenen Entscheidung nicht einverstanden sei, könne die Antragstellerin leicht die befürchteten Auswirkungen auf die Einschätzung der Qualität ihrer Forschungen und von deren Glaubwürdigkeit vermeiden. Aber selbst wenn ihr Ruf unter der angefochtenen Entscheidung leiden sollte, sei dieser Nachteil nicht irreparabel, weil ihr eine Nichtigerklärung dieser Entscheidung am Ende des Verfahrens in der Hauptsache eine Wiederherstellung ihres Rufes ermöglichen würde (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 8. Oktober 1993 in der Rechtssache T-507/93 R, Branco/Rechnungshof, Slg. 1993, II-1013, Randnrn. 23 und 24).

124.
    Außerdem seien Nachteile wegen der „wahrscheinlichen Auswirkung auf ihre Möglichkeit, auch künftig Forschungsmittel zu erhalten“, wirtschaftlicher Natur und reichten daher nicht aus, um die Dringlichkeit glaubhaft zu machen (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 10. Dezember 1997 in der Rechtssache T-260/97 R, Camar/Kommission und Rat, Slg. 1997, II-2357, Randnr. 42). Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur bei Vorliegen besonderer Umstände zulässig (Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 7. Juli 1998 in der Rechtssache T-65/98 R, Van den Bergh Foods/Kommission, Slg. 1998, II-2641, Randnrn. 65 ff.).

125.
    Sowohl die Interessen der Kommission, die vom Gesetzgebungsorgan den Auftrag erhalten habe, die Genehmigung für das Inverkehrbringen auf der Grundlage der Arbeiten des Ausschusses und der Agentur zu erteilen, als auch die Interessen der an Thalassämie leidenden Patienten, für die eine Behandlung mit Deferipron eine Therapie darstelle, die ihnen das Leben retten könne, hätten somit größeres Gewicht als jeder denkbare Nachteil für den Ruf der Antragstellerin im Fall der Aufrechterhaltung der angefochtenen Entscheidung bis zur Beendigung des Verfahrens in der Hauptsache.

Würdigung durch den Richter der einstweiligen Anordnung

126.
    Nach ständiger Rechtsprechung ist die Dringlichkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung danach zu beurteilen, ob eine vorläufige Entscheidung erforderlich ist, um zu verhindern, daß der Antragsteller einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleidet. Dieser trägt die Beweislast dafür, daß er den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache nicht abwarten kann, ohne einen derartigen Schaden zu erleiden (vgl. u. a. Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 30. April 1999 in der Rechtssache T-44/98 R II, Emesa Sugar/Rat, Slg. 1999, II-1427, Randnr. 128).

127.
    In ihrem Antrag auf einstweilige Anordnung macht die Antragstellerin geltend, daß ohne die Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung ihr Ruf beeinträchtigt und durch die Zulassung des Inverkehrbringens von Ferriprox die öffentliche Gesundheit gefährdet werde.

128.
    Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, daß eine Aussetzung des Vollzugs einen immateriellen Nachteil in Form von Auswirkungen der angefochtenen Entscheidung auf den Ruf der Antragstellerin beseitigen könnte. Eine solche Aussetzung würde indessen keine wirksamere Abhilfe schaffen als eine Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung am Ende des Verfahrens in der Hauptsache. Zweck des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist jedenfalls nicht die Sicherung des Schadensersatzes, sondern die Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Urteils in der Hauptsache (Beschluß des Präsidenten des Gerichtshofes vom 25. März 1999 in der Rechtssache C-65/99 P [R), Willeme/Kommission, Slg. 1999, I-1857, Randnr. 62).

129.
    Im übrigen ist dieser immaterielle Nachteil nicht dargetan. Die kritische Einstellung der Antragstellerin zu Deferipron ist, wie sie selbst hervorhebt, in Wissenschaftskreisen bekannt. Mehrere Unterlagen in den Akten bestätigen, daß die Antragstellerin ihre Meinung, dieses Mittel sei unwirksam, öffentlich zum Ausdruck gebracht hat.

130.
    So heißt es in den „Danksagungen“ eines in der Zeitschrift Annals New York Academy of Sciences veröffentlichten Artikels mit dem Titel „A Multi-Center Safety Trial of the Iron Chelator Deferiprone“ (Ein Multicenter-Sicherheitsversuch mit dem Eisenchelatbildner Deferipron):

„Diese Studie ist finanziell von Apotex Inc., Weston, Ontario, Kanada, unterstützt worden. Die Ärzte Nancy Olivieri und Gary Brittenham haben an der Organisation und Durchführung dieses Versuchs teilgenommen, waren aber nicht an der Analyse der Daten und der Vorbereitung des Manuskripts beteiligt und haben die Schlußfolgerungen nicht gebilligt.“

131.
    Eine 1998 in der Zeitschrift The New England Journal of Medicine unter dem Titel „Long-Term safety and effectiveness of iron chelation therapy with deferiprone for thalassemia major“ (Langfristige Sicherheit und Wirksamkeit einer Therapie mit dem Eisenchelatbildner Deferipron bei Thalassaemia major) veröffentlichte Studie der Antragstellerin und weiterer Forscher (Anlage 18 des Antrags auf einstweilige Anordnung) kommt zu folgendem Ergebnis: „Deferipron bewirkt keine angemessene Kontrolle der Eisenkonzentration im Körper von Thalassämie-Patienten und kann eine Leberfibrose verschlimmern.“

132.
    Da die Antragstellerin auch keinen der dem Genehmigungsantrag von Apotex beigefügten Berichte über die klinischen Versuche unterzeichnet hat, kann ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe deren Vorlage bei der Agentur gebilligt.

133.
    Schließlich ist die mögliche Schwierigkeit, infolge der Durchführung der angefochtenen Entscheidung finanzielle Mittel für Forschungen zu erhalten, ein rein hypothetischer Nachteil.

134.
    Zur möglichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch das Inverkehrbringen von Ferriprox führt die Kommission aus, daß die Gefahr eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens dieser Art die Interessen der Antragstellerin nicht beeinträchtigen könne, so daß diese sich zur Glaubhaftmachung der Dringlichkeit nicht auf sie berufen könne.

135.
    Es trifft zwar zu, daß nach der Rechtsprechung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Schäden, die Dritten oder der Umwelt entstehen könnten, aber vom Antragsteller geltend gemacht werden, allenfalls bei der Abwägung der betroffenen Belange berücksichtigt werden können (Beschluß des Präsidenten des Gerichts in der Rechtssache Pfizer Animal Health/Rat, Randnr. 136; vgl. auch Beschluß in der Rechtssache T-70/99 R, Alpharma/Rat, Randnr. 146). Da die Antragstellerin jedoch als Prüferin der in den Berichten in der Anlage des Genehmigungsantrags beschriebenen klinischen Versuche eine besondere Stellung einnimmt, die mit einer Unterzeichnung dieser Berichte durch sie verbunden ist, kann ihr nicht verwehrt werden, im Rahmen der Dringlichkeit die Gefahr für die menschliche Gesundheit geltend zu machen, die sich aus der fehlenden Wirksamkeit und der Toxizität des zugelassenen Arzneimittels ergeben könnte.

136.
    Sollte sich herausstellen, daß Deferipron auf die Gesundheit der Patienten, denen es verabreicht wird, die von der Antragstellerin angekündigten Wirkungen hat, die sich aus seiner fehlenden Wirksamkeit und seiner Toxizität ergeben, so könnten die eingetretenen Wirkungen nicht mehr beseitigt werden, falls die Antragstellerin mit ihrer Nichtigkeitsklage Erfolg haben sollte.

137.
    Zur Beurteilung der Frage, ob die Antragstellerin die Notwendigkeit der beantragten Aussetzung glaubhaft gemacht hat, ist jedoch der geltend gemachte Schaden im Licht sämtlicher widerstreitender Interessen zu prüfen (Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 29. Juni 1993 in der Rechtssache C-280/93 R, Deutschland/Rat, Slg. 1993, I-3667, Randnr. 29, vom 24. September 1996 in den Rechtssachen C-239/96 R und C-240/96 R, Vereinigtes Königreich/Kommission, Slg. 1996, I-4475, Randnr. 67, und in der Rechtssache C-107/99 R, Italien/Kommission, Randnr. 89).

138.
    Hierzu ist festzustellen, daß die Anordnung der beantragten Aussetzung ebenso wie die Ablehnung dieser Maßnahme Auswirkungen haben könnte, die bei Obsiegen der Kommission in der Hauptsache nicht wieder zu beseitigen wären. Für die Patienten, denen Ferriprox verabreicht werden soll, gibt es nämlich keine Ersatzbehandlung für Deferoxamin. Ohne die Behandlung mit Deferipron kann der erhöhte Eisenspiegel dieser Patienten nicht abgebaut werden und zu ihrem vorzeitigen Tod führen.

139.
    Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Gruppe von Patienten, denen eine Behandlung mit Deferipron von Fachärzten verschrieben werden kann, begrenzt ist. Im „Öffentlichen Europäischen Beurteilungsbericht“ (Anlage 4 des Dokuments der Agentur) heißt es:

„Deferipron wird zur Behandlung des erhöhten Eisenspiegels bei Patienten mit Thalassaemia major eingesetzt, die nicht mit Deferoxamin behandelt werden können. Deferipron darf nicht verwendet werden, wenn eine Behandlung mit Deferoxamin möglich ist“ (Abschnitt „Package leaflet“ [Packungsbeilage]).

140.
    Im gleichen Dokument wird bei den therapeutischen Indikationen ausgeführt:

„Behandlung des erhöhten Eisenspiegels bei Patienten mit Thalassaemia major, bei denen eine Behandlung mit Deferoxamin kontraindiziert ist oder die Gefahr schwerer Vergiftungen besteht“ (Abschnitte „Product Information“ [Produktinformation] und „Summary of Product Characteristics“ [Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels]).

141.
    Da Deferipron den Vorteil aufweist, daß es oral und nicht wie Deferoxamin durch Infusionen verabreicht wird, könnte Ferriprox auch von anderen als den auf dem Etikett und der Packungsbeilage angegebenen Patienten verwendet werden. Die Genehmigung für das Inverkehrbringen ist aber unter der Auflage erteilt worden, der Agentur mindestens ein Jahr lang die Umsatzzahlen für Ferriprox in jedem Mitgliedstaat mitzuteilen (Dokument „Ferriprox - Overview of the procedure“ der Agentur [Anlage zu den Stellungnahmen der Kommission] sowie Schreiben von Apotex an den Ausschuß vom 23. Juni 1999 [Anlage 1 des Dokuments der Agentur]); auf diese Weise dürfte wirksam überwacht werden können, wie sich die Nutzung des Arzneimittels entwickelt.

142.
    Die Antragstellerin behauptet, daß die DTPA-Therapie und die Desensibilisierung gegen Deferoxamin therapeutische Ersatzlösungen für Deferipron seien. Dieses Vorbringen der Antragstellerin überzeugt indessen nicht. DTPA ist nämlich als Arzneimittel für diesen Zweck nicht zugelassen. Der Rückgriff auf dieses Mittel beruht daher auf einer mißbräuchlichen und zufallsabhängigen Verwendung dieses Arzneimittels, für die jeder einzelne Arzt die Verantwortung trägt. Diese Behandlung kann daher nicht generell als bereits erprobte und sichere Therapie bezeichnet werden.

143.
    Auch dem Vorbringen der Antragstellerin zur Desensibilisierung gegen Deferoxamin, dem die Kommission ebenfalls entgegengetreten ist, läßt sich deren Eignung als Ersatztherapie nicht entnehmen, weil sie lediglich in einer Verabreichung dieses Mittels in geringeren Dosen besteht, die zudem zwangsläufig zu einer Erhöhung des Eisenspiegels und den damit verbundenen Gefahren für die Gesundheit der Patienten führt, auf die auch die Kommission hingewiesen hat, ohne daß ihr die Antragstellerin in diesem Punkt widersprochen hätte.

144.
    Somit ist die mangelnde Erforderlichkeit von Deferipron, die sich aus der Existenz einer wirklichen therapeutischen Ersatzlösung für die Behandlung mit Deferoxamin ergeben würde, von der Antragstellerin nicht in hinlänglich überzeugender Weise dargetan worden.

145.
    Unter diesen Umständen ist es nicht Sache des Richters der einstweiligen Anordnung, bei der Abwägung der Vorteile und Risiken, die das zugelassene Arzneimittel für die betroffenen Patienten mit sich bringt, die Beurteilung der Kommission durch seine eigene zu ersetzen.

146.
    Nach alledem liegen die Voraussetzungen für die beantragte Aussetzung des Vollzugs nicht vor.

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.    Der Antrag auf einstweilige Anordnung wird zurückgewiesen.

2.    Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 7. April 2000

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

B. Vesterdorf


1: Verfahrenssprache: Englisch.