Language of document : ECLI:EU:T:2012:494

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

27. September 2012(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Flachglasmarkt im EWR – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung – Nachweis der Zuwiderhandlung – Berechnung der Geldbußen – Ausschluss konzerninterner Verkäufe – Begründungspflicht – Gleichbehandlung – Mildernde Umstände“

In der Rechtssache T‑82/08

Guardian Industries Corp. mit Sitz in Dover, Delaware (Vereinigte Staaten),

Guardian Europe Sàrl mit Sitz in Dudelange (Luxemburg),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Völcker, F. Louis, A. Vallery, C. Eggers und H.‑G. Kamann,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre und R. Sauer als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K (2007) 5791 endg. der Kommission vom 28. November 2007 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.165 – Flachglas), soweit sie die Klägerinnen betrifft, hilfsweise, Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerinnen verhängten Geldbußen

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter),

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2012

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Die Klägerinnen, die Guardian Industries Corp. und die Guardian Europe Sàrl, gehören der Unternehmensgruppe Guardian an, die die Herstellung von Flachglas und Glas für Kraftfahrzeuge betreibt. Guardian Industries ist die Muttergesellschaft der Unternehmensgruppe Guardian und hält mittelbar 100 % des Gesellschaftskapitals von Guardian Europe.

2        Am 22. und 23. Februar 2005 sowie am 15. März 2005 nahm die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in den Geschäftsräumen der Guardian Flachglas GmbH, von Guardian Europe und der Guardian Luxguard I SA unangekündigte Nachprüfungen vor.

3        Am 2. März 2005 stellten die Asahi Glass Co. Ltd und sämtliche ihrer Tochtergesellschaften einschließlich der Glaverbel SA/NV, später AGC Flat Glass Europe SA/NV (im Folgenden: Glaverbel), einen Antrag auf Erlass, hilfsweise, Ermäßigung einer Geldbuße gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3).

4        Am 3. Januar 2006 leitete die Kommission ein Verfahren nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) ein und unterrichtete die Beteiligten davon am 6. März 2006.

5        Am 10. Februar 2006 richtete die Kommission Auskunftsersuchen an mehrere Unternehmen, u. a. an die Klägerinnen. Guardian Europe beantwortete dieses Ersuchen am 10. März 2006.

6        Am 9. März 2007 verfasste die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, die am 13. und 14. März 2007 mehreren Unternehmen, u. a. den Klägerinnen, zugeleitet wurde.

7        Am 28. November 2007 erließ die Kommission die Entscheidung K (2007) 5791 endg. in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.165 – Flachglas), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 24. Mai 2008 (ABl. C 127, S. 9) veröffentlicht wurde und die den Klägerinnen am 3. Dezember 2007 zugestellt wurde.

8        Die angefochtene Entscheidung wurde auch an Asahi Glass, Glaverbel, die Pilkington Deutschland AG, die Pilkington Group Ltd, die Pilkington Holding GmbH (im Folgenden gemeinsam: Pilkington), die Compagnie de Saint-Gobain SA und die Saint-Gobain Glass France SA (im Folgenden gemeinsam: Saint-Gobain) gerichtet.

9        In der angefochtenen Entscheidung führte die Kommission aus, dass sich die Unternehmen, die Adressaten der Entscheidung seien, an einer einzigen fortdauernden Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG beteiligt hätten, die sich auf den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erstreckt habe und in der Vereinbarung von Preiserhöhungen, Mindestpreisen, Zielpreisen, des Einfrierens von Preisen und sonstiger Geschäftsbedingungen für den Verkauf von vier Produktkategorien – als Bauglas verwendete Flachglasprodukte, nämlich Floatglas, Low‑E‑Glas, Verbundsicherheitsglas und unverarbeitetes Spiegelglas – an unabhängige Abnehmer und im Austausch vertraulicher geschäftlicher Informationen bestanden habe.

10      Die Klägerinnen wurden der Zuwiderhandlung für die Zeit vom 20. April 2004 bis 22. Februar 2005 schuldig befunden und gesamtschuldnerisch mit einer Geldbuße von 148 Mio. Euro belegt.

 Verfahren und Anträge der Parteien

11      Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 12. Februar 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

12      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Sechste Kammer) beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen, und den Parteien im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 seiner Verfahrensordnung schriftliche Fragen gestellt. Die Parteien haben diese Fragen fristgemäß beantwortet.

13      Am 8. Februar 2012 haben die Klägerinnen dem Gericht eine Tabelle über die Einzelheiten der Berechnung der gegen sie verhängten Geldbuße übermittelt. Am 10. Februar 2012 hat die Kommission eine Stellungnahme zu diesem Schriftstück eingereicht, die den Klägerinnen am selben Tag übermittelt worden ist.

14      In der Sitzung vom 13. Februar 2012 haben die Parteien mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

15      Die Klägerinnen beantragen,

–        Art. 1 der angefochtenen Entscheidung für teilweise nichtig zu erklären;

–        die verhängte Geldbuße herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Zur Stützung ihres Antrags auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen die Klägerinnen einen einzigen Grund an, und zwar Tatsachenirrtümer in Bezug auf die Dauer ihrer Beteiligung am Kartell und auf dessen geografischen Umfang. Zur Stützung ihres Antrags auf Herabsetzung der Geldbuße führen die Klägerinnen drei Gründe an, erstens die Notwendigkeit einer Herabsetzung der Geldbuße wegen teilweiser Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung zweitens einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Begründungspflicht in Bezug auf die Berechnung der Geldbuße sowie drittens einen Beurteilungsfehler in Anbetracht der sehr begrenzten und passiven Rolle, die sie bei der Zuwiderhandlung gespielt hätten, und einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot.

18      In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien ferner die Zulässigkeit einer Reihe von Unterlagen in Abrede gestellt.

 Zur Zulässigkeit bestimmter Unterlagen und von Bezugnahmen auf Unterlagen

 Zur Zulässigkeit des Schreibens der Kommission vom 10. Februar 2012

19      In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen geltend gemacht, dass das Schreiben der Kommission vom 10. Februar 2012 nicht zulässig sei, weil es Zahlen enthalte, die ihnen niemals zuvor mitgeteilt worden seien.

20      Die Kommission ist der Ansicht, dass dieses Schreiben, das eine Ergänzung ihrer Antwort vom 23. Januar 2012 auf die ihr vom Gericht gestellten Fragen darstelle, zulässig sei.

21      Das betreffende Schreiben ist beim Gericht nach Ablauf der der Kommission gesetzten Frist eingegangen, den Klägerinnen jedoch am 10. Februar 2012 übermittelt worden. Es enthält Ausführungen zu einem Schriftstück, das die Klägerinnen am 8. Februar 2012 eingereicht haben, und eine Ergänzung der Antwort der Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts, die vor der mündlichen Verhandlung zu beantworten war und sich auf die Methode der Berechnung der Geldbuße bezog, die die Klägerinnen für den Fall des Ausschlusses konzerninterner Verkäufe vorgeschlagen hatten. Die Kommission hat darin zum einen erläutert, dass die in der Tabelle Nr. 1 ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgeführten Zahlen nicht nur die internen Verkäufe, sondern auch die Verkäufe bestimmter Kategorien von Glas, die schließlich in der angefochtenen Entscheidung nicht berücksichtigt worden seien, betroffen hätten, und zum anderen das Verhältnis zwischen den Gesamtverkäufen der Kartellmitglieder und deren internen Verkäufen angegeben.

22      Unter Berücksichtigung des Inhalts dieses Schreibens und des Umstands, dass es den Klägerinnen übermittelt worden ist, die auf diese Weise zu seinem Inhalt in der mündlichen Verhandlung Stellung nehmen konnten, ist das betreffende Schriftstück als zulässig zu betrachten, und die von den Klägerinnen erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit der Bezugnahmen auf Unterlagen, die dem Gericht nicht vorgelegt worden sind

23      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission geltend gemacht, dass bestimmte Bezugnahmen im mündlichen Vortrag der Klägerinnen auf dem Gericht nicht vorgelegte Unterlagen nicht zulässig seien, weil sich diese nicht bei den Gerichtsakten befänden. Dies gelte insbesondere für die Antwort der Klägerinnen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte.

24      Nach Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung, der den Inhalt einer beim Gericht eingereichten Klageschrift regelt, muss diese „gegebenenfalls die Bezeichnung der Beweismittel“ enthalten. Desgleichen muss nach Art. 46 § 1 der Verfahrensordnung die Klagebeantwortung gegebenenfalls die Bezeichnung der Beweismittel enthalten. Diese Bestimmungen werden durch Art. 48 § 1 der Verfahrensordnung ergänzt, wonach die Parteien in der Erwiderung oder in der Gegenerwiderung noch Beweismittel benennen können.

25      Im Übrigen können gemäß Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Lauf des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.

26      Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen jedoch weder neue Beweismittel noch ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens vorbringen wollen, sondern sich darauf beschränkt, in der mündlichen Verhandlung einige Argumente vorzutragen, die auf Unterlagen beruhten, die dem Gericht nicht vorgelegt worden sind. Daher ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, und es ist vielmehr Sache des Gerichts, das Vorbringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung anhand der Beweismittel zu beurteilen, die sich bei den Akten befinden.

27      Die letzte von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung erhobene Einrede der Unzulässigkeit, die die Bezugnahmen der Kommission auf die Antwort von Pilkington auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Klagebeantwortung und in ihrer Antwort auf die schriftlichen Fragen des Gerichts betrifft, ist zu prüfen, nachdem sämtliche von den Klägerinnen vorgetragenen Klagegründe geprüft worden sind.

 Zum Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung

28      Die Klägerinnen stützen ihren Antrag auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung auf einen einzigen Grund, und zwar Tatsachenirrtümer in Bezug auf die Dauer ihrer Beteiligung am Kartell und dessen geografische Ausdehnung.

29      Die Klägerinnen rügen, dass die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass sie dem Kartell vor dem 11. Februar 2005 beigetreten seien und dass dieses sich auf das gesamte Gebiet des EWR erstreckt habe. Die von der Kommission hierfür vorgelegten Beweise seien mehrdeutig und widersprüchlich und beruhten auf subjektiven, vagen und nicht bestätigten Zeugenaussagen sowie auf Unterstellungen, die auf früheren Vorkommnissen beruhten.

 Zum ersten Teil: unzutreffende Beurteilung der Dauer der Beteiligung der Klägerinnen an der Zuwiderhandlung

30      Die Kommission befand die Klägerinnen der Zuwiderhandlung für die Zeit vom 20. April 2004 bis 22. Februar 2005 für schuldig und stützte sich dabei auf verschiedene Beweismittel, nämlich auf bei den Nachprüfungen beschlagnahmte Unterlagen, die teilweise durch mündliche Erklärungen und Unterlagen bestätigt wurden, die Glaverbel im Rahmen eines Antrags auf Anwendung der Kronzeugenregelung abgab bzw. vorlegte, und auf die Antworten mehrerer Unternehmen auf Auskunftsersuchen. Die Kommission ging dabei davon aus, dass die Klägerinnen ihre Beteiligung an Kartellpraktiken in der Sitzung vom 20. April 2004 aufgenommen hätten, die in Deutschland mit ihrem Vertreter und demjenigen von Pilkington abgehalten worden sei und in der der Letztgenannte sie von den Kartellmaßnahmen unterrichtet habe, die mit Saint-Gobain und Glaverbel vereinbart worden seien. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, hat sich die Kommission insbesondere auf zwei in den Geschäftsräumen von Pilkington bei unangekündigten Nachprüfungen beschlagnahmte Seiten mit handschriftlichen Notizen gestützt (Erwägungsgründe 155 bis 188 der angefochtenen Entscheidung). Nach Ansicht der Kommission setzten die Klägerinnen ihre Beteiligung an den Kartellpraktiken dadurch fort, dass sie am 15. Juni 2004 einen Anruf von Pilkington erhalten hätten, mit dem sie von der in Bezug auf den italienischen Markt geschlossenen Vereinbarung unterrichtet worden seien, die sie gebilligt hätten (Erwägungsgründe 189 bis 196 der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission ging außerdem davon aus, dass die Klägerinnen gemeinsam mit Glaverbel, Pilkington und Saint-Gobain (im Folgenden: die drei anderen Kartellbeteiligten) an einer Sitzung in Luxemburg am 2. Dezember 2004 teilgenommen hätten, in der Entscheidungen über Preiserhöhungen, Mindestpreise und sonstige Geschäftsbedingungen für den Verkauf von Flachglas in mehreren europäischen Ländern getroffen worden seien, und stützte sich dafür auf handschriftliche Notizen, die in den Geschäftsräumen von Pilkington bei unangekündigten Nachprüfungen beschlagnahmt wurden, und auf Auszüge aus Notizbüchern (Erwägungsgründe 197 bis 264 der angefochtenen Entscheidung). Schließlich vertrat die Kommission die Ansicht, dass sich die Klägerinnen und die drei anderen Kartellbeteiligten am 11. Februar 2005 in Paris (Frankreich) getroffen hätten, um Preiserhöhungen und sonstige Geschäftsbedingungen für den Verkauf von Flachglasprodukten in mehreren Ländern der Europäischen Gemeinschaft zu vereinbaren und vertrauliche geschäftliche Informationen auszutauschen (Erwägungsgründe 265 bis 296 der angefochtenen Entscheidung).

31      Die Klägerinnen machen geltend, sie hätten sich nicht vor dem 11. Februar 2005 am Kartell beteiligt. Sie treten der Auffassung der Kommission entgegen, dass die Sitzungen vom 20. April und vom 2. Dezember 2004 sowie der Telefonanruf vom 15. Juni 2004 Indizien darstellen könnten, mit denen ihre Beteiligung am Kartell bewiesen werde. Diese Kontakte seien möglicherweise eine „Testphase“ für die drei anderen Kartellbeteiligten gewesen, bevor versucht worden sei, sie zu einer wirklichen Kartellsitzung einzuladen. Sie räumen jedoch ein, an der Sitzung vom 11. Februar 2005 teilgenommen zu haben.

32      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 sowie nach ständiger Rechtsprechung die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG der Behörde obliegt, die diesen Vorwurf erhebt; diese hat die Beweismittel beizubringen, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend beweisen (Urteile des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Randnr. 58, und vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 86). Hat der Richter Zweifel, so muss dies dem Unternehmen zugutekommen, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 14. Februar 1978, United Brands und United Brands Continentaal/Kommission, 27/76, Slg. 1978, 207, Randnr. 265), und der Richter kann nach dem Grundsatz der Unschuldsvermutung insbesondere im Rahmen einer Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der eine Geldbuße verhängt wird, nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Kommission die betreffende Zuwiderhandlung rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, wenn ihm in dieser Frage Zweifel bleiben (Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, JFE Engineering u. a./Kommission, T‑67/00, T‑68/00, T‑71/00 und T‑78/00, Slg. 2004, II‑2501, Randnr. 177). Daher muss die Kommission genaue und übereinstimmende Beweise beibringen, die die feste Überzeugung begründen, dass die Zuwiderhandlung begangen wurde. Jedoch muss nicht jeder der von der Kommission vorgelegten Beweise diesen Kriterien notwendig hinsichtlich jedes Merkmals der Zuwiderhandlung genügen. Es reicht aus, dass das von der Kommission angeführte Indizienbündel bei seiner Gesamtwürdigung dieser Anforderung genügt (Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, Randnrn. 179 und 180).

33      Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist es üblich, dass die Tätigkeiten im Rahmen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen und Vereinbarungen insgeheim ablaufen, dass die Zusammenkünfte heimlich stattfinden und dass die Unterlagen darüber auf ein Minimum reduziert werden. Selbst wenn die Kommission Schriftstücke findet, die eine unzulässige Kontaktaufnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen, handelt es sich daher normalerweise nur um lückenhafte und vereinzelte Belege, so dass es häufig erforderlich ist, bestimmte Einzelheiten durch Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. In den meisten Fällen muss deshalb das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteile des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 55 bis 57, und vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, Slg. 2007, I‑729).

34      Wenn die Kommission bei ihren Überlegungen unterstellt, dass sich die festgestellten Tatsachen nur mit einer Abstimmung zwischen den Unternehmen erklären lassen, brauchen die Kläger nur Umstände nachzuweisen, die den von der Kommission festgestellten Sachverhalt in einem anderen Licht erscheinen lassen und damit eine andere Erklärung dieses Sachverhalts ermöglichen, als sie die Kommission gegeben hat (Urteil des Gerichtshofs vom 28. März 1984, Compagnie royale asturienne des mines und Rheinzink/Kommission, 29/83 und 30/83, Slg. 1984, 1679, Randnr. 16, und Urteil des Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, T‑305/94 bis T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999, II‑931, Randnr. 725).

35      Die Kommission führt jedoch zutreffend aus, dass diese Rechtsprechung nicht anwendbar ist, wenn sich ihre Feststellungen auf Urkundsbeweise stützen (Urteile des Gerichts Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, oben in Randnr. 34 angeführt, Randnrn. 725 bis 727, JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnrn. 186 und 187, und vom 12. September 2007, Coats Holdings und Coats/Kommission, T‑36/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 72).

36      Im Licht dieser Grundsätze ist das Vorbringen der Klägerinnen zu prüfen, dass sie sich vor dem 11. Februar 2005 nicht am Kartell beteiligt hätten.

–       Zur Sitzung vom 20. April 2004

37      Die Klägerinnen ziehen zunächst den wettbewerbswidrigen Gegenstand der Sitzung am 20. April 2004 und den Beweiswert der Notizen von Herrn B., dem Angestellten von Pilkington, der an dieser Sitzung teilgenommen hatte, in Zweifel. Zum einen machen sie geltend, dass die Sitzung vom 20. April 2004 mit Herrn F., einem Angestellten von Guardian Europe, und Herrn B. im Gegensatz zu den geheimen Sitzungen, die von den drei anderen Kartellbeteiligten am 9. Januar, 2. März und 15. Juni 2004 sowie am 11. Februar 2005 abgehalten worden seien, keinen wettbewerbswidrigen Gegenstand gehabt habe. Diese Sitzung habe in einem öffentlichen Restaurant stattgefunden, sie habe Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse zum Gegenstand gehabt, und Herr F. habe die Erstattung der Rechnung für das Abendessen verlangt. Zum anderen führen die Klägerinnen im Zusammenhang mit den Notizen von Herrn B. über dieses Abendessen, auf die sich die Kommission in der angefochtenen Entscheidung gestützt hat, aus, dass sie nicht während dieses Abendessens aufgezeichnet worden seien und nicht dessen Protokoll darstellten, denn sie enthielten persönliche Gedanken. Im Übrigen müsse ihr Inhalt mit Vorsicht ausgelegt werden, denn sie seien in englischer Sprache von einer nicht anglophonen und unerfahrenen Person abgefasst worden, die beim Notieren der während des Abendessens getanen Äußerungen habe Fehler begehen können.

38      Es ist erforderlich, erstens die Notizen von Herrn B. über die Sitzung vom 20. April 2004 und zweitens den wettbewerbswidrigen Gegenstand dieser Sitzung zu prüfen.

39      In Bezug auf die Notizen von Herrn B. bestreiten die Klägerinnen erstens, dass sie während dieser Sitzung aufgezeichnet worden seien, da Herr F. sich nicht daran erinnere, Herrn B. während des Abendessens Notizen aufzeichnen gesehen zu haben. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Überschrift „Niederschrift der Sitzung“ und das Datum „20/04/2004“ dieser Notizen einen Hinweis darstellen, der die Beurteilung der Kommission bestätigen kann, dass diese ein Protokoll der Erörterungen zwischen Herrn F. und Herrn B. am 20. April 2004 darstellten und während der Sitzung aufgezeichnet worden seien (157. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Die Detailliertheit und der Wortlaut der Notizen bestätigen diese Beurteilung ebenfalls und widersprechen der von den Klägerinnen vorgetragenen Ansicht, dass sie von Herrn B. nach der Sitzung unter Hinzufügung persönlicher Gedanken angefertigt worden seien. Es erscheint nämlich wenig wahrscheinlich, dass Herr B. in der Lage gewesen wäre, sich an die während des Abendessens ausgetauschten Informationen mit so großer Genauigkeit zu erinnern. In Anbetracht dieser Umstände kann die Behauptung der Klägerinnen, dass sich Herr F. nicht daran erinnere, Herrn B. während des Abendessens Notizen aufzeichnen gesehen zu haben, für sich genommen nicht genügen, um die Feststellung der Kommission in Frage zu stellen, dass diese Notizen während der Sitzung vom 20. April 2004 angefertigt worden seien.

40      Die Klägerinnen stellen zweitens den Beweiswert der erwähnten Notizen mit der Behauptung in Frage, dass sie persönliche Gedanken von Herrn B. enthielten und von einer nicht anglophonen und unerfahrenen Person niedergeschrieben worden seien. Die Klägerinnen haben jedoch keinen Beweis zur Stützung dieser Behauptungen erbracht. Sie räumen im Übrigen selbst ein, dass die Notizen klar und geordnet seien, was die Merkmale eines Sitzungsprotokolls sind. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen enthalten diese Notizen, die von Herrn B. als „Niederschrift der Sitzung“ bezeichnet wurden, auch keine persönlichen Gedanken von Herrn B., sondern deuten auf einen Informationsaustausch zwischen Herrn B. und Herrn F. hin. Die von Herrn B. gegebenen Informationen finden sich nämlich in einem ersten Teil, der beispielsweise für das Vereinigte Königreich, Irland und Deutschland die Überschrift „Vereinbarte Preiserhöhung“ enthält, während die von Herrn F. gegebenen Informationen danach und im Fall des Vereinigten Königreichs, Irlands und Deutschlands unter der Rubrik „Informationen“ aufgeführt sind. Die Notizen enthalten auch die nach diesem Informationsaustausch zu ergreifenden Maßnahmen, beispielsweise für Deutschland: „Guardian muss S. den Glaspreis bestätigen“, und für Italien: „Wir müssen die Vorratstage bei den Vertretern bewerten“. Daher besteht das Vorbringen der Klägerinnen aus bloßen Vermutungen, die nicht ausreichen, um den Beweiswert dieser Notizen in Frage zu stellen.

41      Ferner geht aus den Notizen von Herrn B. hervor, dass in dieser Sitzung vertrauliche Informationen ausgetauscht wurden. So unterrichtete Herr B. Herrn F. von den bevorstehenden Preiserhöhungen im Vereinigten Königreich, in Irland und in Deutschland, die von den drei anderen Kartellbeteiligten vereinbart worden waren, und Herr F. lieferte im Gegenzug Informationen über die Stellung der Klägerinnen auf diesen Märkten (Erwägungsgründe 159 bis 167 der angefochtenen Entscheidung).

42      Aus diesen Notizen geht weiter hervor, dass Herr B. Herrn F. von den Erörterungen zwischen den drei anderen Kartellbeteiligten über die Preise und die möglichen Preiserhöhungen auf dem italienischen Markt, auf dem eine Preiserhöhung noch nicht vorgesehen gewesen sei, unterrichtete, und dass Herr F. erklärte, dass er im Fall einer Erhöhung der Preise auf dem italienischen Markt damit einverstanden sei, seine Verkäufe auf diesem Markt zwei Monate lang auszusetzen, um es den drei anderen Kartellbeteiligten zu ermöglichen, die fragliche Preiserhöhung tatsächlich durchzuführen, oder seine Preise drei Monate später gleichzeitig mit ihnen zu erhöhen, um es auf diese Weise der Produktionsstätte, die den italienischen Markt beliefere, zu ermöglichen, diese Erhöhung anzuwenden.

43      Die Klägerinnen machen jedoch geltend, dass die von Herrn F. in dieser Sitzung gelieferten Informationen nicht vertraulich gewesen seien, denn sie seien entweder Pilkington bekannt gewesen oder es seien bewusst falsche Angaben gemacht worden. Der vertrauliche Charakter der Informationen, die Herr F. Herrn B. gab, ergibt sich jedoch bereits aus ihrem Inhalt. Diese Informationen betrafen nämlich die Geschäftsstrategie der Klägerinnen, die Konkurrenten üblicherweise nicht bekannt sein sollte. Dies betrifft insbesondere die Angaben über die Tätigkeit des Werks Goole (Vereinigtes Königreich), die Zahl ihrer Kunden im Vereinigten Königreich und in Irland oder ihr Interesse an kleinen Kunden, die vom „48-Stunden“-Dienst angezogen wurden. Das Gleiche gilt für Informationen über die bei bestimmten Kunden angewandten Preise, ihre Eindrücke in Bezug auf das Interesse, die Preiserhöhung in Deutschland an die Größe der Kunden anzupassen, oder auch das Verhalten im Fall einer Erhöhung der Preise in Italien. Im Übrigen steht der Umstand, dass Herr B. diese Informationen in seinen Notizen festhielt, im Widerspruch zur Behauptung der Klägerinnen, sie seien den Konkurrenten bekannt gewesen.

44      Selbst wenn schließlich nachgewiesen wäre, dass einige der von Herrn F. übermittelten Informationen Ungenauigkeiten enthielten, weil etwa die Zahl der Kundenkonten 130 und nicht 150 betrug oder das Werk Goole mit „geringer Kapazität“ und nicht mit der „geringstmöglichen Kapazität“ arbeitete, bliebe dies ohne Einfluss auf die Beurteilung ihres Wertes. Ferner stellt entgegen dem, was Herr F. in seiner eidesstattlichen Erklärung vom 10. Mai 2007 geltend zu machen scheint, die Erwähnung eines „Auftrags von 135 000 t“ für das Vereinigte Königreich keine falsche Information dar, sondern eine der von den Kartellmitgliedern festgelegten Voraussetzungen für eine Preiserhöhung, nämlich die geschätzte Menge Flachglas, die die Klägerinnen 2004 im Vereinigten Königreich verkaufen sollten (161. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

45      Nach allem durfte die Kommission davon ausgehen, dass in dieser Sitzung zwischen Herrn F. und Herrn B. vertrauliche Informationen in Bezug auf das Vereinigte Königreich, Irland und Deutschland sowie die Strategie der Klägerinnen für den Fall einer Preiserhöhung in Italien ausgetauscht wurden. Wie die Kommission geltend macht, stellt dieser Informationsaustausch zumindest eine abgestimmte Verhaltensweise dar. Jede unmittelbare oder mittelbare Fühlungnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern, durch die ein Konkurrent über das Marktverhalten ins Bild gesetzt wird, zu dem man selbst entschlossen ist oder das man in Erwägung zieht, stellt nämlich eine nach Art. 81 Abs. 1 EG verbotene abgestimmte Verhaltensweise dar, wenn eine solche Fühlungnahme bezweckt oder bewirkt, dass Wettbewerbsbedingungen entstehen, die nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen. (Urteile des Gerichtshofs Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 117, und vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission, C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Randnr. 160; Urteil des Gerichts vom 15. März 2000, Cimenteries CBR u. a./Kommission, „Zement“, T‑25/95, T‑26/95, T‑30/95 bis T‑32/95, T‑34/95 bis T‑39/95, T‑42/95 bis T‑46/95, T‑48/95, T‑50/95 bis T‑65/95, T‑68/95 bis T‑71/95, T‑87/95, T‑88/95, T‑103/95 und T‑104/95, Slg. 2000, II‑491, Randnr. 1852). Diese Form der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen lässt bewusst eine praktische Zusammenarbeit zwischen ihnen an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 8. Juli 2008, BPB/Kommission, T‑53/03, Slg. 2008, II‑1333, Randnr. 179, und vom 2. Februar 2012, Denki Kagaku Kogyo und Denka Chemicals/Kommission, T‑83/08, Randnr. 67). Zum Nachweis einer abgestimmten Verhaltensweise muss daher nicht dargetan werden, dass der betreffende Konkurrent sich förmlich gegenüber einem oder mehreren anderen zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet hat oder dass die Konkurrenten gemeinsam ihr zukünftiges Verhalten auf dem Markt festgelegt haben. Es genügt, dass der Konkurrent durch seine Absichtserklärung die Ungewissheit über das von ihm zu erwartende Marktverhalten beseitigt oder zumindest erheblich verringert hat (Urteile Zement, Randnr. 1852, BPB/Kommission, Randnr. 182, und Denki Kagaku Kogyo und Denka Chemicals/Kommission, Randnr. 67).

46      Daher ist das Vorbringen, mit dem der wettbewerbswidrige Gegenstand dieser Sitzung bestritten werden soll, als unbegründet zurückzuweisen. In Anbetracht der oben in den Randnrn. 41 und 42 beschriebenen Fragen, die in der Sitzung vom 20. April 2004 behandelt wurden, kann der Umstand, dass diese Sitzung bei einem Abendessen in einem öffentlichen Restaurant abgehalten wurde und dass Herr F. die Erstattung der Rechnung für das Abendessen verlangt hat, entsprechend dem Vorbringen der Kommission nicht ausreichen, um die wettbewerbswidrige Natur dieser Sitzung in Frage zu stellen.

47      Die Klägerinnen vertreten ferner die Ansicht, die Kommission habe nicht beweisen können, dass sie dem Kartell in der Sitzung vom 20. April 2004 beigetreten seien. So habe sie, anders als die Rechtsprechung dies verlange, weder nachgewiesen, dass Herr B. Herrn F. Einzelheiten in Bezug auf die vergangenen Sitzungen der drei anderen Kartellbeteiligten mitgeteilt habe, noch, dass Herr F. seine Absicht bekundet habe, durch sein eigenes Verhalten in irgendeiner Weise zum Kartell beizutragen. Ferner habe Herr B. Herrn F. nicht zur Teilnahme an der nächsten Sitzung des Kartells im Juni 2004 aufgefordert, sondern nur zur Teilnahme an der Sitzung im Februar 2005. Die Kommission habe auch nicht nachgewiesen, dass Herr B. vorgeschlagen habe, als Kontakt zu einigen Wettbewerbern zu dienen, die keine Mitglieder des Europäischen Verbands der Flachglashersteller (im Folgenden: GEPVP) seien, eines 1978 gegründeten Verbands zur Vertretung der Flachglashersteller in Europa, der aus den drei anderen Kartellbeteiligten und seit dem 1. Juli 2004 den Klägerinnen bestehe. Die entsprechenden Behauptungen von Glaverbel würden nämlich nicht durch schriftliche Beweise belegt. Schließlich könne die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass das Abendessen vom 20. April 2004 wettbewerbswidriger Natur gewesen sei, nicht auf die Teilnahme von Herrn F. an den späteren Sitzungen vom Dezember 2004 und vom Februar 2005 oder an Sitzungen des GEPVP stützen.

48      Handelt es sich um Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen mit einem wettbewerbswidrigen Zweck, so muss die Kommission, um die Beteiligung eines Unternehmens daran nachzuweisen, nach der Rechtsprechung beweisen, dass das Unternehmen durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele hat beitragen wollen und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte sowie bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 87).

49      Im vorliegenden Fall geht aus den Notizen von Herrn B. zur Sitzung vom 20. April 2004 zum einen hervor, dass die Klägerinnen aufgrund der Herrn F. in der Sitzung mitgeteilten Informationen Kenntnis von den durch die drei anderen Kartellbeteiligten beabsichtigten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen erlangten, und zum anderen, dass sie in Anbetracht der im Gegenzug Herrn B. mitgeteilten Informationen in ihrem eigenen Namen und durch ihr eigenes Verhalten zu den gemeinsamen Zielen des Kartells beitragen wollten. Obwohl die Klägerinnen nämlich, wie sie selbst ausführen, ein aggressiver Wettbewerber auf dem Markt waren, verschafften die von Herrn F. im Rahmen dieser Sitzung gemachten Angaben den drei anderen Kartellbeteiligten Kenntnis von der Stellung der Klägerinnen auf den Märkten des Vereinigten Königreichs, Irlands und Deutschlands, auf denen sie beabsichtigten, die Absprachen über die in den vorhergehenden Sitzungen vereinbarten Preiserhöhungen anzuwenden, und ermöglichten ihnen, diese Preiserhöhungen mit der Zusicherung der Zusammenarbeit der Klägerinnen auf den italienischen Markt auszudehnen. Unter diesen Umständen ist es für den Nachweis der Beteiligung der Klägerinnen am Kartell unerheblich, dass in den Notizen von Herrn B. nicht erwähnt ist, dass er Herrn F. Informationen über die in der Sitzung vom 2. März 2004 getroffenen Absprachen über die Preiserhöhung für die Benelux-Länder oder die in dieser Sitzung beschlossenen Pläne für Preiserhöhungen in anderen Ländern, insbesondere in Frankreich und in Polen, mitgeteilt habe.

50      Deshalb ist entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen und gemäß der oben in den Randnrn. 45 und 48 angeführten Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Kommission bewiesen hat, dass die Klägerinnen von der Sitzung vom 20. April 2004 an am Kartell beteiligt waren.

51      Das Vorbringen der Klägerinnen, dass aus den Notizen von Herrn B. nicht hervorgehe, dass er Herrn F. von den Sitzungen des Kartells, insbesondere der jüngsten vom 2. März 2004, und ihrem Inhalt unterrichtet habe, kann keinen Einfluss auf die Frage haben, ob die Klägerinnen dem Kartell in der Sitzung vom 20. April 2004 beigetreten sind. Wie nämlich oben in Randnr. 41 festgestellt worden ist, geht aus den Notizen von Herrn B. insbesondere hervor, dass er Herrn F. von den Preisabsprachen für das Vereinigte Königreich, Irland und Deutschland sowie den Fristen für ihre Umsetzung („2 Wochen später“ für das Vereinigte Königreich und Irland sowie „1. Mai – 15. Mai – 1. Juni Großkunden“ für Deutschland) unterrichtete. Entsprechend geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass Pilkington am 29. April 2004 eine Erhöhung der Preise im Vereinigten Königreich und in Irland ankündigte, worauf am 11. bzw. am 18. Mai 2004 Ankündigungen von Saint-Gobain und von Glaverbel folgten (159. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, Fn. 193). In Bezug auf Deutschland erfolgte die erste Ankündigung einer Preiserhöhung durch Saint-Gobain am 25. Mai 2004, worauf Anfang Juni 2004 die Ankündigungen von Pilkington und von Glaverbel folgten (163. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung, Fn. 201). Somit hatten die Klägerinnen entgegen ihrem Vorbringen eine ziemlich genaue Kenntnis von den Verhaltensweisen, die die drei anderen Kartellbeteiligten zur Verfolgung ihrer wettbewerbswidrigen Ziele beabsichtigten. Trotzdem zögerte Herr F. nicht, Informationen zu liefern, die zu den Zielen des Kartells beitrugen, wie die Information über eine mögliche Preiserhöhung in Italien.

52      Das Vorbringen der Klägerinnen, aus den Notizen von Herrn B. gehe nicht hervor, dass er Herrn F. eingeladen habe, an der nächsten Kartellsitzung teilzunehmen, ist als unerheblich zurückzuweisen. Die Kommission hat nämlich mit anderen Beweismitteln die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Klägerinnen an allen späteren Kartellsitzungen ab diesem Zeitpunkt nachgewiesen (siehe unten, Randnrn. 63 und 69 bis 71). So rief Herr B. während der Sitzung der drei anderen Kartellbeteiligten am 15. Juni 2004 Herrn F., der sich im Urlaub befand, an, um eine Information zu bestätigen, die dieser ihm in der Sitzung vom 20. April 2004 in Bezug auf Italien gegeben hatte (196. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Die Sitzung vom 2. Dezember 2004 wurde von Herrn F. selbst organisiert und in Luxemburg am Tag vor der Sitzung des GEPVP abgehalten, an der nur vier Vertreter der Kartellmitglieder teilnahmen (Erwägungsgründe 199 und 201 bis 204 der angefochtenen Entscheidung). Schließlich nahmen die Klägerinnen, wie sie selbst einräumen, an der Sitzung vom 11. Februar 2005 teil, zu der sie von Herrn B. eingeladen worden waren.

53      Das Vorbringen der Klägerinnen, den Notizen von Herrn B. sei weder zu entnehmen, wie Herr F. auf dessen Vorschläge reagiert habe, noch, dass er versprochen habe, zur Fortsetzung der Erörterungen beizutragen, ist ebenfalls als unerheblich zurückzuweisen. Wie nämlich oben aus Randnr. 49 hervorgeht, erhielten die Klägerinnen durch den Informationsaustausch zwischen Herrn B. und Herrn F. in der Sitzung vom 20. April 2004 Kenntnis von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, die die drei anderen Kartellbeteiligten beabsichtigten, und wollten durch ihr eigenes Verhalten zu den gemeinsamen Zielen des Kartells beitragen, was nach der oben in Randnr. 48 angeführten Rechtsprechung für den Nachweis der Beteiligung der Klägerinnen am Kartell ausreicht.

54      Die Vermittlerrolle von Herrn B. geht aus dem Protokoll der Sitzung vom 20. April 2004 hervor und wird durch die Erklärungen von Glaverbel vom 8. März und vom 23. Dezember 2005 bestätigt, wobei die erste Erklärung vor der Entdeckung der Notizen von Herrn B. durch die Kommission erfolgte (Erwägungsgründe 80 und 160 der angefochtenen Entscheidung). Der Umstand, dass die Erklärungen von Glaverbel im Rahmen eines Antrags auf Anwendung der Kronzeugenregelung abgegeben wurden, verwehrt es der Kommission nicht, sie zu verwenden (vgl. in diesem Sinne Urteil JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 192). Selbst wenn diese Erklärungen, wie die Klägerinnen geltend machen, den Interessen von Glaverbel nicht unmittelbar zuwiderlaufen, hätte diese kein Interesse daran, gegenüber der Kommission falsche Angaben über die anderen Kartellbeteiligten zu machen. Denn jeder Versuch einer Irreführung der Kommission im Rahmen der Kronzeugenregelung ist geeignet, die Aufrichtigkeit und den Umfang der Kooperation des Antragstellers in Frage zu stellen und damit die für ihn bestehende Möglichkeit zu gefährden, ungeschmälert in den Genuss der Mitteilung über die Zusammenarbeit zu gelangen (Urteil des Gerichts vom 16. November 2006, Peróxidos Orgánicos/Kommission, T‑120/04, Slg. 2006, II‑4441, Randnr. 70). Daher ist das Vorbringen der Klägerinnen zum Beweiswert der Erklärungen von Glaverbel zur Vermittlerrolle von Herrn B. zurückzuweisen.

55      Zum Vorbringen der Klägerinnen, es verstoße gegen die Unschuldsvermutung, dass die Kommission ihre Beteiligung an späteren Sitzungen des Kartells im Dezember 2004 und im Februar 2005 oder des GEPVP angeführt habe, um den wettbewerbswidrigen Charakter der Sitzung vom 20. April 2004 zu beweisen, ist festzustellen, dass die Rechtsprechung der Kommission nicht untersagt, sich auf nach einem wettbewerbswidrigen Verhalten eingetretene tatsächliche Umstände zu berufen, um den Inhalt eines objektiven Beweismittels wie der von Herrn B. in der Sitzung vom 20. April 2004 angefertigten Notizen zu bestätigen. Dagegen untersagt die von den Klägerinnen angeführte Rechtsprechung die Verwendung von Beweismitteln, die einen früheren Zeitraum betreffen, in dem das fragliche Verhalten rechtmäßig war, um den wettbewerbswidrigen Charakter eines späteren Verhaltens nachzuweisen, worum es im vorliegenden Fall aber nicht geht (Urteile des Gerichts vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission, T‑30/91, Slg. 1995, II‑1775, Randnr. 73, und ICI/Kommission, T‑36/91, Slg. 1995, II‑1847, Randnr. 83). Daher ist dieses Vorbringen als jeder Grundlage entbehrend zurückzuweisen.

56      Schließlich bestreiten die Klägerinnen die Behauptung der Kommission, dass Herr B. Herrn F. getroffen habe, um ihn von den trilateralen Absprachen über die Preiserhöhungen im Vereinigten Königreich, in Irland und in Deutschland zu unterrichten oder ihr Verhalten im Fall einer Preiserhöhung in Italien festzulegen; außerdem bestreiten sie, dass Preisabsprachen für Deutschland überhaupt bestanden hätten. Ferner machen sie geltend, dass nach der Rechtsprechung der bloße Umstand, dass man über Sitzungen eines Kartells informiert werde, keine Zuwiderhandlung bedeute.

57      Wie bereits in Randnr. 45 ausgeführt worden ist, hat sich im vorliegenden Fall Herr F. in der Sitzung vom 20. April 2004 an einem Austausch vertraulicher Informationen mit Herrn B. betreffend das Vereinigte Königreich, Irland, Deutschland und Italien beteiligt. Herr F. hat sich keineswegs von den wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen distanziert, von denen er unterrichtet wurde, sondern Informationen über die Geschäftsstrategie der Klägerinnen im Vereinigten Königreich, in Irland und in Deutschland geliefert und mitgeteilt, wie sich die Klägerinnen im Fall einer Preiserhöhung in Italien verhalten würden (vgl. oben, Randnrn. 41 bis 44), wodurch er die Unsicherheit über das von ihnen zu erwartende Marktverhalten erheblich verringert hat (vgl. oben, Randnr. 45). Daher ist das Vorbringen der Klägerinnen, dass aus den Notizen von Herrn B. nicht hervorgehe, dass Herr F. Verpflichtungen in Bezug auf ihre künftige Preispolitik im Vereinigten Königreich eingegangen sei oder dass er Unterstützung für eine Preiserhöhung kundgetan habe, unerheblich. Ferner kann entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen der Umstand, dass man über Sitzungen eines Kartells informiert wird, eine Zuwiderhandlung bilden, wenn im Gegenzug Informationen zu dem Zweck geliefert werden, zu den gemeinsamen Zielen des Kartells beizutragen (vgl. oben, Randnrn. 48 und 49). Schließlich belegen die später eingetretenen Tatsachen, dass die Klägerinnen nach dieser Sitzung das Verhalten der drei anderen Kartellbeteiligten beobachtet haben. Aus einem bei den Nachprüfungen beschlagnahmten internen Dokument der Klägerinnen geht nämlich hervor, dass diese nach einer Preiserhöhung der drei anderen Kartellbeteiligten im Vereinigten Königreich und in Irland ebenfalls eine Preiserhöhung vornahmen (159. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

58      Das Vorbringen, die Kommission habe nicht nachgewiesen, dass in der Sitzung vom 2. März 2004 eine Vereinbarung über die Erhöhung der Preise für Deutschland getroffen worden sei, ist als völlig unerheblich zurückzuweisen. Aus den Notizen von Herrn B. geht nämlich hervor, dass er Herrn F. von dem Bestehen und dem Inhalt dieser Vereinbarung unterrichtet hat, wobei der Zeitpunkt ihres Abschlusses durch die drei anderen Kartellbeteiligten irrelevant ist, und dass Herr F. somit Kenntnis von ihrem Bestehen erlangt hat. Im Übrigen erteilte Herr F. im Gegenzug Herrn B. Auskünfte über das System doppelter Preise, das bei S., einem gemeinsamen Kunden der Klägerinnen und von Pilkington, angewandt wurde, und sollte ihn von dem tatsächlich bei diesem Kunden angewandten Verkaufspreis unterrichten. Herr F. schlug sogar eine Spanne für die Preiserhöhung vor. Außerdem bestätigen später eingetretene Tatsachen das Bestehen der betreffenden Vereinbarung. Wie nämlich oben in Randnr. 51 festgestellt worden ist, wurde diese Vereinbarung von den drei anderen Kartellbeteiligten zu Zeitpunkten umgesetzt, die nahe bei denjenigen lagen, die Herr B. Herrn F. in der Sitzung vom 20. April 2004 mitteilte und die in seinen Notizen angegeben waren, und zwar am 25. Mai 2004 von Saint-Gobain, am 4. Juni 2004 von Pilkington und am 7. Juni 2004 von Glaverbel, während es sich bei den vorgesehenen Zeitpunkten um den 1. Mai, den 15. Mai und den 1. Juni 2004 handelte. Entgegen der Ansicht der Klägerinnen ist diese Abweichung unbedeutend und kann nicht in Frage stellen, dass diese Vereinbarung bestand und dass zwischen Herrn F. und Herrn B. hierzu in der Sitzung vom 20. April 2004 ein Informationsaustausch stattfand.

59      Nach allem durfte die Kommission in den Erwägungsgründen 171 und 188 der angefochtenen Entscheidung davon ausgehen, dass Herr B. Herrn F. am 20. April 2004 traf, um ihn vom Bestehen von Vereinbarungen zwischen den drei anderen Kartellbeteiligten über die Erhöhung der Preise für das Vereinigte Königreich, Irland und Deutschland zu unterrichten, und dass Herr F. ihm vertrauliche Informationen über die Geschäftsstrategie der Klägerinnen auf diesen Märkten übermittelte. Im Fall von Italien teilte Herr F. ferner mit, dass sich die Klägerinnen einer Preiserhöhung nicht widersetzen würden. Somit ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Sitzung vom 20. April 2004 einen wettbewerbswidrigen Charakter hatte und dass die Klägerinnen von dieser Sitzung an am Kartell beteiligt waren (330. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

–       Telefonische Unterredung vom 15. Juni 2004

60      Die Kommission hat die Ansicht vertreten, dass die Klägerinnen ihre Beteiligung an den Kartellpraktiken dadurch fortgesetzt hätten, dass sie am 15. Juni 2004 einen Anruf von Pilkington erhalten hätten, mit dem sie von der in Bezug auf den italienischen Markt getroffenen Vereinbarung unterrichtet worden seien, die sie gebilligt hätten (Erwägungsgründe 189 bis 196 der angefochtenen Entscheidung).

61      Die Klägerinnen machen geltend, dass die Kommission keinen Beweis für den Inhalt der telefonischen Unterredung zwischen Herrn B. und Herrn F., die während der Sitzung vom 15. Juni 2004 stattgefunden habe, erbracht habe und dass sie ihre Behauptung, Herr F. habe bei dieser Unterredung erklärt, dass er sich der Preisabsprache für Italien nicht widersetzen werde, allein auf die von Glaverbel im Rahmen ihres Antrags auf Anwendung der Kronzeugenregelung abgegebenen Erklärungen gestützt habe. In Wirklichkeit habe Herr F. nur erklärt, dass die Klägerinnen, da sie kein wichtiger Akteur auf dem italienischen Markt seien, nicht in der Lage seien, die Preise dieses Marktes zu beeinflussen, und auf diese Weise die beim Abendessen am 20. April 2004 gemachten Aussagen wiederholt. Außerdem stehe eine kurze telefonische Unterredung einer Beteiligung an der Kartellsitzung, die nach den Ausführungen von Glaverbel fünf Stunden gedauert habe, nicht gleich.

62      Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach der oben in Randnr. 54 angeführten Rechtsprechung der Umstand, dass die Erklärungen von Glaverbel im Rahmen eines Antrags auf Anwendung der Kronzeugenregelung abgegeben wurden, für sich genommen den Beweiswert dieser Erklärungen nicht schmälert.

63      Die Klägerinnen räumen ein, dass Herr B. Herrn F. angerufen hat und dass beide über Italien gesprochen haben. Glaverbel wiederum hat erklärt, dass Herr B. Herrn F. von den in der Sitzung getroffenen Preisabsprachen unterrichtet habe und dass allen Teilnehmern dieser Sitzung klar gewesen sei, dass die Klägerinnen in Anbetracht der Äußerungen von Herrn F. nicht die Absicht gehabt hätten, sich diesen Vereinbarungen zu widersetzen (189. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Wie die Kommission geltend gemacht hat, stimmen diese Erklärungen mit denjenigen von Herrn F. überein, wonach er gegenüber Herrn B. wiederholt habe, was er ihm in der Sitzung vom 20. April 2004 gesagt habe, nämlich, dass er kein wichtiger Akteur auf dem italienischen Markt sei, dass sich diese Situation in naher Zukunft nicht ändern werde und dass er nicht in der Lage sei, Einfluss auf diesen Markt auszuüben. Damit bestätigte Herr F. gegenüber Herrn B., dass die Klägerinnen die Vereinbarungen über die Preiserhöhung auf dem italienischen Markt nicht stören würden. Ferner bestätigt die von den Klägerinnen nicht bestrittene Behauptung von Saint-Gobain das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen diesen Vereinbarungen und den in der Sitzung vom 15. Juni 2004 getroffenen Vereinbarungen, da Saint-Gobain davon ausging, dass Herr F. an dieser Sitzung teilgenommen habe (Erwägungsgründe 190 und 196 der angefochtenen Entscheidung).

64      Die Kommission hat zwar keinen schriftlichen Beweis für die Sitzung oder die telefonische Unterredung vom 15. Juni 2004 vorgelegt. Nach der oben in Randnr. 33 angeführten Rechtsprechung kann sie aber bei lückenhaften oder vereinzelten Belegen bestimmte Einzelheiten durch Schlussfolgerungen rekonstruieren, was sie im vorliegenden Fall in der angefochtenen Entscheidung getan hat (196. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Zudem ist es den Klägerinnen nicht gelungen, eine andere nachvollziehbare Erklärung für den Grund dieses Anrufs und den Inhalt des Telefongesprächs zwischen Herrn B. und Herrn F. über Italien zu geben, von dem sie nicht bestreiten, dass es stattgefunden hat. Schließlich kann in Anbetracht des Inhalts der Sitzung vom 20. April 2004, die sich insbesondere auf Italien bezog, und der Umstände, unter denen diese telefonische Unterredung stattfand, deren wettbewerbswidriger Charakter nicht unter Berufung auf die Kürze des Gesprächs verneint werden.

65      Daher hat die Kommission zutreffend zum einen festgestellt, dass Herr B. am 15. Juni 2004 Herrn F. anrief, um ihn von den in der Sitzung der Vertreter der drei anderen Kartellbeteiligten vom selben Tag getroffenen Vereinbarungen zu unterrichten, und dass Herr F. ihm seinen Standpunkt dazu mitteilte, und zum anderen, dass diese Mitteilung somit wettbewerbswidrigen Charakter hatte.

–       Zur Sitzung vom 2. Dezember 2004

66      Die Kommission ist schließlich davon ausgegangen, dass die Klägerinnen gemeinsam mit den drei anderen Kartellbeteiligten an einer Sitzung in Luxemburg am 2. Dezember 2004 teilgenommen hätten, in der Entscheidungen über Preiserhöhungen, Mindestpreise und andere Geschäftsbedingungen für den Verkauf von Flachglasprodukten in mehreren europäischen Ländern getroffen worden seien, und hat sich dabei insbesondere auf die in den Geschäftsräumen von Pilkington bei unangekündigten Nachprüfungen beschlagnahmten handschriftlichen Notizen und Auszüge aus Notizbüchern gestützt (Erwägungsgründe 197 bis 264 der angefochtenen Entscheidung).

67      Die Klägerinnen bestreiten, dass diese Sitzung einen wettbewerbswidrigen Gegenstand gehabt habe. Erstens habe es sich um ein Abendessen gehandelt, das einer großen Zahl von Personen angekündigt und in einem öffentlichen Restaurant eingenommen worden sei, und Herr F. habe die Erstattung der Rechnung für dieses Abendessen verlangt. Zweitens habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass diese Sitzung zu Absprachen über künftige Preiserhöhungen zwischen den Kartellbeteiligten geführt habe, die ihre Beteiligung erfordert hätten. Die Äußerungen von Herrn F. bei diesem Abendessen könnten nicht als Ausdruck ihres Einverständnisses mit einer Kartellbeteiligung auf EWR-Ebene betrachtet werden, und die Schlussfolgerungen der Kommission in Bezug auf die betreffenden Notizen stünden im Widerspruch zu den Erklärungen von Glaverbel. Nach den Ausführungen dieses Unternehmens sei nämlich bei diesem Abendessen nicht von Preiserhöhungen gesprochen worden, die Klägerinnen hätten vor dem 11. Februar 2005 niemals an einer multilateralen Sitzung des Kartells teilgenommen, und die Erörterungen während des Abendessens hätten sich auf einen Informationsaustausch beschränkt. Drittens seien das in den Notizen von Herrn B. erwähnte „Preiserhöhungskonzept“ und die darauf bezogenen Anmerkungen, die in der Sitzung vom Februar 2005 vorgelegt und teilweise angenommen worden seien, Ausdruck eigener Ideen von Herrn B. oder, was wahrscheinlicher sei, einer bilateralen Diskussion zwischen Herrn B. und Herrn H., einem Angestellten von Saint-Gobain.

68      Zunächst ist klarzustellen, dass die Notizen von Herrn B. von zweierlei Art sind. Die einen wurden auf Papieren mit dem Briefkopf des Hotels N. und von Pilkington aufgezeichnet und tragen die Überschrift „GEPVP-Sitzung in Luxemburg“, die anderen wurden auf einem Papier mit dem Briefkopf von Pilkington aufgezeichnet und tragen die Überschrift „Niederschrift 2/12/04“. Aus den von den Klägerinnen nicht bestrittenen Angaben von Pilkington geht hervor, dass die erstgenannten Notizen von Herrn B. am 3. Dezember 2004 für seinen persönlichen Gebrauch abgefasst wurden und Gedanken zur Sitzung vom 2. Dezember 2004 darstellten, während die zweitgenannten Notizen in der Sitzung vom 2. Dezember 2004 aufgezeichnet wurden.

69      Aus der Überschrift dieser zweitgenannten Notizen – „Niederschrift“ –, ihrem Datum – „2/12/2004“ – und ihrem Inhalt ergibt sich, dass sie ein Protokoll der an diesem Tag abgehaltenen Sitzung darstellen. Sie geben nämlich die Erörterungen zwischen den Teilnehmern über den Flachglaspreis in verschiedenen Ländern des EWR, die Informationen von Herrn F. und in dem Teil „Allgemeine Vereinbarungen“ die getroffenen Vereinbarungen wieder. Diese Beurteilung wird durch die ersten Erklärungen von Pilkington bestätigt, wonach sich diese Seiten aus zeitnahen Notizen einer an diesem Tag in Luxemburg abgehaltenen Sitzung zusammensetzen.

70      Diese Notizen erlauben auch die Feststellung, dass die in dieser Sitzung behandelten Fragen und damit die Sitzung selbst offensichtlich wettbewerbswidrigen Charakter hatten. Aus ihnen wird nämlich deutlich, dass sich die Kartellmitglieder auf eine Erhöhung der Preise in verschiedenen Ländern des EWR einigten und dass Herr F. bestimmte vertrauliche Informationen gab. Glaverbel bestätigte den wettbewerbswidrigen Charakter dieser Sitzung in ihrer Erklärung vom 8. März 2005, wonach „bei diesem Abendessen … neben den üblichen Diskussionen über die Preise eine ausführliche Erörterung der Situation des Kunden S. [erfolgte]“.

71      Daher ist festzustellen, dass die Notizen von Herrn B. sowie die übereinstimmenden Erklärungen von Pilkington und von Glaverbel zu den Diskussionen, die bei dem Abendessen stattfanden, zum einen den wettbewerbswidrigen Charakter der Sitzung vom 2. Dezember 2004 belegen und zum anderen die ursprünglichen Erklärungen von Glaverbel neutralisieren, auf die sich die Klägerinnen berufen und wonach bei diesem Abendessen keine Preiserhöhungen zur Sprache gekommen seien. Wie oben in Randnr. 45 ausgeführt worden ist, kann in Anbetracht dieser Umstände das Vorbringen der Klägerinnen, dass die Sitzung bei einem Abendessen abgehalten worden sei und Herr F. die Erstattung der Rechnung verlangt habe, nicht genügen, um den wettbewerbswidrigen Charakter der Sitzung in Frage zu stellen.

72      Die Klägerinnen bestreiten, dass in der Sitzung Preisabsprachen getroffen worden seien, und behaupten, wie dies auch Pilkington in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ausgeführt habe, dass es sich um einen Informationsaustausch und nicht um eine Absprache gehandelt habe. Aus den Notizen von Herrn B. geht jedoch hervor, dass die Kartellmitglieder in dieser Sitzung nicht nur Informationen austauschten, sondern auch Preisabsprachen trafen. So wurden für Italien Mindestpreise festgesetzt, für das Vereinigte Königreich wurden ein Zielpreis sowie der Zeitplan und das Verfahren für eine Preiserhöhung festgelegt, für die baltischen Staaten wurde eine von den Klägerinnen anzuführende Preiserhöhung beschlossen, für Polen wurde eine von den Klägerinnen anzuführende Preiserhöhung im März 2005 beschlossen, für Frankreich wurde eine von den Klägerinnen anzukündigende Erhöhung um 10 % vereinbart, für die Benelux-Länder wurde eine Preiserhöhung im März 2005 beschlossen, und für Deutschland wurde eine von Pilkington anzuführende Preiserhöhung vereinbart. Ferner fasst die letzte Seite der Notizen von Herrn B. („Allgemeine Vereinbarungen“) die getroffenen und in den Notizen angegebenen Preisabsprachen teilweise zusammen und bezieht sich teilweise auf weitere Vereinbarungen.

73      Dass entsprechend dem Vorbringen der Klägerinnen aus den Notizen von Herrn B. nicht hervorgeht, dass Herr F. Angaben gemacht hat, aus denen auf die Beteiligung der Klägerinnen an den beim Abendessen getroffenen Vereinbarungen geschlossen werden kann, ist unerheblich. Nach ständiger Rechtsprechung ist es ein ausreichender Beleg für die Teilnahme eines Unternehmens am Kartell, wenn die Kommission nachweist, dass das betreffende Unternehmen an Sitzungen teilgenommen hat, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden, ohne sich offen dagegen auszusprechen. Ist die Teilnahme an solchen Sitzungen erwiesen, so obliegt es dem fraglichen Unternehmen, Indizien vorzutragen, die zum Beweis seiner fehlenden wettbewerbswidrigen Einstellung bei der Teilnahme an den Sitzungen geeignet sind, und nachzuweisen, dass es seine Wettbewerber darauf hingewiesen hat, dass es mit einer anderen Zielsetzung als diese an den Sitzungen teilgenommen hat (Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 96, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 81). Wie der Gerichtshof in Randnr. 82 des Urteils Aalborg Portland u. a./Kommission (oben in Randnr. 33 angeführt) ausgeführt hat, beruht dieser Rechtsgrundsatz auf der Erwägung, dass das Unternehmen, indem es an der fraglichen Sitzung teilgenommen hat, ohne sich offen von deren Inhalt zu distanzieren, den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gegeben hat, dass es dem Ergebnis der Sitzung zustimme und sich daran halten werde.

74      Diese Rechtsprechung zur stillschweigenden Billigung beruht auf der Prämisse, dass das betreffende Unternehmen an Sitzungen teilgenommen hat, bei denen wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen wurden oder die offensichtlich wettbewerbswidrigen Charakter hatten (vgl. Urteil Coats Holdings und Coats/Kommission, oben in Randnr. 35 angeführt, Randnr. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung), was, wie bereits oben in Randnr. 71 ausgeführt worden ist, hier der Fall ist.

75      Im vorliegenden Fall haben die Klägerinnen keinen Beweis dafür vorgelegt, dass Herr F. zwar in ihrem Namen an der Sitzung teilgenommen, sich jedoch von den getroffenen Absprachen distanziert hat. Nach der in den vorhergehenden Randnummern angeführten Rechtsprechung genügt daher die bloße Teilnahme von Herrn F. an der Sitzung als Vertreter der Klägerinnen für die Feststellung, dass er in deren Namen die stillschweigende Billigung der in dieser Sitzung getroffenen Vereinbarungen zum Ausdruck gebracht hat.

76      Somit geht entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen aus den von Herrn B. in der Sitzung vom 2. Dezember 2004 aufgezeichneten Notizen hervor, dass die Kartellbeteiligten in dieser Sitzung nicht nur vertrauliche Informationen austauschten, sondern auch Absprachen über die Erhöhung der Preise verschiedener Arten von Flachglas für verschiedene Länder des EWR trafen, und dass Herr F. im Namen der Klägerinnen seine stillschweigende Billigung dieser Absprachen kundgetan hat.

77      Die Klägerinnen führen allerdings aus, dass das in den Notizen von Herrn B. erwähnte „Preiserhöhungskonzept“ kein Indiz für eine umfassende Absprache in Bezug auf die künftigen Preiserhöhungen sei. Das „Preiserhöhungskonzept“ findet sich in den von Herrn B. nach dem Abendessen verfassten Notizen auf dem Papier mit dem Briefkopf des Hotels N. Wie oben in Randnr. 68 festgestellt, wurden diese Notizen für seinen persönlichen Gebrauch abgefasst. In diesem Zusammenhang stellt das Preiserhöhungskonzept nur die Rubrik dar, unter der sich eine Tabelle findet, in der die verschiedenen oben in Randnr. 72 erwähnten Preisabsprachen für das kommende Jahr zusammengefasst werden, und die darauf bezogenen Anmerkungen können weder als Auslegung der Rolle, die die Klägerinnen im Kartell spielen könnten, durch Herrn B. noch als Zusammenfassung einer bilateralen Diskussion zwischen Herrn B. und Herrn H. nach dem Abendessen betrachtet werden. Daher kann dieses Vorbringen bezüglich des „Preiserhöhungskonzepts“ nicht ausreichen, um die Tatsache in Frage zu stellen, dass in dieser Sitzung Preiserhöhungen abgesprochen wurden.

78      Die Klägerinnen machen weiter geltend, dass die Sätze „[d]ie allgemeinen Bemerkungen zum Verhalten von Guardian wurden von den anderen unterstützt“ und „[a]uf sämtlichen Märkten sind die Preise bedroht“, die dem „Preiserhöhungskonzept“ vorausgehen, Anmerkungen von Herrn B., von Herrn H., einem Angestellten von Saint-Gobain, und/oder von Herrn D., einem Angestellten von Glaverbel, wiedergäben, die belegten, dass sie nicht von ihrer aggressiven Strategie abgewichen seien. Dieses Vorbringen kann das vorhergehende Ergebnis nicht entkräften. Diese Sätze, die in den Kontext einer von Herrn B. zu persönlichen Zwecken erstellten Zusammenfassung der in der Sitzung am Vortag behandelten Fragen gehören (vgl. oben, Randnrn. 68 und 77), lassen keine Distanzierung der Klägerinnen von den Absprachen erkennen. Zum einen ist der Satz „[a]uf sämtlichen Märkten sind die Preise bedroht“ eine Feststellung der Lage zum Zeitpunkt der Sitzung vom 2. Dezember 2004 (vgl. beispielsweise das Sitzungsprotokoll, wo es zum Vereinigten Königreich heißt, dass „[d]ie Preise im VK … als niedrig betrachtet [werden]“, zu Frankreich, dass „[d]ie Preise … gegenwärtig praktisch die niedrigsten in Europa [sind]“, zu Deutschland, dass „[d]ie Preise … unverzüglich auf dem gegenwärtigen Niveau stabilisiert werden [müssen]“, zu Spanien, dass die Preise „seit 2 Monaten im freien Fall [sind]“, und zur ersten der getroffenen allgemeinen Absprachen, dass vorgesehen ist, die „Preise in ganz Europa … in den nächsten Monaten einzufrieren“). Zum anderen wird erwähnt, dass „[d]ie allgemeinen Bemerkungen zum Verhalten von Guardian … von den anderen unterstützt [wurden]“, was eine Kritik am Verhalten der Klägerinnen vor dieser Sitzung ist, das bis zu diesem Zeitpunkt nicht den Erwartungen entsprach (vgl. insbesondere das Sitzungsprotokoll, wo es zu den baltischen Staaten heißt, dass, „[o]bwohl vereinbart war, die Preise zu erhöhen [Gl + P haben dies getan], … G dies nicht getan [hat], und im Übrigen … die Preise gegenwärtig auf demselben Niveau (Ø [= Durchschnitt] 260) [sind]“.

79      Nach allem ist anzunehmen, dass entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen (siehe oben, Randnr. 31) die Kontakte zwischen ihnen und den drei anderen Kartellbeteiligten nicht Teil einer „Testphase“ waren, sondern eine echte Beteiligung am Kartell darstellten. Es ist nämlich nachgewiesen worden, dass die Klägerinnen, vertreten durch Herrn F., dem Kartell in der Sitzung vom 20. April 2004 beitraten, dass sie am 15. Juni 2004 einen Telefonanruf empfingen, dass sie am 2. Dezember 2004 ein Abendessen veranstalteten und dass die Erörterungen bei diesen drei Kontakten einen wettbewerbswidrigen Gegenstand hatten. Ferner haben die Klägerinnen ihre Teilnahme an der Sitzung vom 11. Februar 2005, die ebenfalls einen wettbewerbswidrigen Gegenstand hatte, eingeräumt. Da die Abhaltung der Sitzungen vom 20. April und vom 2. Dezember 2004 sowie die Teilnahme der Klägerinnen daran durch die von Herrn B. in diesen Sitzungen aufgezeichneten Notizen, deren Beweiswert die Klägerinnen nicht entkräftet haben (vgl. oben, Randnrn. 39, 40, 69 und 70), nachgewiesen worden ist, können die von den Klägerinnen hierzu abgegebenen Erklärungen nicht in Frage stellen, dass sie ab dem 20. April 2004 am Kartell beteiligt waren.

80      Daher ist die Kommission in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerinnen ab dem 20. April 2004 am Kartell beteiligt waren.

81      Somit ist der erste Teil dieses Klagegrundes zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil: unzutreffende Beurteilung des geografischen Umfangs der Absprachen

82      Die Kommission ist davon ausgegangen, dass sich die Zuwiderhandlung auf den gesamten EWR erstreckt habe, da die Zuwiderhandelnden die betreffenden Erzeugnisse zumindest im EWR verkauft hätten und ihr zusammengefasster Anteil an den dortigen Verkäufen mindestens 80 % betragen habe, sie ihre Kunden im EWR von ihren Produktionsanlagen und Lagern im gesamtem Gebiet des EWR aus beliefert hätten und der Gegenstand des Kartells einen europäischen Maßstab gehabt habe. Zwar hätten sich die Erörterungen je nach dem betreffenden EWR-Mitgliedstaat unterschieden, doch hätten alle den gleichen wettbewerbswidrigen Gegenstand gehabt (Erwägungsgründe 368 bis 371 der angefochtenen Entscheidung).

83      Die Klägerinnen rügen dieses Ergebnis der Kommission und führen dafür zum einen an, dass die in den Sitzungen vom 20. April, 15. Juni und 2. Dezember 2004 erwähnten Länder für die Bestimmung des geografischen Umfangs des Kartells nicht berücksichtigt werden dürften, da diese Sitzungen keinen wettbewerbswidrigen Gegenstand gehabt hätten, und zum anderen, dass die in der Sitzung vom 11. Februar 2005 getroffenen Preisabsprachen nur Deutschland, Spanien, Österreich, Portugal und die Benelux-Länder betroffen hätten und die Absprachen über die Begrenzung der Ermäßigungen und Nachlässe nur Deutschland, Österreich und die Schweiz.

84      Aus den obigen Randnrn. 59, 65 und 79 geht jedoch hervor, dass die Sitzungen vom 20. April und 2. Dezember 2004 sowie der Telefonanruf vom 15. Juni 2004 einen wettbewerbswidrigen Gegenstand hatten. Daher sind die in diesen Sitzungen erwähnten und die von der Sitzung vom 11. Februar 2005 betroffenen Länder für die Feststellung des geografischen Umfangs des Kartells zu berücksichtigen.

85      Die Klägerinnen machen geltend, dass die von der Kommission vorgelegten Beweise für ihre Beteiligung an Vereinbarungen, die den gesamten EWR betroffen hätten, unzureichend seien.

86      Im vorliegenden Fall hat die Kommission ihre Feststellung, dass sich die Kartellabsprachen auf den EWR erstreckt hätten, auf drei Umstände gestützt. Erstens handelt es sich um die Protokolle verschiedener Kartellsitzungen und Einzelheiten in Bezug auf das Telefongespräch vom 15. Juni 2004. Aus den betreffenden Unterlagen geht hervor, dass die verschiedenen Absprachen zahlreiche europäische Länder betrafen, nämlich Belgien, Deutschland, Estland, Irland, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, das Vereinigte Königreich und die Schweiz. Im Einzelnen ergibt sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 2. Dezember 2004, dass die Teilnehmer entschieden hatten, die Preise in ganz Europa einzufrieren (370. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

87      Zweitens hat die Kommission berücksichtigt, wie die Herstellung und der Vertrieb von Flachglas bei jedem Kartellbeteiligten organisiert waren. Diese waren im gesamten EWR so organisiert, dass die Erzeugung eines in einem Land befindlichen Werks in mehreren nahe gelegenen Ländern vertrieben wurde (Erwägungsgründe 55 und 369 der angefochtenen Entscheidung). Dieser Umstand wurde von den Klägerinnen selbst bestätigt, da Herr F. angegeben hat, dass jedes Werk seinen Markt gehabt habe, der üblicherweise auf einen Umkreis von 300 km bis 400 km festgelegt gewesen sei. Die geografische Organisation des Werksnetzes der einzelnen Kartellmitglieder ermöglichte somit, die Nachfrage nach Flachglas im gesamten EWR abzudecken.

88      Drittens hat die Kommission die Herkunft der Teilnehmer an den Kartellsitzungen berücksichtigt, die Handelsvertreter der Kartellmitglieder auf europäischer Ebene und deren wichtigste Vertreter im Ausschuss „Marketing und Kommunikation“ (Marcomm) des GEPVP waren, was die Klägerinnen nicht bestritten haben (Erwägungsgründe 369 und 370 der angefochtenen Entscheidung).

89      Die Schlussfolgerung der Kommission in Bezug auf den geografischen Umfang des Kartells wird durch weitere Umstände bestätigt. Es handelt sich erstens um die Erklärungen von Glaverbel, wonach zum einen Saint-Gobain, Pilkington und sie selbst an bilateralen und multilateralen Sitzungen zum Zweck der Beschränkung des Wettbewerbs auf dem europäischen Flachglasmarkt, der nach Ansicht von Saint-Gobain durch einen ständigen Preisrückgang gekennzeichnet war, teilgenommen hätten. Zum anderen seien die Klägerinnen von den bestehenden Absprachen, die die drei anderen Kartellbeteiligten im März 2004 getroffen hätten, unterrichtet gewesen und hätten ab diesem Zeitpunkt an den Sitzungen teilgenommen (Erwägungsgründe 80 und 81 der angefochtenen Entscheidung). Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen betrafen demnach die Erklärungen von Glaverbel hierzu nicht nur ein trilaterales Kartell, dem die Klägerinnen nicht angehörten. Zweitens handelt es sich um eine Beschwerde, die der GEPVP, dem die Kartellmitglieder angehören, in Bezug auf ein staatliches Beihilfevorhaben bei der Kommission einreichte und in der ausgeführt wurde, dass „[d]er Flachglasmarkt … ein gesamteuropäischer Markt [ist], der einen erheblichen Teil des zwischenstaatlichen Handels ausmacht“ (54. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Drittens handelt es sich um das Protokoll und die Notizen, die von Herrn B. am Tag nach der Sitzung vom 2. Dezember 2004 angefertigt wurden, sowie das Protokoll der Sitzung vom 11. Februar 2005, die belegen, dass die Kartellbeteiligten über nicht oben in Randnr. 86 genannte Länder, insbesondere Bulgarien, Zypern, Rumänien und die skandinavischen Länder, diskutiert haben.

90      Im Übrigen können sich die Klägerinnen nicht auf die Rechtsprechung berufen, wonach die beteiligten Unternehmen den geografischen Umfang des Marktes festlegen, der entweder größer oder kleiner als der relevante geografische Markt sein kann, da sich diese Rechtsprechung auf die Frage der Notwendigkeit der Bestimmung des geografisch relevanten Marktes zum Zweck der Anwendung von Art. 81 EG bezieht und sich diese Frage im vorliegenden Fall nicht stellt. Nach dieser Rechtsprechung muss nämlich die Kommission in einer Entscheidung nach Art. 81 EG nur dann den relevanten Markt abgrenzen, wenn ohne eine solche Abgrenzung nicht festgestellt werden kann, ob die fragliche Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet ist und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt oder bewirkt (Urteile des Gerichts vom 6. Juli 2000, Volkswagen/Kommission, T‑62/98, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 230, vom 8. Juli 2004, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, T‑44/00, Slg. 2004, II‑2223, Randnr. 132, und vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 99). Besteht bereits der Zweck einer Vereinbarung in einer Beschränkung des Wettbewerbs, ist es grundsätzlich nicht notwendig, die relevanten geografischen Märkte genau zu bestimmen, da der gegenwärtige oder potenzielle Wettbewerb zwangsläufig beschränkt worden ist, unabhängig davon, ob diese Gebiete Märkte im strengen Sinne sind oder nicht (Urteil Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Randnr. 132; vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998, Enso Española/Kommission, T‑348/94, Slg. 1998, II‑1875, Randnr. 232, und vom 18. Juli 2005, Scandinavian Airlines System/Kommission, T‑241/01, Slg. 2005, II‑2917, Randnr. 99). Für die Bestimmung des geografischen Umfangs der Zuwiderhandlung, der bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, braucht die Kommission nur zu beurteilen, wie umfangreich das räumliche Gebiet des oder der betroffenen Märkte ist, ohne zur genauen Bestimmung der relevanten Märkte verpflichtet zu sein (Urteil Scandinavian Airlines System/Kommission, Randnr. 99).

91      Nach alledem ist festzustellen, dass sämtliche von der Kommission vorgelegten Indizien, die entweder von den Klägerinnen nicht bestritten oder durch andere Beweismittel bestätigt worden sind, die Feststellung ermöglichen, dass sich das vom Kartell geografisch betroffene Gebiet auf das gesamte Gebiet des EWR erstreckte. Somit ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Zuwiderhandlung auf das gesamte Gebiet des EWR erstreckte.

92      Folglich ist der zweite Teil des vorliegenden Klagegrundes und damit dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

93      Nach allem ist der Klageantrag auf Nichtigerklärung zurückzuweisen.

 Zum Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße

94      Die Klägerinnen stützen ihren Antrag auf Herabsetzung der Geldbuße auf drei Gründe. Im Rahmen des ersten Grundes beantragen sie die Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße wegen teilweiser Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung. Mit dem zweiten Grund wird ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Begründungspflicht in Bezug auf die Berechnung der Geldbuße gerügt, und mit dem dritten werden ein Beurteilungsfehler in Anbetracht der sehr begrenzten und passiven Rolle, die sie bei der Zuwiderhandlung gespielt hätten, und ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot gerügt.

 Zum Klagegrund, wonach die Geldbuße wegen teilweiser Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung herabzusetzen sei

95      Die Klägerinnen machen geltend, dass die gegen sie verhängte Geldbuße herabgesetzt werden müsse, um der teilweisen Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung Rechnung zu tragen. Die Geldbuße dürfe nur auf der Grundlage des Absatzes berechnet werden, der 2004 im Zusammenhang mit denjenigen Ländern des EWR, für die die Zuwiderhandlung nicht bestritten worden sei, erzielt worden sei und der sich auf 241,6 Mio. Euro belaufe. Ferner müsse bei der Geldbuße die außerordentlich kurze Dauer ihrer Kartellbeteiligung, die sich auf eine einzige Sitzung und höchstens zwölf Tage beschränkt habe, berücksichtigt werden.

96      Aus den obigen Randnrn. 79 und 91 geht hervor, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen ist, dass sich die Klägerinnen vom 20. April 2004 bis 22. Februar 2005 am Kartell beteiligt hatten und dass sich die Zuwiderhandlung auf das gesamte Gebiet des EWR erstreckte.

97      Daher ist die Geldbuße nicht in Anbetracht der Dauer oder des geografischen Umfangs des Kartells herabzusetzen, und infolgedessen ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot und die Begründungspflicht in Bezug auf die Berechnung der Geldbußen gerügt wird

98      Die Klägerinnen sind der Ansicht, dass die Kommission zum einen gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen habe, weil sie von der Berechnung der Geldbußen der drei anderen Kartellbeteiligten den Wert der konzerninternen Verkäufe ausgenommen habe, und zum anderen ihre Pflicht zur Begründung dieser Berechnungen verletzt habe.

99      In diesem Zusammenhang machen die Klägerinnen geltend, dass es ihnen in Ermangelung einer Begründung der Berechnung der Geldbuße der drei anderen Kartellbeteiligten und unter Berücksichtigung der vertraulichen Natur der zugrunde gelegten Angaben unmöglich sei, Art und Wert der ausgenommenen konzerninternen Verkäufe der einzelnen Kartellbeteiligten zu bestimmen. Es obliege daher dem Gericht, den Ausschluss dieser Verkäufe durch Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße proportional zum Umfang der in Bezug auf den Flachglasmarkt vorgenommenen Ausschlüsse auszugleichen. Diese Lösung sei mit den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2; im Folgenden: Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen) vereinbar, da sie es ermögliche, das jeweilige Gewicht des Unternehmens auf dem relevanten Markt angemessen wiederzugeben, und bereits vom Gericht angewandt worden sei.

100    Die Kommission habe 1 Mrd. Euro an konzerninternen Verkäufen von einem Gesamtumfang des Marktes von 2,7 Mrd. Euro ausgenommen. Diese Zahl ergebe sich aus dem Abzug des in der angefochtenen Entscheidung berücksichtigten Gesamtbetrags der Flachglasverkäufe, nämlich 1,7 Mrd. Euro (41. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung), von dem in der Mitteilung der Beschwerdepunkte berücksichtigten Gesamtbetrag, nämlich 2,7 Mrd. Euro (41. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung) und stelle 37 % des Gesamtumfangs eines Marktes dar, dessen Wert 2,7 Mrd. Euro betrage.

101    Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerinnen entgegen.

102    Nach ständiger Rechtsprechung hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des in Rede stehenden Rechtsakts und dem Kontext ab, in dem er erlassen wurde. Die Begründung muss die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass der Richter der Europäischen Union die ihm obliegende Rechtmäßigkeitskontrolle wahrnehmen kann und es dem Betroffenen möglich ist, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die Entscheidung in der Sache begründet ist oder nicht.

103    In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EG genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile des Gerichtshofs vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 63, und vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Randnr. 150).

104    Im vorliegenden Fall ging die Kommission davon aus, dass sich die wettbewerbswidrigen Vereinbarungen auf die Verkäufe von Flachglas an unabhängige Kunden bezogen (377. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung), und sie legte daher diese Verkäufe bei der Berechnung des Grundbetrags der Geldbußen zugrunde (41. Erwägungsgrund, Tabelle Nr. 1, und 470. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission nahm daher von der Berechnung der Geldbuße die Verkäufe des Flachglases aus, das zur Verarbeitung durch eine Abteilung des Unternehmens oder ein Unternehmen desselben Konzerns bestimmt war. Da ein wettbewerbswidriges Verhalten nur für die Verkäufe an unabhängige Kunden nachgewiesen worden ist, kann nicht beanstandet werden, dass die Kommission die internen Verkäufe der vertikal integrierten Kartellmitglieder von der Berechnung der Geldbuße ausgenommen hat. Im Übrigen kann ihr nicht vorgeworfen werden, sie habe den Ausschluss dieser Verkäufe aus der Berechnung der Geldbuße nicht begründet.

105    Ferner ist, wie die Kommission geltend gemacht hat, weder bewiesen worden, dass die vertikal integrierten Kartellmitglieder, die die betreffenden Erzeugnisse an Abteilungen desselben Unternehmens oder an Unternehmen desselben Konzerns lieferten, durch die abgesprochene Preiserhöhung einen mittelbaren Gewinn erzielt hätten, noch, dass die Preiserhöhungen auf dem vorgelagerten Markt zu einem Wettbewerbsvorteil auf dem nachgelagerten Markt für bearbeitetes Flachglas geführt hätten.

106    Schließlich ist zum Vorbringen, dass die Kommission das Diskriminierungsverbot verletzt habe, weil sie die konzerninternen Verkäufe von der Berechnung der Geldbuße ausgenommen habe, festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung der Grundsatz der Gleichbehandlung bzw. das Diskriminierungsverbot verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, BPB de Eendracht/Kommission, T‑311/94, Slg. 1998, II‑1129, Randnr. 309 und die dort angeführte Rechtsprechung). Da die Kommission im vorliegenden Fall davon ausging, dass die wettbewerbswidrigen Absprachen nur den Flachglaspreis betrafen, der unabhängigen Kunden in Rechnung gestellt wurde, führte der Ausschluss der konzerninternen Verkäufe von der Berechnung der Geldbuße bei den vertikal integrierten Kartellmitgliedern nur dazu, dass sie objektiv unterschiedliche Sachverhalte unterschiedlich behandelte. Daher kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, sie habe das Diskriminierungsverbot verletzt.

107    Demzufolge ist der vorliegende Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.

 Zum Klagegrund, mit dem ein Beurteilungsfehler in Anbetracht der sehr begrenzten und passiven Rolle, die die Klägerinnen bei der Zuwiderhandlung gespielt haben sollen, und eine Verletzung des Diskriminierungsverbots gerügt werden

108    Die Klägerinnen sind der Ansicht, die Kommission habe nicht berücksichtigt, dass sie bei der Zuwiderhandlung im Vergleich zu den drei anderen Beteiligten des Kartells, die sich daran mehr als 20 Jahre lang beteiligt hätten, eine passive und sehr begrenzte Rolle gespielt hätten. Ihre Beteiligung beschränke sich auf eine einzige Sitzung, die nicht geheimer Natur gewesen sei, und die dabei getroffenen Vereinbarungen beträfen nur bestimmte Länder und seien niemals umgesetzt worden. Desgleichen belegten die Notizen von Herrn B. über die Sitzung vom 11. Februar 2005 nicht, dass Herr F. die Beteiligung an einer Preiserhöhung oder deren Leitung zugesagt habe. Unter diesen Umständen hätte die Kommission der passiven Rolle, die die Klägerinnen im Kartell gespielt hätten, bei der Festsetzung der Geldbuße Rechnung tragen müssen.

109    Nach ständiger Rechtsprechung ist dann, wenn eine Zuwiderhandlung von mehreren Unternehmen begangen worden ist, für die Bemessung der Geldbußen die relative Schwere des Tatbeitrags jedes einzelnen Unternehmens zu prüfen (Urteile des Gerichtshofs vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Randnr. 623, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 33 angeführt, Randnr. 92; Urteil des Gerichts vom 13. September 2010, Trioplast Industrier/Kommission, T‑40/06, Slg. 2010, II‑4893, Randnr. 105), wobei insbesondere festzustellen ist, welche Rolle das Unternehmen bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an ihr gespielt hat (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 32 angeführt, Randnr. 150, und Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Enichem Anic/Kommission, T‑6/89, Slg. 1991, II‑1623, Randnr. 264).

110    Nach Ziff. 29 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für die Festsetzung von Geldbußen kann die passive Rolle eines Unternehmens bei der Begehung einer Zuwiderhandlung dementsprechend einen mildernden Umstand darstellen. Dort wird klargestellt, dass dieser Umstand nur dann in Betracht kommt, wenn das „Unternehmen … Beweise [beibringt], dass die eigene Beteiligung sehr geringfügig war und sich das Unternehmen der Durchführung der gegen die Wettbewerbsregeln verstoßenden Vereinbarungen in dem Zeitraum, in dem sie ihnen beigetreten war, in Wirklichkeit durch eigenes Wettbewerbsverhalten auf dem Markt entzogen hat“. Ferner wird nach Ziff. 29 „der bloße Umstand einer kürzeren Beteiligung im Vergleich zu den übrigen Unternehmen … nicht als mildernder Umstand anerkannt, da er bereits im Grundbetrag zum Ausdruck kommt“.

111    Nach der Rechtsprechung kann als Anhaltspunkt für die passive Rolle eines Unternehmens innerhalb eines Kartells berücksichtigt werden, dass es im Vergleich zu den gewöhnlichen Mitgliedern des Kartells deutlich seltener an den Besprechungen teilgenommen hat, dass es spät in den Markt, auf dem die Zuwiderhandlung stattgefunden hat, eingetreten ist, unabhängig davon, wie lange es an der Zuwiderhandlung mitgewirkt hat, oder dass es entsprechende ausdrückliche Aussagen von Vertretern dritter an der Zuwiderhandlung beteiligter Unternehmen gibt (Urteile des Gerichts BPB de Eendracht/Kommission, oben in Randnr. 106 angeführt, Randnr. 343, und vom 9. Juli 2003, Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473, Randnr. 168). In diesem Zusammenhang können die Umstände, dass ein Unternehmen am unregelmäßigsten an den Kartellsitzungen teilgenommen oder sich darauf beschränkt hat, von einem Konkurrenten einseitig mitgeteilte Informationen entgegenzunehmen, ohne einen Vorbehalt oder Einwand zu äußern, keine Rolle für die Frage spielen, ob dieses Unternehmen eine passive Rolle innerhalb eines Kartells hatte (Urteil Zement, oben in Randnr. 45 angeführt, Randnr. 1849).

112    Im vorliegenden Fall geht oben aus Randnr. 79 hervor, dass sich die Klägerinnen ab dem 20. April 2004 am Kartell beteiligten. So unterrichteten sie in der Sitzung vom 20. April 2004 und bei der telefonischen Unterredung vom 15. Juni 2004 ihre Konkurrenten von ihrem zukünftigen Marktverhalten und nahmen von Pilkington Informationen über die von den drei anderen Kartellbeteiligten beabsichtigten Preiserhöhungen entgegen, ohne den geringsten Einwand zu erheben. Die Klägerinnen nahmen an den Kartellsitzungen vom 2. Dezember 2004 und vom 11. Februar 2005 teil, ohne sich ausdrücklich von den wettbewerbswidrigen Erörterungen zu distanzieren, die in diesen Sitzungen stattfanden. Ferner geht aus der obigen Randnr. 79 und der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die Klägerinnen die Sitzung vom 2. Dezember 2004 organisierten (502. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Schließlich ergibt sich aus den obigen Randnrn. 70 und 72 sowie der angefochtenen Entscheidung, dass sich die Klägerinnen in den Sitzungen vom 2. Dezember 2004 und vom 11. Februar 2005 damit einverstanden erklärten, die Preiserhöhungen in verschiedenen Gebieten anzuführen, und dass sie sich an einem Austausch vertraulicher Informationen beteiligten (502. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung). Daher kann ihr Verhalten im Kartell nicht als passiv eingestuft werden.

113    Der Umstand, dass die Klägerinnen einige der in den Sitzungen vor dem 2. Dezember 2004 und in der Sitzung vom 11. Februar 2005 getroffenen Vereinbarungen nicht umsetzten, kann nicht für den Nachweis genügen, dass sie sich auf dem Markt wettbewerbsgemäß verhalten hätten. Der Austausch vertraulicher Informationen in der Sitzung vom 2. Dezember 2004 und die telefonische Unterredung vom 15. Juni 2004 erlauben nämlich den Schluss auf das Gegenteil. Auch wenn die Klägerinnen zunächst bestimmte Absprachen über Preiserhöhungen insbesondere in Bezug auf die baltischen Staaten nicht befolgten, ist dementsprechend nachgewiesen worden, dass sie andere Vereinbarungen umsetzten und dass sie aktiv mit den drei anderen Kartellbeteiligten zusammenarbeiteten, insbesondere indem sie ihnen wesentliche Informationen für den Abschluss und die Durchführung der Preisabsprachen lieferten (vgl. oben, Randnrn. 57, 59, 63 und 65). Dass die in der Sitzung vom 11. Februar 2005 getroffenen Vereinbarungen nicht umgesetzt wurden, ist zudem nicht mit einem wettbewerbsgemäßen Verhalten der Klägerinnen zu erklären, sondern viel wahrscheinlicher mit dem Beginn der Nachprüfungen der Kommission (vgl. 296. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung).

114    Was die Berechnung der gegen die drei anderen Kartellbeteiligten verhängten Geldbußen angeht, rügen die Klägerinnen ferner, dass die Kommission nicht berücksichtigt habe, dass sie wiederholt rückfällig geworden seien, und nicht ihre Geldbuße erhöht habe, um deren abschreckende Wirkung sicherzustellen, obwohl der Umsatz von einigen unter ihnen deutlich höher als der Umsatz der Klägerinnen sei. Daher habe die Kommission das Diskriminierungsverbot verletzt, indem sie unterschiedliche Sachverhalte gleichbehandelt habe.

115    Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Kommission bei der Festlegung der Geldbußen über ein weites Ermessen verfügt (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission, C‑283/98 P, Slg. 2000, I‑9855, Randnr. 47; Urteile des Gerichts vom 5. Dezember 2006, Westfalen Gassen Nederland/Kommission, T‑303/02, Slg. 2000, II‑4567, Randnr. 151, und Trioplast Industrier/Kommission, oben in Randnr. 109 angeführt, Randnr. 141).

116    Im Übrigen liegt, wie oben in Randnr. 106 ausgeführt worden ist, ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dann vor, wenn auf unterschiedliche Sachverhalte ein- und dieselbe Regel angewandt wird. Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei den Klägerinnen weder den erschwerenden Umstand des Wiederholungsfalls angenommen noch aus Gründen der abschreckenden Wirkung der Geldbuße einen Multiplikator angewandt.

117    Die abschreckende Wirkung der Geldbußen gehört zu den Gesichtspunkten, die bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen sind. Nach ständiger Rechtsprechung (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 105 und 106) sollen nämlich mit Geldbußen wegen Verstößen gegen Art. 81 EG, wie sie in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehen sind, rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und diese Unternehmen und andere Wirtschaftsteilnehmer vor künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Rechts der Europäischen Union abgeschreckt werden. Daher kann die Kommission bei der Bemessung der Geldbuße u. a. die Größe und die Wirtschaftskraft des betreffenden Unternehmens berücksichtigen (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 119 bis 121). Die Kommission ist jedoch bei der Ermittlung der Höhe der Geldbußen anhand von Schwere und Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung, wenn gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen Geldbußen festgesetzt werden, nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in den von ihr errechneten Endbeträgen der Geldbußen der betreffenden Unternehmen alle Unterschiede in Bezug auf ihren Gesamtumsatz oder ihren relevanten Umsatz zum Ausdruck kommen (Urteil des Gerichtshofs vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 312).

118    Im vorliegenden Fall geht aus der angefochtenen Entscheidung hervor, dass bei der Berechnung der Geldbuße von Saint-Gobain wegen ihrer „größeren Präsenz im Glassektor“ und „ihres Umsatzes, [der] in absoluten Zahlen deutlich höher als derjenige der anderen“ ist, aus Gründen der abschreckenden Wirkung der Geldbuße ein Multiplikator angewandt wurde (519. Erwägungsgrund).

119    Bei den anderen am Kartell beteiligten Unternehmen wurde kein Multiplikator angewandt. Die Klägerinnen haben sich jedoch mit der Behauptung begnügt, dass der Umsatz von Glaverbel dreimal höher als der ihrige sei, ohne denjenigen von Pilkington zu erwähnen. In Anbetracht der oben in Randnr. 117 angeführten Rechtsprechung kann dieser Umstand allein, unterstellt, er sei nachgewiesen, nicht für die Annahme genügen, dass die Kommission verpflichtet gewesen sei, aus Gründen der abschreckenden Wirkung der Geldbuße einen Multiplikator anzuwenden.

120    Nach allem hat die Kommission bestehende Unterschiede in den Situationen der am Kartell beteiligten Unternehmen dadurch berücksichtigt, dass sie gegebenenfalls einen zur Gewährleistung der abschreckenden Wirkung der Geldbußen bestimmten Multiplikator anwandte.

121    Zum Vorbringen, dass die gegen Saint-Gobain und Glaverbel verhängte Geldbuße nicht wegen wiederholter Zuwiderhandlung erhöht worden sei, und insbesondere zur zeitlichen Höchstgrenze, nach deren Überschreitung ein Wiederholungsfall nicht berücksichtigt werden darf, ist darauf hinzuweisen, dass weder die Verordnung Nr. 1/2003 noch die Leitlinien für die Berechnung der Geldbußen eine solche Grenze festsetzen und dass deren Fehlen nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstößt (Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, Slg. 2010, I‑5361, Randnrn. 66 und 67).

122    Allerdings verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Zeit, die zwischen der fraglichen Zuwiderhandlung und einem früheren Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln verstrichen ist, bei der Beurteilung der Neigung des Unternehmens zu Verstößen gegen diese Regeln berücksichtigt wird. Im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle der Handlungen der Kommission im Bereich des Wettbewerbsrechts kann der Richter daher aufgefordert sein, zu überprüfen, ob die Kommission diesen Grundsatz bei der Erhöhung der verhängten Geldbuße wegen wiederholter Zuwiderhandlung beachtet hat und insbesondere, ob diese Erhöhung u. a. im Hinblick auf die Zeit, die zwischen der fraglichen Zuwiderhandlung und dem früheren Verstoß gegen Wettbewerbsregeln vergangen ist, angezeigt war (Urteil Lafarge/Kommission, oben in Randnr. 121 angeführt, Randnr. 70).

123    Im vorliegenden Fall sind, wie die Kommission geltend macht, mehr als 15 Jahre bis zum Beginn der zweiten von Saint-Gobain und Glaverbel begangenen Zuwiderhandlung verstrichen, und entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist ein Fortsetzungszusammenhang zwischen der ersten und der zweiten Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen. Angesichts dieses Zeitraums lässt sich nicht feststellen, dass diese Unternehmen zu Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln neigten. Somit hat die Kommission mit der Annahme, dass die zwischen den beiden Zuwiderhandlungen verstrichene Zeit lang genug war, um einen Aufschlag auf die gegen Saint-Gobain und Glaverbel verhängten Geldbußen wegen wiederholter Zuwiderhandlung auszuschließen, das Diskriminierungsverbot nicht verletzt.

124    Nach alledem ist dieser Klagegrund und daher das gesamte auf Herabsetzung der Geldbuße gerichtete Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit der Bezugnahmen der Kommission auf die Antwort von Pilkington auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte

125    In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen die Einrede der Unzulässigkeit gegen die Bezugnahmen der Kommission auf die Antwort von Pilkington auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Klagebeantwortung und in ihrer Antwort vom 23. Januar 2012 auf die schriftlichen Fragen des Gerichts erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass sie im Verwaltungsverfahren keinen Zugang zu diesem Dokument gehabt hätten und deshalb keine Kenntnis von seinem Inhalt gehabt hätten. Durch die Verwendung dieser Antwort als belastendes Dokument habe die Kommission unweigerlich ihre Verfahrensrechte verletzt.

126    Die Kommission hat ausgeführt, dass diese Unterlagen keine die Klägerinnen belastenden Umstände enthielten und für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht notwendig seien.

127    In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass aus allen vorhergehenden Ausführungen tatsächlich hervorgeht, dass die Bezugnahmen der Kommission auf die Antwort von Pilkington auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte in der Klagebeantwortung und in ihrer Antwort vom 23. Januar 2012 auf die schriftlichen Fragen des Gerichts für die Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht nicht notwendig sind. Daher braucht über die von den Klägerinnen erhobene Einrede der Unzulässigkeit nicht entschieden zu werden.

 Kosten

128    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Guardian Industries Corp. und die Guardian Europe Sàrl tragen die Kosten.

Kanninen

Wahl

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. September 2012.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Englisch.