Language of document : ECLI:EU:C:2011:123

GUTACHTEN 1/09 DES GERICHTSHOFS (Plenum)

8. März 2011

„Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV – Übereinkommensentwurf – Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems – Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente – Vereinbarkeit dieses Entwurfs mit den Verträgen“

Inhaltsverzeichnis


Der Antrag auf Gutachten

Der Entwurf des Übereinkommens über das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente

Bestimmungen des Übereinkommensentwurfs

Ausführungen des Rates in seinem Antrag auf Gutachten

Zusammenfassung der Stellungnahmen gegenüber dem Gerichtshof

Stellungnahmen zur Zulässigkeit des Antrags auf Gutachten

Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf nicht mit dem Vertrag vereinbar ist

Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf geändert werden muss, um seine Vereinbarkeit mit dem Vertrag zu gewährleisten

Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf mit dem Vertrag vereinbar ist

Stellungnahme des Gerichtshofs

Zur Zulässigkeit des Antrags auf Gutachten

Zur Sache

Vorbemerkungen

Zur Vereinbarkeit des Übereinkommensentwurfs mit den Verträgen


In dem Gutachtenverfahren 1/09

betreffend einen Antrag auf Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV, eingereicht am 6. Juli 2009 vom Rat der Europäischen Union,

erstattet

DER GERICHTSHOF (Plenum)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot, K. Schiemann, A. Arabadjiev, J.‑J. Kasel und D. Šváby, des Richters A. Rosas, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richter E. Juhász, G. Arestis, A. Borg Barthet, M. Ilešič, U. Lõhmus, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen, der Richterin P. Lindh, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader, des Richters M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,

Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2010,

unter Berücksichtigung der Stellungnahmen

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J.-C. Piris, F. Florindo Gijón, L. Karamountzos und G. Kimberley als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, J.-C. Halleux und T. Materne als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen, R. Holdgaard und C. Vang als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der estnischen Regierung, vertreten durch L. Uibo als Bevollmächtigten,

–        von Irland, vertreten durch D. J. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von E. Fitzsimons, SC, und N. Travers, BL,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou, G. Alexaki und K. Boskovits als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

–        der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, B. Beaupère-Manokha, G. de Bergues und A. Adam als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri und M. Fiorilli als Bevollmächtigte im Beistand von G. Nori, vice‑avvocato generale dello Stato,

–        der zyprischen Regierung, vertreten durch V. Christoforou und M. Chatzigeorgiou als Bevollmächtigte,

–        der litauischen Regierung, vertreten durch I. Jarukaitis als Bevollmächtigten,

–        der luxemburgischen Regierung, vertreten durch C. Schiltz als Bevollmächtigten im Beistand von P.-E. Partsch, avocat,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und Y. de Vries als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz und M. Szpunar als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandez, J. Negrão und M. L. Duarte als Bevollmächtigte,

–        der rumänischen Regierung, vertreten durch A. Popescu und M.‑L. Colonescu als Bevollmächtigte im Beistand von E. Gane und A. Stoia, Beraterinnen,

–        der slowenischen Regierung, vertreten durch V. Klemenc und T. Mihelič Žitko als Bevollmächtigte,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes‑Purokoski und J. Heliskoski als Bevollmächtigte,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und A. Engman als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch I. Rao und F. Penlington als Bevollmächtigte im Beistand von A. Dashwood, Barrister,

–        des Europäischen Parlaments, vertreten durch E. Perillo, K. Bradley und M. Dean als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Romero Requena, J.‑P. Keppenne und H. Krämer als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Ersten Generalanwalts P. Mengozzi, der Generalanwältinnen J. Kokott und E. Sharpston, der Generalanwälte Y. Bot und J. Mazák, der Generalanwältin V. Trstenjak sowie der Generalanwälte N. Jääskinen und P. Cruz Villalón in nichtöffentlicher Sitzung am 2. Juli 2010

folgendes

Gutachten

 Der Antrag auf Gutachten

1.      Der Antrag auf Gutachten, der dem Gerichtshof vom Rat der Europäischen Union vorgelegt worden ist, lautet wie folgt:

„Ist das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems (gegenwärtig ‚Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente‘ genannt) mit den Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vereinbar?“

2.      Als Anlagen zu seinem Antrag hat der Rat dem Gerichtshof folgende Dokumente übermittelt:

–        das Ratsdokument 8588/09 vom 7. April 2009 betreffend den überarbeiteten Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, ausgearbeitet durch den Vorsitz des Rates für die Gruppe „Geistiges Eigentum“ (Patente);

–        das Ratsdokument 7928/09 vom 23. März 2009 betreffend den Entwurf eines Übereinkommens über das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente und Entwurf der Satzung;

–        das Ratsdokument 7927/09 vom 23. März 2009 betreffend die Empfehlung der Kommission zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein internationales Übereinkommen „zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems“ für europäische Patente und Gemeinschaftspatente.

 Der Entwurf des Übereinkommens über das Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente

3.      Das am 5. Oktober 1973 in München unterzeichnete Europäische Patentübereinkommen (im Folgenden: EPÜ) ist ein Vertrag, dem heute 38 Staaten angehören, darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Diese ist nicht Partei des EPÜ. Dieses Übereinkommen sieht ein einheitliches Verfahren für die Erteilung europäischer Patente durch das Europäische Patentamt (im Folgenden: EPA) vor. Das Verfahren zur Erteilung dieses Titels ist zwar einheitlich, das europäische Patent selbst zerfällt jedoch in ein Bündel nationaler Patente, von denen jedes einzelne dem internen Recht des jeweils vom Inhaber benannten Staates unterliegt.

4.      Im Jahr 2000 wurden die Gespräche über ein zukünftiges Gemeinschaftspatent vom Europäischen Rat wieder aufgenommen. Am 5. Juli 2000 legte die Kommission einen Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent (Dokument KOM[2000] 412 endg.) vor, der den Beitritt der Gemeinschaft zum EPÜ, die Schaffung eines einheitlichen und in der gesamten Gemeinschaft gültigen Titels des gewerblichen Eigentums und die Erteilung dieses Titels durch das EPA vorsah.

5.      Auf die Schlussfolgerungen des Rates „Wettbewerbsfähigkeit“ vom 4. Dezember 2006 und des Europäischen Rates vom 8. und 9. März 2007 legte die Kommission am 3. April 2007 dem Europäischen Parlament und dem Rat eine Mitteilung mit dem Titel „Vertiefung des Patentsystems in Europa“ (Dokument KOM[2007] 165 endg.) vor.

6.      Die Kommission schlug insbesondere die Schaffung eines integrierten Systems für das europäische Patent und das Gemeinschaftspatent vor. Letzteres würde vom EPA nach den Bestimmungen des EPÜ erteilt. Es wäre einheitlicher und autonomer Art, hätte in der gesamten Union gleiche Wirkung und könnte nur für die gesamte Union erteilt, übertragen oder für nichtig erklärt werden oder erlöschen. Die Bestimmungen des EPÜ wären auf das Gemeinschaftspatent anzuwenden, soweit in der Verordnung über das Gemeinschaftspatent keine besonderen Regelungen vorgesehen wären.

7.      Im Rahmen der Arbeiten des Rates wurde ferner der Entwurf eines internationalen Übereinkommens zwischen den Mitgliedstaaten, der Europäischen Union und den dem EPÜ angehörenden Drittstaaten über die Schaffung eines für Rechtsstreitigkeiten über europäische Patente und Gemeinschaftspatente zuständigen Gerichts (im Folgenden: Übereinkommensentwurf) ausgearbeitet.

8.      Durch das geplante Übereinkommen würde ein Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente (im Folgenden: PG) geschaffen, das aus einem Gericht erster Instanz, das eine Zentralkammer sowie örtliche und regionale Kammern umfassen würde, und einem Berufungsgericht bestünde, das für die Entscheidung über Berufungen gegen die Urteile des Gerichts erster Instanz zuständig wäre. Das dritte Organ des PG wäre eine gemeinsame Kanzlei.

 Bestimmungen des Übereinkommensentwurfs

9.      Art. 14a dieses Entwurfs lautet:

„Anwendbares Recht

(1)      Im Falle von Rechtssachen, bei denen das Gericht nach diesem Übereinkommen angerufen wird, beachtet es das Gemeinschaftsrecht und stützt seine Entscheidungen auf

a)      dieses Übereinkommen;

b)      das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Verordnung … des Rates über das Gemeinschaftspatent, und auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten zur Umsetzung des Gemeinschaftsrechts;

c)      das Europäische Patentübereinkommen und die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die von den Vertragsstaaten in Einklang mit dem Europäischen Patentübereinkommen erlassen wurden, und

d)      alle Bestimmungen internationaler Übereinkünfte, die für Patente gelten und für alle Vertragsparteien bindend sind.

(2)      Soweit das Gericht seine Entscheidungen auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten stützt, wird das anwendbare Recht wie folgt bestimmt:

a)      durch unmittelbar anwendbare Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts oder

b)      in Ermangelung unmittelbar anwendbarer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts durch internationale Übereinkünfte im Bereich des internationalen Privatrechts, denen alle Vertragsparteien beigetreten sind, oder

c)      in Ermangelung von Bestimmungen gemäß den Buchstaben a und b durch innerstaatliche Vorschriften zum internationalen Privatrecht entsprechend der Maßgabe des Gerichts.

(3)      Ein Vertragsstaat, der nicht Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, erlässt die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dem Gemeinschaftsrecht in Bezug auf das materielle Patentrecht nachzukommen.“

10.    Art. 15 des Übereinkommensentwurfs bestimmt Folgendes:

„Gerichtliche Zuständigkeit

(1)      Das Gericht besitzt die ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit für

a)      Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten und ergänzenden Schutzzertifikaten und zugehörige Klageerwiderungen, einschließlich Widerklagen in Bezug auf Lizenzen;

a1)      Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung;

b)      Klagen auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen und einstweiligen Verfügungen;

c)      Klagen oder Widerklagen auf Nichtigerklärung von Patenten;

d)      Klagen auf Schadensersatz oder auf Entschädigung aufgrund des vorläufigen Schutzes, den eine veröffentlichte Patentanmeldung gewährt;

e)      Klagen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Erfindung vor der Erteilung eines Patents oder dem Vorbenutzungsrecht;

f)      Klagen auf Erteilung oder Nichtigerklärung von Zwangslizenzen in Bezug auf Gemeinschaftspatente und

g)      Klagen auf Entschädigung für Lizenzen …

(2)      Die nationalen Gerichte der Vertragsstaaten sind für Klagen im Zusammenhang mit Gemeinschaftspatenten und europäischen Patenten zuständig, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts fallen.“

11.    Die örtliche Zuständigkeit der verschiedenen Kammern des Gerichts erster Instanz des PG wird in Art. 15a Abs. 1 des Übereinkommensentwurfs wie folgt festgelegt:

„Die in Artikel 15 Absatz 1 Buchstaben a, b, d und e genannten Klagen sind einzureichen bei

a)      der örtlichen Kammer in dem Vertragsstaat, in dessen Gebiet die tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist oder möglicherweise erfolgen wird, oder bei der regionalen Kammer, an der dieser Vertragsstaat beteiligt ist, oder

b)      der örtlichen Kammer in dem Vertragsstaat, in dessen Gebiet der Beklagte wohnhaft oder ansässig ist, oder bei der regionalen Kammer, an der dieser Vertragsstaat beteiligt ist.

Klagen gegen Beklagte, die außerhalb des Gebiets der Vertragsstaaten wohnhaft oder ansässig sind, werden bei der örtlichen oder regionalen Kammer gemäß Buchstabe a eingereicht.

Ist im betreffenden Vertragsstaat keine örtliche Kammer errichtet worden und ist dieser Vertragsstaat nicht an einer regionalen Kammer beteiligt, so werden die Klagen vor der Zentralkammer verhandelt.“

12.    In Art. 48 des Entwurfs heißt es:

„(1)      Wird vor dem Gericht erster Instanz eine Frage zur Auslegung des [EG‑]Vertrags oder zur Gültigkeit und Auslegung von Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaft aufgeworfen, kann das Gericht erster Instanz, wenn es dies für erforderlich hält, um eine Entscheidung treffen zu können, den Gerichtshof … ersuchen, über die Frage zu befinden. Wird eine solche Frage vor dem Berufungsgericht aufgeworfen, so ersucht es den Gerichtshof …, über die Frage zu befinden.

(2)      Die Entscheidung des Gerichtshofs … zur Auslegung des [EG‑]Vertrags oder zur Gültigkeit und Auslegung von Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaft ist für das Gericht erster Instanz und für das Berufungsgericht bindend.“

 Ausführungen des Rates in seinem Antrag auf Gutachten

13.    Der Rat weist darauf hin, dass seine Mitglieder „mehrheitlich der Auffassung [sind], dass das geplante Übereinkommen einen aus rechtlicher Sicht möglichen Weg darstellt, die angestrebten Ziele zu erreichen. [Es] wurden allerdings eine Reihe rechtlicher Bedenken zur Sprache gebracht und erörtert. [D]ie Darlegung der einzelnen Fragen [soll] neutral sein …, ohne Angabe des Ausmaßes der Unterstützung, den die verschiedenen Ansätze erhalten haben, und ohne dass der Rat der einen Antwort zuneigt oder der anderen.“

14.    Das geplante Übereinkommen führe nicht zu einer Verfälschung der Zuständigkeiten des Gerichtshofs. Die Mitgliedstaaten sollten in der Lage sein, die Struktur des geplanten Gerichtssystems nach ihrem Ermessen zu gestalten, auch durch die Einrichtung eines internationalen Gerichts.

15.    Die Verpflichtung des PG, das Unionsrecht zu beachten, solle sehr weit gefasst sein und nicht nur die Verträge und die Rechtsakte der Organe erfassen, sondern auch die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und die Rechtsprechung des Gerichtshofs.

 Zusammenfassung der Stellungnahmen gegenüber dem Gerichtshof

16.    In den eingereichten Stellungnahmen wird teilweise die Auffassung vertreten, der Antrag auf Gutachten sei unzulässig, teilweise, der Übereinkommensentwurf sei nicht mit den Verträgen vereinbar oder müsse geändert werden, um ihn mit dem Vertrag in Einklang zu bringen, und schließlich teilweise, der Übereinkommensentwurf sei mit dem Vertrag vereinbar.

 Stellungnahmen zur Zulässigkeit des Antrags auf Gutachten

17.    Das Parlament und die spanische Regierung machen im Wesentlichen geltend, der Antrag auf Gutachten sei verfrüht und beruhe in Anbetracht des Gegenstands des geplanten Übereinkommens, des Stands der Vorbereitungsarbeiten sowie des institutionellen und rechtlichen Kontextes auf unvollständigen und unzureichenden Informationen. Das Parlament ist ferner der Ansicht, dass der Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts in Frage gestellt worden sei, da es vom Rat zum Entwurf der Verordnung über das Gemeinschaftspatent nicht konsultiert worden sei.

18.    Irland erklärt zwar, den Antrag auf Gutachten zu unterstützen, ist jedoch der Ansicht, dass sich der Gerichtshof seiner Befugnis vergewissern müsse, über diesen Antrag zu befinden, insbesondere im Hinblick auf den Stand des Verhandlungsprozesses. Der dem Gerichtshof unterbreitete Text stelle nämlich noch weitgehend ein Arbeitsdokument dar, dem bisher nicht alle Mitglieder des Rates zugestimmt hätten.

 Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf nicht mit dem Vertrag vereinbar ist

19.    Irland sowie die griechische, die spanische (hilfsweise), die italienische, die zyprische, die litauische und die luxemburgische Regierung sind der Ansicht, dass der Übereinkommensentwurf nicht mit den Verträgen vereinbar sei.

20.    Nach Ansicht Irlands ist nicht gewährleistet, dass der Vorrang der in den Rechtsstreitigkeiten vor dem PG geltend gemachten Bestimmungen des Unionsrechts in vollem Umfang beachtet werde. Es sei auch nicht gewährleistet, dass das PG zu einer bestimmten Rechtsauslegung verpflichtet wäre, um Konflikte zwischen den von ihm anzuwendenden unionsrechtlichen Bestimmungen und anderen nationalen und internationalen Rechtsvorschriften, die es anzuwenden hätte, möglichst zu verhindern.

21.    Die griechische Regierung weist darauf hin, dass durch die Bestimmungen des Übereinkommensentwurfs über die Einrichtung und die Funktionsweise der für Gemeinschaftspatente zuständigen Kammern des Gerichts erster Instanz des PG mit Sitz in Drittstaaten die Frage nach der Wahrung der Autonomie der Rechtsordnung und des Gerichtssystems der Union aufgeworfen werde. Die Verträge hätten nämlich einen zwingenden rechtlichen Rahmen geschaffen, den die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten bei der Wahl sowohl der allgemeinen Methode für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über gemeinschaftliche Titel des gewerblichen Eigentums als auch der konkreten Bestimmungen hierzu beachten müssten.

22.    Die spanische Regierung macht hilfsweise geltend, dass der Übereinkommensentwurf nicht mit den Verträgen vereinbar sei und insbesondere gegen die Art. 19 EUV und Art. 344 AEUV verstoße, da das Monopol des Gerichtshofs in Frage gestellt werde, über Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, die das Unionsrecht beträfen. Außerdem garantiere das geplante System nicht den Vorrang des Unionsrechts, da das PG nicht in die Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats integriert sei, so dass Verstöße gegen das Unionsrecht durch ein solches Gericht keinerlei Kontrolle unterlägen.

23.    Die italienische Regierung hebt hervor, dass der Übereinkommensentwurf ein völkerrechtlicher Akt sei, durch den die Mitgliedstaaten und die Vertragsstaaten des EPÜ ihre verfassungsmäßigen Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Rechtsprechung auf ein internationales Gericht übertrügen. Da es gegenwärtig kein das Gebiet aller Mitgliedstaaten abdeckendes Patent und kein einheitliches Gerichtssystem auf diesem Gebiet gebe, sei die Union nicht befugt, ihre Zuständigkeit zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten auf ein internationales Organ zu übertragen. Ein Beitritt der Union zum EPÜ ändere daran nichts, da das geplante internationale Gericht kein Organ des EPÜ sei. Mangels einer Rechtsgrundlage sei das geplante Abkommen nicht mit den Verträgen vereinbar.

24.    Die zyprische Regierung ist der Ansicht, dass die Schaffung des PG den ausschließlichen Zuständigkeiten des Gerichtshofs und des Gerichts zuwiderlaufe, wie sie ihren Ausdruck in den verschiedenen von den Verträgen vorgesehenen Klagemöglichkeiten fänden.

25.    Nach Auffassung der litauischen Regierung ist der Übereinkommensentwurf, da er nicht auf der Grundlage der Bestimmungen der Verträge erlassen werden könne, nicht mit diesen vereinbar. Der Übereinkommensentwurf garantiere nicht, dass die Autonomie des Unionsrechts und die Natur der den Unionsorganen in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse gewahrt würden.

26.    Die luxemburgische Regierung ist der Ansicht, dass den Verträgen keine Rechtsgrundlage für eine Übertragung der im Übereinkommensentwurf vorgesehenen Zuständigkeiten auf ein Gericht wie das PG zu entnehmen sei. Das Unionsrecht und die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Autonomie und Einheitlichkeit der Rechtsordnung sowie des Gerichtssystems der Union stünden der Schaffung eines solchen Gerichts entgegen. Nach den Verträgen und der Rechtsprechung des Gerichtshofs könnten die Zuständigkeiten, die nach dem geplanten Übereinkommen auf das PG übertragen werden sollten, nur vom Gerichtshof selbst ausgeübt werden.

 Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf geändert werden muss, um seine Vereinbarkeit mit dem Vertrag zu gewährleisten

27.    Das Parlament (hilfsweise), die belgische und die französische Regierung sowie die Kommission halten den Übereinkommensentwurf für grundsätzlich mit den Verträgen vereinbar, sprechen sich jedoch für einige Änderungen an diesem Entwurf aus.

28.    Für den Fall, dass der Gerichtshof den Antrag des Rates für zulässig erklären sollte, ist das Parlament der Auffassung, dass im Übereinkommenstext selbst auf den sehr weiten Anwendungsbereich der Verpflichtung des PG zur Beachtung des Unionsrechts und der Rechtsprechung des Gerichtshofs, einschließlich zukünftiger Urteile, hingewiesen werden sollte. Ferner müsse klargestellt werden, dass das PG den Schutz der Grundrechte sicherzustellen habe.

29.    Was das geplante Vorabentscheidungsverfahren anbelange, sei es zweckmäßig, ein System einzuführen, das es der Kommission ermögliche, sich an den Verfahren vor dem PG zu beteiligen. Ferner könne es sich als nützlich erweisen, das PG ausdrücklich zu verpflichten, Fragen betreffend die Gültigkeit einer Bestimmung des Unionsrechts dem Gerichtshof vorzulegen.

30.    Die belgische Regierung schlägt dem Gerichtshof vor, auf den vom Rat vorgelegten Antrag auf Gutachten zu antworten, dass das geplante Übereinkommen mit den Verträgen vereinbar ist, sofern die dem Gerichtshof übertragene Zuständigkeit zur Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen durch Mechanismen ergänzt wird, durch die die Wahrung des Vorrangs und der Effektivität des Unionsrechts sichergestellt werden kann.

31.    Nach Ansicht der französischen Regierung ist der Übereinkommensentwurf grundsätzlich mit den Verträgen vereinbar. Das vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren müsse jedoch um einen Mechanismus ergänzt werden, der den Parteien und/oder gegebenenfalls den Mitgliedstaaten sowie der Kommission offenstehe, um die Beachtung des Unionsrechts und seines Vorrangs durch das PG sicherzustellen. Vorstellbar sei auch die Einführung eines Rechtsbehelfs der Kommission oder eines Mitgliedstaats im Interesse des Rechts oder eines Verfahrens zur Nachprüfung der Urteile des Berufungsgerichts des PG durch den Gerichtshof bei ernster Gefahr für die Einheit und Kohärenz des Unionsrechts.

32.    Die Kommission ist der Auffassung, dass das geplante Übereinkommen mit den Bestimmungen des Vertrags vereinbar sei, vorausgesetzt, dass das Recht, dieses Übereinkommen jederzeit zu kündigen, ausdrücklich nicht nur den Drittstaaten, sondern auch der Union und den Mitgliedstaaten zuerkannt werde.

 Stellungnahmen, denen zufolge der Übereinkommensentwurf mit dem Vertrag vereinbar ist

33.    Die tschechische, die dänische, die deutsche, die estnische, die niederländische, die polnische, die portugiesische, die rumänische, die slowenische, die finnische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs sind der Ansicht, dass der Übereinkommensentwurf mit den Verträgen vereinbar sei.

34.    Nach Ansicht der tschechischen Regierung ist der Übereinkommensentwurf mit den Verträgen vereinbar, weil er die Erfordernisse, die sich aus der Wahrung der Autonomie des Unionsrechts und seines Vorrangs ergäben, beachte und insbesondere weil das PG dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorlegen könne.

35.    Die dänische Regierung führt aus, dass der Übereinkommensentwurf nicht im Widerspruch zu den institutionellen Regeln der Verträge stehe und das Übereinkommen nach den Art. 81 AEUV und 114 AEUV sowohl von der Union als auch von ihren Mitgliedstaaten geschlossen werden müsste.

36.    Die deutsche Regierung ist der Ansicht, dass das vom Übereinkommensentwurf vorgesehene System gerichtlicher Kontrolle mit den Verträgen im Einklang stehe. Insbesondere stehe Art. 262 AEUV diesem System nicht entgegen. Außerdem würden der Vorrang und die Autonomie der Unionsrechtsordnung gewahrt. Das geplante Gerichtssystem führe nicht zu einer „Verfälschung“ der Zuständigkeiten des Gerichtshofs, und der Union werde bei der Ausübung ihrer internen Zuständigkeiten keine bestimmte Rechtsauslegung verbindlich vorgegeben.

37.    Die estnische Regierung weist darauf hin, dass der Übereinkommensentwurf nicht nur die Zuständigkeiten der Union, sondern auch die der Mitgliedstaaten betreffe, so dass die geeignete Rechtsgrundlage für den Abschluss des geplanten Übereinkommens Art. 352 AEUV sei. Der Vorrang und die Autonomie der Unionsrechtsordnung würden durch den Übereinkommensentwurf ebenso wenig in Frage gestellt wie die Zuständigkeiten des Gerichtshofs.

38.    Die niederländische Regierung ist der Auffassung, dass Art. 262 AEUV dem Übereinkommensentwurf nicht entgegenstehe. Außerdem beeinträchtige der Entwurf nicht die Einheit und Integrität des Unionsrechts. Das geplante Übereinkommen ändere auch nichts am System des Rechtsschutzes und der gerichtlichen Kontrolle durch die nationalen Gerichte und die Unionsgerichte, wie es von den Verträgen vorgesehen sei, und beeinträchtige es auch nicht.

39.    Nach Ansicht der polnischen Regierung ist die geplante Übertragung von Zuständigkeiten an das PG grundsätzlich mit den Verträgen vereinbar; Art. 262 AEUV stehe ihr nicht entgegen. Da ein Unionsrechtsakt auf dem Gebiet der Patente fehle, sei dem Gerichtshof auf diesem Gebiet keine ausschließliche Zuständigkeit übertragen worden. Zudem beeinträchtige der Übereinkommensentwurf nicht den Vorrang des Unionsrechts. Das vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren garantiere die Einheitlichkeit und Kohärenz des Unionsrechts auf dem fraglichen Gebiet.

40.    Die portugiesische Regierung vertritt die Auffassung, dass die geplante Übertragung von Zuständigkeiten an das PG mit den Verträgen vereinbar sei. Die Einwände hinsichtlich einer Gefährdung des Vorrangs und der Autonomie der Unionsrechtsordnung seien unbegründet. Angesichts der Komplexität der Materie und des Ziels, ein einheitliches System für den Schutz des geistigen Eigentums in Europa zu schaffen, müssten für dieses Ziel geeignete „flexible Lösungen“ gesucht werden. Mit dem Übereinkommensentwurf werde diese Herausforderung angenommen.

41.    Die rumänische Regierung weist darauf hin, dass die Autonomie der Unionsrechtsordnung durch die Verpflichtung des PG, das Unionsrecht zu beachten, die Möglichkeit oder gegebenenfalls Verpflichtung des PG, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, und die Bindungswirkung der vom Gerichtshof in diesem Verfahren erlassenen Urteile gewahrt sei. Außerdem verbiete keine Bestimmung der Verträge, dem Gerichtshof durch ein internationales Übereinkommen eine Zuständigkeit zur Auslegung dieses Übereinkommens im Hinblick auf seine Anwendung in Drittstaaten zu übertragen.

42.    Die slowenische Regierung ist der Ansicht, dass die Übertragung einer ausschließlichen Zuständigkeit für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Gültigkeit und/oder die Wirkungen eines Gemeinschaftspatents an das PG mit den Verträgen vereinbar sei. Weder Art. 257 AEUV noch Art. 262 AEUV präjudizierten die Wahl des gerichtlichen Rahmens auf diesem Gebiet. Die Art. 14a und 48 des Übereinkommensentwurfs stellten die Autonomie und die Beachtung des Unionsrechts sicher.

43.    Die finnische Regierung führt aus, da Zweck und Inhalt des geplanten Abkommens die Schaffung eines internationalen Patentgerichtssystems seien, müsse der Abschluss dieses Übereinkommens im Namen der Union sowohl auf Art. 262 AEUV als auch auf Art. 352 AEUV gestützt werden. Im Übrigen werfe der Übereinkommensentwurf keine Probleme hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit den Verträgen auf.

44.    Die schwedische Regierung hebt hervor, dass der Übereinkommensentwurf eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts garantiere. Die Zuständigkeiten des Gerichtshofs würden nicht verfälscht, und seine ausschließliche Befugnis zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Union werde nicht in Frage gestellt.

45.    Nach Ansicht der Regierung des Vereinigten Königreichs muss das geplante Übereinkommen als gemischtes Übereinkommen geschlossen werden. Die Natur der Zuständigkeiten des Gerichtshofs werde im Rahmen des darin vorgesehenen Gerichtssystems gewahrt, da weder die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichtshofs noch die Bindungswirkung seiner Entscheidungen in Frage gestellt würden. Die Übertragung von Zuständigkeiten für Rechtssachen, die die Gültigkeit und/oder die Anwendung von Gemeinschaftspatenten beträfen, auf das PG sei mit dem EU‑Vertrag vereinbar. Im Rahmen des in dem geplanten Übereinkommen vorgesehenen Gerichtssystems sei der Vorrang des Unionsrechts gewährleistet. Das in Art. 48 des Übereinkommensentwurfs vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, durch das dem PG die Befugnis eingeräumt werde, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, stehe mit den Verträgen in Einklang.

 Stellungnahme des Gerichtshofs

 Zur Zulässigkeit des Antrags auf Gutachten

46.    In den Stellungnahmen, die zur Zulässigkeit des Antrags auf Gutachten abgegeben worden sind, werden im Wesentlichen drei Fragen behandelt, nämlich erstens der Grad der inhaltlichen Konkretisierung des geplanten Übereinkommens, zweitens der Stand der Vorbereitungsarbeiten und drittens die Wahrung des institutionellen Gleichgewichts.

47.    Vor der Beantwortung dieser drei Fragen ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 218 Abs. 11 AEUV das Parlament, der Rat, die Kommission oder ein Mitgliedstaat ein Gutachten des Gerichtshofs über die Vereinbarkeit einer geplanten Übereinkunft mit den Bestimmungen des Vertrags einholen können. Diese Bestimmung zielt darauf ab, Verwicklungen zu vermeiden, die entstehen könnten, wenn die Vereinbarkeit von völkerrechtlichen Abkommen, die die Union verpflichten, mit dem Vertrag vor einem Gericht bestritten würde (vgl. Gutachten 2/94 vom 28. März 1996, Slg. 1996, I‑1759, Randnr. 3, und 1/08 vom 30. November 2009, Slg. 2009, I‑11129, Randnr. 107).

48.    Eine Gerichtsentscheidung, die nach Abschluss eines die Union verpflichtenden völkerrechtlichen Abkommens dieses Abkommen wegen seines Inhalts oder der Form seines Zustandekommens für mit den Verträgen unvereinbar erklären würde, müsste nämlich nicht nur auf unionsinterner Ebene, sondern auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen zu ernsten Schwierigkeiten führen und würde möglicherweise für alle Beteiligten, auch für die Drittstaaten, Nachteile mit sich bringen (vgl. Gutachten 3/94 vom 13. Dezember 1995, Slg. 1995, I‑4577, Randnr. 17).

49.    Was als Erstes die Frage nach dem Grad der inhaltlichen Konkretisierung des Übereinkommensentwurfs anbelangt, ist zu beachten, dass dem Gerichtshof, wenn er über die Vereinbarkeit eines geplanten Abkommens mit dem Vertrag befinden soll, hinreichende Angaben zum Inhalt dieses Abkommens zur Verfügung stehen müssen (vgl. Gutachten 2/94, Randnrn. 20 bis 22).

50.    Im vorliegenden Fall hat der Rat dem Gerichtshof den vollständigen Text des Übereinkommensentwurfs vorgelegt, der insbesondere Bestimmungen über die Organisation und Funktionsweise des PG, seine Zuständigkeiten und die verschiedenen Klagearten sowie das anwendbare Recht und die Wirkungen der Entscheidungen dieses Gerichts enthält.

51.    Ferner wird im Antrag auf Gutachten auf den Kontext hingewiesen, in dem der Übereinkommensentwurf steht. Dieser Entwurf gehört nämlich zu einem Bündel von Maßnahmen, das derzeit in den verschiedenen Gremien der Union geprüft wird und zu dem die Schaffung eines Gemeinschaftspatents als neuer Titel des geistigen Eigentums und der Beitritt der Union zum EPÜ gehören.

52.    Unter diesen Umständen sieht sich der Gerichtshof ausreichend über den Inhalt und den Kontext des geplanten Übereinkommens informiert.

53.    Was als Zweites die Frage betrifft, ob der Entscheidungsprozess betreffend den Übereinkommensentwurf einen Stand erreicht hat, der es dem Gerichtshof ermöglicht, über die Vereinbarkeit dieses Entwurfs mit den Verträgen zu entscheiden, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof vor der Aufnahme von Verhandlungen auf internationaler Ebene um ein Gutachten ersucht werden kann, wenn der Gegenstand des geplanten Abkommens bekannt ist und die dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen eine hinreichend sichere Beurteilung der vom Rat aufgeworfenen Frage erlauben, selbst wenn noch eine Reihe von Alternativen offen sind und Meinungsverschiedenheiten über die Abfassung bestimmter Klauseln bestehen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 1/78 vom 4. Oktober 1979, Slg. 1979, 2871, Randnr. 34), und dass die Zulässigkeit eines Antrags auf Gutachten nicht mit der Begründung bestritten werden kann, dass der Rat noch keinen Beschluss über die Aufnahme der Verhandlungen auf internationaler Ebene gefasst hat (vgl. Gutachten 2/94, Randnr. 13).

54.    Was den vorliegenden Antrag betrifft, ist festzustellen, dass sich zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtshofs das Vorhaben, ein einheitliches Patentgerichtssystem zu schaffen, im Stadium der Prüfung durch den Rat befand. Der Umstand, dass der Übereinkommensentwurf oder die Entwürfe bestimmter damit eng verbundener gesetzgeberischer Maßnahmen, wie der Vorschlag einer Verordnung über das Gemeinschaftspatent, derzeit im Rat noch keine einhellige Unterstützung finden, kann an der Zulässigkeit des vorliegenden Antrags auf Gutachten nichts ändern.

55.    Was als Drittes die Frage des institutionellen Gleichgewichts anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass es für die Möglichkeit, einen Antrag auf Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV zu stellen, nicht erforderlich ist, dass die betroffenen Organe ein endgültiges Einvernehmen erzielt haben. Das Recht des Rates, des Parlaments, der Kommission und der Mitgliedstaaten, ein Gutachten des Gerichtshofs zu beantragen, kann nämlich individuell ausgeübt werden, ohne jegliche Abstimmung untereinander und ohne das endgültige Ergebnis eines damit im Zusammenhang stehenden Gesetzgebungsverfahrens abzuwarten. Das Parlament behält auf jeden Fall das Recht, selbst einen Antrag auf Gutachten zu stellen.

56.    Der Umstand, dass der Abschluss des vorliegenden Abkommens erst nach Konsultation oder sogar Zustimmung des Parlaments wird erfolgen können und dass der Erlass möglicher gesetzgeberischer Begleitmaßnahmen der Union, wie der zukünftigen Verordnung über das Gemeinschaftspatent, einem Gesetzgebungsverfahren unterliegt, an dem dieses Organ beteiligt ist, hat daher keine Auswirkungen auf die Möglichkeit für den Rat, den Gerichtshof nach Art. 218 Abs. 11 AEUV um ein Gutachten zu ersuchen.

57.    Der Antrag auf Gutachten des Rates ist daher zulässig.

 Zur Sache

 Vorbemerkungen

58.    Der Antrag auf Gutachten und die Stellungnahmen vor dem Gerichtshof nehmen zwar auf die Bestimmungen des EU‑Vertrags und des EG‑Vertrags Bezug, doch sind die aufgeworfenen Fragen auf der Grundlage der Bestimmungen des EU‑Vertrags und des AEU‑Vertrags zu beurteilen, die am 1. Dezember 2009, d. h. nach der Einreichung des Antrags des Rates am 6. Juli 2009, in Kraft getreten sind.

59.    Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die zentrale Frage des vorliegenden Antrags auf Gutachten nicht die Zuständigkeiten des PG auf dem Gebiet des europäischen Patents, sondern jene hinsichtlich des zukünftigen Gemeinschaftspatents betrifft.

 Zur Vereinbarkeit des Übereinkommensentwurfs mit den Verträgen

60.    Der Gerichtshof hält es für zweckdienlich, zunächst auf die Erwägungen einiger Mitgliedstaaten einzugehen, wonach die Art. 262 AEUV und 344 AEUV der geplanten Übertragung von Zuständigkeiten entgegenstehen könnten.

61.    Was Art. 262 AEUV anbelangt, kann dieser der Schaffung des PG nicht entgegenstehen. Es trifft zwar zu, dass nach diesem Artikel einige der Zuständigkeiten, die dem PG übertragen werden sollen, dem Gerichtshof übertragen werden können, doch ist der in diesem Artikel genannte Weg zur Schaffung einer einheitlichen Patentgerichtsbarkeit nicht der einzig denkbare.

62.    Art. 262 AEUV sieht nämlich die Möglichkeit vor, die Zuständigkeiten der Unionsgerichte auf Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung von Unionsrechtsakten zur Schaffung europäischer Rechtstitel für das geistige Eigentum auszudehnen. Folglich schafft er kein Monopol des Gerichtshofs auf diesem Gebiet und präjudiziert nicht die Wahl des gerichtlichen Rahmens, der für Rechtsstreitigkeiten zwischen Einzelnen im Zusammenhang mit Rechtstiteln des geistigen Eigentums eingerichtet werden könnte.

63.    Die Schaffung des PG kann auch nicht gegen Art. 344 AEUV verstoßen, da dieser Artikel sich darauf beschränkt, den Mitgliedstaaten zu verbieten, Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der Verträge anders als in den Verträgen vorgesehen zu regeln. Die Zuständigkeiten, die nach dem Übereinkommensentwurf dem PG übertragen werden sollen, betreffen jedoch ausschließlich Streitigkeiten zwischen Einzelnen im Zusammenhang mit Patenten.

64.    Da durch den Entwurf im Wesentlichen eine neue gerichtliche Struktur geschaffen wird, ist als Erstes auf die grundlegenden Elemente der Unionsrechtsordnung und des Gerichtssystems der Union einzugehen, wie sie von den Gründungsverträgen vorgegeben und in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt worden sind, um zu beurteilen, ob die Schaffung des PG mit diesen Elementen vereinbar ist.

65.    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die Gründungsverträge der Union, im Unterschied zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen, eine neue Rechtsordnung geschaffen, mit eigenen Organen, zu deren Gunsten die Staaten in immer weiteren Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind (vgl. insbesondere Urteile vom 5. Februar 1963, Van Gend & Loos, 26/62, Slg. 1963, 1, 3, sowie vom 15. Juli 1964, Costa, 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269). Die wesentlichen Merkmale der in dieser Weise verfassten Rechtsordnung der Union sind insbesondere ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen (vgl. Gutachten 1/91 vom 14. Dezember 1991, Slg. 1991, I‑6079, Randnr. 21).

66.    Nach Art. 19 Abs. 1 EUV wachen der Gerichtshof und die Gerichte der Mitgliedstaaten über die Wahrung dieser Rechtsordnung und des Gerichtssystems der Union.

67.    Außerdem ist es Sache des Gerichtshofs, die Autonomie der damit durch die Verträge geschaffenen Unionsrechtsordnung zu wahren (vgl. Gutachten 1/91, Randnr. 35).

68.    Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach dem in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit in ihrem Hoheitsgebiet insbesondere für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 1998, Oelmühle und Schmidt Söhne, C‑298/96, Slg. 1998, I‑4767, Randnr. 23). Außerdem haben die Mitgliedstaaten nach Unterabs. 2 dieser Bestimmung alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. Insoweit ist es Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69.    Das nationale Gericht erfüllt nämlich in Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof eine Aufgabe, die beiden gemeinsam übertragen ist, um die Wahrung des Rechts bei der Anwendung und Auslegung der Verträge zu sichern (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1981, Foglia, 244/80, Slg. 1981, 3045, Randnr. 16, sowie vom 15. Juni 1995, Zabala Erasun u. a., C‑422/93 bis C‑424/93, Slg. 1995, I‑1567, Randnr. 15).

70.    Außerdem ist das Gerichtssystem der Union ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll (vgl. insbesondere Urteil vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores, C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677, Randnr. 40).

71.    Was die charakteristischen Merkmale des PG anbelangt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dieses Gericht außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union steht. Es ist nämlich nicht Teil des in Art. 19 Abs. 1 EUV vorgesehenen Gerichtssystems. Das PG ist eine Einrichtung, die kraft Völkerrechts mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist.

72.    Nach Art. 15 des Übereinkommensentwurfs ist das PG für eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit Patenten ausschließlich zuständig. Diese Zuständigkeit erstreckt sich insbesondere auf Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Verletzung von Patenten, Widerklagen in Bezug auf Lizenzen, Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung, Klagen auf Erlass von einstweiligen Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen, Klagen oder Widerklagen auf Nichtigerklärung von Patenten, Klagen auf Schadensersatz oder auf Entschädigung aufgrund des vorläufigen Schutzes, den eine veröffentlichte Patentanmeldung gewährt, Klagen im Zusammenhang mit der Benutzung einer Erfindung vor der Erteilung eines Patents oder dem Vorbenutzungsrecht, Klagen auf Erteilung oder Nichtigerklärung von Zwangslizenzen in Bezug auf Gemeinschaftspatente sowie Klagen auf Entschädigung für Lizenzen. Insoweit werden den Gerichten der Vertragsstaaten einschließlich jener der Mitgliedstaaten diese Zuständigkeiten genommen; ihnen verbleiben nur die Befugnisse, die nicht in die ausschließlichen Zuständigkeiten des PG fallen.

73.    Hinzuzufügen ist, dass das PG nach Art. 14a des Übereinkommensentwurfs bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben mit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts betraut ist. Ihm wird der wesentliche Teil der gewöhnlich den nationalen Gerichten zugewiesenen materiellen Zuständigkeiten übertragen, über Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Gemeinschaftspatents zu entscheiden und auf diesem Gebiet die volle Anwendung des Unionsrechts sowie den Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus diesem Recht erwachsen.

74.    In Bezug auf ein internationales Abkommen, das die Schaffung eines mit der Auslegung seiner Bestimmungen betrauten Gerichts vorsieht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein solches Abkommen nicht grundsätzlich mit dem Unionsrecht unvereinbar ist. Die Zuständigkeit der Union im Bereich der internationalen Beziehungen und ihre Fähigkeit zum Abschluss internationaler Abkommen umfasst nämlich notwendig die Fähigkeit, sich den Entscheidungen eines durch solche Abkommen geschaffenen oder bestimmten Gerichts zu unterwerfen, was die Auslegung und Anwendung ihrer Bestimmungen angeht (vgl. Gutachten 1/91, Randnrn. 40 und 70).

75.    Der Gerichtshof hat außerdem festgestellt, dass ihm durch ein mit Drittstaaten geschlossenes internationales Abkommen neue Zuständigkeiten zugewiesen werden können, sofern dadurch nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, wie sie im EU‑Vertrag und im AEU‑Vertrag ausgestaltet ist, verfälscht wird (vgl. entsprechend Gutachten 1/92 vom 10. April 1992, Slg. 1992, I‑2821, Randnr. 32).

76.    Ferner hat der Gerichtshof entschieden, dass ein internationales Abkommen Auswirkungen auf seine Zuständigkeiten haben kann, sofern die wesentlichen Voraussetzungen für die Wahrung des Wesens dieser Zuständigkeiten erfüllt sind und folglich die Autonomie der Unionsrechtsordnung nicht beeinträchtigt wird (vgl. Gutachten 1/00 vom 18. April 2002, Slg. 2002, I‑3493, Randnrn. 21, 23 und 26).

77.    Die Gerichtssysteme, die den vorgenannten Gutachten zugrunde lagen, hatten jedoch im Wesentlichen die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung der fraglichen internationalen Übereinkommen selbst zum Gegenstand. Außerdem sahen diese Systeme zwar besondere Befugnisse für Gerichte von Drittstaaten vor, den Gerichtshof mit Vorabentscheidungsersuchen zu befassen, doch berührten sie weder die Zuständigkeiten der Gerichte der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts noch deren Befugnis oder Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, und dessen Zuständigkeit, darauf zu antworten.

78.    Dagegen soll das im vorliegenden Übereinkommensentwurf vorgesehene internationale Gericht nicht nur die Bestimmungen dieses Übereinkommens auslegen und anwenden, sondern auch die zukünftige Verordnung über das Gemeinschaftspatent und andere Instrumente des Unionsrechts, insbesondere Verordnungen und Richtlinien, die gegebenenfalls in Verbindung mit dieser Verordnung zu lesen wären, nämlich Bestimmungen, die andere immaterialgüterrechtliche Regelungen betreffen, sowie Regeln des AEU‑Vertrags über den Binnenmarkt und das Wettbewerbsrecht. Ebenso kann das PG über einen bei ihm anhängigen Rechtsstreit im Licht der Grundrechte und der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts zu entscheiden oder sogar die Gültigkeit eines Rechtsakts der Union zu überprüfen haben.

79.    Es ist festzustellen, dass das PG nach dem Übereinkommensentwurf, der dem Gerichtshof zur Prüfung vorgelegt worden ist,

–        im Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 15 dieses Übereinkommensentwurfs an die Stelle der nationalen Gerichte tritt,

–        diesen daher die Möglichkeit nimmt, dem Gerichtshof Ersuchen um Vorabentscheidung in diesem Bereich vorzulegen,

–        im Bereich seiner ausschließlichen Zuständigkeiten zum einzigen gerichtlichen Gesprächspartner des Gerichtshofs im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts wird und

–        nach Art. 14a des Übereinkommensentwurfs damit betraut ist, im Rahmen dieser Zuständigkeiten das Unionsrecht auszulegen und anzuwenden.

80.    Es trifft zwar zu, dass der Gerichtshof für die Entscheidung in Klageverfahren zwischen Einzelnen im Zusammenhang mit Patenten nicht zuständig ist, da diese Zuständigkeit den Gerichten der Mitgliedstaaten übertragen ist, doch können Letztere die Zuständigkeit für die Entscheidung über solche Rechtsstreitigkeiten nicht einem durch ein internationales Übereinkommen geschaffenen Gericht übertragen, das diesen Gerichten in dem fraglichen Bereich ihre Aufgabe entziehen würde, als „ordentliche Unionsgerichte“ das Unionsrecht durchzuführen, und damit auch die in Art. 267 AEUV vorgesehene Möglichkeit oder gegebenenfalls die Verpflichtung, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.

81.    Der Übereinkommensentwurf sieht einen Vorabentscheidungsmechanismus vor, der im Anwendungsbereich dieses Übereinkommens die Möglichkeit der Vorlage an den Gerichtshof dem PG vorbehält und sie den nationalen Gerichten nimmt.

82.    Es ist hervorzuheben, dass die Stellung des PG nach dem Übereinkommensentwurf eine andere wäre als die des Benelux‑Gerichtshofs, die Gegenstand des Urteils vom 4. November 1997, Parfums Christian Dior (C‑337/95, Slg. 1997, I‑6013, Randnrn. 21 bis 23), war. Da nämlich Letzterer ein gemeinsames Gericht mehrerer Mitgliedstaaten ist und somit zum Gerichtssystem der Union gehört, unterliegen seine Entscheidungen geeigneten Mechanismen zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts.

83.    Zudem ist darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV, der für die Wahrung des gemeinschaftlichen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts wesentlich ist, sicherstellen soll, dass dieses Recht unter allen Umständen in allen Mitgliedstaaten die gleiche Wirkung hat. Der auf diese Weise festgelegte Vorabentscheidungsmechanismus soll unterschiedliche Auslegungen des von den nationalen Gerichten anzuwendenden Unionsrechts verhindern und die Anwendung dieses Rechts gewährleisten, indem er dem nationalen Richter die Möglichkeit gibt, die Schwierigkeiten auszuräumen, die sich aus dem Erfordernis ergeben könnten, dem Unionsrecht im Rahmen der Gerichtssysteme der Mitgliedstaaten zu voller Geltung zu verhelfen. Die nationalen Gerichte haben außerdem ein unbeschränktes Recht oder sogar die Verpflichtung zur Vorlage an den Gerichtshof, wenn sie der Auffassung sind, dass ein bei ihnen anhängiges Verfahren Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, die einer Entscheidung durch diese Gerichte bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Januar 1974, Rheinmühlen-Düsseldorf, 166/73, Slg. 1974, 33, Randnrn. 2 und 3, sowie vom 12. Juni 2008, Gourmet Classic, C‑458/06, Slg. 2008, I‑4207, Randnr. 20).

84.    Das in Art. 267 AEUV vorgesehene System begründet daher eine direkte und enge Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, in deren Rahmen diese an der ordnungsgemäßen Anwendung und einheitlichen Auslegung des Unionsrechts sowie am Schutz der den Einzelnen von dieser Rechtsordnung gewährten Rechte mitwirken.

85.    Nach alledem sind die den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof jeweils übertragenen Aufgaben wesentlich für die Wahrung der Natur des durch die Verträge geschaffenen Rechts.

86.    Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass der Grundsatz, dass ein Mitgliedstaat zum Ersatz der Schäden verpflichtet ist, die dem Einzelnen durch diesem Mitgliedstaat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, für jeden Verstoß gegen dieses Recht und unabhängig davon gilt, welches Organ dieses Staates durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat, wobei dieser Grundsatz unter bestimmten besonderen Voraussetzungen auch für Gerichte gilt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. September 2003, Köbler, C‑224/01, Slg. 2003, I‑10239, Randnrn. 31 und 33 bis 36, vom 13. Juni 2006, Traghetti del Mediterraneo, C‑173/03, Slg. 2006, I‑5177, Randnrn. 30 f., sowie vom 12. November 2009, Kommission/Spanien, C‑154/08, Randnr. 125).

87.    Hinzuzufügen ist, dass bei einer Verletzung des Unionsrechts durch ein nationales Gericht nach den Art. 258 AEUV bis 260 AEUV der Gerichtshof angerufen werden kann, um einen solchen Verstoß gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat feststellen zu lassen (vgl. Urteil vom 9. Dezember 2003, Kommission/Italien, C‑129/00, Slg. 2003, I‑14637, Randnrn. 29, 30 und 32).

88.    Es ist jedoch festzustellen, dass eine das Unionsrecht verletzende Entscheidung des PG weder Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein noch zu irgendeiner vermögensrechtlichen Haftung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten führen könnte.

89.    Folglich würde das geplante Übereinkommen, indem es einem außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union stehenden internationalen Gericht eine ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über eine beträchtliche Zahl von Klagen Einzelner im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent und zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in diesem Bereich übertragen würde, den Gerichten der Mitgliedstaaten ihre Zuständigkeiten zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts sowie dem Gerichtshof seine Zuständigkeit, auf die von diesen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zu antworten, nehmen und damit die Zuständigkeiten verfälschen, die die Verträge den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten zuweisen und die für die Wahrung der Natur des Unionsrechts wesentlich sind.

Folglich äußert sich der Gerichtshof (Plenum) gutachtlich wie folgt:

Das geplante Übereinkommen zur Schaffung eines einheitlichen Patentgerichtssystems (gegenwärtig „Gericht für europäische Patente und Gemeinschaftspatente“ genannt) ist mit den Bestimmungen des EU‑Vertrags und des AEU‑Vertrags nicht vereinbar.

Unterschriften