Language of document : ECLI:EU:C:2011:596

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 15. September 2011(1)

Rechtssache C‑465/10

Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer et des Collectivités territoriales

gegen

Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich])

„Schutz der finanziellen Interessen der Union – Im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gewährte Subventionen – Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den Empfänger – Pflicht zur Rückforderung von Subventionen bei Auftreten einer Unregelmäßigkeit – Verjährungsfristen“





1.        Dieses Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Frankreich) betrifft die Auslegung der Verordnungen Nr. 2052/88(2), Nr. 4253/88(3) und Nr. 2988/95(4). Zur maßgebenden Zeit gehörten diese Rechtsakte (im Folgenden: einschlägige Verordnungen) zu den Maßnahmen, mit denen die Strukturfonds der Union geregelt waren.(5) Bei den Strukturfonds(6) handelt es sich um die wichtigsten Instrumente der Union zur Förderung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in den Mitgliedstaaten. Auf sie entfallen mehr als ein Drittel des Unionshaushalts.

2.        Das vorlegende Gericht möchte erstens wissen, ob unionsrechtlich die Rückforderung von im Rahmen des EFRE gewährten Beträgen vorgeschrieben ist, wenn der Empfänger (der ein öffentlicher Auftraggeber(7) ist) die Subventionen für die Ausführung einer geförderten Aktion unter Verstoß gegen die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge verwendet. Zweitens ersucht das vorlegende Gericht um Hinweise zur Anwendung der in Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 vorgesehenen Verjährungsfrist für eine solche Rückforderung.

 Rechtlicher Rahmen

 Verordnung Nr. 2052/88

3.        Zu den erklärten Zielen der Verordnung Nr. 2052/88 gehört es, die Effizienz der Strukturfonds zu erhöhen und deren Tätigkeit zu koordinieren.(8)

4.        Nach Art. 3 Abs. 5 erlässt der Rat die notwendigen Bestimmungen für eine Koordinierung zwischen den Interventionen der einzelnen Fonds einerseits und zwischen diesen und denen der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits.

5.        Art. 7 („Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und Kontrolle“) lautet, soweit hier von Belang:

„(1)  Die Aktionen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds … sind, müssen den Verträgen und den aufgrund der Verträge erlassenen Rechtsakten sowie den Gemeinschaftspolitiken, einschließlich … der Vergabe öffentlicher Aufträge …, entsprechen.

(2)       Unbeschadet der Haushaltsordnung enthalten die in Artikel 3 Absätze 4 und 5 genannten Bestimmungen harmonisierte Vorschriften zur Verstärkung der Kontrolle der Strukturinterventionen …“

 Verordnung Nr. 4253/88

6.        Die Verordnung Nr. 4253/88 des Rates dient der Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der Fonds.

7.        Der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2082/93(9) zur Änderung der Verordnung Nr. 4253/88 lautet:

„In Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und unbeschadet der Befugnisse, über die die Kommission insbesondere bei der ihr obliegenden Verwaltung der finanziellen Mittel der Gemeinschaft verfügt, fällt die Durchführung der in den gemeinschaftlichen Förderkonzepten aufgeführten Interventionsformen hauptsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten auf der in dem jeweiligen Mitgliedstaat geeigneten Gebietsebene.“

8.        Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 bestimmt:

„(1)  Um den erfolgreichen Abschluss der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Aktionen die erforderlichen Maßnahmen, um

–        regelmäßig nachzuprüfen, dass die von der Kommission finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind,

–        Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden,

–        infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene Beträge zurückzufordern. Falls der Mitgliedstaat und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, dass die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, ist der Mitgliedstaat subsidiär für die Zurückzahlung der nicht rechtmäßig gezahlten Beträge verantwortlich. Im Fall der Globalzuschüsse kann die zwischengeschaltete Stelle mit dem Einverständnis des Mitgliedstaats und der Kommission eine Bankgarantie oder eine andere Sicherheit, die dieses Risiko abdeckt, in Anspruch nehmen.

Die Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen in Kenntnis und übermitteln ihr insbesondere eine Beschreibung der Kontroll- und Verwaltungssysteme, die für die wirksame Durchführung der Aktionen eingerichtet worden sind. Sie unterrichten die Kommission regelmäßig über den Verlauf administrativer und gerichtlicher Verfahren.

…“

9.        Art. 24 bestimmt:

„Kürzung, Aussetzung und Streichung der Beteiligung

(1)       Wird eine Aktion oder eine Maßnahme so ausgeführt, dass die gewährte finanzielle Beteiligung weder teilweise noch insgesamt gerechtfertigt erscheint, so nimmt die Kommission eine entsprechende Prüfung des Falls im Rahmen der Partnerschaft vor und fordert insbesondere den Mitgliedstaat oder die von ihm für die Durchführung der Aktion benannten Behörden auf, sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu zu äußern.

(2)       Nach dieser Prüfung kann die Kommission die finanzielle Beteiligung an der betreffenden Aktion oder Maßnahme kürzen oder aussetzen, wenn durch die Prüfung bestätigt wird, dass eine Unregelmäßigkeit oder eine erhebliche Veränderung der Art oder der Durchführungsbedingungen der Aktion oder Maßnahme vorliegt und diese Veränderung der Kommission nicht zur Zustimmung unterbreitet wurde.

(3)       Nicht rechtmäßig gezahlte Beträge sind an die Kommission zurückzuzahlen. Auf nicht zurückgezahlte Beträge werden … Verzugszinsen erhoben.“

 Verordnung Nr. 2988/95

10.      Die Verordnung Nr. 2988/95 enthält eine Rahmenregelung für Kontrollen, verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten, wenn nach Maßgabe der jeweiligen Gemeinschaftspolitik Zahlungen an Empfänger erfolgen. Vor Erlass der Verordnung hatte es keine gemeinsamen Regeln für die Definition solcher Unregelmäßigkeiten gegeben.

11.      Hier sind vor allem der dritte, der vierte und der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2988/95 relevant. Nach dem dritten Erwägungsgrund werden die Verwaltung und die Kontrollsysteme der Gemeinschaftsausgaben in ausführlichen Vorschriften geregelt, die sich je nach Bereich der Gemeinschaftspolitik unterscheiden, wobei jedoch wichtig ist, in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu bekämpfen.(10) Laut dem vierten Erwägungsgrund muss, um die Bekämpfung des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Gemeinschaften wirksam zu gestalten, ein allen Bereichen der Gemeinschaftspolitik gemeinsamer rechtlicher Rahmen festgelegt werden. Im fünften Erwägungsgrund heißt es, dass Unregelmäßigkeiten sowie die verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und die entsprechenden Sanktionen im Einklang mit der Verordnung Nr. 2988/95 in sektorbezogenen Regelungen vorgesehen sind. Schließlich ergibt sich aus dem 14. Erwägungsgrund, dass der Geltungsbereich der Verordnung Nr. 2988/95 horizontal so umfangreich ist, dass die Art. 235 EG und 203 EAGV als Rechtsgrundlage heranzuziehen sind.

12.      Art. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bestimmt:

„(1)  Zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften wird eine Rahmenregelung für einheitliche Kontrollen sowie für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht getroffen.

(2)       Der Tatbestand der Unregelmäßigkeit ist bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe.“

13.      Die hier maßgebenden Bestimmungen von Art. 2 lauten:

„(1) Kontrollen und verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen werden eingeführt, soweit sie erforderlich sind, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen. Sie müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein, um einen angemessenen Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften zu gewährleisten.

(3)       In den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts werden Art und Tragweite der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen und Sanktionen in dem für die ordnungsgemäße Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Maß und entsprechend der Art und Schwere der Unregelmäßigkeit, dem gewährten oder erlangten Vorteil und dem Grad des Verschuldens festgelegt.

(4)       Vorbehaltlich des anwendbaren Gemeinschaftsrechts unterliegen die Verfahren für die Anwendung der gemeinschaftlichen Kontrollen, Maßnahmen und Sanktionen dem Recht der Mitgliedstaaten.“

14.      Art. 3 bestimmt u. a.:

„(1)  Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.

Bei andauernden oder wiederholten Unregelmäßigkeiten beginnt die Verjährungsfrist an dem Tag, an dem die Unregelmäßigkeit beendet wird. Bei den mehrjährigen Programmen läuft die Verjährungsfrist auf jeden Fall bis zum endgültigen Abschluss des Programms.

Die Verfolgungsverjährung wird durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs- oder Verfolgungshandlung der zuständigen Behörde unterbrochen. Nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung beginnt die Verjährungsfrist von Neuem.

Die Verjährung tritt jedoch spätestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine Frist, die doppelt so lang ist wie die Verjährungsfrist, abläuft, ohne dass die zuständige Behörde eine Sanktion verhängt hat; ausgenommen sind die Fälle, in denen das Verwaltungsverfahren gemäß Artikel 6 Absatz 1 ausgesetzt worden ist.[(11)]

(3)       Die Mitgliedstaaten behalten die Möglichkeit, eine längere Frist als die in Absatz 1 bzw. Absatz 2 vorgesehene Frist anzuwenden.“

15.      Nach Art. 4 wird der von einem Wirtschaftsteilnehmer durch eine Unregelmäßigkeit erlangte rechtswidrige Vorteil in der Regel entzogen (entweder durch Zahlung des geschuldeten oder Rückerstattung des rechtswidrig erhaltenen Geldbetrags oder durch vollständigen oder teilweisen Verlust einer Sicherheit).

16.      Art. 5 sieht für Unregelmäßigkeiten, die vorsätzlich begangen oder durch Fahrlässigkeit verursacht werden, verwaltungsrechtliche Sanktionen vor.

 Verordnung Nr. 1083/2006

17.      Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1083/2006(12), auf den auch in den dem Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen Bezug genommen wird(13), definiert den Begriff „Unregelmäßigkeit“ als „jeden Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers, die dadurch einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union bewirkt hat oder haben würde, dass ihm eine ungerechtfertigte Ausgabe angelastet werden muss oder müsste“.

 Nationales Recht

18.      Im entscheidungserheblichen Zeitraum bestimmte Art. 2262 des französischen Code civil: „Alle Ansprüche, sowohl dingliche als auch schuldrechtliche, verjähren innerhalb von 30 Jahren …“

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

19.      Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, dass die Chambre de commerce et d’industrie du département de l’Indre (Industrie- und Handelskammer Indre, im Folgenden: CCI) am 5. Dezember 1995 beim Präfekten von Indre (im Folgenden: Präfekt) einen Antrag auf finanzielle Unterstützung für eine Aktion mit der Bezeichnung „Objectif Entreprises“ (im Folgenden: Aktion) stellte. Zweck der Aktion war die Durchführung von Recherchen zur Feststellung, ob französische und ausländische Unternehmen zu Investitionen und zur Ansiedlung in Indre bereit wären. Die CCI beschloss, eine Firma mit der Durchführung der Aktion namens der CCI zu beauftragen.

20.      In Beantwortung schriftlicher Fragen, die der Gerichtshof gemäß Art. 54a seiner Verfahrensordnung gestellt hat, hat die französische Regierung weitere Auskünfte und bestimmte Schriftstücke übermittelt. Daraus geht hervor, dass die CCI dem Präfekten mit Schreiben vom 27. September 1995 mitteilte, sie wolle die Firma DDB-Needham mit der Durchführung der Aktion beauftragen. Dieses Schreiben erfolgte vor der Bekanntmachung einer Ausschreibung im nationalen Amtsblatt (dem Bulletin officiel des annonces des marchés publics), die am 4. November 1995 erschien.

21.      Nach Prüfung der eingegangenen Gebote erhielt DDB-Needham am 8. Dezember 1995 den Zuschlag mit der Begründung, dass die Qualität der angebotenen Dienstleistung höher und der Preis niedriger sei als bei den anderen Bewerbern.

22.      Am 29. Mai 1996 schloss die CCI einen Vertrag mit DDB-Needham über Dienstleistungen, die während eines Zeitraums von drei Jahren erbracht werden sollten. Das Honorar betrug 3 895 380 FRF (600 000 Euro) im Jahr 1996 und ungefähr jeweils 2 725 560 FRF (420 000 Euro) in den Jahren 1997 und 1998.

23.      Gemäß einer Vereinbarung vom 20. Dezember 1996 (in der auf die Verordnungen Nr. 2081/93 und Nr. 2082/93(14) Bezug genommen wird) erhielt die CCI zur Förderung der Aktion 400 000 FRF (60 979,60 Euro) im Rahmen des EFRE. Darüber hinaus wurden der CCI für denselben Zweck auch zwei Beträge aus nationalen Fonds gewährt. Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch ausschließlich um die Subvention aus dem EFRE.

24.      Mit Schreiben vom 9. Mai 2000 wurde der CCI mitgeteilt, dass die Aktion einer Kontrolle durch den Präfekten der Region Centre (im Folgenden: Regionalpräfekt) unterzogen würde. Der Bericht Audit sur l’utilisation des fonds structurels européens (im Folgenden: Kontrollbericht) wurde vom Regionalpräfekten und vom regionalen Trésorerie générale am 14. März 2001 unterzeichnet und der CCI am 18. Juli 2001 übermittelt.

25.      Im Kontrollbericht wurde auf folgende Unregelmäßigkeiten hingewiesen. Erstens sei der Auftrag an DDB-Needham unter Verstoß gegen die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge erteilt worden. Insbesondere habe die CCI dem Präfekten noch vor Bekanntmachung der Ausschreibung mitgeteilt, dass sie sich für DDB-Needham entschieden habe. Zudem sei nicht ersichtlich, dass die zu vergebenden Aufträge für die Aktion im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (wie es damals hieß) ausgeschrieben worden wären. Zweitens sei der Vertrag unterzeichnet, aber nicht datiert worden.

26.      Am 23. Januar 2002 setzte der Regionalpräfekt die CCI darüber in Kenntnis, dass eine Verfügung erlassen worden sei, mit der wegen Missachtung der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge bei der Durchführung der Aktion u. a. die Rückzahlung der EFRE-Subvention verlangt werde.

27.      Der gegen diese Verfügung gerichtete Widerspruch der CCI wurde aufgrund einer stillschweigenden Entscheidung des regionalen Trésorier-payeur général zurückgewiesen.

28.      Am 3. Juni 2004 wies das Tribunal administratif de Limoges die Klage der CCI auf Aufhebung der Verfügung des Regionalpräfekten und der Entscheidung des Trésorier-payeur général ab.

29.      Die Cour administrative d’appel de Bordeaux hob das Urteil des Tribunal administratif de Limoges am 12. Juni 2007 auf. Die Vereinbarung enthalte keine ausdrückliche Bedingung, aus der sich herleiten lasse, dass die CCI den Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliege; es gebe auch keine unionsrechtliche Vorschrift, die als Rechtsgrundlage für die Rückforderung der in Rede stehenden Beträge dienen könne.

30.      Gegen diese Entscheidung legte der Ministre de l’Intérieur, de l’Outre-mer et des Collectivités territoriales Kassationsbeschwerde beim Conseil d’État ein, der das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

1.      Zur rechtlichen Grundlage für eine Verpflichtung zur Rückforderung der an die CCI gezahlten Beihilfe:

Gibt es, wenn ein öffentlicher Auftraggeber, an den Subventionen im Rahmen des EFRE gezahlt wurden, eine oder mehrere Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Durchführung der subventionierten Aktion nicht beachtet hat, während unstreitig ist, dass die Aktion subventionsfähig und durchgeführt worden ist, eine Vorschrift im Unionsrecht, insbesondere in den Verordnungen Nr. 2052/88 und Nr. 4253/88, die eine Verpflichtung zur Rückforderung der Subventionen begründet? Gilt, falls es sie gibt, diese Verpflichtung für jeden Verstoß gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, oder lediglich für bestimmte Verstöße? Wenn nur für bestimmte, für welche?

2.      Bei einer zumindest teilweisen Bejahung der ersten Frage:

a)      Stellt die Missachtung einer oder mehrerer Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge durch den öffentlichen Auftraggeber, dem eine Beihilfe im Rahmen des EFRE gewährt wurde, bei der Wahl des Dienstleisters, der mit der Durchführung der subventionierten Aktion beauftragt wurde, eine Unregelmäßigkeit im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95 dar? Hat der Umstand, dass der zuständigen nationalen Behörde im Zeitpunkt ihrer Entscheidung, die Beihilfe im Rahmen des EFRE zu gewähren, nicht verborgen geblieben sein konnte, dass der begünstigte Wirtschaftsteilnehmer die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge bei der noch vor der Gewährung der Beihilfe erfolgten Beauftragung des Dienstleisters mit der Durchführung der durch diese finanzierten Aktion nicht beachtet hatte, Auswirkung auf die Einordnung als Unregelmäßigkeit im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95?

b)      Bei Bejahung der Frage 2 a und aufgrund der nach der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache Josef Vosding Schlacht, Kühl- und Zerlegebetriebe u. a.(15) bestehenden Möglichkeit, die in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist auf Verwaltungsmaßnahmen wie die Rückforderung einer Beihilfe anzuwenden, die ein Wirtschaftsteilnehmer infolge von Unregelmäßigkeiten, die er begangen hat, zu Unrecht erlangt hat:

–        Beginnt die Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Zahlung der Beihilfe an den Begünstigten oder im Zeitpunkt der Verwendung der erhaltenen Subvention durch den Letzteren zur Bezahlung des unter Missachtung einer oder mehrerer Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge beauftragten Dienstleisters?

–        Wird diese Frist unterbrochen, wenn die zuständige nationale Behörde dem Empfänger der Subvention einen Kontrollbericht übermittelt, in dem die Missachtung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge festgestellt und der nationalen Behörde deshalb die Rückforderung der gezahlten Beträge empfohlen wird?

–        Ist, wenn ein Mitgliedstaat von der ihm durch Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, eine längere Verjährungsfrist anzuwenden – insbesondere wenn in Frankreich die im entscheidungserheblichen Zeitraum allgemein geltende Verjährungsfrist 30 Jahre beträgt –, die Vereinbarkeit einer solchen Frist mit dem Unionsrecht, insbesondere mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, im Hinblick auf die Höchstdauer der Verjährung nach der nationalen Rechtsvorschrift, die als rechtliche Grundlage für die Rückforderung der nationalen Verwaltung dient, oder im Hinblick auf die im vorliegenden Fall tatsächlich angewandte Frist zu beurteilen?

c)      Bei Verneinung der Frage 2 a: Hindern die finanziellen Interessen der Gemeinschaft den Richter daran, für die Zahlung einer Beihilfe wie der verfahrensgegenständlichen die nationalen Vorschriften über die Rücknahme anspruchsbegründender Entscheidungen anzuwenden, wonach die Verwaltung außer in den Fällen des Nichtbestehens, der Erlangung durch Betrug oder auf Antrag des Begünstigten eine anspruchsbegründende Einzelentscheidung, sofern sie rechtswidrig ist, nur innerhalb einer Frist von vier Monaten nach ihrem Erlass zurücknehmen kann, wobei allerdings eine individuelle Verwaltungsentscheidung, insbesondere wenn sie der Zahlung einer Beihilfe entspricht, mit auflösenden Bedingungen verbunden werden kann, deren Eintritt die Rücknahme der betreffenden Beihilfe ohne Einhaltung einer Frist zulässt, und diese nationale Regel nach einer Entscheidung des Conseil d’État so ausgelegt werden muss, dass sie von dem Empfänger einer Beihilfe, die zu Unrecht aufgrund einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift gewährt wurde, nur geltend gemacht werden kann, wenn er im guten Glauben war?

31.      Die französische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung ist nicht beantragt worden und hat auch nicht stattgefunden.

 Würdigung

 Vorbemerkung

32.      Vor Eintritt in die Prüfung sind einige Vorbemerkungen angebracht.

33.      Erstens ist im Ausgangsverfahren unstreitig, dass die Aktion im Rahmen des EFRE finanziell förderungsfähig war.

34.      Zweitens besteht vor dem nationalen Gericht Einigkeit, dass der Vertrag zwischen der CCI und DDB-Needham von der Richtlinie 92/50/EWG erfasst wird.(16) Der Auftragswert liegt über dem in Art. 7 jener Richtlinie festgelegten Schwellenbetrag von 200 000 Euro, und der Vertragsgegenstand umfasst die in Anhang IA aufgezählten Dienstleistungen. Demnach hätte die CCI als öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG eine entsprechende Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichen müssen.(17)

35.      Was drittens die einschlägigen Verordnungen betrifft, wurde mit der Verordnung Nr. 2988/95 ein allgemeiner Rahmen für verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sanktionen bei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf das Unionsrecht eingeführt, um „in allen Bereichen Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der [Union] zu bekämpfen“.(18) Die genannte Verordnung ist in Verbindung mit den spezifischen auf den vorliegenden Fall anwendbaren Unionsrechtsakten zu lesen, nämlich den Verordnungen Nr. 2052/88(19) und Nr. 4253/88(20).

36.      Nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 „bewirkt“(21) jede Unregelmäßigkeit in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils. Insbesondere schreibt Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 vor, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, um nachzuprüfen, dass die von den Strukturfonds finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind, Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden und infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene Beträge zurückzufordern.(22)

37.      Viertens hat sich der Unionsgesetzgeber zur Durchführung des Haushaltsplans der Strukturfonds für den Weg der gemeinsamen Verwaltung – d. h. Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission – entschieden. Die Durchführung der Förderung im Rahmen der Fonds ist jedoch in erster Linie Aufgabe der Mitgliedstaaten.

38.      Des Weiteren sind nach Art. 280 EG (jetzt Art. 325 AEUV) sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen verpflichtet, um Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen zu bekämpfen.

39.      Im Übrigen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen nicht über ein Ermessen hinsichtlich der Frage verfügen, ob die Rückforderung der zu Unrecht oder vorschriftswidrig gewährten Unionsmittel zweckmäßig ist.(23)

40.      Fünftens hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 für die Mitgliedstaaten eine Verpflichtung begründet, infolge von Unregelmäßigkeiten „verloren gegangene“ Beträge zurückzufordern, ohne dass es einer Ermächtigung durch nationales Recht bedarf.(24)

41.      Sechstens wird für die Zwecke von Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 weder quantitativ noch qualitativ zwischen den Unregelmäßigkeiten unterschieden, die zur Kürzung einer Beteiligung führen können.(25) Ebenso ist es unerheblich, ob eine Unregelmäßigkeit zu einem erheblichen Schaden führt oder „technischer Natur“ ist. Unregelmäßigkeit bleibt Unregelmäßigkeit.(26)

42.      Schließlich ist im vorliegenden Fall unstreitig, dass die Aktion (Objectif Entreprises) tatsächlich ausgeführt wurde. Insoweit sind sich die Verfahrensbeteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, einig, dass die in Rede stehende Subvention streng genommen nicht als „verloren gegangen“ im Sinne von Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 angesehen werden kann.

 Frage 1 und Frage 2 a

43.      Die Fragen 1 und 2 a sind zweckmäßigerweise zusammen zu prüfen. Beide betreffen die Bedeutung des Begriffs „Unregelmäßigkeit“, und bei beiden geht es um die Problematik, ob die Mitgliedstaaten nach den einschlägigen Verordnungen zur Rückforderung der im Rahmen der Fonds ausgezahlten Beträge verpflichtet sind.

44.      Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Mitgliedstaaten zur Rückforderung von im Rahmen des EFRE gezahlten Beträgen verpflichtet sind, wenn der Empfänger bei der Beauftragung eines Unternehmens mit der Ausführung der subventionierten Aktion die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet hat. Das vorlegende Gericht fragt außerdem, ob die Verpflichtung, falls sie besteht, für jede Missachtung dieser Vorschriften gilt. Sollte dies zu bejahen sein, möchte das vorlegende Gericht klären, ob eine solche Missachtung eine Unregelmäßigkeit im Sinne der Verordnung Nr. 2988/95 darstellt.

45.      Nach Ansicht der französischen Regierung ist Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 im Einklang mit sowohl der Verordnung Nr. 2052/88 als auch der Verordnung Nr. 2988/95 auszulegen.

46.      Des Weiteren macht Frankreich geltend, dass Art. 23 Abs. 1 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 nicht als Rechtsgrundlage für eine Rückforderung der Subvention dienen könne, da die in Rede stehenden Gelder nicht als „verloren gegangen“ im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden könnten. Als Rechtsgrundlage für die Rückforderung müsse vielmehr Art. 23 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich („Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden“) gelten. Im Übrigen sei die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 entsprechend heranzuziehen – die fraglichen Beträge seien daher als nicht rechtmäßig gezahlt anzusehen.

47.      Polen trägt vor, dass in Fällen wie dem vorliegenden auf die Zielsetzung von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 abzustellen sei, nämlich den erfolgreichen Abschluss der durch die Fonds finanziell unterstützten Aktionen zu gewährleisten. Es müsse eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden. Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1083/2006(27) sei für die Auslegung von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 entsprechend heranzuziehen. Eine auf einem Verstoß gegen Unionsrecht beruhende Unregelmäßigkeit könne daher nur dann vorliegen, wenn der Verstoß dadurch einen Schaden für den Haushaltsplan der Union bewirke, dass ihm eine ungerechtfertigte Ausgabe angelastet werden müsse oder müsste.

48.      Die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Ausschreibungsverfahren habe eine solche Wirkung; der Mitgliedstaat müsse daher Maßnahmen zur Rückforderung der gezahlten Beträge treffen. Ein Verstoß gegen die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge, der sich nicht in dieser Weise auf den Haushaltsplan der Union auswirke, stelle hingegen keine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1083/2006 dar. Daher könne ein solcher Verstoß auch keine Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 sein.

49.      Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die einschlägigen Verordnungen in Verbindung miteinander auszulegen seien. Dass die in Rede stehenden Beträge nicht „verloren gegangen“ seien, sei für die Frage, ob Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 die Rechtsgrundlage für die Rückforderung der EFRE-Subvention bilden könne, ohne Belang.

50.      Ebenso wie die französische Regierung und die Kommission halte auch ich eine Auslegung der einschlägigen Verordnungen in ihrer Gesamtheit für geboten.

51.      Da Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1083/2006 zur maßgebenden Zeit nicht anwendbar war, kann diese Vorschrift hier außer Betracht bleiben.

52.      Der Begriff „Unregelmäßigkeit“ ist weder in der Verordnung Nr. 2052/88 noch in der Verordnung Nr. 4253/88 definiert.

53.      Wenn jedoch die einschlägigen Verordnungen in Verbindung miteinander ausgelegt werden sollen, muss der Begriff „Unregelmäßigkeit“ einheitlich – d. h. in jeder Verordnung gleich – verstanden werden.

54.      Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 müssen die Aktionen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds sind, den Verträgen und den Gemeinschaftspolitiken, insbesondere denen zur Vergabe öffentlicher Aufträge, entsprechen.

55.      Nach Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 ist der Tatbestand der Unregelmäßigkeit „bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt …, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe“.

56.      Im vorliegenden Fall steht ein Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung (jetzt Unionsbestimmung) außer Frage. Es steht fest, dass die CCI (ein Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 und ein „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG) die Unionsvorschriften über die Vergabe des öffentlichen Auftrags für die Ausführung der Aktion „Objectif Entreprises“ missachtet hat.

57.      Folglich entspricht die durch die EFRE-Subvention finanzierte Aktion nicht den Erfordernissen von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88.

58.      Bewirkt dieser Verstoß gegen eine Unionsbestimmung einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Union oder für die von ihr verwalteten Haushalte (wie die Strukturfonds) im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95?

59.      Der gesetzgeberische Wille bei der Normierung von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 scheint dahin zu gehen, dass die Ausgaben der Union im Rahmen der Strukturfonds streng auf Unternehmen beschränkt werden, die das Unionsrecht beachten, und nicht dazu dienen, unionswidrige Verhaltensweisen zu fördern.(28)

60.      Demnach wären unionsrechtswidrige Ausgaben ihrer Natur nach als Schaden für den Unionshaushalt anzusehen.

61.      Im Urteil Kommission/Irland(29) hat sich der Gerichtshof mit der Befugnis der Kommission zur Rückforderung der an Irland im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) gezahlten Beträge gemäß Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 befasst. Die irischen Behörden räumten das Vorliegen einer (wenngleich unbeabsichtigten) Unregelmäßigkeit ein, da die Prüfungswege bezüglich der in Rede stehenden Mittel nicht der ordnungsgemäßen Praxis des ESF entsprochen hätten.(30) Dies hatte nach Ansicht Irlands jedoch nicht zu einer unzulässigen oder zu hohen Finanzierung durch die Gemeinschaft geführt. Dennoch wollte die Kommission den ursprünglich gewährten Zuschuss gemäß Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 kürzen.

62.      Der Gerichtshof ist dem Einwand Irlands, dass Unregelmäßigkeiten „technischer“ Natur für den Unionshaushalt unschädlich seien, nicht gefolgt. Nach seinen Ausführungen können auch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, die finanziellen Belange der Union und die Einhaltung des Unionsrechts ernsthaft beeinträchtigen und damit die Anwendung finanzieller Korrekturen durch die Kommission rechtfertigen.(31)

63.      Im Urteil Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening(32) hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Art. 23 und 24 der Verordnung Nr. 4253/88 zusammen auszulegen seien.

64.      Meines Erachtens sollte daher der vom Gerichtshof im Urteil Kommission/Irland verfolgte Ansatz auf die Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 4253/88 entsprechend übertragen werden.

65.      Demnach können auch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben und als solche nicht bezifferbar sind, die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen.

66.      Entsteht der Schaden für den Unionshaushalt (oder die von der Union verwalteten Haushalte) hier durch einen Mittelausfall bzw. durch die Anlastung einer ungerechtfertigten Ausgabe?

67.      Im vorliegenden Fall gibt es keine Angaben zu den konkreten Kosten der Unregelmäßigkeit. Womöglich lassen sich diese auch gar nicht feststellen.(33)

68.      Trotzdem kann wohl vernünftigerweise angenommen werden, dass die Gesamtfinanzierungskosten der Aktion vielleicht niedriger ausgefallen wären, wenn die CCI als öffentlicher Auftraggeber die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge beachtet hätte. Insoweit lässt sich feststellen, dass die Auszahlung der EFRE-Subvention zu einer ungerechtfertigten Ausgabe im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 geführt hat.

69.      Demnach ergibt sich meines Erachtens aus Wortlaut und Zweck der einschlägigen Verordnungen sowie bei entsprechender Heranziehung des Urteils des Gerichtshofs in der Rechtssache Kommission/Irland, dass eine Missachtung des Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 einen Schaden für den Haushaltsplan der Union oder die Haushalte der Strukturfonds durch Zulassung einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt und daher den Tatbestand der Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 und Art. 23 der Verordnung Nr. 4253/88 erfüllt.

70.      Unter diesen Umständen sind die Mitgliedstaaten zu Maßnahmen verpflichtet, um die zu Unrecht gezahlten Beträge zurückzufordern.

71.      Heißt das, dass sie die Empfänger auf den vollen Betrag der Subvention in Anspruch nehmen müssen?

72.      Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 haben die Mitgliedstaaten verwaltungsrechtliche Maßnahmen einzuführen, „soweit sie erforderlich sind, um die ordnungsgemäße Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen“. Diese müssen „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein“, um einen angemessenen Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten. Nach Art. 2 Abs. 3 werden in den Bestimmungen des Unionsrechts „Art und Tragweite der verwaltungsrechtlichen Maßnahmen … in dem für die ordnungsgemäße Anwendung der betreffenden Regelung erforderlichen Maß und entsprechend der Art und Schwere der Unregelmäßigkeit, dem gewährten oder erlangten Vorteil und dem Grad des Verschuldens festgelegt“.(34)

73.      Zum Schutz des Unionshaushalts (und der einzelnen von der Union verwalteten Haushalte wie die Strukturfonds) sind die Mitgliedstaaten im Fall einer Unregelmäßigkeit zur Rückforderung der gezahlten Beträge verpflichtet. Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bewirkt jede Unregelmäßigkeit in der Regel den Entzug des rechtswidrig erlangten Vorteils.(35) In Erfüllung dieser Verpflichtung müssen die Mitgliedstaaten daher die Rückforderung eines Betrags in Höhe des „rechtswidrig erlangten Vorteils“ betreiben. Dies kann die Rückzahlung der gesamten ursprünglich gezahlten Subvention, möglicherweise aber auch nur eine teilweise Rückzahlung, also die Rückzahlung eines geringeren Betrags, erfordern.(36)

74.      Nach dem vom nationalen Gericht festgestellten Sachverhalt fanden alle entscheidenden Schritte zur Auswahl des Dienstleisters für die Ausführung von Objectif Entreprises vor Vergabe der Subvention statt.(37) Aufgrund der Besonderheiten der aufgetretenen Unregelmäßigkeit (Nichtdurchführung eines Ausschreibungsverfahrens gemäß den einschlägigen Unionsvorschriften) ist jedoch eine Ermittlung und Berechnung des durch die Unregelmäßigkeit „verursachten“ konkreten Schadens unmöglich. Der ursprünglich benannte und später ausgewählte Dienstleister scheint in dem tatsächlich durchgeführten nationalen Ausschreibungsverfahren das beste Preis-Leistungs-Verhältnis geboten zu haben. Wäre der Auftrag jedoch ordnungsgemäß nach den Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschrieben worden, hätten vielleicht Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten Interesse bekundet und gegebenenfalls günstigere Gebote abgegeben. Um wie viel (wenn überhaupt) günstiger, vermag niemand zu sagen. Da die Finanzierung der Aktion im Übrigen zum Teil im Rahmen des EFRE und zum Teil im Rahmen nationaler Fonds erfolgte, lässt sich nicht feststellen, in welcher Höhe (hypothetische) Einsparungen dem Unionshaushalt und in welcher Höhe sie dem nationalen Haushalt zuzuordnen wären.

75.      Mit Sicherheit lässt sich nur sagen, dass die Aktion, für die der Vorteil bestimmt war, auch tatsächlich ausgeführt worden ist, dass sie aber möglicherweise weniger gekostet hätte, wenn die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge beachtet worden wären, dass möglicherweise ein anderer Dienstleister ausgewählt worden wäre und dass dem nationalen bzw. dem Unionshaushalt möglicherweise entsprechend niedrigere Beträge angelastet worden wären.

76.      Was soll das nationale Gericht unter diesen Umständen also tun?

77.      Theoretisch gibt es drei Möglichkeiten: keinerlei Rückforderung, Rückforderung der Subvention in voller Höhe oder Rückforderung eines Teilbetrags, der dem Schaden entspricht, der durch die Missachtung der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge für den Unionshaushalt entstanden ist.

78.      Aus den soeben dargelegten Gründen scheidet die dritte Möglichkeit meiner Meinung nach aus.

79.      Damit verbleiben die Optionen „keinerlei Rückforderung“ und „Rückforderung in voller Höhe“.

80.      Keinerlei Rückforderung dürfte wohl mit den Grundsätzen der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs(38) unvereinbar sein. Im Hinblick auf die den Empfängern von Unionsmitteln obliegende Pflicht, die für die Gewährung solcher Mittel geltenden Vorschriften einzuhalten, würde damit ein völlig falsches Signal ausgesandt.

81.      Zwar mag eine Rückforderung des gesamten Betrags im vorliegenden Fall hart erscheinen. Tatsächlich ist vielleicht nur ein geringer oder gar kein Schaden für den Unionshaushalt eingetreten. Trotzdem gibt es meines Erachtens jedoch mindestens drei einleuchtende Gründe für das Ergebnis, dass die Subvention in der Tat in voller Höhe zurückgefordert werden sollte.

82.      Erstens müssen die nationalen Behörden nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 in Erfüllung ihrer Pflicht zur Rückforderung von Beträgen u. a. die Art und Schwere der Unregelmäßigkeit und den Grad des Verschuldens berücksichtigen. Im vorliegenden Fall halte ich die vorherige Mitteilung an den Präfekten, die ein Indiz für die völlige Missachtung der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge darstellt, für einen sehr wichtigen Gesichtspunkt, der in Betracht gezogen werden muss.

83.      Zweitens sind die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge genau deshalb zur Anwendung auf alle Aufträge über dem Schwellenwert bestimmt, um auch Dienstleistern aus anderen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zum Vertragsschluss zu eröffnen. Selbstverständlich ist zu hoffen, dass dieser Vorgang (häufig) zu einem günstigeren Preis-Leistungs-Verhältnis führt, als bei einem rein innerstaatlichen Ausschreibungsverfahren zu erzielen wäre. Dies ist aber nur ein Teilaspekt. Ebenso wichtig ist die Überlegung, dass die Einhaltung der Vorschriften das Funktionieren des Binnenmarkts verbessert.

84.      Drittens ist im vorliegenden Fall eine Entscheidung zwischen keinerlei Rückforderung und Rückforderung in voller Höhe nicht zu vermeiden. Nach dem Maßstab von Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 (wonach die Maßnahmen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Anwendung des Unionsrechts „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein müssen) wäre eine Rückforderung in Nullhöhe weder wirksam noch abschreckend. Eine Rückforderung in voller Höhe ist sowohl wirksam als auch abschreckend. Da hier die Rückforderung eines Teilbetrags nicht in Frage kommt, ist die Rückforderung in voller Höhe auch verhältnismäßig.

85.      Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob es für die Einordnung als Unregelmäßigkeit eine Rolle spielen könnte, dass dem Präfekten bei der Gewährung der EFRE-Subvention an die CCI bekannt gewesen sein muss, dass bei der Auswahl des Dienstleisters die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge missachtet worden sind.

86.      Nach den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Emsland-Stärke(39) erlaubt der Umstand, dass der zuständigen Behörde die Unregelmäßigkeit bekannt war, für sich genommen nicht, die fragliche Unregelmäßigkeit nicht als „durch Fahrlässigkeit verursacht“ oder sogar „vorsätzlich begangen“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 einzustufen. Dementsprechend kann dieser Umstand auch nichts an der Einordnung des fraglichen Verhaltens als Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 ändern.

87.      Die Frage 1 und die Frage 2 a sind meines Erachtens daher dahin zu beantworten, dass in Fällen, in denen der Empfänger einer im Rahmen der Strukturfonds gezahlten Subvention, der ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ist, bei der Wahl eines Dienstleisters für die Ausführung einer ganz oder teilweise im Rahmen dieser Fonds finanzierten Aktion diese Vorschriften missachtet, Art. 23 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 4253/88 eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten begründet, Maßnahmen zur Rückforderung der fraglichen Subventionen zu treffen. In solchen Fällen erfüllt das Verhalten des Empfängers den Tatbestand der Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95.

 Frage 2 b

88.      Die Frage 2 b betrifft die Auslegung von Art. 3 der Verordnung Nr. 2988/95.

89.      Das vorlegende Gericht stellt drei Fragen zu der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anzuwendenden Verjährungsfrist. Erstens: Wann beginnt die Verjährungsfrist? Zweitens: Wird die Frist durch die Übermittlung des Kontrollberichts durch den Regionalpräfekten an die CCI unterbrochen? Drittens: Nach welchen Kriterien ist die Höchstdauer der Verjährungsfrist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 zu bestimmen?

90.      Nach Auffassung der Kommission begann die Verjährungsfrist, als die CCI beschloss, DDB-Needham den Auftrag unter Verstoß gegen die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu erteilen, hilfsweise, als die CCI die Entscheidung über die Art des Vergabeverfahrens und über die Frage traf, ob eine Ausschreibung durchgeführt werden solle.

91.      Frankreich macht geltend, der Fristenlauf sei in Gang gesetzt worden, als die CCI das vertraglich vereinbarte Entgelt an DDB-Needham zahlte. Diese Zahlung stelle die Unregelmäßigkeit im Sinne der einschlägigen Vorschriften dar, da die CCI bis zu diesem Zeitpunkt jederzeit ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren hätte durchführen können.

92.      Die polnische Regierung trägt vor, die Verjährungsfrist habe an dem Tag begonnen, an dem die EFRE-Subvention an die CCI gezahlt worden sei. Ein Verstoß gegen die Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge erfülle erst dann den Tatbestand der Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95, wenn ein Schaden für den Unionshaushalt entstehe. Dieser Schaden trete ein, wenn die Mittel aus dem Haushalt gezahlt würden. Der zurückzufordernde Betrag entspreche der Differenz zwischen dem Betrag, der im Anschluss an das vorschriftswidrige Verhalten ausgezahlt worden sei, und dem Betrag, der ausgezahlt worden wäre, wenn der Dienstleister im Einklang mit den Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgewählt worden wäre.(40)

93.      Die Verordnung Nr. 4253/88 regelt nicht die Verjährung der Rückforderung unrechtmäßig gewährter Beträge. Meines Erachtens muss daher die in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 bezeichnete Verjährungsfrist gelten.(41)

94.      Gemäß dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und 2 derselben Verordnung beginnt die Verjährungsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem die Unregelmäßigkeit als Folge der Handlung oder Unterlassung des Subventionsempfängers einen Schaden für den Unionshaushalt (oder für die von der Union verwalteten Haushalte wie die Strukturfonds) z. B. durch Entstehen einer ungerechtfertigten Ausgabe bewirkt.

95.      Dieser Zeitpunkt trat ein, als der CCI die EFRE-Subvention gewährt wurde. Die in Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 geregelte Verjährungsfrist begann also an dem Tag, an dem die Vereinbarung über die Gewährung der Subvention geschlossen wurde (20. Dezember 1996). Zu diesem Zeitpunkt entstand die Ausgabe des EFRE. Damals waren die Unregelmäßigkeiten im Vergabeverfahren bereits vorgefallen – nämlich die von CCI zugunsten von DDB-Needham getroffene Wahl ohne Bekanntmachung einer Ausschreibung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften sowie die noch vor der Bekanntmachung einer Ausschreibung erfolgte Mitteilung der CCI, das genannte Unternehmen beauftragen zu wollen.(42)

96.      Hinsichtlich der zweiten Frage – ob die Verjährungsfrist durch die vom Regionalpräfekten vorgenommene Übermittlung des Kontrollberichts an die CCI unterbrochen wurde – ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95, dass die Verfolgungsverjährung durch jede der betreffenden Person zur Kenntnis gebrachte Ermittlungs‑ oder Verfolgungshandlung der zuständigen nationalen Behörde unterbrochen wird und dass die Verjährungsfrist nach jeder eine Unterbrechung bewirkenden Handlung erneut beginnt.(43)

97.      Bei der Übermittlung des Kontrollberichts handelte es sich um eine die Ermittlung einer Unregelmäßigkeit betreffende Handlung einer zuständigen nationalen Behörde.(44) Der Kontrollbericht war meines Erachtens auch hinreichend bestimmt, um die Verfolgungsverjährung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 zu unterbrechen.(45)

98.      Die dritte Frage lautet, nach welchen Kriterien die Höchstdauer der Verjährungsfrist zu bestimmen ist.

99.      Wie der Gerichtshof im Urteil Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading(46) anerkannt hat, verfügen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 über ein Ermessen, eine längere als die in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Verjährungsfrist von vier Jahren festzusetzen.

100. Allerdings hat der Gerichtshof im Weiteren ausgeführt, dass es „im Hinblick auf das Ziel, die finanziellen Interessen der Union zu schützen, für das der Unionsgesetzgeber bereits eine Verjährungsfrist von vier Jahren, ja sogar von drei Jahren, als ausreichend angesehen hat, um den nationalen Behörden die Verfolgung einer die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigenden Unregelmäßigkeit zu ermöglichen und eine Maßnahme wie die Rückforderung eines zu Unrecht erlangten Vorteils zu erlassen, … über das für eine sorgfältige Verwaltung Erforderliche hinausgeht, den Behörden hierfür eine Frist von 30 Jahren einzuräumen“.(47)

101. Meiner Meinung nach sollten die Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil Ze Fu Fleischhandel und Vion Trading auf den vorliegenden Fall entsprechend übertragen werden.

102. Macht daher der betreffende Mitgliedstaat von dem ihm nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 zustehenden Ermessen Gebrauch, verwehrt ihm der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dennoch die Anwendung einer dreißigjährigen Verjährungsfrist für die Verfolgung der Rückzahlung zu Unrecht erlangter Gelder.

 Frage 2 c

103. Gegenstand der Frage 2 c ist im Wesentlichen, ob bei Nichtvorliegen einer Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95 die Rückforderung nach nationalem Recht zu beurteilen ist oder ob die finanziellen Interessen der Union an der Rückforderung der Gelder den Richter daran hindern, die nationalen Vorschriften über die Rücknahme anspruchsbegründender Einzelentscheidungen anzuwenden.

104. Da meines Erachtens die Problematik in den Bereich des Unionsrechts fällt, findet das nationale Recht keine Anwendung, so dass dieser Teil der Frage nicht beantwortet zu werden braucht.

 Ergebnis

105. Demnach bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof zur Beantwortung der vom französischen Conseil d’État vorgelegten Fragen wie folgt entscheiden sollte:

Wenn der Empfänger einer im Rahmen der Strukturfonds gezahlten Subvention, der ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne der Unionsvorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge ist, diese Vorschriften bei der Wahl eines Dienstleisters für die Ausführung einer ganz oder teilweise im Rahmen der Fonds finanzierten Aktion missachtet, gilt Folgendes:

–        Art. 23 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993, begründet eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Rückforderung der fraglichen Subventionen zu treffen.

–        Das Verhalten des Empfängers erfüllt den Tatbestand der Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften.

–        Der Umstand, dass der zuständigen nationalen Behörde die Unregelmäßigkeit nicht verborgen geblieben sein konnte, kann an der Einordnung des fraglichen Verhaltens als Unregelmäßigkeit im Sinne von Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 nichts ändern.

–        Die Verjährungsfrist nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 beginnt an dem Tag, an dem die EFRE-Subvention dem Empfänger gewährt wurde.

–        Ein von der zuständigen nationalen Behörde übermittelter Kontrollbericht ist hinreichend bestimmt, um die Verfolgungsverjährung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 zu unterbrechen.

–        Macht der betreffende Mitgliedstaat von dem ihm nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2988/95 zustehenden Ermessen Gebrauch, verwehrt ihm der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dennoch die Anwendung einer dreißigjährigen Verjährungsfrist für die Verfolgung der Rückzahlung zu Unrecht erlangter Gelder.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Entwicklungsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9, geändert durch Verordnung [EWG] Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993, ABl. L 193, S. 5).


3 – Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1, geändert durch Verordnung [EWG] Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993, ABl. L 193, S. 20).


4 – Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1).


5 – Die Verordnungen Nr. 2052/88 und Nr. 4253/88 wurden später aufgehoben durch die Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds (ABl. L 161, S. 1), die ihrerseits ersetzt wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 (ABl. L 210, S. 25).


6 – Die drei wichtigsten Strukturfonds sind der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Kohäsionsfonds. Ich werde sie als „Strukturfonds“ oder „Fonds“ bezeichnen.


7 – Im Sinne der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1). Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers ist in Art. 1 Buchst. b dieser Richtlinie definiert.


8 – Vgl. den dritten Erwägungsgrund, in dem auf Art. 130d des EWG-Vertrags (nach mehreren Änderungen jetzt Art. 177 AEUV) verwiesen wird. Der aktuelle Wortlaut der Art. 1 bis 19 der Verordnung Nr. 2052/88 findet sich in der oben in Fn. 2 angeführten Verordnung Nr. 2081/93.


9 – Oben in Fn. 3 angeführt. Der Wortlaut der Art. 1 bis 33 der Verordnung Nr. 4253/88 findet sich jetzt in der Verordnung Nr. 2082/93.


10 – Siehe unten, Nr. 35 und Fn. 18.


11 –      Art. 6 Abs. 1 sieht die Möglichkeit einer Aussetzung vor, wenn ein Strafverfahren eingeleitet wird.


12 – Oben in Fn. 5 angeführt.


13 – Siehe unten, Nr. 47.


14 – Siehe oben, Fn. 2 bzw. 3.


15 –      Urteil vom 29. Januar 2009 (C‑278/07 bis C‑280/07, Slg. 2009, I‑457).


16 – Oben in Fn. 7 angeführt.


17 – Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 92/50/EWG.


18 – Urteil Josef Vosding Schlacht-, Kühl- und Zerlegebetrieb u. a., oben in Fn. 15 angeführt, Randnrn. 25 bis 28. Vgl. auch den oben in Nr. 11 zusammengefassten dritten Erwägungsgrund zur Verordnung Nr. 2988/95.


19 – Oben in Fn. 2 angeführt. Vgl. auch Vorschlag der Kommission vom 10. März 1993 für eine Verordnung des Rates zur Änderung dieser Verordnung (KOM[1993] 67 endg., S. 3).


20 – Oben in Fn. 3 angeführt. Vgl. auch den oben in Fn. 19 angeführten Vorschlag, S. 3.


21 – [Betrifft nur die englische Fassung der vorliegenden Schlussanträge.]


22 – Urteil vom 13. März 2008, Vereniging Nationaal Overlegorgaan Sociale Werkvoorziening (C‑383/06 bis C‑385/06, Slg. 2008, I‑1561, Randnr. 37).


23 – Ebd., Randnr. 38.


24 – Ebd., Randnr. 40.


25 – Urteil vom 15. September 2005, Kommission/Irland (C‑199/03, Slg. 2005, I‑8027, Randnr. 30).


26 – Man fühlt sich an den (gewiss erfundenen) Dialog zwischen der viktorianischen Hausherrin und dem Dienstmädchen erinnert: „Mary, was ist das denn? Ich stelle fest, dass Du ein Kind bekommen hast!“ „Bitte, gnädige Frau, es ist ja nur ein kleines.“


27 – Der Wortlaut von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 1083/2006 entspricht demjenigen von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2988/95. Siehe oben, Nr. 17.


28 – Vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Léger in der Rechtssache Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. (C‑44/96, Urteil vom 15. Januar 1998, Slg. 1998, I‑73, Nr. 108); vgl. auch Urteil Kommission/Irland, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 26.


29 – Oben in Fn. 25 angeführt.


30 – Ebd., Randnrn. 15 f.


31 – Ebd., Randnrn. 29 bis 31.


32 – Oben in Fn. 22 angeführt, Randnr. 54.


33 – Siehe oben, Nr. 21.


34 – Siehe oben, Nr. 13.


35 – Siehe oben, Nr. 15.


36 – Vgl. z. B. Urteil vom 22. Januar 2004, COPPI (C‑271/01, Slg. 2004, I‑1029), in dem es um den Widerruf einer finanziellen Beteiligung des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) und ihre teilweise Rückzahlung gemäß Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 4253/88 ging. Diese Vorschrift sieht die Rückforderung der „infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verloren gegangene[n] Beträge“ (siehe oben, Nr. 8) vor. In den Randnrn. 16, 22, 29, 42, 45 und 48 des Urteils ist stets – und implizit billigend – von einer teilweisen anstatt einer vollständigen Rückzahlung die Rede.


37 – Siehe oben, Nrn. 20 bis 23.


38 – Siehe oben, Nrn. 38 f.


39 – Urteil vom 16. März 2006 (C‑94/05, Slg. 2006, I‑2619, Randnr. 62).


40 – Siehe oben, Nrn. 70 bis 84.


41 – Vgl. entsprechend Urteil vom 28. Oktober 2010, SGS Belgium u. a. (C‑367/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).


42 – Siehe oben, Nrn. 20 und 25.


43 – Urteil SGS Belgium u. a., oben in Fn. 41 angeführt, Randnr. 67.


44 – Siehe oben, Nr. 24.


45 – Vgl. entsprechend Urteil SGS Belgium u. a., oben in Fn. 41 angeführt, Randnrn. 67 bis 70.


46 – Urteil vom 5. Mai 2011 (C‑201/10 und C‑202/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnrn. 41 f.).


47 – Ebd., Randnr. 43; vgl. auch Randnrn. 44 bis 46.