Language of document : ECLI:EU:C:2017:103

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

9. Februar 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsamer Zolltarif – Tarifierung – Kombinierte Nomenklatur – Positionen 3824 90 97 und 2106 90 92 – Pulverförmige Ware, die aus Calciumcarbonat (95 %) und modifizierter Stärke (5 %) besteht“

In der Rechtssache C‑441/15

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Bremen (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Juli 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 12. August 2015, in dem Verfahren

Madaus GmbH

gegen

Hauptzollamt Bremen

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras sowie der Richter J. Malenovský und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,


aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Madaus GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt G. Eder,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier, A. Caeiros und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Unterpositionen 3824 90 97 und 2106 90 92 der Kombinierten Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. 1987, L 256, S. 1) in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 927/2012 der Kommission vom 9. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 304, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Madaus GmbH und dem Hauptzollamt Bremen (Deutschland) wegen der zolltariflichen Einreihung eines Ausgangsstoffs mit der Bezeichnung „DESTAB Calcium Carbonate 90SE Ultra 250“, der zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten bestimmt ist, in die Kombinierte Nomenklatur.

 Rechtlicher Rahmen

 Kombinierte Nomenklatur

3        Die zolltarifliche Einreihung von Waren in der Europäischen Union richtet sich nach der zolltariflichen und statistischen Nomenklatur.

4        Nach Art. 12 der Verordnung Nr. 2658/87 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 254/2000 des Rates vom 31. Januar 2000 (ABl. 2000, L 28, S. 16) geänderten Fassung veröffentlicht die Europäische Kommission jährlich in Form einer Verordnung die vollständige Fassung der zolltariflichen und statistischen Nomenklatur zusammen mit den entsprechenden autonomen und vertragsmäßigen Zollsätzen des Gemeinsamen Zolltarifs, wie sie sich aus den vom Rat der Europäischen Union oder von der Kommission beschlossenen Maßnahmen ergeben. Diese Verordnung wird spätestens am 31. Oktober im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und gilt jeweils ab dem 1. Januar des folgenden Jahres.

5        Das vorlegende Gericht meint, dass die Verordnung Nr. 927/2012 anwendbar sei. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich jedoch, dass die in Rede stehende Anmeldung zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vom 11. April 2014 datiert. Unter diesen Umständen ist die zolltarifliche und statistische Nomenklatur auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens in der Fassung anzuwenden, die seit dem 1. Januar 2014 galt und aus der Verordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 (ABl. 2013, L 290, S. 1) hervorgegangen war (im Folgenden: KN). Inhaltlich sind diese beiden Verordnungen aber in Bezug auf die betreffenden Positionen identisch.

6        Teil I („Einführende Vorschriften“) der KN enthält einen Titel I („Allgemeine Vorschriften“), dessen Untertitel A („Allgemeine Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur“) u. a. bestimmt:

„Für die Einreihung von Waren in die [KN] gelten folgende Grundsätze:

1.      Die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel sind nur Hinweise. Maßgebend für die Einreihung sind der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und – soweit in den Positionen oder in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln nichts anderes bestimmt ist – die nachstehenden Allgemeinen Vorschriften.

…“

7        Teil II der KN mit dem Zolltarif ist in Abschnitte untergliedert. Abschnitt IV dieses Teils enthält Kapitel 21 („Verschiedene Lebensmittelzubereitungen“) der KN.

8        Die zu diesem Kapitel 21 gehörende Position 2106 der KN ist wie folgt aufgebaut:

„2106 Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen:

2106 10 – Eiweißkonzentrate und texturierte Eiweißstoffe:

2106 90 – andere:

2106 90 92 – – – kein Milchfett und keine Saccharose, Isoglucose, Stärke oder Glucose enthaltend, oder weniger als 1,5 GHT Milchfett, 5 GHT Saccharose oder Isoglucose, 5 GHT Glucose oder Stärke enthaltend

…“

9        Teil II der KN enthält auch den Abschnitt VI über Erzeugnisse der chemischen Industrie und verwandter Industrien. In diesem Abschnitt findet sich Kapitel 38 („Verschiedene Erzeugnisse der chemischen Industrie“) der KN, das folgende Anmerkung enthält:

„1.      Zu Kapitel 38 gehören nicht:

b)      Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert, von der zum Zubereiten von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung verwendeten Art (im Allgemeinen Position 2106);

…“

10      Die zu diesem Kapitel 38 gehörende Position 3824 der KN ist wie folgt aufgebaut:

„3824 Zubereitete Bindemittel für Gießereiformen oder ‑kerne; chemische Erzeugnisse und Zubereitungen der chemischen Industrie oder verwandter Industrien (einschließlich Mischungen von Naturprodukten), anderweit weder genannt noch inbegriffen:

3824 90 – andere:

3824 90 97 – – – – andere“.

 Verordnung (EU) Nr. 328/2013

11      Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 328/2013 der Kommission vom 8. April 2013 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. 2013, L 102, S. 10) enthält in ihrem Anhang eine Tabelle mit drei Spalten: Die erste bezeichnet jede betroffene Ware, die zweite die ihr zugewiesene Einreihung in die KN, und die dritte bezieht sich auf die Gründe für diese Einreihung.

12      So ergibt sich aus diesem Anhang, dass eine pulverförmige Ware, die aus 97 % Calciumcarbonat und 3 % Stärke besteht, in die Position 2106 90 92 der KN eingereiht wurde. In der Spalte mit der Warenbezeichnung wird diese Ware wie folgt beschrieben:

„Pulverförmige Ware mit folgender Zusammensetzung (in GHT):

–        Calciumcarbonat 97,

–        Stärke 3.

Die Ware eignet sich für die Verwendung in verschiedenen Bereichen, z. B. Lebensmittel, Arzneimittel und Füllstoffe.

Die Ware ist zur Herstellung von Calciumtabletten geeignet.“

13      In der Spalte mit der Begründung der vorgenommenen Einreihung wird angegeben, dass diese „gemäß den Allgemeinen Vorschriften 1 und 6 der [KN], Anmerkung 1 Buchstabe b zu Kapitel 38 und dem Wortlaut der KN-Codes 2106, 2106 90 und 2106 90 92“ erfolgt ist.

14      In dieser Spalte finden sich auch folgende Feststellungen:

„Aufgrund der Anwesenheit eines Stoffs, der nicht unter die Anmerkung 1 Buchstaben a, d oder e zu Kapitel 28 fällt, ist die Ware von diesem Kapitel auszuschließen.

Wegen der Zusammensetzung der Ware ist eine Einreihung in Kapitel 38 durch die Anmerkung 1 Buchstabe b zu diesem Kapitel ausgeschlossen (siehe auch HS-Erläuterungen zu Kapitel 38, Allgemeines).

Die Ware ist daher in die Position 2106 als Lebensmittelzubereitung, anderweit weder genannt noch inbegriffen, einzureihen.“

 Harmonisiertes System und KN

15      Der Rat für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens, jetzt Weltzollorganisation (WZO), wurde durch das am 15. Dezember 1950 in Brüssel unterzeichnete Abkommen zur Gründung dieses Rates errichtet. Das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren (im Folgenden: HS) wurde von der WZO ausgearbeitet und mit dem am 14. Juni 1983 in Brüssel geschlossenen Internationalen Übereinkommen über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung der Waren eingeführt, das mit dem dazugehörigen Änderungsprotokoll vom 24. Juni 1986 durch den Beschluss 87/369/EWG des Rates vom 7. April 1987 (ABl. 1987, L 198, S. 1) im Namen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genehmigt wurde.

16      Die Positionen 2106 und 3824 der KN übernehmen den Wortlaut der Positionen 2106 und 3824 des HS.

17      Die Erläuterungen zum HS werden innerhalb der WZO nach den Bestimmungen des HS-Übereinkommens ausgearbeitet.

18      In den Erläuterungen zum HS zu Kapitel 38 heißt es u. a.:

„Allgemeines

Im Sinne der Anmerkung 1 b) zu diesem Kapitel erstreckt sich die Bezeichnung ‚Lebensmittel oder andere Stoffe mit Nährwert‘ hauptsächlich auf genießbare Erzeugnisse der Abschnitte I bis IV.

Diese Bezeichnung umfasst auch bestimmte andere Erzeugnisse, insbesondere die als mineralische Ergänzungslebensmittel verwendeten Erzeugnisse des Kap. 28, Zucker-Alkohole der Position 2905, essentielle Aminosäuren der Position 2922, Lecithin der Position 2923, Provitamine und Vitamine der Position 2936, Zucker der Position 2940, die zur Verwendung in Lebensmittelzubereitungen bestimmten Bestandteile von tierischem Blut der Position 3002, Casein und Caseinate der Position 3501, Albumine der Position 3502, genießbare Gelatine der Position 3503, genießbare Eiweißstoffe der Position 3504, Dextrine und andere genießbare modifizierte Stärken der Position 3505, Sorbit der Pos. 3824, genießbare Erzeugnisse des Kapitels 39 (wie Amylopectin und Amylose der Position 3913). Es ist darauf hinzuweisen, dass diese Auflistung von Erzeugnissen nur beispielhaft und keinesfalls als erschöpfend anzusehen ist.

Die bloße Anwesenheit von ‚Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert‘ in einer Mischung reicht nicht aus, diese Mischung unter Anwendung von Anmerkung 1 b) vom Kapitel 38 auszuschließen. Stoffe, deren Nährwert in Bezug auf ihre Funktion als chemisches Erzeugnis, z. B. als Lebensmittelzusatzstoff oder Verarbeitungshilfsmittel, nur nebensächlich ist, gelten nicht als ‚Lebensmittel oder Stoffe mit Nährwert‘ im Sinne dieser Anmerkung. Mischungen, die durch die Anmerkung 1 b) aus Kapitel 38 ausgeschlossen sind, gehören zu der Art von Erzeugnissen, die bei der Zubereitung von Lebensmitteln verwendet werden und deren Wert auf ihren ernährungsphysiologischen Eigenschaften beruht.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

19      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Madaus am 11. April 2014 Calciumcarbonat aus den Vereinigten Staaten zur Überführung in den freien Verkehr anmeldete. In der Anmeldung wurde die betreffende Ware von Madaus in die Unterposition 2836 50 00 der KN eingereiht.

20      Bei dieser Ware handelt es sich um einen Ausgangsstoff zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten. Er wird als „DESTAB Calcium Carbonate 90SE Ultra 250“ bezeichnet und besteht aus chemisch einheitlichem Calciumcarbonat in Pulverform und modifizierter Stärke.

21      Die eingeführten Waren wurden dem Antrag der Klägerin entsprechend in den freien Verkehr überführt, und die Einfuhrzölle wurden demzufolge auf den für die Unterposition 2836 50 00 der KN geltenden Satz von 5 % festgesetzt.

22      Das Hauptzollamt Bremen ließ diese Waren jedoch analysieren. Nach dem erstellten Gutachten über die zolltarifliche Einreihung waren diese in die Unterposition 2106 90 92 der KN einzureihen. Aus den durchgeführten Untersuchungen gehe hervor, dass die beigefügte modifizierte Stärke angesichts ihres Gehalts von weniger als 5 GHT kein wesentlicher Bestandteil dieser Ware sei.

23      Da dieser Tarifunterposition Zölle von 12,8 % entsprechen, richtete das Hauptzollamt Bremen am 24. Juni 2014 einen Abgabenbescheid an die Klägerin, um die Zahlung der noch geschuldeten Zölle zu erwirken.

24      Nachdem der gegen diesen Bescheid eingelegte verwaltungsrechtliche Rechtsbehelf zurückgewiesen worden war, erhob Madaus beim vorlegenden Gericht Klage auf Aufhebung dieses Bescheids. Zur Stützung ihrer Klage macht sie nunmehr im Wesentlichen geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware nicht in die Unterposition 2836 50 00 der KN, sondern in die Unterposition 3824 90 97 dieser Nomenklatur hätte eingereiht werden müssen. Sie trägt zum einen vor, dass der Stärkegehalt der betreffenden Ware mehr als 5 % ihres Gesamtgewichts ausmache, und zum anderen, dass die Stärke nicht wegen ihrer ernährungsphysiologischen Eigenschaften beigefügt werde, sondern rein als Verarbeitungshilfsmittel diene, um die Herstellung von Calciumtabletten zu erleichtern. Dass die beigefügte Stärke einen geringen Nährwert habe, sei nebensächlich.

25      Nach Auffassung von Madaus fällt die in Rede stehende Ware demnach unter Kapitel 38 der KN. Der in der Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 38 vorgesehene Ausschluss bestimmter Waren von seinem Anwendungsbereich, der „Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert“ betreffe, sei auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware nicht anzuwenden, da es sich nicht um eine Mischung handele, die insbesondere aus einem Lebensmittel oder einem anderen Stoff mit Nährwert bestehe. Nach den HS-Erläuterungen zu Kapitel 38 reiche die bloße Anwesenheit von Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert, wie im vorliegenden Fall von modifizierter Stärke, in einer Mischung nämlich nicht aus, um diese Mischung vom Anwendungsbereich des Kapitels 38 der KN auszuschließen, da nach diesen Erläuterungen ein Stoff, dessen Nährwert in Bezug auf seine Funktion als Verarbeitungshilfsmittel nebensächlich sei, nicht als Stoff mit Nährwert gelte. Schließlich sei die Durchführungsverordnung Nr. 328/2013 ungültig, da sie die Reichweite der Anmerkung 1 Buchst. b des Kapitels 38 der KN verkenne.

26      Das Hauptzollamt Bremen macht geltend, dass die beiden Bestandteile der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware, Calciumcarbonat und modifizierte Stärke, Stoffe mit Nährwert im Sinne dieser Anmerkung seien und dass es sich deshalb um eine Lebensmittelzubereitung handele, die unter die Position 2106 der KN falle.

27      Das vorlegende Gericht stellt fest, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware aus Calciumcarbonat, das unstreitig ein chemisches Erzeugnis im Sinne des Wortlauts der Position 3824 der KN sei, und modifizierter Stärke bestehe.

28      Wie bereits ausgeführt, seien nämlich nach der Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 38 der KN „Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert, von der zum Zubereiten von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung verwendeten Art“ von diesem Kapitel ausgeschlossen.

29      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von der Frage abhänge, ob dieser zweite Bestandteil ein Lebensmittel oder ein anderer Stoff mit Nährwert im Sinne dieser Anmerkung sei.

30      Dieses Gericht ist der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware unter Kapitel 38 der KN falle, da der Hauptbestandteil, Calciumcarbonat, ein chemisches Erzeugnis sei, während die modifizierte Stärke lediglich zum Zweck der besseren Tablettierbarkeit der Calciumtabletten beigefügt worden sei. Folglich sei die modifizierte Stärke in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware nur als Verarbeitungshilfsmittel vorhanden und nicht, um dieser Ware einen Nährwert zu geben.

31      Das vorlegende Gericht stützt sich dabei auf die Erläuterungen zu Kapitel 38 des HS, wie sie sich aus Rn. 18 des vorliegenden Urteils ergeben, nach denen die bloße Anwesenheit eines Stoffs mit Nährwert in einer Mischung nicht ausreiche, diese Mischung unter Anwendung von Anmerkung 1 Buchst. b von diesem Kapitel auszuschließen, wenn der Nährwert des Stoffs in Bezug auf seine Funktion als chemisches Erzeugnis nur nebensächlich sei.

32      Es hat jedoch Zweifel, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware in Anbetracht der Durchführungsverordnung Nr. 328/2013 unter Kapitel 38 fallen kann. Es führt nämlich aus, dass in dieser Verordnung auf die Anmerkung 1 Buchst. b in Kapitel 38 hingewiesen werde, wonach bestimmte Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln mit Nährwert von diesem Kapitel ausgeschlossen seien. Daher falle eine Ware, die mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vergleichbar sei, unter Kapitel 21 und nicht unter Kapitel 38 der KN und sei folglich in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen. Das vorlegende Gericht meint, dass diese Verordnung aus denselben Gründen ungültig sein könne, die die Einreihung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware in Kapitel 38 der KN rechtfertigten, also aufgrund der Verkennung der Reichweite der Anmerkung 1 Buchst. b zu diesem Kapitel.

33      Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Bremen (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist die KN dahin auszulegen, dass ein Ausgangsstoff mit der Bezeichnung „DESTAB Calcium Carbonate 90SE Ultra 250“ zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten, bestehend aus chemisch einheitlichem Calciumcarbonat in Pulverform und zum Zweck der besseren Tablettierbarkeit beigefügter modifizierter Stärke mit einem – gemäß Verordnung (EU) Nr. 118/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 900/2008 zur Festlegung der Analysemethoden und anderer technischer Bestimmungen für die Anwendung der Einfuhrregelung für bestimmte aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen hergestellte Waren (ABl. 2010, L 37, S. 21) – ermittelten Gehalt an Stärke von weniger als 5 GHT, in die Unterposition 3824 90 97 der KN einzureihen ist?

 Zur Vorlagefrage

34      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die KN dahin auszulegen ist, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten, bestehend aus chemisch einheitlichem Calciumcarbonat in Pulverform und zum Zweck der besseren Tablettierbarkeit beigefügter modifizierter Stärke mit einem Gehalt an Stärke von weniger als 5 GHT, als Lebensmittelzubereitung in die Position 2106 oder als chemisches Erzeugnis in die Position 3824 dieser Nomenklatur einzureihen ist.

35      Zunächst ist hervorzuheben, dass es in einem Vorabentscheidungsverfahren auf dem Gebiet der zolltariflichen Einreihung Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht die Kriterien aufzuzeigen, anhand deren es in der Lage sein muss, die betreffenden Erzeugnisse ordnungsgemäß in die KN einzureihen, nicht aber, diese Einreihung selbst vorzunehmen, zumal der Gerichtshof nicht unbedingt über alle hierfür erforderlichen Angaben verfügt. Das vorlegende Gericht ist somit zu der fraglichen Einreihung jedenfalls besser in der Lage (Urteil vom 17. September 2015, Kyowa Hakko Europe, C‑344/14, EU:C:2015:615, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der KN-Position und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN festgelegt sind (Urteil vom 17. Februar 2016, Salutas Pharma, C‑124/15, EU:C:2016:87, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Die Anmerkungen zu den Kapiteln der KN sind deshalb wichtige Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Gemeinsamen Zolltarifs zu gewährleisten, und können als wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden. Der Inhalt dieser Erläuterungen muss daher mit den Bestimmungen der KN in Einklang stehen und darf deren Bedeutung nicht verändern (vgl. Urteil vom 17. Februar 2016, Salutas Pharma, C‑124/15, EU:C:2016:87, Rn. 30).

38      Außerdem sind die von der WZO zum HS und von der Kommission zur KN ausgearbeiteten Erläuterungen ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (Urteil vom 17. Februar 2016, Salutas Pharma, C‑124/15, EU:C:2016:87, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Für die Zwecke der Einreihung in die geeignete Position kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Kriterium für ihre Tarifierung sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich anhand ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften beurteilen lassen muss (Urteile vom 20. Juni 2013, Agroferm, C‑568/11, EU:C:2013:407, Rn. 41, und vom 4. März 2015, Oliver Medical, C‑547/13, EU:C:2015:139, Rn. 47). Der Verwendungszweck der Ware ist jedoch nur dann ein erhebliches Kriterium, wenn die Tarifierung nicht allein auf der Grundlage der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware erfolgen kann (Urteile vom 16. Dezember 2010, Skoma-Lux, C‑339/09, EU:C:2010:781, Rn. 47, und vom 28. April 2016, Oniors Bio, C‑233/15, EU:C:2016:305, Rn. 33).

40      Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware aus Calciumcarbonat, einem chemischen Erzeugnis, und modifizierter Stärke, einem Stoff mit Nährwert, im Verhältnis von etwa 95 % zu 5 % besteht. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware wird als Ausgangsstoff zur Herstellung von für den menschlichen Verzehr bestimmten Calciumtabletten verwendet. In Anbetracht der objektiven Merkmale und Eigenschaften der betreffenden Ware fällt diese demnach grundsätzlich unter Kapitel 38 der KN über „Verschiedene Erzeugnisse der chemischen Industrie“.

41      Aus dem Wortlaut der Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 38 ergibt sich jedoch, dass „Mischungen von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert, von der zum Zubereiten von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung verwendeten Art (im Allgemeinen Position 2106)“ aus diesem Kapitel ausgeschlossen sind.

42      Zur Beurteilung des Kriteriums der Zusammensetzung der Mischung ist die Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 38 der KN unter Berücksichtigung der dazugehörigen Erläuterungen auszulegen.

43      Zum einen hängt die Einreihung einer Mischung von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert in Kapitel 38 oder in Kapitel 21 der KN von der Zusammensetzung dieser Mischung ab, wie sie sich aus ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften ergibt.

44      Zum anderen wird im letzten Satz des letzten Absatzes der HS-Erläuterungen zu Kapitel 38 klargestellt, dass die aus diesem Kapitel ausgeschlossenen Mischungen „zu der Art von Erzeugnissen [gehören], die bei der Zubereitung von Lebensmitteln verwendet werden und deren Wert auf ihren ernährungsphysiologischen Eigenschaften beruht“.

45      Der Begriff „Mischung“ im Sinne dieses letzten Absatzes bezieht sich daher auf die Mischung – als solche – von chemischen Erzeugnissen und Lebensmitteln oder anderen Stoffen mit Nährwert, ohne nach den Stoffen, aus denen sich die betreffende Mischung zusammensetzt, zu unterscheiden.

46      Deshalb sind als Kriterien für die zolltarifliche Einreihung der betreffenden Ware nicht nur das Kriterium ihrer Merkmale und Eigenschaften, insbesondere der Nährwert der Mischung als solcher, sondern auch das Kriterium des Verwendungszwecks dieser Ware, nämlich, dass diese Mischung bei der Herstellung von Lebensmitteln verwendet wird, heranzuziehen.

47      Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware um eine Mischung handelt, die aus einem chemischen Erzeugnis, Calciumcarbonat, und einem Stoff mit Nährwert, modifizierter Stärke, besteht. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Begriff „Stoffe mit Nährwert“ auch chemische Erzeugnisse erfassen kann (Urteil vom 30. Januar 1992, SuCrest, C‑14/91, EU:C:1992:48, Rn. 10). Dass es sich bei einem Stoff wie Calciumcarbonat um ein chemisches Erzeugnis handelt, schließt es daher nicht aus, ihn als Stoff mit Nährwert anzusehen.

48      Aus der Vorlageentscheidung geht ferner hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware von der Klägerin des Ausgangsverfahrens zunächst unter der Bezeichnung „Calciumcarbonat – Nahrungsergänzungsmittel“ angemeldet wurde. Der Gerichtshof hat indessen bereits festgestellt, dass die Position 2106 der KN nach ihrem Wortlaut anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen erfasst und dass es in den Erläuterungen zum HS für diese Position heißt, dass dazu u. a. als „Nahrungsergänzungsmittel“ bezeichnete Zubereitungen gehören, auf deren Verpackungen angegeben ist, dass sie der Erhaltung der Gesundheit oder des Wohlbefindens dienen (Urteil vom 17. Dezember 2009, Swiss Caps, C‑410/08 bis C‑412/08, EU:C:2009:794, Rn. 31).

49      Es ist unstreitig, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Ware zur Herstellung von für den menschlichen Verzehr bestimmten Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten verwendet wird. Wie die Kommission in ihren Erklärungen ausgeführt hat, tragen diese Calciumtabletten zur Magensäureregulation bei, um die Verdauung zu fördern oder zu erleichtern und – allgemeiner – die Gesundheit und das Wohlbefinden des menschlichen Organismus zu erhalten.

50      Daher ist eine Mischung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften für die Zubereitung von Lebensmitteln bestimmt.

51      Demnach fällt eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter die in der Anmerkung 1 Buchst. b des Kapitels 38 der KN vorgesehene Ausnahme und ist deshalb auf jeden Fall aus diesem Kapitel über „Verschiedene Erzeugnisse der chemischen Industrie“ auszuschließen.

52      Folglich fällt eine Mischung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter Kapitel 21 („Verschiedene Lebensmittelzubereitungen“) der KN und ist daher in die Position 2106 der KN einzureihen, die „Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen“ betrifft und auf die in der Anmerkung 1 Buchst. b zu Kapitel 38 der KN ausdrücklich Bezug genommen wird.

53      Nach alledem ist die KN dahin auszulegen, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten, bestehend aus chemisch einheitlichem Calciumcarbonat in Pulverform und zum Zweck der besseren Tablettierbarkeit beigefügter modifizierter Stärke mit einem Gehalt an Stärke von weniger als 5 GHT in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen ist.

 Kosten

54      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

Die Kombinierte Nomenklatur in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013 ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zur Herstellung von Calciumtabletten in Form von einfachen Tabletten, Brausetabletten und Kautabletten, bestehend aus chemisch einheitlichem Calciumcarbonat in Pulverform und zum Zweck der besseren Tablettierbarkeit beigefügter modifizierter Stärke mit einem Gehalt an Stärke von weniger als 5 GHT in die Position 2106 dieser Nomenklatur einzureihen ist.



Vilaras

Malenovský

Šváby

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Februar 2017.

Der Kanzler

 

      Der Präsident der Achten Kammer

A. Calot Escobar

 

      M. Vilaras


* Verfahrenssprache: Deutsch.