Language of document : ECLI:EU:C:2013:509

Rechtssache C‑545/10

Europäische Kommission

gegen

Tschechische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Verkehr – Richtlinie 91/440/EWG – Entwicklung der Eisenbahnunternehmen der Gemeinschaft – Art. 10 Abs. 7 – Regulierungsstelle – Befugnisse – Richtlinie 2001/14/EG – Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn – Art. 4 Abs. 1 – Entgeltrahmenregelung – Art. 6 Abs. 2 – Schaffung von Anreizen für die Betreiber der Infrastruktur zur Senkung der mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten und der Zugangsentgelte – Art. 7 Abs. 3 – Festsetzung des Entgelts für das Mindestzugangspaket und den Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen – Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen – Art. 11 – Leistungsabhängige Entgeltregelung – Art. 30 Abs. 5 – Regulierungsstelle – Befugnisse – Verwaltungsrechtsbehelf gegen die Entscheidungen der Regulierungsstelle“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 11. Juli 2013

1.        Verkehr – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14 – Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und Entgeltregelung – Wegeentgelte – Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – Wahrung der Unabhängigkeit der Geschäftsführung des Betreibers der Infrastruktur – Umfang – Festsetzung durch den Mitgliedstaat eines Höchstentgelts für die Nutzung der Infrastruktur – Unzulässigkeit

(Richtlinie 2001/14 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2)

2.        Verkehr – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14 – Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und Entgeltregelung – Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – Einführung von Mechanismen, die Anreize für den Betreiber der Infrastruktur schaffen, die mit der Fahrwegbereitstellung verbundenen Kosten zu begrenzen und die Zugangsentgelte zu senken – Vereinbarkeit der Mechanismen mit den Anforderungen an die Sicherheit und das Maß der Qualität der Fahrwegbereitstellung

(Richtlinie 2001/14 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 2 und 3)

3.        Verkehr – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14 – Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und Entgeltregelung – Wegeentgelte – Entgeltbemessung auf der Grundlage der unmittelbaren Kosten – Kosten, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen – Begriff – Umsetzung und Anwendung – Ermessen der Mitgliedstaaten

(Richtlinie 2001/14 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 3 bis 5 und Art. 8)

4.        Vertragsverletzungsklage – Nachweis der Vertragsverletzung – Obliegenheit der Kommission – Vermutungen – Unzulässigkeit

(Art. 258 AEUV)

5.        Verkehr – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14 – Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und Entgeltregelung – Wegeentgelte – Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – Einführung einer leistungsabhängigen Entgeltregelung – Umfang

(Richtlinie 2001/14 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11 Abs. 1)

6.        Vertragsverletzungsklage – Prüfung der Begründetheit durch den Gerichtshof – Maßgebende Lage – Lage bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist

(Art. 258 Abs. 2 AEUV)

7.        Verkehr – Eisenbahnverkehr – Richtlinie 2001/14 – Verpflichtungen der Mitgliedstaaten – Einführung einer Regulierungsstelle für den Eisenbahnmarkt – Gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen der Regulierungsstelle – Vorheriger verwaltungsrechtlicher Rechtsbehelf – Ausschluss

(Richtlinie 2001/14 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 30)

8.        Vertragsverletzungsklage – Klageschrift – Darlegung der Rügen und Klagegründe – Formerfordernisse – Eindeutige Formulierung des Klageantrags

(Art. 258 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 21 Abs. 1; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 120 Buchst. c)

9.        Vertragsverletzungsklage – Streitgegenstand – Bestimmung während des Vorverfahrens – Spätere Erweiterung – Unzulässigkeit

(Art. 258 AEUV)

1.        Ein Mitgliedstaat, der einen Höchstbetrag der Entgelte für den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur festsetzt, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur.

Die Festsetzung eines Höchstbetrags für die Nutzung der Eisenbahnfahrwege durch jährliche Verfügung hat nämlich zur Folge, dass der Spielraum des Betreibers der Infrastruktur in einem Umfang eingeschränkt wird, der nicht mit den Zielen der Richtlinie 2001/14 vereinbar ist. Insbesondere muss der Betreiber der Infrastruktur nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2001/14 auf der Grundlage der langfristigen Kosten bestimmter Investitionsvorhaben höhere Entgelte festlegen oder beibehalten können.

(vgl. Randnrn. 36, 37, 40)

2.        Auch wenn die Mitgliedstaaten nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur im Rahmen der Anwendung von dessen Abs. 2 und 3 der Richtlinie den Zustand der Fahrwege zu berücksichtigen haben und die Wahl der zu schaffenden Anreize und insbesondere die von den Mitgliedstaaten mit diesen verfolgten konkreten Ziele mit den Anforderungen an die Sicherheit und mit dem Maß der Qualität der Fahrwegbereitstellung vereinbar sein müssen, sind sie doch auch verpflichtet, entweder dafür zu sorgen, dass Finanzierungsvereinbarungen mit mehrjähriger Laufzeit geschlossen werden, die Anreize umfassen, oder einen rechtlichen Rahmen hierfür zu schaffen.

(vgl. Randnrn. 50, 52, 54)

3.        Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur muss – unbeschadet von Art. 7 Abs. 4 und 5 sowie Art. 8 dieser Richtlinie – das Entgelt für das Mindestzugangspaket und den Schienenzugang zu Serviceeinrichtungen in Höhe der Kosten festgelegt werden, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen.

Zum Begriff „Kosten …, die unmittelbar aufgrund des Zugbetriebs anfallen“, einem Begriff aus den Wirtschaftswissenschaften, dessen Anwendung beträchtliche praktische Schwierigkeiten aufwirft, enthält die Richtlinie keine Definition, und keine Vorschrift des Unionsrechts legt fest, welche Kosten unter diesen Begriff fallen und welche nicht. Daher ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten beim derzeitigen Stand des Unionsrechts hinsichtlich der Umsetzung dieses Begriffs in innerstaatliches Recht und seiner dortigen Anwendung über einen gewissen Wertungsspielraum verfügen.

(vgl. Randnrn. 62, 64, 65)

4.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 70, 72, 116, 123)

5.        Aus Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur folgt zum einen, dass die Mitgliedstaaten in die Entgeltregelungen für die Fahrwegnutzung leistungsabhängige Bestandteile aufnehmen müssen, die sowohl den Eisenbahnunternehmen als auch dem Betreiber der Infrastruktur Anreize zur Erhöhung der Leistung des Schienennetzes bieten sollen. Was zum anderen den Typus der Anreize betrifft, die von den Mitgliedstaaten eingeführt werden können, so behalten diese die Freiheit der Wahl der konkreten Maßnahmen, die Teil der genannten Regelung werden, solange diese Maßnahmen ein kohärentes und transparentes Ganzes bilden, das als „leistungsabhängige Bestandteile“ eingestuft werden kann.

Eine finanzielle Entschädigungsregelung in Form gegenseitiger Vertragsstrafen, deren Grundsätze vertraglich festzulegen sind, kann nicht als eine vollständige und angemessene Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 2001/14 angesehen werden, da eine solche Regelung lediglich fakultativen Charakter hat, da ihre Anwendung der Wahl der Vertragsparteien überlassen bleibt. Auch eine nationale Vorschrift, die sich darauf beschränkt, die Verhängung von Geldbußen, entweder im Fall der Missachtung der auf die Sicherstellung des Netzbetriebs abzielenden Verpflichtungen oder bei fehlenden Maßnahmen zur Behebung von Störungen, vorzusehen, kann nicht als eine leistungsabhängige Entgeltregelung im Rahmen einer Wegeentgeltregelung im Sinne von Art. 11 angesehen werden. Schließlich gilt dies auch für eine Bestimmung, die lediglich die Gewährung finanzieller Mittel für die Instandhaltung oder Verbesserung des Zustands der Eisenbahninfrastruktur vorsieht.

(vgl. Randnrn. 80, 82-84)

6.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 85, 86)

7.        Art. 30 der Richtlinie 2001/14 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur ist dahin auszulegen, dass die von der Regulierungsstelle, die von den Mitgliedstaaten nach Art. 30 Abs. 1 einzurichten ist, getroffenen Verwaltungsentscheidungen ausschließlich einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Daher steht Art. 30 der Richtlinie dem entgegen, dass die Entscheidungen der Regulierungsstelle vor einer etwaigen gerichtlichen Prüfung einer verpflichtenden Kontrolle durch ein anderes Verwaltungsorgan unterworfen werden.

(vgl. Randnrn. 100, 102-104)

8.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 108, 109)

9.        Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Randnrn. 125, 132)