Language of document : ECLI:EU:C:2012:691

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

8. November 2012(*)

„Art. 20 AEUV und 21 AEUV – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 51 – Richtlinie 2003/109/EG – Drittstaatsangehörige – Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat – Richtlinie 2004/38/EG – Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige von Unionsbürgern sind – Drittstaatsangehöriger, der weder einen Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleitet noch ihm dorthin nachzieht, sondern im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers bleibt – Aufenthaltsrecht des Drittstaatsangehörigen im Herkunftsmitgliedstaat eines Unionsbürgers, der sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält – Unionsbürgerschaft – Grundrechte“

In der Rechtssache C‑40/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Januar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Januar 2011, in dem Verfahren

Yoshikazu Iida

gegen

Stadt Ulm

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász, T. von Danwitz und D. Šváby,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Y. Iida, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Oberhäuser und W. Weh,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch C. H. Vang als Bevollmächtigten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. D’Ascia, avvocato dello Stato,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar als Bevollmächtigten,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, zunächst vertreten durch S. Hathaway, dann durch A. Robinson als Bevollmächtigte im Beistand von R. Palmer, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Tufvesson und H. Krämer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. Mai 2012

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften des Unionsrechts über das Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger in einem Mitgliedstaat und über die Unionsbürgerschaft.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Iida und der Stadt Ulm wegen deren Weigerung, ihm das Recht zum Aufenthalt in Deutschland gemäß der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) zu gewähren und ihm aufgrund dessen eine Aufenthaltskarte auszustellen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 2003/109/EG

3        Art. 1 („Gegenstand“) Buchst. a der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) bestimmt:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung

a)      der Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig in seinem Hoheitsgebiet aufhält, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten erteilen oder entziehen kann, sowie der mit dieser Rechtsstellung verbundenen Rechte …“

4        Art. 3 („Anwendungsbereich“) dieser Richtlinie bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)      Diese Richtlinie findet auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.

(2)      Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige,

a)      die sich zwecks Studiums oder Berufsausbildung aufhalten;

b)      denen zwecks vorübergehenden Schutzes der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat genehmigt wurde oder die aus diesem Grund um eine Aufenthaltsgenehmigung nachgesucht haben und über deren Rechtsstellung noch nicht entschieden ist;

c)      denen der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen, nationalen Rechtsvorschriften oder Praktiken der Mitgliedstaaten genehmigt wurde oder die aus diesem Grunde um die Genehmigung des Aufenthalts nachgesucht haben und über deren Rechtsstellung noch nicht entschieden ist;

d)      die Flüchtlinge sind oder die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft beantragt haben und über deren Antrag noch nicht abschließend entschieden worden ist;

e)      die sich ausschließlich vorübergehend wie etwa als Au-pair oder Saisonarbeitnehmer, als von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer oder als Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde;

f)      deren Rechtsstellung durch das Wiener Übereinkommen von 1961 über diplomatische Beziehungen, das Wiener Übereinkommen von 1963 über konsularische Beziehungen, das Übereinkommen von 1969 über Sondermissionen oder die Wiener Konvention von 1975 über die Vertretung der Staaten in ihren Beziehungen zu internationalen Organisationen universellen Charakters geregelt ist.“

5        Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten erteilen Drittstaatsangehörigen, die sich unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten.“

6        Art. 5 („Bedingungen für die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten“) der Richtlinie 2003/109 lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten verlangen vom Drittstaatsangehörigen den Nachweis, dass er für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen über Folgendes verfügt:

a)      feste und regelmäßige Einkünfte, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Die Mitgliedstaaten beurteilen diese Einkünfte anhand ihrer Art und Regelmäßigkeit und können die Höhe der Mindestlöhne und -renten beim Antrag auf Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten berücksichtigen;

b)      eine Krankenversicherung, die im betreffenden Mitgliedstaat sämtliche Risiken abdeckt, die in der Regel auch für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind.

(2)      Die Mitgliedstaaten können von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie die Integrationsanforderungen gemäß dem nationalen Recht erfüllen.“

7        Unter der Überschrift „Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten“ bestimmt Art. 7 der Richtlinie 2003/109 in den Abs. 1 und 3:

„(1)      Um die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu erlangen, reicht der Drittstaatsangehörige bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem er sich aufhält, einen Antrag ein. Dem Antrag sind vom nationalen Recht zu bestimmende Unterlagen beizufügen, aus denen hervorgeht, dass er die Voraussetzungen der Artikel 4 und 5 erfüllt, sowie erforderlichenfalls ein gültiges Reisedokument oder eine beglaubigte Abschrift davon.

Die Nachweise nach Unterabsatz 1 können auch Unterlagen in Bezug auf ausreichenden Wohnraum einschließen.

(3)      Liegen die Voraussetzungen der Artikel 4 und 5 vor und stellt die Person keine Gefahr im Sinne des Artikels 6 dar, so erkennt der Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu.“

8        Art. 8 („Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EG“) dieser Richtlinie sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Vorbehaltlich des Artikels 9 ist die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten dauerhaft.

(2)      Die Mitgliedstaaten stellen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine ‚langfristige Aufenthaltsberechtigung – EG‘ aus. Dieser Aufenthaltstitel ist mindestens fünf Jahre gültig und wird – erforderlichenfalls auf Antrag – ohne weiteres verlängert.“

 Richtlinie 2004/38

9        Unter der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen“ enthält Kapitel I der Richtlinie 2004/38 die Art. 1 bis 3.

10      Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2.      ‚Familienangehöriger‘

a)      den Ehegatten;

b)      den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)      die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)      die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

3.      ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.“

11      Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

(2)      Unbeschadet eines etwaigen persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt der Betroffenen erleichtert der Aufnahmemitgliedstaat nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Einreise und den Aufenthalt der folgenden Personen

a)      jedes nicht unter die Definition in Artikel 2 Nummer 2 fallenden Familienangehörigen ungeachtet seiner Staatsangehörigkeit, dem der primär aufenthaltsberechtigte Unionsbürger im Herkunftsland Unterhalt gewährt oder der mit ihm im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, oder wenn schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege des Familienangehörigen durch den Unionsbürger zwingend erforderlich machen;

b)      des Lebenspartners, mit dem der Unionsbürger eine ordnungsgemäß bescheinigte dauerhafte Beziehung eingegangen ist.

Der Aufnahmemitgliedstaat führt eine eingehende Untersuchung der persönlichen Umstände durch und begründet eine etwaige Verweigerung der Einreise oder des Aufenthalts dieser Personen.“

12      Kapitel III („Aufenthaltsrecht“) der Richtlinie betrifft die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufzuhalten. Dieses Kapitel enthält u. a. die Art. 6, 7 und 10.

13      Art. 6 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„(1)      Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten …

(2)      Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige im Besitz eines gültigen Reisepasses, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen.“

14      Art. 7 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten …

(2)      Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen …“

15      In Art. 10 („Ausstellung der Aufenthaltskarte“) der Richtlinie heißt es:

„(1)      Zum Nachweis des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wird spätestens sechs Monate nach Einreichung des betreffenden Antrags eine ‚Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers‘ ausgestellt. Eine Bescheinigung über die Einreichung des Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wird unverzüglich ausgestellt.

(2)      Für die Ausstellung der Aufenthaltskarte verlangen die Mitgliedstaaten die Vorlage folgender Dokumente:

c)      Anmeldebescheinigung des Unionsbürgers, den sie begleiten oder dem sie nachziehen, oder, wenn kein Anmeldesystem besteht, ein anderer Nachweis über den Aufenthalt des betreffenden Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat;

d)      in den Fällen des Artikels 2 Nummer 2 Buchstaben c) und d) der urkundliche Nachweis, dass die dort genannten Voraussetzungen vorliegen;

…“

 Deutsches Recht

16      § 7 („Aufenthaltserlaubnis“) des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (im Folgenden: AufenthG) lautet:

„(1)      Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden.

(2)      Die Aufenthaltserlaubnis ist unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen. Ist eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden.“

17      § 18 („Beschäftigung“) AufenthG lautet:

„(1)      Die Zulassung ausländischer Beschäftigter orientiert sich an den Erfordernissen des Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und dem Erfordernis, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Internationale Verträge bleiben unberührt.

(2)      Einem Ausländer kann ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 zugestimmt hat oder durch Rechtsverordnung nach § 42 oder zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Beschränkungen bei der Erteilung der Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit sind in den Aufenthaltstitel zu übernehmen.

(3)      Eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach Absatz 2, die keine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, darf nur erteilt werden, wenn dies durch zwischenstaatliche Vereinbarung bestimmt ist oder wenn auf Grund einer Rechtsverordnung nach § 42 die Erteilung der Zustimmung zu einer Aufenthaltserlaubnis für diese Beschäftigung zulässig ist.

(4)      Ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Beschäftigung nach Absatz 2, die eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, darf nur für eine Beschäftigung in einer Berufsgruppe erteilt werden, die durch Rechtsverordnung nach § 42 zugelassen worden ist. Im begründeten Einzelfall kann eine Aufenthaltserlaubnis für eine Beschäftigung erteilt werden, wenn an der Beschäftigung ein öffentliches, insbesondere ein regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht.

(5)      Ein Aufenthaltstitel nach Absatz 2 und § 19 darf nur erteilt werden, wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt.“

18      In § 39 („Zustimmung zur Ausländerbeschäftigung“) AufenthG heißt es in den Abs. 2 bis 4:

„(2)      Die Bundesagentur für Arbeit kann der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nach § 18 zustimmen, wenn

1.      a)      sich durch die Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der Wirtschaftszweige, nicht ergeben und

b)      für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt sind oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, nicht zur Verfügung stehen oder

2.      sie durch Prüfung nach Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a und b für einzelne Berufsgruppen oder für einzelne Wirtschaftszweige festgestellt hat, dass die Besetzung der offenen Stellen mit ausländischen Bewerbern arbeitsmarkt- und integrationspolitisch verantwortbar ist,

und der Ausländer nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt wird. Für die Beschäftigung stehen deutsche Arbeitnehmer und diesen gleichgestellte Ausländer auch dann zur Verfügung, wenn sie nur mit Förderung der Agentur für Arbeit vermittelt werden können. Der Arbeitgeber, bei dem ein Ausländer beschäftigt werden soll, der dafür eine Zustimmung benötigt, hat der Bundesagentur für Arbeit Auskunft über Arbeitsentgelt, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen zu erteilen.

(4)      Die Zustimmung kann die Dauer und die berufliche Tätigkeit festlegen sowie die Beschäftigung auf bestimmte Betriebe oder Bezirke beschränken.“

19      § 28 („Familiennachzug zu Deutschen“) AufenthG bestimmt in Abs. 1 Satz 1:

„Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.      Ehegatten eines Deutschen,

2.      minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,

3.      Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge

zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.“

20      In § 31 („Eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehegatten“) AufenthG heißt es in den Abs. 1 und 2:

„(1)      Die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten wird im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht für ein Jahr verlängert, wenn

1.      die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat oder

2.      der Ausländer gestorben ist, während die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet bestand,

und der Ausländer bis dahin im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG war, es sei denn, er konnte die Verlängerung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht rechtzeitig beantragen. …

(2)      Von der Voraussetzung des zweijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ist abzusehen, soweit es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, dem Ehegatten den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, es sei denn, für den Ausländer ist die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ausgeschlossen. …“

21      § 9a („Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG“) AufenthG sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)      Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Soweit dieses Gesetz nichts anderes regelt, ist die Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt.

(2)      Einem Ausländer ist eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie [2003/109] zu erteilen, wenn

1.      er sich seit fünf Jahren mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält,

2.      sein Lebensunterhalt und derjenige seiner Angehörigen, denen er Unterhalt zu leisten hat, durch feste und regelmäßige Einkünfte gesichert ist,

3.      er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,

4.      er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,

5.      Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen und

6.      er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.“

22      § 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2004 über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (im Folgenden: FreizügG/EU) bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)      Freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wird von Amts wegen unverzüglich eine Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt.

(2)      Freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind, wird von Amts wegen innerhalb von sechs Monaten, nachdem sie die erforderlichen Angaben gemacht haben, eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern ausgestellt, die fünf Jahre gültig sein soll. Eine Bescheinigung darüber, dass die erforderlichen Angaben gemacht worden sind, erhält der Familienangehörige unverzüglich.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

23      Herr Iida, ein japanischer Staatsangehöriger, heiratete 1998 in den Vereinigten Staaten Frau N.‑I., eine deutsche Staatsangehörige. Ihre Tochter Mia wurde am 27. August 2004 in den Vereinigten Staaten geboren und besitzt die deutsche, die US-amerikanische und die japanische Staatsangehörigkeit.

24      Im Dezember 2005 zog die Familie nach Deutschland. Im Januar 2006 erhielt Herr Iida gemäß § 28 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung. Seit Februar 2006 ist er in Ulm aufgrund eines unbefristeten Arbeitsvertrags in Vollzeit beschäftigt und bezieht derzeit ein monatliches Bruttoeinkommen von 4 850 Euro. Aufgrund seiner Arbeitszeiten wurde er von seiner nach nationalem Recht bestehenden Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs entbunden.

25      Im Sommer 2007 begann die Ehefrau von Herrn Iida in Wien in Vollzeit zu arbeiten. Zwar wurde die eheliche Lebensgemeinschaft über die Distanz Ulm–Wien zunächst aufrechterhalten, doch leben die Ehegatten seit Januar 2008 dauernd getrennt, haben sich aber nicht scheiden lassen. Beide haben das gemeinsame Sorgerecht für ihre Tochter und üben es aus, auch wenn Mutter und Tochter seit März 2008 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Wien haben, wo die Tochter zur Schule geht.

26      Herr Iida besucht regelmäßig seine Tochter an einem Wochenende pro Monat in Wien, und sie verbringt die Ferien meist bei ihrem Vater in Ulm. Es wurden auch gemeinsame Reisen unternommen. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist nach den Angaben, die Herr Iida beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gemacht hat, sehr gut.

27      Nach dem Wegzug seiner Tochter und seiner Ehefrau war die Anwendung des eigenständigen Aufenthaltsrechts nach § 31 AufenthG für Herrn Iida ausgeschlossen, weil die eheliche Lebensgemeinschaft nicht mindestens zwei Jahre in Deutschland bestanden hatte; eine Befreiung von diesem Erfordernis wurde nicht beantragt.

28      Herr Iida erhielt jedoch aufgrund seiner Beschäftigung in Ulm eine Aufenthaltserlaubnis, die am 18. November 2010 gemäß § 18 AufenthG bis zum 2. November 2012 verlängert wurde und deren weitere Verlängerung im Ermessen steht.

29      Am 30. Mai 2008 beantragte Herr Iida bei der Stadt Ulm die Erteilung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ nach § 5 FreizügG/EU. Sein Antrag wurde zunächst von der Stadt Ulm, dann vom Regierungspräsidium Tübingen und anschließend durch Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen mit der Begründung zurückgewiesen, dass er keinen unionsrechtlichen Anspruch auf eine solche Aufenthaltskarte habe.

30      Am 6. Mai 2010 legte Herr Iida gegen dieses Urteil Berufung zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ein.

31      Herr Iida stellte ferner einen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt nach § 9a AufenthG, den er später aber wieder zurücknahm.

32      Unter diesen Umständen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Zu den Art. 2, 3 und 7 der Richtlinie 2004/38:

a)      Ist insbesondere im Lichte von Art. 7 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie Art. 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (unterzeichnet in Rom am 4. November 1950, im Folgenden: EMRK) in erweiterter Auslegung von Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 „Familienangehöriger“ auch ein drittstaatsangehöriger sorgeberechtigter Elternteil eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerkindes, dem von diesem kein Unterhalt gewährt wird?

b)      Wenn ja: Gilt die Richtlinie 2004/38 insbesondere im Lichte von Art. 7 und 24 der Charta sowie Art. 8 EMRK in erweiterter Auslegung von deren Art. 3 Abs. 1 für diesen Elternteil auch ohne ein „Begleiten“ oder „Nachziehen“ gegenüber dem Herkunftsmitgliedstaat des weggezogenen Unionsbürgerkindes?

c)      Wenn ja: Folgt hieraus für diesen Elternteil insbesondere im Lichte von Art. 7 und 24 der Charta sowie Art. 8 EMRK ein Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgerkindes in erweiterter Auslegung von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38, jedenfalls solange das Sorgerecht besteht und tatsächlich ausgeübt wird?

2.      Zu Art. 6 Abs. 1 EU in Verbindung mit der Charta:

a) i)      Ist der Anwendungsbereich der Charta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der Charta schon dann eröffnet, wenn der Streitgegenstand von einem nationalen Gesetz (oder Gesetzesteil) abhängt, durch das auch – aber nicht nur – Richtlinien umgesetzt wurden?

ii)      Wenn nein: Ist der Anwendungsbereich der Charta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der Charta schon deshalb eröffnet, weil dem Kläger möglicherweise ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zusteht und er in Folge nach § 5 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU eine „Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern“ beanspruchen könnte, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38 hat?

iii)      Wenn nein: Ist der Anwendungsbereich der Charta nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 der Charta in Fortschreibung der ERT‑Rechtsprechung (Urteil vom 18. Juni 1991, C‑260/89, Slg. 1991, I‑2925, Randnrn. 41 bis 45) eröffnet, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen sorgeberechtigten Vaters einer minderjährigen Unionsbürgerin beschränkt, die sich mit ihrer Mutter wegen deren Berufstätigkeit überwiegend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhält?

b) i) Wenn der Anwendungsbereich der Charta eröffnet ist: Kann unmittelbar aus Art. 24 Abs. 3 der Charta ein europarechtliches Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Vaters abgeleitet werden, jedenfalls solange er das Sorgerecht für sein Unionsbürgerkind besitzt und tatsächlich ausübt, auch wenn sich das Kind überwiegend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhält?

ii)      Wenn nein: Folgt aus dem Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes nach Art. 45 Abs. 1 der Charta gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 24 Abs. 3 der Charta ein europarechtliches Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Vaters, jedenfalls solange er das Sorgerecht für sein Unionsbürgerkind besitzt und tatsächlich ausübt, damit insbesondere dem Freizügigkeitsrecht des Unionsbürgerkindes nicht jede praktische Wirksamkeit genommen wird?

3.      Zu Art. 6 Abs. 3 EU in Verbindung mit den allgemeinen Unionsrechtsgrundsätzen:

a)      Können die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil vom 12. November 1969, Stauder (29/69, Slg. 1969, 419, Randnr. 7), bis hin beispielsweise zum Urteil vom 22. November 2005, Mangold (C‑144/04, Slg. 2005, I‑9981, Randnr. 75), entwickelten „ungeschriebenen“ EU-Grundrechte in vollem Umfang angewendet werden, auch wenn im konkreten Fall der Anwendungsbereich der Charta nicht eröffnet ist, mit anderen Worten, stehen die gemäß Art. 6 Abs. 3 EU als allgemeine Unionsrechtsgrundsätze fortgeltenden Grundrechte eigenständig und unabhängig neben den neuen Grundrechten der Charta nach Art. 6 Abs. 1 EU?

b)      Wenn ja: Lässt sich zur effektiven Ausübung des Sorgerechts aus den allgemeinen Unionsrechtsgrundsätzen, insbesondere im Lichte des Rechts auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK, ein europarechtliches Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Vaters einer minderjährigen Unionsbürgerin ableiten, die sich mit ihrer Mutter wegen deren Berufstätigkeit überwiegend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhält?

4.      Zu Art. 21 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 8 EMRK:

Wenn Art. 6 Abs. 1 oder Abs. 3 EU nicht zu einem europarechtlichen Aufenthaltsrecht des Klägers führt: Lässt sich in Fortschreibung des Urteils vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C‑200/02, Slg. 2004, I‑9925, Randnrn. 45 bis 47), zur effektiven Ausübung des Sorgerechts aus dem Freizügigkeitsrecht einer minderjährigen Unionsbürgerin, die sich mit ihrer Mutter wegen deren Berufstätigkeit überwiegend in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhält, nach Art. 21 Abs. 1 AEUV, gegebenenfalls im Lichte von Art. 8 EMRK, ein europarechtliches Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Vaters im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgerkindes ableiten?

5.      Zu Art. 10 der Richtlinie 2004/38:

Wenn ein europarechtliches Aufenthaltsrecht bejaht wird: Besitzt ein drittstaatsangehöriger Elternteil in der Situation des Klägers einen Anspruch auf Ausstellung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“, gegebenenfalls entsprechend Art. 10 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2004/38?

33      Die vorstehenden Vorlagefragen lassen sich nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wie folgt in einer einzigen Frage zusammenfassen:

Folgt aus dem Recht der Europäischen Union für einen sorgeberechtigten drittstaatsangehörigen Elternteil zur Aufrechterhaltung der regelmäßigen persönlichen Beziehungen und direkten elterlichen Kontakte ein mit einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ zu dokumentierendes Verbleiberecht im Herkunftsmitgliedstaat seines Unionsbürgerkindes, wenn das Kind in Ausübung des Freizügigkeitsrechts von dort in einen anderen Mitgliedstaat verzieht?

 Zur Vorlagefrage

34      Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist zunächst zu prüfen, ob einer Person in der Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens die Vorschriften des abgeleiteten Rechts zugutekommen können, die unter bestimmten Voraussetzungen die Erteilung eines Aufenthaltstitels in einem Mitgliedstaat an einen Drittstaatsangehörigen vorsehen.

35      Sollte dies nicht der Fall sein, wäre sodann zu prüfen, ob eine Person in der Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens ein Aufenthaltsrecht unmittelbar auf die Bestimmungen des AEU‑Vertrags über die Unionsbürgerschaft stützen kann.

 Zur Auslegung der Richtlinie 2003/109

36      Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 findet sie auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Im Gegensatz zur Richtlinie 2004/38 (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Ziolkowski und Szeja, C‑424/10 und C‑425/10, Slg. 2011, I‑14035, Randnrn. 46 und 47) legt die Richtlinie 2003/109 nicht die Voraussetzungen fest, die der Aufenthalt dieser Staatsangehörigen erfüllen muss, damit davon ausgegangen werden kann, dass sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Infolgedessen bestimmen sich diese Voraussetzungen weiterhin ausschließlich nach nationalem Recht.

37      Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 erteilen die Mitgliedstaaten diesen Staatsangehörigen, die sich im Einklang mit ihrem nationalen Recht unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten haben, die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 schließt allerdings deren Anwendung auf bestimmte Aufenthaltsarten aus.

38      Nach Art. 5 der Richtlinie muss der Drittstaatsangehörige für die Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten den Nachweis erbringen, dass er für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen über feste und regelmäßige Einkünfte, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen, und über eine Krankenversicherung verfügt, die im betreffenden Mitgliedstaat sämtliche Risiken abdeckt, die in der Regel auch für die eigenen Staatsangehörigen abgedeckt sind. Ebenso können die Mitgliedstaaten von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie die Integrationsanforderungen gemäß dem nationalen Recht erfüllen.

39      Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2003/109 erkennt der Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten zu, wenn die Voraussetzungen ihrer Art. 4 und 5 vorliegen und die Person keine Gefahr im Sinne ihres Art. 6 darstellt.

40      Wie aus Randnr. 24 des vorliegenden Urteils hervorgeht, begann im vorliegenden Fall der Kläger des Ausgangsverfahrens, ein Drittstaatsangehöriger, seinen rechtmäßigen Aufenthalt im deutschen Hoheitsgebiet im Januar 2006 auf der Grundlage eines gemäß § 28 AufenthG erteilten Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung. Ferner war es Herrn Iida in der Folgezeit aufgrund eines im Februar 2006 unterzeichneten unbefristeten Arbeitsvertrags möglich, einen bis zum 2. November 2012 gültigen Aufenthaltstitel gemäß § 18 AufenthG zu erhalten, obwohl ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gemäß § 31 AufenthG für ihn aufgrund der Unterbrechung seiner ehelichen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen ist.

41      Somit ergibt sich aus den Akten, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens zum einen aufgrund seines Aufenthalts nicht unter einen der in Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/109 vorgesehenen Fälle fällt und sich zum anderen fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig im deutschen Hoheitsgebiet aufgehalten hat.

42      Des Weiteren ist Herr Iida aufgrund seiner Beschäftigung dem ersten Anschein nach in der Lage, den Nachweis zu erbringen, dass er über feste und regelmäßige Einkünfte, die für seinen eigenen Lebensunterhalt ausreichen, und über eine Krankenversicherung verfügt, die sämtliche Risiken abdeckt, die in der Regel für die Staatsangehörigen in Deutschland abgedeckt sind.

43      Im Übrigen geht aus den Akten nicht hervor, dass von Herrn Iida eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 2003/109 ausgehen könnte.

44      Was schließlich die Integrationsanforderungen nach § 9a Abs. 2 Nrn. 3 und 4 AufenthG angeht, ist zwar das Niveau der Kenntnisse der deutschen Sprache oder der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet, die Herr Iida besitzt, nicht dargetan, doch hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass Herr Iida aufgrund seines Universitätsdiploms nach dem anwendbaren nationalen Recht geringeren Integrationsanforderungen unterliege. Im Übrigen geht aus den Akten hervor, dass Herr Iida aufgrund seiner Arbeitszeiten von seiner Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs entbunden wurde.

45      Daraus folgt, dass einem Drittstaatsangehörigen in der Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens grundsätzlich die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie 2003/109 zuerkannt werden kann.

46      Wie aus Randnr. 31 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hat Herr Iida seinen Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt nach § 9a AufenthG jedoch zurückgenommen.

47      Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109 muss der Drittstaatsangehörige aber zur Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem er sich aufhält, einen Antrag einreichen. Nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie erteilen die Mitgliedstaaten die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten unter Berücksichtigung der unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags liegenden Jahre.

48      Da Herr Iida seinen Antrag auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gemäß der Richtlinie 2003/109 freiwillig zurückgenommen hat, kann ihm somit auf der Grundlage der Bestimmungen dieser Richtlinie kein Aufenthaltstitel erteilt werden.

 Zur Auslegung der Richtlinie 2004/38

49      Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 1, dass sie für jeden Unionsbürger gilt, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.

50      Nach Art. 2 Nr. 2 Buchst. a und d der Richtlinie 2004/38 sind als „Familienangehörige“ eines Unionsbürgers im Sinne dieser Richtlinie der Ehegatte sowie die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchst. b dieser Bestimmung zu verstehen, denen von diesen Unterhalt gewährt wird.

51      Somit ergibt sich nicht für alle Drittstaatsangehörigen aus der Richtlinie 2004/38 das Recht, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur für diejenigen, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie „Familienangehörige“ eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat (Urteile vom 25. Juli 2008, Metock u. a., C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnr. 73, und vom 15. November 2011, Dereci u. a., C‑256/11, Slg. 2011, I‑11315, Randnr. 56).

52      Im Ausgangsverfahren gehören sowohl die Ehefrau als auch die Tochter von Herrn Iida zu den nach der Richtlinie 2004/38 Berechtigten, da sie sich in einen anderen Mitgliedstaat – nämlich Österreich – als den, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, begeben haben und sich dort aufhalten.

53      In Bezug auf die Frage, ob der Kläger des Ausgangsverfahrens ein „Familienangehöriger“ im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 ist, ist zwischen den Beziehungen zwischen ihm und seiner Tochter einerseits und zwischen ihm und seiner Ehefrau andererseits zu unterscheiden.

54      Erstens geht nämlich hinsichtlich der familiären Beziehungen zwischen dem Kläger des Ausgangsverfahrens und seiner Tochter aus Art. 2 Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/38 hervor, dass dem Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers von diesem „Unterhalt gewährt“ werden muss, damit er als „Familienangehöriger“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann.

55      Hierzu ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass sich die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, aus einer tatsächlichen Situation ergibt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird, so dass sich bei Vorliegen der umgekehrten Situation, in der dem Aufenthaltsberechtigten vom Staatsangehörigen eines Drittstaats Unterhalt gewährt wird, der Drittstaatsangehörige nicht auf die Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem der Aufenthaltsberechtigte „Unterhalt gewährt“, im Sinne der Richtlinie 2004/38 berufen kann, um in den Genuss eines Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat zu gelangen (vgl. in Bezug auf ähnliche Bestimmungen des vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 geltenden Unionsrechts Urteil Zhu und Chen, Randnrn. 43 und 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Folglich kann der Kläger des Ausgangsverfahrens nicht als „Familienangehöriger“ seiner Tochter im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38 eingestuft werden.

57      Zweitens ist zu den Beziehungen zwischen dem Kläger des Ausgangsverfahrens und seiner Ehefrau festzustellen, dass die Einstufung einer Person als „Familienangehöriger“ eines Unionsbürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 nach dieser Bestimmung nichts weiter voraussetzt als ihre Ehegatteneigenschaft.

58      Der Gerichtshof hat bereits im Rahmen des vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 geltenden Unionsrechts festgestellt, dass das eheliche Band nicht als aufgelöst angesehen werden kann, solange dies nicht durch die zuständige Stelle ausgesprochen worden ist, was bei Ehegatten, die lediglich voneinander getrennt leben, nicht der Fall ist, selbst wenn sie die Absicht haben, sich später scheiden zu lassen, so dass der Ehegatte nicht notwendigerweise ständig bei dem Unionsbürger wohnen muss, um Inhaber eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts zu sein (vgl. Urteil vom 13. Februar 1985, Diatta, 267/83, Slg. 1985, 567, Randnrn. 20 und 22).

59      Eine solche Auslegung einer Art. 2 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 entsprechenden Bestimmung, die darüber hinaus die Voraussetzung eines üblichen Wohnraums für die Familie des betreffenden Unionsbürgers enthielt, muss erst recht im Rahmen von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a gelten, der im Gegensatz dazu die letztgenannte Voraussetzung nicht aufstellt.

60      Im vorliegenden Fall ist die Ehe der Eheleute Iida durch die zuständige Stelle nicht aufgelöst worden, so dass Herr Iida als Familienangehöriger seiner Ehefrau im Sinne der genannten Bestimmung der Richtlinie 2004/38 angesehen werden kann.

61      Gleichwohl lässt sich der Kläger des Ausgangsverfahrens, auch wenn er als „Familienangehöriger“ seiner Ehefrau im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 angesehen werden kann, nicht als ein durch diese Richtlinie „Berechtigter“ einstufen, da Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie verlangt, dass der Familienangehörige des Unionsbürgers, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, den Unionsbürger begleitet oder ihm nachzieht.

62      Das gleiche Erfordernis, den Unionsbürger zu begleiten oder ihm nachzuziehen, enthalten im Übrigen die Art. 6 Abs. 2 und 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 im Zusammenhang mit der Erstreckung des Aufenthaltsrechts des Unionsbürgers auf seine Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, wie auch Art. 10 Abs. 2 Buchst. c für die Ausstellung der Aufenthaltskarte gemäß dieser Richtlinie.

63      Ein solches Erfordernis entspricht zudem dem Zweck der abgeleiteten Rechte auf Einreise und Aufenthalt, die die Richtlinie 2004/38 für Familienangehörige von Unionsbürgern vorsieht, da andernfalls der Unionsbürger dadurch, dass ihn seine Familie nicht in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nicht dorthin nachziehen darf, in seiner Freizügigkeit beeinträchtigt sein könnte, weil ihn dies davon abhalten könnte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in diesen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil Metock u. a., Randnr. 63).

64      Daher kann das einem Drittstaatsangehörigen nach der Richtlinie 2004/38 zustehende Recht, bei einem Unionsbürger, dessen Familienangehöriger er ist und der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, Wohnung zu nehmen, nur im Aufnahmemitgliedstaat in Anspruch genommen werden, in dem dieser Bürger wohnt (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf ähnliche Bestimmungen des vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 geltenden Unionsrechts Urteil vom 11. Dezember 2007, Eind, C‑291/05, Slg. 2007, I‑10719, Randnr. 24).

65      Da Herr Iida seinen Familienangehörigen, der Unionsbürger ist und sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, weder in den Aufnahmemitgliedstaat begleitet hat noch ihm dorthin nachgezogen ist, kann ihm auf der Grundlage der Richtlinie 2004/38 kein Aufenthaltsrecht gewährt werden.

 Zur Auslegung der Art. 20 AEUV und 21 AEUV

66      Einleitend ist festzustellen, dass die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft Drittstaatsangehörigen keine eigenständigen Rechte verleihen.

67      Ebenso wie die Rechte, die die Richtlinie 2004/38 den einem Drittstaat angehörenden Familienangehörigen eines nach dieser Richtlinie berechtigten Unionsbürgers verleiht, sind nämlich die etwaigen Rechte, die die Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft den Drittstaatsangehörigen verleihen, keine eigenen Rechte dieser Staatsangehörigen, sondern Rechte, die daraus abgeleitet werden, dass ein Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Mai 2011, McCarthy, C‑434/09, Slg. 2011, I‑3375, Randnr. 42, und Dereci u. a., Randnr. 55).

68      Wie in Randnr. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, beruhen der Zweck und die Rechtfertigung dieser abgeleiteten Rechte auf der Feststellung, dass ihre Nichtanerkennung den Unionsbürger in seiner Freizügigkeit beeinträchtigen könnte, weil ihn dies davon abhalten könnte, von seinem Recht Gebrauch zu machen, in den Aufnahmemitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten.

69      So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dem Aufenthaltsrecht eines Elternteils mit Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, der für einen minderjährigen Unionsbürger tatsächlich sorgt, jede praktische Wirksamkeit genommen würde, wenn ihm nicht erlaubt würde, sich mit diesem Bürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, da der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein Kleinkind voraussetzt, dass sich die für das Kind tatsächlich sorgende Person bei diesem aufhalten darf und dass es ihr demgemäß ermöglicht wird, während dieses Aufenthalts mit dem Kind zusammen im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen (vgl. Urteil Zhu und Chen, Randnr. 45).

70      Desgleichen hat der Gerichtshof festgestellt, dass bei der Rückkehr eines Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nach Ausübung einer Tätigkeit im Lohn‑ oder Gehaltsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat ein zur Familie dieses Arbeitnehmers gehörender Drittstaatsangehöriger auch dann über ein Aufenthaltsrecht in dem Mitgliedstaat verfügt, dessen Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer hat, wenn dieser dort keiner echten und tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Würde der Drittstaatsangehörige nicht über ein solches Recht verfügen, könnte der Arbeitnehmer, der Unionsbürger ist, allein aufgrund der Perspektive, nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat ein Zusammenleben mit seinen nahen Angehörigen, das etwa durch die Heirat oder die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat aufgenommen worden ist, nicht fortsetzen zu können, davon abgeschreckt werden, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn‑ oder Gehaltsverhältnis auszuüben (vgl. Urteil Eind, Randnrn. 45, 35 und 36).

71      Schließlich gibt es auch ganz besondere Sachverhalte, in denen – obwohl das für das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen geltende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist und der betreffende Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt hat – einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger dieses Bürgers ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, da sonst dessen Unionsbürgerschaft ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde, wenn sich dieser Bürger infolge einer solchen Weigerung de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, und ihm dadurch der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm dieser Status verleiht, verwehrt würde (vgl. Urteil Dereci u. a., Randnrn. 67, 66 und 64).

72      Das die genannten Sachverhalte kennzeichnende gemeinsame Element besteht darin, dass sie, auch wenn sie durch Rechtsvorschriften geregelt sind, die a priori in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, nämlich die Rechtsvorschriften über das Einreise- und Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinien 2003/109 und 2004/38, doch in einem immanenten Zusammenhang mit der Freizügigkeit eines Unionsbürgers stehen, die beeinträchtigt würde, wenn den Drittstaatsangehörigen das Recht verweigert würde, in den Mitgliedstaat, in dem dieser Bürger wohnt, einzureisen und sich dort aufzuhalten, und die daher dieser Weigerung entgegensteht.

73      In einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens ist zunächst festzustellen, dass der einem Drittstaat angehörende Kläger nicht das Recht zum Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, in dem seine Ehefrau und seine Tochter – beide Unionsbürgerinnen – wohnen, begehrt, sondern in Deutschland, ihrem Herkunftsmitgliedstaat.

74      Ferner steht fest, dass sich der Kläger des Ausgangsverfahrens immer im Einklang mit dem nationalen Recht in diesem Mitgliedstaat aufgehalten hat, ohne dass das Fehlen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts seine Tochter oder seine Ehefrau davon abgehalten hätte, ihr Recht auf Freizügigkeit durch einen Umzug nach Österreich auszuüben.

75      Schließlich verfügt der Kläger des Ausgangsverfahrens, wie aus den Randnrn. 28 und 40 bis 45 des vorliegenden Urteils hervorgeht, zum einen bis zum 2. November 2012 über ein Aufenthaltsrecht nach nationalem Recht, das nach Angaben der deutschen Regierung offenbar verlängert werden kann, und zum anderen kann ihm grundsätzlich die Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne der Richtlinie 2003/109 erteilt werden.

76      Daher kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, dass durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung der Tochter oder der Ehefrau von Herrn Iida der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit ihrem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte verwehrt oder die Ausübung ihres Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, behindert werden könnte (vgl. Urteil McCarthy, Randnr. 49).

77      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die rein hypothetische Aussicht auf die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit keinen Bezug zum Unionsrecht herstellt, der eng genug wäre, um die Anwendung der Unionsbestimmungen zu rechtfertigen (vgl. Urteil vom 29. Mai 1997, Kremzow, C‑299/95, Slg. 1997, I‑2629, Randnr. 16). Gleiches gilt für die rein hypothetische Aussicht einer Beeinträchtigung dieses Rechts.

78      In Bezug auf die vom vorlegenden Gericht angesprochenen Grundrechte, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 der Charta) und die Rechte des Kindes (Art. 24 der Charta), ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Charta nach ihrem Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gelten. Nach Art. 51 Abs. 2 der Charta dehnt diese den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Somit hat der Gerichtshof im Licht der Charta das Unionsrecht in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten zu prüfen (vgl. Urteil Dereci u. a., Randnr. 71).

79      Um festzustellen, ob die Weigerung der deutschen Behörden, Herrn Iida die „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ zu erteilen, die Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 der Charta betrifft, ist u. a. zu prüfen, ob mit der in Rede stehenden nationalen Regelung eine Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechts bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ob es eine Regelung des Unionsrechts gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann (vgl. Urteil vom 18. Dezember 1997, Annibaldi, C‑309/96, Slg. 1997, I‑7493, Randnrn. 21 bis 23).

80      Zwar soll mit § 5 FreizügG/EU, der die Ausstellung einer „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ vorsieht, das Recht der Union durchgeführt werden, doch wird die Situation des Klägers des Ausgangsverfahrens nicht vom Unionsrecht geregelt, da er nicht die Voraussetzungen erfüllt, die nach Art. 10 der Richtlinie 2004/38 für die Erteilung dieser Karte erforderlich sind. Da der Kläger des Ausgangsverfahrens auch keinen Antrag auf Erteilung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten gemäß der Richtlinie 2003/109 gestellt hat, weist seine Situation keinen Anknüpfungspunkt an das Unionsrecht auf.

81      Daher betrifft die Weigerung der deutschen Behörden, Herrn Iida die „Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers“ zu erteilen, nicht die Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 der Charta, so dass die Vereinbarkeit dieser Weigerung mit den Grundrechten nicht anhand der durch die Charta begründeten Rechte geprüft werden kann.

82      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass ein Drittstaatsangehöriger in Fällen, die nicht durch die Richtlinie 2004/38 geregelt sind und in denen auch kein anderer Anknüpfungspunkt an die Bestimmungen des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft gegeben ist, kein von einem Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht beanspruchen kann.

 Kosten

83      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

In Fällen, die nicht durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG geregelt sind und in denen auch kein anderer Anknüpfungspunkt an die Bestimmungen des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft gegeben ist, kann ein Drittstaatsangehöriger kein von einem Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht beanspruchen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.