URTEIL DES GERICHTSHOFES
28. April 1998 (1)
„Freier Dienstleistungsverkehr Freier Kapitalverkehr Besteuerung des
Sparens im Rahmen einer Lebensversicherung Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaats über unterschiedliche Besteuerungsmodalitäten je nach Sitz des
Dienstleistungsunternehmens“
In der Rechtssache C-118/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Länsrätten i
Dalarnas län, zuvor Länsrätten i Kopparbergs län, (Schweden) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Jessica Safir
gegen
Skattemyndigheten i Dalarnas län, zuvor Skattemyndigheten i Kopparbergs län,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6, 59,
60, 73b und 73d EG-Vertrag
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der
Kammerpräsidenten C. Gulmann, H. Ragnemalm, M. Wathelet und R. Schintgen
sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter),
P. J. G. Kapteyn, J. L. Murray, D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, G. Hirsch und
P. Jann,
Generalanwalt: G. Tesauro
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
von Frau Safir, vertreten durch die Rechtsanwälte J.-M. Bexhed und
G. Lundsten, Stockholm,
der schwedischen Regierung, vertreten durch L. Nordling, Rättschef für EU-Fragen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als
Bevollmächtigte,
der dänischen Regierung, vertreten durch Abteilungsleiter P. Biering,
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins,
Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister
C. Vajda,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
Rechtsberater A. Caeiro und K. Simonsson, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Safir, vertreten durch die
Rechtsanwälte J.-M. Bexhed und G. Lundsten, der schwedischen Regierung,
vertreten durch L. Nordling, der dänischen Regierung, vertreten durch P. Biering,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins im
Beistand von C. Vajda, und der Kommission vertreten durch K. Simonsson und
H. Michard, Juristischer Dienst, in der Sitzung vom 10. Juni 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23.
September 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Mit Entscheidung vom 22. März 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 12. April
1996, hat das Länsrätten i Dalarnas län, zuvor Länsrätten i Kopparbergs län, gemäß
Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 6, 59, 60, 73b
und 73d EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Safir, wohnhaft in
Schweden, und dem Skattemyndigheten i Dalarnas län, zuvor Skattemyndigheten
i Kopparbergs län (Finanzamt der Provinz Kopparberg; im folgenden: Finanzamt),
über die Besteuerung von Prämien für eine Kapitallebensversicherung, die Frau
Safir 1995 an die auf dem schwedischen Markt tätige britische
Versicherungsgesellschaft Skandia Life Assurance Company Ltd (im folgenden:
Skandia Life) entrichtet hat, bei der es sich um eine 100%ige Tochtergesellschaft
der schwedischen Versicherungsgesellschaft Skandia handelt.
Die schwedischen Rechtsvorschriften
- 3.
- Die Besteuerung des Sparens im Rahmen von Kapitallebensversicherungen bei in
Schweden niedergelassenen Gesellschaften trifft die Gesellschaften wie die
Versicherungsnehmer gleichermaßen.
- 4.
- Die in Schweden niedergelassenen Versicherungsgesellschaften sind verpflichtet,
eine Steuer gemäß dem Lagen (1990:661) om avkastinngsskatt på pensionsmedel
(Gesetz über die Ertragssteuer auf Rentenmittel) zu entrichten. Diese Steuer ist
technisch als eine Steuer auf den Ertrag aus dem Versicherungskapital ausgeformt,
die vom Versicherer erhoben wird. Sie wird pauschal berechnet anhand des am
Ende des Jahres vor dem Besteuerungsjahr vorhandenen Kapitals der Gesellschaft,
vermindert um den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Wert der finanziellen
Verbindlichkeiten, anschließend multipliziert mit dem durchschnittlichen Zins für
Staatsanleihen im Jahr vor dem Besteuerungsjahr. Der so ermittelte Ertrag wird
mit einem Steuersatz von 27 % belegt.
- 5.
- Versicherungsnehmer, die Verträge bei in Schweden niedergelassenen
Gesellschaften abgeschlossen haben, können die Prämien nicht von ihrem
steuerpflichtigen Einkommen abziehen. Dafür werden die auszuzahlenden Beträge
nicht besteuert.
- 6.
- Das gleiche gilt für Versicherungsnehmer, die Verträge bei im Ausland
niedergelassenen Gesellschaften abgeschlossen haben.
- 7.
- Sparleistungen im Rahmen von Kapitallebensversicherungen bei im Ausland
niedergelassenen Gesellschaften werden auf der Grundlage des am 1. Januar 1991
in Kraft getretenen Lagen (1990:662) om skatt på vissa premiebetalningar
(premieskattelagen) (Gesetz über die Besteuerung bestimmter
Prämieneinzahlungen; im folgenden: Premieskattelagen) besteuert.
- 8.
- Nach der Vorlageentscheidung bezweckt das Premieskattelagen die
Aufrechterhaltung der Wettbewerbsneutralität zwischen Sparleistungen im Rahmen
einer Kapitallebensversicherung bei Versicherungsgesellschaften mit Sitz in
Schweden und Sparleistungen bei Gesellschaften mit Sitz im Ausland.
- 9.
- Nach § 1 des Premieskattelagen müssen natürliche oder juristische Personen, die
in Schweden wohnen oder dort ihren ständigen Aufenthalt haben und bei nicht in
Schweden niedergelassenen Gesellschaften eine Lebensversicherung abgeschlossen
haben, für die gezahlten Prämien Steuern an den Staat entrichten. Nach § 3 des
Premieskattelagen beträgt die Steuer 15 % der Prämie.
- 10.
- Außerdem müssen sich diese Steuerpflichtigen zentral bei dem Finanzamt
registrieren lassen und die Prämienzahlung angeben.
- 11.
- Diese Behörde kann schließlich gemäß § 5 des Premieskattelagen auf Antrag des
Versicherungsnehmers eine Steuerbefreiung einräumen oder die Steuer um die
Hälfte ermäßigen, wenn die Gesellschaft, bei der die Versicherung abgeschlossen
wurde, im Staat ihrer Niederlassung einer Einkommensbesteuerung unterliegt, die
der Steuerlast der in Schweden niedergelassenen Versicherungsunternehmen
vergleichbar ist. Die Prämienbesteuerung kann um die Hälfte ermäßigt werden,
wenn die ausländische Steuer mindestens ein Viertel der in Schweden geltenden
Steuer erreicht, und sie kann erlassen werden, wenn die ausländische Steuer
mindestens die Hälfte der in Schweden geltenden Steuer erreicht.
- 12.
- Nach den Darlegungen des vorlegenden Gerichts soll die genannte Möglichkeit der
Steuerbefreiung oder -ermäßigung verhindern, daß Sparer, die bei einer im Ausland
niedergelassenen Gesellschaft eine Kapitallebensversicherung abschließen, höher
besteuert werden als Sparer, die eine solche Versicherung bei einer in Schweden
niedergelassenen Gesellschaft abschließen.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
- 13.
- Frau Safir, die Anfang 1995 bei Skandia Life eine Kapitallebensversicherung
abgeschlossen hatte, beantragte bei dem Finanzamt gemäß § 5 des
Premieskattelagen die Befreiung von der Prämienbesteuerung.
- 14.
- Mit Bescheid von 12. April 1995 ermäßigte das Finanzamt die Steuer um die Hälfte
und setzte sie auf 7,5 % der 1995 an die Skandia Life entrichteten Prämien, also
auf 75 SKR, fest.
- 15.
- Frau Safir legte gegen diese Entscheidung bei der für Steuerbefreiungen
zuständigen Instanz, dem Riksskatteverket, einen Rechtsbehelf ein, der am 3. Juli
1995 durch eine keiner weiteren Beschwerde unterliegenden Entscheidung
zurückgewiesen wurde.
- 16.
- Am 4. Januar 1996 gab Frau Safir daraufhin die Prämienzahlungen bei dem
Finanzamt an und machte geltend, daß sie keine Steuer auf die Prämien schulde,
weil diese Steuer mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sei.
- 17.
- Nach erneuter Prüfung der Akte hielt das Finanzamt durch Bescheide vom 17. und
vom 25. Januar 1996 seinen Steuerbescheid aufrecht.
- 18.
- Mit Klageschriften vom 22. Januar und vom 13. Februar 1996 erhob Frau Safir
daraufhin beim Länsrätten i Dalarnas län Klage auf Aufhebung des
Steuerbescheids des Finanzamts.
- 19.
- In seiner Vorlageentscheidung stellt dieses Gericht fest, daß trotz des Zieles des
schwedischen Gesetzgebers, eine wettbewerbsneutrale Lage zwischen Sparern bei
schwedischen Versicherungen und Sparern bei ausländischen Versicherungen zu
wahren, die Besteuerung technisch unterschiedlich ausgestaltet worden sei, je
nachdem ob das Versicherungsunternehmen in Schweden oder im Ausland
niedergelassen sei, und daß diese Ungleichheit gegen den EG-Vertrag verstoßen
könnte. Es hat daher dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Verstößt es, wenn in einem Mitgliedstaat die Besteuerung des
Versicherungssparens bei inländischen Lebensversicherungsgesellschaften und bei
ausländischen Lebensversicherungsgesellschaften, die in diesem Mitgliedstaat
niedergelassen sind und dort Versicherungsgeschäfte betreiben, technisch wie eine
nach dem Ertrag aus dem Versicherungskapital pauschal berechnete Steuer
ausgeformt ist, die beim Versicherer erhoben wird, gegen die Artikel 6, 59, 60 oder
73b und 73d EG-Vertrag, wenn in der Absicht, zwischen dem inländischen und
dem ausländischen Versicherungssparen die Wettbewerbsneutralität
aufrechtzuerhalten Steuer auf die Versicherungsprämien erhoben wird, die von
dem Versicherungsnehmer in dem Mitgliedstaat gemäß dem
Lebensversicherungsvertrag entrichtet werden, den er mit einem Versicherer
abgeschlossen hat, der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen und in dem
erstgenannten Mitgliedstaat gemäß den Vorschriften über grenzüberschreitende
Versicherungstätigkeit tätig ist, sofern die Steuer auf die genannten
Versicherungsprämien im Verwaltungswege erlassen oder um die Hälfte ermäßigt
werden kann, falls die im Ausland niedergelassene Versicherungsgesellschaft in dem
Staat ihrer Niederlassung einer Einkommensbesteuerung unterliegt, die der
Steuerbelastung für inländisches Versicherungssparen in dem anderen Mitgliedstaat
vergleichbar ist?
- 20.
- Mit seiner Vorabentscheidungsfrage möchte das vorlegende Gericht im
wesentlichen wissen, ob die Artikel 6, 59, 60 oder 73b und 73d EG-Vertrag die
Anwendung einer nationalen Regelung über die Besteuerung von
Kapitallebensversicherungen, wie sie im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht,
verbieten.
- 21.
- Zunächst ist festzustellen, daß zwar der Bereich der direkten Steuern als solcher
beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der
Gemeinschaft fällt, die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse jedoch
unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (vgl. u. a. Urteil vom 14.
Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225,
Randnr. 21).
- 22.
- Da es sich bei Versicherungen um Dienstleistungen im Sinne von Artikel 60 EG-Vertrag handelt, ist sodann daran zu erinnern, daß Artikel 59 EG-Vertrag nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofes der Anwendung einer nationalen Regelung
entgegensteht, die die Möglichkeit für einen Dienstleistungserbringer, von dieser
Freiheit tatsächlich Gebrauch zu machen, ohne objektive Rechtfertigung beschränkt
(vgl. u. a. Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-381/93,
Kommission/Frankreich, Slg. 1994, I-5145, Randnr. 16).
- 23.
- Unter dem Gesichtspunkt eines einheitlichen Marktes und im Hinblick auf die
Verwirklichung seiner Ziele, schließt Artikel 59 EG-Vertrag auch die Anwendung
einer nationalen Regelung aus, die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen
Mitgliedstaaten gegenüber der Erbringung von Dienstleistungen allein innerhalb
eines Mitgliedstaats erschwert (Urteil Kommission/Frankreich, a. a. O.,
Randnr. 17).
- 24.
- Die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Regelung unterwirft
Kapitallebensversicherungen einer unterschiedlichen Besteuerung, je nachdem ob
die Gesellschaften, bei denen sie abgeschlossen worden sind, in Schweden
niedergelassen sind oder nicht. Diese unterschiedliche Behandlung ist nach dem
Vorbringen der schwedischen Regierung dadurch zu erklären, daß es nicht möglich
ist, die gleiche Regelung auf beide Fälle anzuwenden, und daß es notwendig ist, die
Steuerlücke zu schließen, die sich aus der fehlenden Besteuerung der
Sparleistungen im Rahmen von Kapitallebensversicherungen bei nicht in Schweden
niedergelassenen Gesellschaften ergeben würde.
- 25.
- Es ist daher zu prüfen, ob eine solche Regelung Hindernisse für den freien
Dienstleistungsverkehr schafft und ob diese Hindernisse gegebenenfalls durch die
von der schwedischen Regierung angeführten Gründe gerechtfertigt sind.
- 26.
- Erstens müssen sich die Versicherungsnehmer von Kapitallebensversicherungen, die
bei nicht in Schweden niedergelassenen Gesellschaften abgeschlossen werden, im
Unterschied zu Inhabern solcher Versicherungen, die bei nicht dort
niedergelassenen Gesellschaften abgeschlossen werden, zentral bei dem Finanzamt,
das auch für die Gewährung von Steuerbefreiungen und -ermäßigungen zuständig
ist, registrieren lassen und die Prämienzahlung angeben. Außerdem müssen sie die
Steuer selbst entrichten und dafür finanzielle Mittel aufbringen, was sich, wie Frau
Safir geltend macht, negativ auf ihre Liquidität auswirkt. Zwar können solche
Verpflichtungen für sich genommen nicht als Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht betrachtet werden. Jedoch können solche Verpflichtungen in
Verbindung mit der Notwendigkeit, ein zentralisiertes Verfahren einzuhalten, die
Betroffenen davon abhalten, Kapitallebensversicherungen bei nicht in Schweden
niedergelassenen Gesellschaften abzuschließen, da sie keinerlei besonderen Schritte
unternehmen müßten, wenn sie solche Versicherungen bei in Schweden
niedergelassenen Gesellschaften abschließen würden, weil die Steuer in diesem Fall
bei der Gesellschaft erhoben würde.
- 27.
- Zweitens bringt nach den Erläuterungen der schwedischen Regierung in der Sitzung
zwar ein nach langer Zeit erfolgter Rückkauf einer Kapitallebensversicherung, die
bei einer nicht in Schweden niedergelassenen Gesellschaft abgeschlossen worden
ist, für den Versicherungsnehmer keine größeren Schwierigkeiten mit sich als der
Rückkauf einer Versicherung, die bei einer in Schweden niedergelassenen
Gesellschaft abgeschlossen worden ist; anders könne es aber aussehen, wenn der
Rückkauf nach kurzer Zeit erfolge. Die größeren Schwierigkeiten bei einem nach
kurzer Zeit erfolgenden Rückkauf einer Versicherung, die bei einer nicht in
Schweden niedergelassenen Gesellschaft abgeschlossen worden ist, sind ein weiterer
Faktor, der den Versicherungsnehmer vom Abschluß einer solchen Versicherung
abhalten kann, da er zum Zeitpunkt des Abschlusses nicht weiß, ob und
gegebenenfalls wann er einen Rückkauf vornehmen wird.
- 28.
- Drittens verlangt das Finanzamt, wenn der Versicherungsnehmer einer
Versicherung, die bei einer nicht in Schweden niedergelassenen Gesellschaft
abgeschlossen worden ist, eine Befreiung von der Prämienbesteuerung oder deren
Ermäßigung beantragt und es noch nicht über die nötigen Informationen verfügt,
genaue Angaben über die Einkommenssteuer, der diese Gesellschaft unterliegt.
Wie Frau Safir geltend macht, ist ein solches Verlangen für den
Versicherungsnehmer jedoch besonders belastend. Es kann außerdem die
Versicherungsgesellschaften, die noch nicht auf dem schwedischen Markt tätig sind,
davon abhalten, dort ihre Dienste anzubieten, da es erforderlich macht, daß diese
Gesellschaften ihren potentiellen Kunden genaue Angaben darüber liefern, welche
steuerliche Regelung für sie in einem anderen Mitgliedstaat gilt.
- 29.
- Viertens hängt nach der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Regelung die
Festsetzung der auf Versicherungsprämien anwendbaren Steuer davon ab, wie die
Verwaltung die steuerliche Regelung für die nicht in Schweden niedergelassenen
Versicherer beurteilt. Wie aus den Akten hervorgeht, haben jedoch das Finanzamt
und das Riksskatteverket 1995 in bezug auf die Freistellungsanträge verschiedener
britischer Lebensversicherungsgesellschaften unterschiedlich entschieden, obwohl
die britische steuerliche Regelung nicht geändert worden war. Folglich sind solche
Unterschiede bei der Beurteilung der auf nicht in Schweden niedergelassene
Gesellschaften anwendbaren steuerlichen Regelung offenbar geeignet, eine
Unsicherheit zu erzeugen, die die Versicherungsnehmer davon abhalten kann, bei
nicht in Schweden niedergelassenen Versicherern Verträge mit langer Laufzeit, wie
Kapitallebensversicherungsverträge, abzuschließen.
- 30.
- Demnach weist eine Regelung, wie sie im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht, eine
Reihe von Faktoren auf, die geeignet sind, Versicherungsnehmer davon abzuhalten,
Kapitallebensversicherungen bei nicht in Schweden niedergelassenen
Versicherungsgesellschaften abzuschließen, und Versicherungsgesellschaften davon
abzuhalten, ihre Dienste auf dem schwedischen Markt anzubieten.
- 31.
- Überdies erlaubt die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Regelung zwar die
Berücksichtigung der in einem anderen Mitgliedstaat geltenden Steuer, um, wie die
schwedische Regierung vorträgt, dem vom Gemeinschaftsrecht vorgegebenen
Grundsatz der Gleichbehandlung Genüge zu tun, doch ergibt sich gleichwohl, wie
Frau Safir geltend macht, ein Schwelleneffekt dadurch, daß diese Steuer
unberücksichtigt bleibt, wenn sie nicht mindestens ein Viertel der in Schweden
geltenden Steuer erreicht. Die in einem anderen Mitgliedstaat geltende Steuer muß
nämlich mindestens ein Viertel der Steuer auf Versicherungsprämien ausmachen,
damit diese um die Hälfte ermäßigt werden kann, und sie muß mindestens die
Hälfte der schwedischen Steuer ausmachen, damit diese erlassen werden kann. Aus
einem solchen Schwelleneffekt ergibt sich, daß die Besteuerung von Sparleistungen
im Rahmen von Kapitallebensversicherungen bei nicht in Schweden
niedergelassenen Gesellschaften in den meisten Fällen höher sein kann als die
Besteuerung solcher Sparleistungen bei in Schweden niedergelassenen
Gesellschaften.
- 32.
- Außerdem machen es Regelungen wie die schwedische für das nationale Gericht,
das prüfen soll, ob die steuerliche Regelung diskriminierend ist, schwierig, wenn
nicht unmöglich, die Ertragssteuer, die auf Versicherungen lastet, die bei in
Schweden niedergelassenen Gesellschaften abgeschlossen worden sind, mit der
Steuer auf Versicherungsprämien zu vergleichen, die an nicht in Schweden
niedergelassene Gesellschaften gezahlt werden.
- 33.
- Es kommen jedoch andere, transparentere Systeme in Frage, die ebenfalls geeignet
sind, die von der schwedischen Regierung geltend gemachte Steuerlücke zu
schließen, und die den freien Dienstleistungsverkehr dabei weniger stark
beschränken. Dies gilt insbesondere für eine pauschal berechnete Besteuerung der
Erträge aus dem Lebensversicherungskapital, die auf sämtliche Versicherungen
unabhängig davon gleichermaßen anwendbar ist, ob die Gesellschaften, bei denen
die Versicherungen abgeschlossen worden sind, in dem betreffenden Mitgliedstaat
oder in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.
- 34.
- Demnach können die von der schwedischen Regierung angeführten Gründe,
nämlich die Unmöglichkeit, auf Kapitallebensversicherungen bei nicht in Schweden
niedergelassenen Gesellschaften die gleiche steuerliche Regelung anzuwenden wie
auf Lebensversicherungen bei dort niedergelassenen Gesellschaften, und die
Notwendigkeit, die Steuerlücke zu schließen, die sich aus der fehlenden
Besteuerung von Sparleistungen im Rahmen von Kapitallebensversicherungen bei
nicht in Schweden niedergelassenen Gesellschaften ergebe, eine nationale Regelung
über die Besteuerung von Kapitallebensversicherungen nicht rechtfertigen, die eine
Reihe von Faktoren aufweist, die den freien Dienstleistungsverkehr so stark
beschränken wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Regelung.
- 35.
- Im Hinblick darauf braucht nicht entschieden zu werden, ob eine solche Regelung
auch gegen die Artikel 6, 73b und 73d EG-Vertrag verstößt.
- 36.
- Dem vorlegenden Gericht ist zu antworten, daß Artikel 59 EG-Vertrag die
Anwendung einer nationalen Regelung über die Besteuerung von
Kapitallebensversicherungen, wie sie im Ausgangsrechtsstreit in Rede steht,
verbietet.
Kosten
- 37.
- Die Auslagen der schwedischen und der dänischen Regierung sowie der Regierung
des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Länsrätten i Dalarnas län, zuvor Länsrätten i Kopparbergs län mit
Entscheidung vom 22. März 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 59 EG-Vertrag verbietet die Anwendung einer nationalen Regelung über die
Besteuerung von Kapitallebensversicherungen, wie sie im Ausgangsrechtsstreit in
Rede steht.
Rodríguez Iglesias Gulmann Ragnemalm
Wathelet Schintgen Mancini
Moitinho de Almeida Kapteyn Murray
Edward Puissochet Hirsch Jann
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 28. April 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodriguéz Iglesias