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Klage, eingereicht am 8. Juli 2010 - Republik Ungarn /Slowakische Republik

(Rechtssache C-364/10)

Verfahrenssprache: Slowakisch

Parteien

Klägerin: Republik Ungarn (Prozessbevollmächtigte: M. Fehér, E. Orgován)

Beklagte: Slowakische Republik

Anträge

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Slowakische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG1 (im Folgenden: Richtlinie 2004/38) und Art. 18 Abs. 1 EG verstoßen hat, dass sie dem Präsidenten der Republik Ungarn, László Sóylom, am 21. August 2009 die Einreise in das Gebiet der Slowakischen Republik nicht gestattete;

außerdem festzustellen, dass der auch bei Klageerhebung vertretene Standpunkt der Slowakischen Republik gegen das Recht der Europäischen Union, insbesondere Art. 3 Abs. 2 EUV, verstößt, soweit sie sich nach der Richtlinie 2004/38 für berechtigt hält, dem Staatsoberhaupt der Republik Ungarn, d. h. ihrem Präsidenten, die Einreise in das Gebiet der Slowakischen Republik zu versagen, und damit bekräftigt, dass ein solcher Verstoß sich wiederholen kann;

festzustellen, dass die Slowakische Republik das Unionsrecht fehlerhaft angewandt hat, als die staatlichen Behörden dem Präsidenten László Sóylom die Einreise in das Gebiet der Slowakischen Republik auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 nicht gestatteten,

falls der Gerichtshof dem ungarischen Vorbringen, das den vorstehenden Anträgen zugrunde liegt, nicht folgt und der Auffassung ist, dass eine konkrete Rechtsvorschrift des Völkerrechts den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38 einschränken könne - eine Auffassung, die die Republik Ungarn nicht teilt - den Umfang und den Anwendungsbereich solcher Ausnahmen festzulegen;

der Slowakischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Am 21. August 2009 teilte der Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Slowakischen Republik dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der Republik Ungarn in einer mündlichen Note mit, dass die zuständigen Behörden der Slowakischen Republik hinsichtlich des Besuchs, den der Präsident der Republik Ungarn László Sóylom an diesem Tag durchführte, entschieden hätten, ihm die Einreise in das Gebiet der Slowakischen Republik zu versagen.

Die ungarische Regierung macht geltend, dass die Slowakische Republik dadurch gegen Art. 18 EG sowie gegen die Richtlinie 2004/38 verstoßen habe, dass sie dem Präsidenten László Sóylom die Einreise nicht gestattet habe. Die Republik Ungarn ist der Auffassung, dass das persönliche Verhalten des Präsidenten der Republik László Sóylom weder im Allgemeinen noch im Zusammenhang mit dem konkreten Besuch eine tatsächliche, unmittelbar und hinreichend ernste, ein wesentliches Interesse der Gesellschaft bedrohende Gefahr dargestellt habe, die Grund für den Erlass irgendeiner beschränkenden Maßnahme hätte sein können. Die ungarische Regierung meint, auch wenn es einen solchen die beschränkende Maßnahme rechtfertigenden Grund gäbe, was sie nicht glaube, entspreche die Maßnahme, mit der im konkreten Fall dem Präsidenten der Republik die Einreise verboten worden sei, nicht dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit und gehe über das verfolgte Ziel hinaus, das die Slowakische Republik auch durch andere, weniger beschränkende Mittel hätte erreichen können.

Die Slowakische Republik habe auch nicht die Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2004/38 eingehalten, da das Verbot der Einreise des Präsidenten László Sóylom nicht aufgrund einer Entscheidung nach der Richtlinie ergangen und nicht zugestellt worden sei; die Entscheidung, die Einreise zu versagen, sei in einer mündlichen Note mitgeteilt worden, habe jedoch weder eine hinreichende Begründung enthalten noch angegeben, bei welcher Verwaltungs- oder gerichtlichen Stelle und innerhalb welcher Frist ein Rechtsmittel eingelegt werden könne.

Nach Auffassung der ungarischen Regierung besteht die Gefahr, dass die Slowakische Republik den Verstoß wiederhole, weil diese weiterhin behaupte, dass das Verbot der Einreise des Präsidenten László Sóylom in ihr Hoheitsgebiet gerechtfertigt gewesen sei.

Die ungarische Regierung macht geltend, dass die Rechtsanwendung durch die slowakischen Behörden nicht nur als solche eine Verletzung der Richtlinie 2004/38 sei, sondern dass auch die Berufung auf die Richtlinie nicht berechtigt sei, weil die slowakischen Behörden nicht die Ziele der Richtlinie, sondern mit der Berufung auf die Richtlinie ein rein politisches Ziel verfolgt hätten. Den Erklärungen der slowakischen Republik lasse sich entnehmen, dass das Verbot der Einreise des Präsidenten László Sóylom in das Gebiet der Slowakischen Republik von der slowakischen Regierung nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinne des Unionsrechts, wie der Richtlinie 2004/38, sondern aus rein politischen, in erster Linie außenpolitischen Gründen erfolgt sei.

Nach Auffassung der ungarischen Regierung hat die Europäische Kommission im Verfahren zu Unrecht erklärt, dass bei offiziellen Besuchen von Staatsoberhäuptern der Mitgliedstaaten die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und nicht des Unionsrechts anzuwenden seien. Die ungarische Regierung meint, dass die Richtlinie 2004/38 auf jede Personengruppe und auf jede Art von Besuch, ob offiziell oder privat, uneingeschränkt anwendbar sei. Diese Richtlinie erkenne allgemein und für alle Unionsbürger das grundsätzliche Recht der Einreise in das Gebiet jedes Mitgliedstaats an, das sich für die Unionsbürger aus dem Primärrecht ergebe. Die Richtlinie 2004/38 führe allgemein und erschöpfend die Fälle auf, in denen die Freizügigkeit der Unionsbürger beschränkt werden könne. Sie enthalte keine Abweichung vom allgemeinen Grundsatz, wonach aus dem Anwendungsbereich Staatsoberhäupter oder eine andere Gruppe von Personen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen werden könnten. Wenn der Rat und das Europäische Parlament die Ausübung der Freizügigkeit durch eine Vorschrift des Völkerrechts, einschließlich des Völkergewohnheitsrechts, hätten beschränken wollen, hätten sie dies sicherlich bereits beim Erlass der Richtlinie getan.

Die ungarische Regierung macht geltend, dass sich weder im kodifizierten Völkerrecht noch im Völkergewohnheitsrecht eine geltende Rechtsnorm finde, die in diesem Fall angewandt werden könnte. Selbst wenn eine solche Norm existierte, hätten die Mitgliedstaaten durch ihren Beitritt zur Union dieser die Befugnis zur Regelung der Vorschriften über die Freizügigkeit zuerkannt und zugestimmt, ihre in diesem Bereich übertragenen Befugnisse gemäß den Rechtsakten der Union und gemäß dem Recht der Union auszuüben. Wenn im Fall der Einreise eines Bürgers eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat eine Bestimmung des Völkerrechts den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/38 beschränken könne, sei es erforderlich, dass der Gerichtshof den Umfang dieser Beschränkung eindeutig festlege, da die Richtlinie 2004/38 eine solche Ausnahme oder Abweichung nicht enthalte.

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1 - ABl. L 158, S. 77.