Language of document : ECLI:EU:C:2009:772

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 10. Dezember 2009(1)

Rechtssache C‑346/08

Europäische Kommission

gegen

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland

„Richtlinie 2001/80/EG – Umweltbelastungen – Feuerungsanlagen – Begrenzung von bestimmten Schadstoffemissionen in die Luft – Verwendung von Strom bei der Erzeugung von Aluminium“





I –    Einführung

1.        Die Kommission und das Vereinigte Königreich streiten darüber, ob ein Kohlekraftwerk, das Elektrizität für die Erzeugung von Aluminium herstellt, die Grenzwerte der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft(2) einhalten muss. Dabei geht es um den Ausstoß von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Staub.

2.        Konkret ist zu klären, ob elektrischer Strom ein Verbrennungsprodukt ist, da die Richtlinie nicht für Großfeuerungsanlagen gilt, deren Verbrennungsprodukte unmittelbar bei einem Herstellungsverfahren eingesetzt werden.

II – Rechtlicher Rahmen

3.        Nach Art. 1 gilt die Richtlinie 2001/80 für Feuerungsanlagen, deren Feuerungswärmeleistung 50 MW oder mehr beträgt, unabhängig davon, welche Art von Brennstoff (fest, flüssig oder gasförmig) darin verfeuert wird.

4.        Eine Feuerungsanlage ist nach Art. 2 Nr. 7 Satz 1 jede technische Einrichtung, in der Brennstoffe im Hinblick auf die Nutzung der dabei erzeugten Wärme oxidiert werden.

5.        Zum Anwendungsbereich der Richtlinie hält Art. 2 Nr. 7 Sätze 2 bis 4 weiterhin fest:

„Diese Richtlinie betrifft nur Feuerungsanlagen zum Zwecke der Energieerzeugung mit Ausnahme derjenigen, die Verbrennungsprodukte unmittelbar bei Herstellungsverfahren verwenden. Insbesondere gilt diese Richtlinie nicht für folgende Feuerungsanlagen:

a)      Anlagen, in denen die Verbrennungsprodukte unmittelbar zum Erwärmen, zum Trocknen oder zu einer anderweitigen Behandlung von Gegenständen oder Materialien verwendet werden, z. B. Wärmöfen, Wärmebehandlungsöfen;

b)      Nachverbrennungsanlagen, d. h. technische Einrichtungen, die dafür ausgelegt sind, die Abgase durch Verbrennung zu reinigen, und die nicht als unabhängige Feuerungsanlagen betrieben werden;

c)      Einrichtungen zum Regenerieren von Katalysatoren für katalytisches Kracken;

d)      Einrichtungen für die Umwandlung von Schwefelwasserstoff in Schwefel;

e)      in der chemischen Industrie verwendete Reaktoren;

f)      Koksöfen;

g)      Winderhitzer (cowpers);

h)      technische Geräte, die zum Antrieb von Fahrzeugen, Schiffen oder Flugzeugen eingesetzt werden;

i)      Gasturbinen, die auf Offshore-Plattformen eingesetzt werden;

j)      Gasturbinen, für die die Genehmigung vor dem 27. November 2002 erteilt wurde oder die nach Auffassung der zuständigen Behörde vor dem 27. November 2002 Gegenstand eines umfassenden Genehmigungsantrags sind, sofern die Anlage bis zum 27. November 2003 in Betrieb genommen wird, unbeschadet des Art. 7 Abs. 1 sowie des Anhangs VIII Abschnitte A und B.

Ferner fallen Anlagen, die von Diesel-, Benzin- oder Gasmotoren angetrieben werden, nicht unter diese Richtlinie.“

III – Sachverhalt, Verfahren und Anträge

6.        Ein Aluminiumhersteller betreibt seit Längerem in Lynemouth an der Ostküste Englands ein Kohlekraftwerk. Die Stromerzeugung wird fast vollständig zur Herstellung von Aluminium durch Schmelzflusselektrolyse (sog. Hall-Héroult-Prozess) im benachbarten Werk eingesetzt. Nur ungefähr 9 % der Stromproduktion werden in das Stromnetz eingespeist.

7.        Spätestens seit Anfang 2006 wendet das Vereinigte Königreich die Richtlinie 2001/80 auf dieses Kraftwerk nicht mehr an. Die Kommission vertritt dagegen die Auffassung, das Kraftwerk unterliege den Anforderungen der Richtlinie. Dies hat sie dem Vereinigten Königreich unter dem Datum des 29. Juni 2007 mit einer Aufforderung zur Stellungnahme („Mahnschreiben“) mitgeteilt. Das Vereinigte Königreich gab seine Position in der Antwort vom 31. August 2007 nicht auf. Daher erließ die Kommission am 23. Oktober 2007 eine begründete Stellungnahme. Darin setzte sie eine letzte Frist von zwei Monaten, um ihren Beanstandungen abzuhelfen.

8.        Da das Vereinigte Königreich in der Antwort vom 21. Dezember 2007 seine Haltung beibehielt, erhob die Kommission am 25. Juli 2008 die vorliegende Klage. Sie beantragt,

festzustellen, dass das Vereinigte Königreich dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft verstoßen hat, dass es sich weigert, diese Richtlinie auf das Kraftwerk Lynemouth anzuwenden;

dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland die Kosten aufzuerlegen.

9.        Das Vereinigte Königreich beantragt,

die Klage abzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

IV – Würdigung

10.      Das Kraftwerk Lynemouth muss die Grenzwerte für bestehende Anlagen beachten, wenn es unter die Richtlinie fällt. Es handelt sich um eine Feuerungsanlage mit einer Feuerungswärmeleistung über 50 MW im Sinne von Art. 1 und Art. 2 Nr. 7 Satz 1 der Richtlinie 2001/80.

11.      Die Anwendung der Richtlinie setzt jedoch nach Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 außerdem voraus, dass das Kraftwerk eine Feuerungsanlage zum Zweck der Energieerzeugung ist, aber die Verbrennungsprodukte nicht unmittelbar bei Herstellungsverfahren verwendet werden. Zwar dient das Kraftwerk der Energieerzeugung, doch streiten die Parteien darüber, ob die Verbrennungsprodukte des Kraftwerks unmittelbar bei der Herstellung von Aluminium verwendet werden.

A –    Zum Begriff des Verbrennungsprodukts

12.      Den Begriff des Verbrennungsprodukts (produit de combustion, product of combustion) kann man unterschiedlich auslegen. Bei rein stofflicher Betrachtung wären dies die Abgase, Asche und sonstige Rückstände. Es liegt allerdings nahe, die bei der Verbrennung entstehende Wärme ebenfalls als Verbrennungsprodukt anzusehen. Denn eine Feuerungsanlage wird nach Art. 2 Nr. 7 Satz 1 der Richtlinie 2001/80 gerade dadurch charakterisiert, dass Brennstoffe im Hinblick auf die Nutzung der dabei erzeugten Wärme oxidiert werden.

13.      Das einzige Erzeugnis des Kraftwerks, das in der Aluminiumhütte verwendet wird, ist der elektrische Strom. Er wird bei der Schmelzflusselektrolyse durch eine heiße Salzschmelze geleitet, um das in dieser Schmelze enthaltene Aluminiumoxid in Aluminium umzuwandeln. Diese Verwendung ist unmittelbar. Daher kommt es darauf an, ob es sich bei dem im Kraftwerk erzeugten Strom um ein Verbrennungsprodukt handelt.

14.      Elektrischer Strom ist weder ein stoffliches Verbrennungsprodukt noch Wärme. Er wird hergestellt, indem die bei der Verbrennung entstehende Wärme Dampf erzeugt, der einen Generator antreibt. Erst dieser Generator erzeugt den Strom. Um Strom zu erfassen, müsste man folglich den Begriff des Verbrennungsprodukts so weit auslegen, das er auch Erzeugnisse einschließt, die nur mittelbar auf eine Verbrennung zurückzuführen sind. Dies dürfte jedoch nicht dem üblichen Sprachgebrauch entsprechen.

B –    Zum Ausnahmecharakter von Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80

15.      Gegen eine weite Auslegung des Begriffs Verbrennungsprodukt spricht auch, dass er die Reichweite einer Ausnahme von einer allgemeinen Regel bestimmt. Ausnahmen sind eng auszulegen,(3) damit allgemeine Regelungen nicht ausgehöhlt werden. Die Qualifikation als Ausnahme ergibt sich aus den nachfolgenden Überlegungen.

16.      Art. 2 Nr. 7 Satz 1 der Richtlinie 2001/80 definiert eine Feuerungsanlage als technische Einrichtung, in der Brennstoffe im Hinblick auf die Nutzung der dabei erzeugten Wärme oxidiert werden. Solche Anlagen sollen den festgelegten Grenzwerten unterliegen, wenn sie den Schwellenwert nach Art. 1 überschreiten, d. h. 50 Megawatt Feuerungswärmeleistung, und gemäß Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Energieerzeugung dienen.

17.      Diese allgemeine Regel verwirklicht die Ziele der Richtlinie, nämlich die Minderung der Emission von Stickoxiden und Schwefeldioxid (2. bis 6. Erwägungsgrund) sowie Staub (10. Erwägungsgrund) durch Großfeuerungsanlagen. Dies entspricht dem in den Art. 2 und 174 EG (nach Änderung jetzt Art. 3 Abs. 3 EUV sowie Art. 191 AEUV, siehe auch die Präambel des EUV) niedergelegten Gesamtziel der europäischen Umweltpolitik, ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität zu fördern. Je mehr Anlagen die Grenzwerte beachten müssen, desto stärker werden diese Ziele gefördert.

18.      Entgegen der Auffassung des Vereinigten Königreichs enthalten die übrigen Bestimmungen von Art. 2 Nr. 7 keine Präzisierung des Begriffs der Feuerungsanlage, sondern Einschränkungen. Sie schließen Anlagen aus, obwohl es sich ebenfalls um Feuerungsanlagen handelt. Im Wortlaut von Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 wird dies ausdrücklich festgehalten, da danach die Richtlinie auf Anlagen zur Energieerzeugung anwendbar ist, mit Ausnahme derjenigen, die Verbrennungsprodukte unmittelbar bei Herstellungsverfahren verwenden.

C –    Zu den Zielen der Ausnahmen

19.      Es sind auch keine Ziele der Regelung erkennbar, die es verlangen würden, den Begriff des Verbrennungsprodukts entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch weit auszulegen, wie es das Vereinigte Königreich vorschlägt.

20.      Die Ausnahme für die unmittelbare Verwendung von Verbrennungsprodukten bei Herstellungsverfahren geht auf die ursprüngliche Fassung von Art. 2 Nr. 7 in der Richtlinie 88/609/EWG(4) zurück, die durch die Richtlinie 2001/80 ersetzt wurde. In der ursprünglichen Fassung hatte der Rat ohne weitere Angabe von Gründen den Vorschlag der Kommission(5) um eine ähnliche Ausnahme ergänzt sowie um Ausnahmen für bestimmte Anlagentypen, die heute in den Buchst. a bis g niedergelegt sind. Auch die Richtlinie 2001/80 gibt keine Ziele der Ausnahmen an, die bei der Auslegung helfen könnten.

21.      Für die Kommission beruhen die Ausnahmen auf einer Schadstoffanreicherung der Verbrennungsabgase durch die unmittelbare Verwendung von Verbrennungsprodukten bei Herstellungsverfahren. Die Kommission geht davon aus, dass diese Abgase bei unmittelbarer Verwendung mit anderen Materialien in Kontakt kommen und daher stärker verunreinigt werden als bei isolierten Verbrennungsvorgängen. Die Grenzwerte der Richtlinie 2001/80 seien aber auf isolierte Verbrennungsvorgänge ausgerichtet.

22.      Diese Überlegung würde Strom ausschließen, da seine Verwendung für die Herstellung von Produkten für die Emissionen des Kraftwerks ohne jede Auswirkungen ist. Der Strom könnte auch in das nationale Stromnetz eingespeist werden, ohne dass andere Emissionen entstünden.

23.      Die Theorie der Kommission setzt jedoch voraus, dass allein die Abgase Verbrennungsprodukte sind. Sie greift dagegen nicht, wenn die gewonnene Wärme ebenfalls ein Verbrennungsprodukt ist und unmittelbar verwendet wird, ohne dass die Abgase mit anderen Stoffen verunreinigt werden. Wärme ist jedoch auch nach der Kommission ein Verbrennungsprodukt. Daher ist die Auffassung der Kommission widersprüchlich.

24.      Nach dem Vereinigten Königreich sind die Ausnahmen das Ergebnis einer Abwägung von den Kosten der Anwendung der Grenzwerte und ihrem Nutzen für die Umwelt. Dies mag für die ausdrücklich genannten Anlagentypen in Art. 2 Nr. 7 Buchst. a bis j der Richtlinie 2001/80 gelten. Denn es ist möglich, für einzelne Anlagentypen die Kosten und den Nutzen bestimmter Grenzwerte zu beurteilen.

25.      Die abstrakt formulierte Ausnahme des Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 kann dagegen nicht auf einer Abwägung von Kosten und Nutzen beruhen. Welche Kosten oder welcher Nutzen damit verbunden wären, die Grenzwerte auf Anlagen anzuwenden, die nicht der Energieerzeugung dienen oder Verbrennungsprodukte unmittelbar bei Herstellungsverfahren verwenden, ist nicht vorhersehbar.

26.      Es wäre allerdings vorstellbar, dass Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 darauf abzielt, Herstellungsverfahren zu privilegieren, die auf den Einsatz von Großfeuerungsanlagen angewiesen sind. Die Produkte solcher Verfahren können im internationalen Wettbewerb durch zusätzliche Kosten aufgrund strengerer Grenzwerte benachteiligt werden.

27.      Dieser Gedanke trifft auf die vorliegende Kombination eines Kraftwerks mit einer Aluminiumhütte grundsätzlich zu. Das Vereinigte Königreich trägt vor, dass die weitere Erzeugung von Aluminium gefährdet würde, wenn das Kraftwerk der Richtlinie unterworfen würde.

28.      Allerdings bringt Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 klar zum Ausdruck, dass eine Ausnahme nur bei einer besonders engen Verknüpfung des Herstellungsverfahrens mit dem Verbrennungsvorgang gewährt werden soll: Es bedarf der unmittelbaren Verwendung der Verbrennungsprodukte bei einem Herstellungsvorgang.

29.      Die Verknüpfung ist am stärksten, wenn nur die unmittelbaren Verbrennungsprodukte, d. h. Wärme und Reaktionsprodukte der Verbrennung, für eine Verwendung in Betracht kommen. Erweitert man den Kreis verwendbarer Produkte dagegen auf mittelbare Verbrennungsprodukte wie Strom, so wird die Verknüpfung zwischen Herstellungsverfahren und Verbrennung gelockert.

30.      Gegen eine solche Lockerung spricht, dass Strom über größere Entfernungen transportiert werden und daher aus unterschiedlichen Quellen stammen kann. Er kann ohne Einsatz einer Großfeuerungsanlage erzeugt werden, z. B. durch Wasserkraft oder Kernenergie. Unmittelbar genutzte Wärme muss dagegen ortsnah erzeugt werden und kann daher typischerweise nur aus bestimmten, lokal vorhanden Quellen kommen. Dies sind regelmäßig Großfeuerungsanlagen.

31.      Die Kommission hebt in diesem Zusammenhang zutreffend hervor, dass die Aluminiumherstellung in Lynemouth im innereuropäischen Wettbewerb ungerechtfertigt bevorzugt würde, wenn das Kohlekraftwerk die Richtlinie 2001/80 nicht beachten müsste. Die europäischen Konkurrenten beziehen nämlich ihren Strom aus dem allgemeinen Netz und tragen daher die Kosten für die Einhaltung der Grenzwerte bei der Stromerzeugung.

32.      Hinzu kommt eine ungerechtfertigte Privilegierung des Kraftwerks gegenüber anderen Stromerzeugern, da etwa 9 % der Produktion in das allgemeine Netz abgegeben werden.

33.      Eine Ausdehnung der Ausnahme nach Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 auf ein Kohlekraftwerk, dessen Stromerzeugung im Wesentlichen für eine benachbarte Aluminiumhütte bestimmt ist, ist daher abzulehnen.

D –    Zur Systematik der Ausnahmen

34.      Entgegen der Auffassung des Vereinigten Königreichs führt auch die Ausnahme für Winderhitzer (Cowper) in Art. 2 Nr. 7 Satz 3 Buchst. g der Richtlinie 2001/80 nicht zu einer anderen Auslegung von Satz 2.

35.      Das Vereinigte Königreich hält die Ausnahmen für spezifische Anlagentypen in Art. 2 Nr. 7 Satz 3 der Richtlinie 2001/80 für Anwendungsfälle der abstrakten Regelung nach Satz 2. Nach Satz 3 gilt die Richtlinie insbesondere nicht für die unter den Buchst. a bis j aufgelisteten Anlagentypen. In der heutigen Fassung kann in diesem „insbesondere“ allerdings kein Verweis auf Satz 2 gesehen werden, da die Anlagentypen nach Buchst. h bis j keinen zwingenden Bezug zu den in Satz 2 ausdrücklich vorausgesetzten Herstellungsverfahren aufweisen.

36.      Das Vereinigte Königreich beruft sich daher auf die ursprüngliche Fassung von Art. 2 Nr. 7 in der Richtlinie 88/609/EWG. Diese Argumentation ist schon deshalb zweifelhaft, weil es vorliegend um die Regelungen der Richtlinie 2001/80 geht. Sie überzeugt aber auch bei isolierter Betrachtung des alten Rechts nicht.

37.      Art. 2 Nr. 7 der Richtlinie 88/609/EWG enthielt neben der abstrakten Ausnahme nur die heutigen Buchst. a bis g, die Bezug zu Herstellungsverfahren aufweisen. Nach Auffassung des Vereinigten Königreichs zeigt der letzte damals ausdrücklich genannte Anlagentyp, Winderhitzer (Cowper), heute Buchst. g, dass der Begriff des Verbrennungsprodukts weit zu verstehen ist und auch mittelbare Verbrennungsprodukte wie Strom einschließt.

38.      Winderhitzer übertragen die Wärme eines Verbrennungsprozesses auf Luft, die anschließend in einen Hochofen geblasen wird, um die Eisenerzeugung zu fördern. Dem erhitzten Abgas einer Verbrennung wird die Wärme entzogen und über Steine, die als Wärmespeicher verwendet werden, auf die Luft übertragen.

39.      Entgegen dem Vereinigten Königreich relativiert diese Ausnahme nicht den Begriff des Verbrennungsprodukts. Sie betrifft die Verwendung eines unmittelbaren Produkts der Verbrennung, nämlich Wärme.(6)

40.      Es trifft allerdings zu, dass Winderhitzer kein Anwendungsfall der abstrakten Ausnahme nach Art. 2 Nr. 7 Satz 2 der Richtlinie 2001/80 sind. Das Verbrennungsprodukt Wärme wird nicht unmittelbar verwendet, sondern mittelbar nach einer Übertragung von den Abgasen auf zwei andere Medien, Steine und Luft. Daher ist die Ausnahme für Winderhitzer ein Anhaltspunkt dafür, dass die spezifischen Ausnahmen nach Art. 2 Nr. 7 schon in der Fassung der Richtlinie 88/609 keine Konkretisierung der abstrakten Ausnahme waren, sondern auf einer Abwägung von Kosten und Nutzen bestimmter Anwendungen der Richtlinie beruhen.(7) Die durch die Richtlinie 2001/80 ergänzten weiteren Ausnahmen, die offensichtlich nicht mehr unter Satz 2 gefasst werden können, bestätigen diesen Ansatz.

41.      Der gegenwärtig beratene Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung),(8) der die Zusammenführung verschiedener Richtlinien einschließlich der Richtlinie 2001/80 anstrebt, verfolgt diesen Weg weiter. Im Unterschied zu den spezifischen Ausnahmen nach Art. 2 Nr. 7 Satz 3 Buchst. a bis j der Richtlinie 2001/80 scheint die abstrakte Ausnahme nach Satz 2 darin nämlich nicht mehr enthalten zu sein.(9) Stattdessen schlägt der Rat andere Ausnahmen vor.(10) Eine spezifische Ausnahme für Anlagen wie das Kraftwerk Lynemouth ist allerdings nicht vorgesehen.

E –    Ergebnis

42.      Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass der Einsatz von Strom zur Herstellung von Aluminium keine unmittelbare Verwendung von Verbrennungsprodukten bei einem Herstellungsverfahren ist. Dementsprechend sind die Grenzwerte der Richtlinie 2001/80 auf das Kraftwerk Lynemouth anzuwenden und der Klage ist stattzugeben.

V –    Zu den Kosten

43.      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

VI – Ergebnis

44.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Das Vereinigte Königreich hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 2001/80/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft verstoßen, dass es sich weigert, diese Richtlinie auf das Kraftwerk Lynemouth anzuwenden.

2)      Das Vereinigte Königreich trägt die Kosten des Verfahrens.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – ABl. L 309, S. 1, in der Fassung durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung der Richtlinien 73/239/EWG, 74/557/EWG und 2002/83/EG im Bereich Umwelt anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens (ABl. L 363, S. 368).


3 – Vgl. die Urteile vom 29. April 2004, Kapper (C‑476/01, Slg. 2004, I‑5205, Randnr. 72), vom 8. Juni 2006, WWF Italia u. a. (C‑60/05, Slg. 2006, I‑5083, Randnr. 34), vom 26. Oktober 2006, Kommission/Spanien (C‑36/05, Slg. 2006, I‑10313, Randnr. 31), vom 14. Juni 2007, Kommission/Finnland (C‑342/05, Slg. 2007, I‑4713, Randnr. 25), vom 1. April 2008, Parlament/Kommission (C‑14/06 und C‑295/06, Slg. 2008, I‑1649, Randnr. 71), und vom 12. November 2009, TeliaSonera Finland (C‑192/08, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 40).


4 – Richtlinie 88/609/EWG des Rates vom 24. November 1988 zur Begrenzung von Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft, ABl. L 336, S. 1.


5 – Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Begrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft, ABl. 1984, C 49, S. 1. Die nachfolgenden Änderungen der Kommission sind in ABl. 1985, C 76, S. 6, abgedruckt.


6 – Siehe oben, Nr. 12.


7 – Die Abwägung für Winderhitzer könnte darauf beruhen, dass sie regelmäßig Gichtgas verbrennen, das in Hochöfen entsteht, und somit Energie sparen. Dieses Gas ist bereits verunreinigt, so dass trotz einer Reinigung bei Einsatz der besten verfügbaren Technik die Grenzwerte für die Verwendung gasförmiger Brennstoffe nicht erreicht werden. So sind für Stickoxide (NOX) nach Anlage VI der Richtlinie 2001/80 200 bis 300 mg/Nm3 vorgesehen, bei Einsatz der besten verfügbaren Technik entstehen jedoch bis zu 350 mg/Nm3. („Best Available Techniques Reference Document on the Production of Iron and Steel“, [Dezember 2001, S. vii und 212, http://eippcb.jrc.es/reference/_download.cfm?twg=isp&file=isp_bref_1201.pdf]); die Kommission hat dieses Dokument in Zusammenarbeit mit Experten der Mitgliedstaaten auf Basis der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung [ABl. L 257, S. 26], kodifiziert durch die Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung [ABl. L 24, S. 8], erarbeitet.)


8 – KOM(2007) 844 endg.


9 – Siehe Art. 3 Nr. 19 und Art. 31 Abs. 2 des Kommissionsvorschlags sowie Art. 28 des gemeinsamen Standpunkts des Rates, Ratsdokument 11962/09 vom 16. November 2009.


10 – Siehe den Entwurf der Begründung des gemeinsamen Standpunkts, Ratsdokument 11962/09 ADD 1 vom 16. November 2009, S. 8.