Language of document : ECLI:EU:C:2012:374

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

21. Juni 2012(*)

„Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Öffentliche Gesundheit – Apotheken – Nationale Regelung über die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke – Errichtung von Filialen – Unterschiedliche Voraussetzungen, je nachdem, ob es sich um private Apotheken oder die Apotheke der Universität Helsinki handelt – Apotheke der Universität Helsinki, die besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der pharmazeutischen Ausbildung und der Arzneimittelversorgung wahrnimmt“

In der Rechtssache C‑84/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 21. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Februar 2011, in dem Verfahren

Marja-Liisa Susisalo,

Olli Tuomaala,

Merja Ritala,

Beteiligte:

Helsingin yliopiston apteekki,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und T. von Danwitz (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Susisalo, Herrn Tuomaala und Frau Ritala, vertreten durch A. Kuusniemi-Laine, J. Väyrynen und A. Laine, asianajajat,

–        der Helsingin yliopiston apteekki, vertreten durch K. Joenpolvi, asianajaja, und T. Kauti, lakimies,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo und J. Heliskoski als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und P. A. Antunes als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Paasivirta und I. V. Rogalski als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV und 106 Abs. 2 AEUV.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einerseits Frau Susisalo, Herrn Tuomaala und Frau Ritala und andererseits dem Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus (Zentralamt für Sicherheit und Entwicklung im Arzneimittelbereich, im Folgenden: FIMEA) und der Helsingin yliopiston apteekki (Apotheke der Universität Helsinki, im Folgenden: AUH) wegen eines Antrags Letzterer, eine ihrer Filialen in den Stadtteil Tammisto der Stadt Vantaa zu verlegen, sowie im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Susisalo und dem FIMEA wegen eines Antrags von Frau Susisalo auf Erlaubnis des Betriebs einer Filialapotheke im selben Stadtteil.

 Rechtlicher Rahmen

3        Nach § 38 des Arzneimittelgesetzes (Lääkelaki) in seiner für die Ausgangsverfahren geltenden Fassung dürfen Arzneimittel an die Allgemeinheit nur in Apotheken im Sinne der §§ 41 und 42 des Gesetzes und in Filialapotheken und Arzneimittelabgabestellen im Sinne des § 52 des Gesetzes abgegeben werden. Nach § 39 dieses Gesetzes sind im Land so viele Apotheken zu errichten, dass die Bevölkerung ohne Schwierigkeiten Zugang zu Arzneimitteln hat.

4        Nach § 40 des Arzneimittelgesetzes bedarf der Betrieb einer Apotheke einer Erlaubnis, die vom Lääkelaitos (Arzneimittelamt) für eine Gemeinde oder einen Gemeindeteil erteilt wird.

5        Nach § 41 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes entscheidet über die Errichtung einer neuen Apotheke in einer Gemeinde oder einem Gemeindeteil das Lääkelaitos, wenn der Zugang zu Arzneimitteln dies erfordert; bei der Beurteilung dieses Erfordernisses sind die Bevölkerungszahl des Gebiets, die in der Umgebung bereits vorhandenen Apothekendienste und der Standort anderer Dienste der Gesundheitsfürsorge zu berücksichtigen. Die Entscheidung trifft das Lääkelaitos von sich aus oder auf Initiative der Gemeinde. Das Lääkelaitos kann auch beschließen, das Einzugsgebiet der Apotheke zu verändern und diese in einen anderen Gemeindeteil zu verlegen, wenn dies zur Sicherstellung der Apothekendienstleistungen erforderlich ist.

6        Nach § 42 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes hat die Universität Helsinki das Recht, eine Apotheke in Helsinki zu führen, und die Universität Kuopio das Recht, eine Apotheke in Kuopio zu führen. Diese Apotheken sollen neben dem Verkauf von Arzneimitteln Praktika im Rahmen der pharmazeutischen Ausbildung organisieren und im Rahmen der Arzneimittelversorgung Forschung betreiben. Nach dem Gesetzentwurf, der zum Erlass des Arzneimittelgesetzes führte, nimmt die AUH neben der Abgabe von Arzneimitteln Aufgaben der Lehre und Forschung wahr und erbringt besondere Dienstleistungen bei der Herstellung einzelner seltener pharmazeutischer Zubereitungen.

7        Nach § 43 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes kann die Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke einem Angehörigen eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraums erteilt werden, der approbierter Apotheker („proviisori“) ist und über dessen Vermögen kein Insolvenzverfahren eröffnet ist, der nicht in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt worden ist und für den kein Interessenwahrer bestellt worden ist. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung wird im Fall mehrerer Bewerber die Erlaubnis demjenigen erteilt, der insgesamt als am besten geeignet für den Betrieb einer Apotheke angesehen werden kann.

8        Den Betrieb von Filialapotheken regelt § 52 des Arzneimittelgesetzes, dessen Abs. 1 vorsieht, dass in einem Gebiet, das aufgrund der geringen Bevölkerungszahl keine ausreichenden Bedingungen für den Betrieb einer selbständigen Apotheke bietet, in dem aber aus Gründen der Arzneimittelversorgung der Betrieb einer Apotheke erforderlich ist, eine Filialapotheke errichtet werden kann. Eine Filialapotheke kann auf Initiative des Lääkelaitos oder der Gemeinde errichtet werden. Das Lääkelaitos erteilt die Erlaubnis zum Betrieb der Filialapotheke auf Antrag dem Apotheker, der für den Betrieb der Filialapotheke unter Berücksichtigung ihres Standorts und anderer Rahmenbedingungen am besten geeignet ist. Das Lääkelaitos kann einem Apotheker eine Betriebserlaubnis für höchstens drei Filialapotheken erteilen.

9        Nach § 52 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes kann die Universität Helsinki aufgrund einer im jeweiligen Fall vom Lääkelaitos erteilten Erlaubnis höchstens 16 Filialapotheken betreiben.

10      Das Lääkelaitos wurde mit Wirkung vom 1. November 2009 durch das FIMEA ersetzt.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Den Vorlagefragen liegen zwei Rechtsstreitigkeiten über Anträge auf Errichtung von Filialapotheken zugrunde.

12      Der erste Rechtsstreit betrifft einen Antrag der AUH, eine ihrer 16 Filialapotheken in den Stadtteil Tammisto von Vantaa zu verlegen. Das Lääkelaitos gab diesem Antrag mit Bescheid vom 28. Februar 2008 statt. Die Apotheker Frau Susisalo, Herr Tuomaala und Frau Ritala erhoben Klage auf Aufhebung dieses Bescheids, die vom Helsingin hallinto-oikeus abgewiesen wurde. Die Apotheker legten hiergegen Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

13      Der zweite Rechtsstreit betrifft einen Antrag von Frau Susisalo auf Errichtung einer Filialapotheke ebenfalls im Stadtteil Tammisto von Vantaa, den das Lääkelaitos mit Bescheid vom 23. Juni 2008 ablehnte. Da das Helsingin hallinto-oikeus die Klage auf Aufhebung dieses Bescheids abwies, legte Frau Susisalo Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

14      Da nach Ansicht des Korkein hallinto-oikeus die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten von der Auslegung des Unionsrechts abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 49 AEUV, der die Niederlassungsfreiheit nach Unionsrecht betrifft, dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Rechtsvorschriften des Arzneimittelgesetzes über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Apotheke entgegensteht, weil die Voraussetzungen für die Errichtung von Filialapotheken der AUH von den Voraussetzungen für die Errichtung von Filialapotheken privater Apotheken wie folgt abweichen:

a)      Eine private Filialapotheke kann aufgrund einer Erlaubnis, die nach § 52 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes vom FIMEA erteilt worden ist, in einem Gebiet errichtet werden, das wegen der geringen Bevölkerungszahl keine ausreichenden Bedingungen für den Betrieb einer selbständigen Apotheke bietet, in dem aber aus Gründen der Arzneimittelversorgung der Betrieb einer Apotheke erforderlich ist; ein privater Apotheker kann aufgrund einer eigens für jede Filialapotheke erteilten Erlaubnis höchstens drei Filialapotheken betreiben. Eine Filialapotheke der AUH kann hingegen mit einer vom FIMEA im jeweiligen Fall nach § 52 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes erteilten Erlaubnis errichtet werden, wobei das Ermessen hinsichtlich der Erlaubnis nicht durch das Gesetz oder andere nationale Bestimmungen beschränkt ist, außer durch die Regelung, dass die AUH höchstens 16 Filialapotheken betreiben darf.

b)      Das FIMEA hat bei der Bestimmung des Standorts einer privaten Filialapotheke die Lage der Apotheke zu berücksichtigen. Für den Standort der Filialapotheken der AUH besteht keine entsprechende Vorschrift, und ihre Filialapotheken sind an verschiedenen Stellen in Finnland errichtet.

2.      Wenn der Gerichtshof der Ansicht ist, dass Art. 49 AEUV entsprechend den Antworten auf die vorstehenden Fragen den für die AUH geltenden Vorschriften über die Erlaubnis zum Betrieb von Filialapotheken entgegensteht, ersucht das Korkein hallinto-oikeus um eine Vorabentscheidung über folgende Fragen:

a)      Kann die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit aufgrund der für die AUH geltenden Vorschriften über die Erlaubnis zum Betrieb von Filialapotheken durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, die sich aus den besonderen Aufgaben der AUH in Bezug auf die Arzneimittelversorgung und die pharmazeutische Ausbildung ergeben und die erforderlich sind und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen, wenn man berücksichtigt, dass für die Filialapotheken der AUH keine entsprechenden besonderen Aufgaben vorgeschrieben sind?

b)      Ergibt sich aus den vorstehend beschriebenen gesetzlich festgelegten besonderen Aufgaben der AUH, dass sie als ein Unternehmen im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV angesehen werden kann, das Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erbringt, und rechtfertigt, wenn dies zutrifft, die genannte Bestimmung des AEU-Vertrags in Bezug auf die Filialapotheken der AUH eine Ausnahme von den in Art. 49 AEUV und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an eine vorherige behördliche Erlaubnis, wenn man berücksichtigt, dass für die Filialapotheken der AUH keine entsprechenden besonderen Aufgaben vorgeschrieben sind?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

15      Die AUH macht geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der Vorlagefragen nicht zuständig, insbesondere weil die Ausgangsverfahren keine grenzüberschreitenden Elemente enthielten.

16      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es zwar nach der Verteilung der Zuständigkeiten im Vorabentscheidungsverfahren allein Sache des nationalen Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen möchte; diesem obliegt es jedoch in Ausnahmefällen, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (Urteil vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert, C‑92/09 und C‑93/09, Slg. 2010, I‑11063, Randnr. 39).

17      Dies ist u. a. der Fall, wenn das dem Gerichtshof vorgelegte Problem rein hypothetischer Natur ist oder wenn die Auslegung einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht. Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung einer Vorlagefrage nicht zuständig, wenn die Vorschrift des Unionsrechts, um deren Auslegung er ersucht wird, offensichtlich nicht anwendbar ist (Urteil vom 1. Oktober 2009, Woningstichting Sint Servatius, C‑567/07, Slg. 2009, I‑9021, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nicht auf einen Sachverhalt anwendbar, der sich in jeder Hinsicht in einem einzigen Mitgliedstaat abspielt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. Oktober 1990, Nino u. a., C‑54/88, C‑91/88 und C‑14/89, Slg. 1990, I‑3537, Randnr. 11, vom 30. November 1995, Esso Española, C‑134/94, Slg. 1995, I‑4223, Randnr. 17, sowie vom 17. Juli 2008, Kommission/Frankreich, C‑389/05, Slg. 2008, I‑5397, Randnr. 49).

19      Der Vorlageentscheidung und den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ist zu entnehmen, dass sich der Sachverhalt der Ausgangsverfahren in jeder Hinsicht in Finnland abspielt. Offenkundig wird daher die Ausübung der von Art. 49 AEUV verbürgten Niederlassungsfreiheit in diesen Rechtsstreitigkeiten nicht in Frage gestellt.

20      Doch auch bei einem rein auf das Inland beschränkten Sachverhalt kann eine Antwort dem vorlegenden Gericht gleichwohl von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn das nationale Recht ihm in Rechtsstreitigkeiten wie den vorliegenden vorschreibt, einem finnischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zuzuerkennen, die dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage aufgrund des Unionsrechts zustünden (vgl. Urteile vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez, C‑570/07 und C‑571/07, Slg. 2010, I‑4629, Randnr. 39, vom 1. Juli 2010, Sbarigia, C‑393/08, Slg. 2010, I‑6333, Randnr. 23, sowie vom 22. Dezember 2010, Omalet, C‑245/09, Slg. 2010, I‑13771, Randnr. 15).

21      In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger der Ausgangsverfahren geltend gemacht, dass es im finnischen Verwaltungsrecht Regeln gebe, wonach finnische Staatsangehörige vor einer umgekehrten Diskriminierung geschützt seien. Unter diesen Umständen ist es nicht offensichtlich, dass die Auslegung des Unionsrechts, um die ersucht wird, für das vorlegende Gericht nicht von Nutzen sein könnte.

22      Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig.

 Zu den Vorlagefragen

23      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für die AUH andere Vorschriften über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb einer Filialapotheke vorsieht als für private Apotheken.

24      Diese Fragen betreffen Apotheker, die sich gegen die Verlegung einer der Filialen der AUH wenden, da die nationale Regelung insoweit mit dem Unionsrecht unvereinbar sei, als sie für den Betrieb von Filialapotheken der AUH günstigere Voraussetzungen vorsehe als für den von Filialen privater Apotheken. Zwar seien die Beschränkungen, die für den Betrieb von Filialen einer privaten Apotheke im Arzneimittelgesetz vorgesehen seien, als solche gerechtfertigt. Das Ziel des Arzneimittelgesetzes verlange jedoch nicht, dass die AUH über 16 Filialen verfüge, da sämtliche spezifischen Aufgaben, die in § 42 dieses Gesetzes aufgeführt seien, ebenso gut von drei Filialen erledigt werden könnten.

25      Die Vorlagefragen beziehen sich somit nicht darauf, ob Art. 49 AEUV der nationalen Regelung über den Betrieb von Filialen privater Apotheken entgegensteht, sondern darauf, ob diese Bestimmung dieser Regelung insoweit entgegensteht, als diese für die AUH besondere Vorschriften über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb von Filialapotheken vorsieht, die günstiger sind als die, die für private Apotheken gelten.

 Vorbemerkungen

26      Zur Beantwortung der Vorlagefragen ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 168 Abs. 7 AEUV das Unionsrecht in seiner Konkretisierung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen wie der Apotheken unberührt lässt (Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Jedoch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht und insbesondere die Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten einschließlich der Niederlassungsfreiheit beachten. Diese Bestimmungen untersagen es den Mitgliedstaaten, ungerechtfertigte Beschränkungen der Ausübung dieser Freiheiten im Bereich der Gesundheitsversorgung einzuführen oder beizubehalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C‑171/07 und C‑172/07, Slg. 2009, I‑4171, Randnr. 18, vom 14. Oktober 2010, van Delft u. a., C‑345/09, Slg. 2010, I‑9879, Randnr. 84, sowie vom 16. Dezember 2010, Kommission/Frankreich, C‑89/09, Slg. 2010, I‑12941, Randnr. 41).

28      Bei der Prüfung, ob das genannte Gebot beachtet worden ist, ist zu berücksichtigen, dass unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen (vgl. Urteile vom 19. Mai 2009, Kommission/Italien, C‑531/06, Slg. 2009, I‑4103, Randnr. 36, sowie Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Darüber hinaus stellt keine Bestimmung des Unionsrechts Vorschriften über die Aufnahme von Tätigkeiten im Apothekenwesen auf, die darauf abzielen, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten neue Apotheken und Filialen dieser Apotheken errichtet werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnr. 45).

30      Folglich ist auf der Grundlage der genannten Kriterien zu prüfen, ob die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung insofern eine Beschränkung im Sinne von Art. 49 AEUV darstellt, als sie für den Betrieb von Filialapotheken für die AUH günstigere Vorschriften vorsieht als für private Apotheken.

 Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

31      Nach Art. 49 AEUV sind die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben. Ihrem Wortlaut nach sollen die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern. Nach ständiger Rechtsprechung steht Art. 49 AEUV außerdem jeder nationalen Regelung entgegen, die zwar ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, die aber geeignet ist, die Ausübung der vom Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit durch die Unionsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus, C‑371/10, Slg. 2011, I‑12273, Randnrn. 35 und 36).

32      Zur Frage, ob die in den Ausgangsverfahren fragliche Regelung eine Diskriminierung darstellt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Regelung unterschiedslos finnische Staatsangehörige und Angehörige eines anderen Mitgliedstaats betrifft, die als private Apotheker eine Filiale im finnischen Hoheitsgebiet errichten möchten. Sie enthält also keine Diskriminierung im Sinne von Art. 49 AEUV.

33      Allerdings dürfen private Apotheken nach dieser Regelung im nationalen Hoheitsgebiet nur drei Filialen errichten, für die die Erteilung der Erlaubnis zum Betrieb zudem davon abhängt, dass die Zahl der Bevölkerung in dem betreffenden geografischen Gebiet so gering ist, dass zwar keine selbständige Apotheke gerechtfertigt ist, aus Gründen der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung aber eine Filialapotheke vorhanden sein muss, wohingegen die AUH ihrerseits das Recht auf 16 Filialen unabhängig von der Bevölkerungszahl in dem betreffenden Gebiet hat.

34      Die der AUH gewährte Präferenzregelung hinsichtlich der Zahl der zulässigen Filialen sowie der Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis zu deren Betrieb kann dazu führen, dass einem privaten Apotheker das Recht vorenthalten wird, eine Filiale in einem der 16 Gebiete zu errichten, in denen die AUH eine Filiale errichtet hat, was für private Apotheker aus anderen Mitgliedstaaten die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit über eine Betriebsstätte in Finnland weniger attraktiv machen kann. Der Umstand, dass diese Präferenzregelung ihre beschränkenden Wirkungen sowohl gegenüber Inländern als auch gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten entfaltet, kann diese Regelung nicht vom Geltungsbereich des Art. 49 AEUV ausschließen (vgl. hierzu Urteil vom 25. Juli 1991, Kommission/Niederlande, C‑353/89, Slg. 1991, I‑4069, Randnrn. 24 und 25).

35      Eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche stellt folglich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV dar.

 Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

36      Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gelten, können nach ständiger Rechtsprechung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sofern sie geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnr. 61).

37      Auch aus Art. 52 Abs. 1 AEUV geht hervor, dass der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung Beschränkungen der vom Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten wie der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann. Im Einzelnen lassen sich solche Beschränkungen mit dem Ziel rechtfertigen, eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die Bedeutung des genannten Ziels wird durch Art. 168 Abs. 1 AEUV und Art. 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bestätigt, wonach insbesondere ein hohes Gesundheitsschutzniveau bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und ‑maßnahmen sichergestellt wird (vgl. Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnrn. 63 bis 65).

38      Im vorliegenden Fall steht fest, das die AUH genauso wie private Apotheken Arzneimittel an die Allgemeinheit verkauft. Das vorlegende Gericht, die finnische Regierung und die AUH haben jedoch hervorgehoben, dass die AUH nach dem Arzneimittelgesetz verpflichtet sei, spezifische Aufgaben im Zusammenhang mit der Ausbildung von Pharmaziestudenten und der Forschung auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung wahrzunehmen sowie besondere Dienstleistungen bei der Herstellung bestimmter seltener pharmazeutischer Zubereitungen zu gewährleisten, wohingegen eine solche gesetzliche Verpflichtung für private Apotheken nicht bestehe.

39      Die finnische Regierung hat dazu vorgetragen, dass die AUH aufgrund der Zuweisung besonderer Aufgaben durch das Gesetz bei der Gewährleistung einer sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, die das Ziel des Arzneimittelgesetzes sei, eine wesentliche Rolle spiele.

40      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, auf die in den Randnrn. 26 bis 28 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, Vorschriften zur Organisation von Diensten im Gesundheitswesen wie der Apotheken zu erlassen sowie über das Niveau des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung wie auch die Art und Weise, in der dieses Niveau zu erreichen ist, zu entscheiden, bedeutet, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung dadurch sicherzustellen, dass sie einer oder mehreren Apotheken besondere Aufgaben übertragen.

41      Wie die Kommission hervorgehoben hat, fallen die Aufgaben der AUH hinsichtlich der pharmazeutischen Ausbildung und Forschung sowie die Herstellung seltener Magistralrezepturen unter den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung.

42      Im Hinblick auf das vom Arzneimittelgesetz verfolgte Ziel, ein bestimmtes Niveau des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung durch die Festlegung gesetzlicher Verpflichtungen sicherzustellen, erweist sich die in den fraglichen nationalen Vorschriften der AUH vorbehaltene Präferenzregelung bezüglich der Voraussetzungen für den Betrieb von Filialen im Inland somit als erforderlich, soweit die Filialen der AUH an der Erfüllung der der AUH zugewiesenen besonderen Aufgaben im Zusammenhang mit der Ausbildung von Pharmaziestudenten, der Forschung auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung sowie der Herstellung seltener pharmazeutischer Zubereitungen tatsächlich beteiligt sind, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

43      Der Umstand, dass private Apotheken, wie insbesondere die Kläger der Ausgangsverfahren hervorgehoben haben, in der Praxis an der Ausbildung der Studenten ebenfalls beteiligt sind, indem sie ihnen Praktika anbieten, kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Im Unterschied zur AUH bieten private Apotheken Studenten Praktikumsplätze freiwillig an, und es steht ihnen frei, dies ihren eigenen Interessen entsprechend zu tun. Außerdem stellt die Ausbildung von Studenten nur eine der der AUH übertragenen Aufgaben dar.

44      Daher ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die AUH besondere Vorschriften über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb von Filialapotheken vorsieht, die günstiger sind als die Vorschriften für private Apotheken, nicht entgegensteht, soweit die Filialen der AUH an der Erfüllung der spezifischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Ausbildung von Pharmaziestudenten, der Forschung auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung sowie der Herstellung seltener pharmazeutischer Zubereitungen, die ihr durch das nationale Gesetz zugewiesen sind, tatsächlich beteiligt sind, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

 Kosten

45      Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die für die Helsingin yliopiston apteekki besondere Vorschriften über die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb von Filialapotheken vorsieht, die günstiger sind als die Vorschriften für private Apotheken, nicht entgegensteht, soweit die Filialen der Helsingin yliopiston apteekki an der Erfüllung der spezifischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Ausbildung von Pharmaziestudenten, der Forschung auf dem Gebiet der Arzneimittelversorgung sowie der Herstellung seltener pharmazeutischer Zubereitungen, die ihr durch das nationale Gesetz zugewiesen sind, tatsächlich beteiligt sind, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Finnisch.