Language of document : ECLI:EU:C:2012:760

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

29. November 2012(*)

„Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union – Assoziierungsabkommen EG–Bulgarien – Stahlsektor – Vor dem Beitritt gewährte staatliche Umstrukturierungsbeihilfen – Voraussetzungen – Lebensfähigkeit der Empfänger am Ende des Umstrukturierungszeitraums – Erklärung der Insolvenz eines Empfängers nach dem Beitritt – Jeweilige Befugnisse der nationalen Behörden und der Europäischen Kommission – Nationale Entscheidung, mit der das Bestehen einer öffentlich-rechtlichen Forderung festgestellt wird, die sich aus rechtswidrig gewordenen Beihilfen zusammensetzt – Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 – Anhang V der Beitrittsakte – Nach dem Beitritt anwendbare Beihilfen – Verordnung (EG) Nr. 659/1999 – Bestehende Beihilfen“

In der Rechtssache C‑262/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 12. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Mai 2011, in dem Verfahren

Kremikovtzi AD

gegen

Ministar na ikonomikata, energetikata i turizma i zamestnik-ministar na ikonomikata, energetikata i turizma

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Richters A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer sowie der Richter U. Lõhmus, A. Ó Caoimh (Berichterstatter), A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Kremikovtzi AD, vertreten durch T. Bankov als Insolvenzverwalter sowie durch K. Atanasov, T. Chobanov und B. Cholakov,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Ivanov und D. Drambozova als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Stobiecka-Kuik und S. Petrova als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Bestimmungen des Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits, im Namen der Gemeinschaft geschlossen und genehmigt durch den Beschluss 94/908/EGKS, EG, Euratom des Rates und der Kommission vom 19. Dezember 1994 (ABl. L 358, S. 1) (im Folgenden: Assoziierungsabkommen EG–Bulgarien oder Europa-Abkommen), des Art. 3 des Zusatzprotokolls zum Europa-Abkommen betreffend die Verlängerung des in Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen vorgesehenen Zeitraums (consilium 10827/02, im Folgenden: Zusatzprotokoll) in der durch den Beschluss Nr. 3/2006 des Assoziationsrates EU–Bulgarien vom 29. Dezember 2006 (im Folgenden: Beschluss EU–BG Nr. 3/2006) geänderten Fassung, des Abschnitts 2 des Anhangs V der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203, im Folgenden: Beitrittsakte), und des Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. L 83, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 659/1999).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kremikovtzi AD (in Insolvenz) (im Folgenden: Kremikovtzi) und dem Ministar na ikonomikata, energetikata i turizma i zamestnik-ministar na ikonomikata, energetikata i turizma (Minister und stellvertretender Minister für Wirtschaft, Energie und Tourismus) über eine Entscheidung, mit der das Bestehen einer öffentlich-rechtlichen Forderung des Staates festgestellt wurde, die sich aus zur Umstrukturierung von Kremikovtzi gewährten Beihilfen zuzüglich Zinsen zusammensetzt (Entscheidung APDV – 01 vom 4. September 2008, im Folgenden: im Ausgangsverfahren angefochtene Entscheidung).

 Rechtlicher Rahmen

 Assoziierungsabkommen EG–Bulgarien und dessen Protokolle

3        Art. 3 Abs. 2 des Assoziierungsabkommens EG–Bulgarien lautet:

„Auf Ministerebene findet der politische Dialog im Assoziationsrat statt. Dieser ist allgemein für alle Fragen zuständig, die die Vertragsparteien ihm vorzulegen wünschen.“

4        Nach seinem Art. 121 wurde das Assoziierungsabkommen EG–Bulgarien auf unbegrenzte Zeit geschlossen, vorbehaltlich der Möglichkeit der Kündigung durch eine oder mehrere Parteien.

5        Das Protokoll Nr. 2 des Europa-Abkommens, das Erzeugnisse betrifft, die unter den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl fallen (ABl. 1994, L 358, S. 91, im Folgenden: Protokoll Nr. 2 zum Europa-Abkommen) sieht in seinem Art. 9 vor:

„(1)      Soweit sie geeignet sind, den Handel zwischen der Gemeinschaft und Bulgarien zu beeinträchtigen, sind mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des Abkommens unvereinbar

iii)      staatliche Beihilfen gleich welcher Art, mit Ausnahme der Beihilfen, die aufgrund des EGKS-Vertrags zulässig sind.

(2)      Alle Verhaltensweisen, die im Gegensatz zu diesem Artikel stehen, werden nach den Kriterien beurteilt, die sich aus den … Rechtsvorschriften über die staatlichen Beihilfen sowie dem abgeleiteten Recht ergeben.

(4)      Die Vertragsparteien erkennen an, dass Bulgarien während der ersten fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Abkommens abweichend von Absatz 1 Ziffer iii) für EGKS-Stahlerzeugnisse ausnahmsweise staatliche Beihilfen zur Umstrukturierung gewähren kann, sofern

–      das Umstrukturierungsprogramm nach dem Ende des Umstrukturierungszeitraums zur Lebensfähigkeit der begünstigten Firmen unter normalen Marktbedingungen führt und

–      Höhe und Intensität dieser Beihilfen auf das zur Erreichung dieses Ziels unbedingt notwendige Maß beschränkt und die Beihilfen schrittweise gesenkt werden;

–      das Umstrukturierungsprogramm mit einer umfassenden Rationalisierung und einem umfassenden Kapazitätsabbau in Bulgarien einhergeht.

(5)      Die Vertragsparteien sorgen für die Transparenz der staatlichen Beihilfen, indem sie uneingeschränkt und kontinuierlich Informationen, u. a. über Höhe, Intensität und Zweck der Beihilfen und über die Einzelheiten des Umstrukturierungsplans austauschen.

…“

6        Durch Art. 1 des am 21. November 2002 unterzeichneten Zusatzprotokolls wurde der Zeitraum, in dem die Republik Bulgarien ausnahmsweise staatliche Beihilfen zur Umstrukturierung der Stahlindustrie gewähren durfte, um acht Jahre ab 1. Januar 1998 bzw. bis zum Zeitpunkt des Beitritts der Republik Bulgarien, falls dieser früher erfolgen würde, verlängert.

7        Diese Verlängerung wurde an zwei, in den Art. 2 und 3 des Zusatzprotokolls genannte Voraussetzungen geknüpft. Nach Art. 2 des Zusatzprotokolls waren der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein Umstrukturierungsprogramm und Geschäftspläne zu übermitteln, die die Bedingungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllten. Nach Art. 3 des Zusatzprotokolls setzte die Verlängerung des genannten Zeitraums eine abschließende Prüfung des Umstrukturierungsprogramms und der Geschäftspläne durch die Kommission voraus.

8        Gemäß seinem Art. 4 konnte das Zusatzprotokoll durch Beschluss des durch das Assoziierungsabkommen EG–Bulgarien geschaffenen Assoziationsrates (im Folgenden: Assoziationsrat EG–Bulgarien) geändert werden.

9        Dieses Protokoll wurde erstmals durch den Beschluss Nr. 1/2004 des Assoziationsrates EG–Bulgarien vom 28. September 2004 (ABl. 2005, L 68, S. 41) geändert, der die Art. 2 und 3 des Zusatzprotokolls ersetzte. Aus dem vierten Erwägungsgrund dieses Beschlusses ergibt sich, dass mit dieser Änderung die Übereinstimmung des Zusatzprotokolls mit der geänderten institutionellen Struktur in der Republik Bulgarien gewährleistet werden sollte.

10      Durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 wurde das Zusatzprotokoll zum zweiten Mal geändert.

11      Aus dem ersten Erwägungsgrund dieses Beschlusses geht hervor, dass die Republik Bulgarien im Rahmen eines im Lauf des Jahres 2006 geänderten Umstrukturierungsprogramms vorschlug, für den Fall, dass sich bei der Überwachung der Umstrukturierung herausstellen sollte, dass die einschlägigen Voraussetzungen des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen nicht erfüllt und die wichtigsten Umstrukturierungsmaßnahmen nicht abgeschlossen waren oder dass sie der Stahlindustrie im Umstrukturierungszeitraum zusätzliche staatliche Beihilfen gewährt hat, die unter Missachtung dieser Voraussetzungen gewährten Beihilfen gemäß dem vor bzw. nach ihrem Beitritt zur Europäischen Union geltenden Recht zurückzufordern.

12      Durch Art. 1 des Beschlusses EU–BG Nr. 3/2006 erhielt Art. 3 des Zusatzprotokolls folgende Fassung:

„Die Europäische Kommission überwacht im Namen der Europäischen Gemeinschaft regelmäßig die Durchführung des Umstrukturierungsprogramms und der Pläne. Das Finanzministerium erfüllt diese Aufgabe im Namen Bulgariens. Die Europäische Kommission kann Bulgarien auffordern, geeignete Maßnahmen zur Änderung des Umstrukturierungsplans für das Unternehmen Kremikovtzi AD zu treffen, falls unwahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des Artikels 9 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllt werden.

Die Europäische Kommission stellt fest, ob das Umstrukturierungsprogramm und die Pläne vollständig durchgeführt sind und die Voraussetzungen des Artikels 9 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllen.

Stellt sich bei der Überwachung der Durchführung des Umstrukturierungsprogramms und der Pläne heraus, dass die einschlägigen Voraussetzungen des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen nicht erfüllt und die wichtigsten Umstrukturierungsmaßnahmen, einschließlich aller getätigten Investitionen, nicht abgeschlossen sind oder dass Bulgarien der Stahlindustrie und insbesondere Kremikovtzi AD im Umstrukturierungszeitraum zusätzliche staatliche Beihilfen gewährt hat, so fordert Bulgarien die unter Missachtung dieser Voraussetzungen gewährten Beihilfen vor oder nach seinem Beitritt zur Europäischen Union von dem Empfänger zurück.“

 Primärrecht

13      Der EGKS-Vertrag trat gemäß Art. 97 KS am 23. Juli 2002 außer Kraft.

14      Art. 2 der Beitrittsakte lautet:

„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“

15      Anhang V der Beitrittsakte sieht in Abschnitt 2 einen Mechanismus zur Kontrolle der in Bulgarien vor dessen Beitritt zur Union umgesetzten staatlichen Unterstützungsmaßnahmen vor. Die Nrn. 1 bis 3 dieses Abschnitts bestimmen:

„1.      Die folgenden Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die in einem neuen Mitgliedstaat vor dem Tag des Beitritts eingeführt worden und auch nach diesem Tag noch anwendbar sind, gelten als zum Tag des Beitritts bestehende Beihilfen im Sinne von Artikel 88 Absatz 1 [EG]:

a)      Beihilfemaßnahmen, die vor dem 10. Dezember 1994 eingeführt worden sind;

b)      Beihilfemaßnahmen, die in der Anlage zu diesem Anhang aufgeführt sind;

c)      Beihilfemaßnahmen, die vor dem Tag des Beitritts von der Kontrollbehörde für staatliche Beihilfen des neuen Mitgliedstaats überprüft und als mit dem Besitzstand vereinbar beurteilt wurden und gegen die die Kommission keine Einwände aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt gemäß dem in Nummer 2 vorgesehenen Verfahren erhoben hat.

Nach dem Tag des Beitritts weiterhin anzuwendende Maßnahmen, die staatliche Beihilfen darstellen und nicht die vorstehend genannten Voraussetzungen erfüllen, sind als zum Tag des Beitritts für die Zwecke der Anwendung von Artikel 88 Absatz 3 [EG] neue Beihilfen anzusehen.

2.      …

Erhebt die Kommission innerhalb von drei Monaten nach dem Eingang der vollständigen Informationen zu der bestehenden Beihilfemaßnahme oder nach dem Eingang einer Erklärung des neuen Mitgliedstaats, in der er der Kommission mitteilt, dass er die gelieferten Informationen für vollständig erachtet, da die angeforderte zusätzliche Information nicht verfügbar ist oder bereits geliefert wurde, keine Einwände gegen die Maßnahme aufgrund schwerwiegender Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt, so wird davon ausgegangen, dass sie keine Einwände erhoben hat.

Auf alle vor dem Tag des Beitritts nach dem Verfahren der Nummer 1 Buchstabe c der Kommission mitgeteilten Beihilfemaßnahmen findet das vorstehend genannte Verfahren Anwendung, ungeachtet der Tatsache, dass der betreffende neue Mitgliedstaat während des Überprüfungszeitraums Mitglied der Union geworden ist.

3.      Eine Entscheidung der Kommission, Einwände gegen eine Maßnahme nach Nummer 1 Buchstabe c zu erheben, gilt als Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Sinne der Verordnung [Nr. 659/1999].

Ergeht eine solche Entscheidung vor dem Tag des Beitritts, so wird die Entscheidung erst zum Tag des Beitritts wirksam.“

 Verordnung Nr. 659/1999

16      Aus dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 659/1999 ergibt sich, dass die Kommission zur Gewährleistung der Vereinbarkeit bestehender Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt nach Art. 108 Abs. 1 AEUV zweckdienliche Maßnahmen vorschlagen sollte, wenn solche Beihilfen nicht oder nicht mehr mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind, und dass sie das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV eröffnen sollte, wenn der betreffende Mitgliedstaat die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht durchführen will.

17      In Art. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

b)      ‚bestehende Beihilfen‘

i)      unbeschadet … des Anhangs V [Abschnitt] 2 und [Abschnitt] 3 Buchstabe b und der Anlage zu diesem Anhang der Akte über den Beitritt Bulgariens und Rumäniens alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags in dem entsprechenden Mitgliedstaat bestanden, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die vor Inkrafttreten des Vertrags eingeführt worden sind und auch nach dessen Inkrafttreten noch anwendbar sind;

c)      ‚neue Beihilfen‘ alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen;

…“

18      Art. 7 („Entscheidungen der Kommission über den Abschluss des förmlichen Prüfverfahrens“) der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmt in seinem Abs. 5:

„Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass die angemeldete Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, so entscheidet sie, dass diese Beihilfe nicht eingeführt werden darf (nachstehend ‚Negativentscheidung‘ genannt).“

19      Art. 14 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sieht vor:

„In Negativentscheidungen hinsichtlich rechtswidriger Beihilfen entscheidet die Kommission, dass der betreffende Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen ergreift, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern … Die Kommission verlangt nicht die Rückforderung der Beihilfe, wenn dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde.“

20      Art. 19 („Rechtsfolgen eines Vorschlags zweckdienlicher Maßnahmen“) der Verordnung Nr. 659/1999 betrifft bestehende Beihilfen und lautet:

„(1)      Wenn der betreffende Mitgliedstaat den vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmt und die Kommission hiervon in Kenntnis setzt, hält die Kommission dies fest und unterrichtet den Mitgliedstaat hiervon. Der Mitgliedstaat ist aufgrund seiner Zustimmung verpflichtet, die zweckdienlichen Maßnahmen durchzuführen.

(2)      Wenn der betreffende Mitgliedstaat den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht zustimmt und die Kommission trotz der von dem Mitgliedstaat vorgebrachten Argumente weiterhin die Auffassung vertritt, dass diese Maßnahmen notwendig sind, so leitet sie das Verfahren nach Artikel 4 Absatz 4 ein. Die Artikel 6, 7 und 9 gelten entsprechend.“

 Beschluss der Kommission vom Dezember 2009

21      Art. 1 des Beschlusses der Kommission vom 15. Dezember 2009 über das Staatliche Umstrukturierungsprogramm und den Individuellen Geschäftsplan für den bulgarischen Stahlproduzenten Kremikovtzi (Zusammenfassung veröffentlicht im ABl. 2012, C 27, S. 3, im Folgenden: Beschluss der Kommission vom Dezember 2009) lautet: „Das Umstrukturierungsprogramm und die Pläne für Kremikovtzi AD wurden nicht vollständig durchgeführt und erfüllen daher nicht die Voraussetzungen des Artikels 9 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa- Abkommen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22      Kremikovtzi ist eine juristische Person bulgarischen Rechts, die bis zu ihrer Privatisierung im Jahr 1999 in staatlichem Eigentum stand.

23      Gemäß Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen verfügte die Republik Bulgarien über einen Zeitraum von fünf Jahren ab 1. Januar 1993 bis 31. Dezember 1997, in dem sie ausnahmsweise staatliche Beihilfen zur Umstrukturierung der Stahlindustrie gewähren durfte.

24      Aus den Akten ergibt sich, dass Kremikovtzi jedoch nach 1997 staatliche Beihilfen in verschiedenen Formen erhielt, und zwar durch den Erlass gegenüber dem Staat bestehender Schulden, die Gewährung staatlicher Mittel zur Tilgung anderer Schulden und günstige Darlehensbedingungen.

25      Daher wurde der Zeitraum, in dem die Republik Bulgarien ausnahmsweise staatliche Beihilfen zur Umstrukturierung der Stahlindustrie gewähren durfte, durch das Zusatzprotokoll um acht Jahre ab 1. Januar 1998 oder bis zum Tag des Beitritts der Republik Bulgarien verlängert, je nachdem, welcher Zeitpunkt früher eintreten würde.

26      Entsprechend der in Art. 2 des Zusatzprotokolls aufgestellten Voraussetzung legte die Republik Bulgarien der Kommission ein Umstrukturierungs- und Entwicklungsprogramm für die bulgarische Stahlindustrie und einen Geschäftsplan für das einzige Stahlunternehmen vor, das staatliche Umstrukturierungsbeihilfen erhalten hatte, nämlich Kremikovtzi.

27      Im Rahmen der Ausarbeitung dieses Programms und dieses Plans stellte die Komisia za zashtita na konkurentsia (Kommission für Wettbewerbsschutz, die damals für die Aufsicht über staatliche Beihilfen zuständige bulgarische Behörde) durch Entscheidungen vom 6. November 2003 und vom 3. Februar 2004 fest, dass Kremikovtzi verschiedene staatliche Beihilfen in Höhe von insgesamt 431 073 159 BGN erhalten hatte. Aus den Akten ergibt sich, dass der überwiegende Teil dieses Betrags 1999 gezahlt und der Rest 2004 in Form einer Umschuldung der Verbindlichkeiten von Kremikovtzi gegenüber ihren Gas- und Stromversorgern gewährt wurde.

28      Aus dem zehnten Erwägungsgrund des Beschlusses 2004/746/EG des Rates vom 18. Oktober 2004 über die Erfüllung der Voraussetzungen des Artikels 3 des Zusatzprotokolls zum Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits betreffend die Verlängerung des in Artikel 9 Absatz 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen vorgesehenen Zeitraums (ABl. L 328, S. 101) geht u. a. hervor, dass die Kommission im Einklang mit Art. 3 des Zusatzprotokolls in der damals geltenden Fassung eine Prüfung des Umstrukturierungsprogramms und des Geschäftsplans vornahm. Diese Prüfung ergab u. a., dass der in dem Plan angegebene Betrag der staatlichen Umstrukturierungsbeihilfe schrittweise gesenkt werden und die Beihilfe im Lauf des Jahres 2005 wegfallen sollte.

29      Nach dem Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 12. August 2008 („Erster Bericht über die Umstrukturierung der Stahlindustrie in Bulgarien und Rumänien“) (KOM[2008] 511) wurden Kremikovtzi 2006 keine Beihilfen gewährt.

30      Gegen Ende 2006 wurde wegen der Änderungen der Investitionsvorhaben und dem Zeitverlust, die mit dem Eigentümerwechsel bei Kremikovtzi verbunden waren, eine Verlängerung der Frist zur Umsetzung des genannten Plans bis Ende 2008 beantragt. In den Erwägungsgründen des Beschlusses EU–BG Nr. 3/2006 werden ein geändertes Umstrukturierungsprogramm und ein geänderter Geschäftsplan erwähnt. Nach der Vorlageentscheidung sah das geänderte Umstrukturierungsprogramm vor, dass der Umstrukturierungsprozess bis 31. Dezember 2008 abgeschlossen sein würde.

31      Am 6. August 2008 wurde über Kremikovtzi das Insolvenzverfahren eröffnet. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde sie offiziell für zahlungsunfähig ab dem 6. Juni 2008 erklärt.

32      Angesichts dieser Erklärung der Zahlungsunfähigkeit erließ der stellvertretende Minister für Wirtschaft und Energie die im Ausgangsverfahren angefochtene Entscheidung über einen Betrag von 431 073 159 BGN zuzüglich Zinsen. Dem Administrativen sad Sofia-grad zufolge wird in der Entscheidung davon ausgegangen, dass die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit von Kremikovtzi und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den individuellen Plan für die Lebensfähigkeit von Kremikovtzi hinfällig gemacht hätten. Unter diesen Umständen sei Kremikovtzi nicht in der Lage, Lebensfähigkeit unter Marktbedingungen zu erreichen, was einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen darstelle, der die staatliche Beihilfe rechtswidrig mache. Nach Auffassung des Urhebers der im Ausgangsverfahren angefochtenen Entscheidung habe die Rückforderung der Beihilfe nach dem aktualisierten Umstrukturierungsprogramm zu erfolgen.

33      Auf eine Klage von Kremikovtzi hin erklärte das vorlegende Gericht (durch einen anderen Spruchkörper) die im Ausgangsverfahren angefochtene Entscheidung für nichtig. Das erstinstanzliche Gericht ging davon aus, dass die Rückforderung der Beihilfe nach geltendem Recht nur erfolgen könne, wenn der Finanzminister der Kommission zuvor eine Mitteilung sende und diese eine Entscheidung erlasse, mit der die Rückforderung der Beihilfe wegen deren Unzulässigkeit angeordnet werde. Im vorliegenden Fall sei keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt.

34      Die Nichtigerklärung wurde vom Minister für Wirtschaft, Energie und Tourismus beim Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) angefochten. Dieser hob die Entscheidung des früher mit der Sache befassten Spruchkörpers des Administrativen sad Sofia-grad auf und verwies die Sache mit bestimmten verbindlichen Hinweisen für die Entscheidung des Rechtsstreits zur Neuverhandlung an einen anderen Spruchkörper desselben Gerichts zurück, wobei die erste Instanz die neu vorgelegten schriftlichen Beweise einschließlich des Beschlusses der Kommission vom Dezember 2009 zu berücksichtigen hat.

35      Im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht hat der Insolvenzverwalter von Kremikovtzi beantragt, das Verfahren auszusetzen, um den Gerichtshof um Vorabentscheidung zum einen zu der Frage zu ersuchen, welche Behörde zuständig ist, um über die Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt zu entscheiden und ihre Rückforderung als rechtswidrige Beihilfe zu verlangen, und zum anderen zu der Frage, welche rechtliche Tragweite die Entscheidung der Kommission vom Dezember 2009 hat.

36      Der Administrativen sad Sofia-grad hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Bestimmungen des Europa-Abkommens und insbesondere der Beschlüsse des Assoziationsrats EU–Bulgarien auf die staatlichen Beihilfen anwendbar, die vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union gemäß den Bestimmungen des Europa-Abkommens und insbesondere gemäß Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen gewährt wurden, wenn die Beurteilung der Unvereinbarkeit der auf diese Weise gewährten staatlichen Beihilfe nach dem Zeitpunkt des Beitritts der Republik Bulgarien zur Union erfolgt? Falls diese Frage bejaht wird, ist folgende Auslegung erforderlich:

a)      Ist Art. 3 Abs. 2 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass nur die Europäische Kommission feststellen kann, ob das Umstrukturierungsprogramm und die Pläne nach Art. 2 des Zusatzprotokolls vollständig durchgeführt sind und die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllen? Falls diese Frage verneint wird, ist folgende Auslegung erforderlich:

b)      Ist Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen, dass die zuständige nationale Behörde der Republik Bulgarien das Recht hat, eine Entscheidung über die Rückforderung einer staatlichen Beihilfe, die nicht die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllt, zu erlassen? Falls der Gerichtshof diese Frage verneint, ist um Auslegung der folgenden Frage zu ersuchen:

2.      Ist die Bestimmung in Nr. 1 des die Wettbewerbsregeln betreffenden Abschnitts 2 des Anhangs V der Beitrittsakte dahin auszulegen, dass die fragliche staatliche Beihilfe eine „neue Beihilfe“ im Sinne des Abschnitts 2 dieses Anhangs darstellt? Falls ja, sind in einem solchen Fall die Bestimmungen der Art. 107 AEUV und 108 AEUV (Art. 87 EG und 88 EG) über staatliche Beihilfen sowie die Bestimmungen der Verordnung Nr. 659/1999 auf solche „neuen Beihilfen“ anzuwenden?

a)      Bei Verneinung dieser Frage ist es erforderlich, die folgende Frage zu beantworten: Ist Anhang V der Beitrittsakte dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden nicht zur Rückforderung einer staatlichen Beihilfe wie der des Ausgangsverfahrens schreiten können, bevor die Kommission einen Beschluss erlassen hat, mit dem die fragliche staatliche Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird?

b)      Falls die vorangehende Frage bejaht wird: Ist der Beschluss der Kommission vom Dezember 2009 als Negativentscheidung in Bezug auf eine rechtswidrige Beihilfe im Sinne von Art. 14 der Verordnung Nr. 659/1999 aufzufassen?

 Zu den Vorlagefragen

37      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, auf welcher Rechtsgrundlage die Umstrukturierungsbeihilfen zu beurteilen und gegebenenfalls zurückzufordern sind, die vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union am 1. Januar 2007 dem Stahlunternehmen Kremikovtzi gewährt wurden, über das im Jahr 2008, d. h. nach dem Beitritt, ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, in dessen Rahmen seine Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde. Insbesondere möchte das vorlegende Gericht klären lassen, ob ein Verfahren zur Rückforderung der Kremikovtzi gewährten Beihilfen auf Art. 3 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung oder auf die sich aus Anhang V der Beitrittsakte und aus der Verordnung Nr. 659/1999 ergebenden Mechanismen zu stützen ist und ob in jedem Fall eine Entscheidung der Kommission eine zwingende Vorbedingung im Rahmen der Rückforderung der vor dem Beitritt gewährten Beihilfen durch die bulgarischen Behörden darstellt.

38      Zur Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts ist zunächst auf einige besondere Umstände des Ausgangsrechtsstreits hinzuweisen, die sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergeben.

39      Es steht fest, dass das Protokoll Nr. 2 zum Europa-Abkommen Übergangsregelungen zu Umstrukturierungsbeihilfen enthielt, die es der Republik Bulgarien erlauben sollten, die Umstrukturierung in ihrem Stahlsektor erfolgreich durchzuführen.

40      So wurde Bulgarien nach Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen gestattet, Beihilfen zu einer solchen Umstrukturierung zu gewähren, wobei dafür u. a. Voraussetzung war, dass diese Beihilfen nach dem Ende des Umstrukturierungszeitraums zur Lebensfähigkeit der begünstigten Firmen unter normalen Marktbedingungen führten.

41      Wie die Kommission ausgeführt hat, enthält die Akte über den Beitritt der Republik Bulgarien, anders als die Beitrittsakten anderer Staaten (siehe zum Vergleich Urteil vom 24. März 2011, ISD Polska u. a./Kommission, C‑369/09 P, Slg. 2011, I‑2011, Randnr. 7), keine besonderen Bestimmungen zu Beihilfen, die Unternehmen des Stahlsektors vor dem Beitritt gewährt wurden. Hierzu ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Dokumenten, dass die Republik Bulgarien im Zuge der Beitrittsverhandlungen erklärt hat, sie werde keine weiteren Beihilfen zugunsten ihrer Stahlindustrie bewilligen, und dass sie ihren Antrag auf Verlängerung des Zeitraums, in dem diesem Sektor Beihilfen gewährt werden dürfen, zurückgenommen hat.

42      Kurz vor ihrem Beitritt zur Union teilte die Republik Bulgarien jedoch im Wesentlichen mit, dass die Voraussetzung der Lebensfähigkeit von Kremikovtzi im Rahmen des nationalen Umstrukturierungsprogramms nicht erfüllt werden könne. Sie legte daher ein geändertes Umstrukturierungsprogramm und einen geänderten Geschäftsplan vor und beantragte eine Verlängerung des Umstrukturierungszeitraums bis Ende 2008. Kremikovtzi war das einzige Unternehmen, das unter das geänderte nationale Umstrukturierungsprogramm fiel.

43      Wie sich aus dem ersten Erwägungsgrund des Beschlusses EU–BG Nr. 3/2006 ergibt, hat die Republik Bulgarien im Rahmen des geänderten Umstrukturierungsprogramms im Wesentlichen vorgeschlagen, dass sie, sollte sich bei der Überwachung der Umstrukturierung herausstellen, dass die einschlägigen Voraussetzungen des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen nicht erfüllt seien, die unter Missachtung dieser Voraussetzungen gewährten Beihilfen zurückfordern werde.

44      Die Kommission hat das geänderte Umstrukturierungsprogramm und den geänderten Geschäftsplan geprüft und keine Einwände gegen die beantragte Verlängerung erhoben.

45      Am 29. Dezember 2006 erließ der Assoziationsrat EU–Bulgarien auf Vorschlag der Kommission den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006.

46      Die finanzielle Situation von Kremikovtzi verschlechterte sich weiter, und das Unternehmen wurde im Jahr 2008 insolvent.

47      Daher eröffneten die bulgarischen Behörden durch die im Ausgangsverfahren angefochtene Entscheidung, gestützt auf Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung, ein Verfahren zur Rückforderung der Umstrukturierungsbeihilfen, die in den in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils genannten Entscheidungen aufgeführt sind.

48      Im Ausgangsverfahren werden die angefochtene Entscheidung und die genannte Rechtsgrundlage von Kremikovtzi in Frage gestellt. Diese trägt im Wesentlichen vor, die bulgarischen Behörden könnten ohne eine Negativentscheidung der Kommission im Sinne der Verordnung Nr. 659/1999 keine autonome Rückforderungsentscheidung erlassen.

49      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der EG-Vertrag für bestehende und für neue Beihilfen unterschiedliche Verfahren vorsieht (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 30. Juni 1992, Italien/Kommission, C‑47/91, Slg. 1992, I‑4145, Randnrn. 22 bis 24, und vom 9. August 1994, Namur-Les assurances du crédit, C‑44/93, Slg. 1994, I‑3829, Randnrn. 10 bis 12). Während neue Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 3 EG der Kommission im Voraus angezeigt werden müssen und nicht durchgeführt werden dürfen, bevor die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat, können bestehende Beihilfen gemäß Art. 88 Abs. 1 EG ordnungsgemäß durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 15. März 1994, Banco Exterior de España, C‑387/92, Slg. 1994, I‑877, Randnr. 20, vom 29. April 2004, Italien/Kommission, C‑372/97, Slg. 2004, I‑3679, Randnr. 42, und C‑298/00 P, Slg. 2004, I‑4087, Randnr. 47, und vom 18. November 2010, NDSHT/Kommission, C‑322/09 P, Slg. 2010, I‑11911, Randnr. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Außerdem ergibt sich aus Art. 2 der Beitrittsakte, dass die Art. 87 EG bis 89 EG und die Verordnung Nr. 659/1999 in Bulgarien erst seit dessen Beitritt zur Union am 1. Januar 2007 nach Maßgabe der Beitrittsakte gelten.

51      Zu den in Bulgarien vor dessen Beitritt zur Union durchgeführten Beihilfen sieht Anhang V der Beitrittsakte in Abschnitt 2 einen Kontrollmechanismus vor. Mit diesem Mechanismus soll u. a. das Spektrum der Beihilfen begrenzt werden, die beim Beitritt als „bestehende Beihilfen“ im Sinne des Art. 88 Abs. 1 EG angesehen werden können.

52      Nach diesem Mechanismus werden Maßnahmen, die vor dem Beitritt durchgeführt wurden, aber zum einen nach dem Beitritt immer noch anwendbar sind und zum anderen zum Zeitpunkt des Beitritts die kumulativen Kriterien des Art. 87 Abs. 1 EG erfüllen, den in Anhang V der Beitrittsakte aufgestellten besonderen Regeln unterstellt, sei es als bestehende Beihilfen im Sinne des Art. 88 Abs. 1 EG, wenn sie unter eine der drei in diesem Anhang genannten Kategorien fallen, oder als zum Tag des Beitritts für die Zwecke der Anwendung von Art. 88 Abs. 3 EG neue Beihilfen, wenn sie nicht unter eine dieser drei Kategorien fallen.

53      Vor dem Tag des Beitritts getroffene staatliche Unterstützungsmaßnahmen müssen daher, um den besonderen Regeln des Anhangs V der Beitrittsakte unterstellt werden zu können, insbesondere ab dem Beitritt weiterhin im Sinne dieses Anhangs „anwendbar“ sein.

54      Zudem lässt sich namentlich aus Art. 1 Buchst. b Ziff. i und Buchst. c der Verordnung Nr. 659/1999 in Verbindung mit Art. 2 der Beitrittsakte herleiten, dass die in Art. 87 Abs. 1 EG aufgeführten Kriterien als solche in Bulgarien erst ab dem Beitritt unmittelbar angewandt werden können, und zwar nur auf Situationen, die nach diesem Zeitpunkt eintreten. Außerdem ergibt sich u. a. aus der in Randnr. 49 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dem 18. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 659/1999 und Art. 19 dieser Verordnung, dass hinsichtlich bestehender Beihilfen nur eine Entscheidung ergehen kann, die ihre Unzulässigkeit mit Wirkung für die Zukunft feststellt.

55      Dementsprechend sind die in Anhang V der Beitrittsakte enthaltenen Ausdrücke „noch anwendbar“ und „weiterhin anzuwenden“ dahin auszulegen, dass sie sich im Wesentlichen auf vor dem Beitritt zur Union durchgeführte Maßnahmen beziehen, die nach dem Beitritt weiterhin Ausgaben des betreffenden Mitgliedstaats oder eine Erhöhung seiner finanziellen Verantwortung verursachen oder seine Haushaltseinnahmen mindern.

56      Im vorliegenden Fall ist vor dem Gerichtshof nicht bestritten worden, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfen vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union durchgeführt wurden.

57      Wie sich darüber hinaus aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten und den Randnrn. 27 und 28 des vorliegenden Urteils ergibt, ließ sich die finanzielle Verantwortung, die sich für die Republik Bulgarien aus diesen Maßnahmen bei deren Durchführung ergab, genau berechnen. Die genauen Beträge der verschiedenen gewährten Beihilfen wurden nämlich offiziell festgestellt und bei der Ausarbeitung des Umstrukturierungsprogramms und des Geschäftsplans für Kremikovtzi berücksichtigt.

58      Wie sich insbesondere aus den Randnrn. 27 bis 29 des vorliegenden Urteils ergibt, wurde die Durchführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfen vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union abgeschlossen. Diese Beihilfen konnten somit nach dem Beitritt nicht zu Ausgaben oder einer größeren finanziellen Verantwortung bulgarischer staatlicher Stellen führen oder die Haushaltseinnahmen der Republik Bulgarien mindern.

59      Unter diesen Umständen können die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfen nicht als nach dem Beitritt „anwendbar“ im Sinne von Anhang V der Beitrittsakte angesehen werden.

60      Daraus folgt, dass dieser Anhang auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfemaßnahmen keine Anwendung findet. Daher können diese Maßnahmen weder als „bestehende Beihilfen“ noch als „zum Tag des Beitritts neue Beihilfen“ im Sinne des genannten Anhangs angesehen werden.

61      Sie fallen auch nicht unter den Begriff „bestehende Beihilfen“ im Sinne des Art. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 659/1999.

62      Wie aus den Randnrn. 17, 50 und 54 des vorliegenden Urteils hervorgeht, fallen die genannten Maßnahmen ebenso wenig unter den Begriff „neue Beihilfen“ im Sinne des Art. 1 Buchst. c dieser Verordnung.

63      Hingegen betrifft der Beschluss EU–BG Nr. 3/2006, der nach Unterzeichnung der Beitrittsakte und in dem insbesondere in den Randnrn. 41 bis 44 und 60 bis 62 des vorliegenden Urteils dargelegten Zusammenhang angenommen wurde, speziell staatliche Beihilfemaßnahmen, die im Rahmen der Umstrukturierung des bulgarischen Stahlsektors durchgeführt wurden.

64      Art. 3 Abs. 1 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung sieht im Wesentlichen eine gemeinsame Überwachung der Durchführung der Beihilfen für die Umstrukturierung von Kremikovtzi durch die Kommission und das bulgarische Finanzministerium vor.

65      Gemäß Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls ist die Republik Bulgarien verpflichtet, alle Beihilfen zurückzufordern, die der bulgarischen Stahlindustrie unter Missachtung der dem Protokoll Nr. 2 zum Europa-Abkommen zu entnehmenden Voraussetzungen gewährt wurden. Zu diesen Voraussetzungen gehört insbesondere, dass sämtliche nach dem Umstrukturierungsprogramm und den Geschäftsplänen vorgesehenen Investitionen durchgeführt wurden und dass diese Umstrukturierung am Ende des bewilligten Umstrukturierungszeitraums zur Lebensfähigkeit der Empfänger der betreffenden staatlichen Unterstützung geführt hat.

66      Zwar stellt die Kommission gemäß Art. 3 Abs. 2 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung fest, ob das Umstrukturierungsprogramm und die Pläne vollständig durchgeführt sind und die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen erfüllen.

67      Der Wortlaut dieses Art. 3 enthält jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine gemäß Art. 3 Abs. 2 erlassene Entscheidung der Kommission eine Vorbedingung für die in Art. 3 Abs. 3 vorgesehene Rückforderung darstellt.

68      In Anbetracht des ersten Erwägungsgrundes des Beschlusses EU–BG Nr. 3/2006 und der in Randnr. 64 des vorliegenden Urteils erwähnten gemeinsamen Überwachung lässt sich auch der Systematik des Art. 3 nicht entnehmen, dass dies der Fall ist.

69      Hingegen folgt aus Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung, dass die Pflicht der Republik Bulgarien zur Rückforderung der staatlichen Beihilfen besteht, wenn im Rahmen der Überwachung der Durchführung des Umstrukturierungsplans und des Geschäftsplans für Kremikovtzi die Kommission oder die bulgarischen Behörden feststellen, dass die einschlägigen, im Protokoll Nr. 2 zum Europa-Abkommen aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt wurden.

70      Schließlich ist, um die Fragen des vorlegenden Gerichts umfassend zu beantworten, hinzuzufügen, dass eine Entscheidung, die gemäß Art. 3 Abs. 2 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung erlassen wurde, keineswegs einer nach Art. 14 der Verordnung Nr. 659/1999 – die, wie sich insbesondere aus den Randnrn. 50, 61 und 62 des vorliegenden Urteils ergibt, auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden staatlichen Beihilfen keine Anwendung findet – erlassenen Entscheidung gleichzustellen ist.

71      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass ein Verfahren zur Rückforderung staatlicher Beihilfen, die Kremikovtzi vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Union gewährt wurden und die nach diesem Beitritt nicht im Sinne von Anhang V der Beitrittsakte „anwendbar“ waren, im Fall der Missachtung der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen auf Art. 3 des Zusatzprotokolls in der durch den Beschluss EU–BG Nr. 3/2006 geänderten Fassung gestützt werden muss. In diesem Zusammenhang können die zuständigen nationalen Behörden der Republik Bulgarien gemäß Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls eine Entscheidung über die Rückforderung staatlicher Beihilfen erlassen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Eine auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 dieses Zusatzprotokolls erlassene Entscheidung der Kommission ist nicht Vorbedingung für die Rückforderung solcher Beihilfen durch die bulgarischen Behörden.

 Kosten

72      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Ein Verfahren zur Rückforderung staatlicher Beihilfen, die der Kremikovtzi AD vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union gewährt wurden und die nach diesem Beitritt nicht im Sinne von Anhang V der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht, „anwendbar“ waren, muss im Fall der Missachtung der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 4 des Protokolls Nr. 2 zum Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits, im Namen der Gemeinschaft geschlossen und genehmigt durch den Beschluss 94/908/EGKS, EG, Euratom des Rates und der Kommission vom 19. Dezember 1994, auf Art. 3 des Zusatzprotokolls zu diesem Europa-Abkommen in der durch den Beschluss Nr. 3/2006 des Assoziationsrates EU–Bulgarien vom 29. Dezember 2006 geänderten Fassung gestützt werden. In diesem Zusammenhang können die zuständigen nationalen Behörden der Republik Bulgarien gemäß Art. 3 Abs. 3 des Zusatzprotokolls eine Entscheidung über die Rückforderung staatlicher Beihilfen erlassen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Eine auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 dieses Zusatzprotokolls erlassene Entscheidung der Kommission ist nicht Vorbedingung für die Rückforderung solcher Beihilfen durch die bulgarischen Behörden.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Bulgarisch.