Language of document : ECLI:EU:C:2010:128

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 9. März 20101(1)

Rechtssache C‑428/08

Monsanto Technology LLC

gegen

Cefetra BV u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank ‘s‑Gravenhage, Niederlande)

„Rechtlicher Schutz biotechnologischer Erfindungen – Richtlinie 98/44/EG – Patent für eine genetische Information“





1.        Der Gerichtshof hatte bisher wenig Gelegenheit, sich zu der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen zu äußern. Die vorliegende Rechtssache jedoch gibt ihm die Möglichkeit, einige wichtige Fragen zu klären, die den Schutz betreffen, der in der Union erteilten Patenten in diesem Rahmen gebührt und dessen Bedeutung heute gar nicht unterschätzt werden kann.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Das TRIPS-Übereinkommen

2.        Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums(2) (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) bestimmt in seinen Art. 27 und 30 Folgendes:

„Artikel 27

Patentfähige Gegenstände

(1)      Vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 ist vorzusehen, dass Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich sind, sowohl für Erzeugnisse als auch für Verfahren, vorausgesetzt, dass sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Vorbehaltlich des Artikels 65 Absatz 4, des Artikels 70 Absatz 8 und des Absatzes 3 dieses Artikels sind Patente erhältlich und können Patentrechte ausgeübt werden, ohne dass hinsichtlich des Ortes der Erfindung, des Gebiets der Technik oder danach, ob die Erzeugnisse eingeführt oder im Land hergestellt werden, diskriminiert werden darf.

(2)      Die Mitglieder können Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschließen, wenn die Verhinderung ihrer gewerblichen Verwertung innerhalb ihres Hoheitsgebiets zum Schutz der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten einschließlich des Schutzes des Lebens oder der Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen oder zur Vermeidung einer ernsten Schädigung der Umwelt notwendig ist, vorausgesetzt, dass ein solcher Ausschluss nicht nur deshalb vorgenommen wird, weil die Verwertung durch ihr Recht verboten ist.

(3)      Die Mitglieder können von der Patentierbarkeit auch ausschließen

a) diagnostische, therapeutische und chirurgische Verfahren für die Behandlung von Menschen oder Tieren;

b) Pflanzen und Tiere, mit Ausnahme von Mikroorganismen, und im Wesentlichen biologische Verfahren für die Züchtung von Pflanzen oder Tieren mit Ausnahme von nicht-biologischen und mikrobiologischen Verfahren. Die Mitglieder sehen jedoch den Schutz von Pflanzensorten entweder durch Patente oder durch ein wirksames System sui generis oder durch eine Kombination beider vor. Die Bestimmungen dieses Buchstabens werden vier Jahre nach dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens überprüft.“

„Artikel 30

Ausnahmen von den Rechten aus dem Patent

Die Mitglieder können begrenzte Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten aus einem Patent vorsehen, sofern solche Ausnahmen nicht unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung des Patents stehen und die berechtigten Interessen des Inhabers des Patents nicht unangemessen beeinträchtigen, wobei auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen sind.“

B –    Die Richtlinie 98/44/EG

3.        Die Richtlinie 98/44/EG(3) (im Folgenden auch: Richtlinie) enthält u. a. folgende Erwägungsgründe:

„…

(3)      Ein wirksamer und harmonisierter Schutz in allen Mitgliedstaaten ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Investitionen auf dem Gebiet der Biotechnologie fortgeführt und gefördert werden.

(5)      In den Rechtsvorschriften und Praktiken der verschiedenen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes biotechnologischer Erfindungen bestehen Unterschiede, die zu Handelsschranken führen und so das Funktionieren des Binnenmarkts behindern können.

(6)      Diese Unterschiede könnten sich dadurch noch vergrößern, daß die Mitgliedstaaten neue und unterschiedliche Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken einführen oder dass die Rechtsprechung der einzelnen Mitgliedstaaten sich unterschiedlich entwickelt.

(7)      Eine uneinheitliche Entwicklung der Rechtsvorschriften zum Schutz biotechnologischer Erfindungen in der Gemeinschaft könnte zusätzliche ungünstige Auswirkungen auf den Handel haben und damit zu Nachteilen bei der industriellen Entwicklung der betreffenden Erfindungen sowie zur Beeinträchtigung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts führen.

(8)      Der rechtliche Schutz biotechnologischer Erfindungen erfordert nicht die Einführung eines besonderen Rechts, das an die Stelle des nationalen Patentrechts tritt. Das nationale Patentrecht ist auch weiterhin die wesentliche Grundlage für den Rechtsschutz biotechnologischer Erfindungen; es muss jedoch in bestimmten Punkten angepasst oder ergänzt werden, um der Entwicklung der Technologie, die biologisches Material benutzt, aber gleichwohl die Voraussetzungen für die Patentierbarkeit erfüllt, angemessen Rechnung zu tragen.

(22)      Die Diskussion über die Patentierbarkeit von Sequenzen oder Teilsequenzen von Genen wird kontrovers geführt. Die Erteilung eines Patents für Erfindungen, die solche Sequenzen oder Teilsequenzen zum Gegenstand haben, unterliegt nach dieser Richtlinie denselben Patentierbarkeitskriterien der Neuheit, erfinderischen Tätigkeit und gewerblichen Anwendbarkeit wie alle anderen Bereiche der Technologie. Die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz muss in der eingereichten Patentanmeldung konkret beschrieben sein.

(23)      Ein einfacher DNA-Abschnitt ohne Angabe einer Funktion enthält keine Lehre zum technischen Handeln und stellt deshalb keine patentierbare Erfindung dar.

(24)      Das Kriterium der gewerblichen Anwendbarkeit setzt voraus, dass im Fall der Verwendung einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens zur Herstellung eines Proteins oder Teilproteins angegeben wird, welches Protein oder Teilprotein hergestellt wird und welche Funktion es hat.

…“

4.        Art. 1 der Richtlinie bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten schützen biotechnologische Erfindungen durch das nationale Patentrecht. Sie passen ihr nationales Patentrecht erforderlichenfalls an, um den Bestimmungen dieser Richtlinie Rechnung zu tragen.

(2)      Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus internationalen Übereinkommen, insbesondere aus dem TRIPS-Übereinkommen und dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt, werden von dieser Richtlinie nicht berührt.“

5.        Art. 5 der Richtlinie bestimmt:

„…

(3)      Die gewerbliche Anwendbarkeit einer Sequenz oder Teilsequenz eines Gens muss in der Patentanmeldung konkret beschrieben werden.“

6.        In Art. 9 der Richtlinie heißt es:

„Der Schutz, der durch ein Patent für ein Erzeugnis erteilt wird, das aus einer genetischen Information besteht oder sie enthält, erstreckt sich vorbehaltlich des Artikels 5 Absatz 1 auf jedes Material, in das dieses Erzeugnis Eingang findet und in dem die genetische Information enthalten ist und ihre Funktion erfüllt.“

C –    Nationales Recht

7.        Das niederländische Patentgesetz (Rijksoctrooiwet 1995, im Folgenden: ROW95) in der Fassung späterer Änderungen setzte Art. 9 der Richtlinie wie folgt um:

„Art. 53a

3      In Bezug auf ein Patent für ein Erzeugnis, das aus einer genetischen Information besteht oder eine solche enthält, erstreckt sich das ausschließliche Recht vorbehaltlich Art. 3 Abs. 1 Buchst. b auf jedes Material, in das dieses Erzeugnis Eingang findet und in dem die genetische Information enthalten ist und ihre Funktion erfüllt.“

II – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8.        Monsanto ist Inhaberin eines am 19. Juni 1996 erteilten europäischen Patents für eine Gensequenz, die eine Sojapflanze nach Einbau in deren DNA gegen Glyphosat resistent werden lässt, ein Herbizid, das ebenfalls von Monsanto hergestellt und unter der Bezeichnung „Roundup“ in den Verkehr gebracht wird.

9.        Die genetisch veränderte Sojapflanze (die sogenannte „RR-Sojabohne“, d. h. „Roundup-ready-Sojabohne“) wird weltweit in mehreren Ländern angebaut, nicht aber im Gebiet der Europäischen Union. Der Vorteil bei der Verwendung von genetisch verändertem Soja besteht für die Landwirte darin, dass sie das Herbizid Roundup für die Unkrautvernichtung verwenden können, ohne eine Schädigung des Sojaanbaus fürchten zu müssen.

10.      In Argentinien wird die RR-Sojabohne in großem Umfang angebaut und ist eine wichtige Ausfuhrware. Aus Gründen, die mit dem innerstaatlichen Recht zusammenhängen, hat Monsanto für die Gensequenz, die die in Frage stehende Pflanze kennzeichnet, in Argentinien jedoch kein Patent.

11.      Die im Ausgangsverfahren beklagten Gesellschaften führten 2005 und 2006 mehrere Ladungen Sojamehl aus Argentinien ein. Die Untersuchung der auf Antrag von Monsanto entnommenen Proben des Sojamehls ergab DNA-Spuren, die charakteristisch für die RR-Sojabohne sind. Es steht daher fest, dass das eingeführte Sojamehl, das im Hafen von Amsterdam entladen wurde und zur Herstellung von Tierfutter bestimmt war, in Argentinien unter Verwendung des genetisch veränderten Soja hergestellt worden war, für das Monsanto ein europäisches Patent besitzt.

12.      Monsanto verklagte die einführenden Gesellschaften beim vorlegenden Gericht wegen Patentverletzung.

13.      Das vorlegende Gericht hält zur Entscheidung des Rechtsstreits die Auslegung der Richtlinie für erforderlich und hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 9 der Richtlinie so aufzufassen, dass eine Berufung auf den in diesem Artikel vorgesehenen Schutz auch in einer Situation wie im vorliegenden Verfahren möglich ist, bei der das Erzeugnis (die DNA-Sequenz) Teil eines Materials (Sojamehl) ist und seine Funktion zum Zeitpunkt der geltend gemachten Verletzung nicht erfüllt, jedoch (in der Sojapflanze) erfüllt hat oder möglicherweise, nachdem das Material isoliert und in die Zelle eines Organismus eingebracht worden ist, seine Funktion erneut erfüllen kann?

2.      Ausgehend vom Vorhandensein der im Patentanspruch 6 des Patents beschriebenen DNA-Sequenz in dem von Cefetra und ACTI in die Gemeinschaft eingeführten Sojamehl und ausgehend davon, dass die DNA im Sinne von Art. 9 der Richtlinie in Sojamehl Eingang gefunden hat und dass sie darin ihre Funktion nicht erfüllt: Verbietet in diesem Fall der durch diese Richtlinie vorgeschriebene Schutz eines Patents für biologisches Material, insbesondere Art. 9, dass das nationale Patentrecht (daneben) dem Erzeugnis (der DNA) als solchem absoluten Schutz gewährt, ungeachtet dessen, ob diese DNA ihre Funktion erfüllt, und ist der Schutz des Art. 9 der Richtlinie somit erschöpfend zu betrachten?

3.      Ist es für die Beantwortung der vorhergehenden Frage von Bedeutung, dass das Patent beantragt und erteilt worden ist (am 19. Juni 1996), bevor die Richtlinie erlassen wurde?

4.      Kann der Gerichtshof bei der Beantwortung der vorstehenden Fragen das TRIPS-Übereinkommen einbeziehen, insbesondere die Art. 27 und 30?

III – Vorbemerkungen

14.      Wie aus der kurzen Zusammenfassung des Sachverhalts ersichtlich, geht Monsanto im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ausschließlich gegen die Importeure von Sojamehl aus Argentinien vor. Der Grund dafür ist, dass Monsanto, wie sie selbst einräumt, in Argentinien für die RR-Sojabohne keinen Patentschutz genießt. Im Gegensatz zu Argentinien erhält Monsanto in anderen Soja erzeugenden Ländern, wie z. B. Brasilien, aufgrund des Patentschutzes oder aufgrund von Vereinbarungen mit den Landwirten eine Vergütung für die Nutzung ihrer Erfindung.

15.      Zu bemerken ist jedoch, dass die Entscheidung, die Klagen im Gebiet der Union nur auf die aus Argentinien stammenden Erzeugnisse zu beschränken, eine rein kaufmännische Entscheidung von Monsanto ist. Sollte nämlich der Gerichtshof feststellen, dass Monsanto im Gebiet der Europäischen Union Rechte bezüglich des aus Argentinien stammenden Sojamehls geltend machen kann, so könnte Monsanto nichts davon abhalten, später entsprechende Rechte bezüglich des aus anderen Ländern stammenden Sojamehls geltend zu machen. Der Grundsatz der Erschöpfung findet nämlich nur nach dem ersten Verbringen der Ware in das Gebiet der Union mit Zustimmung des Patentinhabers Anwendung(4).

16.      Die Auslegung des Gerichtshofs wird daher allgemein auf alle Fälle Anwendung finden, in denen ein Erzeugnis in das Gebiet der Union eingeführt wird, das aus der in einem Drittstaat erfolgten Verarbeitung einer gentechnisch veränderten Pflanze hervorgeht, für die ein im Gebiet der Europäischen Union geltendes Patentrecht besteht.

IV – Zur ersten Vorlagefrage

A –    Vorbemerkungen

17.      Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens Art. 9 der Richtlinie die Position von Monsanto auch dann schützt, wenn die Gensequenz ihre Funktion gegenwärtig nicht erfüllt, sie aber in der Vergangenheit erfüllt hat oder zukünftig erfüllen kann.

18.      Zunächst könnte die Frage dahin verstanden werden, dass sie sich auf die bloße Frage der Zeitform beschränkt, die in Art. 9 der Richtlinie verwendet wird, wo es, wie dargelegt, heißt, dass der beschriebene Schutz nur gewährt wird, wenn die genetische Information „ihre Funktion erfüllt“. In diesem Fall könnte sich die Antwort auf den Hinweis beschränken, dass die Rechtsvorschrift das Präsenz benutzt, so dass der Umstand, dass die patentierte Gensequenz ihre Funktion in der Vergangenheit erfüllt hat oder zukünftig erfüllen wird, völlig unerheblich ist(5). Für die Anwendung des Art. 9 der Richtlinie ist der einzelne Zeitpunkt getrennt zu betrachten. Nur wenn die Funktion „gegenwärtig“ erfüllt wird, ist die genannte Bestimmung anwendbar. Wird die Funktion nicht ausgeübt, kann ein Verstoß gegen Art. 9 der Richtlinie nicht vorliegen. Sollte die Gensequenz die Funktion wieder erfüllen, käme der Schutz des Art. 9 natürlich erneut zum Zuge.

19.      In diese Richtung gehen die Antworten auf die erste Vorlagefrage, die die einzelnen Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, mit Ausnahme von Monsanto vorgeschlagen haben. Und in diese Richtung geht auch mein Vorschlag für eine Antwort an das vorlegende Gericht, wenn sich der Gerichtshof mit der Frage in der von mir dargelegten eingeschränkten Form befassen sollte.

20.      Meines Erachtens wäre es jedoch fehlerhaft, die Frage so zu verstehen, als habe sie diesen beschränkten Umfang. Eine angemessene Antwort an das vorlegende Gericht erfordert, dass Art. 9 im Kontext der gesamten Richtlinie und des Schutzes ausgelegt wird, den die Richtlinie den Patenten für biotechnologische Erfindungen gewährt. Es darf auch nicht übersehen werden, dass Monsanto in ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung darauf bestanden hat, dass sich der ihr zustehende Patentschutz nicht aus Art. 9 der Richtlinie, sondern aus dem „klassischen“ Schutz herleite, der nach Maßgabe des traditionellen Patentrechts und der Richtlinie der Gensequenz als solcher zu gewähren sei. Mit anderen Worten richtet sich nach Auffassung von Monsanto ihr Patentanspruch, der vor den Gerichten der Niederlande anhängig ist, auf die DNA-Sequenz als chemische Substanz. Monsanto trägt vor, im Hinblick auf das Mehl keinen Anspruch zu verfolgen. Sie erklärt, es hätte für sie keinen Grund gegeben, die einführenden Gesellschaften zu verklagen, wenn die DNA-Sequenz im Mehl nicht mehr enthalten gewesen wäre.

B –    Zum funktionsgebundenen Patentschutz

21.      Die eigentliche Frage, die sich für eine vollständige Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts stellt, ist somit, ob es in einem Fall wie dem vorliegenden einen klassischen Patentschutz für die genetische Information als solche gibt. Es ist daher zu prüfen, ob die genetische Information als chemische Verbindung geschützt ist, auch wenn sie sich als eine Art „Rückstand“ im Innern eines Erzeugnisses befindet, das aus der Verarbeitung des biologischen Erzeugnisses hervorging (im vorliegenden Fall der Sojapflanze), in dem die Sequenz ihre Funktion erfüllt hatte.

22.      Es liegt nahe, die Frage als unerheblich zu betrachten und davon auszugehen, dass Streitgegenstand im vorliegenden Fall lediglich das Mehl ist, nicht aber die DNA, die Eingang in das Mehl gefunden hat. Diese Lösung scheint mir jedoch nicht befriedigend zu sein: Vom physischen Standpunkt her nämlich besteht kein Zweifel daran, dass die DNA, die Gegenstand des Patents ist, im Mehl festgestellt werden kann und dass auch sie tatsächlich Gegenstand einer Einfuhr in das Gebiet der Union gewesen ist.

23.      Mit Ausnahme von Monsanto und der italienischen Regierung haben die übrigen Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, zu dieser besonderen Frage keine Stellung genommen, auch nicht, nachdem sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hierzu aufgefordert worden waren. Ihre Aufmerksamkeit galt ausschließlich dem Mehl.

24.      Monsanto ist, wie dargelegt, der Ansicht, dass unabhängig vom etwaigen Schutz des Mehls (den Monsanto nicht geltend macht) der Patentschutz die DNA-Sequenz als solche erfasse. Der Schutz leite sich nicht aus Art. 9 der Richtlinie, sondern aus den allgemeinen Vorschriften der Richtlinie ab, die das gewöhnliche Patentrecht unberührt ließen. Art. 9 habe nur die Aufgabe, den grundlegenden Schutz unter bestimmten Umständen zu erweitern. Unabhängig von der Frage, ob Art. 9 anwendbar sei, entfalte der grundlegende Schutz jedoch weiter seine Wirkungen zugunsten der DNA-Sequenz als solcher.

25.      Die italienische Regierung ist hingegen der Ansicht, dass der klassische Patentschutz in dem Augenblick zurücktrete, in dem eine DNA-Sequenz in ein anderes Material Eingang finde, und dass der Schutz nach Art. 9, falls insoweit die Voraussetzungen vorlägen, nur Geltung für die „aufnehmenden“ Erzeugnisse habe.

26.      Auch wenn diese These der italienischen Regierung nicht uninteressant ist, kann ich ihr dennoch nicht folgen. Die Richtlinie tritt nämlich ganz allgemein neben das bereits bestehende Patentrecht, vgl. in diesem Sinne z. B. die achte Begründungserwägung. Zwar sieht die Richtlinie in Art. 1 die Möglichkeit vor, das nationale Patentrecht zu ändern, um es in Einklang mit den spezifischen Bestimmungen der einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften zu bringen. Für die Auslegung der italienischen Regierung findet sich jedoch im Wortlaut keine Stütze. Es darf nicht übersehen werden, dass nach dem normalen Patentrecht der Umstand, dass eine Erfindung Eingang in ein anderes Erzeugnis findet, den ihr zuerkannten Schutz ganz allgemein nicht zurücktreten lässt.

27.      Es steht meines Erachtens außer Frage, dass Art. 9 der Richtlinie eine Vorschrift des erweiterten Patentschutzes ist. Der Artikel geht daher von der Prämisse aus, dass die patentierte DNA als solche geschützt ist, und erweitert den der DNA gewährten Schutz in bestimmten Fällen auch auf das „Material“, in dem die Gensequenz enthalten ist, vorausgesetzt, diese erfüllt ihre Funktion. Da im Sojamehl die patentierte Gensequenz unstreitig keine Funktion erfüllt, weil sie nur einen Rückstand darstellt, ist im vorliegenden Fall eine Berufung auf den von Art. 9 garantierten zusätzlichen Schutz nicht möglich.

28.      Es bleibt jedoch zu klären, ob, wie Monsanto behauptet, im vorliegenden Fall die Gensequenz als solche nach den allgemeinen Bestimmungen des Patentrechts geschützt wird. Das besondere Problem, dass es zu lösen gilt, besteht darin, festzustellen, wann eine patentierte DNA-Sequenz als selbständiges Erzeugnis geschützt wird.

29.      Nach Wortlaut und Zweck der Richtlinie ist meines Erachtens eine Gensequenz – auch als selbständiges Erzeugnis – nur geschützt, wenn sie die Funktion erfüllt, für die das Patent erteilt wurde. Mit anderen Worten, die Richtlinie erlaubt – und verlangt sogar – eine Auslegung, wonach im Gebiet der Union der den Gensequenzen gewährte Schutz ein sogenannter „funktionsgebundener“ Schutz („purpose-bound“) ist. Obwohl die Richtlinie nicht ausdrücklich darauf hinweist, dass der den Gensequenzen einzuräumende Schutz dieser Art sein muss, sprechen doch zahlreiche Gesichtspunkte, die sich aus dem komplexen Patentsystem im biotechnologischen Bereich ergeben, für diese Auslegung.

30.      Erstens betonen mehrere Bestimmungen der Richtlinie das Erfordernis, dass, um ein Patent für eine Gensequenz erhalten zu können, die von der Sequenz erfüllte spezifische Funktion anzugeben ist, vgl. in diesem Sinne die Erwägungsgründe 22, 23 und 24 sowie Art. 5 Abs. 3. Zwar handelt es sich um Bestimmungen, die den Bereich der Patentierbarkeit, nicht aber den Schutzbereich des patentierten Erzeugnisses betreffen. Sie sind jedoch Hinweise mit einem gewissen Gewicht, die belegen, dass aus der Sicht des Gesetzgebers der Union eine Gensequenz im Patentrecht keine Bedeutung hat, wenn die Funktion, die sie erfüllt, nicht angegeben wird.

31.      Die große Bedeutung, die die Richtlinie der von der Gensequenz erfüllten Funktion beimisst, dient natürlich dem Zweck, zwischen „Entdeckung“ und „Erfindung“ unterscheiden zu können. Die Bestimmung einer Gensequenz ohne Angabe einer Funktion stellt eine bloße Entdeckung dar, die als solche nicht patentierbar ist. Umgekehrt macht die Angabe einer Funktion, die die Sequenz erfüllt, diese zu einer Erfindung, der somit der Patentschutz zugutekommen kann. Die Auslegung, wonach einer Gensequenz der „klassische“ Patentschutz zugutekäme, der sich also auf alle möglichen Funktionen dieser Sequenz erstrecken würde, auch auf die zum Zeitpunkt der Patentanmeldung nicht bekannten, liefe darauf hinaus, ein Patent für Funktionen einzuräumen, die zu dem Zeitpunkt, zu dem das Patent angemeldet wurde, noch unbekannt waren. Mit anderen Worten, es würde die Anmeldung eines Patents für eine einzelne Funktion einer Gensequenz genügen, um Schutz für alle anderen möglichen Funktionen dieser Sequenz zu erlangen. Meines Erachtens würde dies im Ergebnis darauf hinauslaufen, im Widerspruch zu den Grundprinzipien des Patentrechts praktisch die Patentierbarkeit einer bloßen Entdeckung zuzulassen.

32.      Es darf auch nicht vergessen werden, dass ein Patent grundsätzlich auf einem echten Austauschverhältnis beruht. Zum einen veröffentlicht der Erfinder seine Erfindung und gestattet damit der Gesellschaft, sie zu nutzen. Als Gegenleistung erhält er für einen begrenzten Zeitraum ein ausschließliches Recht an dieser Erfindung. Würde man einen absoluten Schutz für eine Erfindung gewähren, die aus einer Gensequenz besteht, und somit dem Inhaber eines für diese bestehenden Patents ein absolutes Recht einräumen, das sich auf alle möglichen Nutzungen der Sequenz erstreckte, einschließlich derjenigen, die im Zeitpunkt der Patentanmeldung nicht angegeben und nicht bekannt waren, so würde man gegen dieses Grundprinzip verstoßen, weil man dem Patentinhaber einen unverhältnismäßigen Schutz einräumen würde.

33.      Es ist auch darauf hinzuweisen, dass, folgte man der Auffassung von Monsanto, Art. 9 der Richtlinie seine praktische Wirksamkeit als Bestimmung eines erweiterten Patentschutzes verlieren würde. Würde nämlich die Sequenz als solche Schutz genießen, auch wenn sie ihre Funktion nicht erfüllt, so wäre schwer zu erkennen, weshalb Art. 9 den erweiterten Schutz davon abhängig machen sollte, dass die Sequenz ihre Funktion erfüllt. Unabhängig von dieser Voraussetzung nämlich wäre der Schutz ohnehin allein durch das Vorhandensein der Sequenz gewährleistet, wie im vorliegenden Fall. Der Umstand, dass sich Monsanto auf den Schutz für die Sequenz, nicht aber auf den für das Mehl beruft, ändert nichts daran, dass der Schutz seine Wirkungen konkret auch in Bezug auf das Mehl entfaltet.

34.      Die Auslegung, die Monsanto vorgetragen hat, würde darauf hinauslaufen, dass dem Inhaber eines biotechnologischen Patents ein zu weit gehender Schutz eingeräumt würde. Wie mehrere Beteiligte sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, lässt sich unmöglich sagen, bis zu welchem Zeitpunkt und bis zu welchem Punkt in der Nahrungsmittelkette und der Folgeerzeugnisse Spuren der ursprünglichen DNA der gentechnisch veränderten Pflanze noch erkennbar sind. Es handelt sich offensichtlich um Sequenzen, die keine Funktion mehr erfüllen, deren Vorhandensein aber eine unbestimmte Zahl von Folgeerzeugnissen der Kontrolle derjenigen Person unterwerfen würde, die die Gensequenz einer Pflanze patentiert hat. Sollten, wie die argentinische Regierung mit einer Begründung ausführt, die nur zum Teil paradox ist, im Magen eines Rinds aufgrund der Fütterung des Tiers mit Folgeerzeugnissen der gentechnisch veränderten Pflanze Spuren der Sequenz zu finden sein, könnte auch die Einfuhr des betreffenden Rinds als eine Verletzung des Rechts des Patentinhabers angesehen werden(6).

35.      Zweifellos ist das Fehlen von Schutz für die Erfindung von Monsanto in Argentinien ungerecht. Ebenso jedoch – und zwar unabhängig von den Gründen für dieses Fehlen – scheint mir, dass Monsanto mit seinem Vorgehen versucht, sich einer Rechtsordnung (der der Union) zu bedienen, um die in einer anderen Rechtsordnung (der argentinischen) aufgetretenen Probleme zu lösen. Dies wäre jedoch unzulässig. Der Umstand, dass Monsanto in Argentinien keine angemessene Vergütung für ihr Patent erzielen kann, kann nicht dadurch korrigiert werden, dass Monsanto in der Europäischen Union einen erweiterten Schutz erhält.

36.      Der funktionsgebundene Schutz stellt bekanntlich keine absolute Neuheit auf dem Gebiet der Biotechnologie dar. Insbesondere haben sich auf dem Gebiet, das die Richtlinie regelt, der französische und der deutsche Gesetzgeber für einen derartigen Schutz entschieden, wenn auch in Bezug auf die Gensequenzen bezüglich des menschlichen Körpers(7). Auch das Europäische Parlament fasste eine Erschließung, in der es bezüglich der Patente für menschliche DNA einen funktionsgebundenen Schutz befürwortete(8). Auf dem Gebiet der Patente für Chemikalien wird ferner nach geltender Praxis die Patentierbarkeit einer neuen Nutzung eines bereits für andere Nutzungen patentierten Stoffes anerkannt(9).

37.      An diesem Punkt ist eine Klarstellung erforderlich. Wird der Patentschutz für die Gensequenzen nach dem Muster des funktionsgebundenen Schutzes auf die Funktionen beschränkt, für die das Patent erteilt wurde, so bedeutet dies nicht, dass der Schutz auf die Fälle beschränkt wird, in denen das patentierte Gen „eingeschaltet“ ist. Vom biologischen Standpunkt aus nämlich gibt es Gene, die nur unter besonderen Umständen aktiv („eingeschaltet“) sind: Wie sich in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, ist es z. B. möglich, dass ein Gen, das einer Pflanze besondere Widerstandskraft gegen Trockenheit verleiht, sich nur bei Trockenheit aktiviert („sich einschaltet“). Es ist klar, dass nach der Richtlinie der Umstand, dass das Gen im Sinne von Art. 9 „eine Funktion erfüllt“, nicht bedeutet, dass es „eingeschaltet“ ist. Nach der Richtlinie „erfüllt“ eine genetische Information „ihre Funktion“, wenn sie i) sich in einem lebenden Material befindet, dem sie angehört, ii) bei der Reproduktion des lebenden Materials übertragen wird und iii) ständig oder unter bestimmten Umständen die Funktion ausübt, für die sie patentiert wurde.

38.      Im Übrigen ist die in der vorstehenden Nummer dargelegte Spezifizierung im vorliegenden Fall ohnehin unerheblich, da unstreitig die betreffende Gensequenz in der RR-Sojabohnenpflanze ständig „eingeschaltet“ ist.

C –    Zum Rückstandscharakter der im Mehl enthaltenen DNA

39.      Als eine Alternative zu der Lösung, die ich in den vorstehenden Nummern dargelegt habe, kommt die Annahme in Betracht, dass im Sojamehl die DNA, die Gegenstand des Patents ist, ein bloßer Rückstand ist, der in Spuren vorhanden ist und somit nicht schutzbedürftig ist. Aus dieser Sicht hätte die Klage von Monsanto in Wirklichkeit das Mehl zum Gegenstand, nicht aber die Gensequenz. Der „klassische“ Schutz der Sequenz als solcher, auf den sich Monsanto beruft, wäre nur ein Vorwand.

40.      Diese Lösung wäre jedoch nicht praktikabel. In der Richtlinie gibt es keine „De-minimis“-Bestimmung, die den Schutz für Gensequenzen, die nur in unterschiedlichen (und/oder stark reduzierten) Mengen in einem aus biologischem Material hergestellten Erzeugnis vorhanden sind, beschränkt oder ausschließt(10). Mit anderen Worten, die Entscheidung für eine solche Auslegung liefe darauf hinaus, ein quantitatives Beurteilungskriterium einzuführen (welches wäre der Schwellenwert?), das es in der Richtlinie nicht gibt und das letztlich die Gefahr einer wachsenden Unsicherheit mit sich brächte. Die Beschränkung des Schutzes der Gensequenzen auf den Zweck, für den sie patentiert wurden, ist meines Erachtens in jeder Hinsicht als Lösung vorzuziehen.

D –    Beantwortung der ersten Vorlagefrage

41.      Demzufolge schlage ich dem Gerichtshof im Anschluss an meine Untersuchung der ersten Vorlagefrage vor, diese dahin zu beantworten, dass nach dem System der Richtlinie der Schutz, der einem Patent für eine Gensequenz garantiert wird, auf die Fälle beschränkt ist, in denen die genetische Information gegenwärtig die im Patent beschriebenen Funktionen erfüllt. Dies gilt sowohl für den Schutz der Sequenz als solcher als auch für den Schutz des Materials, in dem sie enthalten ist.

V –    Zur zweiten Vorlagefrage

42.      Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die für biotechnologische Erfindungen einen Schutz bietet, der über den der Richtlinie hinausgeht.

43.      Mit anderen Worten ist zu prüfen, ob die Richtlinie für die Patente im biotechnologischen Bereich eine abschließende Regelung oder Mindestregelung enthält. Im ersten Fall wäre eine nationale Rechtsvorschrift, die einen Schutz gewähren würde, der über den der Richtlinie hinausginge, rechtswidrig, während sie im zweiten Fall zulässig sein könnte.

44.      Der Frage liegt natürlich als Prämisse zugrunde, dass die nationale Regelung dem Patentinhaber einen Schutz gewährt, der tatsächlich weiter ist als der von der Richtlinie vorgegebene. Es handelt sich um einen Aspekt, den das nationale Gericht zu prüfen hat. Daher muss diese Prämisse hier akzeptiert werden, obwohl im vorliegenden Fall die niederländische Rechtsvorschrift mit der Richtlinie – auch im Hinblick auf die sprachliche Formulierung – offensichtlich identisch ist und folglich schwer zu erkennen ist, inwiefern ein weiter gehender Schutz vorliegen soll.

45.      Auch in Bezug auf die zweite Frage steht Monsanto gegenüber den übrigen Beteiligten, die Erklärungen abgegeben haben, allein da. Während nämlich Monsanto ausführt, die Richtlinie könne nicht in jedem Fall die Freiheit des nationalen Gesetzgebers in dem hier relevanten speziellen Punkt beschneiden, neigen alle anderen Beteiligten dazu, der Richtlinie den Charakter einer abschließenden Regelung zuzuweisen.

46.      Zunächst ist in einer Vorbemerkung darauf hinzuweisen, dass die in der Richtlinie enthaltene Regelung über die Patente im biotechnologischen Bereich ganz offensichtlich unvollständig ist. Es gibt verschiedene Aspekte des Gebiets, die dem nationalen Gesetzgeber überlassen bleiben. Im Übrigen ist insofern auch die achte Begründungserwägung eindeutig, die die Rolle (und die zentrale Stellung) des nationalen Rechts betont.

47.      Der Umstand, dass die Regelung nicht vollständig ist, bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht erschöpfend ist. Es ist nämlich sehr wohl möglich, dass sich eine Rechtsvorschrift der Union nicht mit allen Aspekten eines bestimmten Sektors befasst, jedoch auf den von ihr erfassten Gebieten eine erschöpfende Regelung darstellt. In diesem Fall wäre die Freiheit der nationalen Gesetzgeber allein auf die Bereiche beschränkt, in denen der Gesetzgeber der Union nicht tätig geworden ist(11).

48.      Die Situation bezüglich der Patente im biotechnologischen Bereich entspricht daher genau dem vorstehend beschriebenen Fall. Die in der Richtlinie enthaltene Regelung ist nicht vollständig, muss jedoch als erschöpfend auf den von ihr erfassten Gebieten angesehen werden, was zur Folge hat, dass eine nationale Rechtsvorschrift in diesen Gebieten kein höheres Schutzniveau für die Patente vorsehen kann als das der Richtlinie.

49.      Die Gründe für diese Auslegung sind zahlreich.

50.      Zum einen ist das Hauptziel der Richtlinie die Förderung des Marktes und des Wettbewerbs, unbeschadet der Wahrung und des Schutzes der Investitionen der Patentinhaber. Dies ergibt sich sowohl aus der Rechtsgrundlage der Richtlinie (damals Art. 100a des Vertrags, der dem jetzigen Art. 114 AEUV entspricht), als auch aus der Richtlinie selbst (vgl. z. B. fünfte Begründungserwägung). Es versteht sich, dass es diesem Ziel zuwiderlaufen könnte, würde man dem Patentinhaber besonders weitgehende Rechte einräumen, denn ein Patent stellt per definitionem eine Beschränkung der wirtschaftlichen Freiheit dar(12).

51.      Ferner zeigt der Wortlaut mehrerer Erwägungsgründe der Richtlinie (insbesondere der Erwägungsgründe 3, 5, 6 und 7) deutlich, dass die Hauptsorge des Gesetzgebers nicht so sehr dahin ging, den Schutz der biotechnologischen Erfindungen zu verstärken, als zu verhindern, dass die bestehenden einschlägigen Unterschiede in den Rechtsvorschriften den Handelsverkehr innerhalb der Union negativ beeinflussen könnten. Es liegt auf der Hand, dass die Auslegung der Richtlinie als eine Mindestharmonisierungsregel mit der sich daraus ergebenden Möglichkeit, dass zwischen den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede in den Rechtsvorschriften bestehen, diesem grundlegenden Ziel zuwiderlaufen würde. Die Existenz unterschiedlicher Schutzniveaus innerhalb der Union für ein und dasselbe Patent wäre für die Patentinhaber letztlich ein Nachteil und eine Quelle der Unsicherheit.

52.      Außerdem enthält die Richtlinie keinen ausdrücklichen Hinweis, der den Schluss zuließe, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen ist, einen weiter gehenden Schutz als den von der Richtlinie vorgesehenen einzuräumen. In den Normen der Mindestharmonisierung ist oftmals eine derartige Klausel enthalten, wie vor allem die Regierung des Vereinigten Königreichs in ihren schriftlichen Erklärungen zutreffend ausgeführt hat(13).

53.      Im Übrigen sollen die Richtlinien, die eine Mindestharmonisierung vorschrieben, typischerweise einen Schutz gewährleisten, der zuvor nicht existierte. Hier dagegen lag das Problem, das der Gesetzgeber lösen oder zumindest abmildern wollte, in den Unterschieden, die zwischen den einschlägigen nationalen Rechtsordnungen bestanden(14).

54.      Ich möchte darüber hinaus abschließend einen wichtigen Aspekt hervorheben. Allgemein ist im Patentrecht der Gedanke einer Mindestharmonisierung in der Praxis kaum umsetzbar. In der Regel nämlich werden die Mindestharmonisierungsvorschriften in Zusammenhängen erlassen, in denen bestimmte Personen im Verhältnis zu anderen eindeutig schwächer oder unterlegen sind. Als typische Beispiele sind die bereits erwähnten Fälle vorstellbar, in denen Verbraucher Verträge im Fernabsatz schließen oder Arbeitnehmer von Massenentlassungen betroffen sind(15). In diesen Fällen ist klar, in welche Richtung der eventuell weiter gehende Schutz gehen könnte: Er könnte nur zugunsten der Schwächeren bestehen.

55.      Im Patentrecht dagegen fehlt es an dieser Eindeutigkeit. Der „Tauschcharakter“ des Patents, nämlich der eines ausschließlichen Rechts, das als Gegenleistung für die Offenlegung von Informationen und Wissen seitens des Erfinders eingeräumt wird, bewirkt, dass es niemanden gibt, der „schwächer“ oder „schutzwürdiger“ ist. Das Patent ist per definitionem ein Rechtsinstrument, das den Ausgleich zwischen zwei widerstreitenden Interessen erreichen soll, nämlich zwischen dem Interesse an der Offenlegung und am Fortschritt der Erkenntnis einerseits und dem an der Förderung der Investitionen und der Kreativität andererseits. Es steht daher überhaupt nicht fest, in welche Richtung die nationale Regelung mit einem „weiter gehenden Schutz“ gehen könnte, wenn die Richtlinie dahin zu verstehen sein sollte, dass sie einen Mindestschutz bezweckt, nämlich, ob sie den Patentinhaber oder den freien Austausch der Ideen (oder der Waren) begünstigen würde.

56.      Alles in allem schlage ich dem Gerichtshof vor, die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass die Richtlinie auf den von ihr erfassten Gebieten eine abschließende Regelung des Schutzes darstellt, der im Gebiet der Union einer biotechnologischen Erfindung eingeräumt wird. Sie steht daher einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die den biotechnologischen Erfindungen einen weiter gehenden Schutz als den in der Richtlinie vorgesehenen einräumt.

VI – Zur dritten Vorlagefrage

57.      Mit der dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, wie ein Patent, das vor Inkrafttreten der Richtlinie erteilt wurde und durch einen weiter gehenden Schutz als den von der Richtlinie vorgesehenen gekennzeichnet ist, nach Inkrafttreten der Richtlinie zu behandeln ist.

58.      Auch in diesem Fall vertritt nur Monsanto die Auffassung, dass der Zeitpunkt der Patenterteilung für die Festlegung des Schutzbereichs relevant sein könne. Dies erfolgt im Rahmen einer Argumentation, die hilfsweise für den Fall vorgetragen wird, dass der Gerichtshof der Auffassung von Monsanto zu den vorhergehenden Fragen nicht folgen sollte.

59.      Die Beantwortung der Frage bedarf zweier Vorbemerkungen.

60.      Erstens ist wie bei der zweiten Frage, auch wenn dies nicht deutlich ausgewiesen ist, davon auszugehen, dass das Patent zum Zeitpunkt seiner Erteilung tatsächlich eine Tragweite hatte, die weiter als die nach der Auslegung der Richtlinie war.

61.      Zweitens ist die Frage, auch wenn sie eher allgemein gefasst ist, im Kontext des spezifischen nationalen Verfahrens zu verstehen, das vor dem vorlegenden Gericht anhängig ist. Sie ist mit anderen Worten dahin zu verstehen, dass sie einen Fall erfasst, der die genau festgelegten Merkmale des Rechtsstreits zwischen Monsanto, der Inhaberin des europäischen Patents für die Gensequenz bezüglich der RR-Sojabohne, und bestimmten Unternehmen aufweist, die Sojamehl aus Argentinien in die Niederlande einführen.

62.      Aus der soeben dargelegten zweiten Bemerkung ergibt sich ein sehr wichtiger Gesichtspunkt. Was Monsanto begehrt, ist nicht nur der Patentschutz, der den Patentansprüchen in der Patentanmeldung für die die RR-Sojabohne kennzeichnende Gensequenz entspricht. Die Patentansprüche beziehen sich nämlich auf die Gensequenz, die dem Glyphosat Resistenz verleihen soll. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Sequenz, soweit sie die genannte Resistenz gewährleistet (und damit ihre Funktion ausübt), schutzwürdig im Sinne der Richtlinie ist.

63.      Im vorliegenden Fall jedoch macht Monsanto den Schutz auch für die Sequenz geltend, die die Funktion nicht ausübt und als Rückstand in ein totes Material (das Mehl) Eingang gefunden hat. Sollte daher der Gerichtshof feststellen, dass der Zeitpunkt der Patenterteilung für die Festlegung des Schutzes, der dem Patent aufgrund der Richtlinie zu gewähren ist, unerheblich ist, wäre jedenfalls der Schutz des Gegenstands der Patentansprüche (die Sequenz mit einer bestimmten Wirkung) nicht einzuschränken. Zu ändern wäre nur die Ausdehnung des „zusätzlichen“ Patentschutzes.

64.      Meines Erachtens ist der Zeitpunkt der Patenterteilung im vorliegenden Fall als unerheblich anzusehen. Wie schon bei den vorhergehenden Vorlagefragen kann auch in diesem Fall in der Richtlinie keine ausdrückliche und eindeutige Antwort gefunden werden. Es gibt jedoch verschiedene Hinweise, die für ein solches Verständnis sprechen.

65.      Erstens enthält die Richtlinie keine Übergangsbestimmungen. Hätte der Gesetzgeber die Stellung der etwa bereits bestehenden Patente erhalten wollen, hätte er wahrscheinlich besondere Bestimmungen in die Rechtsvorschrift aufgenommen.

66.      Zweitens ist an die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu erinnern, wonach die Pflicht, das nationale Recht im Einklang mit dem Recht der Union auszulegen, auch die einschlägigen nationalen Bestimmungen betrifft, die bereits vor denen der Union bestanden(16). Außerdem geht es nicht um einen Bereich, in dem die mögliche konforme Auslegung früher ergangener Rechtsvorschriften Folgen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit haben könnte. Wäre es nämlich so, würde es sich um ein wahrscheinlich unzulässiges hermeneutisches Vorgehen handeln(17).

67.      Drittens schließlich muss man sich vor Augen halten, dass, wie oben dargelegt, die Richtlinie hauptsächlich mit dem Ziel erlassen wurde, den Markt und den Wettbewerb im Gebiet der Union zu fördern. In diesem Zusammenhang erscheint eine Auslegung der Richtlinie problematisch, die eine unterschiedliche Auslegung der Patente je nach dem Zeitpunkt der Erteilung erlaubt. Ein solches Verständnis der Rechtsvorschrift liefe nämlich darauf hinaus, dass für den freien Warenverkehr und die Verwirklichung eines funktionierenden Binnenmarkts in dem Sektor erhebliche Probleme entstehen würden. Insbesondere wäre die Rechtssicherheit stark eingeschränkt, wenn die genaue Tragweite eines Patents nicht nach dem Patentanspruch, für den das Patent erteilt wurde, zu bestimmen wäre, sondern nach dem Zeitpunkt, zu dem das Patent erteilt wurde. Da ein solches etwaiges „extensives“ Verständnis allenfalls eine Besonderheit der Rechtsordnung von nur einigen Mitgliedstaaten ist, liefe die Bejahung der Rechtmäßigkeit nach Maßgabe der Richtlinie darauf hinaus, dass die in den verschiedenen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschiede zwischen den Schutzniveaus noch für viele Jahre fortbestehen würden, nämlich bis zum Ablauf der bei Inkrafttreten der Richtlinie gültigen Patente.

68.      Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die dritte Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass der Umstand, dass ein Patent vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erteilt wurde, keinen Einfluss auf die Beantwortung der vorhergehenden Vorlagefragen hat.

VII – Zur vierten Vorlagefrage

69.      Mit der vierten Frage wird der Gerichtshof um Auskunft ersucht, ob bei der Beantwortung der drei vorhergehenden Fragen das TRIPS-Übereinkommen von Bedeutung ist, insbesondere dessen Art. 27 und 30.

70.      Schon hier sei gesagt, dass ich die insoweit von allen Beteiligten mit Ausnahme von Monsanto vertretene Auffassung teile, wonach das TRIPS-Übereinkommen die Antwort auf die ersten drei Fragen in keiner Weise ändern kann. Insbesondere steht die von mir vorgeschlagene Auslegung nicht in Widerspruch zum Inhalt der genannten Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens.

71.      Vorab ist jedenfalls daran zu erinnern, dass Art. 1 der Richtlinie die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem TRIPS-Übereinkommen ausdrücklich unberührt lässt. Der Gesetzgeber hat folglich entschieden, dass die Richtlinie keine Aspekte der Unvereinbarkeit mit dem betreffenden internationalen Übereinkommen aufweist. Jedenfalls führt die ausdrückliche Schutzklausel des Art. 1 dazu, dass einem Mitgliedstaat kein Verstoß gegen die Richtlinie vorgeworfen werden kann, wenn sein Verhalten darauf abzielt, die im Rahmen des TRIPS-Übereinkommens übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen.

72.      Es ist klar, dass in diesem Zusammenhang das effizienteste Auslegungsinstrument, um etwaige Widersprüche zwischen der Richtlinie und dem TRIPS-Übereinkommen zu verhindern, darin besteht, die Erstere so weit wie möglich dahin auszulegen, dass sie mit den Bestimmungen des Letzteren im Einklang steht. Ganz allgemein ist im Übrigen daran zu erinnern, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen die Möglichkeit verneint, die Rechtmäßigkeit einer Rechtsvorschrift der Union im Licht der WTO-Übereinkünfte zu prüfen(18), zum anderen aber die Notwendigkeit bestätigt, etwaige Widersprüche gerade mit Hilfe des Grundsatzes der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung zu verhindern(19).

73.      Es ist daher zu fragen, ob die von mir in den vorhergehenden Nummern vorgeschlagene Auslegung im Widerspruch zu den Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens stehen kann. Meines Erachtens besteht ein solcher Widerspruch nicht.

74.      Im Rahmen der Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens spricht nichts gegen einen funktionsgebundenen Schutz der Patente an Gensequenzen.

75.      Insbesondere Art. 27 des TRIPS-Übereinkommens befasst sich ausschließlich mit der Patentierbarkeit. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Patentierbarkeit nicht, da Monsanto unbestritten das – von ihr tatsächlich ausgeübte – Recht auf Erwerb von Schutzrechten für die Gensequenz zusteht, die dem Soja die Resistenz gegen Glyphosat verleiht. Die Frage, über die die Beteiligen nicht einig sind, betrifft dagegen ausschließlich die Reichweite des Schutzes, der der Erfindung zu gewähren ist.

76.      Probleme wirft auch nicht die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 30 auf, der die möglichen Ausnahmen von den Rechten des Patentinhabers betrifft. Die Einräumung eines funktionsgebundenen Schutzes bedeutet nämlich nicht, dass Ausnahmen vom Schutzbereich eines Patents vorgesehen werden. Restriktiv definiert wird dagegen die Tragweite des Rechts, das für andere Nutzungen als die in der Patentanmeldung angegebenen nicht anerkannt wird. Im Rahmen des TRIPS-Übereinkommens gibt es keinen Anhaltspunkt, der verlangen würde, den Gensequenzen einen „absoluten“ Schutz einzuräumen, d. h. in Bezug auf alle möglichen, auch unvorhergesehenen und zukünftigen Nutzungen.

77.      Auch wenn man im Übrigen gegen jede Vernunft davon ausgehen wollte, dass ein funktionsgebundener Schutz der Patente an Gensequenzen eine Beschränkung der Tragweite eines Patents im Sinne von Art. 30 des TRIPS-Übereinkommens darstellt, so wäre diese Beschränkung gleichwohl ohne Weiteres zulässig. Art. 30 des TRIPS-Übereinkommens verlangt nämlich, dass die Ausnahmen „begrenzt“ sind und eine „normale Verwertung“ der Erfindung nicht behindern. Wird der Schutz einer Gensequenz auf die Nutzungen beschränkt, für die die Gensequenz patentiert wurde, so wird dadurch sicherlich nicht die normale Verwertung der Erfindung behindert, d. h. die Verwertung, die in der Patentanmeldung beschrieben ist. Vom Schutz werden nämlich per definitionem nur etwaige zukünftige und unvorhersehbare Nutzungen (die jedoch vom Inhaber des ersten Patents patentiert werden könnten, falls es seine Entdeckung ist) oder, wie im vorliegenden Fall, Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verarbeitung des ursprünglichen Erzeugnisses ausgenommen, in deren Rahmen die Gensequenz keine Funktion mehr erfüllt.

78.      Ich schlage daher vor, die vierte Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens nicht im Widerspruch zu der Richtlinie stehen, wie sie in den Antworten auf die vorhergehenden Vorlagefragen ausgelegt worden ist.

VIII – Ergebnis

79.      Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen der Rechtbank ‘s‑Gravenhage wie folgt zu beantworten:

 Nach dem System der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ist der Schutz, der einem Patent für eine Gensequenz garantiert wird, auf die Fälle beschränkt, in denen die genetische Information gegenwärtig die im Patent beschriebenen Funktionen erfüllt. Dies gilt sowohl für den Schutz der Sequenz als solcher als auch für den Schutz des Materials, in dem sie enthalten ist.

Die Richtlinie stellt auf den von ihr erfassten Gebieten eine abschließende Regelung des Schutzes dar, der im Gebiet der Union einer biotechnologischen Erfindung eingeräumt wird. Sie steht daher einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die den biotechnologischen Erfindungen einen weiter gehenden Schutz als den in der Richtlinie vorgesehenen einräumt.

Der Umstand, dass ein Patent vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erteilt wurde, hat keinen Einfluss auf die Beantwortung der vorhergehenden Vorlagefragen.

Die Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens stehen nicht im Widerspruch zu der Richtlinie, wie sie in den Antworten auf die vorhergehenden Vorlagefragen ausgelegt worden ist.


1 – Originalsprache: Italienisch.


2 – Genehmigt mit Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. L 336, S. 1). Der Wortlaut des TRIPS-Übereinkommens wurde veröffentlicht im ABl. 1994, L 336, S. 214. Verbindlich sind die englischen, französischen und spanischen Fassungen der internationalen Übereinkommen der Uruguay-Runde.


3 – Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (ABl. L 213, S. 13).


4– Der Grundsatz der Erschöpfung ist die logische Folge des Verbots von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung durch die Verträge (jetzt durch die Art. 34 AEUV und 35 AEUV). Nach diesem Grundsatz kann der Patentinhaber, der dem Inverkehrbringen eines seinem Patenrecht unterliegenden Erzeugnisses zugestimmt hat, späteren Rechtsgeschäften (Veräußerung usw.), die das Erzeugnis selbst betreffen, nicht widersprechen. Um es mit den Worten des Gerichtshofs zu sagen, „die Substanz des Patentrechts [besteht] im Wesentlichen darin …, dem Erfinder das ausschließliche Recht zu verleihen, das Erzeugnis als Erster in den Verkehr zu bringen“ (Urteil vom 14. Juli 1981, Merck, 187/80, Slg. 1981, 2063, Randnr. 9; Hervorhebung nur hier). Die Rechtsprechung zum Grundsatz der Erschöpfung wurde vom Gerichtshof mehrfach bestätigt, vgl. z. B. Urteil vom 5. Dezember 1996, Merck und Beecham, C‑267/95 und C‑268/95 (Slg. 1996, I‑6285). Zur Unterscheidung zwischen Inverkehrbringen außerhalb und Inverkehrbringen innerhalb des Gebiets der Union bei der Anwendung des Grundsatzes der Erschöpfung vgl. entsprechend Urteil vom 15. Juni 1976, EMI Records, 51/75 (Slg. 1976, 811, Randnrn. 6 bis 11).


5 – Das Präsenz kennzeichnet alle Sprachfassungen der Richtlinie.


6 – Dasselbe könnte z. B. bei Bekleidungsstücken gelten, die aus Fasern angefertigt werden, die von gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen stammen.


7 – Vgl. Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 14. Juli 2005, Kom(2005) 312 endg., „Entwicklung und Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik“, Abschnitt 2.1. Das betreffende Dokument weist im Übrigen darauf hin, dass die Richtlinie Angaben enthält, die insoweit ganz und gar nicht eindeutig sind.


8 – Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26. Oktober 2005 über die Patente für biotechnologische Erfindungen (ABl. C 272 E, S. 440, Randnr. 5).


9 – Es handelt sich um eine vor allem im Arzneimittelsektor typische Praxis. Da nämlich ein Verfahren zur Behandlung als solches nicht patentierbar ist (vgl. z. B. Art. 53 des Europäischen Patentübereinkommens, unterzeichnet in München am 5. Oktober 1973, in der Fassung von 2000), wurde zum Schutz der Interessen der im Sektor der medizinischen Forschung tätigen Unternehmen die Patentierbarkeit eines bereits bekannten Erzeugnisses bejaht, soweit es auf eine neue Nutzung gerichtet ist (vgl. Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, Entscheidungen vom 5. Dezember 1984, G 1/83, G 5/83 und G 6/83, Bayer u. a.). Derselbe Ansatz wurde im Übrigen auch außerhalb des pharmazeutischen Bereichs verfolgt (vgl. Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts, Entscheidung vom 11. Dezember 1989, G 2/88, Mobil).


10 – Vgl. in diesem Sinne Entscheidung der Gerichte des Vereinigten Königreichs vom 10. Oktober 2007, die in einem Verfahren, das mit dem jetzt beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren identisch ist, Monsanto die Möglichkeit abgesprochen haben, die Einfuhr von Sojamehl aus Argentinien zu stoppen, Monsanto/Cargill (2007) EWHC 2257 (Pat) (Randnr. 89). In jenem Fall wurde der Antrag von Monsanto aufgrund von Erwägungen zurückgewiesen, die die Erweiterung des Patentanspruchs betrafen.


11 – Vgl. Urteil vom 25. April 2002, Kommission/Frankreich, C‑52/00 (Slg. 2002, I‑3827, Randnr. 19).


12 – Vgl. für einen ähnlichen Fall Urteil vom 15. September 2005, Cindu Chemicals u. a., C‑281/03 und C‑282/03 (Slg. 2005, I‑8069, Randnrn. 39 bis 44).


13 – Vgl. z. B. Art. 8 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31) und Art. 5 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. L 225, S. 16). Vgl. auch Urteil Kommission/Frankreich (oben in Fn. 11 angeführt, Randnr. 18).


14 – Vgl. auch Urteil vom 9. Oktober 2001, Niederlande/Parlament und Rat, C‑377/98 (Slg. 2001, I‑7079, Randnr. 16). Vgl. auch Randnr. 25 dieses Urteils, wo der Gerichtshof die Auffassung vertritt, dass die Richtlinie im nationalen Recht einige „Klarstellungen“ vornimmt und „Ausnahmen“ vorsieht. Auch dies ist schwer mit einer Mindestharmonisierungsrichtlinie vereinbar, die sich gewöhnlich auf die Festsetzung eines Mindestschutzes beschränkt und im Übrigen den Mitgliedstaaten freie Hand lässt.


15 – Vgl. Fn. 13.


16 – Vgl. Urteile vom 13. November 1990, Marleasing, C‑106/89 (Slg. 1990, I‑4135, Randnr. 8), vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04 (Slg. 2006, I‑6057, Randnr. 108), und vom 24. Juni 2008, Commune de Mesquer, C‑188/07 (Slg. 2008, I‑4501, Randnr. 84).


17 – Vgl. Urteil vom 16. Juni 2005, Pupino, C‑105/03 (Slg. 2005, I‑5285, Randnr. 45).


18 – Der Gerichtshof hat festgestellt, dass es für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Handlung der Union anhand einer WTO-Übereinkunft erforderlich ist, dass die Union „eine bestimmte, im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung umsetzt oder … die [Handlung der Union] ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist“ (Urteil vom 30. September 2003, Biret & Cie/Rat, C‑94/02 P, Slg. 2003, I‑10565, Randnrn. 55 und 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19 – Vgl. Urteile vom 14. Dezember 2000, Dior u. a., C‑300/98 und C‑392/98 (Slg. 2000, I‑11307, Randnr. 47), und vom 11. September 2007, Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos, C‑431/05 (Slg. 2007, I‑7001, Randnr. 35).