Language of document : ECLI:EU:C:2017:76

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

1. Februar 2017(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft – Richtlinien 83/189/EWG und 98/34/EG – Entwurf einer technischen Vorschrift – Mitteilung an die Europäische Kommission – Pflichten der Mitgliedstaaten – Verstoß – Folgen“

In der Rechtssache C‑144/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Judicial da Comarca de Setúbal (Bezirksgericht Setúbal, Portugal) mit Entscheidung vom 2. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 14. März 2016, in dem Verfahren

Município de Palmela

gegen

Autoridade de Segurança Alimentar e Económica (ASAE) – Divisão de Gestão de Contraordenações

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter A. Arabadjiev und S. Rodin (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und M. Figueiredo als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und T. Müller als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braga da Cruz und D. Kukovec als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. 1983, L 109, S. 8) in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 83/189) und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 (ABl. 1998, L 217, S. 18) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Município de Palmela (Gemeinde Palmela, Portugal) und der Autoridade de Segurança Alimentar e Económica (ASAE) – Divisão de Gestão de Contraordenações (Behörde für Lebensmittel- und wirtschaftliche Sicherheit [ASAE] – Portugal) über ein Bußgeld, das aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen die Regelungen über die Sicherheitsbestimmungen für die Positionierung, Errichtung, Konzeption und funktionale Gestaltung von Spielplätzen samt ihrer Geräte und Spielflächen gegen die Gemeinde verhängt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Richtlinie 83/189

3        In Art. 1 der Richtlinie 83/189 hieß es:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      ‚Erzeugnis‘: Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte.

2.      ‚Technische Spezifikation‘: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

3.      ‚Sonstige Vorschrift‘: eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können.

9.      ‚Technische Vorschrift‘: technische Spezifikationen sowie sonstige Vorschriften einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung de jure oder de facto für das Inverkehrbringen oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 10 – der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses verboten wird.

10.      ‚Entwurf einer technischen Vorschrift‘: Text einer technischen Spezifikation oder einer sonstigen Vorschrift, einschließlich Verwaltungsvorschriften, der ausgearbeitet worden ist, um diese Spezifikation als technische Vorschrift festzuschreiben oder letztlich festschreiben zu lassen, und der sich im Stadium der Ausarbeitung befindet, in dem noch wesentliche Änderungen möglich sind.

…“

4        Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie sah vor:

„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

Gegebenenfalls – sofern dies noch nicht bei einer früheren Mitteilung geschehen ist – übermitteln die Mitgliedstaaten gleichzeitig den Wortlaut der hauptsächlich und unmittelbar betroffenen grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfs einer technischen Vorschrift notwendig ist.

Die Mitgliedstaaten machen eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.

…“

 Richtlinie 98/34

5        Die Richtlinie 98/34, mit der die Richtlinie 83/189 aufgehoben wurde, bestimmte in Art. 1:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

1.      ‚Erzeugnis‘ Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;

2.      ‚Dienst‘: eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.

3.      ‚technische Spezifikation‘ Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

4.      ‚sonstige Vorschrift‘ eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;

5.      ‚Vorschrift betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über den Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer definierten Dienste abzielen.

11.      ‚Technische Vorschrift‘: technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

…“

6        In Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie hieß es:

„Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

Gegebenenfalls – sofern dies noch nicht bei einer früheren Mitteilung geschehen ist – übermitteln die Mitgliedstaaten gleichzeitig den Wortlaut der hauptsächlich und unmittelbar betroffenen grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, wenn deren Wortlaut für die Beurteilung der Tragweite des Entwurfs einer technischen Vorschrift notwendig ist.

Die Mitgliedstaaten machen eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.

…“

 Portugiesisches Recht

7        Art. 13 („Zweckdienliche Informationen“) des Regulamento que estabelece as condições de segurança a observar na localização, implantação, conceção e organização funcional dos espaços de jogo e recreio, respetivamente, equipamento e superfícies de impacto (Verordnung zur Festlegung der Sicherheitsbestimmungen für die Positionierung, Errichtung, Konzeption und funktionale Gestaltung von Spielplätzen samt ihrer Geräte und Spielflächen) im Anhang des Decreto-Lei Nr. 379/97 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 379/97) vom 27. Dezember 1997 (im Folgenden: Spielplatzverordnung) lautete:

„Auf Spielplätzen müssen an mehreren Stellen folgende Informationen gut sichtbar und leserlich angezeigt werden:

a)      Name und Telefonnummer der für den Spielplatz verantwortlichen Einrichtung und der Aufsichtseinrichtung;

b)      Standort des nächstgelegenen Telefons;

c)      Anschrift und Telefonnummer der nächstgelegenen Notaufnahme oder eines anderen Notfalldienstes;

d)      nationale Notrufnummer.“

8        Art. 16 („Einhaltung der Sicherheitsanforderungen“) Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung sah vor:

„1 –      Die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen wird vom Hersteller oder seinem Bevollmächtigten bzw. von dem in der Europäischen Union ansässigen Einführer dadurch bescheinigt, dass er auf den Geräten und deren Verpackung gut sichtbar, leserlich und dauerhaft den Hinweis ‚Entspricht den Sicherheitsanforderungen‘ anbringt.

2 –      Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter bzw. der in der Europäischen Union ansässige Einführer von Geräten, die für Spielplätze bestimmt sind, muss außerdem gut sichtbar, leserlich und dauerhaft anzeigen

a)      auf dem Gerät und dessen Verpackung:

i)      seinen Namen, seine Firma oder seine Marke, seine Anschrift, die Modellkennung und das Herstellungsjahr;

ii)      die Altersgruppe der Nutzer, für die die Geräte bestimmt sind;

iii)      die Höchstzahl gleichzeitiger Nutzer;

b)      auf dem Gerät: die Informationen, die zur Abwehr der mit dessen Benutzung verbundenen Gefahren erforderlich sind.

…“

9        Mit dem Decreto-Lei Nr. 119/2009 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 119/2009) vom 19. Mai 2009 wurde die Spielplatzverordnung, insbesondere die Art. 13 und 16, geändert.

10      Art. 13 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung lautet:

„Auf Spielplätzen müssen an mehreren Stellen folgende Informationen gut sichtbar und leserlich angezeigt werden:

a)      Name und Telefonnummer der für den Spielplatz verantwortlichen Einrichtung und der Aufsichtseinrichtung;

b)      maximale Aufnahmekapazität des Spielplatzes;

c)      Standort des nächstgelegenen Telefons;

d)      Anschrift und Telefonnummer der nächstgelegenen Notaufnahme oder eines anderen Notfalldienstes;

e)      nationale Notrufnummer.“

11      Art. 16 Abs. 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung bestimmt:

„Der Hersteller oder sein Bevollmächtigter bzw. der in der Europäischen Union ansässige Einführer von Geräten, die für Spielplätze bestimmt sind, muss außerdem gut sichtbar, leserlich und dauerhaft anzeigen

a)      auf dem Gerät und dessen Verpackung:

i)      seinen Namen, seine Firma oder seine Marke, seine Anschrift, die Modellkennung und das Herstellungsjahr;

ii)      die Altersgruppe der Nutzer, für die die Geräte bestimmt sind;

iii)      Nummer und Datum der anwendbaren technischen Vorschrift;

iv)      Höchstzahl gleichzeitiger Nutzer;

v)      minimale und maximale Größe der Kinder;

b)      auf dem Gerät: die Informationen, die zur Abwehr der mit dessen Benutzung verbundenen Gefahren erforderlich sind.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12      Am 25. November 2010 erstellte die ASAE ein Protokoll, aus dem hervorgeht, dass die Gemeinde Palmela strafbewehrte Verstöße gegen die Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung begangen hatte.

13      In ihrer am 2. März 2011 eingereichten Stellungnahme erwiderte die Gemeinde Palmela, dass ihr die vorgeworfenen Verstöße nicht zur Last gelegt werden könnten, weil die Regelungen, gegen die sie verstoßen haben solle, nicht klar seien. Hilfsweise machte sie geltend, dass in Anbetracht der Geringfügigkeit dieser Verstöße eine einfache Verwarnung ausgereicht hätte, um die Verstöße zu ahnden.

14      Am 23. Oktober 2013 wurde der Gemeinde Palmela der Bescheid der ASAE zugestellt, mit dem ein einheitliches Bußgeld von 15 500 Euro zuzüglich Verfahrenskosten in Höhe von 100 Euro gegen sie verhängt wurde. Am 14. November 2013 erhob sie Klage gegen diesen Bescheid.

15      Mit Urteil vom 3. April 2014 erklärte das Tribunal Judicial da Comarca de Setúbal (Bezirksgericht Setúbal, Portugal) Art. 13 Buchst. b und Art. 16 Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung für unanwendbar und hob daraufhin den angefochtenen Bescheid wegen eines Begründungsmangels und eines Widerspruchs zwischen Begründung und verfügendem Teil auf. Am 30. Januar 2016 wurde der Gemeinde Palmela ein neuer Bescheid zugestellt, mit dem ein einheitliches Bußgeld von 10 000 Euro zuzüglich Verfahrenskosten in Höhe von 100 Euro gegen sie verhängt wurde.

16      Die Gemeinde Palmela hat beim vorlegenden Gericht gegen diesen neuen Bescheid geklagt und fordert dieses auf, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen zu den Folgen eines Verstoßes gegen die mit der Richtlinie 98/34 eingeführte Pflicht zur Mitteilung technischer Vorschriften vorzulegen.

17      Das vorlegende Gericht führt aus, dass die Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie verpflichtet seien, sowohl technische Vorschriften und deren spätere Änderungen als auch die wichtigsten grundlegenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die mit ihnen am unmittelbarsten verbunden seien, zu notifizieren. Unter der auf die nationale Rechtsprechung gestützten Prämisse, dass Art. 13 Buchst. b und Art. 16 Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung technische Vorschriften darstellen, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, welche Folgen ein Verstoß gegen die Pflicht zur Mitteilung dieser Vorschriften an die Kommission hat.

18      Zudem wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob der Verstoß gegen diese Verpflichtung zur Unanwendbarkeit nur dieser Vorschriften oder aber des gesamten Rechtsakts führt, in dem sie enthalten sind.

19      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Judicial da Comarca de Setúbal (Bezirksgericht Setúbal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Muss das nationale Gericht einen innerstaatlichen Rechtstext, der technische Normen einführt und entgegen den Bestimmungen der Richtlinie 98/34 nicht der Europäischen Kommission notifiziert wurde, für insgesamt unanwendbar befinden, oder hat es die Entscheidung über die Unanwendbarkeit auf die mit diesem innerstaatlichen Rechtstext eingeführten neuen technischen Vorschriften zu beschränken? Oder:

2.      Muss ein innerstaatlicher Rechtstext, der technische Normen einführt und entgegen den Bestimmungen der Richtlinie 98/34 nicht der Kommission notifiziert wurde, insgesamt für unanwendbar erklärt werden, oder hat sich die Entscheidung über die Unanwendbarkeit auf die mit diesem innerstaatlichen Rechtstext eingeführten neuen technischen Vorschriften zu beschränken?

3.      Sind sämtliche in der Spielplatzverordnung enthaltenen technischen Normen unanwendbar oder nur jene technischen Normen, die durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geändert oder neu eingeführt wurden?

 Zu den Vorlagefragen

20      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 28. April 2016, Oniors Bio, C‑233/15, EU:C:2016:305, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Beschluss vom 14. Juli 2016, BASF, C‑456/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2016:567, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21      Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in dem Fall, dass nationale Bestimmungen wie Art. 13 Buchst. b und Art. 16 Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung technische Vorschriften im Sinne der Richtlinien 83/189 und 98/34 darstellen, Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen sind, dass die Sanktion der Unanwendbarkeit nicht mitgeteilter technischer Vorschriften nur diese Vorschriften oder die gesamte Regelung betrifft, zu der sie gehört.

22      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass mit dem Decreto-Lei Nr. 119/2009 Art. 13 Buchst. b und Art. 16 Abs. 2 der Spielplatzverordnung geändert wurden, während Art. 16 Abs. 1 der Verordnung unverändert blieb. Das vorlegende Gericht geht davon aus, dass diese nationalen Vorschriften technische Vorschriften darstellen.

23      In Bezug auf Art. 16 Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung ist in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Gericht festzustellen, dass dieser tatsächlich eine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinien 83/189 und 98/34 darstellt, da er Vorschriften für ein Erzeugnis enthält, die zum Schutz der Verbraucher erlassen worden sind, den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betreffen und die Zusammensetzung und die Vermarktung eines solchen Erzeugnisses wesentlich beeinflussen. Diese Bestimmung fällt daher in die Kategorie „sonstige Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 83/189 und von Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34.

24      Zu prüfen ist, ob dies auch für Art. 13 Buchst. b der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung gilt, da dieses Decreto-Lei zu einem Zeitpunkt erlassen wurde, zu dem die Richtlinie 98/34 bereits in Kraft getreten war.

25      Der Begriff „technische Vorschrift“ umfasst vier Kategorien von Maßnahmen, nämlich erstens „technische Spezifikationen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34, zweitens „sonstige Vorschriften“ gemäß der Definition in Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie, drittens „Vorschriften betreffend Dienste“ nach Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie und viertens „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie (Urteil vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 70).

26      Insoweit ist erstens darauf hinzuweisen, dass der Begriff „technische Spezifikation“ voraussetzt, dass sich die nationale Maßnahme auf das Erzeugnis oder seine Verpackung als solche bezieht und daher eines der Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt. Wenn eine nationale Maßnahme hingegen Voraussetzungen für die Gründung von Unternehmen – wie Bestimmungen, die die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit von einer vorherigen Erlaubnis abhängig machen – vorsieht, stellen diese Voraussetzungen keine technischen Spezifikationen dar (Urteil vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Zweitens kann eine nationale Maßnahme nur dann als „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34 eingestuft werden, wenn sie eine „Vorschrift“ darstellt, die die Zusammensetzung, die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen kann. Es ist jedoch zu prüfen, ob eine solche Maßnahme als „Vorschrift“ für den Gebrauch des betreffenden Erzeugnisses einzustufen ist oder ob es sich nicht vielmehr um eine nationale Maßnahme handelt, die zu der in Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie aufgeführten Kategorie der technischen Vorschriften gehört. Welcher der beiden Kategorien technischer Vorschriften eine nationale Maßnahme angehört, hängt von der Tragweite des Verbots ab, das durch diese Maßnahme ausgesprochen wird (Urteil vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Drittens erfasst der Begriff „Vorschrift betreffend Dienste“ im Sinne von Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34 nur Vorschriften über Dienstleistungen der Informationsgesellschaft, also über jede elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Oktober 2016, M. und S., C‑303/15, EU:C:2016:771, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Im vorliegenden Fall wurde mit Art. 13 Buchst. b der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung die Pflicht eingeführt, an mehreren Stellen des Spielplatzes Informationen über dessen maximale Aufnahmekapazität anzuzeigen.

30      Zunächst ist festzustellen, dass eine solche Bestimmung nicht der Kategorie technischer Vorschriften im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34 angehört, da feststeht, dass Bestimmungen, die Anforderungen und allgemeine Ziele im Bereich der Sicherheit und des Schutzes vorschreiben, ohne sich auf das betreffende Erzeugnis und seine Verpackung als solche zu beziehen und daher Merkmale für dieses Erzeugnis festzulegen, keine technischen Vorschriften darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2011, Intercommunale Intermosane und Fédération de l’industrie et du gaz, C‑361/10, EU:C:2011:382, Rn. 17 und 18).

31      Sodann fällt diese Bestimmung auch nicht in die Kategorie der „Vorschriften betreffend Dienste“ in Art. 1 Nr. 5 der Richtlinie 98/34, da sie keine Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von Art. 1 Nr. 2 dieser Richtlinie betrifft.

32      Schließlich ist, um festzustellen zu können, ob eine nationale Bestimmung wie Art. 13 Buchst. b der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung gegebenenfalls unter Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34 oder unter Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie fällt, zu prüfen, ob sie als „Vorschrift“ für den Gebrauch der betreffenden Erzeugnisse, d. h. der sich auf den Spielplätzen befindlichen Geräte, deren Zusammensetzung, Art oder Vermarktung wesentlich beeinflussen kann oder ob sie zu der in Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie aufgeführten Kategorie von Verboten gehört.

33      Zum einen steht fest, dass eine Bestimmung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende angesichts des allgemeinen Charakters der darin enthaltenen Vorschriften keine „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34 darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Juni 2011, Intercommunale Intermosane und Fédération de l’industrie et du gaz, C‑361/10, EU:C:2011:382, Rn. 21). Zum anderen enthält sie keine Verbote, aufgrund deren sie der Kategorie von Verboten in Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie zugeordnet werden könnte.

34      Demnach stellt eine Bestimmung wie Art. 13 Buchst. b der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung keine technische Vorschrift im Sinne der Richtlinie 98/34 dar.

35      Zur Sanktion der Unanwendbarkeit technischer Vorschriften, die der Kommission nicht mitgeteilt worden sind, ist festzustellen, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 die Verpflichtung der Mitgliedstaaten vorsah, der Kommission jeden Entwurf einer technischen Vorschrift mitzuteilen, und dass diese Verpflichtung in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 übernommen wurde.

36      Der Verstoß gegen eine derartige Mitteilungspflicht wird mit der Unanwendbarkeit der nicht mitgeteilten technischen Vorschriften geahndet (vgl. in diesem Sinne zur Richtlinie 83/189 Urteil vom 30. April 1996, CIA Security International, C‑194/94, EU:C:1996:172, Rn. 54, und zur Richtlinie 98/34 Urteil vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Was den Umfang einer solchen Sanktion angeht, so erfasst, wenngleich Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 verlangen, dass der Kommission ein Gesetzesentwurf, der technische Vorschriften enthält, vollständig übermittelt wird, die Unanwendbarkeit, die sich aus der Missachtung dieser Pflicht ergibt, nicht alle Bestimmungen eines solchen Gesetzes, sondern nur die darin enthaltenen technischen Vorschriften (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2016, Ince, C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 68).

38      Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen sind, dass die Sanktion der Unanwendbarkeit einer nicht mitgeteilten technischen Vorschrift wie Art. 16 Abs. 1 und 2 der Spielplatzverordnung in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 geänderten Fassung nur diese technische Vorschrift und nicht die gesamte Regelung betrifft, zu der sie gehört.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften in der durch die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge geänderten Fassung und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft in der durch die Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass die Sanktion der Unanwendbarkeit einer nicht mitgeteilten technischen Vorschrift wie Art. 16 Abs. 1 und 2 des Regulamento que estabelece as condições de segurança a observar na localização, implantação, conceção e organização funcional dos espaços de jogo e recreio, respetivamente, equipamento e superfícies de impacto (Verordnung zur Festlegung der Sicherheitsbestimmungen für die Positionierung, Errichtung, Konzeption und funktionale Gestaltung von Spielplätzen samt ihrer Geräte und Spielflächen) im Anhang des Decreto-Lei Nr. 379/97 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 379/97) vom 27. Dezember 1997 in der durch das Decreto-Lei Nr. 119/2009 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 119/2009) vom 19. Mai 2009 geänderten Fassung nur diese technische Vorschrift und nicht die gesamte Regelung betrifft, zu der sie gehört.

Unterschriften


** Verfahrenssprache: Portugiesisch.