Language of document : ECLI:EU:C:2012:536

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 6. September 2012(1)

Rechtssache C‑75/11

Europäische Kommission

gegen

Republik Österreich

„Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit – Freizügigkeit der Unionsbürger – Dienstleistungsfreiheit – Verkehrssektor – Richtlinie 2004/38/EG – Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Ausschluss von ermäßigten Fahrpreisen für den öffentlichen Nahverkehr für Studenten, deren Eltern keine Familienbeihilfe nach nationalem Recht beziehen“





I –    Einführung

1.        Dürfen die Mitgliedstaaten Fahrpreisermäßigungen für Studierende an Bedingungen knüpfen, die von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten regelmäßig nicht erfüllt werden? Diese Frage ist im vorliegenden Fall zu beantworten.

2.        Verschiedene österreichische Regionen und das zuständige Bundesministerium haben mit Nahverkehrsunternehmen Fahrpreisermäßigungen für Studierende vereinbart. Sie werden nur Studierenden gewährt, deren Eltern wegen des Studiums eine österreichische Familienbeihilfe erhalten. Diese Beihilfe erhalten nur Eltern, die in Österreich leben.

3.        Die Kommission hält diese Bedingung für die Gewährung von Fahrpreisermäßigungen für eine Diskriminierung, die mit den Art. 18, 20 und 21 AEUV sowie Art. 24 der Richtlinie 2004/38(2) über die Freizügigkeit und den Aufenthalt unvereinbar ist. Studierende aus anderen Mitgliedstaaten, die österreichische Hochschulen besuchen, können sie in der Regel nämlich nicht erfüllen.

4.        Österreich verteidigt sich im Wesentlichen mit dem Argument, dass die Ermäßigung nur die Familienbeihilfe ergänze und ihre Gewährung daher der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit(3) entspreche. Auch würden Studierende aus anderen Mitgliedstaaten von ihren Herkunftsstaaten gefördert und seien daher mit inländischen Studierenden nicht vergleichbar. Schließlich lasse Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 es zu, Studierende aus anderen Mitgliedstaaten von Studienbeihilfen auszuschließen.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Richtlinie 2004/38

5.        Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt den Anwendungsbereich der Richtlinie:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, …“

6.        Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 hat jeder Unionsbürger „das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

c)      –      bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

–      über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, …“

7.        Art. 24 der Richtlinie 2004/38 regelt die Gleichbehandlung von Unionsbürgern, die sich in anderen Mitgliedstaaten aufhalten:

„(1)      Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. …

(2)      Abweichend von Abs. 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“

B –    Verordnung Nr. 1408/71

8.        Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 gilt sie für Familienleistungen.

9.        Familienleistungen werden in Art. 1 Buchst. u Ziff. i wie folgt definiert:

„alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art. 4 Abs. 1 Buchst. h genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, …“.

10.      Art. 13 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats unterliegen.

11.      Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 regelt die Gewährung von Familienleistungen für Angehörige, die in anderen Mitgliedstaaten leben:

„Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.“

12.      Anhang VI der Verordnung Nr. 1408/71 enthält keine Bestimmung, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre.

III – Sachverhalt, Vorverfahren und Anträge

13.      Das Vertragsverletzungsverfahren betrifft Fahrpreisermäßigungen für Studenten, die auf privatrechtlichen Verträgen beruhen, die das zuständige österreichische Bundesministerium mit den regionalen Behörden (Bundesländern oder Gemeinden) und den betroffenen Verkehrsunternehmen abschließt. Diese führen je nach Bundesland zu unterschiedlichen und unterschiedlich vergünstigten Fahrpreisen für Studierende.

14.      Soweit das zuständige Bundesministerium am Abschluss eines solchen Vertrags mitwirkt, strebt es eine Bindung der Fahrpreisermäßigungen an den Bezug der österreichischen Familienbeihilfe nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 an. Diese Leistung geht nicht direkt an die Studierenden, sondern an ihre versorgungs- und unterhaltspflichtigen Eltern, wenn sie in das österreichische System der sozialen Sicherheit einbezogen sind. Eine solche Bindung der Fahrpreisermäßigung an den Bezug der Familienbeihilfe ist nach Darstellung Österreichs in den Bundesländern Wien, Oberösterreich, Burgenland und Steiermark sowie in der Stadt Innsbruck vorgesehen.

15.      Die Kommission sah darin eine unzulässige Diskriminierung von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten und forderte Österreich im Jahr 2009 gemäß Art. 258 AEUV zur Stellungnahme auf. Am 28. Januar 2010 setzte sie das Verfahren durch eine mit Gründen versehene Stellungnahme fort, in der sie eine letzte Frist von zwei Monaten zur Beendigung des gerügten Verstoßes setzte.

16.      Da die Antworten Österreichs die Kommission nicht zufriedenstellten, erhob sie am 21. Februar 2011 die vorliegende Klage.

17.      Die Kommission beantragt,

–        festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 18 AEUV in Verbindung mit den Art. 20 und 21 AEUV sowie Art. 24 der Richtlinie 2004/38 verstoßen hat, dass sie Fahrpreisermäßigungen auf öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich nur Studierenden gewährt, für die eine österreichische Familienbeihilfe gewährt wird;

–        der Republik Österreich die Kosten aufzuerlegen.

18.      Die Republik Österreich beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

19.      Die Beteiligten haben schriftlich zur Sache verhandelt.

IV – Rechtliche Würdigung

20.      Bevor das Vorliegen einer Diskriminierung geprüft werden kann (dazu unter C), sind zunächst der Klagegegenstand (dazu unter A) und die anzuwendenden Diskriminierungsverbote (dazu unter B) zu präzisieren.

A –    Zum Klagegegenstand

21.      Die Kommission wendet sich in ihrem Klageantrag allgemein dagegen, dass Österreich Fahrpreisermäßigungen auf öffentlichen Verkehrsmitteln grundsätzlich nur Studierenden gewährt, für die eine österreichische Familienbeihilfe gewährt wird.

22.      Aus der Begründung der Klage ergibt sich jedoch, dass es nur um die Länder Wien, Oberösterreich, Burgenland und Steiermark sowie die Stadt Innsbruck geht. In Niederösterreich sei die Lage unklar – also nicht hinreichend aufgeklärt – und in den übrigen Regionen bestünden keine Fahrpreisermäßigungen, die an die Familienbeihilfe anknüpfen würden.

23.      Österreich wendet zwar ein, dass mittlerweile auch in Innsbruck die Ermäßigung nicht mehr an eine solche Bedingung geknüpft sei, doch zum maßgeblichen Zeitpunkt, beim Ablauf der in der begründeten Stellungnahme gesetzten Frist, war die beanstandete Ermäßigung noch in Kraft.

24.      Darüber hinaus beanstandet die Kommission nicht, dass Studierenden aus Drittstaaten oder anderen österreichischen Studierenden die Fahrpreisermäßigung verweigert wird. Sie beschäftigt sich nur mit der Lage von Studierenden, deren Eltern nicht die österreichische Familienbeihilfe bekommen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben.

25.      Folglich beschränkt sich der Verfahrensgegenstand darauf, dass studierende Unionsbürger, deren Eltern nicht die österreichische Familienbeihilfe bekommen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben, in den Ländern Wien, Oberösterreich, Burgenland und Steiermark sowie der Stadt Innsbruck nicht die gleichen Fahrpreisermäßigungen erhalten wie Studierende, für die eine österreichische Familienbeihilfe gewährt wird.

B –    Zu den anwendbaren Diskriminierungsverboten

26.      Zunächst gilt es zu klären, ob die von der Kommission angeführten Diskriminierungsverbote tatsächlich anwendbar sind.

27.      Die Kommission stützt ihre Klage auf das allgemeine Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV in Verbindung mit der Freizügigkeit von Unionsbürgern nach den Art. 20 und 21 AEUV sowie Art. 24 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt.

28.      Die Anwendbarkeit des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV setzt voraus, dass Studierende aus anderen Mitgliedstaaten, die in Österreich den öffentlichen Nahverkehr nutzen, sich durch die Ausübung ihrer Freizügigkeit als Unionsbürger nach Art. 21 AEUV im Anwendungsbereich des Unionsrechts befinden.

29.      Einer Anwendung des Diskriminierungsverbots in Verbindung mit der allgemeinen Freizügigkeit von Unionsbürgern auf die selektive Ermäßigung von Fahrpreisen könnte aber entgegenstehen, dass diese österreichische Maßnahme die Inanspruchnahme von Verkehrsdienstleistungen betrifft. Es ist nämlich zweifelhaft, ob die allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger neben der Dienstleistungsfreiheit angewandt werden kann (dazu unter 1). Darüber hinaus gelten für Maßnahmen, die den Verkehr betreffen, die besonderen Bestimmungen des Vertragstitels über den Verkehr. Folglich ist zu prüfen, ob eine Anwendung der allgemeinen Freizügigkeit eine Umgehung dieser besonderen Bestimmungen bewirken würde (dazu unter 2). Schließlich ist kurz auf das Verhältnis zwischen dem allgemeinen Diskriminierungsverbot und Art. 24 der Richtlinie 2004/38 einzugehen (dazu unter 3).

1.      Zur Dienstleistungsfreiheit

30.      In einigen älteren Urteilen hat der Gerichtshof noch ohne weitere Begründung entschieden, dass bestimmte Maßnahmen sowohl eine spezielle Grundfreiheit als auch das allgemeine Diskriminierungsverbot verletzten.(4) Mittlerweile hat der Gerichtshof diese Rechtsprechung allerdings zutreffend dahin gehend präzisiert, dass Art. 18 AEUV, der ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthält, als eigenständige Grundlage nur auf unionsrechtlich geregelte Fallgestaltungen angewendet werden kann, für die der Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht.(5) Wenn die Dienstleistungsfreiheit anwendbar ist, so findet Art. 18 AEUV daher keine Anwendung.(6)

31.      Dies muss grundsätzlich auch gelten, wenn das allgemeine Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit in Verbindung mit der allgemeinen Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV in Anspruch genommen wird. Zwar hat sich der Gerichtshof zum Verhältnis zwischen dieser Freizügigkeit und spezielleren Grundfreiheiten etwas vorsichtiger ausgedrückt, indem er regelmäßig feststellte, er brauche über die Auslegung von Art. 21 AEUV nicht zu entscheiden.(7) Doch diese Position bringt ebenfalls den Gedanken der Spezialität besonderer Grundfreiheiten zum Ausdruck.

32.      Etwas anderes lässt sich auch nicht aus der Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen der Kapitalverkehrsfreiheit und den übrigen Grundfreiheiten ableiten. In diesem Bereich hat der Gerichtshof entschieden, dass er über die Kapitalverkehrsfreiheit nicht entscheiden müsse, wenn er bereits den Verstoß einer Maßnahme gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit und die Freizügigkeit der Unionsbürger festgestellt hat.(8) In diesen Fällen musste die allgemeine Freizügigkeit neben den beiden genannten anderen Grundfreiheiten angewandt werden, da auch Personen erfasst wurden, die nicht zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in den betroffenen Staat zogen.(9) Damit wurde allerdings der Gedanke der Spezialität nicht aufgegeben. Vielmehr beruht die Abgrenzung zwischen der Kapitalverkehrsfreiheit und den übrigen Freiheiten auf dem Gegenstand der fraglichen mitgliedstaatlichen Maßnahme.(10) Als der Gerichtshof auf die Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit verzichtete, die Freizügigkeit der Unionsbürger jedoch anwandte, war dementsprechend im Kern eher die Freizügigkeit betroffen als die Kapitalanlage.

33.      Folglich kann das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV in Verbindung mit der allgemeinen Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV nicht angewandt werden, wenn die Fahrpreisermäßigung im öffentlichen Nahverkehr in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit fällt.

34.      Somit ist zu prüfen, ob die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV anwendbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung verleiht diese Bestimmung nicht nur dem Erbringer von Dienstleistungen, sondern auch dem Empfänger dieser Leistungen Rechte.(11) Unionsbürger, die sich in andere Mitgliedstaaten begeben, dürfen demnach nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit hinsichtlich der Preise von Dienstleistungen diskriminiert werden.(12)

35.      Allerdings gilt die Dienstleistungsfreiheit nicht für den Angehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und dort seinen Hauptaufenthalt nimmt, um dort für unbestimmte Dauer Dienstleistungen zu erbringen oder zu empfangen.(13) Der Gerichtshof stützte sich dabei auf die Erwägung, dass Art. 56 AEUV auf Tätigkeiten ohne jeden Auslandsbezug keine Anwendung findet.(14)

36.      Studierende begeben sich in der Regel für längere Zeit in einen anderen Mitgliedstaat. Zwar ist die Dauer des Aufenthalts für Studienzwecke nicht unbestimmt, sondern auf die absehbare Dauer des Studiums beschränkt, bei Austauschprogrammen sogar noch stärker. Fraglich ist, ob dies ein für die Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit hinreichender Auslandsbezug ist.

37.      Im vorliegenden Fall wird jedoch gerade danach unterschieden, ob die Eltern der Studierenden österreichische Familienleistungen erhalten, was zu einer Unterscheidung danach führt, ob sie im Inland oder im Ausland leben. Die Regelung, die möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung begründet, impliziert also einen Auslandsbezug. Insofern ist der vorliegende Fall mit den Urteilen zur steuerlichen Berücksichtigung der Kosten eines Masterstudiengangs(15) oder von Schulgebühren(16) im Herkunftsstaat vergleichbar, in denen die Dienstleistungsfreiheit zur Anwendung kam.

38.      Folglich ist im Prinzip vorliegend die Dienstleistungsfreiheit anwendbar und eine Prüfung des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Verbindung mit der Freizügigkeit der Unionsbürger ausgeschlossen.

2.      Zur Verkehrspolitik

39.      Im Ausgangsfall geht es allerdings um den Zugang zu Verkehrsdienstleistungen. Nach Art. 58 Abs. 1 AEUV gelten für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über den Verkehr. Das bedeutet nach ständiger Rechtsprechung, dass die Dienstleistungsfreiheit nicht anwendbar ist.(17) Ihre Grundsätze müssen vielmehr durch die Verwirklichung der gemeinsamen Verkehrspolitik erreicht werden.(18)

40.      Alle Verkehrsarten unterliegen allerdings nach ständiger Rechtsprechung den allgemeinen Vertragsvorschriften(19) und insbesondere anderen Grundfreiheiten als der Dienstleistungsfreiheit.(20) Daher muss auch das allgemeine Diskriminierungsverbot in Verbindung mit der Freizügigkeit der Unionsbürger gelten.

41.      Darin liegt kein Widerspruch zu den Überlegungen hinsichtlich der Spezialität der Dienstleistungsfreiheit. Diese Spezialität kann nur greifen, soweit die Dienstleistungsfreiheit gilt. Gilt sie nicht, kann sie der Anwendung anderer Bestimmungen auch nicht entgegenstehen. Das würde nämlich darauf hinauslaufen, den Unionsbürgern im Verkehrssektor den Schutz der Unionsbürgerschaft zu verwehren, obwohl im Vertrag keine Ausnahme von diesem Schutz vorgesehen ist und der im Prinzip speziellere Schutz der Dienstleistungsfreiheit gar nicht eingreift.

42.      Auch der Fall Neukirchinger steht einer Prüfung des allgemeinen Diskriminierungsverbots in Verbindung mit der allgemeinen Freizügigkeit nicht entgegen, obwohl der Gerichtshof dort die allgemeine Freizügigkeit nicht geprüft hat. Vielmehr knüpfte er bei der Feststellung, eine Ballonfahrt liege im Anwendungsbereich des Unionsrechts, nicht an den Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat – also die Freizügigkeit des Anbieters – an, sondern an einschlägige Maßnahmen der Verkehrspolitik.(21) Dies erklärt sich jedoch daraus, dass der Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat gegenüber dem Angebot einer Verkehrsdienstleistung in diesem Staat nur nachrangige Bedeutung hatte. Angebot und Inanspruchnahme von Verkehrsdienstleistungen sind nur bedingt vergleichbar.

43.      Daher kann die Freizügigkeit der Unionsbürger im vorliegenden Fall den Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnen, obwohl die betreffenden österreichischen Maßnahmen den Zugang zu Verkehrsdienstleistungen betreffen.

3.      Zu Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt

44.      Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 schließlich steht einer Anwendung des allgemeinen Diskriminierungsverbots nach Art. 18 AEUV in Verbindung mit der Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV nicht entgegen, sondern konkretisiert ihre Rechtswirkungen nur.(22) Dementsprechend habe ich bereits angenommen, dass die Diskriminierungsverbote des Art. 18 AEUV und des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 nebeneinander anzuwenden sind.(23)

C –    Zur Prüfung einer Diskriminierung

45.      Die Kommission trägt vor, die Bindung der Fahrpreisermäßigung an die Gewährung einer österreichischen Familienbeihilfe diskriminiere mittelbar Studierende aus anderen Mitgliedstaaten.

1.      Zum allgemeinen Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV

46.      Wie die Kommission erkennt, hat der Gerichtshof bereits im Urteil Bressol dargelegt, dass sich Studierende auf das in den Art. 18 und 21 AEUV verankerte Recht berufen können, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ohne unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit frei zu bewegen und aufzuhalten.(24)

47.      Nach Auffassung der Kommission diskriminiert Österreich Studierende aus anderen Mitgliedstaaten mittelbar. Eine mitgliedstaatliche Maßnahme ist, sofern sie nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, als mittelbar diskriminierend anzusehen, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten als auf Inländer auswirken kann und folglich die Gefahr besteht, dass sie die Erstgenannten besonders benachteiligt.(25)

48.      Die Eltern österreichischer Studierender erhalten regelmäßig österreichische Familienbeihilfen, die Eltern ausländischer Studierender dagegen normalerweise nicht. Darin liegt eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit.

49.      Österreich hält dem entgegen, es handele sich erstens bei der Fahrpreisermäßigung um eine Familienleistung gemäß der Verordnung Nr. 1408/71 (dazu unter a) und zweitens unterscheide sich die Situation von Studierenden, die aus dem Ausland kämen, von der Situation inländischer Studierender (dazu unter b). Drittens schließlich lasse Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt es zu, die Fahrpreisermäßigung mit der Familienbeihilfe zu verknüpfen (dazu unter c). Diese Einwände könnten die genannte Benachteiligung rechtfertigen.

a)      Zur Einordnung als Familienleistung

50.      Die Diskussion der Parteien zur Einordnung der Fahrpreisermäßigung als Familienleistung bezieht sich sowohl auf die Verordnung Nr. 1408/71 als auch auf die sie ersetzende Verordnung (EG) Nr. 883/2004.(26)

51.      Insofern ist zunächst klarzustellen, dass für dieses Vorbringen allein die Verordnung Nr. 1408/71 von Bedeutung ist. Die Verordnung Nr. 883/2004 gilt nach ihrem Art. 91 Abs. 2 erst seit dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009(27), d. h. ab dem 1. Mai 2010. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Prüfung der Klage ist jedoch der Ablauf der Frist, die die Kommission in ihrer begründeten Stellungnahme gesetzt hat, nämlich der 28. März 2010.

52.      Ich verstehe das österreichische Vorbringen dahin gehend, dass die Zuständigkeitsregelungen der Verordnung Nr. 1408/71 auch festlegen sollen, welchen Studierenden die Fahrpreisermäßigung zu gewähren ist. Diese Verordnung bestimmt nämlich, welches Recht hinsichtlich der erfassten Personen anzuwenden ist. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 ist in der Regel nur das Recht eines Mitgliedstaats anwendbar. Mitgliedstaaten, deren Recht nicht anwendbar ist, müssen die fraglichen Leistungen gemäß der Verordnung nicht gewähren.(28)

53.      Der Umstand, dass eine nationale Regelung möglicherweise der Verordnung Nr. 1408/71 entspricht, hat allerdings nicht zur Folge, dass sie nicht an den Bestimmungen des AEUV zu messen wäre.(29) Ob die Fahrpreisermäßigung eine Familienleistung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 ist, kann daher höchstens mittelbar Bedeutung für die Prüfung der Diskriminierungsverbote haben. Insofern kann es auf die Argumente für die Annahme einer Familienbeihilfe ankommen.

54.      Der Kern der österreichischen Argumentation ist, dass der Unionsgesetzgeber mit der Aufteilung der Zuständigkeiten durch die Verordnung Nr. 1408/71 die Lasten für die Unterstützung von Familien gerecht zwischen den Mitgliedstaaten verteilt habe. Daher müsse Österreich diese Last für Studierende aus anderen Mitgliedstaaten nicht tragen. Die Fahrpreisermäßigung sei Teil der Leistungen zur Entlastung von Familien, da die begünstigten Studierenden noch von ihren Eltern unterstützt werden. Aufgrund der Fahrpreisermäßigung könnten die Eltern diese Unterstützung mindern. Die Ermäßigung ergänze daher die eigentliche Familienbeihilfe, die ebenfalls darauf abziele, den Eltern bei der Unterstützung von Studierenden zu helfen.

55.      Der Umstand, dass eine Leistung geeignet ist, indirekt Familien zu entlasten, kann jedoch nicht ausreichen, um eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zu rechtfertigen. Es muss zumindest gewährleistet sein, dass diese Leistung alle Familien erreicht, die nach der Zuständigkeitsverteilung der Verordnung Nr. 1408/71 einen Anspruch auf Familienleistungen haben. Dies ist bei der Fahrpreisermäßigung nicht der Fall.

56.      Es ist noch nicht einmal ersichtlich, dass alle Familien, die für Studierende an österreichischen Universitäten Familienleistungen erhalten, tatsächlich durch die Fahrpreisermäßigungen mittelbar entlastet werden. Selbst wenn man unterstellt, dass in Österreich flächendeckend Ermäßigungen vereinbart wurden, so ist zweifelhaft, dass allen Studierenden geeignete Nahverkehrsverbindungen angeboten werden. Diejenigen, die auf andere Verkehrsmittel angewiesen sind, kommen nicht in den Genuss der Entlastung. Auch ist nicht klar, ob alle betroffenen Familien in vergleichbarem Umfang durch Ermäßigungen entlastet werden.

57.      Vor allem aber benachteiligt das gewählte Abgrenzungskriterium faktisch Studierende, die die durch die Unionsbürgerschaft gewährte Freiheit ausüben, in anderen Mitgliedstaaten zu studieren. Eine Familienleistung müsste im Rahmen der Zuständigkeit Österreichs grundsätzlich nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 auch den Familien gewährt werden, die Studierende unterstützen, die nicht in Österreich studieren. Dies ist bei der Fahrpreisermäßigung allerdings ausgeschlossen. Daher würden österreichische Studierende, die ins Ausland gehen, und ihre Familien gegenüber denjenigen benachteiligt, die im Inland bleiben.

58.      Dass eine mit Familienleistungen verknüpfte Fahrpreisermäßigung zur Entlastung von Familien im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 nicht alle im Prinzip anspruchsberechtigten Familien erreichen kann, zeigt sich schließlich auch bei Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten. Sie, bzw. deren Eltern, könnten bei einem Studium in Österreich praktisch nicht in den Genuss dieser Entlastung kommen, selbst wenn auch ihre Heimatstaaten diese Form der Familienleistung gewählt hätten.

59.      Folglich ist die Verknüpfung der Fahrpreisermäßigung mit Familienbeihilfen formaler Natur. Sie kann nicht dazu führen, die Ermäßigung als Familienleistung anzuerkennen, die ausschließlich im Rahmen der Zuständigkeiten nach der Verordnung Nr. 1408/71 zu gewähren wäre.

60.      Außerdem steht die Benachteiligung von Studierenden, deren Eltern die österreichische Familienbeihilfe nicht erhalten, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben, außer Verhältnis zu der Entlastung von Familien durch eine so wenig zweckmäßige Leistung. Auch deshalb kann sie die mittelbare Benachteiligung dieser Studierenden nicht rechtfertigen.

b)      Zur Vergleichbarkeit

61.      Darüber hinaus vertritt Österreich die Auffassung, um eine Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit nachzuweisen, müsse die Kommission die Studienförderung und die steuerliche Berücksichtigung studierender Kinder in anderen Mitgliedstaaten einbeziehen. Bestimmte Mitgliedstaaten gewährten eine deutlich großzügigere Förderung als Österreich, die die Studierenden auch bei einem Studium in Österreich in Anspruch nehmen könnten. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass Studierende aus anderen Mitgliedstaaten finanziell besser in der Lage seien, die Lebenshaltungskosten in Österreich einschließlich der Fahrtkosten zu bestreiten als österreichische Studierende.

62.      Soweit dieses Vorbringen auf die Bedürftigkeit der Studierenden bzw. ihrer Familien abzielt, kann es nicht durchgreifen. Die Fahrpreisermäßigung und die österreichische Familienbeihilfe, mit der sie verknüpft ist, setzen nämlich nach Angaben Österreichs im Prinzip keine Bedürftigkeit voraus. Die Familienbeihilfe entfällt zwar, falls Studierende über eigenes Einkommen oberhalb bestimmter Schwellen verfügen. Die Bedürftigkeit der Familie wird aber bei der Gewährung der Familienbeihilfe und der Fahrpreisermäßigung nicht geprüft.(30)

63.      Falls es darum ginge, eine Doppelbegünstigung von Studierenden aus dem Ausland auszuschließen, wäre das gewählte Kriterium jedenfalls ungeeignet. Denn Österreich differenziert bei der Gewährung der Ermäßigung nicht danach, welche Leistungen Studierende aus anderen Mitgliedstaaten erhalten.

64.      Folglich kann die Verknüpfung der Ermäßigung mit der österreichischen Familienbeihilfe nicht damit gerechtfertigt werden, dass Studierende aus anderen Mitgliedstaaten möglicherweise großzügigere Förderungsleistungen aus ihrem Heimatstaat erhalten.

c)      Zu Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt

65.      Österreich beruft sich schließlich auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38. Nach dieser Bestimmung begründet die Gleichbehandlung Studierender aus anderen Mitgliedstaaten im Aufnahmestaat vor Erwerb des Daueraufenthaltsrechts keinen Anspruch auf Studienbeihilfen in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens.

66.      Österreich trägt vor, dass die Fahrpreisermäßigung eine Studienbeihilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 sei, weil sie eine Leistung an Studierende sei. Die Ermäßigung wäre als Stipendium einzuordnen, da sie nicht zurückzuzahlen ist.

67.      Dieser Auffassung ist zuzugeben, dass die Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 zugrunde liegenden Wertungen des Gesetzgebers, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 24 Abs. 1 gegeben sind,(31) auch eine Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 18 AEUV rechtfertigen können.(32)

68.      Und es wäre vorstellbar, den Begriff der Studienbeihilfe weit in dem Sinne zu verstehen, dass er jede Leistung an Studierende einschließt. Wie jedoch die Kommission zutreffend betont, hat sich der Gesetzgeber bei der Annahme von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dafür entschieden, nur für Studienbeihilfen in der Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens eine Abweichung von dem Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 24 Abs. 1 zuzulassen. Dies muss auch gelten, soweit Art. 24 Abs. 2 bei der Anwendung von Art. 18 AEUV in Anspruch genommen wird.

69.      Es besteht auch kein Anlass, Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 weit auszulegen. Im Gegenteil, diese Bestimmung erlaubt eine Beschränkung des in Art. 18 AEUV, Art. 21 Abs. 2 der Charta der Grundrechte und Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 niedergelegten Rechts auf Gleichbehandlung. Jede Abweichung muss daher eng ausgelegt werden.

70.      Es würde aber den Begriff des „Stipendiums“ überdehnen, darunter auch Fahrpreisermäßigungen zu fassen. Dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 es in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Studiendarlehen nennt, zeigt dass der Gesetzgeber damit nicht jede beliebige Leistung an Studierende erfassen wollte, sondern Leistungen von einem gewissen Umfang, die darauf abzielen, die mit einer universitären Ausbildung verbundenen Kosten zu decken. Aus der Rechtsprechung ergibt sich darüber hinaus, dass eine Unterstützung im Hinblick auf Studiengebühren nicht als Studienbeihilfe nach Art. 24 Abs. 2 anzusehen ist. Denn für diese letztgenannte Unterstützung gilt das allgemeine Diskriminierungsverbot unabhängig von der bisherigen Dauer des Aufenthalts.(33) Daher ist der Begriff des Stipendiums eng auszulegen und nicht auf eine Fahrpreisermäßigung zu erstrecken.

71.      Im Übrigen ist anzumerken, dass der Zugang zu der Fahrpreisermäßigung nach österreichischem Recht nicht davon abhängig ist, ob die betreffenden Studierenden ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Studierende, die Anspruch auf Studienbeihilfen hätten, nicht in den Genuss der Fahrpreisermäßigung kommen.

d)      Zur notwendigen Integration in den Aufnahmestaat

72.      Der Vollständigkeit halber möchte ich noch kurz ein mögliches Verteidigungsvorbringen erwähnen, das Österreich allerdings nicht vorgetragen hat und auf das der Gerichtshof daher nicht eingehen sollte.

73.      Der Gerichtshof hat anerkannt, dass das Bestehen einer gewissen Verbindung zwischen der Gesellschaft des betroffenen Mitgliedstaats und dem Empfänger einer Leistung eine objektive Erwägung des Allgemeininteresses darzustellen vermag, die es rechtfertigen kann, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger möglicherweise durch die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung berührt wird.(34)

74.      Dieses Kriterium beruht auf der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten zwar aufgerufen sind, bei der Organisation und Anwendung ihres Sozialhilfesystems eine gewisse finanzielle Solidarität mit den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten zu zeigen, es jedem Mitgliedstaat aber freisteht, darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann.(35)

75.      Allerdings muss auch die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Eine Maßnahme ist dann verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung notwendig ist.(36) Insbesondere Voraussetzungen in Bezug auf den Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den Zwecken stehen, die mit der jeweiligen Regelung verfolgt werden.(37)

76.      Daher ist der notwendige Grad der Integration nicht für alle Leistungen einheitlich zu bestimmen, sondern es gilt, hinsichtlich des Umfangs der Leistungen zu unterscheiden. Während es verhältnismäßig ist, für ein Unterhaltsstipendium Studierender einen Aufenthalt von fünf Jahren vorauszusetzen,(38) sind nur geringere Voraussetzungen zulässig, wenn es um die Gewährung einer kostenlosen Autobahnvignette für Behinderte geht. Der Gerichtshof betonte insoweit die Verhältnismäßigkeit einer Regelung, die die kostenlose Zurverfügungstellung einer Jahresstraßenvignette Behinderten vorbehält, die ohne jede Mindestaufenthaltsdauer ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem betroffenen Mitgliedstaat haben, und dabei diejenigen einschließt, die sich aus beruflichen oder persönlichen Gründen regelmäßig in diesen Staat begeben.(39)

77.      Für den vorliegenden Fall ist daraus zu schließen, dass bereits die mit der Einschreibung bei einer österreichischen Universität nachgewiesene Integration ausreichen muss, um Studierenden einen Anspruch auf Gleichbehandlung hinsichtlich der Gewährung von Fahrpreisermäßigungen im öffentlichen Nahverkehr zu geben. Dieses Ergebnis bestätigt im Übrigen die Auslegung von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt, wonach der Zugang zu einer Fahrpreisermäßigung für Studierende kein Daueraufenthaltsrecht voraussetzt.(40)

78.      Ob Studierende, die einen Mitgliedgliedstaat nur punktuell besuchen, etwa zu touristischen Zwecken oder im Rahmen einer Exkursion, von derartigen Fahrpreisermäßigungen ausgeschlossen werden dürfen, muss vorliegend nicht entschieden werden.

e)      Zwischenergebnis

79.      Somit verletzt die streitgegenständliche Verknüpfung der Fahrpreisermäßigung mit der Gewährung von Familienleistungen Art. 18 AEUV.

2.      Zu Art. 24 der Richtlinie 2004/38 über die Freizügigkeit und den Aufenthalt

80.      Die Überlegungen zu Art. 18 AEUV gelten im Prinzip auch für Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38. Nach dieser Bestimmung genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund der Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.

81.      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie haben Studierende ein Aufenthaltsrecht, wenn sie über eine Krankenversicherung und ausreichende Mittel zum Lebensunterhalt verfügen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, halten Studierende sich aufgrund der Richtlinie in Österreich auf und genießen nach Art. 24 Abs. 1 die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats.

82.      Gleichwohl wird ihnen die Fahrpreisermäßigung verweigert, wenn ihre Eltern nicht die österreichische Familienbeihilfe beziehen. Nach den bisherigen Ausführungen liegt darin eine mittelbare Benachteiligung aufgrund der Staatsangehörigkeit, die auch nicht nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 gerechtfertigt ist.

83.      Somit wird auch Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 verletzt.

V –    Zu den Kosten

84.      Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag der Gegenpartei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Zwar ist die Kommission mit ihren Gründen weitgehend erfolgreich, doch ihr Klageantrag war viel weiter gefasst als diese Gründe. Daher sollten beide Parteien ihre eigenen Kosten tragen.

VI – Ergebnis

85.      Ich schlage dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.      Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 18 AEUV in Verbindung mit den Art. 20 und 21 AEUV verstoßen, dass studierende Unionsbürger, deren Eltern nicht die österreichische Familienbeihilfe bekommen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben, in den Ländern Wien, Oberösterreich, Burgenland und Steiermark sowie der Stadt Innsbruck nicht die gleichen Fahrpreisermäßigungen erhalten wie Studierende, für die eine österreichische Familienbeihilfe gewährt wird.

2.      Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 24 der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, verstoßen, dass Studierende, die die Anforderungen von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie erfüllen und deren Eltern nicht die österreichische Familienbeihilfe bekommen, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat leben, in den Ländern Wien, Oberösterreich, Burgenland und Steiermark sowie der Stadt Innsbruck nicht die gleichen Fahrpreisermäßigungen erhalten wie Studierende, für die eine österreichische Familienbeihilfe gewährt wird.

3.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.      Die Kommission und die Republik Österreich tragen ihre eigenen Kosten.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77).


3 – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. L 177, S. 1).


4 – Siehe zur Dienstleistungsfreiheit die Urteile vom 15. März 1994, Kommission/Spanien (C‑45/93, Slg. 1994, I‑911, Randnr. 10), und vom 16. Januar 2003, Kommission/Italien (C‑388/01, Slg. 2003, I‑721, Randnr. 28), sowie im Übrigen z. B. die Urteile vom 28. Juni 1978, Kenny (1/78, Slg. 1978, 1489, Randnr. 12), und vom 17. April 1986, Reed (59/85, Slg. 1986, 1283, Randnr. 29).


5 – Urteile vom 12. April 1994, Halliburton Services (C‑1/93, Slg. 1994, I‑1137, Randnr. 12), vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a. (C‑397/98 und C‑410/98, Slg. 2001, I‑1727, Randnr. 38), vom 21. Januar 2010, SGI (C‑311/08, Slg. 2010, I‑487, Randnr. 31), und vom 31. März 2011, Schröder (C‑450/09, Slg. 2011, I‑2497, Randnr. 28).


6 – Urteile vom 30. Mai 1989, Kommission/Griechenland (305/87, Slg. 1989, 1461, Randnrn. 13 f.), vom 29. April 1999, Royal Bank of Scotland (C‑311/97, Slg. 1999, I‑2651, Randnr. 20), und vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C‑97/09, Slg. 2010, I‑10465, Randnrn. 44 f.).


7 – Vgl. Urteile vom 6. Februar 2003, Stylianakis (C‑92/01, Slg. 2003, I‑1291, Randnrn. 18 ff.), vom 11. September 2007, Kommission/Deutschland (C‑318/05, Slg. 2007, I‑6957, Randnrn. 35 f.), vom 20. Mai 2010, Zanotti (C‑56/09, Slg. 2010, I‑4517, Randnrn. 24 f.), und vom 16. Dezember 2010, Josemans (C‑137/09, Slg. 2010, I‑13019, Randnr. 53).


8 – Urteile vom 26. Oktober 2006, Kommission/Portugal (C‑345/05, Slg. 2006, I‑10633, Randnr. 45), und vom 18. Januar 2007, Kommission/Schweden (C‑104/06, Slg. 2007, I‑671, Randnr. 37). Anders allerdings das Urteil vom 1. Dezember 2011, Kommission/Belgien (C‑250/08, Slg. 2011, I‑12341, Randnr. 30), das von der Spezialität der Kapitalverkehrsfreiheit gegenüber der Unionsbürgerschaft ausgeht.


9 – Siehe die in Fn. 8 zitierten Urteile Kommission/Portugal, Randnr. 37, und Kommission/Schweden, Randnr. 30, sowie die Urteile vom 20. Januar 2011, Kommission/Griechenland (C‑155/09, Slg. 2011, I‑65, Randnr. 60), und vom 1. Dezember 2011, Kommission/Ungarn (C‑253/09, Slg. 2011, I‑12391, Randnr. 86).


10 – Urteile vom 24. Mai 2007, Holböck (C‑157/05, Slg. 2007, I‑4051, Randnr. 22), SGI (zitiert in Fn. 5, Randnr. 25), und vom 15. September 2011, Halley u. a. (C‑132/10, Slg. 2011, I‑8353, Randnr. 17), sowie in diesem Sinne Urteile vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Randnrn. 31 bis 33), und vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz (C‑452/04, Slg. 2006, I‑9521, Randnrn. 34 und 44 bis 49).


11 – Urteile vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone (286/82 und 26/83, Slg. 1984, 377, Randnr. 10), vom 2. Februar 1989, Cowan (186/87, Slg. 1989, 195, Randnr. 15), vom 26. Oktober 1999, Eurowings Luftverkehr (C‑294/97, Slg. 1999, I‑7447, Randnr. 34), Zanotti (zitiert in Fn. 7, Randnr. 35), und vom 5. Juli 2012, SIAT (C‑318/10, Randnr. 19).


12 – Siehe zu Eintrittspreisen von Sehenswürdigkeiten die in Fn. 4 zitierten Urteile Kommission/Spanien und Kommission/Italien.


13 – Urteile vom 5. Oktober 1988, Steymann (196/87, Slg. 1988, 6159, Randnr. 17), und vom 17. Juni 1997, Sodemare u. a. (C‑70/95, Slg. 1997, I‑3395, Randnr. 38).


14 – Urteil Sodemare u. a., zitiert in Fn. 13.


15 – Urteil Zanotti (zitiert in Fn. 7, Randnr. 35).


16 – Urteil Kommission/Deutschland (zitiert in Fn. 7, Randnr. 72).


17 – Urteile vom 22. Dezember 2010, Yellow Cab Verkehrsbetrieb (C‑338/09, Slg. 2010, I‑13927, Randnr. 29), und vom 25. Januar 2011, Neukirchinger (C‑382/08, Slg. 2011, I‑139, Randnr. 22).


18 – Urteile vom 22. Mai 1985, Parlament/Rat (13/83, Slg. 1985, 1513, Randnr. 62), und Yellow Cab Verkehrsbetrieb (zitiert in Fn. 17, Randnr. 30).


19 – Urteile vom 4. April 1974, Kommission/Frankreich (167/73, Slg. 1974, 359, Randnr. 32), vom 30. April 1986, Asjes u. a. (209/84 bis 213/84, Slg. 1986, 1425, Randnr. 45), und Urteil Neukirchinger (zitiert in Fn. 17, Randnr. 21).


20 – Urteile Kommission/Frankreich (zitiert in Fn. 19, Randnr. 33) zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und Yellow Cab Verkehrsbetrieb (zitiert in Fn. 17, Randnr. 33) zur Niederlassungsfreiheit.


21 – Urteil Neukirchinger (zitiert in Fn. 17, Randnrn. 23 ff.).


22 – Illustrativ das Urteil vom 17. November 2011, Gaydarov (C‑430/10, Slg. 2011, I‑11637).


23 – Schlussanträge vom 20. Oktober 2009, Teixeira (C‑480/08, Slg. 2010, I‑1107, Nr. 122 und Fn. 101). Vgl. auch das Urteil vom 13. April 2010, Bressol u. a. (C‑73/08, Slg. 2010, I‑2735, Randnrn. 34 ff.).


24 – Urteil Bressol u. a. (zitiert in Fn. 23, Randnrn. 30 bis 33) und die dort angeführte Rechtsprechung.


25 – Urteil Bressol u. a. (zitiert in Fn. 23, Randnr. 41) und die dort angeführte Rechtsprechung.


26 – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1).


27 – Verordnung Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1).


28 – In diesem Sinne die Urteile vom 20. Mai 2008, Bosmann (C‑352/06, Slg. 2008, I‑3827, Randnr. 27), und vom 12. Juni 2012, Hudzinski (C‑611/10 und C‑612/10, Randnr. 44).


29 – Urteile vom 15. Juni 2010, Kommission/Spanien (C‑211/08, Slg. 2010, I‑5267, Randnr. 45), und vom 14. Oktober 2010, van Delft u. a. (C‑345/09, Slg. 2010, I‑9879, Randnr. 85).


30 – Randnr. 13 der Klagebeantwortung.


31 – Dazu nachfolgend, Nrn. 80 f.


32 – Vgl. das Urteil vom 18. November 2008, Förster (C‑158/07, Slg. 2008, I‑8507, Randnr. 55).


33 – Urteile vom 21. Juni 1988, Lair (39/86, Slg. 1988, 3161, Randnr. 16), und Brown (197/86, Slg. 1988, 3205, Randnr. 18), sowie vom 26. Februar 1992, Raulin (C‑357/89, Slg. 1992, I‑1027, Randnrn. 27 f.).


34 – Urteile vom 11. Juli 2002, DʼHoop (C‑224/98, Slg. 2002, I‑6191, Randnr. 38), und vom 1. Oktober 2009, Gottwald (C‑103/08, Slg. 2009, I‑9117, Randnr. 32).


35 – Urteile vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119, Randnr. 56), und Förster (zitiert in Fn. 32, Randnr. 48).


36 – Urteil Gottwald (zitiert in Fn. 34, Randnr. 33).


37 – Urteil Gottwald (zitiert in Fn. 34, Randnr. 38).


38 – Urteil Förster (zitiert in Fn. 32, Randnr. 60).


39 – Urteil Gottwald (zitiert in Fn. 34, Randnrn. 37 und 41).


40 – Siehe oben, Nr. 70.