Language of document : ECLI:EU:C:2012:451

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 12. Juli 2012(1)

Rechtssache C‑152/11

Johann Odar

gegen

Baxter Deutschland GmbH

(Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts München [Deutschland])

„Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und/oder einer Behinderung – Zulässigkeit nationaler Maßnahmen, die es erlauben, Arbeitnehmer, die kurz vor dem Erreichen des Rentenalters stehen, von den in einem Sozialplan vorgesehenen Leistungen auszuschließen oder ihnen geringere Leistungen zu gewähren“





1.        Mit diesem Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts München wird der Gerichtshof gefragt, ob nationale Maßnahmen(2) über Abfindungen für Arbeitnehmer bei Kündigung gegen die Richtlinie 2000/78/EG des Rates(3) verstoßen. Diese Maßnahmen sehen vor, dass Arbeitnehmer, die kurz vor Erreichen des (für behinderte Arbeitnehmer niedrigeren) Rentenalters stehen, von einem Leistungsplan zur Milderung der Folgen von Entlassungen ausgeschlossen werden können (oder geringere Abfindungen erhalten).

 Unionsrecht

 Charta der Grundrechte der Europäischen Union

2.        Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(4) verbietet Diskriminierungen, u. a. wegen des Alters oder einer Behinderung.

 Richtlinie 2000/78

3.        Folgende Erwägungsgründe sind von Bedeutung:

„(8)      In den vom Europäischen Rat auf seiner Tagung am 10. und 11. Dezember 1999 in Helsinki vereinbarten beschäftigungspolitischen Leitlinien für 2000 wird die Notwendigkeit unterstrichen, einen Arbeitsmarkt zu schaffen, der die soziale Eingliederung fördert, indem ein ganzes Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen getroffen wird, die darauf abstellen, die Diskriminierung von benachteiligten Gruppen, wie den Menschen mit Behinderung, zu bekämpfen. Ferner wird betont, dass der Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung besondere Aufmerksamkeit gebührt.

(11)      Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit.

(12)      Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen gemeinschaftsweit untersagt werden. …

(14)      Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.

(25)      Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist.“

4.        Art. 1 bestimmt, dass Zweck der Richtlinie die „Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“ ist.

5.        Art. 2 bestimmt:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

b)      liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:

i)      diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich …“(5)

6.        Art. 3 trägt den Titel „Geltungsbereich“. Er sieht vor:

„(1)      Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

7.        Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der Gründe, die nach der Richtlinie untersagt sind, kann gerechtfertigt sein, wenn sie unter eine der besonderen Ausnahmen in Art. 2 Abs. 5, Art. 3 Abs. 4, Art. 4 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 fällt(6).

8.        Art. 6 trägt den Titel „Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters“. Abs. 1 bestimmt:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung …, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung … von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern …“

9.        Art. 16 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass

a)      die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuwiderlaufen, aufgehoben werden;

b)      die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu vereinbarenden Bestimmungen in Arbeits- und Tarifverträgen, Betriebsordnungen …

für nichtig erklärt werden oder erklärt werden können oder geändert werden.“

10.      Art. 18 regelt die Umsetzung der Richtlinie: „Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie spätestens zum 2. Dezember 2003 nachzukommen, oder können den Sozialpartnern auf deren gemeinsamen Antrag die Durchführung der Bestimmungen dieser Richtlinie übertragen, die in den Anwendungsbereich von Tarifverträgen fallen. In diesem Fall gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Sozialpartner spätestens zum 2. Dezember 2003 im Weg einer Vereinbarung die erforderlichen Maßnahmen getroffen haben; dabei haben die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. …“

 Nationales Recht

 Betriebsverfassungsgesetz

11.      Die §§ 111 bis 113 des Betriebsverfassungsgesetzes (im Folgenden: BetrVG) schreiben Maßnahmen vor, die zur Milderung der für Arbeitnehmer aus der Umstrukturierung eines Unternehmens entstehenden Nachteile zu ergreifen sind(7). Arbeitgeber und Betriebsräte sind daher verpflichtet, zu diesem Zweck Sozialpläne abzuschließen(8).

 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

12.      Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (im Folgenden: AGG oder fragliche innerstaatliche Rechtsvorschriften) wurde die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt.

13.      § 10 trägt den Titel „Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters“. Er bestimmt:

„Ungeachtet des § 8[(9)] ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

6.       Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des [BetrVG], wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.“

 Sozialversicherungsrecht

14.      Für staatliche Altersrenten bestimmt § 235 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (im Folgenden: SGB VI), dass Arbeitnehmer (bei Erfüllung der Beitragspflichten) mit Vollendung des 65. Lebensjahrs (Regelaltersgrenze(10)) Anspruch auf eine volle staatliche Altersrente haben. Nach § 236a SGB VI (in der zum maßgebenden Zeitpunkt geltenden Fassung) hatten schwerbehinderte Arbeitnehmer mit Vollendung des 60. Lebensjahrs Anspruch auf eine vorzeitige Rente(11). Unter bestimmten anderen Umständen können Arbeitnehmer vor Vollendung des 65. Lebensjahrs eine verminderte Rente in Anspruch nehmen. So kann eine vorzeitige Rente auch mit Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen werden, wenn ausreichende Beitragszahlungen erfolgt sind.

15.      Leistungsansprüche bei Arbeitslosigkeit bestehen für arbeitslose Arbeitnehmer, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen (einschließlich der Beitragsleistung) und als aktiv Arbeit suchend gemeldet sind. Der Staat zahlt Regelarbeitslosengeld (Arbeitslosengeld I)(12) in Höhe von bis zu 60 % des vorherigen Nettoarbeitsentgelts des Arbeitnehmers (der Betrag erhöht sich auf 67 %, wenn der Arbeitnehmer Fürsorgeverpflichtungen für Kinder unter 18 Jahren hat). Die Zahlung erfolgt für eine begrenzte Dauer, die vom Alter des Arbeitnehmers und der Länge des Zeitraums abhängt, in dem Beiträge geleistet wurden(13).

 Kündigungsschutzgesetz

16.      Das Kündigungsschutzgesetz (im Folgenden: KSchG) trifft Regelungen für die Auswahl von Arbeitnehmern bei Entlassungen. Eine Kündigung ist nach § 1 Abs. 2 KSchG nur rechtswirksam, wenn sie „sozial gerechtfertigt“ ist. Nach § 1 Abs. 3 ist eine Kündigung nicht sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die Beschäftigungsdauer, das Alter, Unterhaltsverpflichtungen und/oder eine erhebliche Behinderung des Arbeitnehmers nicht berücksichtigt.

 Sozialplan

17.      Die Baxter Deutschland GmbH (im Folgenden: Baxter) und der zuständige Betriebsrat(14) schlossen am 30. April 2004 einen Vorsorglichen Sozialplan (de facto einen Entlassungsplan), dessen § 6 Ziff. 1 den Titel „Abfindungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (außer ‚Frühverrentung‘)“ trägt. Darin heißt es:

„1.1      Mitarbeiter, … die [Baxter] verlassen (durch betriebsbedingte Kündigung oder einvernehmliche Beendigung), erhalten eine zu versteuernde Bruttoabfindung in Euro nach folgender Formel:

Abfindung = Altersfaktor x Betriebszugehörigkeit[(15)] x Bruttomonatsentgelt.“

Den nach dieser Berechnung ermittelten Betrag bezeichne ich im Folgenden als „Standardformel-Abfindung“.

Die Altersfaktoren-Tabelle in § 6 Punkt 1.2 weist eine gestufte Steigerung von 0,35 bei einem Alter von 18 Jahren auf 1,75 bei einem Alter von 57 Jahren, dann eine Senkung auf 1,70 bei einem Alter von 58 Jahren und anschließend eine deutlichere Senkung ab dem Alter von 58 Jahren hinunter bis auf 0,30 bei einem Alter von 64 Jahren auf.

In § 6 Punkt 1.5 heißt es: „Bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden oder einvernehmlich das Arbeitsverhältnis beenden, wird die [Standardformel-Abfindung] folgender Berechnung gegenübergestellt:

Monate bis zum frühestmöglichen Renteneintritt x 0,85 x Bruttomonatsentgelt.“

Den nach dieser alternativen Berechnung ermittelten Betrag bezeichne ich im Folgenden als „Sonderformel-Abfindung“ und seine Wirkung als „Deckelung“.

Weiter heißt es in § 6 Punkt 1.5:

„Sollte die [Standardformel-Abfindung] größer sein als die [Sonderformel-Abfindung], so kommt die geringere Summe zur Auszahlung. Diese geringere Summe darf jedoch die Hälfte der [Standardformel-Abfindung] nicht unterschreiten.

Ist das Ergebnis [der Sonderformel-Abfindung] gleich null, kommt die Hälfte der [Standardformel-Abfindung] zur Auszahlung.“

Diese Regelung werde ich als „Korrekturfaktor“ bezeichnen.

18.      Ein Ergänzender Sozialplan wurde am 13. März 2008 geschlossen(16). § 7 dieses Sozialplans trägt den Titel „Abfindung“ und lautet: „Mitarbeiter, die in den Geltungsbereich dieses Sozialplans fallen und deren Arbeitsverhältnis wegen der Betriebsänderung endet, erhalten die folgenden Leistungen:

7.1      Abfindung. Die Mitarbeiter erhalten die [Standardformel-Abfindung].

7.2      Klarstellung. Zu § 6 [Punkt] 1.5. des Vorsorglichen Sozialplans einigen sich die Parteien auf folgende Klarstellung: Unter ‚frühestmöglichem Renteneintritt‘ wird verstanden der Zeitpunkt, zu dem der Mitarbeiter erstmals eine der gesetzlichen Altersrenten, auch eine solche mit Abschlägen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme, in Anspruch nehmen kann.“

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

19.      Herr Odar wurde am 25. Juli 1950 geboren. Er ist verheiratet und hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder. Er ist als Schwerbehinderter anerkannt(17). Er war seit dem 17. April 1979 bei Baxter (und/oder ihren Rechtsvorgängerinnen) beschäftigt. Herr Odar war vor Beendigung seines Arbeitsverhältnisses als Marketing-Manager für Baxter tätig.

20.      Nach der Entscheidung, ihre Geschäftsaktivitäten von Heidelberg nach München-Unterschleißheim zu verlegen, kündigte Baxter Herrn Odar mit Schreiben vom 25. April 2008. Baxter bot Herr Odar die Fortführung des Arbeitsverhältnisses am neuen Standort an. Der Vertrag sah eine verlängerte Probezeit vor, während der er entscheiden konnte, ob das neue Arbeitsverhältnis für ihn akzeptabel sei. Herr Odar nahm diese Tätigkeit zunächst an, kündigte dann aber seinerseits das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. Dezember 2009.

21.      Das nationale Gericht führt aus, dass Herr Odar nach § 236a SGB VI frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahrs (in seinem Fall also ab 1. August 2010) Anspruch auf eine (verminderte) Altersrente für Schwerbehinderte habe(18).

22.      Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Dr. Odar(19) zahlte Baxter ihm eine Abfindung in Höhe von 308 253,31 Euro (brutto). Laut dem nationalen Gericht wurde die Abfindung nach § 6 Punkte 1.1 bis 1.5 des Sozialplans wie folgt berechnet(20). Zunächst wurde die Standardformel-Abfindung wie folgt berechnet: Abfindung = 1,7 (Altersfaktor) x 29,71 Jahre (Betriebszugehörigkeit) x 12 210,47 (Bruttomonatsentgelt). Hieraus ergab sich eine Summe von 616 506,83 Euro. Da Herr Odar jedoch zum maßgebenden Zeitpunkt schon 58 Jahre alt war, fiel er unter § 6 Punkt 1.5 des Sozialplans. Daher wurde sodann die Sonderformel-Abfindung wie folgt berechnet: 19 (Monate bis zum frühestmöglichen Renteneintritt) x 0,85 x 12 210,47 (Bruttomonatsentgelt). Die Anwendung dieser Formel ergab eine Summe von 197 199,09 Euro. Hierauf wandte Baxter die übrigen Bestandteile von § 6 Punkt 1.5 an, um sicherzustellen, dass Herr Odar mindestens 50 % der ihm andernfalls zustehenden Standardformel-Abfindung erhielt; sie zahlte ihm daher 308 253,31 Euro brutto.

23.      Herr Odar erhob am 30. Juni 2010 Klage gegen Baxter. Er macht geltend, dass er durch die Berechnung der ihm zustehenden Sozialplanabfindung wegen seines Alters und seiner Behinderung benachteiligt werde. Herr Odar macht daher einen weiteren Abfindungsanspruch in Höhe von 271 988,88 Euro (brutto) geltend, der der Differenz zwischen der ihm tatsächlich gezahlten Abfindung und dem Betrag entspricht, den er erhalten hätte, wenn er zum Zeitpunkt der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses (bei gleicher Beschäftigungsdauer) 54 Jahre alt gewesen wäre.

24.      Das Arbeitsgericht München ist der Auffassung, dass die Klage Fragen des Unionsrechts aufwirft; es hat das Verfahren daher ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die vorsieht, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein kann, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen ha­ben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie, oder ist eine solche Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie gerechtfertigt?

2.       Verstößt eine innerstaatliche Regelung, die vorsieht, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig sein kann, wenn die Betriebsparteien im Rahmen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie?

3.      Verstößt eine Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit(21), die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden, eine alternative Berechnung der Abfindung auf Grundlage des frühestens möglichen Rentenbeginns vorgenommen wird und im Vergleich zur reguläreren Berechnungsmethode, welche insbesondere an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft, der geringere Abfindungsbetrag, jedoch mindestens die Hälfte der regulären Abfindungssumme, zu zahlen ist, gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie, oder ist eine solche Ungleichbehandlung gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie gerechtfertigt?

4.      Verstößt eine Regelung eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit, die vorsieht, dass bei Mitarbeitern, die älter als 54 Jahre sind und betriebsbedingt gekündigt werden, eine alternative Berechnung der Abfindung auf Grundlage des frühestens möglichen Rentenbeginns vorgenommen wird und im Vergleich zur reguläreren Berechnungsmethode, welche insbesondere an die Dauer der Betriebszugehörigkeit anknüpft, der geringere Abfindungsbetrag, jedoch mindestens die Hälfte der regulären Abfindungssumme, zu zahlen ist und bei der alternativen Berechnungsmethode auf eine Altersrente wegen einer Behinderung abgestellt wird, gegen das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung gemäß Art. 1 und Art. 16 der Richtlinie?

25.      Beim Gerichtshof sind schriftliche Erklärungen für Dr. Odar, Baxter, die deutsche Regierung und die Europäische Kommission eingereicht worden. Alle Verfahrensbeteiligten haben am 18. April 2012 mündlich verhandelt.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

26.      Die Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen sich sowohl auf eine Bestimmung des nationalen Rechts (§ 10 Abs. 6 AGG), die möglicherweise von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gedeckt ist, als auch auf den konkreten Sozialplan von Baxter. Es könnte hilfreich sein, zu Beginn genau zu klären, was Inhalt der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen sein sollte und was nicht.

27.      Die Rolle des Gerichtshofs beschränkt sich natürlich darauf, eine verbindliche Entscheidung über die Auslegung des in Rede stehenden Unionsrechts zu treffen. Die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden nationalen Rechtsvorschriften räumen den Sozialpartnern allerdings einen Gestaltungsspielraum ein. Die Frage, ob das Unionsrecht bei richtiger Auslegung diesen nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, kann nicht abstrakt beantwortet werden. Berücksichtigt werden muss hierbei, was geschieht, wenn die Sozialpartner sich auf einen konkreten Sozialplan einigen, der eine Wirkung auf eine bestimmte Person (hier Dr. Odar) hat. Meines Erachtens muss sich die Prüfung daher auf folgende Fragen erstrecken (die nicht alle in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fallen).

28.      Erstens: Hat der Sozialplan Folgen, die gegen die Art. 1 und 2 Abs. 1 der Richtlinie verstoßen und von den Ausnahmeregelungen in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i und Art. 6 Abs. 1 nicht gedeckt sind? Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Betrachtung der konkreten Einzelheiten dieses Plans und der von ihm hervorgerufenen Wirkungen erforderlich. Ich werde daher im Folgenden untersuchen, wie dieser Plan funktioniert, die Wirkungen seiner Anwendung auf Herrn Odar betrachten und die Frage stellen, ob diese Wirkungen gegen die Richtlinie verstoßen. Der Gerichtshof ist zur Beurteilung und Beantwortung dieser Frage voll und ganz zuständig, auch wenn es bestimmte zusätzliche Sachfragen geben mag, die der Prüfung oder Bestätigung durch das nationale Gericht bedürfen.

29.      Zweitens: Ist der Sozialplan von Baxter nach § 10 Abs. 6 AGG zulässig? Dies ist ihrem Wesen nach eine Frage des nationalen Rechts, die vom nationalen Gericht zu beantworten ist(22).

30.      Drittens: Verstoßen für den Fall, dass ein Sozialplan wie der von Baxter nach nationalem Recht zulässig ist, diese Bestimmungen des nationalen Rechts gegen die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts? Hier verbindet die abschließende Antwort zwangsläufig Teile der Antworten der beiden vorangegangenen Prüfungsschritte miteinander. Steht das Unionsrecht bei richtiger Auslegung einem Sozialplan entgegen, der bestimmte konkrete Wirkungen hat, und ist ein solcher Plan nach nationalem Recht zulässig, folgt hieraus, dass die Richtlinie bei richtiger Auslegung solchen, ihrer Umsetzung dienenden Bestimmungen des nationalen Rechts entgegensteht, weil diese den Sozialpartnern einen unzulässigen Spielraum bei der Gestaltung individueller Sozialpläne verschaffen und daher die Vereinbarung von Sozialplänen gestatten, die zwar nach nationalem Recht zulässig sind, aber gleichwohl Wirkungen haben, die gegen die Richtlinie verstoßen.

 Fragen 3 und 4

31.      Mit den Fragen 3 und 4 soll geklärt werden, ob das nach der Richtlinie bestehende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und/oder einer Behinderung einer Regelung in einem Sozialplan entgegensteht, nach der Leistungen, die Mitarbeitern im Alter von 54 Jahren und mehr zu gewähren sind, anhand des frühestmöglichen Renteneintritts zu bestimmen sind (Sonderformel-Berechnung).

32.      Ziel der Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung in „Beschäftigung und Beruf“, u. a. wegen des Alters und einer Behinderung. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. c gilt sie „für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen … in Bezug auf … die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“. Ich bin wie das nationale Gericht der Ansicht, dass der Sozialplan in den Geltungsbereich der Richtlinie fällt, weil er die Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer, insbesondere die Entlassungsbedingungen und das Arbeitsentgelt, betrifft.

33.      Nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie bedeutet der „Gleichbehandlungsgrundsatz“, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 genannten Gründe geben darf. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Abs. 1 vor, wenn eine Person in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, „wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit … einer bestimmten Behinderung[(23)] [oder] eines bestimmten Alters … gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können …“

34.      Die Richtlinie unterscheidet zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Eine mittelbare Diskriminierung liegt nicht vor, wenn die fragliche Behandlung unter Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i fällt. Eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters ist zulässig, wenn sie von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie erfasst wird. Eine entsprechende Bestimmung zur Rechtfertigung einer unmittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung gibt es nicht(24).

35.      Herr Odar ist der Ansicht, dass der Sozialplan im Hinblick auf das Alter unmittelbar diskriminierend sei und eine mittelbare Diskriminierung wegen der Behinderung zur Folge habe.

36.      Nach meinem Verständnis findet der Sozialplan auf Herrn Odar wie folgt Anwendung.

37.      Die Herrn Odar tatsächlich gezahlte Abfindung wurde nach dem Sozialplan anhand von drei Faktoren ermittelt: der Standardformel-Berechnung, der Sonderformel-Berechnung und dem Korrekturfaktor(25).

 Diskriminierung wegen des Alters

38.      Die Standardformel-Berechnung führt zu einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters. Ein immer höher werdender, aber ungleichmäßig steigender Altersfaktor wird auf ältere Arbeitnehmer bis (einschließlich) 57 Jahre angewendet, die insoweit eine günstigere Behandlung erfahren als jüngere Arbeitnehmer. Dieser Aspekt ist jedoch nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens. Es ist vielmehr die nachfolgende Senkung des Altersfaktors, die ursächlich für die Ungleichbehandlung ist, die für Herrn Odar aus der Anwendung des Sozialplans folgt(26). Bei gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Arbeitsentgelt hängt die zu zahlende Abfindung unmittelbar und ausschließlich vom Alter des Arbeitnehmers ab, weil diese beiden Elemente mit dem Altersfaktor multipliziert werden(27).

39.      Im Fall von Herrn Odar wurde die Entlassungsabfindung für ein Alter von 58 Jahren berechnet, für das der Altersfaktor 1,7 gilt. Da für ihn ein niedrigerer Altersfaktor galt, als wenn er 57 Jahre alt gewesen wäre, erfuhr Herr Odar eine weniger günstige Behandlung, als sie ein um ein Jahr jüngerer Arbeitnehmer (bei gleicher Betriebszugehörigkeit und gleichem Arbeitsentgelt) erfahren hätte (unter sonst gleichen Umständen).

40.      Der Unterschied zwischen den Altersfaktoren 1,75 und 1,7 ist klein. Der finanzielle Nachteil, der sich aus diesem Unterschied ergibt, ist geringer, als wenn Herr Odar (zum Beispiel) zum Zeitpunkt der Entlassung 59 Jahre alt gewesen wäre. Gleichwohl liegt aufgrund von § 6 Punkte 1.1 und 1.2 des Sozialplans eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters vor.

41.      Sodann wurde die Sonderformel-Berechnung (Gegenstand der Fragen 3 und 4) auf die Abfindung von Herrn Odar angewendet. Hierdurch wurde die Abfindung auf 85 % des Bruttoarbeitsentgelts begrenzt, das er vom Zeitpunkt der Entlassung bis zum frühestmöglichen Zeitpunkt des Bezugs der Altersrente erhalten hätte (wobei etwaige Veränderungen des monatlichen Arbeitsentgelts während dieses Zeitraums außer Betracht bleiben).

42.      Das nationale Gericht stellt fest, dass die Deckelung erst ab einem Lebensalter von 54 Jahren angewendet wird, und möchte wissen, ob darin eine Diskriminierung wegen des Alters zu sehen ist. Baxter hat zwei Erläuterungen gegeben. In ihren schriftlichen Erklärungen trägt Baxter vor, der Grund für die Anwendung dieser Berechnung ab einem Lebensalter von 54 Jahren bestehe lediglich darin, dass es mathematisch unmöglich sei, dass sie sich bei einem geringeren Alter auf den mittels der Standardformel ermittelten Betrag auswirke. In der mündlichen Verhandlung hat Baxter vorgetragen, dass das frühestmögliche Renteneintrittsalter bei Abschluss des Vorsorglichen Sozialplans niedriger gewesen sei (als zum Zeitpunkt der Entlassung von Dr. Odar). Beide Erläuterungen mögen richtig sein. Dies festzustellen, ist Sache des nationalen Gerichts. Mathematisch scheint die erste Erläuterung von Baxter richtig zu sein, es sei denn, es wäre möglich, vor dem 18. Lebensjahr eine Beschäftigung bei Baxter aufzunehmen oder vor dem 60. Lebensjahr eine Altersrente zu beziehen. Ist einer dieser Parameter nicht richtig (dies zu überprüfen, ist Sache des nationalen Gerichts), könnte die Sonderformel-Berechnung sich auf die nach der Standardformel-Berechnung ermittelten Ergebnisse für jüngere Altersgruppen auswirken. In diesem Fall läge wiederum eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor.

43.      Geht man von der (plausibelsten) Annahme aus, dass die Erläuterung von Baxter richtig ist, ist die besondere Erwähnung des Lebensalters von 54 Jahren im Sozialplan ohne Bedeutung. Die Sonderformel-Berechnung könnte bei jedem Lebensalter angewendet werden, würde aber nur ab einem Lebensalter von 54 Jahren Wirkung entfalten. In diesem Fall begründet die Erwähnung des „54. Lebensjahres“ im Sozialplan keine tatsächliche Unterscheidung wegen des Alters – es handelt sich dabei lediglich um eine unglückliche Formulierung, die den Eindruck erweckt, es werde eine Unterscheidung vorgenommen. Die Sonderformel-Berechnung selbst führt daher nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters.

 Diskriminierung wegen einer Behinderung

44.      Betrachten wir nun die Wirkung der Anwendung der Sonderformel-Berechnung auf die Entlassungsabfindung von Herrn Odar i) bei einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren und ii) bei einem Renteneintrittsalter von 60 Jahren. Im erstgenannten Fall wirkt sich die Sonderformel-Berechnung nicht auf den Betrag der Entlassungsabfindung aus. Im letztgenannten Fall ist die Wirkung der Anwendung der Sonderformel-Berechnung drastisch, da sie die zu zahlende Abfindung zunächst um mehr als zwei Drittel mindert, wenngleich diese Minderung letztlich durch Anwendung des Korrekturfaktors auf die Hälfte begrenzt wird. Dies ist die unmittelbare Folge der Anwendung des Renteneintrittsalters von 60 Jahren anstelle von 65 Jahren. Die Tatsache, dass die Berechnung hier auf Basis des niedrigeren Renteneintrittsalters (60) erfolgte, ist eine unmittelbare Folge der Behinderung von Dr. Odar.

45.      Die deutsche Regierung ist der Ansicht, es liege keine Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer nach dem Sozialplan vor, da diese mit 60 Jahren einen Rentenanspruch hätten und daher mit nichtbehinderten Arbeitnehmern, die erst mit 65 Jahren einen Rentenanspruch hätten, nicht vergleichbar seien. Der Unterschied beim Mindestrenteneintrittsalter dieser beiden Gruppen sei daher eine objektive Differenzierung. Die deutsche Regierung beruft sich sodann auf die Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen Bird’s Eye Walls(28) und Hlozek(29) und kommt zu dem Schluss, dass objektiv verschiedene Situationen nicht gleichbehandelt werden sollten.

46.      Mich überzeugt die Argumentation der deutschen Regierung nicht.

47.      Meines Erachtens schließen beide Gruppen Arbeitnehmer ein, die ihre Arbeitsverhältnisse möglicherweise bis zur Regelaltersgrenze (65 Jahre) fortsetzen möchten, aber von Entlassungen betroffen sind. Meiner Ansicht nach sind die beiden Gruppen daher vergleichbar.

48.      Ferner unterscheiden sich die Rechtsfragen in der vorliegenden Rechtssache auch insofern von denjenigen in den Rechtssachen Bird’s Eye Walls und Hlozek, als das „Überbrückungsgeld“, um das es dort ging, nur Arbeitnehmern gezahlt wurde, die nahe am gesetzlichen Renteneintrittsalter waren. In der Rechtssache Hlozek wurde das Überbrückungsgeld Arbeitnehmern gezahlt, die infolge einer Umstrukturierung des Unternehmens, bei dem sie tätig waren, entlassen wurden. Die Leistung wurde an Frauen ab dem 50. Lebensjahr und an Männer ab dem 55. Lebensjahr gezahlt. Die Zahlung des Überbrückungsgelds knüpfte insofern an das Renteneintrittsalter an, als Frauen mit 55 Jahren Anspruch auf Altersrente hatten, während Männer bis zum 60. Lebensjahr warten mussten. Der Gerichtshof sah die Festlegung unterschiedlicher Altersgrenzen für die Gewährung des Überbrückungsgelds als ein neutrales Kriterium an, wodurch das Fehlen einer Diskriminierung bestätigt wurde. Demnach befanden sich Männer und Frauen nicht in einer identischen Situation, so dass ihre jeweilige Rechtsstellung nicht als vergleichbar anzusehen war(30).

49.      Im vorliegenden Fall wird die Abfindung grundsätzlich allen Arbeitnehmern gezahlt. Die Nähe zum Renteneintritt ist ausschließlich für die Anwendung der Sonderformel-Berechnung relevant. Daraus folgt, dass der Vergleich hier richtigerweise zwischen zwei Arbeitnehmern vorzunehmen ist, die entlassen werden. Im Unterschied zu der Fallgestaltung in den Rechtssachen Bird’s Eye Walls und Hlozek(31) geht es nicht um einen Vergleich anhand des Alters, das einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen bei Entlassung begründet.

50.      Hier erfahren behinderte Arbeitnehmer eine weniger günstige Behandlung als nichtbehinderte Arbeitnehmer, weil sie einen Rentenanspruch bereits mit 60 statt mit 65 Jahren erwerben. Bei jedem möglichen Alter wird die erste Komponente in der Sonderformel-Berechnung (Monate bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn) für einen behinderten Arbeitnehmer immer niedriger sein als für einen gleichaltrigen nichtbehinderten Arbeitnehmer.

51.      Demnach führt die vorgeblich neutrale Sonderformel-Berechnung zu einer mittelbaren Diskriminierung behinderter Arbeitnehmer. Die Wirkung der mittelbaren Diskriminierung wegen der Behinderung ist, dass i) ein behinderter Arbeitnehmer, der im Alter von 58 Jahren entlassen wird, erheblich weniger erhält als ein gleichaltriger Arbeitnehmer mit gleichem Arbeitsentgelt und gleicher Betriebszugehörigkeit, der nichtbehindert ist, und ii) der behinderte Arbeitnehmer geringere Aussichten haben könnte als sein nichtbehinderter Kollege, eine neue Beschäftigung zu finden, und für den Rest seines Lebens in größerem Umfang finanziell bedürftig sein könnte, wenn er gezwungen ist, ein vermindertes Rentenniveau zu akzeptieren(32), und iii) es wesentlich kostengünstiger sein wird, behinderte Arbeitnehmer zu entlassen als Arbeitnehmer ohne Behinderung, mit der Folge, dass behinderte Arbeitnehmer potenziell ein größeres Risiko trifft, entlassen zu werden(33).

52.      Ich bin daher der Ansicht, dass der Sozialplan insofern zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung führt, als eine dem Anschein nach neutrale Regelung (Monate bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn) in § 6 Punkt 1.5 des Sozialplans eine Benachteiligung (niedrigere Abfindungsleistungen) behinderter Arbeitnehmer, die mit 60 Jahren in Rente gehen können, gegenüber nichtbehinderten Arbeitnehmern bewirkt, die erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (65 Jahre) einen Rentenanspruch haben.

53.      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Möglichkeit bestehe, aus anderen Gründen vorzeitig in Rente zu gehen, z. B. mit Vollendung des 63. Lebensjahrs(34). Dies ist nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens und erfordert eine Prüfung von Fragen des nationalen Rechts. Der Gerichtshof muss sich daher nicht damit auseinandersetzen.

 Rechtfertigung im Sinne der Richtlinie

54.      Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie liegt eine mittelbare Diskriminierung nicht vor, wenn die fragliche Behandlung durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

55.      Ferner ist eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters (nicht aber aus anderen Gründen, wie etwa einer Behinderung) zulässig, wenn sie von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gedeckt ist. Diese Bestimmung belässt den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum zur Umsetzung ihrer Beschäftigungspolitik und gestattet ihnen, besondere Bedingungen für Entlassungen festzulegen, wenn hierdurch legitime Ziele umgesetzt werden, die eine sonst vorliegende diskriminierende Behandlung wegen des Alters rechtfertigen(35). Nach dem 25. Erwägungsgrund der Richtlinie ist jedoch „unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist“.

56.      Die jeweiligen Anwendungsbereiche von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i und Art. 6 Abs. 1 sind nicht deckungsgleich(36). Gleichwohl hat der Gerichtshof festgestellt, dass es trotz des unterschiedlichen Wortlauts der beiden Bestimmungen (in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i ist die Rede davon, dass Vorschriften durch ein rechtmäßiges Ziel „sachlich“ gerechtfertigt sind, während nach Art. 6 Abs. 1 Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie „objektiv und angemessen“ und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind) nicht in Betracht komme, dass eine Ungleichbehandlung durch ein mit geeigneten und erforderlichen Mitteln erreichtes rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sein könnte, diese Rechtfertigung aber nicht angemessen wäre(37).

–       Rechtmäßiges Ziel

57.      Das Recht zu arbeiten und das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und/oder einer Behinderung sind als Grundrechte in der Charta verankert(38). Da die Rechtfertigung nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i bzw. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie eine Abweichung vom allgemeinen Diskriminierungsverbot darstellt, sind beide Bestimmungen eng auszulegen(39). Ferner tragen die Mitgliedstaaten trotz ihres weiten Ermessens, über das sie im Bereich der Sozialpolitik verfügen, die Beweislast für die Rechtmäßigkeit des verfolgten Ziels (oder der verfolgten Ziele), und an diesen Beweis werden hohe Anforderungen gestellt(40).

58.      Fehlt es in der fraglichen innerstaatlichen Regelung an einer genauen Angabe des verfolgen Ziels, können andere, aus ihrem allgemeinen Kontext abgeleitete Anhaltspunkte herangezogen werden, um das hinter dieser Maßnahme stehende Ziel festzustellen, damit die Rechtmäßigkeit der betreffenden nationalen Regelung sowie ihre Verhältnismäßigkeit gerichtlich überprüft werden können(41).

59.      Das nationale Gericht führt aus, dass der Sozialplan es den Sozialpartnern ermöglichen solle, begrenzte Mittel unter den Arbeitnehmern zu verteilen, die entlassen worden seien. Er soll sicherstellen, dass jede Abfindung die unmittelbaren Folgen der Entlassung durch eine Zahlung mildert, die den Arbeitnehmern einen Übergang zu einer nachfolgenden sicheren Einkommensquelle ermöglicht und für jüngere Arbeitnehmer großzügigere Leistungen vorsieht. Bei Letzteren wird von einer größeren Bedürftigkeit ausgegangen, weil sie anders als ältere, kurz vor dem Renteneintritt stehende Arbeitnehmer nicht über eine klar ersichtliche künftige Einkommensquelle verfügen.

60.      Da nur begrenzte Mittel für die Verteilung unter den entlassenen Arbeitnehmern zur Verfügung stehen, steht das Ziel, für Arbeitnehmer, bei denen von einer größeren Bedürftigkeit ausgegangen wird, großzügigere Leistungen vorzusehen, eindeutig im Allgemeininteresse, und es handelt sich nicht um „rein individuelle Beweggründe, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind, wie Kostenreduzierung oder Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“(42). Ich halte dieses Ziel daher für rechtmäßig.

61.      Nachdem das Ziel rechtmäßig ist, ist der Sozialplan auch angemessen und erforderlich? Anders ausgedrückt, ist der Sozialplan ein geeignetes Mittel zur Erreichung der verfolgten Ziele (Überbrückung des Zeitraums zwischen Entlassung und nächster Einkommensquelle des Arbeitnehmers, Festlegung großzügigerer Leistungen für jüngere Arbeitnehmer, die [anders als ältere Arbeitnehmer kurz vor dem Renteneintritt] nicht über eine klar ersichtliche, sichere künftige Einkommensquelle verfügen)? Und könnten diese Ziele durch weniger diskriminierende Mittel erreicht werden?

–       Ist der Sozialplan ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieser Ziele?

62.      Die drei Faktoren, die zur Ermittlung der Abfindung nach der Standardformel-Berechnung im Sozialplan angewendet werden (Altersfaktor, Betriebszugehörigkeit, Bruttomonatsentgelt), begünstigen ältere Arbeitnehmer bis zum Alter von 57 Jahren(43). Zwischen einem Alter von 36 Jahren (Altersfaktor = 1,00) und 57 Jahren (Altersfaktor = 1,75)(44) bewirkt der Altersfaktor eine Erhöhung des zu zahlenden Abfindungsbetrags. Im Allgemeinen ist es wahrscheinlich, dass sowohl die Betriebszugehörigkeit als auch das Arbeitsentgelt mit dem Alter des Arbeitnehmers steigen(45) und die zu zahlende Abfindung ebenfalls erhöhen.

63.      Die Sozialpartner berücksichtigten dann jedoch, dass ältere Arbeitnehmer, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, einen Rentenanspruch haben. Daher sieht die Sonderformel-Berechnung eine Deckelung bei 85 % des Einkommens vor, das der Arbeitnehmer zwischen der Entlassung und dem frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem er einen Rentenanspruch erwirbt, erzielt hätte. Ohne diese Deckelung würde in der Tat vermutlich ein größerer Teil der begrenzten zur Verfügung stehenden Mittel älteren Arbeitnehmern zufließen, die bald über eine sichere Einkommensquelle (nämlich eine Altersrente) verfügen werden, was sich potenziell zum Nachteil jüngerer Arbeitnehmer auswirken würde(46).

64.      Unter diesen Umständen halte ich es für angemessen, wenn die Sozialpartner eine Deckelung der Leistungen für ältere Arbeitnehmer kurz vor dem Renteneintritt bei der Verteilung der begrenzten, nach dem Sozialplan zur Verfügung stehenden Mittel vorsehen. Insoweit erscheint der Sozialplan als geeignetes Mittel zur Erreichung seiner rechtmäßigen Ziele.

65.      Da jedoch ein behinderter Arbeitnehmer früher in Rente gehen kann (wenn auch mit verminderter Rentenhöhe) als ein nichtbehinderter Arbeitnehmer, benachteiligt die Sonderformel-Berechnung behinderte Arbeitnehmer in besonderer Weise. Im Rahmen der Prüfung des Sozialplans hat das nationale Gericht zu untersuchen, ob infolge der in dieser Weise stattfindenden Deckelung der Leistungen für behinderte Arbeitnehmer eine hinreichend günstige Wirkung auf die für Entlassungsabfindungen zur Verfügung stehenden Gesamtmittel zu erwarten ist, so dass die Reduzierung ihrer Ansprüche angemessen ist. Angesichts der Tatsache, dass die Zahl behinderter Arbeitnehmer in einem Unternehmen im Allgemeinen relativ klein ist(47), erscheint es unwahrscheinlich, dass eine Regelung, die (ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt) behinderte Arbeitnehmer in dieser Weise belastet, angemessen ist.

–       Könnten die Ziele des Sozialplans mit weniger diskriminierenden Mitteln erreicht werden?

66.      Ist es erforderlich, behinderte Arbeitnehmer zu belasten, damit die Sozialpartner großzügigere Regelungen für andere Arbeitnehmer treffen können?

67.      Meines Erachtens ist dies nicht der Fall(48).

68.      Im Rahmen der Berechnung der Leistungen für von Entlassungen betroffene Arbeitnehmer berücksichtigt die Sonderformel-Berechnung nur ein – entscheidendes – Element: die Nähe zum Renteneintritt. Wie ausgeführt, halte ich dies grundsätzlich für angemessen. Bei näherer Betrachtung ist die dem Anschein nach gegebene Billigkeit der Deckelung (nämlich die ausdrückliche Anknüpfung an den Zeitpunkt, zu dem ein alternatives sicheres Einkommen verfügbar wird) jedoch irreführend. Durch die Fokussierung auf ein einziges entscheidendes Element kann die Deckelung anderen Elementen, die für behinderte Arbeitnehmer relevant sind, kein Gewicht beimessen. Insbesondere bezieht zwar jeder Arbeitnehmer, der vorzeitig in Rente geht, eine niedrigere Rente und wird seine Ausgabegewohnheiten möglicherweise entsprechend anpassen müssen, doch bleibt in der Sonderformel-Berechnung die Möglichkeit unberücksichtigt, dass behinderte Arbeitnehmer während ihres gesamten Lebens höhere finanzielle Aufwendungen haben könnten, die sich aus ihrer Behinderung ergeben, und/oder dass sich diese finanziellen Aufwendungen mit zunehmendem Alter erhöhen könnten. Möglicherweise können sie ihre Ausgabegewohnheiten nicht anpassen, ohne erhebliche Opfer zu bringen, die ein nichtbehinderter Kollege nicht zu erbringen hat.

69.      Meines Erachtens könnten daher die rechtmäßigen Ziele des Sozialplans mit weniger diskriminierenden Mitteln erreicht werden, die den besonderen Umständen behinderter Arbeitnehmer bei der Verteilung der begrenzten, für Abfindungen bei Entlassungen zur Verfügung stehenden Mittel hinreichend Rechnung tragen. Aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass die im Sozialplan von Baxter gewählte Gestaltung der Prüfung ihrer Verhältnismäßigkeit nicht standhält.

 Auswahlkriterien für Entlassungen

70.      Es stellt sich eine weitere, die Kriterien für die Auswahl zu entlassender Arbeitnehmer und die Kosten der Entlassung bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern betreffende Frage, auf die ich kurz eingehen sollte.

71.      In der mündlichen Verhandlung haben sowohl Baxter als auch die deutsche Regierung betont, dass Arbeitgeber bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer nur die vier Auswahlkriterien für Kündigungen in § 1 Abs. 2 und 3 KSchG heranziehen dürften(49).

72.      Selbst wenn diese Kriterien gerecht und objektiv angewendet werden, kann die Tatsache, dass es kostengünstiger ist, einen älteren oder behinderten Arbeitnehmer zu entlassen, meines Erachtens gleichwohl Einfluss darauf haben, wer im Ergebnis für eine Kündigung ausgewählt wird.

73.      Betrachten wir die Gründe hierfür anhand eines Beispiels.

74.      Ein Unternehmen, das einen Sozialplan wie den von Baxter anwendet, muss 30 Arbeitnehmer entlassen. In Anwendung von § 1 Abs. 2 und 3 KSchG unterzieht es Arbeitnehmer seiner aktuellen Belegschaft einem „Scoring“ nach jedem der vier Auswahlkriterien, die dort genannt sind(50). Arbeitnehmer mit einem Ergebnis von 80 Punkten oder mehr bleiben von Entlassungen verschont. Anhand der Ergebnisse wählt das Unternehmen ohne große Schwierigkeiten 29 zu entlassende Arbeitnehmer aus – alle haben Ergebnisse deutlich unter dem Schwellenwert. Ein 30. Arbeitnehmer muss ausgewählt werden, und es stehen drei Kandidaten zur Auswahl (A, B und C). A und B sind beide verheiratet und haben zwei unterhaltsberechtigte Angehörige. C ist ledig und hat eine Behinderung, deren Grad zum Bezug einer vorzeitigen Rente für behinderte Arbeitnehmer berechtigt. Alle haben ein Scoring-Ergebnis von 79:


 

A

B

C

Alter

57

54

57

Betriebszugehörigkeit

10

14

12

Unterhaltspflichten

12

12

0

Behinderung

0

0

10

Summe

79

79

79


75.      Ohne C müsste der Arbeitgeber zwischen A und B wählen. Es wäre für ihn kostengünstiger, A auszuwählen. Kommt C hinzu, wird die Wahl des Arbeitgebers jedoch logischerweise auf ihn fallen, und er wird für die Entlassung ausgewählt. Nach meinem Verständnis läge kein Verstoß gegen die Anforderungen des KSchG vor. Es ist einfach so, dass bei einer Auswahlentscheidung zwischen verschiedenen für eine Kündigung mit gleichem Scoring-Ergebnis in Betracht kommenden Kandidaten die logische Auswahl zum Nachteil des älteren und/oder des behinderten Arbeitnehmers ausfällt.

76.      Ich bin daher der Ansicht, dass die Richtlinie innerstaatlichen Regelungen(51) wie denjenigen in § 6 Punkte 1.1 bis 1.5 des Sozialplans entgegensteht. Solche Regelungen führen zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung, da eine dem Anschein nach neutrale Bestimmung des Sozialplans eine Benachteiligung bewirkt. Weil behinderte Arbeitnehmer mit 60 Jahren in Rente gehen können, erhalten sie niedrigere Abfindungsleistungen als nichtbehinderte Arbeitnehmer, die erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze von 65 Jahren in Rente gehen können.

 Fragen 1 und 2

77.      Mit den Fragen 1 und 2 möchte das nationale Gericht im Wesentlichen wissen, ob § 10 Nr. 6 AGG insofern mit der Richtlinie vereinbar ist, als er den Sozialpartnern gestattet, Sozialpläne (wie den hier in Rede stehenden) abzuschließen, die eine Ungleichbehandlung wegen des Alters und/oder einer Behinderung vorsehen.

78.      Das vorlegende Gericht erläutert, dass nach § 10 Nr. 6 AGG eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters zulässig sei. Das nationale Gericht hat jedoch keine ausdrücklichen Feststellungen dazu getroffen, ob (i) der Sozialplan von Baxter in den Anwendungsbereich von § 10 Nr. 6 AGG fällt oder (ii) der Sozialplan (aus Sicht des nationalen Rechts) den Anforderungen dieser Bestimmung genügt.

79.      Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des vorlegenden Gerichts, Bestimmungen des nationalen Rechts auszulegen und ihre Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu beurteilen. Der Gerichtshof kann dem nationalen Gericht jedoch notwendige Hinweise zur Auslegung der Richtlinie geben, die es ihm ermöglichen, über die Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit dem Unionsrecht zu befinden.

80.      Demzufolge habe ich vorgeschlagen, dass der Gerichtshof die Richtlinie dahin auslegen sollte, dass sie dem Sozialplan von Baxter insoweit entgegensteht, als dieser behinderte Arbeitnehmer wie Herr Odar benachteiligt(52). Sollte das nationale Gericht der Ansicht sein, dass der Sozialplan von Baxter nach § 10 Nr. 6 AGG zulässig ist, hätte es sodann zu prüfen, ob diese Bestimmung des nationalen Rechts in Übereinstimmung mit der Richtlinie so ausgelegt werden kann, dass sie solche Sozialpläne verbietet. Sollte dies nicht der Fall sein, muss die Bestimmung unangewendet bleiben(53).

81.      Ich würde die Fragen 1 und 2 daher dahin beantworten, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die einschlägige innerstaatliche Ermächtigungsbestimmung (hier § 10 Nr. 6 AGG) unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 auszulegen und anzuwenden. Sollte das nationale Gericht der Ansicht sein, dass dies nicht möglich ist, muss es diese Bestimmung unangewendet lassen.

 Ergebnis

82.      Demzufolge bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof die Fragen des Arbeitsgerichts München wie folgt beantworten sollte:

1.      Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einzelstaatlichen Maßnahmen wie denjenigen in § 6 Punkte 1.1 bis 1.5 des zwischen Baxter und dem Betriebsrat geschlossenen Sozialplans entgegenstehen, die insofern zu einer mittelbaren Diskriminierung wegen einer Behinderung führen, als eine dem Anschein nach neutrale Bestimmung eine Benachteiligung (niedrigere Abfindungsleistungen) behinderter Arbeitnehmer, die mit 60 Jahren in Rente gehen können, gegenüber nichtbehinderten Arbeitnehmern bewirkt, die erst mit Erreichen der Regelaltersgrenze (65 Jahre) einen Rentenanspruch haben.

2.      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die einschlägige innerstaatliche Ermächtigungsbestimmung unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, im Einklang mit der Richtlinie 2000/78 auszulegen und anzuwenden. Sollte das nationale Gericht der Ansicht sein, dass dies nicht möglich ist, muss es diese Bestimmung unangewendet lassen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Die fraglichen nationalen Maßnahmen sind § 10 Nr. 6 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (siehe unten, Nrn. 12 und 13) und ein zwischen der Beklagten des Ausgangsverfahrens und dem zuständigen Betriebsrat geschlossener Sozialplan: siehe unten, Nrn. 17 und 18. Der konkrete Plan sieht seiner Struktur nach geringere Leistungen vor, als andernfalls an bestimmte Arbeitnehmer zu zahlen wären, schließt diese jedoch nicht gänzlich von Abfindungsleistungen aus.


3 –      Vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) (im Folgenden: Richtlinie).


4 –      ABl. 2010, C 83, S. 389 (im Folgenden: Charta).


5 –      Nach Art. 5 müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Arbeitgeber geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf behinderte Arbeitnehmer zu gewährleisten. Die Arbeitgeber sind daher verpflichtet, behinderten Arbeitnehmern den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. ii liegt keine mittelbare Diskriminierung vor, wenn Arbeitgeber einzelstaatliche Verpflichtungen, die die in Art. 5 genannten Grundsätze umsetzen, einhalten.


6 –      Eine Ausnahme vom generellen Diskriminierungsverbot ist nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie zulässig, wenn Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, die u. a. für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten oder zum Schutz der Gesundheit erforderlich sind. Eine besondere Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters oder einer Behinderung ist in Art. 3 Abs. 4 für die Beschäftigung bei den Streitkräften vorgesehen. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie stellt eine Ungleichbehandlung u. a. wegen des Alters oder einer Behinderung keine Diskriminierung dar, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Siehe z. B. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Januar 2010, Wolf (C‑229/08, Slg. 2010, I‑1).


7 –      Die Verpflichtung zur Beratung mit dem Betriebsrat gilt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, die sich u. a. auf die Zahl der Arbeitnehmer im Unternehmen beziehen. Der Begriff „Umstrukturierung“ schließt (insbesondere) die völlige Einstellung der Geschäftsaktivitäten, eine Fusion, eine Spaltung oder eine grundlegende organisatorische Veränderung wie etwa eine Standortverlegung des fraglichen Unternehmens ein.


8 –      Bei der Entscheidung über den Sozialplan sind die Interessen der von Entlassungen betroffenen Arbeitnehmer, ihre Aussichten, eine neue Beschäftigung zu finden, und die Interessen der nach der Umstrukturierung im Unternehmen verbleibenden Arbeitnehmer ebenso zu berücksichtigen wie die dauerhafte wirtschaftliche Vertretbarkeit für das Unternehmen.


9 –      § 8 regelt eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot für berufliche Anforderungen der auszuübenden Tätigkeit. Vgl. hierzu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie, oben in Nr. 7 und Fn. 6 angeführt.


10 –      Von 2012 an wird die gesetzliche Altersgrenze für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren wurden, stufenweise von 65 auf 67 Jahre angehoben.


11 –      Von 2012 an wird die Altersgrenze für den Anspruch auf eine vorzeitige Rente wegen einer Behinderung für Personen, die nach dem 31. Dezember 1951 geboren wurden, stufenweise von 60 auf 62 Jahre angehoben.


12 –      Eine geringere Leistung (Arbeitslosengeld II) wird gezahlt, wenn (u. a.) die Bezugsdauer für die volle Leistung abgelaufen ist.


13 –      So erhält ein Arbeitnehmer, der 50 Jahre alt ist und über mindestens 30 Monate Beiträge geleistet hat, Leistungen für eine maximale Bezugsdauer von 15 Monaten. Ist er 55 Jahre alt und hat er über mindestens 36 Monate Beiträge geleistet, kann er Leistungen für eine maximale Bezugsdauer von 18 Monaten erhalten, während ein Arbeitnehmer, der 58 Jahre alt ist und über 48 Monate Beiträge geleistet hat, Leistungen für eine maximale Bezugsdauer von 24 Monaten erhält.


14 –      In diesen Schlussanträgen bezeichne ich Baxter und den Betriebsrat auch als „die Sozialpartner“.


15 –      Betriebszugehörigkeit bezeichnet die Beschäftigungsdauer bei Baxter in Jahren.


16 –      Den Vorsorglichen Sozialplan und den Ergänzenden Sozialplan bezeichne ich in diesen Schlussanträgen im Folgenden gemeinsam als „Sozialplan“.


17 –      Nach nationalem Recht ist für die Anerkennung einer Schwerbehinderung und somit für den Anspruch auf eine vorzeitige Rente mit Vollendung des 60. Lebensjahrs ein Grad der Behinderung von 50 % erforderlich; siehe oben, Nr. 14.


18 –      Herr Odar konnte frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahrs eine vorzeitige Rente für Schwerbehinderte mit einem Abschlag von 10,8 % in Anspruch nehmen. Ab Vollendung des 63. Lebensjahrs hat er Anspruch auf die volle Rente.


19 –      Die Abfindung wurde ab 31. Dezember 2008 berechnet, dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung von Herrn Odar durch Baxter mit Schreiben vom 25. April 2008 wirksam wurde (im Folgenden: maßgebender Zeitpunkt); siehe oben, Nr. 20.


20 –      Alle Zahlen sind dem Vorlagebeschluss des nationalen Gerichts entnommen. Es gibt leichte Abweichungen zwischen den Zahlen des nationalen Gerichts und den Zahlenangaben in den Erklärungen der Beteiligten. Meine eigenen Berechnungen ergeben geringfügig abweichende Zahlen, z. B. einen Gesamtbetrag von 616 714,20 Euro nach der Standardformel. Alle Zahlen sollten daher als Näherungswerte behandelt werden.


21 –      Nach meinem Verständnis ist mit „betriebliches System der sozialen Sicherheit“ in den Fragen 3 und 4 der oben in Nr. 17 erwähnte Sozialplan gemeint.


22 –      Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 19. Februar 2009, Schwarz (C‑321/07, Slg. 2009, I‑1113, Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23 –      Diese Formulierung verstehe ich in der vorliegenden Rechtssache im Sinne von „mit einer Behinderung“, da ihr andernfalls ihre Wirkung genommen wäre. Entscheidend ist nicht die konkrete Behinderung, unter der Herr Odar leidet, sondern die Tatsache, dass er als Behinderter anerkannt ist.


24 –      Bestimmte Formen aktiver Maßnahmen mit Bezug auf Personen mit einer Behinderung sind, auch wenn sie eine unmittelbare Ungleichbehandlung aus diesem Grund darstellen, von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie gedeckt.


25 –      Siehe oben, Nr. 22.


26 –      Der Altersfaktor steigt ungleichmäßig von 0,35 bei einem Alter von 18 Jahren auf den höchstmöglichen Faktor (1,75) bei einem Alter von 57 Jahren. Von da an sinkt er steil auf den niedrigsten Wert (0,3) bei einem Alter von 64 Jahren.


27 –      Die jeweiligen Zahlen und die Art und Weise, in der die verschiedenen Daten in die Gleichungen einfließen, sind maßgeblich dafür, was in jedem einzelnen Fall geschieht. In der Standardformel-Berechnung nach dem Sozialplan (Abfindung = Altersfaktor x Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt) bestimmt der Altersfaktor die Zahl der Monate (bzw. Bruchteile eines Monats), mit der das Entgelt in die Berechnung der Abfindung eingeht. Für einen 36 Jahre alten Arbeitnehmer wird das Monatsentgelt also zum Nominalbetrag berücksichtigt (Altersfaktor 1). Im Alter von 57 Jahren wird es mit 1,75 multipliziert, und im Alter von 64 Jahren wird es mit 0,3 multipliziert. Demzufolge wird die Betriebszugehörigkeit eines Arbeitnehmers im Alter von 36 Jahren mit 0,75 (oder ¾) eines Monatsgehalts weniger multipliziert als bei einem 57 Jahre alten Arbeitnehmer. Im Alter von 64 Jahren wird sie mit 1,45 (fast 1 ½) Monatsgehältern weniger multipliziert als bei einem 57 Jahre alten Arbeitnehmer. Daher erhalten Arbeitnehmer mit einem höheren Altersfaktor und längerer Betriebszugehörigkeit höhere Leistungen nach dem Sozialplan.


28 –      Urteil des Gerichtshofs vom 9. November 1993 (C‑132/92, Slg. 1993, I‑5579).


29 –      Urteil des Gerichtshofs vom 9. Dezember 2004 (C‑19/02, Slg. 2004, I‑11491).


30 –      Die Rechtssache Bird’s Eye Walls, oben in Fn. 28 angeführt, betraf einen ähnlichen Fall. Die „Überbrückungsrente“ in diesem Fall wurde einem Arbeitnehmer gezahlt, der aus gesundheitlichen Gründen in Rente gehen musste, bevor er die Regelaltersgrenze für den Renteneintritt erreicht hatte, die für Frauen bei 60 Jahren und für Männer bei 65 Jahren lag. Siehe auch das Urteil in der Rechtssache Hlozek, oben in Fn. 29 angeführt, Randnr. 49.


31 –      Oben in den Fn. 28 und 29 angeführt.


32 –      Vorbehaltlich der nationalen Regelungen in Bezug auf Renten für behinderte Arbeitnehmer, wonach zunächst eine verminderte Rente gezahlt wird, die dann nach drei Jahren zu einer Rente in voller Höhe werden kann, wenn die notwendigen Voraussetzungen nach dem nationalen Recht erfüllt sind.


33 –      Siehe unten, Nrn. 70 bis 75.


34 –      Siehe oben, Nr. 14.


35 –      Vgl. den oben in Nr. 3 wiedergegebenen 25. Erwägungsgrund. Siehe auch Urteil des Gerichtshofs vom 5. März 2009, Age Concern England (C‑388/07, Slg. 2009, I‑1569, Randnr. 51).


36 –      Urteil Age Concern England, oben in Fn. 35 angeführt, Randnr. 58.


37 –      Urteil Age Concern England, oben in Fn. 35 angeführt, Randnr. 65.


38 –      Siehe Art. 21.


39 –      Zur Auslegung von Ausnahmeregelungen im Allgemeinen vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Oktober 2010, Accardo (C‑227/09, Slg. 2010, I‑10273, Randnr. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zur Auslegung der Ausnahmeregelung in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 12. Januar 2010, Petersen (C‑341/08, Slg. 2010, I‑47, Randnr. 60), und kürzlich Urteil des Gerichtshofs vom 13. September 2011, Prigge (C‑447/09, Slg. 2011, I‑8003, Randnr. 56).


40 –      Urteil Age Concern England, oben in Fn. 35 angeführt, Randnr. 65.


41 –      Urteil des Gerichtshofs vom 18. November 2010, Georgiev (C‑250/09 und C‑268/09, Slg. 2010, I‑11869, Randnr. 40).


42 –      Vgl. Urteil Age Concern England, oben in Fn. 35 angeführt, Randnr. 46.


43 –      Siehe oben, Nr. 17.


44 –      Siehe oben, Fn. 26 und 27.


45 –      Siehe oben, Nr. 38.


46 –      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung betont, dass ein Arbeitnehmer, der vorzeitig in Rente gehe, das Recht behalte, sich eine neue Beschäftigung zu suchen. Finde er eine neue Beschäftigung, werde seine Rente ausgesetzt. Er könne dann bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze für den Renteneintritt weiterarbeiten. Zu diesem Zeitpunkt würde seine Rente dann wieder aufleben und seinen besonderen Verhältnissen angepasst. Soweit dieses Argument auf der Annahme beruht, dass der ältere Arbeitnehmer eine neue Beschäftigung finden wird, entbehrt es entsprechender Nachweise vor dem Gerichtshof und steht im Widerspruch zu den bekannten Schwierigkeiten älterer Arbeitnehmer, eine neue Beschäftigung zu finden. Auch wenn es Sache des nationalen Gerichts ist, hierzu Feststellungen zu treffen, erscheint mir das Argument nicht überzeugend. Eindeutig richtig ist jedoch, dass der Zugang zu einer Rente (selbst in verminderter Höhe) eine Einkommenssicherheit schafft, die ein entlassener jüngerer Arbeitnehmer nicht hat.


47 –      Vgl. „Facts on disability in the world of work“ (Fakten zur Behinderung in der Arbeitswelt), veröffentlicht vom International Labour Office, verfügbar unter http://www.ilo.org.


48 –      Siehe oben, Nrn. 44 bis 52.


49 –      Siehe oben, Nr. 16.


50 –      In der Rechtssache Balaban (C‑86/10) wurde der Gerichtshof um Beantwortung der Frage gebeten, ob Vorschriften des nationalen Rechts, die die Auswahl von Arbeitnehmern für Massenentlassungen nach dem Alter zulassen, nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sind. Dem Gerichtshof wurde vorgetragen, dass ein Scoring-System der in meinem Beispiel verwendeten Art eine übliche Methode zur Anwendung der vier Kriterien sei. Die Vorlage in dieser Rechtssache wurde vom nationalen Gericht (Arbeitsgericht Siegburg, Deutschland) nach der mündlichen Verhandlung, aber vor Verkündung eines Urteils zurückgenommen (ABl. 2011, C 252, S. 27).


51 –      Siehe oben, Fn. 2 und Nrn. 26 bis 30, zum Verhältnis zwischen der Richtlinie, dem AGG und dem Sozialplan von Baxter.


52 –      Siehe oben, Nr. 76.


53 –      Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 13. November 1990, Marleasing (C‑106/89, Slg. 1990, I‑4135, Randnr. 8), und kürzlich Urteil des Gerichtshofs vom 10. März 2011, Deutsche Lufthansa (C‑109/09, Slg. 2011, I‑1309, Randnr. 51). Siehe auch Art. 16 der Richtlinie, oben in Nr. 9 angeführt.