Language of document : ECLI:EU:C:2013:126

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 28. Februar 2013(1)

Rechtssache C‑681/11

Schenker & Co. AG u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Obersten Gerichtshofs)

„Wettbewerb – Kartelle – Art. 85 EWG, Art. 81 EG und Art. 101 AEUV – Verordnung (EWG) Nr. 17 – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Irrtum eines Unternehmens über die Kartellrechtswidrigkeit seines Verhaltens (Verbotsirrtum) – Vorwerfbarkeit des Verbotsirrtums – Vertrauen auf anwaltlichen Rat – Vertrauen auf die Richtigkeit der Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde – Kronzeugenregelung nach nationalem Wettbewerbsrecht – Befugnis einer nationalen Wettbewerbsbehörde zur Feststellung eines Kartellvergehens ohne Verhängung von Sanktionen“





I –    Einleitung

1.        Kann ein Unternehmen wegen eines Kartellvergehens verfolgt werden, wenn dieses Unternehmen irrtümlich von der Rechtmäßigkeit des eigenen Verhaltens ausgegangen ist? Dies ist im Kern die Rechtsfrage, mit der der Gerichtshof im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren konfrontiert wird.

2.        Mehrere Speditionsunternehmen werden von der österreichischen Wettbewerbsbehörde wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und gegen die entsprechenden Bestimmungen des nationalen Kartellrechts verfolgt, weil sie jahrelang Preisabsprachen getroffen haben. Die betroffenen Unternehmen wehren sich im Wesentlichen mit dem Argument, sie hätten gutgläubig auf den Rat einer spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei sowie auf die Entscheidung des zuständigen innerstaatlichen Gerichts vertraut und könnten deshalb weder der Teilnahme an einem Kartellvergehen bezichtigt noch dafür mit Geldbußen belegt werden.

3.        Einmal mehr zeigt sich an diesem Fall, dass Wettbewerbsbehörden und ‑gerichte bei der Erfüllung ihrer Aufgaben mit Problemen konfrontiert werden, die denen des Strafrechts nicht unähnlich sind und bei deren Lösung sich delikate Fragen des Grundrechtsschutzes stellen können. Die Weichenstellungen, die der Gerichtshof diesbezüglich vornehmen wird, sind von grundlegender Bedeutung für die Weiterentwicklung des europäischen Wettbewerbsrechts und für seine praktische Anwendung – auf Unionsebene wie auf nationaler Ebene.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

4.        Der unionsrechtliche Rahmen dieses Falles wird auf primärrechtlicher Ebene durch Art. 85 E(W)G-Vertrag und Art. 81 EG sowie durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts bestimmt. Auf sekundärrechtlicher Ebene war für den Zeitraum bis einschließlich 30. April 2004 die Verordnung (EWG) Nr. 17(2) relevant, seit dem 1. Mai 2004 gilt die Verordnung (EG) Nr. 1/2003(3).

1.      Die Verordnung Nr. 17

5.        Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 17 bestand für Unternehmen und Unternehmensvereinigungen die Möglichkeit, von der Europäischen Kommission ein sogenanntes „Negativattest“ zu erlangen:

„Die Kommission kann auf Antrag der beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen feststellen, dass nach den ihr bekannten Tatsachen für sie kein Anlass besteht, gegen eine Vereinbarung, einen Beschluss oder eine Verhaltensweise auf Grund von Artikel [85 Abs. 1 EWG-Vertrag] oder von Artikel [86 EWG-Vertrag] einzuschreiten.“

2.      Die Verordnung Nr. 1/2003

6.        In Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 ist unter der Überschrift „Zuständigkeit der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten“ Folgendes geregelt:

„Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sind für die Anwendung der Artikel [81 EG und 82 EG] in Einzelfällen zuständig. Sie können hierzu von Amts wegen oder aufgrund einer Beschwerde Entscheidungen erlassen, mit denen

–        die Abstellung von Zuwiderhandlungen angeordnet wird,

–        einstweilige Maßnahmen angeordnet werden,

–        Verpflichtungszusagen angenommen werden oder

–        Geldbußen, Zwangsgelder oder sonstige im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen verhängt werden.

Sind die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihnen vorliegenden Informationen nicht gegeben, so können sie auch entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden.“

7.        Außerdem findet sich in Art. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 diese Regelung über die „Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten“:

„Die einzelstaatlichen Gerichte sind für die Anwendung der Artikel [81 EG und 82 EG] zuständig.“

8.        Gemäß Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 können zu den für die Anwendung von Art. 81 EG und 82 EG bestimmten Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auch Gerichte gehören.

9.        Die Befugnisse der Europäischen Kommission sind in Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 auszugsweise wie folgt geregelt:

„Stellt die Kommission auf eine Beschwerde hin oder von Amts wegen eine Zuwiderhandlung gegen Artikel [81 EG oder 82 EG] fest, so kann sie die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen. … Soweit die Kommission ein berechtigtes Interesse hat, kann sie auch eine Zuwiderhandlung feststellen, nachdem diese beendet ist.“

10.      Überdies räumt Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 der Europäischen Kommission folgende Befugnis zur Verhängung von Geldbußen ein:

„Die Kommission kann gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen verhängen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig

a) gegen Artikel [81 EG oder 82 EG] verstoßen …“

11.      Ergänzend ist auf Art. 10 der Verordnung Nr. 1/2003 hinzuweisen, der folgende Bestimmung über die „Feststellung der Nichtanwendbarkeit“ enthält:

„Ist es aus Gründen des öffentlichen Interesses der Gemeinschaft im Bereich der Anwendung der Artikel [81 EG und 82 EG] erforderlich, so kann die Kommission von Amts wegen durch Entscheidung feststellen, dass Artikel [81 EG] auf eine Vereinbarung, einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung oder eine abgestimmte Verhaltensweise keine Anwendung findet, weil die Voraussetzungen des Artikels [81 Abs. 1 EG] nicht vorliegen oder weil die Voraussetzungen des Artikels [81 Abs. 3 EG] erfüllt sind.

…“

B –    Nationales Recht

12.      Vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 2005 galt in Österreich das Kartellgesetz 1988 (KartG 1988)(4). § 16 KartG 1988 enthielt folgende Definition des Begriffs „Bagatellkartelle“:

„Bagatellkartelle sind Kartelle, die im Zeitpunkt ihres Zustandekommens an der Versorgung

1.      des gesamten inländischen Marktes einen Anteil von weniger als 5% und

2.      eines allfälligen inländischen örtlichen Teilmarktes einen Anteil von weniger als 25% haben.“

13.      Gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 KartG 1988 durften Bagatellkartelle auch vor ihrer rechtskräftigen Genehmigung durchgeführt werden, es sei denn, durch den Beitritt weiterer Unternehmen zum Kartell würden die im § 16 KartG 1988 bestimmten Grenzen überschritten.

14.      Seit dem 1. Januar 2006 gilt in Österreich das Kartellgesetz 2005 (KartG 2005)(5), dessen § 1 Abs. 1 ein dem Art. 81 Abs. 1 EG (nunmehr Art. 101 Abs. 1 AEUV) vergleichbares Verbot wettbewerbswidriger Verhaltensweisen enthält. Ausgenommen sind von diesem Verbot gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 KartG 2005 wiederum „Kartelle, an denen Unternehmer beteiligt sind, die gemeinsam am gesamten inländischen Markt einen Anteil von nicht mehr als 5 % und an einem allfälligen inländischen räumlichen Teilmarkt von nicht mehr als 25 % haben (Bagatellkartelle)“.

15.      § 28 Abs. 1 KartG 2005 bestimmt:

„Wenn die Zuwiderhandlung … beendet ist, hat das Kartellgericht die Zuwiderhandlung festzustellen, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht.“

III – Sachverhalt und Ausgangsrechtsstreit

16.      Vor den für Kartellsachen zuständigen innerstaatlichen Gerichten ist ein Rechtsstreit zwischen der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde und einer Reihe von in Österreich tätigen Speditionsunternehmen anhängig.

17.      Hintergrund dieses Rechtsstreits ist ein langjähriges Kartell auf dem österreichischen Markt für Speditionsdienstleistungen, die sogenannte „Spediteurs-Sammelladungs-Konferenz“ (SSK), die als „Interessengemeinschaft“ rund 40 Speditionsunternehmen zu ihren Mitgliedern zählte(6). Im Rahmen der SKK wurden zwischen den beteiligten Speditionsunternehmen insbesondere Absprachen über die Tarife für den Inlands-Sammelladungsverkehr getroffen, für Speditionsdienstleistungen also, bei denen Einzelsendungen mehrerer Versender logistisch zu einer Sammelladung gebündelt und sodann an die verschiedenen Bestimmungsorte verteilt werden.

18.      Die SSK entstand Mitte der 1990er Jahre. Im Hinblick auf die Gründung des Europäischen Wirtschaftsraums zum 1. Januar 1994 waren die beteiligten Speditionsunternehmen bestrebt, mit europäischem Wettbewerbsrecht nicht in Konflikt zu geraten. Deshalb beschränkten sie ihre Zusammenarbeit auf das Hoheitsgebiet der Republik Österreich.

19.      Am 30. Mai 1994 erhielt die SSK die Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wobei die aufschiebende Bedingung der kartellgerichtlichen Genehmigung vereinbart wurde.

20.      Am 28. Juni 1994 wurde beim österreichischen Kartellgericht der Antrag gestellt, die SSK als „Vereinbarungskartell“ zu genehmigen(7). Dem Antrag war die Rahmenübereinkunft der SSK beigefügt, und die Antragsteller erörterten den Sachverhalt nach österreichischem wie auch nach europäischem Kartellrecht. Im Verfahren vor dem Kartellgericht wurde ein Zwischengutachten des Paritätischen Ausschusses für Kartellangelegenheiten eingeholt(8), welches zu dem vorläufigen Schluss kam, dass das Kartell den zwischenstaatlichen Handel nicht berühre, weshalb die europäischen Wettbewerbsvorschriften nicht anzuwenden seien. Da aber der Paritätische Ausschuss in seinem Endgutachten die SSK als „volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt“ ansah, wurde der Genehmigungsantrag letztlich nicht aufrechterhalten.

21.      Am 6. Februar 1995 beantragte der Zentralverband der Spediteure beim Kartellgericht die Feststellung, dass die SSK ein „Bagatellkartell“ im Sinne von § 16 KartG 1988 sei und deshalb ohne Genehmigung durchgeführt werden könne(9). Das Kartellgericht nahm Einsicht in die Verfahrensakte des Genehmigungsverfahrens aus dem Jahr 1994(10) und hatte damit Kenntnis vom Rechtsstandpunkt des Paritätischen Ausschusses, den dieser seinerzeit in seinem Zwischengutachten zur Frage der Anwendbarkeit europäischen Wettbewerbsrechts abgegeben hatte. Mit Beschluss vom 2. Februar 1996 stellte das Kartellgericht fest, dass die SSK ein Bagatellkartell im Sinne von § 16 KartG 1988 sei. Dieser Beschluss erwuchs mangels Einlegung von Rechtsbehelfen in Rechtskraft.

22.      Auch die vom „Kartellbevollmächtigten“ der SSK als Beraterin herangezogene Rechtsanwaltskanzlei(11) vertrat die Ansicht, die SSK könne als Bagatellkartell angesehen werden. Diese Ansicht kommt in mehreren ihrer Beratungsschreiben zum Ausdruck.

23.      Zunächst bestätigten die beauftragten Rechtsanwälte, dass die Aktivitäten der SSK nach Maßgabe ihrer Rahmenübereinkunft vorbehaltlos umgesetzt werden könnten. In ihrem Schreiben vom 11. März 1996 hielten sie die Punkte fest, die bei Durchführung der SSK als Bagatellkartell zu beachten seien. Auf die Frage, ob das Bagatellkartell mit europäischem Kartellrecht vereinbar sei, ging dieses Schreiben allerdings nicht ausdrücklich ein.

24.      In einem weiteren Schreiben aus dem Jahr 2001, das eine Änderung der Tarifstruktur der SSK zum Anlass hatte, führte die Anwaltskanzlei außerdem aus, die Frage, ob ein Bagatellkartell bestehe, hänge nur davon ab, ob die beteiligten Unternehmen gemeinsam bestimmte Marktanteile überschritten oder nicht.

25.      Mit Blick auf das Inkrafttreten der österreichischen Kartellgesetz-Novelle 2005 zum 1. Januar 2006 ersuchte der Zentralverband der Spediteure die Anwaltskanzlei erneut, zu prüfen, welche Auswirkungen die gesetzlichen Neuregelungen auf die SSK haben würden. In ihrer Antwort vom 15. Juli 2005 wies die Anwaltskanzlei darauf hin, dass überprüft werden müsse, ob der Anteil der SSK 5 % des inländischen Marktes übersteige und ob die im Rahmen der SSK getroffenen Vereinbarungen vom Kartellverbot ausgenommen seien. Auf die Frage der Vereinbarkeit der SSK mit europäischem Kartellrecht ging das Schreiben wiederum nicht ein.

26.      Der Zentralverband der Spediteure erhob die Marktanteile der SSK-Mitglieder im innerösterreichischen Sammelladungsverkehr im Stückgutbereich für die Jahre 2004, 2005 und 2006 im Wege einer E-Mail-Abfrage. In Anwendung der Grundsätze der Marktabgrenzung, wie sie dem Feststellungsbeschluss des Kartellgerichts zugrunde lagen, errechnete der Zentralverband Marktanteile der SSK von 3,82 % für 2005 und von 3,23 % für 2006. Zumindest die wichtigsten SSK-Mitglieder wurden vom Unterschreiten der 5%-Schwelle unterrichtet. Laut Vorlagebeschluss ist auszuschließen, dass in den Jahren bis einschließlich 2004 die 5%-Schwelle durch Neubeitritte überschritten wurde.

27.      Am 11. Oktober 2007 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie in den Geschäftsräumen verschiedener Anbieter von internationalen Speditionsdienstleistungen unangekündigte Nachprüfungen wegen des Verdachts wettbewerbsbeschränkender Geschäftspraktiken durchgeführt habe. Daraufhin wurde im Vorstand der SSK am 29. November 2007 einstimmig der Beschluss zur Auflösung der SSK gefasst. Dieser Beschluss wurde den SSK-Mitgliedern am 21. Dezember 2007 bekannt gegeben.

28.      Die Bundeswettbewerbsbehörde wirft nun den an der SSK beteiligten Speditionsunternehmen vor, sie seien von 1994 bis zum 29. November 2007 „an einer einzigen, komplexen und vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen [e]uropäisches und [n]ationales Kartellrecht beteiligt“ gewesen, „indem sie österreichweit die Tarife für den Inlandssammelladungsverkehr abgesprochen“ hätten. Im Ausgangsrechtsstreit hat die Bundeswettbewerbsbehörde beantragt, gegenüber den meisten betroffenen Unternehmen wegen ihrer Kartellbeteiligung Geldbußen zu verhängen(12). Hinsichtlich der Firma Schenker, die sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt hat, wurde lediglich die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und § 1 KartG 2005 (bzw. § 9 in Verbindung mit § 18 KartG 1988) ohne finanzielle Sanktionen beantragt.

29.      Die Speditionsunternehmen verteidigen sich insbesondere damit, dass sie auf den fachkundigen Rat eines im Wettbewerbsrecht erfahrenen und verlässlichen Rechtsberaters vertraut hätten und dass die SSK vom Kartellgericht als Bagatellkartell im Sinne von § 16 KartG 1988 anerkannt gewesen sei. Europäisches Wettbewerbsrecht war ihrer Meinung nach nicht anzuwenden, weil sich die von der SSK ausgehende Wettbewerbsbeschränkung auf den zwischenstaatlichen Handel nicht ausgewirkt habe.

30.      In erster Instanz war dieses Verteidigungsvorbringen erfolgreich: Mit Teilbeschluss vom 22. Februar 2011 hat das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht die Anträge der Bundeswettbewerbsbehörde abgewiesen(13). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, dass den Speditionsunternehmen bei ihren Preisabsprachen kein schuldhaftes Handeln vorzuwerfen sei, da sie sich auf den Feststellungsbeschluss des Kartellgerichts vom 2. Februar 1996 berufen könnten und zudem Rechtsrat bei einer spezialisierten Anwaltskanzlei eingeholt hätten. Was speziell die Firma Schenker als Kronzeugin anbelangt, so stellte sich das Oberlandesgericht auf den Standpunkt, dass es ausschließlich der Europäischen Kommission vorbehalten sei, Zuwiderhandlungen festzustellen, ohne dabei eine Geldbuße zu verhängen.

31.      Gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Oberlandesgerichts Wien haben die Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt nunmehr beim Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht Rechtsmittel („Rekurs“) eingelegt. Im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof hat die Europäische Kommission mit Schriftsatz vom 12. September 2011 eine schriftliche Stellungnahme abgegeben(14).

IV – Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

32.      Mit Beschluss vom 5. Dezember 2011, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 27. Dezember 2011, hat der österreichische Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht(15) (im Folgenden auch: vorlegendes Gericht) dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1)      Dürfen Verstöße eines Unternehmens gegen Art. 101 AEUV mit einer Geldbuße geahndet werden, wenn das Unternehmen über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens geirrt hat und dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist?

Für den Fall der Verneinung von Frage 1:

1 a)      Ist ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens nicht vorwerfbar, wenn das Unternehmen sich gemäß dem Rat eines im Wettbewerbsrecht erfahrenen Rechtsberaters verhalten und die Unrichtigkeit des Rates weder offensichtlich noch durch die dem Unternehmen zumutbare Überprüfung erkennbar war?

1 b)      Ist ein Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Verhaltens nicht vorwerfbar, wenn das Unternehmen auf die Richtigkeit der Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde vertraut hat, die das zu beurteilende Verhalten allein nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft und für zulässig befunden hat?

2)      Sind die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt, festzustellen, dass ein Unternehmen an einem gegen Wettbewerbsrecht der Union verstoßenden Kartell beteiligt war, wenn über das Unternehmen keine Geldbuße zu verhängen ist, weil es die Anwendung der Kronzeugenregelung beantragt hat?

33.      Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben neben Schenker und einer Vielzahl anderer am Ausgangsrechtsstreit beteiligter Unternehmen auch die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde und der Bundeskartellanwalt, die Regierungen Italiens und Polens sowie die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. Die Bundeswettbewerbsbehörde und die meisten beteiligten Unternehmen sowie die Europäische Kommission waren auch in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2013 vertreten.

V –    Würdigung

34.      Der vorliegende Fall betrifft mit der SSK ein langjähriges Kartell, das in Österreich teils im zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 17, teils im zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1/2003 aktiv war.

35.      Inhaltlich dreht sich alles um die Frage, ob die an der SSK beteiligten Unternehmen gutgläubig davon ausgehen durften, dass die von ihnen getroffenen Preisabsprachen den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigten und somit allein in den Anwendungsbereich des nationalen österreichischen Kartellrechts fielen, nicht aber auch in jenen des europäischen Wettbewerbsrechts.

36.      Scheinbar wähnten sich die SSK-Mitglieder europarechtlich „auf der sicheren Seite“, indem sie den räumlichen Anwendungsbereich ihres Kartells allein auf Österreich beschränkten. Dass diese Rechtsauffassung objektiv falsch war, steht angesichts der Rechtsprechung der Unionsgerichte und der Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission außer Zweifel(16). Unklar ist jedoch, ob den betroffenen Unternehmen ihr Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot auch subjektiv zugerechnet werden kann. Anders ausgedrückt ist hier zu prüfen, ob die an der SSK beteiligten Unternehmen schuldhaft gegen das unionsrechtliche Kartellverbot verstoßen haben.

37.      Das vorlegende Gericht nimmt in seinem Vorlagebeschluss, ebenso wie die Verfahrensbeteiligten in ihren Stellungnahmen, auf Art. 101 AEUV Bezug, der jedoch erst seit dem 1. Dezember 2009 Anwendung findet. Demgegenüber spielte sich das im Streit stehende Kartellvergehen in einem Zeitraum ab, in dem teils Art. 81 EG, teils sogar noch Art. 85 E(W)G-Vertrag in Geltung war. Um also dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort für die Lösung des Ausgangsrechtsstreits zu geben, ist das Vorabentscheidungsersuchen mit Blick auf letztere beiden Vorschriften zu beantworten. Freilich lassen sich die folgenden Ausführungen problemlos auf das unionsrechtliche Kartellverbot in der nunmehr geltenden Fassung von Art. 101 AEUV übertragen. Der Einfachheit halber spreche ich deshalb überwiegend vom „unionsrechtlichen Kartellverbot“, das im Kern in allen drei genannten Vorschriften inhaltsgleich verankert ist.

A –    Der schuldausschließende Verbotsirrtum im europäischen Wettbewerbsrecht (erster Teil der ersten Vorlagefrage)

38.      Mit dem ersten Teil seiner ersten Frage möchte der Oberste Gerichtshof wissen, ob ein Unternehmen wegen eines von ihm begangenen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Kartellverbot mit einer Geldbuße belegt werden darf, wenn das Unternehmen über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens geirrt hat und dieser Irrtum ihm nicht vorwerfbar ist. Zu klären ist mit anderen Worten die Grundsatzfrage, ob im europäischen Wettbewerbsrecht das aus dem allgemeinen Strafrecht bekannte Institut des schuldausschließenden Verbotsirrtums anerkannt ist. Dieses Problem hat der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung allenfalls gestreift(17), aber niemals eingehend behandelt.

39.      Anders als die Europäische Kommission meint, ist eine Antwort auf diesen ersten Teil der ersten Vorlagefrage keineswegs überflüssig und kann auch nicht durch die bloße Erörterung der weiteren Vorlagefragen ersetzt werden. Jene weiteren Fragen sind nämlich zum Teil nur hilfsweise gestellt und setzen im Übrigen allesamt denknotwendig voraus, dass es einen schuldausschließenden Verbotsirrtum im europäischen Wettbewerbsrecht gibt. Ob dies der Fall ist, ist somit notwendigerweise vorab zu erörtern.

40.      Ausgangspunkt für die Überlegungen zu dieser Problematik sollte sein, dass das Kartellrecht zwar nicht zum Kernbereich des Strafrechts gehört(18), jedoch anerkanntermaßen strafrechtsähnlichen Charakter hat(19). Dies hat zur Folge, dass im Kartellrecht bestimmte dem Strafrecht entstammende Grundsätze Beachtung finden müssen, die sich letztlich auf das Rechtsstaatsprinzip und auf das Schuldprinzip zurückführen lassen. Zu ihnen gehört neben dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit, der die Unionsgerichte in Kartellfällen bis in die jüngste Zeit hinein häufig beschäftigt hat(20), auch der Grundsatz nulla poena sine culpa (keine Strafe ohne Schuld).

41.      Wenngleich sich der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung bislang noch nicht intensiv mit dem Grundsatz nulla poena sine culpa auseinanderzusetzen hatte, gibt es doch Anhaltspunkte, dass er dessen Geltung auf Unionsebene als selbstverständlich voraussetzt(21). Ich füge hinzu, dass es sich um ein Prinzip mit Grundrechtscharakter handelt, das den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten entstammt(22). In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und in der EMRK(23) wird dieses Prinzip zwar nicht ausdrücklich erwähnt, es ist aber notwendige Voraussetzung der Unschuldsvermutung. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass der Grundsatz nulla poena sine culpa implizit sowohl in Art. 48 Abs. 1 der Charta als auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK enthalten ist, die in Kartellverfahren anerkanntermaßen Berücksichtigung finden(24). Letztlich können diese beiden Bestimmungen der Charta und der EMRK als verfahrensrechtliche Ausprägung des Grundsatzes nulla poena sine culpa angesehen werden.

42.      Im Zusammenhang mit den von der Europäischen Kommission zu verhängenden kartellrechtlichen Sanktionen findet der Grundsatz nulla poena sine culpa sowohl in Art. 15 Abs. 2 der alten Verordnung Nr. 17 als auch im derzeit geltenden Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 seinen Niederschlag: Nach beiden Vorschriften dürfen kartellrechtliche Geldbußen nur für vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen verhängt werden.

43.      Dasselbe muss gelten, wenn Verstöße gegen das Unionskartellrecht vor nationalen Wettbewerbsbehörden oder ‑gerichten Verfahrensgegenstand sind. Denn im Anwendungsbereich des Unionsrechts haben nationale Stellen bei der Ausübung ihrer Befugnisse die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts zu beachten(25). Nichts anderes folgt aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003, der letztlich den Vorrang der Wertungen des Unionskartellrechts vor dem einzelstaatlichen Wettbewerbsrecht sicherstellen will.

44.      Aus dem Grundsatz nulla poena sine culpa folgt, dass ein Unternehmen für ein Kartellvergehen, welches es bei rein objektiver Betrachtung begangen hat, nur dann zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn ihm dieses Vergehen auch in subjektiver Hinsicht vorwerfbar ist. Unterlag das Unternehmen hingegen einem schuldausschließenden Verbotsirrtum, so kann ihm gegenüber weder eine Zuwiderhandlung festgestellt werden, noch kann sie zur Grundlage für die Verhängung von Sanktionen wie etwa Geldbußen gemacht werden.

45.      Hervorzuheben ist, dass nicht jeder Verbotsirrtum geeignet ist, die Schuld des kartellbeteiligten Unternehmens und damit das Bestehen einer sanktionswürdigen Zuwiderhandlung völlig auszuschließen. Nur wenn der Irrtum, in dem sich das Unternehmen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit seines Marktverhaltens befand, unvermeidbar war – bisweilen wird auch von einem entschuldbaren Irrtum oder von einem nicht vorwerfbaren Irrtum gesprochen –, hat das Unternehmen ohne Schuld gehandelt und kann für das in Rede stehende Kartellvergehen nicht belangt werden.

46.      Solch ein unvermeidbarer Verbotsirrtum dürfte nur sehr selten vorliegen. Er kann nur dann angenommen werden, wenn das betroffene Unternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um den ihm zur Last gelegten Verstoß gegen das Unionskartellrecht zu vermeiden.

47.      Hätte das betroffene Unternehmen den ihm unterlaufenen Irrtum über die Rechtmäßigkeit seines Marktverhaltens – wie so häufig – durch angemessene Vorkehrungen vermeiden können, so kann es sich nicht jeglicher Sanktion für das von ihm begangene Kartellvergehen entziehen. Vielmehr wird es sich zumindest einer fahrlässigen Zuwiderhandlung schuldig gemacht haben(26), was je nach Schwierigkeitsgrad der in Rede stehenden wettbewerbsrechtlichen Fragen zu einer verminderten Bußgeldhöhe führen kann (aber nicht muss)(27).

48.      Ob der Verbotsirrtum eines kartellbeteiligten Unternehmens vermeidbar oder unvermeidbar (vorwerfbar oder nicht vorwerfbar) war, ist nach einheitlichen unionsrechtlichen Maßstäben zu beurteilen, damit für alle auf dem Binnenmarkt tätigen Unternehmen im Hinblick auf das materielle Wettbewerbsrecht der Union einheitliche Rahmenbedingungen gelten („level playing field“)(28). Diese Problematik wird noch im Zusammenhang mit dem zweiten Teil der ersten Vorlagefrage, dem ich mich im Folgenden zuwende, eingehender zu erörtern sein.

B –    Die Vorwerfbarkeit des Verbotsirrtums (zweiter Teil der ersten Vorlagefrage)

49.      Wenn das Institut eines schuldausschließenden Verbotsirrtums, wie von mir vorgeschlagen(29), im Unionskartellrecht anerkannt wird, bedarf auch der hilfsweise gestellte zweite Teil der ersten Vorlagefrage (Frage 1 Buchst. a und b) der Erörterung. Mit ihm möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, welchen Sorgfaltspflichten ein Unternehmen genügt haben muss, damit angenommen werden kann, dass es sich im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit seines Marktverhaltens in einem unvermeidbaren (nicht vorwerfbaren) und damit schuldausschließenden Verbotsirrtum befand, so dass dieses Unternehmen für ein etwaiges Kartellvergehen nicht belangt werden kann.

50.      Im Einzelnen gilt es zu erörtern, ob und unter welchen Voraussetzungen das Vertrauen des betroffenen Unternehmens auf anwaltlichen Rat (Frage 1 Buchst. a; vgl. dazu sogleich, Abschnitt 1) oder auf die Entscheidung einer mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde (Frage 1 Buchst. b; vgl. dazu unten, Abschnitt 2) zu der Annahme führen kann, dass ein etwaiger Verbotsirrtum dem Unternehmen nicht vorzuwerfen ist und es deshalb von kartellrechtlichen Sanktionen verschont bleibt.

1.      Das Vertrauen des Unternehmens auf anwaltlichen Rat (Frage 1 Buchst. a)

51.      Mit Frage 1 Buchst. a begehrt das vorlegende Gericht Auskunft darüber, ob ein schuldausschließender Verbotsirrtum anzunehmen ist, wenn ein Unternehmen sich bei dem ihm zur Last gelegten wettbewerbswidrigen Verhalten auf anwaltlichen Rat verlassen hat.

52.      Diese Teilfrage stellt sich vor dem Hintergrund mehrerer schriftlicher Äußerungen einer von der SSK hinzugezogenen Anwaltskanzlei, auf die sich die betroffenen Unternehmen nunmehr im Ausgangsrechtsstreit zu ihrer Entlastung berufen.

53.      Zwischen den Parteien ist höchst umstritten, ob anwaltlicher Rat bei der Beurteilung des Verschuldens eines Unternehmens für ein Kartellvergehen zu berücksichtigen ist. Während dies von den am Vorabentscheidungsverfahren beteiligten Unternehmen durchweg bejaht wird(30), haben die Europäische Kommission sowie die vor dem Gerichtshof vertretenen Mitgliedstaaten und nationalen Behörden den entgegengesetzten Standpunkt bezogen.

a)      Zur Bedeutung von Rechtsrat im System der Verordnung Nr. 1/2003

54.      Der Gerichtshof hat sich bisher, soweit ersichtlich, nur ein einziges Mal relativ beiläufig mit dieser Problematik befasst. Im Urteil Miller hat er ausgeführt, dass die Äußerung eines Rechtsberaters nicht geeignet sei, den Verstoß eines Unternehmens gegen Art. 85 EWG-Vertrag zu entschuldigen(31).

55.      Jene Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Miller ist vor dem Hintergrund der seinerzeit geltenden Rechtslage zu verstehen. Bis zum 30. April 2004 stand es Unternehmen nach der Verordnung Nr. 17 frei, die zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarungen der Europäischen Kommission zur Genehmigung vorzulegen oder die Kommission um ein Negativattest zu ersuchen. Auf diese Weise war es den auf dem Gemeinsamen Markt tätigen Unternehmen möglich, von behördlicher Seite Rechtssicherheit über die Vereinbarkeit ihres Verhaltens mit dem europäischen Wettbewerbsrecht zu erlangen. Ein Unternehmen, das diesen Weg nicht einschlug, sondern sich lediglich auf den Rat eines Rechtsanwalts stützte, unternahm nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare, um einen Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht zu vermeiden. Für sich allein genommen reichte das Vertrauen des Unternehmens auf das Gutachten eines Rechtsanwalts seinerzeit nicht aus, um einen etwaigen Verbotsirrtum als unvermeidbar und damit als schuldausschließend anzusehen.

56.      Auf die heute geltende Rechtslage lässt sich die Miller-Rechtsprechung jedoch nicht übertragen. Mit der Verordnung Nr. 1/2003, die seit dem 1. Mai 2004 gilt, kam es nämlich zu einem Paradigmenwechsel bei der Durchsetzung des Unionskartellrechts. Das alte Anmelde- und Genehmigungssystem der Verordnung Nr. 17 wurde durch das neue System der Legalausnahme ersetzt(32). Seither erteilen weder die Europäische Kommission noch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden oder -gerichte für Einzelfälle Genehmigungen oder Negativatteste(33).

57.      Vielmehr wird seit dem 1. Mai 2004 von den auf dem Binnenmarkt tätigen Unternehmen erwartet, dass sie die Vereinbarkeit ihres Marktverhaltens mit dem europäischen Kartellrecht in eigener Verantwortung beurteilen. Im Grundsatz tragen somit die betroffenen Unternehmen selbst das Risiko einer etwaigen Fehleinschätzung der Rechtslage. Es gilt die allgemeine Lebensweisheit, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Gerade deshalb kommt der Einholung von fachkundigem Rechtsrat im System der Verordnung Nr. 1/2003 eine gänzlich andere Bedeutung zu, als dies noch im System der Verordnung Nr. 17 der Fall war. Die Konsultation eines Rechtsberaters ist heute für Unternehmen häufig der einzige Weg, sich umfassend über die kartellrechtliche Rechtslage zu informieren.

58.      Es geht nicht an, Unternehmen einerseits zur Einholung von fachkundigem Rechtsrat zu ermuntern, diesem Rat aber andererseits bei der Beurteilung ihres Verschuldens für eine Zuwiderhandlung gegen das Unionskartellrecht keinerlei Bedeutung beizumessen. Hat ein Unternehmen gutgläubig auf den – letztlich falschen – Rat seines Rechtsberaters vertraut, so kann dies im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren nicht ohne jede Konsequenz bleiben.

59.      Insbesondere stellt die rein zivilrechtliche Haftung eines Rechtsanwalts für einen etwa von ihm erteilten falschen Rechtsrat, anders als die Europäische Kommission meint, für sich allein genommen keinen angemessenen Ausgleich dar. Denn der zivile Regress des Klienten gegen seinen Anwalt ist in der Regel mit erheblichen Unwägbarkeiten behaftet und kann überdies das Unwerturteil („Stigma“) nicht ungeschehen machen, welches mit der Verhängung kartellrechtlicher – also strafrechtsähnlicher – Sanktionen gegen das Unternehmen einhergeht.

60.      Freilich kann die Einholung von Rechtsrat ein Unternehmen nicht von jeder Eigenverantwortung für sein Marktverhalten und für etwaige Verstöße gegen das europäische Wettbewerbsrecht befreien. Das Gutachten eines Rechtsanwalts kann nie ein Freibrief sein. Sonst wäre der Erstellung bloßer Gefälligkeitsgutachten Tür und Tor geöffnet, und die von der Verordnung Nr. 1/2003 abgeschaffte Befugnis zur Erteilung behördlicher Negativatteste würde de facto auf private Rechtsberater übergehen, die dafür keinerlei Legitimität besitzen.

61.      Das grundlegende Ziel einer wirksamen Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln(34) gebietet es, ein etwaiges Vertrauen eines Unternehmens auf Rechtsrat nur dann als Grundlage für einen schuldausschließenden Verbotsirrtum anzuerkennen, wenn im Zusammenhang mit der Einholung dieses Rechtsrats bestimmte Mindestvoraussetzungen eingehalten wurden, die ich im Folgenden kurz darstellen möchte.

b)      Mindestanforderungen im Zusammenhang mit der Einholung von Rechtsrat

62.      Grundvoraussetzung für die Berücksichtigung des von einem Unternehmen eingeholten Rechtsrats ist, dass das Unternehmen gutgläubig auf diesen Rat vertraut hat. Denn Vertrauensschutz und guter Glaube gehören eng zusammen(35). Sofern Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich das Unternehmen wider besseres Wissen auf ein anwaltliches Gutachten stützte oder dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten handelte, ist der erteilte Rechtsrat bei der Beurteilung des Verschuldens für eine Zuwiderhandlung gegen die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts von vornherein unbeachtlich.

63.      Darüber hinaus gelten folgende Mindestanforderungen an die Einholung von Rechtsrat, für deren Einhaltung das betroffene Unternehmen selbst das Risiko und die Verantwortung trägt.

64.      Erstens ist stets der Rat eines unabhängigen externen Rechtsanwalts einzuholen(36). Der Rat von Mitarbeitern der eigenen, internen Rechtsabteilung eines Unternehmens oder Konzerns kann im Fall eines Verbotsirrtums auf keinen Fall schuldausschließend wirken. Denn Unternehmensjuristen sind – auch wenn sie den Status von Syndikusanwälten haben(37) – als Arbeitnehmer vom betroffenen Unternehmen direkt abhängig, und ihr Rechtsrat ist dementsprechend dem eigenen Arbeitgeber zurechenbar. Ein Unternehmen kann sich nicht selbst einen Freibrief für sein möglicherweise kartellrechtswidriges Verhalten ausstellen.

65.      Zweitens hat es sich um den Rat eines fachkundigen Rechtsanwalts zu handeln, was voraussetzt, dass der Rechtsanwalt auf das Wettbewerbsrecht einschließlich des europäischen Kartellrechts spezialisiert ist und überdies regelmäßig mit Mandaten aus diesem Rechtsgebiet betraut ist.

66.      Drittens muss der anwaltliche Rat auf der Grundlage einer vollständigen und zutreffenden Schilderung der Tatsachen seitens des betroffenen Unternehmens erteilt worden sein. Soweit ein Unternehmen den von ihm befragten Rechtsanwalt nur lückenhaft oder gar wahrheitswidrig über Umstände informiert hat, die aus dem Verantwortungsbereich des Unternehmens stammen, kann das Gutachten dieses Rechtsanwalts in einem Kartellverfahren im Hinblick auf einen etwaigen Verbotsirrtum nicht entschuldigend wirken.

67.      Viertens muss sich das Gutachten des konsultierten Rechtsanwalts umfassend mit der Verwaltungs- und Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission sowie mit der Rechtsprechung der Unionsgerichte auseinandersetzen und dabei zu allen rechtlich einschlägigen Gesichtspunkten des jeweiligen Falles eingehend Stellung nehmen. Was nicht ausdrücklich Gegenstand des anwaltlichen Rates ist, sondern sich allenfalls implizit daraus herleiten lässt, kann nicht Grundlage für die Anerkennung eines schuldausschließenden Verbotsirrtums sein.

68.      Fünftens darf der erteilte Rechtsrat nicht offensichtlich falsch sein. Kein Unternehmen darf blind auf anwaltlichen Rat vertrauen. Vielmehr obliegt es jedem Unternehmen, das einen Rechtsanwalt befragt, die von diesem erteilten Auskünfte zumindest auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen.

69.      Selbstverständlich ist die von einem Unternehmen diesbezüglich zu erwartende Sorgfalt abhängig von seiner Größe und von seiner Erfahrung in wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten(38). Je größer ein Unternehmen ist und je mehr Erfahrung es mit dem Wettbewerbsrecht hat, desto intensiver ist es gehalten, den eingeholten anwaltlichen Rat inhaltlich zu prüfen, zumal dann, wenn es über eine eigene Rechtsabteilung mit entsprechender Expertise verfügt.

70.      Unabhängig davon muss allerdings jedes Unternehmen wissen, dass bestimmte wettbewerbsbeschränkende Praktiken schon ihrer Natur nach verboten sind(39), insbesondere, dass niemand sich an sogenannten Kernbeschränkungen(40) beteiligen darf, etwa an Preisabsprachen oder an Absprachen oder Maßnahmen zur Aufteilung oder Abschottung von Märkten. Von großen und erfahrenen Unternehmen kann überdies verlangt werden, dass sie die einschlägigen Ausführungen der Europäischen Kommission in deren Bekanntmachungen und Leitlinien auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts zur Kenntnis genommen haben.

71.      Sechstens handelt das betroffene Unternehmen auf eigene Gefahr, falls sich aus dem von ihm eingeholten Rechtsgutachten ergibt, dass die Rechtslage unklar ist. Das Unternehmen nimmt dann nämlich zumindest fahrlässig in Kauf, dass es mit seinem Marktverhalten gegen die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts verstößt.

72.      Zugegebenermaßen wird angesichts der von mir soeben vorgeschlagenen Mindestanforderungen der Wert anwaltlicher Rechtsgutachten für die betroffenen Unternehmen ein wenig geschmälert. Dies liegt aber in der Natur des Systems, das mit der Verordnung Nr. 1/2003 geschaffen wurde, und ist im Übrigen auch im klassischen Strafrecht nicht anders: In letzter Konsequenz ist jedes Unternehmen selbst für sein Marktverhalten verantwortlich und trägt das Risiko für die von ihm begangenen Rechtsverstöße. Absolute Rechtssicherheit kann durch die Einholung anwaltlichen Rechtsrats nicht erlangt werden. Sind aber alle oben genannten Mindestanforderungen erfüllt, so kann ein schuldausschließender Verbotsirrtum angenommen werden, wenn das betroffene Unternehmen sich gutgläubig auf den Rat seines Rechtsberaters verlassen hat.

73.      Ergänzend sei angemerkt, dass ein Rechtsanwalt, der sich durch die Abgabe von Gefälligkeitsgutachten zum Handlanger wettbewerbswidriger Praktiken von Unternehmen macht, nicht nur zivilrechtliche und berufsrechtliche Konsequenzen zu befürchten hat, sondern überdies möglicherweise auch selbst mit kartellrechtlichen Sanktionen belegt werden kann(41).

c)      Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall

74.      Überträgt man die oben genannten Kriterien auf einen Fall wie den vorliegenden, so ergibt sich, dass die betroffenen Unternehmen sich nicht in einem entschuldbaren Verbotsirrtum befanden, sondern ihnen ein etwaiger Irrtum über die Rechtswidrigkeit ihres Marktverhaltens im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht vorwerfbar ist.

75.      Zum einen liegt nämlich der Anfangszeitpunkt der Zuwiderhandlung, wie auch der weitaus größte Teil der Geltungsdauer des SSK-Kartells, noch im zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 17. Wie der österreichische Bundeskartellanwalt zutreffend hervorhebt, stand es also den betroffenen Unternehmen(42) frei, sich frühzeitig an die Europäische Kommission zu wenden und bei dieser die Erteilung eines Negativattests nach Art. 2 der Verordnung Nr. 17(43) zu beantragen(44). Dass sie dies versäumt haben, kann nicht durch die Einholung anwaltlichen Rechtsrats aufgewogen werden. Auch für denjenigen Teil des SSK-Kartells, der sich nach dem 30. April 2004, also schon im zeitlichen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1/2003, abspielte, kann kaum etwas anderes gelten. Denn wenn man mit der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde davon ausgeht, dass das streitgegenständliche Kartell eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung darstellte, muss sich das anfängliche Versäumnis der SSK-Mitglieder, ein Negativattest zu erwirken, auf die Beurteilung ihres Verschuldens für die gesamte Laufzeit des Kartells auswirken.

76.      Zum anderen erscheint der eingeholte Rechtsrat im vorliegenden Fall nach den Schilderungen des vorlegenden Gerichts lückenhaft. Gerade zu der Frage, von der die Ahndung des Kartellvergehens der SSK-Mitglieder nach dem Unionsrecht entscheidend abhängt, nämlich zur sachlichen Anwendbarkeit von Art. 85 E(W)G-Vertrag bzw. Art. 81 EG, nahmen die diversen Schreiben der zu Rate gezogenen Anwaltskanzlei – vorbehaltlich einer nochmaligen Prüfung durch das nationale Gericht – nicht Stellung. Anders als einige am Verfahren beteiligte Unternehmen zu meinen scheinen, genügt es in diesem Zusammenhang nicht, dass die anwaltlichen Gutachten möglicherweise implizit Rückschlüsse zur Problematik der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten zuließen. Was nicht ausdrücklich Gegenstand des anwaltlichen Rates ist, sondern sich allenfalls indirekt daraus herleiten lässt, kann, wie bereits erwähnt(45), nicht Grundlage für die Anerkennung eines schuldausschließenden Verbotsirrtums sein. Dies gilt erst recht, wenn es – wie hier – um die zentrale, alles entscheidende Rechtsfrage eines Falles geht.

77.      Ich füge hinzu, dass zumindest von den größeren Unternehmen unter den Kartellbeteiligten außerdem die Kenntnis der einschlägigen Bekanntmachungen und Leitlinien der Europäischen Kommission verlangt werden kann(46). Aus ihnen ergibt sich zweifelsfrei, dass horizontale Kartelle wie die SSK, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, in der Regel geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen(47), so dass sie unter das unionsrechtliche Kartellverbot fallen.

78.      Unerheblich für die Frage des Verschuldens der kartellbeteiligten Unternehmen ist schließlich der von einigen Verfahrensbeteiligten betonte Umstand, dass es sich bei der SSK nicht um ein geheimes Kartell handelte und die SSK-Mitglieder nach eigenen Angaben beabsichtigten, einen Verstoß gegen das Unionskartellrecht zu vermeiden. Ein schuldausschließender Verbotsirrtum kann nicht allein deshalb angenommen werden, weil sich der Täter im Recht fühlt und sich auch sonst „seiner Sache sicher ist“. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob er alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um die Begehung einer Zuwiderhandlung zu vermeiden.

2.      Das Vertrauen des Unternehmens auf die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde (Frage 1 Buchst. b)

79.      Mit Frage 1 Buchst. b möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein schuldausschließender Verbotsirrtum anzunehmen ist, wenn ein Unternehmen bei dem ihm zur Last gelegten wettbewerbswidrigen Verhalten auf die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde vertraut hat, die jenes Verhalten allein nach nationalem Wettbewerbsrecht beurteilt und für zulässig befunden hatte.

80.      Hintergrund dieser Teilfrage ist, dass das österreichische Kartellgericht als zuständige innerstaatliche Stelle die SSK mit rechtskräftigem Beschluss vom 2. Februar 1996 als „Bagatellkartell“ im Sinne von § 16 KartG 1988 anerkannt hat. Auf diesen Beschluss berufen sich die betroffenen Unternehmen nun im Ausgangsrechtsstreit zu ihrer Entlastung.

81.      Ebenso wie beim oben erörterten Vertrauen auf anwaltlichen Rat ist es zwischen den Verfahrensbeteiligten höchst umstritten, ob die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde bei der Beurteilung des Verschuldens eines Unternehmens für ein Kartellvergehen zu berücksichtigen ist. Die Fronten verlaufen zu beiden Problemen im Wesentlichen gleich.

a)      Zur Bedeutung von Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden und ‑gerichte

82.      Eines der Hauptanliegen der Verordnung Nr. 1/2003 bestand darin, mitgliedstaatliche Stellen stärker als früher in die Durchsetzung des europäischen Kartellrechts einzubinden(48). So kommt den nationalen Wettbewerbsbehörden und den innerstaatlichen Gerichten im neuen, dezentralisierten System der Kartellrechtsdurchsetzung eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Gemäß Art. 5 und 6 der Verordnung Nr. 1/2003 sind die Wettbewerbsbehörden und Gerichte der Mitgliedstaaten zur Anwendung des Unionskartellrechts ausdrücklich befugt und gegebenenfalls – unter den in Art. 3 jener Verordnung genannten Umständen – sogar verpflichtet(49).

83.      Auch in der Zeit bis zum 30. April 2004, in der das Kartellgericht seinen von den beteiligten Unternehmen ins Feld geführten Beschluss erlassen hat, war die Anwendung von Art. 85 E(W)G-Vertrag bzw. Art. 81 EG der Zuständigkeit der innerstaatlichen Behörden und Gerichte keineswegs entzogen. Zwar war die Europäische Kommission seinerzeit nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 17 ausschließlich zuständig für die Erteilung von Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 E(W)G-Vertrag bzw. Art. 81 Abs. 3 EG. Im Übrigen waren aber nationale Behörden und Gerichte grundsätzlich nicht daran gehindert, den unmittelbar geltenden Art. 85 Abs. 1 E(W)G-Vertrag bzw. Art. 81 Abs. 1 EG anzuwenden und insbesondere zu prüfen, ob eine kollusive Verhaltensweise von Unternehmen in den sachlichen Anwendungsbereich der europäischen Wettbewerbsregeln fiel, d. h., ob sie geeignet erschien, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen(50). Eine solche Prüfung wurde beispielsweise dann erforderlich, wenn es im Fall eines Normenkonflikts zwischen Gemeinschaftskartellrecht und nationalem Kartellrecht galt, den vom Gerichtshof angemahnten Vorrang des Gemeinschaftsrechts(51) zu beachten.

84.      Vor diesem Hintergrund können die Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden und Gerichte – auch solche, die vor dem 1. Mai 2004 ergangen sind – für die auf dem Binnenmarkt tätigen Unternehmen neben der Verwaltungspraxis der Europäischen Kommission und der Rechtsprechung der Unionsgerichte wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis der geltenden Rechtslage im europäischen Wettbewerbsrecht liefern.

85.      Welche Auswirkungen das Vertrauen der betroffenen Unternehmen in solche Entscheidungen auf ihr Verschulden für Kartellvergehen hat, ist in Anlehnung an den Grundsatz des Vertrauensschutzes zu bestimmen, der auch auf Unionsebene anerkannt ist(52). Danach ist es keineswegs ausgeschlossen, dass sich Unternehmen in Angelegenheiten des Unionsrechts auf Entscheidungen nationaler Behörden und Gerichte verlassen dürfen(53). Überdies erscheint das Vertrauen auf die Stellungnahmen derartiger staatlicher Stellen schützenswerter als das auf Gutachten privater Rechtsberater.

86.      Dennoch würde es zu weit führen, jeder irgendwie gearteten Äußerung einer innerstaatlichen Stelle zum Unionskartellrecht Wirkungen im Hinblick auf die Beurteilung des Verschuldens von Unternehmen für die ihnen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen beizumessen. Bestimmte Mindestvoraussetzungen müssen auch hier erfüllt sein, um die wirksame Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln nicht zu beeinträchtigen.

b)      Voraussetzungen für die Anerkennung von schutzwürdigem Vertrauen auf die Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden und ‑gerichte

87.      Erstens muss es sich um die Entscheidung einer zur Anwendung des Unionskartellrechts zuständigen mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörde im Sinne der Art. 5 und 35 oder eines nationalen Gerichts im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 handeln.

88.      Eine nationale Wettbewerbsbehörde darf zwar keine Genehmigungen oder Negativatteste in Bezug auf das Unionskartellrecht erteilen. Sie kann aber nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden, wenn die Voraussetzungen für ein Verbot nach den ihr vorliegenden Informationen nicht gegeben sind. Dann muss das betroffene Unternehmen darauf vertrauen können, dass es zumindest im örtlichen Zuständigkeitsbereich dieser Behörde das von ihr untersuchte Marktverhalten fortsetzen darf.

89.      Die Entscheidung eines nationalen Gerichts kommt als Grundlage für die Anerkennung eines schuldausschließenden Verbotsirrtums in Betracht, wenn das Gericht in ihr zu dem Schluss gelangt, dass ein bestimmtes Marktverhalten keine Zuwiderhandlung gegen das Unionskartellrecht darstellt. Dies kann insbesondere anlässlich der Einstellung eines gerichtlichen Bußgeldverfahrens, der Aufhebung eines behördlichen Bußgeldbescheids oder der Abweisung einer gegen das betroffene Unternehmen gerichteten zivilrechtlichen Schadensersatz- oder Unterlassungsklage durch das nationale Gericht geschehen.

90.      Zweitens ist es erforderlich, dass das betroffene Unternehmen die nationale Stelle zuvor umfassend und wahrheitsgemäß über alle entscheidungserheblichen Umstände informiert hat, sofern es – wie 1995/96 die SSK-Mitglieder – bereits an dem ursprünglichen behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligt war. Soweit der fraglichen Entscheidung ein dem Unternehmen selbst zuzurechnender Mangel anhaftet, kann sich das Unternehmen später nicht zu seiner Entlastung auf diese Entscheidung berufen.

91.      Drittens muss die behördliche oder gerichtliche Entscheidung genau zu denjenigen Tatsachen- und Rechtsfragen ergangen sein, wegen deren sich das betroffene Unternehmen auf einen schuldausschließenden Verbotsirrtum beruft. Ähnlich wie bei anwaltlichen Gutachten gilt außerdem, dass nur diejenigen Aussagen der Behörde oder des Gerichts herangezogen werden dürfen, die ausdrücklich in der jeweiligen Entscheidung enthalten sind, nicht hingegen sonstige Schlussfolgerungen, die sich allenfalls implizit aus ihr ziehen lassen(54).

92.      Viertens darf die Stellungnahme der nationalen Wettbewerbsbehörde oder des nationalen Gerichts zum Unionskartellrecht nicht offensichtlich falsch sein(55). Grundsätzlich tragen zwar bestandskräftige behördliche Entscheidungen und rechtskräftige Gerichtsentscheidungen, die sich zum Unionskartellrecht äußern, die Vermutung der Rechtmäßigkeit in sich, so dass diejenigen, für die sie bestimmt sind, auf die Richtigkeit ihres Inhalts vertrauen dürfen und ihn nicht in gleicher Weise wie anwaltlichen Rat auf Plausibilität überprüfen müssen. Gleichwohl muss jedes Unternehmen, wie bereits erwähnt(56), wissen, dass bestimmte wettbewerbsbeschränkende Praktiken schon ihrer Natur nach verboten sind, insbesondere, dass niemand sich an Kernbeschränkungen wie Preisabsprachen oder Absprachen oder Maßnahmen zur Aufteilung oder Abschottung von Märkten beteiligen darf.

93.      Fünftens ist das Vertrauen eines Unternehmens auf eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung nur dann schutzwürdig, wenn dieses Unternehmen gutgläubig ist(57). Daran fehlt es nicht nur in dem – sicherlich unwahrscheinlichen – Fall einer Kollusion zwischen dem Unternehmen und der nationalen Behörde bzw. dem nationalen Gericht. Vielmehr ist dem Vertrauen des Unternehmens auf die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung auch dann der Boden entzogen, wenn das Unternehmen von einer entgegenstehenden Rechtsauffassung der zuständigen Unionsorgane – namentlich der Europäischen Kommission und des Gerichtshofs der Europäischen Union – erfahren hat. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich die Europäische Kommission gemäß Art. 15 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 an einem innerstaatlichen Gerichtsverfahren beteiligt und das betroffene Unternehmen in jenem Rahmen von ihrer Rechtsauffassung Kenntnis erlangt hat.

94.      In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof wurde außerdem die Frage erörtert, ob die Anerkennung eines schutzwürdigen Vertrauens von Unternehmen auf die Entscheidungen nationaler Gerichte voraussetzt, dass der jeweilige Fall zuvor dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde. Meines Erachtens ist dies zu verneinen. Ich hielte es nicht für angemessen, den Vertrauensschutz nur auf diejenigen nationalen Gerichtsentscheidungen zu beschränken, die auf einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs beruhen.

95.      In aller Regel wird es sich nämlich um Entscheidungen von Gerichten im Sinne von Art. 267 Abs. 2 AEUV handeln, die nicht zur Vorlage verpflichtet sind. Erklärt der Unionsgesetzgeber alle nationalen Gerichte für zuständig, das Unionskartellrecht anzuwenden (Art. 6 der Verordnung Nr. 1/2003), so müssen sich die Rechtsunterworfenen auch auf die diesbezüglichen Entscheidungen aller nationalen Gerichte berufen können, gleichviel, ob zuvor ein – fakultatives – Vorabentscheidungsverfahren durchgeführt wurde oder nicht.

96.      Die Verordnung Nr. 1/2003 hält spezifische Instrumente bereit, die eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Unionskartellrechts sicherstellen helfen. Dabei spielt die Europäische Kommission eine Schlüsselrolle. An den von nationalen Gerichten geführten Verfahren darf sich die Kommission beteiligen(58). Mit den nationalen Wettbewerbsbehörden arbeitet die Kommission im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes (EWN) eng zusammen und kann sogar die von ihnen geführten Verwaltungsverfahren nötigenfalls an sich zu ziehen(59).

c)      Schlussfolgerungen für den vorliegenden Fall

97.      Überträgt man die soeben dargestellten Kriterien auf einen Fall wie den vorliegenden, so ergibt sich, wie schon im Zusammenhang mit dem anwaltlichen Rechtsrat, dass die betroffenen Unternehmen sich nicht in einem entschuldbaren Verbotsirrtum befanden, sondern ihnen ein etwaiger Irrtum über die Rechtswidrigkeit ihres Marktverhaltens im Hinblick auf das europäische Wettbewerbsrecht vorwerfbar ist.

98.      Wie nämlich das vorlegende Gericht mitteilt, hat der Beschluss des Kartellgerichts vom 2. Februar 1996, auf den sich die SSK-Mitglieder berufen, das den Speditionsunternehmen zur Last gelegte Verhalten allein nach nationalem Wettbewerbsrecht geprüft und für zulässig befunden. Auf die Frage, ob die SSK-Mitglieder gegen das unionsrechtliche Kartellverbot verstoßen haben, geht jener Beschluss nicht ein. Zur parallelen Anwendung von Unionskartellrecht neben dem nationalen Kartellrecht bestand im Übrigen vor dem 1. Mai 2004, als Art. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 noch nicht galt, keine unionsrechtliche Pflicht(60).

99.      Es mag sein, dass das Kartellgericht im Vorfeld seines Beschlusses vom 2. Februar 1996 Einsicht in ein 1994 erstelltes Zwischengutachten des Paritätischen Ausschusses für Kartellangelegenheiten genommen hat(61), das die Anwendbarkeit des europäischen Wettbewerbsrechts verneint hatte. Dieser Umstand allein berechtigte jedoch die SSK-Mitglieder noch nicht zu der Annahme, dass ihrem Marktverhalten die europäischen Wettbewerbsregeln nicht entgegenstanden. Entscheidend ist, dass sich das Kartellgericht selbst nicht ausdrücklich zur Frage der Vereinbarkeit der SSK mit dem europäischen Wettbewerbsrecht geäußert hat(62).

100. Zugegebenermaßen waren schon vor dem 1. Mai 2004 die nationalen Wettbewerbsbehörden und ‑gerichte gehalten, den Vorrang des damaligen Gemeinschaftsrechts zu beachten sowie die uneingeschränkte und einheitliche Anwendung dieses Gemeinschaftsrechts nicht zu beeinträchtigen(63). Auch aus dem nationalen Recht konnte schon damals eine Verpflichtung zur Beachtung der europäischen Wettbewerbsregeln folgen, worauf die beteiligten Unternehmen in der mündlichen Verhandlung hingewiesen haben.

101. Daraus allein lässt sich jedoch nicht folgern, dass die nationalen und die europäischen Wettbewerbsregeln bereits vor dem Geltungsbeginn von Art. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 stets zu den gleichen Ergebnissen führen mussten. Bekanntlich sind die Anwendungsbereiche der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften auf europäischer und auf nationaler Ebene nicht deckungsgleich(64), und beide beurteilen die restriktiven Praktiken unter unterschiedlichen Aspekten(65). Dies war schon vor dem 1. Mai 2004 so und hat sich mit der Verordnung Nr. 1/2003 nicht geändert(66). Gerade eine Vorschrift wie die österreichische über Bagatellkartelle zeigt besonders deutlich, welche Unterschiede zwischen Unionskartellrecht und nationalem Kartellrecht bestehen konnten und fortbestehen können(67).

102. Dementsprechend kann ein allein auf das nationale Wettbewerbsrecht gestützter Beschluss wie der des Kartellgerichts vom 2. Februar 1996 in einer unionsrechtlichen Frage, wie sie für den Ausgangsrechtsstreit entscheidend ist, kein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Unternehmen begründen.

C –    Die Feststellungsbefugnis nationaler Wettbewerbsbehörden gegenüber Kronzeugen (zweite Vorlagefrage)

103. Die zweite Vorlagefrage ist speziell auf die Situation eines Kronzeugen zugeschnitten, in der sich im vorliegenden Fall das Unternehmen Schenker befindet. Sie setzt denknotwendig voraus, dass das betroffene Unternehmen sich – wie im Rahmen der ersten Vorlagefrage dargelegt – nicht auf einen schuldausschließenden Verbotsirrtum berufen kann. Denn im Fall eines solchen Irrtums läge überhaupt keine Zuwiderhandlung vor, die eine Wettbewerbsbehörde oder ein Gericht dem Unternehmen gegenüber feststellen könnte(68).

104. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob es den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nach der Verordnung Nr. 1/2003 gestattet ist, die Begehung einer Zuwiderhandlung gegen das unionsrechtliche Kartellverbot durch ein Unternehmen festzustellen und von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen.

105. Die Befugnisse nationaler Wettbewerbsbehörden bei der Anwendung des Unionskartellrechts ergeben sich aus Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003. Mit ihrer Wahrnehmung können gemäß Art. 35 Abs. 1 jener Verordnung auch Gerichte betraut werden, wie dies in Österreich der Fall ist.

106. Eine Befugnis mitgliedstaatlicher Stellen zur schlichten Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen das Unionskartellrecht ohne Verhängung von Sanktionen ist in Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 nicht ausdrücklich vorgesehen. Demgegenüber verfügt die Europäische Kommission gemäß Art. 7 Abs. 1, letzter Satz, jener Verordnung über die ausdrückliche Befugnis, eine Zuwiderhandlung nach deren Beendigung festzustellen, soweit ein berechtigtes Interesse besteht.

107. Anders als Schenker meint, lässt sich aber aus dem Schweigen von Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 keineswegs schließen, dass es den nationalen Behörden untersagt wäre, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung ohne die Verhängung von Sanktionen lediglich festzustellen. Auch aus den Befugnissen der Kommission gemäß Art. 7 Abs. 1, letzter Satz, der Verordnung Nr. 1/2003 kann dies nicht im Umkehrschluss gefolgert werden.

108. Zwar trifft es zu, dass die Verordnung Nr. 1/2003 den mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden und ‑gerichten bestimmte Befugnisse bewusst vorenthält, damit die im System dieser Verordnung fest verankerte Führungsrolle der Kommission bei der Ausgestaltung der europäischen Wettbewerbspolitik(69) und das neu geschaffene System der Legalausnahme nicht beeinträchtigt werden. So ist beispielsweise die Kommission die einzige Behörde im EWN, die gemäß Art. 10 der Verordnung Nr. 1/2003 befugt ist, ausnahmsweise deklaratorisch die Nichtanwendbarkeit des Unionskartellrechts festzustellen(70), wohingegen die nationalen Wettbewerbsbehörden nach Art. 5 Abs. 2 jener Verordnung allenfalls entscheiden dürfen, dass für sie in einem konkreten Fall kein Anlass besteht, tätig zu werden, was den Erlass negativer Sachentscheidungen ausschließt(71).

109. Allerdings ist nicht anzunehmen, dass der Unionsgesetzgeber auch im umgekehrten Fall, also hinsichtlich der hier interessierenden Befugnis zur Feststellung von Zuwiderhandlungen, die Kompetenzen der mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden und ‑gerichte einschränken wollte. Wie bereits erwähnt, war es nämlich eines der Hauptanliegen der Verordnung Nr. 1/2003, mitgliedstaatliche Stellen stärker als bislang in die Durchsetzung des Unionskartellrechts einzubinden(72). Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sollten nicht weniger, sondern mehr Möglichkeiten zu einer wirksamen Anwendung des Unionskartellrechts erhalten(73). Im dezentralisierten System der Verordnung Nr. 1/2003 ist die Aufdeckung, Feststellung und gegebenenfalls die Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die europäischen Wettbewerbsregeln fester Bestandteil ihres Aufgabenkatalogs(74) und trägt zur wirksamen Durchsetzung jener Regeln bei.

110. Die Möglichkeit der bloßen Feststellung einer Zuwiderhandlung ist in der Kompetenz zur Verhängung von Sanktionen durch die mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden gemäß Art. 5 Abs. 1 letzter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1/2003 notwendigerweise mit enthalten (argumentum a maiore ad minus). Ohne die vorherige Feststellung eines Kartellvergehens wären nämlich etwaige Sanktionen, die eine Behörde den beteiligten Unternehmen für ihr Verhalten auferlegt, gar nicht denkbar.

111. Keineswegs verlieren nationale Wettbewerbsbehörden bzw. ‑gerichte ihre Befugnis zur Feststellung einer Zuwiderhandlung, wenn sie von der Verhängung von Sanktionen absehen, um etwa einen Kronzeugen für seine Zusammenarbeit im Kartellverfahren zu honorieren. Vielmehr kann es zur wirksamen Durchsetzung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln sogar erforderlich sein, in einem derartigen Fall trotz des Verzichts auf Sanktionen das Vorliegen einer Zuwiderhandlung festzustellen.

112. Würde die nationale Behörde bzw. das nationale Gericht nicht nur auf die Verhängung einer Sanktion, sondern auch auf die schlichte Feststellung der Zuwiderhandlung verzichten und das Kartellverfahren gegenüber dem betroffenen Unternehmen kurzerhand einstellen, so könnte der irreführende Anschein entstehen, dass dessen Marktverhalten rechtmäßig war. Durch die Feststellung der Zuwiderhandlung, die in Wirklichkeit mit der Festsetzung einer Geldbuße in der Höhe von null gleichbedeutend ist, wird hingegen unzweifelhaft klargestellt und dokumentiert, dass das Unternehmen schuldhaft gegen die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln verstoßen hat.

113. Ob und wie die zuständigen innerstaatlichen Stellen von ihrer in Art. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 implizit enthaltenen Befugnis zur Feststellung einer Zuwiderhandlung ohne Verhängung von Sanktionen Gebrauch machen, fällt in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Nichts spricht folglich dagegen, dass das nationale Recht die Feststellung einer Zuwiderhandlung in das Ermessen der zuständigen Behörde bzw. des zuständigen Gerichts stellt oder dafür in Anlehnung an Art. 7 Abs. 1, letzter Satz, der Verordnung Nr. 1/2003 ein berechtigtes Interesse verlangt, vorausgesetzt, die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität(75) bleiben gewahrt.

114. Vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots, das im Ziel einer wirksamen Durchsetzung des Unionskartellrechts seinen Ausdruck findet(76), wird in aller Regel ein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer Zuwiderhandlung bestehen, selbst wenn von der Verhängung von Sanktionen abgesehen wird. Denn zum einen kann das betroffene Unternehmen aufgrund einer derartigen Feststellung in der Zukunft als Wiederholungstäter belangt werden, sollte es sich erneut eines Verstoßes gegen die Regeln des europäischen Wettbewerbsrechts schuldig machen(77). Zum anderen geht von der Feststellung der Zuwiderhandlung eine abschreckende Signalwirkung gegenüber anderen Unternehmen aus, und es wird das Vertrauen aller Marktteilnehmer in die Schlagkraft der Wettbewerbsregeln des Europäischen Binnenmarkts gestärkt. Nicht zuletzt wird es auch Unternehmen und Verbrauchern, die durch ein Kartell geschädigt wurden, durch die behördliche Feststellung der Zuwiderhandlung erheblich erleichtert, zivilrechtliche Ansprüche gegen die Kartellbeteiligten geltend zu machen(78).

VI – Ergebnis

115. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, das Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Obersten Gerichtshofs wie folgt zu beantworten:

1)      Ein Unternehmen darf wegen eines von ihm begangenen Verstoßes gegen das unionsrechtliche Kartellverbot nicht mit einer Geldbuße belegt werden, wenn das Unternehmen über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens geirrt hat (Verbotsirrtum) und ihm dieser Irrtum nicht vorwerfbar ist.

2)      Der Verbotsirrtum, in dem sich ein Unternehmen befindet, ist vorwerfbar, wenn das Unternehmen auf anwaltlichen Rechtsrat oder die Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde vertraut hat, in denen das entscheidende Rechtsproblem nicht oder jedenfalls nicht ausdrücklich erörtert wird.

Bei Zuwiderhandlungen, deren Anfangszeitpunkt vor dem 1. Mai 2004 liegt, ist ein Verbotsirrtum einem Unternehmen außerdem dann vorwerfbar, wenn das Unternehmen nicht frühzeitig einen Antrag auf Erteilung eines Negativattests nach Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 17 bei der Europäischen Kommission gestellt hat.

3)      Die Verordnung (EG) Nr. 1/2003 verbietet es den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nicht, die Begehung einer Zuwiderhandlung gegen das unionsrechtliche Kartellverbot durch ein Unternehmen als solche festzustellen und dabei von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen, sofern die allgemeinen unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität gewahrt bleiben.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Verordnung (EWG) Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962: Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204).


3 – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1). Diese Verordnung gilt ausweislich ihres Art. 45 Abs. 2 seit dem 1. Mai 2004.


4 – BGBl. Nr. 600/1988.


5 – BGBl. Nr. 61/2005.


6 – Die Vorgängerorganisationen der SSK, die „Auto-Sammelladungskonferenz“ und die „Bahn-Sammelladungskonferenz“, reichten in die 1970er Jahre zurück und hatten bis zu ihrem Auslaufen am 31. Dezember 1993 in Österreich den Status von „genehmigten Kartellen“.


7 – Az. 4 Kt 533/94.


8 – Der Paritätische Ausschuss für Kartellangelegenheiten war bis zu seiner Abschaffung durch die Kartellgesetz-Novelle 2002 ein sachverständiges Hilfsorgan des Kartellgerichts. Seine Tätigkeit war in §§ 49, 112 und 113 KartG 1988 geregelt.


9 – Az. 4 Kt 79/95-12.


10 – Vgl. dazu soeben, Nr. 20 dieser Schlussanträge.


11 – [Nicht zur Veröffentlichung bestimmte Fußnote.]


12 – Als Rechtsgrundlage für die Geldbußen werden § 142 Abs. 1 Buchst. a und d KartG 1998 sowie § 29 Abs. 1 Buchst. a und d KartG 2005 herangezogen.


13 – Az. 24 Kt 7, 8/10-146.


14 – Vgl. dazu Art. 15 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung Nr. 1/2003.


15 – Az. 16 Ok 4/11.


16 – Urteile vom 17. Oktober 1972, Vereeniging van Cementhandelaren/Kommission (8/72, Slg. 1972, 977, Randnr. 29), vom 11. Juli 1985, Remia u. a./Kommission (42/84, Slg. 1985, 2545, Randnr. 22 am Ende), vom 23. November 2006, Asnef-Equifax (C‑238/05, Slg. 2006, I‑11125, Randnr. 37), und vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission (C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnr. 38); Bekanntmachung der Kommission „Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags“ (ABl. 2004, C 101, S. 81), Abschnitt 3.2.1 (insbesondere Randnr. 78).


17 – Vgl. insbesondere Urteile vom 1. Februar 1978, Miller International Schallplatten/Kommission („Miller“, 19/77, Slg. 1978, 131, Randnr. 18), und vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission (100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 111 und 112). Im Urteil vom 10. Dezember 1985, Stichting Sigarettenindustrie u. a./Kommission (240/82 bis 242/82, 261/82, 262/82, 268/82 und 269/82, Slg. 1985, 3831, Randnr. 60), wird der Begriff des Verbotsirrtums beiläufig erwähnt. In den Urteilen vom 12. Juli 1979, BMW Belgium u. a./Kommission („BMW Belgium“, 32/78 und 36/78 bis 82/78, Slg. 1979, 2435, Randnrn. 43 und 44), und vom 8. November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission (96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, Slg. 1983, 3369, Randnr. 45), beschränkt sich der Gerichtshof – ohne konkrete Erörterung eines etwaigen Verbotsirrtums – auf die Aussage, es komme nicht darauf an, ob ein Unternehmen sich der Zuwiderhandlung gegen das Verbot des Art. 85 EWG-Vertrag bewusst war oder nicht. In den Schlussanträgen des Generalanwalts Mayras vom 13. November 1975 in der Rechtssache General Motors/Kommission (26/75, Slg. 1975, 1367, 1390) wird ein Verbotsirrtum angenommen und deshalb eine Geldbuße wegen Vorsatzes abgelehnt.


18 – In seinem Urteil Jussila/Finnland vom 23. November 2006 (Beschwerde-Nr. 73053/01, Recueil des arrêts et décisions 2006-XIV, § 43) zählt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Wettbewerbsrecht nicht zum klassischen Strafrecht und geht davon aus, dass die aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden strafrechtlichen Garantien außerhalb des „harten Kerns“ des Strafrechts nicht notwendigerweise in ihrer vollen Strenge zur Anwendung kommen müssen.


19 – Vgl. dazu meine Schlussanträge vom 3. Juli 2007 in der Rechtssache ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Randnr. 71) und vom 8. September 2011 in der Rechtssache Toshiba Corporation u. a. (C‑17/10, Nr. 48), jeweils mit weiteren Nachweisen. Der Gerichtshof wendet in ständiger Rechtsprechung strafrechtliche Grundsätze im europäischen Wettbewerbsrecht an (vgl. zur Unschuldsvermutung das Urteil vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission, C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Randnrn. 149 und 150, und zum Verbot der Doppelbestrafung – „ne bis in idem“ – das Urteil vom 14. Februar 2012, Toshiba Corporation u. a., C‑17/10, Randnr. 94). Der EGMR erkennt seinerseits im Urteil Menarini Diagnostics/Italien vom 27. September 2011 (Beschwerde-Nr. 43509/08, §§ 38 bis 45) einer von der italienischen Wettbewerbsbehörde verhängten kartellrechtlichen Geldbuße strafrechtlichen Charakter im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK zu.


20 – Vgl., statt vieler, die Urteile vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni (C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnrn. 145 und 204), vom 11. Dezember 2007, ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Randnr. 39), vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission (C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 56), und vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission (C‑628/10 P und C‑14/11 P, Randnr. 42).


21 – Im Urteil vom 18. November 1987, Maizena u. a. (137/85, Slg. 1987, 4587, Randnr. 14), hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es sich beim Grundsatz nulla poena sine culpa um einen „typisch strafrechtlichen“ Grundsatz handelt. Seine Existenz auf unionsrechtlicher Ebene wird außerdem im Urteil vom 11. Juli 2002, Käserei Champignon Hofmeister (C‑210/00, Slg. 2002, I‑6453, insbesondere Randnrn. 35 und 44), vorausgesetzt. Vgl. ferner die Schlussanträge des Generalanwalts Lenz vom 11. Juli 1992 in der Rechtssache Van der Tas (C‑143/91, Slg. 1992, I‑5045, Nr. 11) und – allgemein zum Schuldprinzip bei verwaltungsrechtlichen Sanktionsregelungen – die Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vom 24. Januar 2008 in der Rechtssache Michaeler u. a. (C‑55/07 und C‑56/07, Slg. 2008, I‑3135, Nr. 56).


22 – Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven vom 15. September 1993 in der Rechtssache Charlton u. a. (C‑116/92, Slg. 1993, I‑6755, Nr. 18).


23 – Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten („EMRK“, unterzeichnet in Rom am 4. November 1950).


24 – Urteile Hüls/Kommission (zitiert in Fn. 19, Randnrn. 149 und 150, in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 EMRK), und vom 22. November 2012, E.ON Energie/Kommission (C‑89/11 P, Randnr. 72 und 73, bezogen auf Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte); im selben Sinne bereits Urteil vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission („United Brands“, 27/76, Slg. 1978, 207, Randnr. 265).


25 – Vgl., statt vieler, Urteile vom 26. April 2005, „Goed Wonen“ (C‑376/02, Slg. 2005, I‑3445, Randnr. 32), vom 11. Juli 2006, Chacón Navas (C‑13/05, Slg. 2006, I‑6467, Randnr. 56), und vom 27. September 2007, Twoh International (C‑184/05, Slg. 2007, I‑7897, Randnr. 25).


26 – Vgl. dazu die Schlussanträge des Generalanwalts Mayras in der Rechtssache General Motors/Kommission (zitiert in Fn. 17).


27 – Europäische Kommission, Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, „Leitlinien von 2006“), Randnr. 29 zweiter Gedankenstrich.


28 – Vgl. dazu auch den achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 sowie meine Schlussanträge vom 6. September 2012 in der Rechtssache Expedia (C‑226/11, Nr. 37, mit weiteren Nachweisen).


29 – Vgl. dazu meine Ausführungen zum ersten Teil der ersten Vorlagefrage (Nrn. 38 bis 48 dieser Schlussanträge).


30 – Ausgenommen ist Schenker, die sich zu dieser Problematik nicht geäußert hat und nur zur zweiten Vorlagefrage schriftlich und mündlich Stellung genommen hat.


31 – Urteil Miller (zitiert in Fn. 17, Randnr. 18). Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass außerdem im Urteil BMW Belgium (zitiert in Fn. 17, Randnrn. 43 und 44) mitgeteilt wird, das betroffene Unternehmen habe sich zu seiner Verteidigung auf das Gutachten eines Anwalts berufen, allerdings ohne dass sich der Gerichtshof konkret zu diesem Aspekt äußern würde.


32 – Vierter Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003.


33 – Das Fehlen einer Befugnis nationaler Wettbewerbsbehörden zur Feststellung des Nichtvorliegens von Verstößen gegen das Unionskartellrecht wurde erst kürzlich vom Gerichtshof hervorgehoben (Urteil vom 3. Mai 2011, Tele 2 Polska, C‑375/09, Slg. 2011, I-3055, insbesondere Randnrn. 29 und 32).


34 – Vgl. zu diesem Ziel die Erwägungsgründe 8, 17 und 22 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie die Urteile vom 7. Dezember 2010, VEBIC (C‑439/08, Slg. 2010, I-12471, Randnr. 56), und vom 14. Juni 2011, Pfleiderer (C‑360/09, Slg. 2011, I-5161, Randnr. 19).


35 – In diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 1998, Oelmühle und Schmidt Söhne (C‑298/96, Slg. 1998, I‑4767, Randnr. 29), vom 19. September 2002, Huber (C‑336/00, Slg. 2002, I‑7699, Randnr. 58), und vom 22. Januar 1997, Opel Austria/Rat (T‑115/94, Slg. 1997, II‑39, Randnr. 93).


36 – Unter „Rechtsanwalt“ sind hier und im Folgenden selbstverständlich auch solche Rechtsanwälte zu verstehen, die als Angestellte in einer unabhängigen Rechtsanwaltskanzlei tätig sind.


37 – Vgl. dazu das Urteil vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a. (C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301), sowie meine Schlussanträge vom 29. April 2010 in jener Rechtssache.


38 – Dies deutet sich auch an in den Urteilen United Brands (zitiert in Fn. 24, Randnrn. 299 bis 301) und vom 13. Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission (85/76, Slg. 1979, 461, Randnr. 134); im selben Sinne die Urteile vom 1. April 1993, Hewlett Packard Frankreich (C‑250/91, Slg. 1993, I‑1819, Randnr. 22), und vom 14. November 2002, Ilumitrónica (C‑251/00, Slg. 2002, I‑10433, Randnr. 54).


39 – In diesem Sinne Urteile Miller (zitiert in Fn. 17, Randnrn. 18 und 19), vom 11. Juli 1989, Belasco u. a./Kommission (246/86, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41), und vom 8. Februar 1990, Tipp-Ex/Kommission (C‑279/87, Slg. 1990, I‑261, Leitsatz Nr. 2); vgl. außerdem das Urteil des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission (T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Randnr. 205).


40 – Zum Begriff der Kernbeschränkung vgl. insbesondere die Bekanntmachung der Europäischen Kommission über Vereinbarungen von geringer Bedeutung, die den Wettbewerb gemäß Artikel 81 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft nicht spürbar beschränken (de minimis), ABl. 2001, C 368, S. 13.


41 – In diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2008, AC-Treuhand/Kommission (T‑99/04, Slg. 2008, II‑1501), bezogen auf die Kartellbeteiligung einer Beratungsgesellschaft, die selbst nicht auf dem vom Kartell betroffenen Markt aktiv war.


42 – Dies gilt für alle Unternehmen, die schon vor dem 1. Mai 2004 Mitglieder der SSK waren.


43 – Eine vergleichbare Bestimmung enthielt seinerzeit Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zum Abkommen zwischen den EFTA-Staaten zur Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs (ABl. 1994, L 344, S. 12).


44 – In diesem Sinne Urteil Hoffmann-La Roche/Kommission (zitiert in Fn. 38, Randnrn. 129, letzter Satz, 130 und 134, vorletzter Satz).


45 – Vgl. oben, Nr. 67 dieser Schlussanträge.


46 – Vgl. oben, Nr. 70 dieser Schlussanträge.


47 – Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags, Abschnitt 3.2.1 (insbesondere Randnr. 78).


48 – Erwägungsgründe 6, 7 und 8 der Verordnung Nr. 1/2003.


49 – Zu dieser Verpflichtung vgl. auch Urteil Toshiba Corporation u. a. (zitiert in Fn. 19, Randnr. 77).


50 – Urteil vom 30. Januar 1974, BRT/SABAM (127/73, Slg. 1974, 51, Randnrn. 15 bis 22).


51 – Urteil vom 13. Februar 1969, Walt Wilhelm u. a. (14/68, Slg. 1969, 1, Randnr. 6 am Ende).


52 – Vgl., statt vieler, Urteile vom 5. Mai 1981, Dürbeck (112/80, Slg. 1981, 1095, Randnr. 48), und vom 20. März 1997, Alcan Deutschland (C‑24/95, Slg. 1997, I‑1591, Randnr. 25).


53 – In diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Plantanol (C‑201/08, Slg. 2009, I‑8343, Randnr. 53); vgl. außerdem meine Schlussanträge vom 24. Januar 2013 in der Rechtssache Agroferm (C‑568/11, Nrn. 43 bis 50).


54 – In ganz ähnlicher Weise führt der Gerichtshof zum Vertrauensschutz aus, dass niemand eine Verletzung dieses Grundsatzes geltend machen kann, dem die Verwaltung keine bestimmten Zusicherungen gegeben hat, und dass vage Anhaltspunkte insoweit nicht ausreichen (Urteil vom 16. Dezember 2008, Masdar/Kommission, C‑47/07 P, Slg. 2008, I‑9761, Randnrn. 81 und 86).


55 – Nach gefestigter Rechtsprechung kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare unionsrechtliche Bestimmung angeführt werden; vgl. Urteile vom 26. April 1988, Krücken (316/86, Slg. 1988, 2213, Randnr. 24), vom 1. April 1993, Lageder u. a. (C‑31/91 bis C‑44/91, Slg. 1993, I‑1761, Randnr. 35), und vom 16. März 2006, Emsland-Stärke (C‑94/05, Slg. 2006, I‑2619, Randnr. 31).


56 – Vgl. oben, Nr. 70 dieser Schlussanträge.


57 – Vgl. dazu oben, Nr. 62 dieser Schlussanträge und die in Fn. 35 angeführte Rechtsprechung.


58 – Art. 15 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003.


59 – Art. 11 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003.


60 – Urteil Toshiba Corporation u. a. (zitiert in Fn. 19, Randnr. 62).


61 – Vgl. oben, Nrn. 20 und 21 dieser Schlussanträge.


62 – Vgl. oben, Nr. 92 dieser Schlussanträge.


63 – Urteil Walt Wilhelm u. a. (zitiert in Fn. 51, Randnrn. 6 und 9).


64 – Urteile vom 1. Oktober 2009, Compañía Española de Comercialización de Aceite (C‑505/07, Slg. 2009, I‑8963, Randnr. 52), und Toshiba Corporation u. a. (zitiert in Fn. 19, Randnr. 81).


65 – Urteile Walt Wilhelm u. a. (zitiert in Fn. 51, Randnr. 3), vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a. (C‑295/04 bis C‑298/04, Slg. 2006, I‑6619, Randnr. 38), Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a. (zitiert in Fn. 37, Randnr. 103) und Toshiba Corporation u. a. (zitiert in Fn. 19, Randnr. 81).


66 – Urteil Toshiba Corporation u. a. (zitiert in Fn. 19, Randnr. 82).


67 – Im Urteil vom 13. Dezember 2012, Expedia (C‑226/11), hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Vereinbarung, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und einen wettbewerbswidrigen Zweck hat, ihrer Natur nach und unabhängig von ihren konkreten Auswirkungen eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs darstellt (Randnr. 37), was selbst dann der Fall sein kann, wenn die von der Kommission in ihrer De-minimis-Bekanntmachung festgelegten Schwellenwerte nicht erreicht werden (Randnr. 38).


68 – Vgl. oben, Nr. 44 dieser Schlussanträge.


69 – Siehe den 34. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003, in dem die zentrale Rolle der Unionsorgane bei der Durchführung der in den Art. 81 EG und 82 EG niedergelegten Grundsätze hervorgehoben wird; vgl. außerdem die Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission (zitiert in Fn. 17, Randnr. 105 am Ende), vom 14. Dezember 2000, Masterfoods (C‑344/98, Slg. 2000, I‑11369, Randnr. 46, erster Satz), und meine Schlussanträge in der Rechtssache Expedia (zitiert in Fn. 28, Nr. 38).


70 – Vgl. auch den 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003.


71 – Urteil Tele 2 Polska (zitiert in Fn. 33, Randnrn. 22 bis 29 und 32).


72 – Erwägungsgründe 6, 7 und 8 der Verordnung Nr. 1/2003.


73 – Erwägungsgründe 28 und 34 der Verordnung Nr. 1/2003.


74 – Vgl. insbesondere Art. 5 Satz 1 und Art. 6 sowie die Erwägungsgründe 6, 7 und 8 der Verordnung Nr. 1/2003.


75 – Zur Bedeutung dieser Grundsätze im wettbewerbsrechtlichen Kontext vgl. die Urteile vom 20. September 2001, Courage und Crehan (C‑453/99, Slg. 2001, I‑6297), und Manfredi u. a. (zitiert in Fn. 65).


76 – Vgl. zu diesem Ziel die oben in Fn. 34 angeführten Nachweise.


77 – Randnr. 28 erster Gedankenstrich der Leitlinien von 2006.


78 – Zur Bedeutung einer privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts vgl. neben den in Fn. 75 angeführten Urteilen insbesondere das Weißbuch „Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“, von der Europäischen Kommission am 2. April 2008 vorgelegt (KOM[2008] 165 endg.). In ihrem Weißbuch schlägt die Kommission Maßnahmen vor, die darauf abzielen, „ein wirksames System zur privaten Durchsetzung [des Wettbewerbsrechts] mittels Schadenersatzklagen [zu schaffen], das die behördliche Durchsetzung ergänzt, nicht aber ersetzt oder gefährdet“ (S. 4, Abschnitt 1.2). Auch der EFTA-Gerichtshof hatte kürzlich Gelegenheit, auf die Bedeutung der privaten Durchsetzung des Wettbewerbsrechts hinzuweisen und zu unterstreichen, dass diese im öffentlichen Interesse liegen (Urteil vom 21. Dezember 2012, DB Schenker/EFTA-Überwachungsbehörde, E‑14/11, Randnr. 132).