Language of document : ECLI:EU:C:2012:753

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 27. November 2012(1)

Rechtssache C‑85/11

Europäische Kommission

gegen

Irland

„Mehrwertsteuer – Art. 9 und Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG – Nationale Regelung, wonach Nichtsteuerpflichtige Mehrwertsteuergruppen angehören können – Vereinbarkeit mit dem Mehrwertsteuerrecht der Union“






I –  Einführung

1.        Im vorliegenden Verfahren beantragt die Kommission, festzustellen, dass Irland seinen Verpflichtungen aus den Art. 9 und 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) nicht nachgekommen ist, weil es Nichtsteuerpflichtigen erlaubt, Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe (ein einziger Mehrwertsteuerpflichtiger) zu sein(2).

2.        Parallel zu dem vorliegenden Verfahren hat die Kommission auch eine Vertragsverletzungsklage gegen das Königreich Schweden wegen eines Verstoßes gegen Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie erhoben, die sich aber auf andere Gründe stützt. Ich werde mich zu dieser Rüge in getrennten Schlussanträgen äußern.

II –  Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

3.        In Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist der Begriff des Mehrwertsteuerpflichtigen wie folgt definiert:

„(1)      Als ‚Steuerpflichtiger‘ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.

Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit‘ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.“

4.        Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält folgende Regelung, wonach mehrere Personen aus steueradministrativen Gründen als eine Einheit (im Folgenden: Mehrwertsteuergruppe) behandelt werden können:

„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (nachstehend ‚Mehrwertsteuerausschuss‘ genannt) kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.

Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt, kann die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.“

B –    Nationales Recht

5.        Section 15 des Value-Added Tax Consolidation Act 2010 (Mehrwertsteuerkonsolidierungsgesetz von 2010), das für ab dem 1. November 2010 beginnende Steuerzeiträume gilt, bestimmt(3):

„(1)      Vorbehaltlich Subsection (2) können die Revenue Commissioners, soweit sie sich vergewissert haben, dass zwei oder mehr im Staat ansässige Personen, von denen mindestens eine ein Steuerpflichtiger ist, durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng verbunden sind, und soweit es den Commissioners im Interesse einer effizienten und wirksamen Verwaltung (einschließlich der Erhebung) der Steuer geboten und angemessen erscheint, für die Zwecke dieses Gesetzes auf Antrag dieser Personen oder aus sonstigem Anlass

a)       jeder einzelnen dieser Personen durch schriftlichen Bescheid (in dieser Section als ‚Gruppenbescheid‘ bezeichnet) mitteilen, dass sie zusammen als ein einziger Steuerpflichtiger (in dieser Section als ‚Gruppe‘ bezeichnet) angesehen werden; in diesem Fall gelten die Personen, an die ein solcher Bescheid gerichtet ist, dann solange als zu dieser Gruppe gehörend, wie diese Subsection auf sie Anwendung findet, wobei Section 65 jedoch für jedes einzelne Mitglied der Gruppe gilt, und

i) ist eine dieser Personen, der dies von den Commissioners entsprechend angezeigt wird, für die Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes in Bezug auf die Gruppe verantwortlich und

ii) werden alle Rechte und Pflichten aus diesem Gesetz hinsichtlich der von der Gruppe bewirkten Umsätze entsprechend festgelegt;

und

b)       jede einzelne Person in der Gruppe gesamtschuldnerisch für die Beachtung dieses Gesetzes und der nach diesem Gesetz erlassenen Vorschriften (einschließlich der Bestimmungen über die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuer) haftbar machen, die auf die einzelnen Personen anwendbar sind, sowie ihr die in diesem Gesetz vorgesehenen Bußgelder auferlegen, die ihr auferlegt würden, wenn die einzelne Person verpflichtet wäre, den gesamten Betrag der Steuer, die − unabhängig von nach dieser Section erlassenen Vorschriften − in Bezug auf jede einzelne Personen verlangt werden kann, an die Commissioners zu entrichten:

…“

III –  Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

6.        Mit Mahnschreiben vom 18. September 2008 teilte die Kommission Irland mit, dass ihrer Meinung nach verschiedene irische Rechtsvorschriften mit den Art. 9 und 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie unvereinbar sind, da damit Nichtsteuerpflichtigen der Anschluss an eine Mehrwertsteuergruppe gestattet werde.

7.        Mit Antwortschreiben vom 27. Januar 2009 erklärten die irischen Behörden, dass ihrer Ansicht nach die irischen Rechtsvorschriften im Einklang mit der Mehrwertsteuerrichtlinie stehen.

8.        Am 20. November 2009 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Irland, in der sie an ihrer Auffassung festhielt. Mit Schreiben vom 19. Januar 2010 antwortete Irland, dass es seine Auslegung der Mehrwertsteuerrichtlinie für zutreffend halte.

9.        Da dies die Kommission nicht zufriedenstellte, hat sie die vorliegende, am 24. Februar 2011 beim Gerichtshof eingegangene Vertragsverletzungsklage erhoben. Das Königreich Dänemark, die Tschechische Republik, die Republik Finnland und das Vereinigte Königreich sind dem Verfahren zur Unterstützung der Anträge Irlands als Streithelfer beigetreten. Die genannten Mitgliedstaaten und die Kommission haben an der mündlichen Verhandlung vom 5. September 2012 teilgenommen.

10.      Irland beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen, da der Klagegegenstand über die von der Kommission im Verwaltungsverfahren erhobene Rüge hinausgehe. Hilfsweise beantragt Irland, die Klage als unbegründet abzuweisen.

IV –  Zulässigkeit der Klage

11.      Irland trägt vor, dass der förmliche Feststellungsantrag der Kommission erheblich von der ursprünglichen Rüge abweiche, die in dem Mahnschreiben gegen Irland erhoben worden sei. Die Kommission habe ursprünglich lediglich bemängelt, dass bei sachgerechter Auslegung der Art. 9 und 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie ein Nichtsteuerpflichtiger sich einer Mehrwertsteuergruppe nicht „anschließen“ könne. Des Weiteren macht Irland geltend, dass es sich in seiner Antwort auf das Mahnschreiben zu eben dieser Rüge geäußert habe und dass sich die Rüge der Kommission auch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme auf diesen Punkt beschränkt habe. Im Verfahren vor dem Gerichtshof hingegen mache die Kommission geltend, dass Irland gegen die Art. 9 und 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie verstoße, „weil es Nichtsteuerpflichtigen erlaubt, Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe zu sein“.

12.      Irland wendet ein, dass es – falls man der Auffassung der Kommission folgen wollte – nicht nur zur Regelung und Kontrolle der Bildung von Mehrwertsteuergruppen, um Nichtsteuerpflichtige vollständig auszuschließen, sondern auch zu fortgesetzten Kontrollen bei genehmigten Gruppen verpflichtet wäre. Deshalb gingen die Beanstandungen der Kommission über die im Verwaltungsstadium erhobenen hinaus, ohne dass Irland damals Gelegenheit gehabt habe, sich zu den – nach Ansicht Irlands nicht unerheblichen – Konsequenzen der weiter gefassten Rüge zu äußern.

13.      Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Klage auf dieselben Gründe und Rügen wie die mit Gründen versehene Stellungnahme gestützt werden(4). Wird ein Begehren in der mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht angeführt, kann es im Verfahren vor dem Gerichtshof nicht für zulässig erklärt werden.

14.      Wie der Gerichtshof jedoch im Urteil Kommission/Portugal festgestellt hat, kann dieses Erfordernis nicht so weit gehen, dass in jedem Fall eine völlige Übereinstimmung zwischen der Darlegung der Rügen im verfügenden Teil der mit Gründen versehenen Stellungnahme und in den Anträgen in der Klageschrift bestehen muss, sofern nur der Streitgegenstand, wie er in der mit Gründen versehenen Stellungnahme umschrieben ist, nicht erweitert oder geändert worden ist(5).

15.      Im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren geht es in erster Linie um die Auslegung von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Nach Art. 11 Abs. 1 haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, mehrere getrennte Personen als einen einzigen Steuerpflichtigen anzusehen. Gemäß Art. 11 Abs. 2 kann ein Mitgliedstaat, der von dem in Abs. 1 eingeräumten Ermessen Gebrauch macht, die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen vorzubeugen.

16.      Für die Anwendbarkeit von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist daher nicht die Frage des Anschlusses an die Gruppe oder der Zugehörigkeit zu der Gruppe maßgebend. Art. 11 Abs. 2 verleiht den Mitgliedstaaten schlichtweg die Befugnis zum Erlass der erforderlichen Maßnahmen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen vorzubeugen. Mit anderen Worten: Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält einen erschöpfenden Katalog der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um mehrere getrennte Personen zusammen als einen Steuerpflichtigen ansehen zu können, und genau diese Frage steht im Mittelpunkt der Vertragsverletzungsklage.

17.      Im vorliegenden Fall hat die Umformulierung der Rüge in der Klageschrift weder zu einer Erweiterung noch zu einer Änderung, ja noch nicht einmal zu einer Begrenzung des in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgelegten Streitgegenstands geführt. Die Verteidigungsrechte Irlands bleiben unberührt, da die Klage der Kommission auf die Frage abzielt, wer Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe sein kann, nicht aber auf die Kontrolle solcher Gruppen durch die Behörden der Mitgliedstaaten.

18.      Der Umstand, dass in der mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission keine Unterscheidung zwischen dem Anschluss Nichtsteuerpflichtiger an Mehrwertsteuergruppen und der Aufrechterhaltung ihrer Mitgliedschaft in solchen Gruppen getroffen wird, besagt daher nicht, dass die Kommission einen neuen Klagegrund anführt, zu dessen Prüfung der Gerichtshof nicht befugt wäre.

19.      Die Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

V –  Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

20.      Die Meinungsverschiedenheit zwischen der Kommission und Irland lässt sich wie folgt zusammenfassen.

21.      Nach Ansicht der Kommission ergibt sich implizit aus Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie, dass sich diese Bestimmung nur auf „Steuerpflichtige“ im Sinne von Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie beziehen könne, auch wenn dort die betreffenden Personen nicht als „Steuerpflichtige“ bezeichnet seien. Andernfalls bestünde die Möglichkeit, dass eine Mehrwertsteuergruppe ausschließlich aus Nichtsteuerpflichtigen bestehe. Der Begriff „Gruppe“ impliziere, dass sämtliche Personen in der nach Art. 11 gebildeten Gruppe mehrwertsteuerlich zur selben Kategorie gehören müssten. Da Art. 11 im Übrigen eine Ausnahme von der allgemeinen Regel darstelle, wonach jeder Steuerpflichtige eigenständig zu behandeln sei, müsse Art. 11 eng ausgelegt werden.

22.      Die Kommission macht geltend, dass ihre Auslegung von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang mit den Hauptzielen der Bestimmungen über Mehrwertsteuergruppen – nämlich Verwaltungsvereinfachung und Missbrauchsbekämpfung – stehe. Eine Vereinfachung ergebe sich vor allem daraus, dass der mit der Einreichung individueller Abrechnungen und Mehrwertsteuermeldungen verbundene Verwaltungs- und Buchführungsaufwand entfalle. Da lediglich Steuerpflichtige zur Einreichung solcher Abrechnungen und Meldungen gehalten seien, könne das Ziel einer Vereinfachung nicht die Einbeziehung Nichtsteuerpflichtiger in Mehrwertsteuergruppen rechtfertigen. In Bezug auf Missbräuche sei in der Begründung des Vorschlags für die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie als Ziel lediglich genannt, Wirtschaftsbeteiligte an der Ausnutzung der Besteuerungsgrenzen durch Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren getrennten Personen zu verhindern. Die Kommission scheint zu argumentieren, dass damit keine Nichtsteuerpflichtigen gemeint sein können. Im Weiteren trägt sie jedoch vor, dass Art. 11 nicht dazu dienen könne, Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen(6) dadurch vorzubeugen, dass z. B. eine Holdinggesellschaft, die keine Steuerpflichtige im Sinne von Art. 9 sei, zu einer Mehrwertsteuergruppe gemäß Art. 11 zugelassen werde.

23.      Darüber hinaus meint die Kommission, ihre Rüge lasse sich, wenngleich nur indirekt, auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, und zwar im Wesentlichen auf das Urteil Ampliscientifica und Amplifin(7), stützen. Dort habe der Gerichtshof ausgeführt, dass die Umsetzung der Regelung für Mehrwertsteuergruppen verlange, „Personen, insbesondere Gesellschaften, zwischen denen finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Verbindungen bestehen, [zu gestatten], nicht mehr als getrennte Mehrwertsteuerpflichtige, sondern zusammen als ein Steuerpflichtiger behandelt zu werden“. Nach Ansicht der Kommission kommt in dieser Passage sowie in den Schlussanträgen von Generalanwalt Van Gerven in der Rechtssache Polysar Investments Netherlands(8) der Gedanken zum Ausdruck, dass nur Steuerpflichtige Mitglieder „eines Steuerpflichtigen“ sein können.

24.      Dem hält Irland entgegen, dass Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie nach seinem genauen Wortlaut auszulegen sei und dass der Gesetzgeber den Begriff „Personen“ absichtlich verwendet habe, ohne sie als „Steuerpflichtige“ zu bezeichnen. Hätte – so Irland – der Gesetzgeber in Art. 11 auf Steuerpflichtige verweisen wollen, hätte er diesen Begriff in die Neufassung der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgenommen.

25.      Der Begriff „Gruppe“, auf den die Kommission verweise, sei lediglich beschreibender Natur und komme in der Mehrwertsteuerrichtlinie selbst nicht vor. Er eigne sich daher nicht als Grundlage für die Auslegung von Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie. Im Übrigen sei es zwar theoretisch möglich, aber höchst unwahrscheinlich und außerdem nach irischem Recht auch ausdrücklich unzulässig, dass eine Mehrwertsteuergruppe ausschließlich aus Nichtsteuerpflichtigen bestehe(9).

26.      Mit der Einfügung von Abs. 2 in Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie habe sich der Normzweck erweitert, um den Mitgliedstaaten in Bezug auf Mehrwertsteuergruppen die Möglichkeit zum Erlass von Maßnahmen zu geben, die die mehrwertsteuerliche Behandlung vereinfachen, Missbrauch bekämpfen sowie Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen vorbeugen sollten(10). Die Zulassung von Nichtsteuerpflichtigen, insbesondere von Holdinggesellschaften(11), zu Mehrwertsteuergruppen könne der Vorbeugung gegen Steuerumgehungen bzw. ‑hinterziehungen förderlich sein. Einen solchen Vorteil stelle u. a. die Möglichkeit dar, eine Holdinggesellschaft gesamtschuldnerisch haften zu lassen, wenn Unternehmen, die einer Gruppe angehörten, Zahlungsschwierigkeiten bei der Entrichtung der fälligen Mehrwertsteuer hätten.

27.      Schließlich bestreitet Irland die Einschlägigkeit der von der Kommission angeführten Rechtsprechung. In der Rechtssache Ampliscientifica und Amplifin habe sich der Gerichtshof nicht mit der Frage befasst, ob nur Steuerpflichtige Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe sein könnten. Was die Schlussanträge von Generalanwalt Van Gerven in der Rechtssache Polysar Investments Netherlands angehe, sei der Gerichtshof den Schlussanträgen des Generalanwalts weder in jener Sache noch in den späteren Urteilen Wellcome Trust(12) und Harnas & Helm(13) gefolgt.

VI –  Würdigung

28.      Vorab sei daran erinnert, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Bestimmung der Bedeutung einer Vorschrift des Unionsrechts sowohl ihre Ziele und ihr Zusammenhang als auch ihr Wortlaut zu berücksichtigen sind(14). Ich werde zunächst den Wortlaut von Art. 11 anhand seiner Entstehungsgeschichte und sodann seinen Zusammenhang und seine Ziele untersuchen.

A –    Entstehungsgeschichte und Wortlaut

29.      Das Rechtsinstitut der Mehrwertsteuergruppe wurde im Jahr 1967 durch die Zweite Mehrwertsteuerrichtlinie in das Unionsrecht aufgenommen. Nach Anhang A Nr. 2 der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie(15) war es den Mitgliedstaaten gestattet, getrennte, unabhängige Personen, die die in der Bestimmung genannten Merkmale aufweisen, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Später wurde diese Möglichkeit durch die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie(16) geregelt, und in letzter Zeit findet sich die Regelung in der aktuellen Mehrwertsteuerrichtlinie. Allerdings hat sich die Formulierung im Zuge der Neufassungen geändert.

30.      Nach Anhang A Nr. 2 der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie war es den Mitgliedstaaten gestattet, „Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen untereinander verbunden sind, nicht getrennt als mehrere Steuerpflichtige, sondern zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln“. Die Verwendung des Begriffs „separate taxable persons“ in der englischen Sprachfassung deutete darauf hin, dass die Mitgliedstaaten die Wahl hatten, Steuerpflichtige entweder jeweils getrennt oder zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Dieser Sinn ergibt sich auch aus der französischen und der deutschen Sprachfassung der Zweiten Mehrwertsteuerrichtlinie.

31.      Mit der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie änderte sich jedoch die Formulierung der Bestimmung über Mehrwertsteuergruppen. In der einschlägigen Vorschrift jener Richtlinie – Art. 4 Abs. 4 – war in Bezug auf die Mitglieder von Mehrwertsteuergruppen in der englischen Sprachfassung nicht mehr von „separate“ und „taxable persons“, sondern nur noch von „persons“ die Rede(17).

32.      Noch deutlicher kommt die Änderung in Sprachfassungen der Sechsten Richtlinie zum Ausdruck, in denen für „taxable person“ (Steuerpflichtiger) und „person“ (Person) jeweils zwei verschiedene Wörter verwendet werden – so z. B. in der französischen Sprachfassung, in der der erstgenannte Begriff „assujetti“ und der zweitgenannte „personne“ lautet.

33.      Der Wortlaut von Art. 11 der neugefassten Mehrwertsteuerrichtlinie scheint in den meisten Sprachfassungen mit Ausnahme der englischen unverändert geblieben zu sein(18). In der englischen Sprachfassung wurde vor dem Wort „person“ das Wort „any“ eingefügt, was nach Ansicht der irischen Regierung, der finnischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs lediglich deutlich machen soll, dass es sich bei der zu einer Mehrwertsteuergruppe gehörenden Person nicht unbedingt um einen Steuerpflichtigen handeln muss.

34.      Angesichts dieser Entstehungsgeschichte vermag ich mich der Argumentation der Kommission schwerlich anzuschließen. Wie Irland vorträgt, wird an anderen Stellen der Mehrwertsteuerrichtlinie, in denen jemand bezeichnet wird, der eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie ausübt, stets der Begriff „Steuerpflichtiger“ und nicht „Person“ verwendet. Die Entstehungsgeschichte ist zwar nicht entscheidend, sie dürfte jedoch darauf hindeuten, dass der Gesetzgeber den Kreis derjenigen, die sich zu einer Mehrwertsteuergruppe zusammenschließen können, erweitern wollte.

35.      Im Übrigen weise ich darauf hin, dass Leistungen zwischen Nichtsteuerpflichtigen unabhängig davon, ob sie eine Mehrwertsteuergruppe bilden oder nicht, außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuerrichtlinie liegen. Folglich liegen die Bedenken der Kommission, dass eine Mehrwertsteuergruppe theoretisch ausschließlich aus Nichtsteuerpflichtigen bestehen könnte, neben der Sache.

36.      Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie gestattet somit jedem Mitgliedstaat, in seinem Gebiet ansässige, rechtlich unabhängige Personen „zusammen als einen Steuerpflichtigen“ zu behandeln, sofern sie durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, dem besondere Bedeutung im Steuerbereich zukommt, wo nicht nur die Steuerpflichtigen und die Steuerbehörden, sondern auch die Mitgliedstaaten auf den klaren und genauen Wortlaut der einschlägigen Unionsrechtsvorschriften vertrauen können müssen(19). Ich schlage daher vor, die Klage der Kommission abzuweisen.

B –    Ziele und Zusammenhang der Bestimmungen über Mehrwertsteuergruppen

37.      Sollte der Gerichtshof dieser auf dem Wortlaut von Art. 11 beruhenden Sichtweise folgen, braucht er den Zusammenhang und die Ziele der Bestimmung eigentlich nicht weiter zu untersuchen(20). Für den Fall, dass sich der Gerichtshof meinem Ergebnis zum Wortlaut von Art. 11 nicht anschließt, will ich im Folgenden jedoch dennoch auf diese Frage eingehen.

38.      In der Begründung des Vorschlags für die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es, dass „den Mitgliedstaaten [freigestellt ist], die Eigenschaft des Steuerpflichtigen nicht systematisch an das Merkmal der rein rechtlichen Selbständigkeit zu knüpfen, und zwar aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung oder um bestimmte Missbräuche zu verhindern (z. B. die Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren Steuerpflichtigen, um in den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen)“(21). Der Entstehungsgeschichte der Bestimmungen über Mehrwertsteuergruppen lassen sich keine anderweitigen Zielsetzungen entnehmen. Die Kommission ist der Auffassung, dass damit die Einbeziehung Nichtsteuerpflichtiger in Mehrwertsteuergruppen ausgeschlossen sei.

39.      Der Zweck der Bildung von Mehrwertsteuergruppen im Kontext der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung erschließt sich, wenn man untersucht, inwieweit sich Mehrwertsteuergruppen auf die steuerliche Neutralität auswirken. Dabei sind die praktischen Folgen der Registrierung einer Mehrwertsteuergruppe in Betracht zu ziehen. Dies ist insofern von Bedeutung, als diese Folgen womöglich der Grund dafür sind, weshalb sich Wirtschaftsteilnehmer einer Mehrwertsteuergruppe anschließen, sofern ihnen nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften in dieser Hinsicht ein Wahlrecht zusteht(22).

C –    Die Möglichkeit zur Zulassung von Mehrwertsteuergruppen im Zusammenhang der allgemeinen Mehrwertsteuerregelung

40.      Die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe führt zur Schaffung eines einzelnen Mehrwertsteuerpflichtigen, der in jeder Hinsicht mit einem Steuerpflichtigen vergleichbar ist, der nur aus einer einzigen Einheit besteht. Auch wenn es sich bei einer solchen Gestaltung der Natur nach um eine Sonderregelung handelt, ist damit weder eine Einschränkung noch eine Ausdehnung der nach Art. 9 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Rechte eines Steuerpflichtigen verbunden.

41.      Die größte Einfachheit und Neutralität des Mehrwertsteuersystems wird erreicht, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: wenn die Steuer so allgemein wie möglich erhoben wird und wenn ihr Anwendungsbereich alle Produktions- und Vertriebsstufen sowie den Bereich der Dienstleistungen umfasst(23). Das Mehrwertsteuersystem sollte eine Wettbewerbsneutralität in dem Sinne bewirken, dass gleichartige Gegenstände und Dienstleistungen innerhalb des Gebietes der einzelnen Mitgliedstaaten ungeachtet der Länge des Produktions- und Vertriebswegs steuerlich gleich belastet werden(24). Im Idealfall sollte diese sogenannte neutrale Besteuerung weder den Wettbewerb noch die Entscheidung der Wirtschaftsbeteiligten bei der Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten, etwa hinsichtlich der Rechtsform oder des Organisationsaufbaus, beeinflussen(25).

42.      Die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe begründet die Steuerpflicht dieser Gruppe und beendet die eigenständige Steuerpflicht derjenigen Gruppenmitglieder, die vor dem Anschluss an die Gruppe Mehrwertsteuerpflichtige waren(26). Die mehrwertsteuerliche Behandlung sowohl der Umsätze, die von der Gruppe an Außenstehende, als auch der Umsätze, die von Außenstehenden an die Gruppe bewirkt werden, ist mit der mehrwertsteuerlichen Behandlung eines einzelnen individuell tätigen Steuerpflichtigen vergleichbar. Umsätze, die zwischen den einzelnen Mitgliedern der Gruppe bewirkt werden und somit innerhalb der Gruppe verbleiben, gelten als Insichgeschäfte der Gruppe. Die gruppeninternen Umsätze sind demzufolge mehrwertsteuerrechtlich nicht existent.

43.      Wenn die Mehrwertsteuergruppe im Einklang mit den mehrwertsteuerlichen Vorschriften handelt, wird das Recht der der Mehrwertsteuergruppe angehörenden Personen zum Vorsteuerabzug nicht erweitert(27). Dieses Recht besteht nach wie vor ausschließlich im Hinblick auf Leistungen, die für diejenigen Tätigkeiten der Mehrwertsteuergruppe verwendet werden, die der Mehrwertsteuer unterliegen. Die Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe sind auch nicht zum Vorsteuerabzug für Leistungen berechtigt, die für steuerbefreite Tätigkeiten verwendet werden.

D –    Zweck der Vorschriften über Mehrwertsteuergruppen

44.      Angesichts des oben dargestellten Zwecks und Zusammenhangs der Regelung über Mehrwertsteuergruppen vermag ich nicht der Auffassung der Kommission zu folgen, dass Nichtsteuerpflichtige von der Regelung ausgeschlossen bleiben müssten. Zu diesem Ergebnis komme ich aus folgenden Gründen.

45.      Die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe führt nicht zu einem wirtschaftlichen Vorteil bei einem Erwerb zum Zweck der Ausübung eigener der Mehrwertsteuer unterliegender Tätigkeiten, da der Erwerber zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In diesem Fall ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Erwerb innerhalb der Mehrwertsteuergruppe ohne Vorsteuer oder außerhalb der Mehrwertsteuergruppe mit Vorsteuer erfolgt. Allerdings kann die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe, da ihre internen Umsätze mehrwertsteuerlich außer Betracht bleiben, zu Cashflow-Vorteilen für diejenigen Wirtschaftsbeteiligten führen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Tätigkeiten ausüben.

46.      In bestimmten Situationen können den Mitgliedern einer Mehrwertsteuergruppe wirtschaftliche Vorteile erwachsen(28). Dies ist meines Erachtens einfach die zwangsläufige Konsequenz der grundlegenden steuerpolitischen Entscheidung eines Mitgliedstaats, Mehrwertsteuergruppen zuzulassen.

47.      Die Mitgliedschaft in einer Mehrwertsteuergruppe kann z. B. dann vorteilhaft sein, wenn das Mitglied, das den der Mehrwertsteuer unterliegenden Erwerb vornimmt, aufgrund der Tatsache, dass seine eigenen Tätigkeiten von der Steuer befreit sind, überhaupt kein Recht zum Vorsteuerabzug oder kein Recht zum vollen Vorsteuerabzug hat. Tätigt ein solches Mitglied einen Erwerb von einem Außenstehenden, fällt Mehrwertsteuer an. Bei einem Erwerb von einem anderen Gruppenmitglied fällt hingegen keine Mehrwertsteuer an.

48.      Ist ein Wirtschaftsbeteiligter nicht zum Abzug der bei einem Erwerb anfallenden Vorsteuer berechtigt, mag es für ihn wirtschaftlich vorteilhafter sein, die Waren oder Dienstleistungen selbst zu produzieren. So könnte es für eine nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Bank wirtschaftlich von Vorteil sein, die für ihre Banktätigkeiten erforderlichen informationstechnologischen Dienste intern zu leisten, anstatt sie bei einem Dritten einzukaufen. Ist jedoch die Möglichkeit zur Bildung einer Mehrwertsteuergruppe gegeben, kann die Bank eine derselben Gruppe angehörende Tochtergesellschaft mit der Bereitstellung der informationstechnologischen Dienstleistungen beauftragen und sich auf diese Weise genau denselben Vorteil verschaffen.

49.      Die Mehrwertsteuerpflicht wirkt sich somit potenziell und tatsächlich auf die Ausgestaltung und Wirkung geschäftlicher Tätigkeiten aus. Die Zulassung von Mehrwertsteuergruppen ermöglicht den Mitgliedstaaten jedoch, den Einfluss der Mehrwertsteuer auf die Entscheidungen der Wirtschaftsteilnehmer über ihre Organisationsform zu mindern. Die Regelung bewirkt nämlich, dass der Kostenunterschied zwischen der hausinternen Erbringung der Dienstleistung und der Inanspruchnahme der Dienstleistung eines abhängigen Anbieters mit eigener Rechtspersönlichkeit verringert wird. Insoweit trägt die Bildung von Mehrwertsteuergruppen zur steuerlichen Neutralität bei, da auf diese Weise geeignete Unternehmensstrukturen ermöglicht werden, ohne dass die negativen Folgen einer Mehrwertsteuerpflicht eintreten. Wenn die Möglichkeit besteht, Nichtsteuerpflichtige in Mehrwertsteuergruppen einzubeziehen, werden im Übrigen Konzernstrukturen, zu denen Nichtsteuerpflichtige gehören, anderen Konzernstrukturen gleichgestellt. Als Beispiel sind etwa Unternehmensgruppen zu nennen, bei denen eine Holdinggesellschaft die Mehrheit der Anteile aller anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe hält.

50.      Es sei daran erinnert, dass die Steuerpflichtigeneigenschaft im Sinne des Mehrwertsteuerrechts an die Tätigkeit und nicht an die Rechtsform anknüpft. Um die praktischen Auswirkungen der Bildung von Mehrwertsteuergruppen auf die steuerliche Neutralität zu ermitteln, muss auf die Tätigkeiten ihrer Mitglieder abgestellt werden.

51.      So kommt es z. B. für die Qualifizierung der Tätigkeiten einer rechtlich unabhängigen Holdinggesellschaft als steuerpflichtig oder nichtsteuerpflichtig grundsätzlich nicht darauf an, ob diese Gesellschaft einer Mehrwertsteuergruppe angehört(29). Allerdings kann eine einer Mehrwertsteuergruppe angehörende Holdinggesellschaft der Mehrwertsteuer unterliegende Gegenstände und Dienstleistungen mehrwertsteuerfrei erwerben bzw. in Anspruch nehmen, während diese Möglichkeit einer Holdinggesellschaft, die nicht zu einer Mehrwertsteuergruppe gehört, nicht offensteht. Ein Nichtsteuerpflichtiger wird durch seine Mitgliedschaft in einer Mehrwertsteuergruppe zu einer der Mehrwertsteuerregelung der Union unterliegenden Einheit.

52.      Dass Nichtsteuerpflichtige einer Mehrwertsteuergruppe angehören können, liegt meines Erachtens jedoch nicht außerhalb der Norm. Ein Steuerpflichtiger kann nämlich sowohl Tätigkeiten ausüben, die in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, als auch solche, bei denen dies nicht der Fall ist(30). Insoweit besteht kein Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Steuerpflichtigen und einer Mehrwertsteuergruppe.

53.      Für die Erreichung der mit der Regelung für Mehrwertsteuergruppen verfolgten Ziele spielt die Einbeziehung Nichtsteuerpflichtiger in eine Mehrwertsteuergruppe daher unter dem Gesichtspunkt der steuerlichen Neutralität keine Rolle. Im Übrigen unterscheidet sich meiner Meinung nach der Fall, in dem ein Nichtsteuerpflichtiger wirtschaftlich vom mehrwertsteuerfreien Einkauf innerhalb einer Mehrwertsteuergruppe profitiert, nicht von dem Fall, in dem ein Steuerpflichtiger, der steuerbefreite Tätigkeiten ausübt, aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Mehrwertsteuergruppe zu besteuernde Leistungen mehrwertsteuerfrei innerhalb der Mehrwertsteuergruppe erwerben kann.

54.      Ich komme also zu dem Ergebnis, dass sich aus der Zielsetzung der Bestimmungen über Mehrwertsteuergruppen im Rahmen der Mehrwertsteuerregelung nicht herleiten lässt, dass Nichtsteuerpflichtige nicht nach Art. 11 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Mehrwertsteuergruppen einbezogen werden können.

VII –  Ergebnis

55.      Demnach schlage ich dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Irland nicht dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 9 und 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen hat, dass es Nichtsteuerpflichtigen erlaubt, Mitglieder einer Mehrwertsteuergruppe zu sein. Die Klage der Kommission ist demzufolge abzuweisen, der Kommission sind die Kosten aufzuerlegen und die als Streithelfer beigetretenen Mitgliedstaaten sind zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 –      ABl. 2006, L 347, S. 1. Die Kommission hat ähnliche Vertragsverletzungsklagen gegen die Tschechische Republik, das Königreich Dänemark, die Republik Finnland, das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland erhoben – vgl. Rechtssachen Kommission/Tschechische Republik (C‑109/11), Kommission/Dänemark (C‑95/11), Kommission/Finnland (C‑74/11), Kommission/Niederlande (C‑65/11) und Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑86/11). Der Gerichtshof hat allerdings nur im vorliegenden Fall und in der Rechtssache Kommission/Schweden (C‑480/11) Schlussanträge eines Generalanwalts angefordert; in der letztgenannten Rechtssache werde ich die Schlussanträge gleichzeitig mit den vorliegenden Schlussanträgen stellen.


3 – Im Wesentlichen identische Bestimmungen fanden sich zuvor in Section 8 (8) (a) des Value Added Tax Act 1972 (Mehrwertsteuergesetz von 1972) in der zuletzt durch den Finance Act 2008 (Finanzgesetz von 2008) geänderten Fassung.


4 – Vgl. Urteil vom 11. Juli 2002, Kommission/Spanien (C‑139/00, Slg. 2002, I‑6407, Randnr. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).


5 – Urteil vom 18. November 2010 (C‑458/08, Slg. 2010, I‑11599, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 10. Mai 2012, Kommission/Estland (C‑39/10, Randnrn. 24 bis 26).


6 – Die Kommission ist der Auffassung, dass ein Mitgliedstaat, der zur Verfolgung dieses Ziels von den normalen Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie abweichen wolle, nach dem in Art. 395 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Verfahren vorgehen müsse.


7 – Urteil vom 22. Mai 2008 (C‑162/07, Slg. 2008, I‑4019, Randnr. 19).


8 – Urteil vom 20. Juni 1991 (C‑60/90, Slg. 1991, I‑3111). In Nr. 9 seiner Schlussanträge gelangt Generalanwalt Van Gerven zu dem Ergebnis, dass „[d]ie Frage … daher dahin [geht], ob diese Möglichkeit es einem Mitgliedstaat erlaubt, zwei eng miteinander verbundene Einheiten als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn feststeht, dass eine der Einheiten keine ‚wirtschaftlichen Tätigkeiten‘ im Sinne des Artikels 4 der Sechsten Richtlinie ausübt. Meines Erachtens muss man diese Frage verneinen“.


9 – Irland verweist auf Section 15 (1) des Value Added Tax Consolidation Act 2010, wonach mindestens ein Mitglied einer Mehrwertsteuergruppe ein Steuerpflichtiger im Sinne von Titel III der Mehrwertsteuerrichtlinie sein müsse.


10 – Insoweit weist Irland das Argument zurück, dass Maßnahmen nach Art. 11 im Rahmen des in Art. 395 der Mehrwertsteuerrichtlinie festgelegten Verfahrens zu treffen seien.


11 – Zu Holdinggesellschaften unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer vgl. z. B. Urteile Polysar Investments Netherlands und vom 29. Oktober 2009, SKF (C‑29/08, Slg. 2009, I‑10413).


12 – In diesem Urteil vom 20. Juni 1996 (C‑155/94, Slg. 1996, I‑3013) ging es um die Frage, ob der Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er eine Tätigkeit einschließt, die darin besteht, dass ein Treuhänder (Trustee) im Rahmen der Verwaltung des Vermögens eines gemeinnützigen Trusts Aktien und andere Wertpapiere kauft und verkauft.


13 – Dieses Urteil vom 6. Februar 1997 (C‑80/95, Slg. 1997, I‑745) betraf die Frage, ob Art. 4 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass der bloße Eigentumserwerb und Besitz von Schuldverschreibungen, die nicht einer anderen Unternehmenstätigkeit dienen, und der Zufluss des Ertrages aus diesen nicht als wirtschaftliche Tätigkeiten anzusehen sind, die den Urheber dieser Umsätze zum Steuerpflichtigen machen.


14 – Vgl. Urteil vom 29. Oktober 2009, NCC Construction Danmark (C‑174/08, Slg. 2009, I‑10567, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung); vgl. auch Urteil vom 19. Juli 2012, A (C‑33/11, Randnr. 27).


15 – Zweite Richtlinie 67/228/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Struktur und Anwendungsmodalitäten des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (ABl. 1967, Nr. 71, S. 1303).


16 – Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1).


17 – Der vollständige Wortlaut von Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie lautet in der englischen Sprachfassung „… [E]ach Member State may treat as a single taxable person persons established in the territory of the country who, while legally independent, are closely bound to one another by financial, economic and organizational links“ und in der deutschen Sprachfassung „… [E]s [steht] jedem Mitgliedstaat frei, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln“.


18 – Vgl. dritter Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie: „Im Einklang mit dem Grundsatz besserer Rechtsetzung sollten zur Gewährleistung der Klarheit und Wirtschaftlichkeit der Bestimmungen die Struktur und der Wortlaut der Richtlinie neu gefasst werden; dies sollte jedoch grundsätzlich nicht zu inhaltlichen Änderungen des geltenden Rechts führen. Einige inhaltliche Änderungen ergeben sich jedoch notwendigerweise im Rahmen der Neufassung und sollten dennoch vorgenommen werden. Soweit sich solche Änderungen ergeben, sind sie in den Bestimmungen über die Umsetzung und das Inkrafttreten der Richtlinie erschöpfend aufgeführt.“


19 – Urteil vom 15. Juli 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑582/08, Slg. 2010, I‑7195, Randnrn. 49 bis 51).


20 – Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, insbesondere Randnr. 51. Vgl. auch Nr. 52 meiner Schlussanträge in jener Rechtssache.


21 – Vgl. Begründung des Vorschlags einer Sechsten Richtlinie, KOM(73) 950 vom 20. Juni 1973.


22 – Die Möglichkeit, Mehrwertsteuergruppen zuzulassen, ist in der Praxis unterschiedlich in Anspruch genommen worden. In einigen Mitgliedstaaten, die die Regelung für Mehrwertsteuergruppen eingeführt haben, ist die Teilnahme für Personen, die die Voraussetzung erfüllen, obligatorisch, in anderen ist sie freiwillig.


23 – Vgl. fünfter Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie.


24 – Vgl. siebter Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie.


25 – Terra, B., und Kajus, J., A Guide to the European VAT Directives, IBFD, 2012, Kapitel 7.3.


26 – Vgl. Urteil Ampliscientifica und Amplifin (Randnrn. 19 f.).


27 – Eine zusammenfassende Darstellung der Vorsteuerabzugsregelung findet sich im Urteil vom 6. September 2012, Tóth (C‑324/11, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28 – Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Option der MwSt-Gruppe gemäß Artikel 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (KOM[2009] 325 endg., S. 13).


29 – Vgl. Urteil Polysar Investments Netherlands (Randnrn. 15 bis 17).


30 – Vgl. Urteile vom 29. April 2004, EDM (C‑77/01, Slg. 2004, I‑4295, Randnr. 49), und vom 13. März 2008, Securenta (C‑437/06, Slg. 2008, I‑1597, Randnr. 26), wo es heißt: „Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts geht hervor, dass Securenta drei Arten von Tätigkeiten ausübt, und zwar erstens nichtwirtschaftliche und als solche nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallende Tätigkeiten, zweitens wirtschaftliche und demzufolge in deren Anwendungsbereich fallende, aber von der Mehrwertsteuer befreite Tätigkeiten und drittens wirtschaftliche Tätigkeiten, die steuerpflichtig sind. Daher stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Steuerpflichtiger zum Abzug der Vorsteuern auf Aufwendungen berechtigt ist, die keinen bestimmten Ausgangstätigkeiten zugeordnet werden können.“