Language of document : ECLI:EU:C:2013:242

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NIILO JÄÄSKINEN

vom 16. April 2013(1)

Verbundene Rechtssachen C‑105/12 bis C‑107/12,

Staat der Nederlanden

gegen

Essent NV und Essent Nederland BV (C‑105/12),

Eneco Holding NV (C‑106/12),

Delta NV (C‑107/12)

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden [Niederlande])

„Energieverteilernetzbetreiber – Absolutes Privatisierungsverbot –Eigentumsordnung – Verbot, Konzerne zu bilden, an denen Energieverteilernetzbetreiber und Gesellschaften, die Energie vertreiben, liefern oder erzeugen, gleichzeitig beteiligt sind – Den Energieverteilernetzbetreibern auferlegtes Verbot sachfremder Tätigkeiten – Freier Kapitalverkehr – Beschränkungen – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit – ‚Rein wirtschaftliche‘ Gründe – Unverfälschter Wettbewerb“





I –    Einleitung

1.        Der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) bittet den Gerichtshof um Auslegung der Art. 63 AEUV und 345 AEUV in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten, in denen der Staat der Nederlanden Essent NV und Essent Nederland BV (Rechtssache C‑105/12), Eneco Holding NV (Rechtssache C‑106/12) und Delta NV (Rechtssache C‑107/12) (im Folgenden insgesamt: Gesellschaften), d. h. verschiedenen Gesellschaften, gegenübersteht, die auf dem Gebiet der Elektrizitäts- und Gasverteilung in den Niederlanden tätig sind; die Rechtsstreitigkeiten betreffen mehrere für diese Sektoren geltende Vorschriften des niederländischen Rechts.

2.        Im Rahmen dieser drei vom Gerichtshof verbundenen Rechtssachen hat der Hoge Raad drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

–        Die erste Frage thematisiert im Hinblick auf Art. 345 AEUV das im niederländischen Recht eingeführte „Privatisierungsverbot“, das eine Übernahme von Elektrizitäts- und Gasverteilernetzbetreibern(2) durch Private verhindert;

–        die zweite Frage gibt im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr Anlass zur Prüfung von zwei weiteren im niederländischen Recht enthaltenen Verboten, nach denen Betreiber solcher Verteilernetze keine Verbindungen zu Unternehmen, die in den Niederlanden Elektrizität oder Gas erzeugen, liefern oder vertreiben (im Folgenden: Energiegesellschaften), unterhalten (im Folgenden: Konzernverbot) oder andere, dem Netzbetrieb fremde Tätigkeiten ausüben dürfen (im Folgenden: Verbot sachfremder Tätigkeiten);

–        die dritte Frage bezieht sich auf das Vorliegen von eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigenden „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“, soweit das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, auf die die zweite Frage abstellt, ihn beschränken.

3.        Die vorliegenden Rechtssachen geben dem Gerichtshof somit Gelegenheit, sich erneut zur Auslegung des AEU-Vertrags und insbesondere zum Verhältnis der Art. 345 AEUV und 63 AEUV betreffend Liberalisierungsmaßnahmen in einem strategischen Wirtschaftssektor zu äußern. Die vorliegenden Rechtssachen weisen jedoch gewisse Besonderheiten gegenüber den Rechtssachen auf, die zur „Golden shares“-Rechtsprechung geführt haben. Zum einen geht es nicht um Teilprivatisierung, sondern um ein Privatisierungsverbot; dieses schlägt sich in einer klaren Trennung zwischen der Eigentumsregelung für Verteilernetzbetreiber, die einen „abgeschlossenen Bereich“ der öffentlichen Hand bildet, und der Regelung des Eigentums an Elektrizität oder Gas erzeugenden, liefernden oder vertreibenden Unternehmen nieder, das auf Privatpersonen übertragen werden kann. Zum anderen beruhen die in Rede stehenden Verbote nicht auf einem Mechanismus, der zugunsten der öffentlichen Hand vom Privatrecht abweicht. Schließlich handelt es sich bei den streitigen niederländischen Vorschriften nicht nur um eine spontane Maßnahme auf nationaler Ebene, sondern sie sind Teil einer von der Europäischen Union eingeleiteten Liberalisierungspolitik, die im Erlass von Richtlinien zum Ausdruck kam, in denen die Entflechtung von Betreibern und Nutzern von Energieübertragungs- und Verteilernetzen vorgeschrieben wird.

4.        Insoweit ist es sachgerecht, vorab darauf hinzuweisen, dass die beiden Richtlinien des zweiten Energiepakets von 2003, nämlich die Richtlinien 2003/54/EG(3) und 2003/55/EG(4), sowie die Richtlinien des dritten Energiepakets von 2009, nämlich die Richtlinien 2009/72/EG(5) und 2009/73/EG(6), die nicht Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens sind, dennoch von Bedeutung sind. Sie bestimmen nämlich den in den Jahren 2003 bis 2009 vom Gemeinschaftsgesetzgeber angestrebten Grad der Liberalisierung, zu dem die Gesellschaften vortragen, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie ihn überschritten, gegen die unionsrechtlichen Bestimmungen zu den Grundfreiheiten verstießen. Außerdem enthalten sie Definitionen, die für die Einordnung der vorliegenden Rechtssachen einschlägig sind.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      AEU-Vertrag

5.        Nach Art. 63 Abs. 1 AEUV sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

6.        Gemäß Art. 345 AEUV lassen die Verträge die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.

2.      Richtlinien 2003/54 und 2003/55

7.        Die Richtlinie 2003/54 betreffend Elektrizität und die Richtlinie 2003/55 betreffend Gas sind Teil des zweiten Energiepakets, das mit dem Ziel erlassen wurde, den Energiesektor zu liberalisieren. Die Regeln für Elektrizität sind im Wesentlichen identisch mit den Regeln für Gas. Zur Vermeidung von Wiederholungen werden hier nur die Bestimmungen zur Elektrizität wiedergegeben.

8.        Die Erwägungsgründe 6 bis 8 und 10 der Richtlinie 2003/54 sehen vor:

„(6)       Ein funktionierender Wettbewerb setzt voraus, dass der Netzzugang nichtdiskriminierend, transparent und zu angemessenen Preisen gewährleistet ist.

(7)       Zur Vollendung des Elektrizitätsbinnenmarkts ist ein nichtdiskriminierender Zugang zum Netz des Übertragungs- oder des Verteilernetzbetreibers von größter Bedeutung. Ein Übertragungs- oder Verteilernetzbetreiber kann aus einem oder mehreren Unternehmen bestehen.

(8)       Um einen effizienten und nichtdiskriminierenden Netzzugang zu gewährleisten, ist es angezeigt, dass die Übertragungs- und Verteilernetze durch unterschiedliche Rechtspersonen betrieben werden, wenn vertikal integrierte Unternehmen bestehen. …

Es ist notwendig, dass die Unabhängigkeit der Übertragungsnetzbetreiber und der Verteilernetzbetreiber gewährleistet wird, insbesondere mit Blick auf Erzeugungs- und Lieferinteressen. Deshalb müssen auch zwischen Übertragungs- und Verteilernetzbetreibern und Erzeugungs-/Versorgungsunternehmen voneinander unabhängige Managementstrukturen geschaffen werden.

Es muss jedoch zwischen einer solchen rechtlichen Trennung und der Entflechtung hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse unterschieden werden. Die rechtliche Trennung bedingt keine Änderung der Eigentümerschaft an den Vermögenswerten, und der Geltung ähnlicher oder identischer Beschäftigungsbedingungen im gesamten vertikal integrierten Unternehmen steht nichts entgegen. Jedoch sollte ein nichtdiskriminierender Entscheidungsprozess durch organisatorische Maßnahmen zur Unabhängigkeit des zuständigen Entscheidungsträgers sichergestellt werden.

(10)       Diese Richtlinie befasst sich nicht mit Eigentumsfragen, es wird jedoch darauf hingewiesen, dass es sich im Falle eines Unternehmens, das im Übertragungs- oder Verteilungsbereich tätig und hinsichtlich seiner Rechtsform von den Unternehmen getrennt ist, die Erzeugungs- und/oder Liefertätigkeiten ausüben, bei den benannten Netzbetreibern um dasselbe Unternehmen handeln kann, das auch Eigentümer der Infrastruktur ist.“

9.        Aus ihrem Art. 2 Nrn. 3 und 5 ergibt sich, dass „Übertragung“ im Sinne der Richtlinie 2003/54 den Transport von Elektrizität über ein Höchstspannungs- und Hochspannungsverbundnetz zum Zweck der Belieferung von Endkunden oder Verteilern, jedoch mit Ausnahme der Versorgung bezeichnet, während „Verteilung“ den Transport von Elektrizität mit hoher, mittlerer oder niedriger Spannung über Verteilernetze zum Zweck der Belieferung von Kunden, jedoch mit Ausnahme der Versorgung bezeichnet.

10.      Art. 15 („Entflechtung von Verteilernetzbetreibern“) der Richtlinie 2003/54 bestimmt in seinem Abs. 1:

„Gehört der Verteilernetzbetreiber zu einem vertikal integrierten Unternehmen, so muss er zumindest hinsichtlich seiner Rechtsform, Organisation und Entscheidungsgewalt unabhängig von den übrigen Tätigkeitsbereichen sein, die nicht mit der Verteilung zusammenhängen. Diese Bestimmungen begründen keine Verpflichtung, eine Trennung in Bezug auf das Eigentum des vertikal integrierten Unternehmens an Vermögenswerten des Verteilernetzes vorzunehmen.“

11.      Art. 15 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht zusätzliche Pflichten in Bezug auf vertikal integrierte Unternehmen vor. Insbesondere müssen die für die Leitung des Verteilernetzbetreibers zuständigen Personen ihre Unabhängigkeit gegenüber den für Erzeugung, Übertragung und Versorgung zuständigen betrieblichen Einrichtungen gewährleisten, der Netzbetreiber muss über tatsächliche Entscheidungsbefugnisse verfügen und ein Gleichbehandlungsprogramm zum Ausschluss diskriminierenden Verhaltens aufstellen.

3.      Richtlinien 2009/72 und 2009/73

12.      Der Unionsgesetzgeber hat in Anbetracht der unzureichenden Entflechtung bei der Anwendung der älteren Richtlinien und zur Fortsetzung der Liberalisierung dieses Sektors im Rahmen des dritten Energiepakets die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt erlassen. Hinsichtlich ihres zeitlichen Anwendungsbereichs sind sie für die Ausgangsverfahren nicht einschlägig, aber die Parteien beziehen sich in ihren Stellungnahmen auf sie.

13.      Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 lautet: „Nur durch Beseitigung der für vertikal integrierte Unternehmen bestehenden Anreize, Wettbewerber in Bezug auf den Netzzugang und auf Investitionen zu diskriminieren, kann eine tatsächliche Entflechtung gewährleistet werden. Eine eigentumsrechtliche Entflechtung, die darin besteht, dass der Netzeigentümer als Netzbetreiber benannt wird, und unabhängig von Versorgungs- und Erzeugungsinteressen ist, ist zweifellos ein wirksamer und stabiler Weg, um den inhärenten Interessenkonflikt zu lösen und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Daher bezeichnete das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 10. Juli 2007 zu den Aussichten für den Erdgas- und den Elektrizitätsbinnenmarkt[(7)] eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungs- und Fernleitungsnetze als das wirksamste Instrument, um in nichtdiskriminierender Weise Investitionen in die Infrastrukturen, einen fairen Netzzugang für neue Anbieter und Transparenz des Marktes zu fördern. Im Rahmen der eigentumsrechtlichen Entflechtung sollten die Mitgliedstaaten daher dazu verpflichtet werden, zu gewährleisten, dass nicht ein und dieselbe(n) Person(en) die Kontrolle über ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen ausüben und gleichzeitig die Kontrolle über oder Rechte an einem Übertragungsnetzbetreiber oder einem Übertragungsnetz ausüben kann (können). Umgekehrt sollte die Kontrolle über ein Übertragungsnetz oder einen Übertragungsnetzbetreiber die Möglichkeit ausschließen, die Kontrolle über ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen oder Rechte an einem Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen auszuüben. Im Rahmen dieser Beschränkungen sollte ein Erzeugungs- oder Versorgungsunternehmen einen Minderheitsanteil an einem Übertragungsnetzbetreiber oder Übertragungsnetz halten dürfen.“

B –    Niederländisches Recht

14.      Die in den Ausgangsverfahren einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts finden sich in dem Gesetz zur Regelung der Erzeugung, der Übertragung und der Lieferung von Elektrizität (Wet houdende regels met betrekking tot de productie, het transport en de levering van elektriciteit) vom 2. Juli 1998(8) und in dem Gesetz zur Regelung des Transports und der Lieferung von Gas (Wet houdende regels omtrent het transport en de levering van gas) vom 22. Juni 2000(9) in den u. a. in den Jahren 2004 und 2006 geänderten Fassungen (im Folgenden: Elektriciteitswet 1998 bzw. Gaswet).

15.      Diese Gesetze wurden zunächst durch das Interventions- und Implementierungsgesetz (Interventie- en Implementatiewet) vom 1. Juli 2004(10) geändert, insbesondere um die Richtlinien des zweiten Energiepakets umzusetzen.

16.      Sie wurden sodann durch das Gesetz über einen unabhängigen Netzbetrieb (Wet onafhankelijk netbeheer) vom 23. November 2006(11) (im Folgenden: Won) geändert. Dieses Gesetz hat für den Netzbetreiber noch strengere Pflichten eingeführt, u. a. das Privatisierungsverbot, das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, die oben genannt wurden. Vor allem die mit der Won in das Elektriciteitswet 1998 und das Gaswet eingeführten Änderungen sind Gegenstand des Rechtsstreits der Parteien vor dem nationalen Gericht.

17.      Auf der Grundlage dieser Rechtsakte gelten in den Niederlanden die folgenden, im vorliegenden Fall einschlägigen Verbote.

1.      Das Privatisierungsverbot

18.      Die Verordnung Netzbetreiberanteile (Besluit aandelen netbeheerders) vom 9. Februar 2008(12) legt in Verbindung mit Art. 93 Elektriciteitswet 1998 und Art. 85 Gaswet die für Netzbetreiber geltende Eigentumsordnung fest.

19.      Die Anteile an den Gesellschaften, die als Netzbetreiber bezeichnet werden, und die Kontrolle über diese Netze müssen vollständig in den Händen von Anteilseignern liegen, die der „staatlichen Sphäre“ angehören. Nach der Verordnung Netzbetreiberanteile können nur öffentliche Einrichtungen, wie Gemeinden, Provinzen oder der Staat oder juristische Personen, die unmittelbar oder mittelbar im vollständigen Eigentum von Behörden stehen, einschließlich Essent NV(13), Eneco Holding NV und Delta NV, Inhaber von Netzbetreiberanteilen sein oder werden.

20.      Infolgedessen ist nach der Verordnung Netzbetreiberanteile die Erlaubnis für jede das Eigentum an einem Netz oder die Inhaberschaft an Netzbetreiberanteilen betreffende Änderung vom Wirtschaftsminister abzulehnen, wenn die Übertragung dazu führen kann, dass die Anteile in die Hände von Personen außerhalb der staatlichen Sphäre gelangen.

2.      Das Konzernverbot

21.      Das Konzernverbot ergibt sich aus Art. 10b Abs. 1 Elektriciteitswet 1998 und Art. 2c Abs. 1 Gaswet.

22.      Auf der Grundlage dieser Vorschriften können die Netzbetreiber nicht zu einem Konzern im Sinne von Art. 2:24b des niederländischen Zivilgesetzbuchs (Burgerlijk Wetboek) gehören, zu dem auch eine Energiegesellschaft gehört, d. h. eine juristische Person, die in den Niederlanden Elektrizität oder Gas erzeugt, liefert oder vertreibt. Weiter kann ein Netzbetreiber nach dem Konzernverbot auch keinen Anteil und keine Beteiligung an einer Energiegesellschaft oder an einer Einheit eines Konzerns halten, zu dem eine Energiegesellschaft gehört. Umgekehrt kann eine Energiegesellschaft keinen Anteil und keine Beteiligung an einem Netzbetreiber oder einer Einheit halten, die Mitglied eines Konzerns ist, zu dem ein Netzbetreiber gehört.

23.      Nach diesem Verbot müssen im Energiesektor tätige vertikal integrierte Unternehmen in einen Teil, der für den Netzbetrieb zuständig ist, und in einen Teil, der Energie erzeugt, liefert und vertreibt − mit anderen Worten: in einen oder mehrere Netzbetreiber und in eine oder mehrere Energiegesellschaften −, aufgespalten werden. Ein Netzbetreiber und die Konzerngesellschaften, die mit ihm verbunden sind, können nämlich nicht zu einem Konzern gehören, zu dem auch die Energiegesellschaften gehören. Die Verpflichtung zur Aufspaltung wird vom vorlegenden Gericht als „Entflechtungsgebot“ bezeichnet.

3.      Das Verbot sachfremder Tätigkeiten

24.      Das Verbot sachfremder Tätigkeiten ist in Art. 17 Abs. 2 bis 4 Elektriciteitswet 1998 und Art. 10b Abs. 2 bis 4 Gaswet(14) vorgesehen. Es besteht aus drei Teilen.

25.      Zunächst ist es einem Verteilernetzbetreiber und den mit ihm verbundenen Gesellschaften des Konzerns nicht erlaubt, Geschäfte zu tätigen oder Handlungen vorzunehmen, bei denen ein Interessenkonflikt mit dem Netzbetrieb entstehen kann. Weiter darf ein Unternehmen des Konzerns aufgrund dieses Verbots keine Tätigkeit ausüben, die keinen engen Zusammenhang mit den Grundaufgaben einer Infrastruktur hat. Schließlich verhindert das Verbot sachfremder Tätigkeiten auch, dass der Netzbetreiber für Tätigkeiten des Netzunternehmens finanzielle Sicherheiten zur Verfügung stellt oder für Schulden anderer Teile des Verteilernetzbetreibers bürgt.

III – Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

A –    Sachverhalt

26.      Aus den Erklärungen der niederländischen Regierung ergibt sich, dass beim Inkrafttreten der Won im Jahr 2006 drei Typen von Unternehmen auf dem niederländischen Energiemarkt tätig waren. Die Unternehmen des ersten Typs waren solche, die lediglich auf dem Gebiet der Erzeugung, der Lieferung oder des Handels mit Elektrizität oder Gas tätig waren. Der zweite Typ umfasste die vertikal integrierten Unternehmen, die sowohl auf dem Gebiet der Erzeugung, der Lieferung oder des Handels mit Elektrizität oder Gas als auch im Betrieb von Elektrizitäts- und Gasnetzen für die Verteilung von Elektrizität und Gas tätig waren. Der dritte Unternehmenstyp war vor allem im Bereich der Verwaltung und des Betriebs von Elektrizitäts- und Gasnetzen tätig und entfaltete keinerlei Tätigkeit auf dem Gebiet der Erzeugung, der Lieferung oder des Handels mit Elektrizität oder Gas. Die in den Ausgangsverfahren Klage führenden Gesellschaften waren die bedeutendsten vertikal integrierten Energieunternehmen auf dem niederländischen Markt. Sie gehörten somit zum zweiten Unternehmenstyp.

27.      Essent ist auf den Energiemärkten der Niederlande, Belgiens und anderer Staaten tätig. Für Essent bedeutet das Konzernverbot, dass Essent NV in zwei Teile gespalten wurde, um zum einen das Netzunternehmen Enexis Holding NV zu bilden, das entsprechend dem Privatisierungsverbot zu 100 % von Aktionären der öffentlichen Hand gehalten wird, und zum anderen das Unternehmen für den Vertrieb, die Versorgung und die Erzeugung von Elektrizität und Gas, Essent NV. Die Pflicht zur Spaltung hatte für Essent beträchtliche Kosten zur Folge, so dass das nationale Gericht entschieden hat, dass sie im Rahmen des Ausgangsverfahrens ein Feststellungsinteresse habe. Seit ihrem Rückkauf durch den auf Energie spezialisierten deutschen Konzern RWE gehört Essent NV zu 100 % der RWE Benelux Holding BV, einer Tochtergesellschaft des RWE AG Konzerns.

28.      Eneco Holding NV ist ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, über seine Tochtergesellschaften Elektrizität und Gas zu erzeugen, zu kaufen, zu verkaufen, zu befördern und insbesondere an Energienutzer zu liefern. Das Kapital von Eneco Holding NV wird von 60 Gemeinden gehalten. Ihre Lieferungen erstrecken sich auf das gesamte Land, während ihr Netzunternehmen eine Zone abdeckt, die sechs niederländische Provinzen umfasst.

29.      Auch Delta NV ist auf den Märkten der Elektrizitätserzeugung und ‑beförderung, des Elektrizitätshandels und der Elektrizitätsversorgung tätig. Zugleich verteilt und liefert sie Gas. Delta NV ist außerdem auf anderen Märkten tätig. Die Energienetze spielen eine wichtige Rolle im Rahmen ihrer auf mehrere Nutzungsmöglichkeiten ausgerichteten Strategie, die eine Mehrheitsbeteiligung an einem auf die Behandlung von Abfällen spezialisierten belgischen Unternehmen einschließt. Der Wert dieser Netze stärkt die Finanzgrundlage von Delta NV. Die Provinz Seeland ist der Hauptaktionär, wobei die verbleibenden Anteile von den niederländischen Gemeinden gehalten werden.

30.      Die Gesellschaften mussten in Anbetracht des Bestehens des Elektrizitäts- oder Gasnetzes unmittelbar oder mittelbar zu 100 % von Aktionären (der öffentlichen Hand), die zum Kreis der Behörden gehören, gehalten werden. Es war diesen Unternehmen und ihren Aktionären verboten, das Netz oder den Netzbetrieb ganz oder teilweise an private Investoren zu verkaufen. Wie ich bereits dargelegt habe, ist Essent NV seitdem in Netzbetreiber und Energieunternehmen aufgeteilt worden, und die beiden anderen Gesellschaften blieben vertikal integrierte Gesellschaften.

B –    Nationales Verfahren

31.      Die Gesellschaften erhoben drei getrennte Klagen vor der Rechtbank Den Haag (Niederlande) mit dem Antrag auf Feststellung, dass das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten den in den Art. 49 AEUV und 63 AEUV verankerten Grundfreiheiten widersprechen und somit wirkungslos sind. Die Rechtbank Den Haag wies diese Klagen ab.

32.      Die Gesellschaften legten gegen die Entscheidungen beim Gerechtshof Den Haag ein Rechtsmittel ein. Der Gerechtshof Den Haag hob die Entscheidungen der Rechtbank Den Haag mit der Begründung auf, dass die angefochtenen Bestimmungen gegen Art. 63 AEUV verstießen und somit wirkungslos seien.

33.      Der Staat der Nederlanden legte daraufhin Kassationsbeschwerde gegen die Urteile des Gerechtshofs Den Haag ein und machte geltend, dass das Unionsrecht den angefochtenen Bestimmungen nicht entgegenstehe.

34.      In diesem Rahmen hat der Hoge Raad der Nederlanden mit drei Entscheidungen vom 24. Februar 2012 die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof in den fraglichen drei Rechtssachen die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.       Ist Art. 345 AEUV dahin auszulegen, dass unter „Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten“ auch die Regelung des in dieser Rechtssache in Rede stehenden absoluten Privatisierungsverbots im Sinne der Verordnung Netzbetreiberanteile in Verbindung mit Art. 93 Elektriciteitswet 1998 und Art. 85 Gaswet fällt, wonach Anteile an einem Netzbetreiber ausschließlich innerhalb der staatlichen Sphäre übertragen werden können?

2.       Hat, falls Frage 1 bejaht wird, das zur Folge, dass die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr nicht auf das Konzernverbot und das Verbot von Nebentätigkeiten anzuwenden sind(15), zumindest dass das Konzernverbot und das Verbot von Nebentätigkeiten nicht an den Vorschriften über den freien Kapitalverkehr zu prüfen sind?

3.       Sind die auch mit der Won verfolgten Ziele, durch das Unterbinden von Quersubventionierungen im weiten Sinne (darunter dem Austausch strategischer Informationen) Transparenz auf dem Energiemarkt zu schaffen und Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, rein wirtschaftliche Interessen, oder können sie auch als Interessen nicht wirtschaftlicher Art in dem Sinne angesehen werden, dass sie unter Umständen als zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine Rechtfertigung für eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen können?

C –    Verfahren vor dem Gerichtshof

35.      Mit Beschluss vom 26. März 2012 hat der Präsident des Gerichtshofs die Rechtsachen C‑105/12, C‑106/12 und C‑107/12 verbunden.

36.      Die betroffenen Gesellschaften, die niederländische, die tschechische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht und waren mit Ausnahme der Tschechischen Republik und der Republik Polen auch in der mündlichen Verhandlung, die am 14. Januar 2013 stattgefunden hat, vertreten.

IV – Würdigung

A –    Zur ersten Vorlagefrage betreffend das Privatisierungsverbot im Hinblick auf Art. 345 AEUV

37.      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 345 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Begriff der „Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten“ das in den Ausgangsverfahren in Rede stehende absolute Privatisierungsverbot umfasst, das zur Folge hat, dass die Aktien eines Netzbetreibers ausschließlich innerhalb der staatlichen Sphäre übertragen werden können.

38.      Vorab ist festzustellen, dass das im niederländischen Recht vorgesehene Privatisierungsverbot hinsichtlich der Netze bedeutet, dass nur „Behörden“ im Sinne der oben genannten Verordnung Netzbetreiberanteile(16), sei es unmittelbar oder mittelbar, Eigentümer der Netze sein können.

39.      Die mit dem Betrieb des Netzes verbundenen Gegenstände sind jedoch ebenso wie die Aktien oder Beteiligungen an den Netzen keine res extra commercium, denn es handelt sich um ganz gewöhnliche privatrechtliche Eigentumsrechte, die veräußert, erworben oder insbesondere zur Sicherung einer Forderung verwendet werden können. Gleichwohl können Beteiligungen nur innerhalb einer besonderen Kategorie von Eigentümern übertragen werden, nämlich den genannten „Behörden“.

40.      Nach Ansicht des Hoge Raad der Nederlanden handelt es sich unter Berücksichtigung des in zeitlicher Hinsicht anwendbaren nationalen Rechts um ein absolutes Privatisierungsverbot. Dem stimme ich zu. Der Umstand, dass der Inhalt dieser Beschränkung lediglich durch einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter konkretisiert wird, hat entgegen dem Vorbringen der Gesellschaften keinen Einfluss auf diese Schlussfolgerung.

41.      Wie der Generalanwalt Ruiz‑Jarabo Colomer ausgeführt hat, ist Art. 345 AEUV die einzige Vorschrift in den Verträgen, die sich unmittelbar aus der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950 ableitet, und sie war ursprünglich in Art. 83 des EGKS-Vertrags enthalten(17). Ihr ursprüngliches Ziel war, sicherzustellen, dass die Errichtung der neuen Gemeinschaft nicht in eine damals heikle politische Frage eingreifen würde, die die Rechtsnatur und die Gesellschaftsform der deutschen Bergwerke und der „kartellentflochtenen“ Unternehmen betraf, die im Bereich des Stahls(18) tätig waren. Somit ist in Art. 345 AEUV der Grundsatz der Neutralität im Hinblick auf das öffentliche oder private Eigentum an Produktionsmitteln und Unternehmen verankert(19).

42.      Meines Erachtens bedeutet dies zum einen, dass eine der gewählten Eigentumsordnung innewohnende Folge nicht als Beschränkung angesehen werden kann, die unter die im Vertrag vorgesehenen Verbote fällt, soweit diese Ordnung nicht diskriminierend oder unverhältnismäßig ist. Dagegen unterliegen zum anderen restriktive Konsequenzen, die sich nicht unmittelbar und zwingend aus der öffentlichen oder privaten Eigentumsordnung ergeben, den Grundfreiheiten des Vertrags(20).

43.      Zum Beispiel folgt aus der Tatsache, dass der Sektor der Eisen- und Stahlindustrie in einem Mitgliedstaat verstaatlicht ist, dass Einrichtungen, ja sogar direkte Investitionen von Investoren anderer Mitgliedstaaten, ausgeschlossen sind. Wie die Kommission ausführt, hat der Gerichtshof die Vereinbarkeit von Verstaatlichungen mit dem Unionsrecht schon im Urteil Costa(21) bestätigt.

44.      Außerdem ist meines Erachtens auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)(22) in der Rechtssache der EFTA-Überwachungsbehörde gegen das Königreich Norwegen wegen Konzessionen für den Erwerb von Wasserfällen zu verweisen. Der EFTA-Gerichtshof hat Art. 125 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)(23) vom 2. Mai 1992, der Art. 345 AEUV entspricht, dahin ausgelegt, dass das Recht eines EWR-Staats, zu entscheiden, ob das Eigentum an Wasserkraftressourcen und den damit verbundenen Einrichtungen sich in den Händen von Behörden oder Privatpersonen befindet, als solches vom EWR-Abkommen nicht beeinflusst wird. Daraus ergibt sich nach Ansicht dieses Gerichtshofs, dass das Königreich Norwegen rechtmäßig das Ziel verfolgen konnte, hierfür eine öffentlich-rechtliche Eigentumsordnung zu schaffen, sofern dies auf verhältnismäßige und nichtdiskriminierende Weise erfolgt.

45.      Nach dieser Logik kann der Umstand, dass an einer Gesellschaft, die Aktionären der öffentlichen Hand vorbehalten ist, kein privater Investor Aktien oder Beteiligungen erwerben kann, nicht als vom Vertrag verbotene Beschränkung angesehen werden, soweit es sich hierbei gerade um ein Element der Eigentumsordnung handelt, die der Vertrag nicht ändern will.

46.      Dagegen ist, wie die „Golden shares“-Rechtsprechung darlegt, die privilegierte Behandlung öffentlicher Interessen im Rahmen einer grundsätzlich privaten Eigentumsordnung, wie die von Aktiengesellschaften nach dem Gesellschaftsrecht, nicht den Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten entzogen(24).

47.      Das in Rede stehende niederländische System beruht auf einer grundsätzlichen Entscheidung, nach der das Eigentum am Energieverteilernetz einem Aktionärskreis der öffentlichen Hand (res publica) vorbehalten ist, nicht aber einem Eigentümer allein. Entsprechend diesem Ziel werden die Eigentumsrechte an dem Netz von verschiedenen Rechtssubjekten gehalten, die der Definition einer Behörde im Sinne der Verordnung Netzbetreiberanteile entsprechen. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Notwendigkeit, eine mittelbare private Inhaberschaft zu verbieten.

48.      Folglich sind Beschränkungen der Übertragung von Gesellschaftsbeteiligungen notwendig, damit deren Veräußerung und Erwerb auf der Ebene der dazu befugten Rechtssubjekte möglich ist, ohne dass dies dazu führt, dass der öffentliche Sachcharakter verloren geht. Das Privatisierungsverbot ist somit eine unvermeidbare Folge der Entscheidung für das Eigentum der öffentlichen Hand und der Konzeption, es in öffentlicher Hand zu halten. Ich ziehe daraus den Schluss, dass es sich in den Ausgangsverfahren tatsächlich um eine Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV handelt.

49.      Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, die erste Frage dahin zu beantworten, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats wie diejenige, die im Ausgangsverfahren in Rede steht, nach der Aktien eines Verteilernetzbetreibers nur an staatliche Stellen und an bestimmte Gesellschaften übertragen werden können, die zu 100 % von staatlichen Behörden (Privatisierungsverbot) gehalten werden, eine Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV darstellt und somit mit dem Recht der Union vereinbar ist.

B –    Zur zweiten Vorlagefrage betreffend das „Konzernverbot“ und das „Verbot sachfremder Tätigkeiten“ im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr

50.      Die zweite Vorlagefrage betrifft den freien Kapitalverkehr. Der Hoge Raad der Nederlanden möchte wissen, ob das Bejahen der ersten Frage zur Folge hätte, dass die Vorschriften über den freien Kapitalverkehr nicht auf das Konzernverbot und auf das Verbot sachfremder Tätigkeiten anwendbar wären(25) oder ob zumindest diese Verbote nicht an den Vorschriften über den freien Kapitalverkehr zu prüfen wären.

51.      Zunächst ist entsprechend der Unterscheidung, die ich oben(26) vorgeschlagen habe, zu ermitteln, ob diese beiden Verbote Folgen sind, die der im Rahmen der ersten Frage erörterten Grundsatzentscheidung des Staat der Nederlanden, das Eigentum an den Netzbetreibern öffentlichen Behörden vorzubehalten, innewohnen und keine Beschränkungen darstellen könnten. Dies ist meines Erachtens zu verneinen.

52.      Das Konzernverbot und das Verbot anderweitiger Tätigkeiten sind keine unmittelbaren und zwangsläufigen Folgen des Privatisierungsverbots, das selbst zur Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV gehört, sondern sind vielmehr gesetzliche Maßnahmen, die verhindern sollen, dass der Betrieb der Verteilernetze dazu benutzt wird, Interessen zu unterstützen, bei denen es sich nicht um Bedürfnisse dieser Netze handelt, insbesondere Interessen im Zusammenhang mit der Energieversorgung und ‑erzeugung. Tatsächlich geht es darum, zu verhindern, dass der Grundsatz der Entflechtung der Eigentumsstrukturen von Netzen und Versorgungs- und Produktionsdiensten, die diese Netze nutzen, umgangen wird, unabhängig von der öffentlich-rechtlichen oder privater Natur der einen oder anderen dieser Strukturen. Überdies ist das Verbot sachfremder Tätigkeiten geeignet, den Netzbetrieb von den Gefahren, die mit nicht damit zusammenhängenden Tätigkeiten verbunden sind, freizuhalten und umgekehrt zu verhindern, dass der Netzbetrieb als Grundlage für die Finanzierung nicht damit zusammenhängender Tätigkeiten benutzt wird.

53.      Mit anderen Worten: Es handelt sich nicht um Maßnahmen, die durch die Kontrolle der Kette der Zwischeneigentümer das Eigentum an den Netzen öffentlichen Behörden vorbehalten sollen, sondern vielmehr um Maßnahmen, die das System, das auf eine Entflechtung der Eigentumsstrukturen gerichtet ist, in reiner Form aufrechterhalten sollen, so dass sich die Netzinteressen und die Interessen des Energieverkaufs nicht vermengen. Meines Erachtens wäre eine entsprechende Regelung auch in dem Fall notwendig, in dem die Entflechtung des Eigentums ohne Privatisierungsverbot umgesetzt würde. Selbst wenn die nationalen Bestimmungen erlaubten, dass Privatpersonen Inhaber eines Netzbetreibers sind, wäre es in gleicher Weise erforderlich, entsprechende Verbote einzuführen, um die Beachtung der Entflechtung des Eigentums(27) sicherzustellen und Interessenkonflikten vorzubeugen.

54.      Da das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten vom Privatisierungsverbot nicht getrennt werden können, ist zu untersuchen, ob sie eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen.

55.      In Ermangelung einer Definition des Kapitalverkehrs im Vertrag hat der Gerichtshof der Nomenklatur zum Kapitalverkehr in Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG (28) Hinweischarakter zuerkannt, wie etwa im Urteil Kommission/Portugal(29). Nach dieser Nomenklatur sind Kapitalbewegungen insbesondere sogenannte Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung und der Kontrolle dieses Unternehmens zu beteiligen, sowie sogenannte Portfolioinvestitionen, die allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen, getätigt werden(30). Diese Nomenklatur schließt Bürgschaften, andere Garantien und Pfandrechte mit ein.

56.      Wie der Gerichtshof klargestellt hat, sind nationale Maßnahmen als „Beschränkungen“ im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV anzusehen, wenn sie geeignet sind, den Erwerb von Aktien der betreffenden Unternehmen zu verhindern oder zu beschränken oder aber Investoren anderer Mitgliedstaaten davon abzuhalten, in das Kapital dieser Unternehmen zu investieren(31).

57.      Meines Erachtens fallen das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten eindeutig unter die Kapitalbewegungen im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV und beschränken diese. Da es sich ferner um absolute Verbote handelt, die grundsätzlich alle Geschäfte, die in ihren Anwendungsbereich fallen, verhindern, ist es nicht erforderlich, gesondert festzustellen, dass sie den freien Kapitalverkehr behindern.

58.      Da die in Rede stehenden Verbote jede Strategie für eine finanzielle oder operationelle Diversifizierung der betreffenden Einheiten auf der Grundlage der Komplementarität der beiden Bereiche behindern, verhindern sie sowohl Direkt- als auch Portfolioinvestitionen. Sie beschränken nämlich Investitionen ausländischer Gesellschaften in Wirtschaftsteilnehmer, die im Energiesektor in den Niederlanden tätig sind, sowie Investitionen Letzterer in ausländische Wirtschaftsteilnehmer, die Beteiligungen an anderen Energiekonzernen der Niederlande besitzen. Das Verbot sachfremder Tätigkeiten ist auch geeignet, Finanzierungsbedingungen der betroffenen Gesellschaften zu beeinträchtigen. Infolgedessen stellen das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten Beschränkungen für Kapitalbewegungen im Sinne von Art. 63 Abs. 1 AEUV dar, die vorbehaltlich einer Rechtfertigung verboten sind.

59.      Sachdienlich ist es, klarzustellen, dass diese beiden Verbote auch unter dem Gesichtspunkt der Niederlassungsfreiheit geprüft werden könnten. Das Konzernverbot behindert nämlich Minderheitsbeteiligungen ebenso wie Mehrheitsbeteiligungen an den Netzbetreibern und Energiegesellschaften sowie an den Einheiten, die Mitglieder der Konzerne sind, zu denen solche Gesellschaften gehören. Das Verbot sachfremder Tätigkeiten beschränkt den Tätigkeitsbereich der Netzbetreiber und der mit ihnen im Rahmen eines Konzerns verbundenen Gesellschaften, was vom Standpunkt des betroffenen Unternehmens aus potenziell eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Insoweit genügt die Feststellung, dass nach ständiger Rechtsprechung, soweit die fraglichen nationalen Maßnahmen zu Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit führen, solche Beschränkungen die unmittelbare Folge der Hindernisse für den freien Kapitalverkehr sind, mit denen sie untrennbar verbunden sind. Somit brauchen die fraglichen Maßnahmen nicht im Licht der Niederlassungsfreiheit geprüft zu werden(32).

60.      Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass, obwohl das Verbot der Privatisierung der Verteilernetzbetreiber wie dasjenige, das in den Ausgangsverfahren in Rede steht, eine Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV ist, die mit dem Unionsrecht vereinbar ist, andere nationale Regelungen wie das Konzernverbot, das sowohl Energieverteilernetzbetreiber als auch juristische Personen, die Elektrizität oder Gas in den Niederlanden vertreiben, liefern oder erzeugen, einschließt, und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, das für Verteilernetzbetreiber gilt, in den Anwendungsbereich des freien Kapitalverkehrs fallen und dass im Hinblick auf diesen ihre Vereinbarkeit geprüft werden muss.

C –    Zur dritten Vorlagefrage betreffend das Vorliegen „zwingender Gründe des Allgemeininteresses“, die eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen

61.      Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Ziele der Won, nämlich durch das Unterbinden von Quersubventionen im weiten Sinn (darunter dem Austausch strategischer Informationen) Transparenz auf dem Energiemarkt zu schaffen und Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern, rein wirtschaftliche Interessen sind oder ob sie auch als Interessen nichtwirtschaftlicher Art in dem Sinne angesehen werden können, dass sie unter Umständen als zwingende Gründe des Allgemeininteresses eine Rechtfertigung für eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellen können.

1.      Zu den Merkmalen der Elektrizität- und Gasverteilernetze

62.      Bevor ich das Vorliegen einer eventuellen Rechtfertigung und ihre Verhältnismäßigkeit untersuche, ist es meines Erachtens notwendig, die Merkmale der Verteilernetze für Elektrizität und Gas unter dem Aspekt Wettbewerb und Strategie darzulegen.

63.      Diese Netze verbinden das nationale Transportnetz zum Verbraucher auf regionaler und örtlicher Ebene. Sie stellen sogenannte natürliche Monopole dar, da sie in Anbetracht der sehr großen Skaleneffekte, die damit verbunden sind, vernünftigerweise nicht geteilt werden können. Unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs kontrolliert der Eigentümer des Verteilernetzes somit eine wesentliche Infrastruktur (essential facility) zwischen Versorgung und Verbrauch, was ihm sowohl eine nachgeordnete als auch eine vorgelagerte Marktmacht verleiht.

64.      Die Verteilernetze für Strom und Gas sind für die Verbraucher in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Erstens ist es unerlässlich, dass der Eigentümer seine Monopolstellung nicht benutzt, um ein unverhältnismäßiges Entgelt für seine Dienstleistung zu verlangen, d.h. für den Zugang zur Energieversorgung durch das Verteilernetz. Deshalb kann der Beförderungstarif für die Verteilung der Energie durch die nationalen Behörden kontrolliert werden, was in den Niederlanden der Fall zu sein scheint(33). Zweitens muss die Qualität des Netzbetriebs in Bezug u. a. auf die Behebung von Mängeln, die den Bezug der Energie beeinträchtigen, und auf die Zuverlässigkeit der Verbrauchsabrechnung zufriedenstellend sein.

65.      Unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit für Energie sind die Verteilernetze von entscheidender Bedeutung, da eine ausreichende Energieversorgung nutzlos ist, wenn diese nicht an die Verbraucher verteilt werden kann. Deshalb kommt den Netzbetreibern auch Bedeutung hinsichtlich der nationalen Sicherheit zu, da derjenige, der die Elektrizitätsverteilung kontrolliert, auch die moderne Gesellschaft in allen ihren Funktionen kontrolliert. Dies trifft in Mitgliedstaaten, in denen Gas eine bedeutende Energiequelle darstellt, ebenso auf Gas zu.

66.      Im Hinblick auf die Besonderheiten der Sektoren, die Netze betreiben, die für die Dienstleistungserbringung und die Energieversorgung nicht geteilt werden können, wird die Bedeutung, eine angemessene Wettbewerbsstruktur sicherzustellen, noch deutlicher. Zu diesem Zweck ist es notwendig, einen nichtdiskriminierenden Zugang Dritter zu diesen Netzen zu gewährleisten, um den Liberalisierungsprozess abzuschließen, d. h. die Verwirklichung eines Marktes mit Wettbewerb, auf dem die Dienstleistungsfreiheit bei der Nutzung von Netzen wie den Verteilernetzen von Elektrizität, Gas oder dem Eisenbahnverkehr gewährleistet ist. Der Unionsgesetzgeber und die Gesetzgeber mehrerer Mitgliedstaaten haben dafür die Strategie der Entflechtung angewandt, mit anderen Worten eine Trennung von Netzbetrieb und Netznutzung für die Erbringung von Dienstleistungen. Der Grad der angestrebten oder erreichten Entflechtung variiert je nach den betroffenen Bereichen und Mitgliedstaaten von der buchmäßigen oder funktionalen Entflechtung bis zur rechtlichen Entflechtung und sogar der Trennung der Eigentumsstrukturen.

2.      Die Auswirkung des abgeleiteten Rechts der Union auf die Beurteilung einer nationalen Gesetzgebung im Hinblick auf die Verkehrsfreiheiten

67.      Die vorliegenden Rechtssachen werfen das Problem der Auswirkung von Maßnahmen des abgeleiteten Rechts der Union auf die Beurteilung einer nationalen Umsetzungsmaßnahme auf, die eine Beschränkung einer der Verkehrsfreiheiten darstellt und die über die Anforderungen der Richtlinie, die sie umsetzt, hinausgeht.

68.      Meines Erachtens ist es im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Gerichtshofs nämlich wichtig, festzustellen, ob die Kontrolle der in den vorliegenden Rechtssachen in Rede stehenden Umsetzungsmaßnahme es erfordert, die Vereinbarkeit der umgesetzten Richtlinie mit dem Primärrecht der Union zu überprüfen.

69.      In den vorliegenden Rechtssachen folgen das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten aus der Won, die u. a. zur Umsetzung der Richtlinien 2003/54 und 2003/55 des zweiten Energiepakets erlassen wurde, die nicht die Entflechtung der Eignerschaft an den Anteilen des Betreibers des Übertragungs- oder Verteilernetzes und der anderer Wirtschaftsteilnehmer fordern und dies nicht zu einer ausdrücklichen Modalität der Umsetzung erheben(34). Ebenso wie andere Gesetzgeber, die die Spaltung von Eigentumsstrukturen zwischen Übertragungsnetzbetreibern einerseits und Unternehmen der Energieerzeugung und ‑versorgung(35) gewählt haben, ist der niederländische Gesetzgeber 2006 mit der Won meines Erachtens aus eigener Initiative über die Anforderungen des geltenden abgeleiteten Unionsrechts hinausgegangen, indem er sich für die Spaltung der Eigentumsstrukturen der Verteilernetzbetreiber einerseits und der Unternehmen der Energieerzeugung und ‑versorgung andererseits entschieden hat. Ich betone, dass die in Rede stehenden Richtlinien Mindestanforderungen für die Harmonisierung aufstellen.

70.      Im in zeitlicher Hinsicht auf diese Rechtssachen anwendbaren rechtlichen Rahmen erscheint die Won, obwohl sie zur Umsetzung der Richtlinien von 2003 erlassen wurde, als nationale Maßnahme, die von diesen Richtlinien losgelöst werden kann. Sie kann deshalb eigenständig im Hinblick auf die Verkehrsfreiheiten kontrolliert werden.

71.      Jedoch kann meines Erachtens der spätere Erlass der Richtlinien 2009/72 und 2009/73, nach denen die eigentumsrechtliche Entflechtung ausdrücklich als Modalität der Umsetzung vorgesehen ist, nicht außer Acht gelassen werden, auch wenn sie in zeitlicher Hinsicht nicht auf die vorliegenden Rechtssachen anwendbar sind. Ich weise darauf hin, dass der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/72 eine solche Entflechtung als wirksamen und stabilen Weg einstuft, um den inhärenten Interessenkonflikt zu lösen, und dass der 21. Erwägungsgrund das Recht vorsieht, sich für eine vollständige eigentumsrechtliche Entflechtung zu entscheiden(36).

72.      Zwar könnte man bei einer wörtlichen und restriktiven Auslegung dieser Erwägungsgründe daran denken, dass sie nur die Energieübertragungsnetzbetreiber betreffen. Dennoch bin ich wie die niederländische Regierung und die Kommission der Ansicht, dass diese Erwägungsgründe auch maßgeblich sind, was die Verteilernetze betrifft, und zwar im Hinblick auf ihre Merkmale, die ich bereits beschrieben habe, und die Notwendigkeit, Interessenkonflikte zwischen Betreibern und Nutzern der Netze zu beseitigen, die meines Erachtens im Bereich der Verteilung ebenso gravierend erscheint wie im Bereich der Übertragung, selbst wenn allein die letztgenannten Netze unter dem Gesichtspunkt der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit entscheidend sind.

73.      Infolgedessen wäre es meines Erachtens beim derzeitigen rechtlichen Rahmen zumindest im Grundsatz nicht mehr möglich, sich gegen das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten zu wenden, zumindest in ihrem Grundsatz, ohne dass dies unmittelbar zu einer Kontrolle der Vereinbarkeit der Richtlinien von 2009 mit dem freien Kapitalverkehr führt. Die im elften Erwägungsgrund dieser Richtlinien genannte eigentumsrechtliche Entflechtung geht nicht so weit wie diejenige, die sich aus dem Konzernverbot im niederländischen Recht ergibt, da dieser Erwägungsgrund ausdrücklich die Möglichkeit für gegenseitige Investitionen für Minderheitsbeteiligungen zwischen dem Netzbetreiber und einem Erzeugungs- und Versorgungsunternehmen vorbehält.

74.      Die Kommission betont in ihren Erklärungen, dass die Vereinbarkeit des Konzernverbots mit dem freien Kapitalverkehr im Rahmen der einschlägigen Regeln des abgeleiteten Rechts der Union beurteilt werden müsse, und sie scheint geltend zu machen, dass schon bei Vereinbarkeit des Konzernverbots mit den Zielen der Richtlinien die Rechtfertigung dieser Maßnahme gegeben sei.

75.      Meines Erachtens geht es tatsächlich eher um die folgende Frage: Ist die später in den Richtlinien von 2009 vorgesehene eigentumsrechtliche Entflechtung mit dem Vertrag vereinbar, insbesondere mit den Verkehrsfreiheiten, die sie behindern kann?

76.      Nach ständiger Rechtsprechung ist der Unionsgesetzgeber grundsätzlich ebenso wie der nationale Gesetzgeber gehalten, die durch den Vertrag eingeführten Verkehrsfreiheiten zu beachten(37). Im Schrifttum(38) wird diskutiert, ob das abgeleitete Recht im Rahmen der Beurteilung seiner unionsrechtlichen Primärrechtskonformität, insbesondere im Hinblick auf die Verkehrsfreiheiten(39), einer Kontrolle derselben Art und von gleicher Intensität unterliegt oder ob diese Kontrolle den dem Unionsrecht eigenen Besonderheiten und Zielsetzungen angepasst werden muss.

77.      In der Rechtssache Bauhuis hat der Gerichtshof entschieden, dass Maßnahmen, die vom Rat im Allgemeininteresse der Gemeinschaft und nicht einseitig von den Mitgliedstaaten zum Schutz ihrer eigenen Interessen erlassen werden, nicht als den Handel beeinträchtigende Maßnahmen angesehen werden können(40). Mit anderen Worten: Für das abgeleitete Recht der Union scheint eine Vermutung zu bestehen, dass es mit den vom Vertrag garantierten Verkehrsfreiheiten im Einklang steht. Eine aktuellere Veranschaulichung der Besonderheit der Überprüfung von Maßnahmen des abgeleiteten Rechts im Hinblick auf die Verkehrsfreiheiten ergibt sich aus dem Urteil Deutschland/Parlament und Rat(41), wonach das Ziel der Bekämpfung jeglicher Marktstörung eine Behinderung der Niederlassungsfreiheit, die aus der Richtlinie zur Einlagensicherung folgte, rechtfertigen kann. Ein solches Ziel hätte womöglich eine ähnliche nationale Maßnahme, die als rein wirtschaftliche Maßnahme beurteilt worden wäre, nicht rechtfertigen können.

78.      Somit wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, dass die wirtschaftlichen Zielsetzungen des Vertrags Behinderungen der Grundfreiheiten, die aus der Unionsgesetzgebung folgen, rechtfertigen können. Im Rahmen der Ausgangsverfahren muss man also die Frage stellen, ob und in welchem Umfang die Ziele einer nationalen Gesetzgebung, die auf die Zielsetzungen des Vertrags gerichtet sind, dies ebenfalls können. Dieses Problem kann sich in gleicher Form außerhalb der Liberalisierung der Bereiche Verteilernetze für Elektrizität und Gas stellen, insbesondere im Rahmen der Würdigung einer nationalen Gesetzgebung im Bereich Wettbewerb, die sich in ihrem eigenen Anwendungsbereich als strenger erweisen würde als diejenige der Union und die somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen würde.

3.      Zu den sogenannten „rein wirtschaftlichen“ Rechtfertigungen

79.      Ich habe im Rahmen der zweiten Vorlagefrage festgestellt, dass sowohl das Konzernverbot als auch das Verbot sachfremder Tätigkeiten, die auf Verteilernetzbetreiber anwendbar sind, in den Anwendungsbereich des freien Kapitalverkehrs fallen, für den sie Beschränkungen darstellen.

80.      Der Gerichtshof hat wiederholt entschieden, dass der freie Kapitalverkehr durch eine nationale Regelung nur beschränkt werden darf, wenn diese aus einem der in Art. 58 EG genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerechtfertigt ist. Darüber hinaus müssen diese Beschränkungen jedoch dem verfolgten Ziel angemessen sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was zu seiner Erreichung erforderlich ist(42).

81.      Das vorlegende Gericht bemerkt, dass die Ziele der Transparenz auf dem Energiemarkt und der Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zur Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen (der Schaffung eines „Level playing field“), worauf sich der Staat zur Rechtfertigung des Konzernverbots und des Verbots sachfremder Tätigkeiten beruft, auch vom Parlament und vom Rat als Grundlage für die Richtlinien 2009/72 und 2009/73 herangezogen wurden. Nach ihren Erwägungsgründen zielen diese Richtlinien u. a. darauf ab, einen fairen Netzzugang und die Transparenz auf dem Markt im Hinblick auf die Anwendung transparenter und nicht diskriminierender Tarife sicherzustellen(43). Obwohl diese Richtlinien keine Trennung der Eigentumsstrukturen des Verteilernetzbetreibers und der Handelstätigkeiten vorschreiben, bemerkt das vorlegende Gericht, dass die vorgeschriebenen Maßnahmen, insbesondere die Entflechtung und die funktionale Trennung zur Erreichung der soeben angeführten Ziele, vorgegeben worden seien.

82.      Dagegen sind die Gesellschaften der Ansicht, dass die Transparenz und die Verhinderung von Quersubventionen hauptsächlich die Wettbewerbsstruktur des niederländischen Energiemarkts stärken sollen. Unter Berufung auf eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs machen sie geltend, dass diese Ziele rein wirtschaftlicher Natur seien und als solche keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellten(44).

83.      Die Kommission ist der Ansicht, dass zwar das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten zu einer Trennung der Verteilernetzbetreiber führen würden, die über die von der den Richtlinien 2003/54 und 2003/55 vorgeschriebene hinausgehe, dass sie aber mit der Systematik und den Zielen dieser Richtlinien übereinstimme.

84.      Meines Erachtens ergibt sich eindeutig sowohl aus den Erwägungsgründen der Richtlinien von 2009 als auch aus den parlamentarischen Debatten in den Niederlanden, dass die Hauptziele der Entflechtung der Eigentumsstrukturen und des Konzernverbots in der Union die Steigerung von Investitionen und des Wettbewerbs auf dem Energiemarkt und ein Sinken der Preise auf europäischer Ebene(45) und, in den Niederlanden, die Bekämpfung wettbewerbswidrigen Verhaltens über eine verbesserte Transparenz sind(46). Es genügt der Hinweis, dass diese Ziele prima facie Gründe wirtschaftlicher Natur im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind.

85.      Konkret sind meines Erachtens trotz der im vorliegenden Fall kritisierten wirtschaftlichen Gründe das Konzernverbot und das Verbot sachfremder Tätigkeiten auf drei Arten zu rechtfertigen. Erstens, wenn man der Ansicht ist, dass es sich nicht um „rein“ wirtschaftliche Gründe handelt, sondern vielmehr um Mittel zur Erreichung nichtwirtschaftlicher Zwecke. Zweitens, wenn man den Begriff des wirtschaftlichen Ziels präzisiert und ein Element in Bezug auf die protektionistische, ja „egoistische“ Zielsetzung der überprüften Maßnahme einfließen lässt. Oder drittens, wenn man vom wirtschaftlichen Charakter des angestrebten Ziels absieht, indem man die streitigen Verbote durch Bezugnahme auf ein Ziel des Vertrags rechtfertigt.

86.      Der erste Ansatz würde sich in die Reihe der Nuancierungen, die der Gerichtshof hinsichtlich des Verbots wirtschaftlicher Gründe bereits zugelassen hat, einfügen(47). Insbesondere beruft sich die niederländische Regierung auf eine Meinung in der Rechtsprechung, die Maßnahmen als rechtmäßig ansieht, die, obwohl sie ein wirtschaftliches Ziel haben, einen anderen nicht wirtschaftlichen Zweck verfolgen(48).

87.      Würde man dieser Argumentation folgen, würde dies in der vorliegenden Rechtssache zwei Schwierigkeiten aufwerfen. Die eine betrifft die Formulierung der dritten Vorlagefrage des Hoge Raad der Nederlanden, die sich nur auf die Ziele der Transparenz auf dem Energiemarkt und auf Wettbewerbsverzerrungen bezieht und dem Gerichtshof nicht erlaubt, nicht wirtschaftliche Gründe zu berücksichtigen, die von der niederländischen Regierung vorgetragen wurden, nämlich u. a. der Kundenschutz, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und das Interesse daran, dass die Netzbetreiber sich auf diese Aufgabe konzentrieren.

88.      Bei der anderen Schwierigkeit geht es darum, dass der Zusammenhang zwischen dem Konzernverbot und dem Verbot sachfremder Tätigkeiten und der öffentlichen Sicherheit und dem Verbraucherschutz weder unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit dieser Maßnahmen noch dem ihrer Verhältnismäßigkeit zu diesen Zielen(49) deutlich wird, wie die Gesellschaften zutreffend ausführen. Das Privatisierungsverbot erfüllt nämlich meines Erachtens bereits ausreichend die Anforderungen für einen Schutz der öffentlichen Sicherheit, weil es z. B. den Betrieb des Elektrizitätsverteilernetzes durch Gesellschaften ausschließt, die von Drittstaaten kontrolliert werden. Dagegen müsste den Verbraucherschutzanforderungen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, selbst wenn der Gesetzgeber die Beibehaltung vertikal integrierter Gesellschaften anerkannt hätte.

89.      Der zweite Ansatz beruht auf der Vorstellung, dass aus dem Unionsrecht hervorgehende Maßnahmen in Bezug auf die Verkehrsfreiheiten nicht genauso streng kontrolliert werden wie rein nationale Maßnahmen, weil der Gerichtshof, wenn er die zur Rechtfertigung einer restriktiven Maßnahme geeigneten Gründe von anderen Gründen unterscheidet, nicht so sehr auf die wirtschaftliche Natur des verfolgten Ziels als solches abstellt, sondern vielmehr auf die dieser ausdrücklichen Rechtfertigung innewohnende protektionistische Zielsetzung(50). Somit ist im Hinblick auf das System und auf die Ziele des Vertrags die für einen gegebenen Moment getroffene Einstufung der gesetzgeberisch zum Ausdruck gebrachten staatlichen Politik weniger wichtig als ihre dynamische Zielsetzung.

90.      Diese Analyse wird durch die Untersuchung der in Rede stehenden Maßnahmen in bestimmten Rechtssachen bestätigt, in denen der Gerichtshof die Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Kapitalverkehrs als Maßnahmen von rein wirtschaftlicher Natur zurückgewiesen hat.

91.      Zum Beispiel hat der Gerichtshof in der Rechtssache Kommission/Portugal(51) es als nicht zulässig erachtet, dass die in Rede stehende Regelung, die darauf gerichtet war, die Zahl der Investoren, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats waren, zu beschränken und für den Erwerb von Aktien ab einer bestimmten Schwelle eine vorherige Genehmigung der Portugiesischen Republik vorzuschreiben, mit einer Stärkung der Wettbewerbsstruktur des in Rede stehenden Marktes und mit der Modernisierung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Produktionsmittel auf der Grundlage ihres wirtschaftlichen Charakters gerechtfertigt wird. Meines Erachtens liegt der eigentliche Grund für dieses Urteil im Verdacht protektionistischer Motive bei der Ausübung des Ermessens, das der für die Erteilung einer solchen Genehmigung zuständigen nationalen Behörde eingeräumt war.

92.      Dass die Gefahr eines protektionistischen Missbrauchs gegenüber der Natur des angeführten Grundes überwiegt, zeigt sich im Übrigen erst recht in der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die nicht die wirtschaftlichen Rechtfertigungen betrifft. So hat der Gerichtshof vor Kurzem in der Rechtssache Kommission/Griechenland(52) die Rechtfertigung einer dem Erwerb von Aktien von strategischen Unternehmen vorausgehenden Genehmigung wegen des Ermessens der nationalen Behörden bei der Ausübung dieser Möglichkeit ungeachtet des Vorliegens eines Grundes der öffentlichen Sicherheit abgelehnt, der geeignet war, eine solche Vorschrift zu rechtfertigen, da er die Sicherheit der Energieversorgung betraf. Mit anderen Worten: Die Zielsetzung der überprüften nationalen Vorschrift hat Vorrang vor der wirtschaftlichen Einstufung.

93.      Die Rechtssache Kommission/Italien(53) betraf ebenfalls ein Privatisierungsgesetz, das als Übergangsmaßnahme im Hinblick auf die vollständige Liberalisierung des Energiesektors allen Aktien über einer konsolidierten Schwelle von 2 % alle Stimmrechte entzog. Die Italienische Republik versuchte, diese Maßnahme mit dem Schutz gesunder und fairer Wettbewerbsbedingungen auf den Energiemärkten zu rechtfertigen, einem Zweck, der vom Gerichtshof zurückgewiesen wurde. Auch dort war es meines Erachtens weniger die wirtschaftliche Natur der Maßnahme, die den Gerichtshof davon abhielt, ihn anzuerkennen, als der Umstand, dass diese Maßnahme dazu beitrug, den Status quo aufrechtzuerhalten, d. h. im vorliegenden Fall die Kontrolle der italienischen Behörden über die zu privatisierenden Gesellschaften − ein im Wesentlichen protektionistischer Zweck.

94.      Ebenso ist es hinsichtlich der Rechtsprechung zu den „Golden shares“ nicht so sehr die wirtschaftliche Natur der genannten Rechtfertigung, sondern vielmehr der exorbitante Charakter des Rechts, das sich eine solche Regierung vorbehält, der dort ebenfalls zu einem staatlichen Protektionismus führt, der meines Erachtens rechtfertigte, dass der Gerichtshof systematisch entschieden hat, dass solche Vorschriften nicht mit dem freien Kapitalverkehr und der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind(54).

95.      Ein a priori mit der klassischen Rechtsprechung des Gerichtshofs unvereinbares Ziel könnte dagegen nach einer Prüfung des verfolgten Zwecks im Rahmen einer neuen Herangehensweise an den wirtschaftlichen Grund als mit dem Vertrag vereinbar angesehen werden. Dies würde u. a. voraussetzen, dass zwischen wirtschaftlichen Gründen, die dazu führen, auf die eine oder andere Weise die wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedstaaten zu schützen, und zum anderen denjenigen, die dazu führen, dass ein Sektor entsprechend den wirtschaftlichen Zielen des Vertrags organisiert wird, unterschieden wird.

96.      Im vorliegenden Fall und im Rahmen der Ausgangssituation in den Niederlanden, in der nämlich die Netzbetreiber wie die vertikal integrierten Energiegesellschaften von öffentlich-rechtlichen Einheiten gehalten werden, begünstigt meines Erachtens das Konzernverbot oder das Verbot sachfremder Tätigkeiten die nationalen Wirtschaftsteilnehmer weder unmittelbar noch mittelbar. Im Gegenteil: Da Essent NV gezwungen war, sich aufzuspalten, bevor sie privatisiert werden konnte, ist sie der Ansicht, dass sie dadurch, dass sie gezwungen war, Beteiligungen am Verteilernetzbetreiber Enexis Holding NV abzutreten, in eine nachteilige Wettbewerbssituation gegenüber Konkurrenten anderer Mitgliedstaaten versetzt wurde, in denen das vertikal integrierte Modell weiterhin gebilligt wird. Infolgedessen scheint das Konzernverbot keinen protektionistischen Zweck zu verfolgen, im Gegensatz zu den Maßnahmen, die in den oben genannten Rechtssachen als nicht mit den Verkehrsfreiheiten vereinbar angesehen wurden.

97.      Im Übrigen verfolgt das Konzernverbot oder das Verbot sachfremder Tätigkeiten kaum einen protektionistischen Zweck zugunsten der öffentlichen Behörden, denen zwar das Eigentum an den Netzbetreibern vorbehalten ist, die aber auch, da sie Netzbetreiber sind, von demjenigen an den Energieunternehmen ausgeschlossen sind.

98.      Der dritte Ansatz besteht darin, eine neue Grundlage für die Rechtfertigung einer Beschränkung der Verkehrsfreiheiten anzuerkennen, die sich aus der Vertragsbestimmung ergibt, nach der der Binnenmarkt immer ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. Diese Bestimmung, die bereits in Art. 3 Buchst. f des ursprünglichen EWG-Vertrags enthalten war, befindet sich nunmehr im Protokoll (Nr. 27) zum AEU-Vertrag(55).

99.      Die nationale Regelung, die darauf abzielt, auf regionaler oder örtlicher Ebene die historischen Monopole der vertikal integrierten Energieunternehmen durch eine Struktur zu ersetzen, die dadurch, dass sie das Eigentum des Verteilernetzbetriebs von dem der Dienste, die dieses nutzen, trennt, erlaubt die Schaffung eines Wettbewerbsmarkts für den Vertrieb, die Versorgung mit und die Erzeugung von Energie und stellt durchaus eine Maßnahme dar, die geeignet ist, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb nicht verfälscht wird.

100. Meines Erachtens sind die Beschränkungen der Handlungsfreiheit sowohl des Verteilernetzbetreibers als auch der Energiegesellschaften geeignet, einen nichtdiskriminierenden Zugang zum Energiemarkt zu gewährleisten und sicherzustellen, dass der Wettbewerb betreffend Vertrieb, Versorgung mit und Erzeugung von Energie nicht verfälscht wird. Meines Erachtens muss dieses Ziel als wichtige Rechtfertigung des Allgemeininteresses für nichtdiskriminierende nationale Beschränkungen, die sich als notwendig erweisen, einen Markt zu liberalisieren, der durch ein natürliches Monopol geprägt ist, angesehen werden.

101. Konkret stärkt das Konzernverbot die Trennung von Energieversorgung und ‑erzeugung einerseits und Energieverteilung andererseits, was nach dem elften Erwägungsgrund der Richtlinien 2009/72 und 2009/73 das wirksamste Instrument ist, um in nichtdiskriminierender Weise Investitionen in die Infrastruktur, einen fairen Netzzugang für neue Anbieter und Transparenz des Marktes zu fördern.

102. Das Verbot sachfremder Tätigkeiten isoliert gleichzeitig die anderen Sektoren, wie z. B. die Abfallwirtschaft, gegen einen „Spill over“ von Ressourcen, die sich im Rahmen einer Tätigkeit, die den Charakter eines natürlichen Monopols hat, vermehrt haben, und schützt dabei den Netzbetrieb vor Risiken, die mit nicht zusammenhängenden Tätigkeiten verbunden sind. Somit ist ein solches Verbot geeignet, zu gewährleisten, dass mögliche Überschüsse, die im Rahmen des Netzbetriebs entstanden sind, in die Wartung und die Verbesserung des Netzes und nicht in externe Aktivitäten investiert werden.

103. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Grundsatzentscheidung, die vom nationalen Gesetzgeber getroffen wurde, nämlich der strukturellen Entflechtung von Netzbetrieb und Vertrieb, Versorgung und Erzeugung von Elektrizität und Gas, geht dieses Verbot nicht weiter, als erforderlich ist, um die Ziele der Transparenz auf dem Energiemarkt und die Verhinderung von Verfälschungen des Wettbewerbs zu erreichen.

104. Somit schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass die in Rede stehenden nationalen Regelungen wie das Konzernverbot, das sowohl die Energieverteilernetzbetreiber als auch juristische Personen, die Elektrizität oder Gas in den Niederlanden vertreiben, liefern oder erzeugen, einschließt, und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, das für Verteilernetzbetreiber gilt, als gerechtfertigte Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs angesehen werden können, da sie geeignet sind, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb nicht durch Ausnutzung einer Monopolstellung des Verteilernetzbetreibers beim Vertrieb, der Versorgung oder der Erzeugung oder in anderen von dem Netzbetrieb getrennten Bereichen verfälscht wird.

V –    Ergebnis

105. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des Hoge Raad der Nederlanden wie folgt zu beantworten:

1.      Eine Regelung eines Mitgliedstaats wie diejenige, die in den Ausgangsverfahren in Rede steht, nach der Aktien eines Verteilernetzbetreibers nur an staatliche Stellen und an bestimmte Gesellschaften übertragen werden können, die zu 100 % von öffentlichen Behörden (Privatisierungsverbot) gehalten werden, stellt eine Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV dar und ist somit mit dem Recht der Union vereinbar.

2.      Obwohl das Verbot der Privatisierung der Verteilernetzbetreiber wie dasjenige, das in den Ausgangsverfahren in Rede steht, eine Eigentumsordnung im Sinne von Art. 345 AEUV ist, die mit dem Unionsrecht vereinbar ist, fallen andere nationale Regelungen wie das Konzernverbot, das sowohl Energieverteilernetzbetreiber als auch juristische Personen, die Elektrizität oder Gas in den Niederlanden vertreiben, liefern oder erzeugen, einschließt, und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, das für Verteilernetzbetreiber gilt, in den Anwendungsbereich des freien Kapitalverkehrs und müssen im Hinblick auf diesen auf ihre Vereinbarkeit geprüft werden.

3.      Die in Rede stehenden nationalen Regelungen wie das Konzernverbot, das sowohl die Energieverteilernetzbetreiber als auch juristische Personen, die Elektrizität oder Gas in den Niederlanden vertreiben, liefern oder erzeugen, einschließt, und das Verbot sachfremder Tätigkeiten, das für Verteilernetzbetreiber gilt, können als gerechtfertigte Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs angesehen werden, da sie geeignet sind, zu gewährleisten, dass der Wettbewerb nicht durch Ausnutzung einer Monopolstellung des Verteilernetzbetreibers beim Vertrieb, der Versorgung oder der Erzeugung oder in anderen von dem Netzbetrieb getrennten Bereichen verfälscht wird.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 –      In diesen Schlussanträgen verweisen die Begriffe „Netz“ und „Netzbetreiber“ auf das Elektrizitäts- oder Gasverteilernetz in den Niederlanden. In den Fällen, in denen es sich um Transportnetze handelt, wird dies ausdrücklich erwähnt.


3 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. L 176, S. 37).


4 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57).


5 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. L 211, S. 55).


6 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. L 211, S. 94).


7–      ABl. 2008, C 175 E, S. 206.


8 – Stb. 1998, Nr. 427.


9 –      Stb. 2000, Nr. 305.


10–      Stb. 2004, Nr. 328.


11–      Stb. 2006, Nr. 614.


12 – Stb. 2008, Nr. 62.


13–      Vgl. Nr. 27 der vorliegenden Schlussanträge.


14 – In diesen Schlussanträgen wird − anstelle der in der deutschen Fassung der Vorlagefragen verwendeten Begrifflichkeit „Verbot von Nebentätigkeiten“ − „Verbot sachfremder Tätigkeiten“ verwendet, um jegliche Verwechslung mit dem Begriff „Hilfsdienste“ im Sinne von Art. 2 Nr. 17 der Richtlinie 2003/54 und Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2003/55 zu vermeiden, wobei festzustellen ist, dass dieser Begriff in jeder der genannten Richtlinien unterschiedlich definiert wird.


15 –      Die in diesen Schlussanträgen für die Prüfung der zweiten und dritten Frage verwendete Terminologie greift die in Fn. 14 der vorliegenden Schlussanträge erläuterte Nomenklatur auf (sachfremde Tätigkeiten).


16 – Es ist festzustellen, dass die Definition der Behörde auch juristische Personen umfasst, die 100%ige Tochtergesellschaften einer Energiegesellschaft im Sinne der Verordnung Netzbetreiberanteile, einschließlich Essent NV (vor ihrer Spaltung), Eneco Holding NV und Delta NV. Diese Tochtergesellschaften können ausländische juristische Personen sein.


17 – Vgl. Nr. 45 der verbundenen Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz‑Jarabo Colomer in den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 4. Juni 2002, Kommission/Portugal (C‑367/98, Slg. 2002, I‑4731), Kommission/Frankreich (C‑483/99, Slg. 2002, I‑4781) und Kommission/Belgien (C‑503/99, Slg. 2002, I‑4809), ergangen sind.


18 – Delta NV bezieht sich in ihren Erklärungen auf die Beschreibung der Entstehung dieser Vorschrift durch Professor P. Reuter in seinem 1953 in Paris erschienen Werk La Communauté Européenne du Charbon et Acier.


19 – Nach Generalanwalt Ruiz‑Jarabo Colomer betrifft Art. 345 AEUV nicht Eigentumsregelungen im Sinne der Zivilrechtsordnung der Vermögensbeziehungen (vgl. Nr. 54 seiner verbundenen Schlussanträge in den in Fn. 17 genannten Rechtssachen).


20 – Der Gerichtshof hat vor Kurzem in seinem Urteil vom 8. November 2012, Kommission/Griechenland (C‑244/11, Randnrn. 15 und 16), daran erinnert, dass „Art. 295 EG … nicht dazu führt, dass die in den Mitgliedstaaten bestehende Eigentumsordnung den Grundprinzipien des Vertrags entzogen ist. … Konkret hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 295 EG zwar die Befugnis der Mitgliedstaaten nicht in Frage stellt, eine Regelung für den Erwerb von Grundeigentum zu schaffen, dass aber auch für eine solche Regelung die grundlegenden Normen des Gemeinschaftsrechts und namentlich die Vorschriften über die Nichtdiskriminierung, die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr gelten (Urteil vom 23. September 2003, Ospelt und Schlössle Weissenberg, C‑452/01, Slg. 2003, I‑9743, Randnr. 24 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).“


21–      Urteil vom 15. Juli 1964, (6/64, Slg. 1964, 1253).


22 –      Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 26. Juni 2007, EFTA-Überwachungsbehörde/Norwegen (Rechtssache „Wasserfälle in Norwegen“) (E‑2/06, EFTA Court, S. 163, Randnr. 72).


23 – ABl. 1994, L 1, S. 3.


24 – Vgl. u. a. die Urteile Kommission/Portugal (C‑367/98), Kommission/Frankreich (C‑483/99) und Kommission/Belgien (C‑503/99).


25–      Vgl. Nrn. 21 bis 25 der vorliegenden Schlussanträge.


26–      Nr. 42 der vorliegenden Schlussanträge.


27 – Die Kommission trägt vor, dass die niederländische Regierung zum Zeitpunkt des Erlasses dieser beiden Verbote die Möglichkeit einer Privatisierung von Netzbetreibern noch nicht ausgeschlossen hatte. Ich erinnere daran, dass Regelungen, die die Konzernbildung und/oder die Ausübung sachfremder Tätigkeiten beschränken, in Regelungen, die für Sektoren gelten, die einer verstärkten staatlichen Kontrolle unterliegen, wie im Finanzsektor oder im Gesundheitsbereich, in der Tat ziemlich häufig vorkommen.


28–      Richtlinie des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel [67 EG], ABl. L 178, S. 5.


29–      Urteil vom 8. Juli 2010 (C­171/08, Slg. 2010, Randnr. 49. Vgl. auch Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 179).


30 – Vgl. u. a. Urteile vom 1. Oktober 2009, Woningstichting Sint Servatius (C‑567/07, Slg. 2009, I‑9021, Randnr. 19), und vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal (C­171/08, Randnrn. 49 bis 50)..


31 –      Urteil Kommission/Portugal, C‑171/08, oben in Fn. 29 angeführt (Randnr. 50).


32 –      Urteile vom 28. September 2006 Kommission/Niederlande (C‑282/04 und C‑283/04, Slg. 2008, I‑9141, Randnr. 43), und vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal (C­171/08, Randnr. 80).


33 –       Nach den Angaben der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung.


34 –      Vgl. achter Erwägungsgrund und Art. 15 der Richtlinie 2003/54.


35 – Vor Erlass des dritten Energiepakets haben − nach Hunt, M., „Ownership Unbundling: The Main Legal Issues in a Controversial Debate“, EU Energy Law and Policy Issues, éd. Delvaux, B., u. a., Rixensart: Euroconfidentiel, 2008 − 13 Mitgliedstaaten die Entflechtung des Eigentums der Elektrizitätsnetzbetreiber gewählt und sechs beim Transport von Gas.


36 –      Dennoch handelt es sich nicht um eine Verpflichtung. Insoweit bestimmt der mit „Entflechtung von Verteilernetzbetreibern“ überschriebene Art. 26 der Richtlinie 2009/72 ebenso wie Art. 15 der Richtlinie 2003/54: „Diese Bestimmungen begründen keine Verpflichtung, eine Trennung in Bezug auf das Eigentum des vertikal integrierten Unternehmens an Vermögenswerten des Verteilernetzes vorzunehmen.“


37 – Vgl. im Bereich des freien Warenverkehrs Urteil vom 20. April 1978, Les Commissionnaires Réunis et Les Fils de Henri Ramel (80/77 und 81/77, Slg. 1978, 927), in dem es heißt: „Das Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen sowie von Maßnahmen gleicher Wirkung gilt, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt hat, nicht nur für nationale Maßnahmen, sondern auch für Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane.“ Vgl. auch Urteil vom 17. Mai 1984, Denkavit Nederland (15/83, Slg. 1984, 2171, Randnr. 15). Meines Erachtens besteht im Bereich des freien Kapitalverkehrs kein Anlass zu einem anderen Denkansatz.


38–      Vgl. hierzu K. Mortelmans, „The relationship between the treaty rules and community measures for the establishment and functioning of the internal market“, Common Market Law Review, 39(2002), S. 1303.


39 – Für diese These Petersmann, E.-U., Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, Fribourg 1991.


40–      Urteil vom 25. Januar 1977, Bauhuis (46/76, Slg. 1977, 5, Randnrn. 27 bis 30).


41 – Urteil vom 13. Mai 1997, Deutschland/Parlament und Rat (C‑233/94, Slg. 1997, I‑2405, Randnr. 57).


42–      Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Kommission/Polen (C‑271/09, Slg. 2011, I-13613, Randnrn. 55 und 58).


43 – Vgl. u. a. die Erwägungsgründe 4, 7, 26 und 32 der Richtlinie 2009/72 und die Erwägungsgründe 4, 5, 25 und 31 der Richtlinie 2009/73.


44–      Urteile vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a. (72/83, Slg. 1984, 2727, Randnrn. 35 und 36), vom 17. März 2005, Kranemann (C‑109/04, Slg. 2005, I‑2421, Randnr. 34), und vom 15. April 2010, CIBA (C‑96/08, Slg. 2010, I‑2911, Randnr. 48).


45–      Vgl. zu diesem Punkt die Begründung zum Vorschlag für die Richtlinie KOM(2007) 528 endgültig, S. 5.


46 – Die Erklärungen von Essent NV und Essent Nederland BV greifen die Gründe auf, die der niederländische Gesetzgeber bei verschiedenen Verfahrensabschnitten angeführt hat.


47 – Für einen Versuch der Systematisierung dieser Nuancierungen vgl. Snell, J., „Economic Aims as Justification for Restrictions on Free Movement“, in Rule of reason: rethinking another classic of European legal doctrine, éd. Schrauwen, A., Groningen: Europa Law Publishing, 2005.


48 – Urteil Campus Oil u. a., oben in Fn. 44 angeführt.


49 – Zumal nach Ansicht des Gerichtshofs die Ausnahme der öffentlichen Sicherheit in Art. 65 Abs. 1 AEUV eng zu verstehen ist und nur die Fälle erfassen kann, in denen das öffentliche Interesse tatsächlich und hinreichend schwer gefährdet ist, vgl. Urteile vom 13. Mai 2003, Kommission/Spanien (C‑463/00, Slg. 2003, I‑4581, Randnr. 72), und Kommission/Portugal (C‑171/08, Randnr. 73).


50 – Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat.


51 – C‑367/98, Randnr. 52.


52–      Randnr. 79.


53–      Urteil vom 2. Juni 2005 (C‑174/04, Slg. 2005, I‑4933, Randnr. 37).


54 –      Vgl. u. a. Urteil vom 8. Juli 2010, Kommission/Portugal (C‑171/08, oben in Fn. 29 angeführt), in dem mit Sonderrechten verbundene Aktien (Vetorecht) in Rede standen, die mehrheitlich vom Staat oder anderen öffentlichen Anteilseignern gehalten werden müssen.


55 –      Zur Rechtsprechung betreffend Art. 3 Buchst. f EWG-Vertrag vgl. Urteil vom 10. Januar 1985, Association des Centres distributeurs Leclerc und Thouars Distribution (229/83, Slg. 1985, 1, Randnrn. 20 ff.).