Language of document : ECLI:EU:C:2011:302

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 12. Mai 2011(1)

Rechtssache C‑281/10 P

PepsiCo, Inc.

„Rechtsmittel – Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Umfang der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen des HABM zu Geschmacksmustern – Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers – Begriff des ‚informierten Benutzers‘“






1.        Im vorliegenden Verfahren hat sich der Gerichtshof erstmals im Rahmen eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung des Gerichts(2) zur Verordnung Nr. 6/2002(3) zu äußern. Hierbei geht es nicht nur darum, eine konkrete Lösung für den fraglichen Fall zu finden, sondern es bietet sich auch erstmals die Gelegenheit, einige Punkte klarzustellen, die für die Bestimmung der Schranken und Modalitäten bei der Nachprüfung, der die Unionsrichter die Entscheidungen des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (im Folgenden: HABM) im Bereich der Gemeinschaftsgeschmacksmuster unterziehen können, entscheidend sind.

I –    Rechtlicher Rahmen

2.        Die Verordnung Nr. 6/2002 (im Folgenden auch: Verordnung) ist Ergebnis eines langen und schwierigen Gesetzgebungsverfahrens, auf das an dieser Stelle nicht näher einzugehen ist und dessen Anfänge in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückreichen(4). Nach Art. 3 der Verordnung bezeichnet ein „Geschmacksmuster“(5) „die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“.

3.        In Art. 4 („Vollstreckungsverfahren“) der Verordnung heißt es:

(1) Ein Geschmacksmuster wird durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

...“

4.        Die Art. 5 und 6 der Verordnung definieren die beiden in Art. 4 genannten Anforderungen der Neuheit und der Eigenart des Geschmacksmusters.

5.        Art. 5 („Neuheit“) sieht vor:

„(1) Ein Geschmacksmuster gilt als neu, wenn der Öffentlichkeit:

a)      im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird;

b)      im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag,

kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.

(2) Geschmacksmuster gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden.“

6.        Art. 6 („Eigenart“) sieht vor:

„(1) Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, und zwar:

a)      im Fall nicht eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag, an dem das Geschmacksmuster, das geschützt werden soll, erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird,

b)      im Fall eingetragener Gemeinschaftsgeschmacksmuster vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag.

(2) Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt.“

7.        Die Begriffe „Gesamteindruck“ des Musters und „Gestaltungsfreiheit“ des Entwerfers finden sich, neben Art. 6, auch in Art. 10 der Verordnung („Schutzumfang“). Dieser bestimmt:

„(1) Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt.

(2) Bei der Beurteilung des Schutzumfangs wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung seines Geschmacksmusters berücksichtigt.“

8.        Art. 25 („Nichtigkeitsgründe“) der Verordnung sah in der für den Sachverhalt dieser Streitigkeit geltenden Fassung Folgendes vor:

„(1) Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster kann nur dann für nichtig erklärt werden:

a)      wenn kein Geschmacksmuster im Sinne von Artikel 3 Buchstabe a) vorliegt,

b)      wenn es die Voraussetzungen der Artikel 4 bis 9 nicht erfüllt,

c)      wenn dem Inhaber des Rechts infolge einer Gerichtsentscheidung kein Recht an dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster im Sinne von Artikel 14 zusteht,

d)      wenn das Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit einem älteren Geschmacksmuster kollidiert, das der Öffentlichkeit nach dem Anmeldetag oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, nach dem Prioritätstag des Gemeinschaftsgeschmacksmusters zugänglich gemacht wurde und das seit einem vor diesem Tag liegenden Zeitpunkt durch ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster oder durch die Anmeldung eines solchen oder durch ein eingetragenes Geschmacksmusterrecht eines Mitgliedstaats oder durch die Anmeldung eines solchen geschützt ist,

...“

9.        Die gerichtliche Nachprüfung der Entscheidungen des HABM im Bereich der Geschmacksmuster ist in Art. 61 („Klage beim Gerichtshof“) der Verordnung geregelt, der vorsieht:

„(1) Die von den Beschwerdekammern getroffenen Entscheidungen sind mit der Klage beim Gerichtshof anfechtbar.

(2) Die Klage kann auf die Behauptung der Unzuständigkeit, der Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften, der Verletzung des Vertrages, dieser Verordnung und einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder auf Ermessensmissbrauch gestützt werden.

(3) Der Gerichtshof kann die angefochtene Entscheidung aufheben oder abändern.

...“

II – Sachverhalt und Verfahren vor dem HABM

10.      Am 17. Juli 2003 meldete die Gesellschaft Grupo Promer Mon-Graphic, SA (im Folgenden: Promer) beim HABM ein Gemeinschaftsmuster an, das sich auf ein als „Metallblech für Spiele“ beschriebenes Erzeugnis(6) bezog. Das Muster wurde unter der Nr. 53186-01 eingetragen. Grafisch wird das Muster wie folgt wiedergegeben:

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11.      In der Anmeldung wurde die Priorität des spanischen Geschmacksmusters Nr. 157098, das bereits am 8. Juli 2003 angemeldet worden war, in Anspruch genommen.

12.      Am 9. September 2003 meldete die Gesellschaft PepsiCo beim HABM ein unter der Nr. 74463-01 eingetragenes Muster an, das sich auf ein als „Werbeartikel für Spiele“ („promotional item for games“) bezeichnetes Erzeugnis bezog. Auch in diesem Fall wurde die Priorität eines spanischen Musters mit der Nr. 157156 in Anspruch genommen, das bereits am 23. Juli 2003 angemeldet worden war. Grafisch wird das Muster wie folgt wiedergegeben:

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13.      Die beiden Muster bezogen sich jeweils auf kleine Sammelspielgegenstände für Kinder, die oft in Verpackungen anderer Erzeugnisse als Geschenk verteilt werden. Es handelt sich um sogenannte pogs (im Spanischen im Allgemeinen als tazos bezeichnet).

14.      Am 4. Februar 2004 reichte Promer bei der Nichtigkeitsabteilung des HABM einen Antrag auf Nichtigerklärung des für PepsiCo eingetragenen Musters ein, in dem sie sich auf eine Kollision mit einem älteren Geschmacksmuster gemäß Art. 25 Nr. 1 Buchst. d der Verordnung berief. Die Nichtigkeitsabteilung gab dem Antrag mit Entscheidung vom 20. Juni 2005 statt und erklärte infolgedessen das für PepsiCo eingetragene Muster für nichtig. Nach Ansicht der Nichtigkeitsabteilung wiesen die beiden kollidierenden Muster Ähnlichkeiten auf, die beim informierten Benutzer einen identischen Gesamteindruck erweckten.

15.      PepsiCo legte bei der Beschwerdekammer eine erfolgreiche Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein. Die Beschwerdekammer stellte insbesondere fest, dass nach der Verordnung bei der Beurteilung des Gesamteindrucks eines kollidierenden Musters die Gestaltungsfreiheit, über die der Entwerfer bei der Entwicklung des Geschmacksmusters verfüge, zu berücksichtigen sei. Die Nichtigkeitsabteilung war im vorliegenden Fall von einer weiten Gestaltungsfreiheit ausgegangen, da sie als Referenzrahmen das gesamte, offenkundig sehr reichhaltige Spektrum an möglichen Werbeartikeln berücksichtigt hatte. Nach Ansicht der Beschwerdekammer hingegen ist im vorliegenden Fall der eingeschränktere Bezugsrahmen der pogs (oder tazos) heranzuziehen. Angesichts der Tatsache, dass Elemente wie die runde Form für diese Erzeugnisse obligatorisch seien, da sie ein fester Bestandteil eben dieser Erzeugnisse seien, sei die tatsächliche Gestaltungsfreiheit des Entwerfers viel stärker eingeschränkt als von der Nichtigkeitsabteilung angenommen. Angesichts dessen gelangte die Beschwerdekammer zu der Erkenntnis, dass die, wenn auch begrenzten, Unterschiede zwischen den beiden kollidierenden Mustern genügten, um auszuschließen, dass diese bei einem informierten Benutzer denselben Gesamteindruck hervorriefen. Die Beschwerdekammer hob infolgedessen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und bestätigte die Gültigkeit des für PepsiCo eingetragenen Musters.

III – Angefochtenes Urteil

16.      Promer erhob gegen die Entscheidung der Beschwerdekammer Klage vor dem Gericht, das darüber mit Urteil vom 18. März 2010, Grupo Promer Mon Graphic/HABM – PepsiCo (T-9/07), entschieden hat (im Folgenden: angefochtenes Urteil)(7).

17.      Im angefochtenen Urteil ist das Gericht den rechtlichen Erwägungen der Beschwerdekammer weitgehend gefolgt. Insbesondere hat es bestätigt, dass der Begriff „Kollision“ zwischen Mustern im Sinne von Art. 25 der Verordnung voraussetze, dass diese beim informierten Verbraucher denselben Gesamteindruck erweckten(8). Ferner hat es bestätigt, dass Referenzrahmen für die Ermittlung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers nicht die Gesamtheit aller Werbeartikel sei, sondern ganz konkret die pogs(9), mit der Folge, dass die tatsächliche Gestaltungsfreiheit des Entwerfers eher begrenzt sei.

18.      Nach Ansicht des Gerichts wäre es jedoch selbst innerhalb dieser engen Grenzen, die der Kreativität des Entwerfers bei der Entwicklung neuer Muster für pogs gezogen seien, möglich gewesen, bei dem für PepsiCo eingetragenen Muster ein höheres Maß an Differenzierung gegenüber dem für Promer eingetragenen Muster walten zu lassen. Insbesondere hat das Gericht in den Randnrn. 79 bis 81 des angefochtenen Urteils Folgendes festgestellt (Hervorhebung nur hier):

„79      [B]eide fraglichen Geschmacksmuster ?sind? mit einem konzentrischen Kreis versehen, dessen Radius etwa ein Drittel kürzer ist als derjenige des durch den äußeren Rand der Scheibe gebildeten Kreises. In Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer diese Ähnlichkeit unter Hinweis darauf angeführt, dass dieser Kreis die Vorstellung vermitteln solle, dass der zentrale Teil leicht erhaben sei. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieser zentrale Teil auch durch eine andere Form als einen Kreis hätte begrenzt werden können. Dies wird dadurch belegt, dass mit dem streitigen Geschmacksmuster seiner Anmeldung zufolge, die sich in den dem Gericht übermittelten Akten des HABM befindet, die Priorität des mit drei Varianten versehenen spanischen Geschmacksmusters Nr. 157156 in Anspruch genommen wird und dass dieser erhabene zentrale Teil je nach Variante durch einen Kreis, ein Dreieck oder ein Sechseck begrenzt wird. Dieser Befund kann auch nicht durch das vom HABM in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument, dass die Form einfach sein müsse, damit das die Scheibe möglicherweise bedeckende Bild nicht verzerrt werde, in Frage gestellt werden, da eine dreieckige, sechseckige, quadratische oder ovale Form ebenso wenig zu einer Verzerrung des Bildes geführt hätte wie eine runde Form. Auch das Argument des HABM, für eine Wölbung dieses erhabenen zentralen Teils bedürfe es der Kreisform, kann dieser Befund nicht in Frage stellen, da diese Wölbung etwa auch mit einer ovalen Form hätte erreicht werden können.

80      ?D?ie fraglichen Geschmacksmuster ?weisen? insoweit eine Ähnlichkeit auf, als der gekrümmte Rand der Scheibe im Verhältnis zu dem zwischen Rand und erhabenem zentralen Teil befindlichen Zwischenteil erhaben ist.

81      ?D?ie fraglichen Geschmacksmuster ?sind? in den jeweiligen Proportionen des erhabenen zentralen Teils und des zwischen Rand und erhabenem zentralen Teil befindlichen Zwischenteils ähnlich.“

19.      Angesichts dieser Feststellungen hat das Gericht die Unterschiede zwischen den kollidierenden Geschmacksmustern für nicht ausreichend erachtet, um beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck zu erwecken(10) und hat infolgedessen die Entscheidung der Beschwerdekammer aufgehoben.

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

20.      Das vorliegende Rechtsmittel ist am 4. Juni 2010 bei der Kanzlei eingegangen. PepsiCo, die Rechtsmittelführerin, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben;

–        die von der Klägerin vor dem Gericht erhobene Klage endgültig abzuweisen oder, hilfsweise, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen;

21.      Promer, die Klägerin im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen;

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.

22.      Das HABM ist dem Verfahren zur Unterstützung der Rechtsmittelführerin beigetreten und beantragt, dem Rechtsmittel stattzugeben.

23.      Die Beteiligten haben in der Sitzung vom 10. März 2011 mündlich verhandelt.

V –    Zum Rechtsmittel

24.      Die Rechtsmittelführerin stützt das Rechtsmittel auf einen einzigen Rechtsmittelgrund, der fünf Teile umfasst, die im Folgenden der Reihe nach zu prüfen sein werden.

A –    Zum ersten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes: Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers

1.      Vorbringen der Parteien

25.      Im ersten Teil des Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe den Grundsatz, dass bei der Gegenüberstellung zweier kollidierender Muster die möglichen Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers zu berücksichtigen seien, falsch angewandt. Auch wenn das Gericht zu Recht angenommen habe, dass diese Grenzen im vorliegenden Fall eher eng und die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers begrenzt seien, habe es sodann als Ähnlichkeitskriterien, die geeignet seien, eine überaus große Ähnlichkeit der beiden Muster zu begründen, charakteristische Merkmale aller pogs, d. h. Merkmale, die, so die Rechtsmittelführerin, nicht anders hätten beschaffen sein können, herangezogen. Diese seien die Kreisform des zentralen Teils, der erhabene Rand und die jeweiligen Proportionen des zentralen Teils und des Zwischenteils der Scheibe. Hierbei handle es sich um drei Bestandteile, die für Gegenstände der Bezugskategorie typisch und durch die ureigene Funktion der Erzeugnisse bedingt seien. Darüber hinaus sei die Kreisform des zentralen Teils notwendig, damit die pogs einen Ton von sich gäben, wenn sie mit einem Finger gedrückt würden(11).

26.      Das HABM schließt sich dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin an, wenn auch in leicht abgewandelter Form. Insbesondere sei die Kreisform des zentralen Teils, wenn schon nicht unter funktionellen Aspekten zwingend, so doch durch den Markt, auf dem sie für diese Art von Erzeugnissen allgemein verbreitet sei und verwendet werde, vorgegeben. Folglich stelle sie eine Begrenzung der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers des Musters dar.

27.      Promer tritt dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin entgegen und macht geltend, dass dadurch lediglich die Tatsachenfeststellungen des Gerichts in Frage gestellt werden sollten.

2.      Würdigung

28.      Der erste Teil des Rechtsmittelgrundes berührt eines der Kernelemente der Gemeinschaftsregelung im Bereich der Muster, nämlich die Frage, welche Rolle der Freiheit, über die der Entwickler unter kreativen Aspekten tatsächlich verfügt, zukommt. Wie bereits bei den Ausführungen zum rechtlichen Rahmen dargelegt, spricht die Verordnung sowohl in Art. 6 betreffend die Eigenart von Mustern als auch in Art. 10 betreffend den Schutzumfang auf die Grenzen der Gestaltungsfreiheit an: Beide Vorschriften besagen, dass „?b?ei der Beurteilung der Eigenart ... der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt“ wird.

29.      Die Notwendigkeit, die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers zu berücksichtigen, wird nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass bestimmte Merkmale des Erzeugnisses, auf die sich das Geschmacksmuster bezieht, sozusagen „zwingend“ sind: Folglich verfügt der Entwerfer in dieser Hinsicht nicht über einen Änderungsspielraum, und ihre Ähnlichkeit mit den Merkmalen eines anderen Musters kann nicht als wesentlich erachtet werden. So stellt beispielsweise bei zwei Mustern, die sich auf zwei Küchentische beziehen, üblicherweise der Umstand, dass beide Muster einen Tisch mit vier Beinen vorsehen, kein wesentliches Merkmal dar, da die vier Tischbeine ein für die allermeisten Küchentische charakteristisches Merkmal sind. Im Fall von Mustern, bei denen die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers erheblich begrenzt ist, können grundsätzlich auch geringfügige Unterschiede ausreichen, um einen anderen Gesamteindruck hervorzurufen.

30.      Ein Punkt, der zu klären sein wird und der in der Verordnung nicht beantwortet wird, bezieht sich auf die Art der zu berücksichtigenden Begrenzungen der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers. Wie bereits bei den Ausführungen zum Vorbringen der Parteien gezeigt wurde, gibt es im Wesentlichen zwei Lösungsansätze. Man kann die Ansicht vertreten, dass nur die streng funktionellen Begrenzungen zu berücksichtigen sind, d. h. die Merkmale, über die das Erzeugnis, auf das sich das Muster bezieht, verfügen muss, um seine Funktion erfüllen zu können. Diese Auffassung wurde implizit vom Gericht zugrunde gelegt und von der Rechtsmittelführerin nicht bestritten, die ihr eigenes Vorbringen hierauf gestützt hat. Nach Ansicht des HABM sind jedoch auch die Merkmale des Geschmacksmusters zu berücksichtigen, die zwar nicht unter funktionellen Gesichtspunkten, jedoch insoweit, als der Markt erwarte, dass die Erzeugnisse sie aufweisen, zwingend seien: Im vorliegenden Fall sei ein solches Merkmal die Kreisform des zentralen Teils der pogs(12). Folglich, so das HABM, sei auch eine solche Beschränkung zu berücksichtigen.

31.      Angesichts der Tatsache, dass das vom Gericht zugrunde gelegte Verständnis der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers nicht bestritten worden ist, muss sich der Gerichtshof nicht zwingend zu diesem Aspekt äußern. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass hier meiner Ansicht nach dem auf die Funktion abstellenden Ansatz zu folgen ist, wie es auch das Gericht im angefochtenen Urteil getan hat. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass im Sinne der Verordnung nur jene Begrenzungen der Gestaltungsfreiheit zu berücksichtigen sind, die durch die Notwendigkeit, dass das Produkt eine bestimmte Funktion erfüllt, bedingt sind: z. B. im Fall der pogs der Umstand, dass diese keine spitzen Kanten haben, die für Kinder gefährlich sein könnten.

32.      Andererseits sind mögliche „Standardmerkmale“, die der Markt erwartet, die jedoch nicht technisch notwendig sind, nicht als Begrenzungen der Freiheit des Entwerfers zu berücksichtigen. Grund hierfür ist der Zweck, den die Vorschriften über den Schutz von Geschmacksmustern verfolgen. Hauptzweck dieser Vorschriften ist nämlich, die Entwicklung innovativer Erzeugnisse durch ein Schutzsystem zu belohnen. Die Annahme, dass eine bloße Markterwartung die erzwungene Einheitlichkeit rechtfertigen könne, weil bestimmte Merkmale eines Geschmacksmusters unveränderbar seien, widerspricht dem eindeutig.

33.      Bestätigt werden die Ausführungen in Nr. 32 durch eine Prüfung der vorbereitenden Arbeiten, auch wenn diese nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs(13) nicht entscheidend ist. Der Kommentar zu Art. 11 des von der Kommission am 3. Dezember 1993 vorgelegten Vorschlags für eine Verordnung(14), der dem heutigen Art. 10 entspricht, lautet: „Hochfunktionelle Muster, bei denen der Entwerfer gegebene Parameter beachten muss, sind wahrscheinlich ähnlicher als Muster, bei deren Gestaltung der Entwerfer völlige Freiheit genießt. Daher legt Absatz 2 auch den Grundsatz fest, dass der Freiheitsgrad des Entwerfers berücksichtigt werden muss, wenn die Ähnlichkeit zwischen einem älteren und einem jüngeren Muster beurteilt wird“ (Hervorhebung nur hier). Man spricht also von funktionellen Merkmalen: Auch die anderen Sprachversionen des Vorschlags gehen in diese Richtung(15).

34.      Als Zwischenergebnis bleibt der Umstand festzuhalten, dass die Feststellung, welchen Beschränkungen die Kreativität des Entwerfers im konkreten Einzelfall unterliegt, eindeutig eine Tatsachenwürdigung darstellt, die im Rahmen eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung des Gerichts, mit Ausnahme von Tatsachenverfälschungen, nicht der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt.

35.      In dem hier zu prüfenden Fall ist meiner Ansicht nach nicht von der Hand zu weisen, dass die Argumente der Rechtsmittelführerin lediglich darauf abzielen, die Tatsachenwürdigung des erstinstanzlichen Gerichts in Frage zu stellen. So beanstandet PepsiCo im Wesentlichen, dass das Gericht zu Unrecht die Modifizierbarkeit einiger Aspekte des Musters durch den Entwerfer festgestellt habe. Diese Aspekte seien jedoch zwingend und nicht modifizierbar. Es ist jedoch klar, dass die auf ein konkretes Muster bezogene Würdigung der Aspekte, die nicht der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers unterliegen, eine Tatsachenwürdigung darstellt. Der Gerichtshof ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht befugt, die Würdigungen des Gerichts in Frage zu stellen. Das Gericht hat festgestellt, dass pogs ihre eigene Natur und ihre eigenen Merkmale behalten, auch wenn sie insbesondere über einen zentralen Teil verfügen, der dreieckiger, sechseckiger, quadratischer oder sogar ovaler Form ist: Es ist nicht Aufgabe des Gerichtshofs, diese Würdigungen neu zu bewerten.

36.      Daher ist meiner Ansicht nach der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes für unzulässig zu erklären.

B –    Zum zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes: Begriff des „informierten Benutzers“

1.      Vorbringen der Parteien

37.      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin hat das Gericht bei der Frage, welches das für die Bewertung der Wirkung der kollidierenden Muster maßgebliche Publikum ist, nicht den in der Verordnung vorgesehenen „informierten Benutzer“ herangezogen, sondern vielmehr den „Durchschnittsverbraucher“, auf den hinsichtlich der Folgen der Anwendung der in der Gemeinschaftsmarkenverordnung enthaltenen Vorschriften abzustellen sei. Dies gehe insbesondere aus den Randnrn. 82 und 83 des angefochtenen Urteils hervor, in dem das Gericht Folgendes festgestellt hat (Hervorhebung nur hier):

„82       In Ermangelung einer irgendwie gearteten besonderen Vorgabe für den Entwerfer betreffen die ... aufgeführten Ähnlichkeiten Bestandteile, in Bezug auf die für den Entwerfer Gestaltungsfreiheit bei der Entwicklung des streitigen Geschmacksmusters bestand. Folglich werden diese Bestandteile die Aufmerksamkeit des informierten Benutzers erwecken, und zwar umso mehr, als die oben liegenden Flächen, wie die Streithelferin selbst hervorgehoben hat, im vorliegenden Fall für diesen Benutzer am sichtbarsten sind.

83       ... Es ist jedoch festzustellen, dass diese Wölbung, da sie angesichts der geringen Dicke der Scheiben selbst sehr schwach ausgeprägt ist, vom informierten Benutzer insbesondere von oben betrachtet nicht leicht wahrgenommen werden kann, was durch die tatsächlich vertriebenen Erzeugnisse, wie sie in den dem Gericht übermittelten Akten des HABM dargestellt werden, bestätigt wird.“

38.      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin hat das Gericht, obwohl es auf den informierten Benutzer und nicht auf den Durchschnittsverbraucher abgestellt hat, in Wirklichkeit Letzteren als Bezugspunkt gewählt. Dies zeige sich insbesondere in den hervorgehobenen Formulierungen in den Randnrn. 82 und 83: Mit diesen zeige das Gericht, dass es den Umstand, dass der informierte Benutzer weniger „oberflächlich“ sei als der Durchschnittsverbraucher, nicht berücksichtigt habe. Es greife folglich zu kurz, wenn man lediglich die besser sichtbaren Bestandteile des Erzeugnisses (in Randnr. 82) und die leichter wahrnehmbaren Unterschiede zwischen den kollidierenden Mustern (in Randnr. 83) berücksichtige. Der informierte Benutzer sei vielmehr sehr wohl in der Lage, auch weniger offensichtliche Unterschiede und Unterschiede, die sich auf wenig sichtbare Teile der durch die kollidierenden Muster gekennzeichneten Erzeugnisse bezögen, wahrzunehmen.

39.      Das HABM schließt sich dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin an und stellt ergänzend fest, dass sich das Gericht zu Unrecht in die Position eines Verbrauchers versetzt habe, der sich an die kollidierenden Muster erinnere, statt von einem Verbraucher auszugehen, der diese direkt kaufe. Der Vergleich auf der Grundlage einer Erinnerung sei typisch für Marken, aber im Bereich der Geschmacksmuster sei eher ein direkter Vergleich der durch die kollidierenden Muster gekennzeichneten Erzeugnisse vorzunehmen.

2.      Würdigung

40.      Der Rechtsmittelgrund ist meiner Ansicht nach teilweise unzulässig und teilweise unbegründet.

41.      So hat das Gericht zunächst für das maßgebliche Publikum zu Recht nicht auf den „Durchschnittsverbraucher“, sondern, wie in der Verordnung vorgesehen, auf den „informierten Benutzer“ abgestellt. Dies geht ausdrücklich aus dem angefochtenen Urteil hervor, und es gibt keinen Anhaltspunkt für eine gegenteilige Annahme.

42.      Das Problem besteht darin, dass die Verordnung bekanntermaßen den Begriff des „informierten Verbrauchers“ nicht definiert. So sind in Ermangelung gerichtlicher Entscheidungen, die dieses Konzept klarstellen, einige Ungewissheiten möglich.

43.      Es ist klar, dass der informierte Benutzer, von dem in der Verordnung die Rede ist, nicht der Durchschnittsverbraucher ist, auf den bei der Anwendung der Markenvorschriften abzustellen ist und von dem keine speziellen Kenntnisse erwartet werden und der im Allgemeinen keinen direkten Vergleich zwischen den kollidierenden Marken anstellt. Es handelt sich bei ihm jedoch auch nicht um die branchenkundige Person, auf die bei der Bewertung des erfinderischen Charakters eines Patents abgestellt wird. Man kann sagen, dass die Figur des informierten Benutzers zwischen den beiden vorgenannten Figuren steht. Es handelt sich bei ihm also nicht um einen allgemeinen Verbraucher, der auch rein zufällig und ohne spezielle Kenntnisse mit dem durch ein bestimmtes Geschmacksmuster charakterisiertem Erzeugnis in Kontakt kommen könnte. Es handelt sich jedoch auch nicht um einen Fachmann, der über profunde technische Kompetenzen verfügt.

44.      Die Prüfung der vorbereitenden Arbeiten zur Verordnung bestätigt diese Qualifikation als „Zwischenfigur“. Im Kommentar zu Art. 6 Nr. 1 des Vorschlags(16) hat die Kommission Folgendes festgestellt:

„Die Person, bei der der Gesamteindruck der Unähnlichkeit hervorgerufen werden muss, ist der ‚informierte Benutzer‘. Das kann der Endverbraucher sein, ist es aber nicht zwangsläufig; ihm kann die Erscheinungsform beispielsweise eines Teils im Inneren einer Maschine oder eines im Verlaufe einer Reparatur ersetzten mechanischen Bauteils völlig unbekannt sein. In solchen Fällen ist der ‚informierte Benutzer‘ die Person, die das Teil ersetzt. Je nach der Art des Musters wird ein gewisses Maß an Kenntnissen oder Designbewusstsein vorausgesetzt. Der Begriff ‚informierter Benutzer‘ soll aber auch aufzeigen, dass die Ähnlichkeit nicht auf der Ebene von ‚Designexperten‘ zu beurteilen ist.“

45.      Das Gericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht auf den informierten Benutzer als Bezugspunkt bei der Bewertung der im vorliegenden Fall kollidierenden Muster abgestellt. Und es hat hierbei, wie zu betonen ist, die Feststellung der Beschwerdekammer übernommen, wonach es sich beim informierten Benutzer der pogs sowohl um ein Kind im Alter von 5 bis 10 Jahren (Endverbraucher des Erzeugnisses) als auch um „einen Marketingleiter einer Gesellschaft handeln ?könne?, der diese Art von Erzeugnissen zur Werbung für seine eigenen Erzeugnisse verwendet“(17). Das Gericht hat ferner festgestellt, dass dem informierten Benutzer „eine besondere Wachsamkeit eigen ?ist? und er ... über eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik ?verfügt?, d. h. vom Formenschatz der sich auf das fragliche Erzeugnis beziehenden Geschmacksmuster, die am Anmeldetag des streitigen Geschmacksmusters oder gegebenenfalls an dem in Anspruch genommenen Prioritätstag zugänglich waren“(18).

46.      Die Feststellungen des Gerichts zu Natur und Merkmalen des informierten Benutzers im Bereich der Geschmacksmuster sind also zutreffend, da diese Figur sowohl von einem allgemeinen Verbraucher als auch von einem Branchenexperten korrekt unterschieden und abgegrenzt wurde. Die Tatsache, dass das Gericht in dem konkreten Fall dem Konzept des „doppelten“ informierten Benutzers gefolgt ist, das sowohl das Kind als Endverbraucher als auch den Geschäftsführer eines Unternehmens, der gegebenenfalls an der Verwendung von pogs als Werbeartikel interessiert ist, umfasst, bestätigt meiner Ansicht nach die Richtigkeit der vorgenommenen rechtlichen Würdigung und die Sorgfalt, mit der das Gericht diese Würdigung vorgenommen hat.

47.      Soweit es um die zutreffende Ermittlung des „informierten Benutzers“ geht, ist der Rechtsmittelgrund daher als unbegründet abzuweisen.

48.      Ebenso wenig wie also bei der Ermittlung des maßgeblichen Verkehrskreises Fehler des Gerichts festzustellen sind, können die vom Gericht im ersten Rechtszug getroffenen Feststellungen zur Art des Vergleichs, den der informierte Verbraucher zwischen den kollidierenden Mustern anstellen kann, beanstandet werden.

49.      Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass die Verordnung, wie auch schon das HABM festgestellt hat, zu diesem Punkt schweigt. Es könnte sich daher grundsätzlich entweder um einen indirekten Vergleich anhand einer Erinnerung handeln, so wie das im Bereich der Marken üblicherweise gehandhabt wird(19), oder um einen direkten Vergleich, der durch eine Gegenüberstellung der Erzeugnisse erfolgt.

50.      Meiner Ansicht nach sind beide Vergleichsarten im Bereich der Geschmacksmuster rechtlich möglich. Würde man systematisch die Verwendung nur einer dieser beiden Vergleichsarten verlangen und zudem etwas in die Verordnung „hineinlesen“, was diese nicht sagt, würde dies zu einer unzumutbaren Einschränkung der Befugnisse des HABM und folglich auch des Geschmacksmusterschutzes selbst führen.

51.      Es ist nämlich festzustellen, dass der direkte Vergleich der durch die kollidierenden Geschmacksmuster gekennzeichneten Erzeugnisse zwar in vielen Fällen für einen informierten Benutzer zweifellos möglich ist, man jedoch nicht ausschließen kann, dass er in bestimmten Fällen unpraktikabel ist. Ich denke hierbei beispielsweise an Muster, die sich auf Erzeugnisse beziehen, die aufgrund ihrer erheblichen Abmessungen oder wegen ihrer erforderlichen Belegenheit an weit entfernten Orten nicht allgemein einander gegenübergestellt werden können: Nicht immer kann ein informierter Benutzer beispielsweise zwei Schiffe oder zwei große Industriemaschinen direkt miteinander vergleichen. Er verfügt in einem solchen Fall vielleicht über angemessene Unterlagen, um einen solchen Vergleich vorzunehmen; nur selten wird er diesen jedoch „am Objekt“ anstellen können, und zwischen der Beurteilung der verschiedenen Geschmacksmuster kann ein gewisser Zeitraum liegen.

52.      Die Art von Vergleich, den der informierte Benutzer zwischen zwei Geschmacksmustern anstellen kann, darf daher nicht vorweg strikt bestimmt werden. Sie ist vielmehr fallweise und auf der Grundlage der Umstände und Merkmale der durch die kollidierenden Geschmacksmuster gekennzeichneten Erzeugnisse zu beurteilen. Die Natur des informierten Benutzers an sich bedingt, dass dieser, soweit möglich, einen direkten Vergleich zwischen den Erzeugnissen vornimmt. In Fällen, in denen dies jedoch unmöglich oder wenig realistisch ist, ist auf einen Vergleich zurückzugreifen, der zwar nicht nur auf unbestimmten Erinnerungen, wie dies bei Marken der Fall ist, basiert, sich jedoch in den konkret notwendigen Grenzen über eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Raum erstrecken kann.

53.      Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass der direkte Vergleich der pogs möglich war, da es sich um Erzeugnisse mit großer Marktverbreitung und geringer Größe handelt. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass, im Gegensatz zu dem, was die Rechtsmittelführerin und das HABM behaupten, die Lektüre des angefochtenen Urteils nicht ergibt, dass dem Gericht unter diesem Aspekt ein rechtlicher Fehler unterlaufen wäre.

54.      So hat das Gericht, entgegen dem, was insbesondere das HABM behauptet, keineswegs eine Situation vorweggenommen, in der das maßgebliche Publikum die Erzeugnisse auf der Grundlage von Erinnerungen an den durch sie hervorgerufenen Eindruck vergleicht. Im Gegenteil, die Argumentation konzentrierte sich vielmehr, wie aus den oben wiedergegebenen Randnrn. 82 und 83 des angefochtenen Urteils hervorgeht, auf die Bestandteile, die in der Lage sind, „die Aufmerksamkeit des informierten Benutzers zu erwecken“.

55.      Nicht von Bedeutung ist schließlich die Verwendung der Formulierung „wird der informierte Benutzer diese Ähnlichkeit im Rahmen des Gesamteindrucks, den er von den fraglichen Geschmacksmustern gewinnt, nicht wahrnehmen“ in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils. Abgesehen davon, dass das Gericht mit der Feststellung, dass bestimmte charakteristische Bestandteile der kollidierenden Geschmacksmuster nicht zu berücksichtigen seien, da sie für die Erzeugnisse dieser Kategorie typisch seien, der Argumentation der Rechtsmittelführerin gefolgt ist, ist festzustellen, dass das Gericht mit diesen Sätzen die Argumentation der Beschwerdekammer zusammengefasst und bestätigt hat. Ferner impliziert die Verwendung der vielleicht etwas unglücklichen Formulierung „wird ... nicht wahrnehmen“ (in der englischen Sprachversion „would not be remembered“) nicht zwingend, dass der Vergleich zwischen den Mustern auf der Grundlage der „Erinnerung“ vorzunehmen ist, die diese beim Publikum hinterlassen. Liest man diese Formulierung im Kontext des Urteils, ergibt sich hieraus vielmehr, dass den Ausführungen des Gerichts der Gedanke zugrunde liegt, die Bestandteile zu ermitteln, die in der Lage sind, die Aufmerksamkeit des informierten Benutzers zu erwecken. Außerdem findet sich in einigen Sprachfassungen des angefochtenen Urteils zusammen oder anstelle des Konzepts des „Erinnerns“ auch das der „Wahrnehmung“ der Ähnlichkeiten(20).

56.      Daher ist die Argumentation des Gerichts auch unter diesem Aspekt zutreffend und das Vorbringen der Rechtsmittelführerin folglich zurückzuweisen.

57.      Was jedoch schließlich die konkrete Wahrnehmung der Muster durch den informierten Benutzer ? ist dieser einmal ermittelt und die Art definiert, in der der Vergleich vorzunehmen ist – angeht, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht bei seiner Würdigung der Tatsachen völlig frei ist. Dem Gerichtshof ist es nicht gestattet, sich zu dieser Tatsachenwürdigung zu äußern. Der Rechtsmittelgrund ist daher insoweit unzulässig, als damit die insoweit vom Gericht vorgenommenen Würdigungen beanstandet werden.

58.      Daher ist meiner Ansicht nach auch der zweite Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

C –    Zum dritten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes: Grad der Aufmerksamkeit des informierten Benutzers und Umfang der gerichtlichen Nachprüfung

1.      Vorbringen der Parteien

59.      Mit dem dritten Teil ihres Rechtsmittelgrundes bringt die Rechtsmittelführerin zwei unterschiedliche Rügen vor, die getrennt zu prüfen sind.

60.      Gerügt wird zunächst, dass das Gericht bei der Ermittlung des Gesamteindrucks auf den informierten Benutzer einen Rechtsfehler begangen habe, indem es sich darauf beschränkt habe, die durch diesen informierten Benutzer leicht wahrnehmbaren Merkmale der kollidierenden Muster zu prüfen. Dies gehe insbesondere aus Randnr. 83 des angefochtenen Urteils hervor, wonach „festzustellen [ist], dass diese Wölbung, da sie angesichts der geringen Dicke der Scheiben selbst sehr schwach ausgeprägt ist, vom informierten Benutzer insbesondere von oben betrachtet nicht leicht wahrgenommen werden kann“ (Hervorhebung nur hier).

61.      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin beschränkt sich der informierte Benutzer, der die kollidierenden Muster betrachtet, nicht, wie vom Gericht angenommen, auf eine oberflächliche Prüfung, sondern nimmt eine deutlich eingehendere Analyse vor. Das angefochtene Urteil sei folglich mit einem Rechtsfehler behaftet, da es für den Vergleich der Muster unzutreffende Kriterien angewandt habe.

62.      Zweitens behauptet die Rechtsmittelführerin, dass das Gericht in Bezug auf den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung von Entscheidungen der Beschwerdekammer im Bereich der Geschmacksmuster einen Rechtsfehler begangen habe. Angesichts des hoch technischen Charakters des Bereichs der Geschmacksmuster hätte sich diese Nachprüfung auf eine Überprüfung, ob die Beschwerdekammer offensichtliche Fehler begangen habe, beschränken müssen. Im vorliegenden Fall habe das Gericht jedoch die Würdigung der Organe des HABM in vollem Umfang durch seine eigene Würdigung ersetzt.

63.      Das HABM schließt sich dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin insbesondere insoweit an, als der Umfang der gerichtlichen Nachprüfung betroffen ist.

2.      Würdigung

64.      Auch dieser Teil des Rechtsmittelgrundes ist meiner Meinung nach ebenso wie der vorgehende teilweise unzulässig und teilweise unbegründet.

a) Zum Grad der Aufmerksamkeit des informierten Benutzers

65.      Die Argumentation der Rechtsmittelführerin ist insbesondere insoweit unzulässig, als sie einerseits einen rechtlichen Fehler geltend macht, andererseits jedoch de facto versucht, die Tatsachenwürdigung des Gerichts betreffend die Wahrnehmung der kollidierenden Muster durch den informierten Benutzer in Frage zu stellen. Wie bereits zuvor festgestellt, bestehen keinerlei Zweifel daran, dass das Gericht diese Nutzerfigur zutreffend umrissen und sie in Übereinstimmung mit der Verordnung als die Bezugsperson, auf die bei der Bewertung der Muster abzustellen ist, herangezogen hat. Zu der Art, auf die der informierte Benutzer im konkreten Fall die Muster wahrnimmt, sowie zu den Eindrücken, die diese bei ihm hervorrufen, darf sich ausschließlich das Gericht äußern, da es sich um eine reine Tatsachenfrage handelt. Die Rechtsmittelführerin hat nicht darzutun vermocht, dass das Gericht des ersten Rechtszugs unzutreffende rechtliche Kriterien angewandt hat.

66.      Ebenfalls unmaßgeblich ist der Umstand, dass in Randnr. 83 des angefochtenen Urteils, unter Bezugnahme auf das Verhältnis zwischen dem informierten Benutzer und einem Muster, die Formulierung „leicht wahrnehmen“ verwendet wird. Entgegen der Argumentation der Rechtsmittelführerin impliziert dies nicht, dass das Gericht einen oberflächlichen und wenig aufmerksamen Benutzer zugrunde gelegt hat. Wie bereits erwähnt, entspricht der informierte Benutzer nicht der im Bereich der Patente herangezogenen Figur des Branchenexperten. Und es handelt sich bei ihm sicherlich auch nicht um einen „unaufmerksamen“ Durchschnittsverbraucher, auf den im Bereich der Marken Bezug genommen wird. Angesichts der Umstände spricht jedoch nichts gegen die Annahme, dass auch die Betrachtung durch einen informierten Benutzer Grenzen hat und nicht die Vornahme einer detaillierten und spezialisierten Prüfung umfasst. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den durch die kollidierenden Muster gekennzeichneten Erzeugnissen im vorliegenden Fall um kleine Spielgegenstände für Kinder im Alter von 5 bis 10 Jahren handelt, die mit anderen Erzeugnissen kostenlos als Geschenke verteilt werden. Auch eine aufmerksame Betrachtung dieser Erzeugnisse wird im Allgemeinen über eine bestimmte Prüfungsintensität und ein bestimmtes Maß an Genauigkeit nicht hinausgehen.

67.      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die angeführte Passage aus Randnr. 83 des angefochtenen Urteils in ihrem konkreten Kontext und nicht als isolierte Feststellung zu sehen ist. Wie ich bereits zum zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes ausgeführt habe, ist in diesem Zusammenhang davon auszugehen, dass das Gericht einen durchaus nicht oberflächlichen und unaufmerksamen, informierten Benutzer vor Augen hatte, auch wenn dieser nicht über die analytische Akribie verfügt, die einen Beobachter von Patenten kennzeichnet.

b) Zum Umfang der gerichtlichen Nachprüfung

68.      Der dritte Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes ist sodann insoweit für unbegründet zu erachten, als er den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung, der die Entscheidungen der Beschwerdekammer im Bereich der Muster unterzogen werden können, in Frage stellt.

69.      Die Rechtsmittelführerin und das HABM gehen, wie gesagt, davon aus, dass der Unionsrichter im Wesentlichen der ständigen Rechtsprechung in jenen Fällen, in denen die Rechtmäßigkeit von inhaltlich hoch technischen und spezialisierten Entscheidungen zu prüfen ist(21), folgen und seine Nachprüfung darauf beschränken müsse, ob offensichtliche Fehler vorlägen.

70.      Meiner Ansicht nach besteht kein Anlass, im Bereich der Muster einen anderen Ansatz als bei den Marken zu verfolgen.

71.      Zunächst möchte ich hierzu feststellen, dass die sich auf die gerichtliche Nachprüfung beziehende Bestimmung der Verordnung, Art. 61, im Wesentlichen mit der in der Markenverordnung enthaltenen Regelung identisch ist(22), die ihrerseits auf den Vorschriften der Verträge über die Nichtigkeitsklage (derzeit Art. 261 AEUV) fußt. Der Wortlaut dieser Vorschriften erlaubt somit keine abweichende Auslegung und lässt es nicht zu, im Bereich der Muster einen anderen Ansatz als den, der üblicherweise im Bereich der Marken verwendet wird, zu verfolgen. Darüber hinaus räumt Art. 61 der Verordnung dem Gemeinschaftsrichter, so wie es auch im Bereich der Marken vorgesehen ist, nicht nur die Befugnis ein, die angefochtenen Entscheidungen für nichtig zu erklären, sondern auch die Befugnis, sie abzuändern. Dies ist nur schwer mit einer „eingeschränkten“ Kontrolle dieser Entscheidungen vereinbart.

72.      Zweitens ist die Würdigung von Geschmacksmustern wie auch von Marken Aufgabe des HABM und nicht einer anderen, mit spezifischeren technischen Kompetenzen ausgestatteten Organisation.

73.      Drittens ist darauf hinzuweisen, dass der Geschmacksmusterschutz im Sinne der Verordnung bei der Feststellung einer möglichen Kollision von zwei Geschmacksmustern nur auf den visuellen Eindruck abstellt, den diese beim informierten Benutzer hervorrufen, wie das Gericht in Randnr. 50 des angefochtenen Urteils unbestritten festgestellt hat. Im Allgemeinen kommt einem visuellen Vergleich zwar eine bestimmte Erfahrung des Beobachters zugute, er erfordert jedoch keine besonderen technischen Kompetenzen oder Fähigkeiten.

74.      Das einzige Argument für eine im Vergleich zum Bereich der Marken eingeschränkte gerichtliche Nachprüfung bei Geschmacksmustern könnte in dem bereits umfassend erörterten Umstand zu sehen sein, dass Referenzfigur nicht der Durchschnittsverbraucher, sondern der informierte Benutzer ist. Dieser Unterschied reicht jedoch nicht aus, um eine gerichtliche Nachprüfung anderen Umfangs zu rechtfertigen, zumal der informierte Benutzer im Allgemeinen kein mit besonderen Kenntnissen ausgestatteter „Techniker“ ist, sondern lediglich ein etwas aufmerksamerer und interessierterer Benutzer als der Durchschnittsverbraucher, ein Benutzer also, dessen Wahrnehmungen vom Gericht auf angemessene Weise rekonstruiert werden können.

75.      Es ist natürlich, allgemeiner und abstrakter formuliert, absolut denkbar, dass der Unionsrichter die Ansicht vertritt, dass die gerichtliche Nachprüfung von Entscheidungen des HABM restriktiver zu handhaben sei, als dies derzeit der Fall ist, und infolgedessen nicht nur ausschließt, dass seine Würdigungen an die Stelle jener des HABM treten(23), sondern auch ganz allgemein allen Entscheidungen des HABM einen „technischen“ Charakter zubilligt, was zu einer Einschränkung der gerichtlichen Nachprüfung führen würde. Ein solcher Perspektivenwechsel müsste sich jedoch auf alle Entscheidungen des HABM beziehen, auch auf jene mit Markenbezug, und dürfte, wie dargelegt, nicht lediglich auf Geschmacksmuster beschränkt werden. Daher ist klar, dass an dieser Stelle kein Anlass für eine entsprechende Änderung der bestehenden Praxis besteht.

76.      Im Ergebnis sind dem Gericht somit bei der Ermittlung des Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung der Entscheidung der Beschwerdekammer keine Rechtsfehler unterlaufen.

77.      Daher ist auch der dritte Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

D –    Zum vierten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes: Überprüfung der Produkte statt der kollidierenden Geschmacksmuster

1.      Vorbringen der Parteien

78.      Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass dem Gericht insofern ein Rechtsfehler unterlaufen sei, als es seine Würdigungen betreffend die Ähnlichkeit zwischen den beiden kollidierenden Mustern auf eine körperliche Prüfung der durch diese gekennzeichneten Erzeugnisse (die pogs) gestützt habe und nicht auf einen einfachen Vergleich der in den jeweiligen Anmeldungen dargestellten Muster.

79.      Insoweit wird insbesondere auf Randnr. 83 des angefochtenen Urteils verwiesen, wonach „festzustellen ?ist?, dass diese Wölbung, da sie angesichts der geringen Dicke der Scheiben selbst sehr schwach ausgeprägt ist, vom informierten Benutzer insbesondere von oben betrachtet nicht leicht wahrgenommen werden kann, was durch die tatsächlich vertriebenen Erzeugnisse, wie sie in den dem Gericht übermittelten Akten des HABM dargestellt werden, bestätigt wird“ (Hervorhebung nur hier).

80.      Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin wären diese Unterschiede deutlich klarer ausgefallen, wenn das Gericht nicht auf die tatsächlichen Erzeugnisse, die in den Akten als Anschauungsbeispiele enthalten gewesen seien, sondern auf die grafische Wiedergabe der beiden kollidierenden Muster abgestellt hätte.

2.      Würdigung

81.      Der vierte Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes ist meiner Ansicht nach unzulässig, da auch er darauf abzielt, die Tatsachenwürdigung des Gerichts in Bezug auf die Wahrnehmung der kollidierenden Muster durch den informierten Benutzer in Frage zu stellen.

82.      Selbst wenn man davon ausgeht, dass sich das Vorbringen ausschließlich gegen die Entscheidung des Gerichts, sich nicht auf einen Vergleich der grafischen Wiedergaben zu beschränken und auch die durch die kollidierenden Muster gekennzeichneten physischen Erzeugnisse zu berücksichtigen, ist die Position der Rechtsmittelführerin jedenfalls unbegründet. So hat das Gericht seine Würdigung auf die kollidierenden Muster gestützt, wie sie in den jeweiligen Anmeldungen beschrieben und wiedergegeben waren. Der Vergleich der realen Erzeugnisse ist nur erfolgt, um die bereits vorgenommene Würdigung zu bestätigen. Dies ergibt sich unmissverständlich aus der oben zitierten Passage in Randnr. 83 des angefochtenen Urteils.

83.      Jedenfalls ist meiner Ansicht nach eine Berücksichtigung – sofern dies, wie im vorliegenden Fall, materiell möglich ist – der durch ein bestimmtes Muster gekennzeichneten Erzeugnisse völlig korrekt. Wie bereits gezeigt worden ist, setzt sich das zur Bewertung der Geschmacksmuster herangezogene maßgebliche Publikum aus den informierten Benutzern zusammen, die keine Experten sind, sondern lediglich Personen mit besonderem Interesse an den Erzeugnissen und besonderer Aufmerksamkeit für diese. Im vorliegenden Fall umfasst der Kreis der informierten Benutzer auch Kinder im Alter von 5 bis 10 Jahren. In diesem Rahmen ist es völlig korrekt, dass das Gericht die Erzeugnisse auch „wirklich“ in Augenschein genommen hat, wie sie von den informierten Benutzern gesehen und wahrgenommen werden, die, wie gesagt, in der Regel die Eintragungen der Geschmacksmuster nicht sehen, sondern lediglich deren „praktische Anwendung“ und somit die durch diese Muster gekennzeichneten Erzeugnisse. In der mündlichen Verhandlung hat es die Rechtmittelführerin selbst für zweckmäßig erachtet, dem Gerichtshof einige pogs zu zeigen, um bestimmte Aspekte ihrer Feststellungen klarzustellen.

E –    Zum fünften Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes: Tatsachenverfälschung

1.      Vorbringen der Parteien

84.      Im letzten Teil ihres Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, dass das Gericht Tatsachen verfälscht und dadurch Umstände geschaffen habe, unter denen der Gerichtshof ausnahmsweise zur Überprüfung der erstinstanzlichen Tatsachenwürdigung befugt ist.

85.      Die Tatsachenverfälschung ergebe sich aus der Gesamtheit der anderen bereits von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Ausführungen und werde durch die Entscheidung des Gerichts bestätigt, die kollidierenden Muster lediglich in der Draufsicht, ohne ausreichende Berücksichtigung der anderen Blickebenen, insbesondere der Seitenansicht, zu betrachten.

2.      Würdigung

86.      Die Rüge der Tatsachenverfälschung ist unbegründet.

87.      Wie bereits in den vorstehenden Nummern ausgeführt wurde, hat das Gericht einerseits eine genaue und erschöpfende Prüfung der kollidierenden Muster vorgenommen und dabei deren Wahrnehmung durch einen informierten Benutzer im Sinne der Verordnung berücksichtigt.

88.      Andererseits führt die Rechtsmittelführerin die angebliche, mitnichten nachgewiesene Tatsachenverfälschung als letztes „zusammenfassendes“ Argument an, um die Tatsachenwürdigungen des Gerichts, mit denen sie nicht einverstanden ist, ein weiteres Mal zu bestreiten. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Rüge der Tatsachenverfälschung angesichts ihres Ausnahmecharakters durch eine besonders schlüssige Beweisführung zu stützen ist, in der die Rechtsmittelführerin die Elemente, die verfälscht worden sein sollen, genau benennen und die Würdigungsfehler, die dem Gericht unterlaufen sein sollen, nachweisen muss(24). Die hierzu von der Rechtsmittelführerin angeführte Argumentation genügt diesen Voraussetzungen nicht.

89.      Daher ist auch der letzte Teil des Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen.

VI – Ergebnis

90.      Angesichts der obigen Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor,

–        das Rechtsmittel abzuweisen;

–        der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – Bis jetzt hat sich der Gerichtshof, mit Ausnahme von zwei Nichtigkeitsklagen der Kommission gegen zwei Mitgliedstaaten, lediglich im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, das mit Urteil vom 2. Juli 2009, FEIA (C-32/08, Slg. 2009, I-5611), abgeschlossen wurde, zu diesem Rechtsakt geäußert.


3 – Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).


4 – Für eine zusammenfassende Rekonstruktion des Gesetzgebungsverfahrens, das zum Erlass der Verordnung geführt hat, vgl. meine Schlussanträge vom 26. März 2009 in der Rechtssache FEIA (angeführt in Fn. 2, Nrn. 3 bis 5 der Schlussanträge).


5 – Lexikalisch sind die Begriffe „Muster“ und „Modell“ identisch. In einigen Sprachfassungen der Richtlinie gibt es diese sprachliche Unterscheidung im Übrigen nicht, und es wird lediglich ein einziger Begriff verwendet. Vgl. beispielsweise die deutsche („Geschmacksmuster“) und die englische Fassung („design“). Im weiteren Verlauf dieser Schlussanträge werde ich, sofern keine Gefahr der Unklarheit besteht, auch nur den Begriff „Muster“ verwenden.


6 – Im Spanischen, d. h. der Sprache, in der die Anmeldung vorgenommen wurde, „chapa metálica para juegos“.


7 – Slg. 2010, II-0000.


8 – Angefochtenes Urteil, Randnr. 52.


9 – Ebd., Randnr. 60.


10 – Ebd., Randnr. 84.


11 – Soweit der Akte zu entnehmen ist (vgl. z. B. die Randnrn. 9, sechster Absatz, und 20 der Entscheidung der Beschwerdekammer), verfügen sowohl die durch das Muster von PepsiCo als auch die durch das Muster von Promer charakterisierten pogs über diese „klangliche“ Besonderheit, die zwar nicht bei allen, aber doch bei sehr vielen auf dem Markt vorhandenen pogs anzutreffen ist.


12 – Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese runde Form nach Ansicht des HABM durch die Notwendigkeit, die pogs auf andere, bereits auf dem Markt vorhandene pogs stapeln zu können, bedingt sein soll. Man könnte sich also fragen, ob diese Notwendigkeit, so sie überhaupt besteht (das Gericht hat dies verneint), nicht, wie das HABM meint, einfach nur vom Markt verlangt wird, sondern angesichts der Tatsache, dass ein Erzeugnis mit anderen, bereits im Handel befindlichen Erzeugnissen kompatibel gemacht werden soll, in Wirklichkeit funktioneller Natur ist.


13 – Vgl. z. B. Urteile vom 8. Juni 2000, Epson Europe (C-375/98, Slg. 2000, I-4243, Randnr. 26), vom 25. Oktober 2001, Finalarte u. a. (C‑49/98, C‑50/98, C‑52/98 bis C‑54/98 und C‑68/98 bis C‑71/98, Slg. 2001, I‑7831, Randnr. 40), und vom 24. Januar 2002, Portugaia Construções (C‑164/99, Slg, 2002, I‑787, Randnr. 27).


14 – KOM(93) 342 endg. (ABl. 1994, C 29, S. 20).


15 – Vgl. beispielsweise die französische: „des dessins ou modèles extrêmement fonctionnels pour lesquels le créateur doit respecter des paramètres précis“, die englische: „highly functional designs where the designer must respect given parameters“, die deutsche: „hochfunktionelle Muster, bei denen der Entwerfer gegebene Parameter beachten muss“.


16 – Siehe oben, Fn. 14.


17 – Angefochtenes Urteil, Randnr. 64.


18 – Angefochtenes Urteil, Randnr. 62.


19 – Vgl. Urteil vom 22. Juni 1999, Lloyd Schuhfabrik Meyer (C‑342/97, Slg. 1999, I‑3819, Randnr. 26).


20 – Vgl. beispielsweise die französische Fassung: „cette similitude ne sera pas retenue par l’utilisateur averti dans l’impression globale des dessins ou modèles en cause“; die deutsche: „wird der informierte Benutzer diese Ähnlichkeit im Rahmen des Gesamteindrucks, den er von den fraglichen Geschmacksmustern gewinnt, nicht wahrnehmen“; die spanische: „el usuario informado no apreciará tal semejanza en la impresión general de los dibujos o modelos controvertidos“; die niederländische: „de geïnformeerde gebruiker, wat de door deze modellen gewekte algemene indruk betreft, niet op deze gelijkenis zal letten“ (Hervorhebung nur hier).


21 – Die einschlägige Rechtsprechung ist klar. Hier sind beispielsweise die Fälle zu nennen, in denen die angefochtene Entscheidung komplexe, wirtschaftliche Würdigungen enthält: Vgl. Urteil vom 2. September 2010, Kommission/Scott (C‑290/07 P, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Bereich des geistigen Eigentums hat sich der Gerichtshof in Bezug auf Pflanzensorten ähnlich geäußert: Vgl. Urteil vom 15. April 2010, Schräder/OCVV (C‑38/09 P, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 77).


22 – Art. 65 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung) (ABl. L 78, S.1), der identisch ist mit Art. 63 der älteren Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1).


23 – Vgl. in diesem Sinne bereits Urteil vom 18. Juli 2006, Rossi/HABM (C‑214/05 P, Slg. 2006, I‑7057, Randnr. 50).


24 – Urteil vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C 219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 50), und Beschluss vom 16. Dezember 2004, APOL und AIPO/Kommission (C‑222/03 P, Randnr. 40).