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Conclusions

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
FRANCIS G. JACOBS
vom 22. Mai 2003(1)



Verbundene Rechtssachen C-264/01, C-306/01, C-354/01 und C-355/01



1. AOK Bundesverband

2. Bundesverband der Betriebskrankenkassen

3. Bundesverband der Innungskrankenkassen

4. Bundesverband der landwirschaftlichen Krankenkassen

5. Verband der Angestelltenkrankenkassen e.V.

6. Verband der Arbeiter-Ersatzkassen

7. Bundesknappschaft

8. See-Krankenkasse

gegen

Ichthyol-Gesellschaft Cordes (C-264/01)

Mundipharma GmbH (C-306/01)

Gödecke Aktiengesellschaft (C-354/01)

Intersan (C-355/01)


(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundesgerichtshofes)







1.       Diese vier verbundenen Rechtssachen werfen eine Reihe von Fragen auf, die die Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung, wonach die Spitzenverbände der Krankenkassen in Deutschland gemeinsam die von den Krankenkassen für verschiedene Arten von Arzneimitteln gezahlten Höchstbeträge (sog. „Festbeträge“) festlegen, mit den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft betreffen. Die Mehrkosten eines verschriebenen Arzneimittels, dessen Preis über dem so festgesetzten Betrag liegt, sind von den Versicherten zu tragen.

2.       Die Rechtssachen C-264/01 und C-306/01 sind Vorabentscheidungsersuchen des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Bei den Rechtssachen C-354/01 und C-355/01 handelt es sich um Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofes. Die von diesen nationalen Gerichten vorgelegten Fragen weichen in Formulierung und Umfang ein wenig voneinander ab. Zusammen betrachtet geht es u. a. darum, ob Krankenkassen Unternehmen sind und daher den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft unterliegen, ob die Entscheidungen ihrer Spitzenverbände, Festbeträge festzusetzen, gegen Artikel 81 EG verstoßen können und, wenn ja, ob diese Entscheidungen nach Artikel 86 Absatz 2 EG gerechtfertigt sein können.

3.       Artikel 81 Absatz 1 EG verbietet Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken; Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG verbietet insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen.

4.       Artikel 86 Absatz 2 EG bestimmt:„Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften dieses Vertrags, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.“

Nationales Recht

5.       Die große Mehrheit der Arbeitnehmer in Deutschland ist in der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Fünften Buch des Sozialgesetzbuches (im Folgenden: SGB V) geregelt ist, pflichtversichert. Arbeitnehmer unterliegen der gesetzlichen Krankenversicherung, sofern ihr Einkommen nicht eine gewisse Höhe übersteigt oder sie nicht nach einer anderen gesetzlichen Regelung, wie es bei Beamten der Fall ist, ausreichend abgesichert sind. Der Versicherungsschutz der Angestellten erstreckt sich auch auf nicht berufstätige Familienangehörige. Andere Personen können sich freiwillig versichern, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

6.       Die gesetzliche Krankenversicherung wird durch Pflichtbeiträge der Versicherten und ihrer Arbeitgeber finanziert, deren Höhe entsprechend dem Einkommen des Versicherten festgelegt wird. Nach § 1 Absatz 1 SGB V beruht die gesetzliche Krankenversicherung auf dem Grundsatz der Solidarität (2) und hat zur Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.

7.       Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind die Krankenkassen, die in den meisten Fällen Körperschaften des öffentlichen Rechts sind (§ 4 Absatz 1 SGB V). Die Krankenkassen sind regional und bereichsmäßig in Verbänden organisiert. Bei den Beklagten der Ausgangsverfahren, die auf Bundesebene tätig sind, handelt es sich um die Spitzenverbände der Krankenkassen i. S. des § 213 Absatz 1 SGB V. Die meisten Beklagten vertreten eine Reihe von Krankenkassen. Die Bundesknappschaft und die See-Krankenkasse sind jedoch selbst unmittelbare Träger der gesetzlichen Krankenversicherung.

8.       Das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen von 1988 sah die Festsetzung von Festbeträgen vor. Es sollte die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung reduzieren, indem den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Wahl der Arzneimittel durch Ärzte und Patienten zu beeinflussen und bei den Versicherten ein Bewusstsein für die Kosten der Arzneimittel zu wecken. Zu diesem Zweck wird den Beklagten, wie unten dargelegt wird, die gemeinsame Verantwortung für die Festsetzung von Festbeträgen übertragen, mit denen sich die Krankenkassen an den Kosten von verschiedenen Arten von Arzneimitteln beteiligen können.

9.       Für gewöhnlich sind die Krankenkassen gemäß § 2 Absatz 2 SGB V verpflichtet, ärztliche Leistungen und Arzneimittel unmittelbar zu erwerben und den Versicherten, die sie benötigen, als Dienst- oder Sachleistung zu erbringen (sog. Dienst- oder Sachleistungsprinzip). § 12 Absatz 2 SGB V sieht jedoch vor: „Ist für eine Leistung ein Festbetrag festgesetzt, erfüllt die Krankenkasse ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag.“ Nach § 31 Absatz 2 SGB V muss der Versicherte, wenn der Preis eines verschriebenen Arzneimittels den für dieses geltenden Festbetrag überschreitet, die Mehrkosten selbst tragen. In einem solchen Fall muss der verordnende Arzt den Versicherten vorher auf die Verpflichtung zur Zahlung der Mehrkosten hinweisen (§ 73 Absatz 5 SGB V).

10.     Grundsätzlich steht es den Pharma-Unternehmen daher frei, für ihre Produkte einen Preis festzulegen, der über dem anwendbaren Festbetrag liegt. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass nur ungefähr 7 % der Arzneimittel auf dem deutschen Markt, für die ein Festbetrag gilt, zu einem diesen Betrag übersteigenden Preis verkauft werden.

11.     Das Verfahren für die Festsetzung von Festbeträgen ist in § 35 SGB V zweistufig geregelt. Die erste Stufe dient dazu, Gruppen von Arzneimitteln auszuwählen, für die Festbeträge gelten sollen. Diese Aufgabe nimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (im Folgenden: Bundesausschuss) wahr, eine Einrichtung, die sich aus Vertretern der Beklagten und der Kassenärztlichen Bundesvereinigungen zusammensetzt. Nach § 35 Absatz 1 SGB V sollen die Gruppen Arzneimittel mit denselben oder mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Wirkstoffen oder mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbarer Wirkung enthalten. Die Auswahl des Bundesausschusses muss dem Bundesgesundheitsministerium vorgelegt werden. Sie wird nur wirksam, wenn das Bundesministerium sie genehmigt oder nicht innerhalb von zwei Monaten beanstandet.

12.     Auf der zweiten Verfahrenstufe setzen die Beklagten dann für jede Arzneimittelgruppe einen Festbetrag fest. Nach § 35 Absatz 3 SGB V setzen die Beklagten gemeinsam und einheitlich Festbeträge auf der Grundlage von mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten vom Bundesausschuss bestimmten Vergleichsgrößen fest. Nach § 35 Absatz 5 SGB V sind die Festbeträge so festzusetzen,

„dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten; soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen.“

13.     Zum Zeitpunkt der Erhebung der Klagen in den Ausgangsverfahren im Jahr 1998 sah § 35 Absatz 5 SGB V ferner vor, dass bei der Festsetzung von Festbeträgen „grundsätzlich von den preisgünstigen Apothekenabgabepreisen in der Vergleichsgruppe auszugehen“ sei. Später wurde er dahin geändert, dass lediglich verlangt wird, dass der Festbetrag in das untere Drittel der in der Vergleichsgruppe vorhandenen Preisspanne fällt.

14.     Wenn es den Beklagten nicht gelingt, sich auf den Festbetrag für eine bestimmte Arzneimittelgruppe zu einigen, trifft das Bundesgesundheitsministerium im Einvernehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium die Entscheidung. Bis zum Zeitpunkt der Vorlagebeschlüsse hat es für das Bundesgesundheitsministerium offenbar noch keinen Anlass gegeben, eine Entscheidung zur Festsetzung von Festbeträgen zu erlassen.

15.     Auf beiden Verfahrensstufen ist Sachverständigen der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft und Praxis Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, und diese Stellungnahmen sind zu berücksichtigen. Die festgesetzten Festbeträge sind von den Beklagten einmal jährlich zu überprüfen und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage anzupassen. Nach ihrer Festsetzung sind sie im Bundesanzeiger bekannt zu machen und können gerichtlich angefochten werden.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16.     Diesen verbundenen Rechtssachen liegen verschiedene, aber ähnliche Sachverhalte zugrunde, und sie werfen die gleichen grundlegenden Rechtsfragen auf. Bei den Klägerinnen handelt es sich um Pharma-Unternehmen. Sie fechten Entscheidungen der Beklagten nach § 35 SGB V an, mit denen die Höhe der Festbeträge geändert wurde, die für die Arzneimittelgruppen gelten, zu denen ihre eigenen Produkte gehören. In jedem der Ausgangsverfahren waren die Klägerinnen entweder in der ersten oder in der zweiten Instanz erfolgreich. Die Beklagten haben daher Rechtsmittel bei den vorlegenden Gerichten eingelegt, die die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof verschiedene Fragen vorgelegt haben.

17.     Nach Erlass dieser Vorlagebeschlüsse hat das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der Festbetragsfestsetzung mit dem Grundgesetz und insbesondere mit der Berufsfreiheit der Pharma-Unternehmen geprüft. Mit Urteil vom 17. Dezember 2002 (3) hat das Bundesverfassungsgericht § 35 SGB V für verfassungsgemäß erklärt. Die Beantwortung der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bleibt somit erforderlich, um den vorlegenden Gerichten die Entscheidung der Ausgangsverfahren zu ermöglichen.

18.     Mit seinen beiden Beschlüssen in den Rechtssachen C-264/01 und C-306/01 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

1.
Ist Artikel 81 Absatz 1 EG dahin auszulegen, dass die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen eines Mitgliedstaats bei der gemeinsamen Festsetzung einheitlich in dem Mitgliedstaat geltender Festbeträge für Arzneimittel, die den jeweiligen Höchstpreis darstellen, zu dem die ihren Versicherten zur Sachleistung verpflichteten gesetzlichen Krankenkassen Arzneimittel kaufen und bezahlen und damit die Höhe ihrer Leistungspflicht im Verhältnis zu ihren Versicherten beschränken, als Unternehmensvereinigungen oder, soweit ein Spitzenverband zugleich selbst unmittelbarer Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ist, als Unternehmen im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG anzusehen sind?

2.
Wenn die Frage zu 1. bejaht wird:

a)
Sind Festbetragsfestsetzungen der zu 1. genannten Art als Vereinbarungen (oder Beschlüsse) der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen anzusehen, die als Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere solche im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 Buchstabe a EG, unter das Verbot des Artikels 81 Absatz 1 EG fallen?

b)
Ist die Frage zu 2.a) jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Zweck der Festbetragsregelung unter anderem darin besteht, Wirtschaftlichkeitsreserven der Arzneimittelhersteller beim Abgabepreis auszuschöpfen, und die Praktizierung der Festbetragsregelung in dem Mitgliedstaat bisher dazu geführt hat, dass rund 93 % der am Markt angebotenen, unter die Festbetragsregelung fallenden Fertigarzneimittelpackungen den jeweils festgesetzten Festbetrag nicht (mehr) überschreiten?

3.
Wenn auch die Fragen zu 2. (oder eine der Fragen zu 2.) bejaht werden:

Kann ein Festbetragssystem der zu 1. und 2. genannten Art von der Anwendung des Artikels 81 Absatz 1 EG gemäß Artikel 86 Absatz 2 Satz 1 EG befreit werden, obwohl die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen bei der Festbetragsfestsetzung die wichtigsten, in der Bündelung marktbeherrschenden Nachfrager auf dem Arzneimittelmarkt repräsentieren und als Lösung des Problems der Kostendämpfung im Gesundheitswesen es auch in Betracht kommt, die Festsetzung solcher Festbeträge einer Institution, die nicht Marktteilnehmer am Arzneimittelmarkt ist, insbesondere der Bundesregierung oder einem Bundesminister zu übertragen?

4.
Wenn auch die Frage zu 3. bejaht wird:

a)
Welche Voraussetzungen müssten die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen darlegen und beweisen, damit ihnen die Ausnahme gemäß Artikel 86 Absatz 2 Satz 1 EG in Bezug auf die Festbetragsfestsetzungen zuteil werden kann?

b)
Oder ist die Gewährung der Ausnahme des Artikels 86 Absatz 2 Satz 1 EG wegen der Auswirkungen des Festbetragssystems auf den Handelsverkehr schon gemäß Artikel 86 Absatz 2 Satz 2 EG ausgeschlossen?

19.     Mit den beiden Vorlagebeschlüssen in den Rechtssachen C-354/01 und C-355/01 hat der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof folgende Fragen vorgelegt:

1.
Sind die Artikel 81 und 82 EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die nationalen Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenversicherung für alle gesetzlichen Krankenkassen und Ersatzkassen verbindliche Höchstbeträge festsetzen, bis zu deren Erreichen die Kassen die Kosten für Heilmittel übernehmen, sofern der Gesetzgeber zugleich die Kriterien bestimmt, nach denen die Bemessung der Höchstbeträge erfolgen soll, dabei insbesondere festlegt, dass mit den bestimmten Beträgen eine vollständige, in der Qualität gesicherte Versorgung der Versicherten sowie das Vorhandensein ausreichender Therapiealternativen gewährleistet ist, und die Festsetzung sowohl auf Veranlassung der Versicherten als auch der betroffenen Arzneimittelhersteller einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist?

2.
Falls die Frage zu 1 bejaht wird:

Ist eine solche Festsetzung nach Artikel 86 Absatz 2 EG der Anwendung der Artikel 81 und 82 EG entzogen, wenn sie dazu dient, das infolge eines starken Anwachsens der Kostenbelastung in Frage gestellte System der sozialen Krankenversicherung in der durch § 35 SGB V bestimmten Weise zu sichern?

3.
Falls die Frage zu 1 zu bejahen und die Frage zu 2 zu verneinen ist:

Bestehen gemeinschaftsrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Beseitigung gegen Spitzenverbände wie die Beklagten auch dann, wenn sie bei der Festsetzung von Höchstbeträgen einer gesetzlichen Anordnung Folge leisten, auch wenn eine Verweigerung der Mitwirkung bei dieser Festsetzung zu ihren Lasten nach dem nationalen Recht eine Sanktion nicht auslöst?

20.     Die erste Vorlagefrage des Bundesgerichtshofes ist sehr allgemein und schließt die ersten beiden Vorlagefragen des Oberlandesgerichts praktisch ein. Obwohl sie mit der Bezugnahme auf Artikel 82 EG weiter zu gehen scheint, enthält der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofes keine ausführlichere Erörterung, ob dieser Artikel anwendbar sein könnte. Die zweite Vorlagefrage des Bundesgerichtshofes betrifft die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG und deckt somit denselben Bereich wie die dritte und die vierte Vorlagefrage des Oberlandesgerichts ab. Die dritte Vorlagefrage des Bundesgerichtshofes, die mögliche Ansprüche gegen die Krankenkassen betrifft, wird nur von ihm allein aufgeworfen.

21.     Den Vorlagebeschlüssen lassen sich somit die folgenden fünf Fragen entnehmen. Die erste Frage betrifft die Anwendbarkeit der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft auf die Krankenkassen und ihre Spitzenverbände. Zur Beantwortung dieser Frage wird die Rechtsprechung zu den Begriffen des Unternehmens und der Unternehmensvereinigung heranzuziehen sein. Zweitens geht es darum, ob die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Festsetzung von Festbeträgen, sofern es an einer Rechtfertigung fehlt, gegen Artikel 81 EG verstoßen. Obwohl der Bundesgerichtshof in seiner ersten Frage auf Artikel 82 EG Bezug nimmt, halte ich es für angemessen, diese zweite Frage auf eine Beurteilung nach Artikel 81 EG zu beschränken, da die Verfahrensbeteiligten in ihren Erklärungen nicht auf die Anwendbarkeit von Artikel 82 EG auf die Festsetzung von Festbeträgen eingehen. Drittens wird danach gefragt, ob die Spitzenverbände der Krankenkassen in dem Fall, dass Artikel 81 EG grundsätzlich auf die Festsetzung von Festbeträgen anwendbar sein sollte, als Verteidigung geltend machen können, dass Artikel 81 EG nur auf selbständiges Verhalten anwendbar sei und dass sie nach nationalem Recht verpflichtet seien, sich so zu verhalten, wie sie es getan hätten. Viertens muss geprüft werden, ob sich die Festsetzung von Festbeträgen nach Artikel 86 Absatz 2 EG als für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse erforderlich rechtfertigen lässt. Schließlich geht es um die Frage, ob auch dann Ansprüche auf Abhilfe gegen die Beklagten zuzuerkennen sind, wenn man davon ausgeht, dass diese gemäß gesetzlicher Anordnung handelten, auch wenn eine Nichtbefolgung dieser Anordnung sanktionslos bliebe.

22.     Die Beklagten, die Klägerinnen und die Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben und sind in der mündlichen Verhandlung vertreten gewesen. Auch die deutsche Regierung hat in der Sitzung mündliche Ausführungen gemacht.

Beurteilung

Qualifizierung der Beklagten als Unternehmensvereinigung bei der Festsetzung der Festbeträge

23.     Zunächst ist zu prüfen, ob das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft auf die Festsetzung von Festbeträgen überhaupt anwendbar ist. Diese Frage, bei der es darum geht, ob die Beklagten als „Unternehmensvereinigung“ handeln, wenn sie Festbeträge festsetzen, wird in der ersten Frage des Oberlandesgerichts ausdrücklich aufgeworfen. Mit ihr muss man sich auch befassen, um die allgemeinere erste Frage des Bundesgerichtshofes beantworten zu können.

24.     Die Beurteilung muss in drei Stufen erfolgen. Erstens muss geprüft werden, ob die von den Beklagten vertretenen Krankenkassen Unternehmen sind, wenn sie Krankenversicherungsleistungen erbringen. Wenn ja, ist weiter zu prüfen, ob die Festsetzung von Festbeträgen grundsätzlich in den Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Krankenkassen fällt. Drittens muss festgestellt werden, ob die Beklagten als Unternehmensvereinigung handeln, wenn sie einheitliche Festbeträge festsetzen, die anschließend von den Krankenkassen angewandt werden.

Handeln Krankenkassen bei der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen als Unternehmen?

25.     Was den Status der Krankenkassen anbelangt, so lässt sich die allgemeine Vorgehensweise des Gerichtshofes bei der Prüfung, ob eine bestimmte Einheit ein Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft darstellt, als funktional beschreiben, da er auf die Art der ausgeübten Tätigkeit statt auf die Eigenschaften derjenigen, die sie ausüben, die damit verbundenen sozialen Zwecke oder die rechtlichen oder finanziellen Regelungen abstellt, denen sie in einem bestimmten Mitgliedstaat unterliegt (4) . Ist eine Tätigkeit wirtschaftlicher Natur, unterliegen diejenigen, die ihr nachgehen, dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft.

26.     Für die Beurteilung, ob derjenige, der eine Tätigkeit ausübt, ein Unternehmen im Sinne des Gemeinschaftsrechts darstellt, ist sein Status nach nationalem Recht daher irrelevant. Folglich kann dem Umstand, dass Krankenkassen nach deutschem Recht als Körperschaften des öffentlichen Rechts oder als Teil der staatlichen Verwaltung qualifiziert werden, kein Gewicht beigemessen werden. Ebenso sind die rechtlichen oder finanziellen Regelungen, die ein Mitgliedstaat auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich anwendet, für die Frage der Anwendbarkeit der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft ohne Belang. Solche Entscheidungen sind möglicherweise selbst nach diesen Vorschriften zu beurteilen. Einem bestimmten Tätigkeitsbereich wird auch nicht dadurch seine wirtschaftliche Natur genommen, dass damit soziale oder im allgemeinen Interesse liegende Zwecke verbunden sind. Solche Zwecke können jedoch nach Artikel 86 Absatz 2 EG Regelungen rechtfertigen, die sonst gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft verstießen (5) .

27.     Bei der Beurteilung, ob eine Tätigkeit wirtschaftlicher Natur ist, ist meines Erachtens im Wesentlichen danach zu fragen, ob sie zumindest grundsätzlich von einem privaten Unternehmen in der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte (6) . Wenn die Möglichkeit, dass ein privates Unternehmen eine bestimmte Tätigkeit ausübt, auszuschließen ist, gibt es kein Bedürfnis, die Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft darauf anzuwenden (7) .

28.     Die Anwendung dieses Kriteriums ist jedoch bei bestimmten Tätigkeitsbereichen keineswegs einfach, und der Gerichtshof hat ausgefeiltere Kriterien aufgestellt, die bei der Beurteilung helfen können. Für die vorliegenden Zwecke ist von besonderer Relevanz, dass es inzwischen eine umfangreiche Rechtsprechung zur Qualifizierung von Renten- und Sozialversicherungssystemen gibt.

29.     Zu einigen dieser Systeme hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass sie keine wirtschaftliche Tätigkeit umfassen und daher nicht in den Anwendungsbereich der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft fallen.

30.     Im Urteil Poucet und Pistre (8) hatte der Gerichtshof den Status eines Altersrentensystems sowie eines Kranken- und Mutterschaftsversicherungssystems zu beurteilen. Er hat die Ansicht vertreten, dass keines der Systeme eine wirtschaftliche Tätigkeit umfasste, da Versicherungspflicht bestand, kein Zusammenhang zwischen der Höhe der gezahlten Beiträge und der erhaltenen Leistungen bestand, die Höhe der Beiträge und Leistungen gesetzlich festgelegt war und (im Fall des Rentensystems) laufende Leistungen unmittelbar aus den laufenden Beiträgen heraus gezahlt wurden statt auf der Grundlage von Einnahmen aus Kapitalfonds.

31.     Entsprechend hat der Gerichtshof im Urteil Cisal (9) die Ansicht vertreten, dass ein System der beruflichen Unfallversicherung keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellte, da Versicherungspflicht bestand, nur ein beschränkter Zusammenhang zwischen der Höhe der gezahlten Beiträge und der erhaltenen Leistungen bestand und sowohl die Beiträge als auch die Leistungen der ministeriellen Aufsicht unterlagen.

32.     Es erscheint mir offensichtlich, dass staatliche Systeme der sozialen Sicherheit mit Versicherungspflicht wie die, um die es in den Urteilen Cisal und Poucet ging, deshalb nicht als wirtschaftliche Tätigkeit qualifiziert werden, weil sie – schon denknotwendig – nicht von privaten Unternehmen betrieben werden können. Solche Systeme enthalten ein so starkes Element der Umverteilung im Interesse der sozialen Solidarität, dass wenig oder gar kein Raum bleibt für die verschiedenen versicherungsmathematischen Dienstleistungen oder Investitions- und Vermittlungsdienstleistungen, die private Renten- und Versicherungsträger auf dem Markt anbieten können und anbieten (10) .

33.     Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Albany (11) ausgeführt habe, sehe ich nicht, wie ein privates Unternehmen eine fondslose Rente auf dem Markt anbieten könnte, bei der aktuelle Leistungen durch aktuelle Beiträge finanziert werden. In einem solchen System ist die Umverteilung nicht Begleitumstand einer anderen Tätigkeit, die unabhängig von ihr existieren könnte. Vielmehr besteht das System vollständig aus der staatlich angeordneten Umverteilung von Mitteln derjenigen, die gegenwärtig beschäftigt sind, an diejenigen, die sich im Ruhestand befinden. Entsprechend scheint es, wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cisal (12) ausgeführt habe, ein wesentliches Merkmal einer privaten Versicherung des Einkommens gegen das Risiko eines Arbeitsunfalls zu sein, dass Beiträge und Leistungen nicht nur in ihrer Gesamtheit verknüpft sind (die Summe der Leistungen muss durch die Summe der Beiträge finanziert sein), sondern auch im jeweiligen Einzelfall.

34.     Dagegen hat der Gerichtshof in den Urteilen FFSA (13) und Albany (14) die Ansicht vertreten, dass Rentensysteme, die durch die Verwaltung eines Kapitalfonds finanziert werden, in den Beiträge eingezahlt werden, und bei denen die Leistungen mit den Beiträgen unmittelbar verknüpft sind, trotz des Bestehens bestimmter Solidarelemente den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft unterliegen. In solchen Systemen ist das Umverteilungselement nicht so ausgeprägt, dass es die anderen Tätigkeitsarten, die private Versicherungs- und Rentenversicherungsgesellschaften ausüben, wie die versicherungsmathematische Beurteilung und die Verwaltung von Investitionen, verdrängt.

35.     Es ist natürlich schwierig, genau den Punkt zu bestimmen, ab dem das Umverteilungselement eines Renten- oder Versicherungssystems so ausgeprägt ist, dass die anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten, bei deren Angebot private Renten- und Versicherungsträger miteinander konkurrieren, dahinter zurücktreten. Solche Systeme gibt es in den verschiedensten Formen, von staatlichen Sozialversicherungssystemen auf der einen Seite des Spektrums bis zu privaten individuellen Systemen, die von gewerblichen Versicherern betrieben werden, auf der anderen. Die Qualifizierung ist somit notwendig eine graduelle Frage.

36.     Gestützt auf die Urteile Poucet und Cisal (15) machen die Beklagten, die deutsche Regierung und die Kommission geltend, dass Krankenkassen keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten und daher keine Unternehmen i. S. des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft seien. Den Krankenkassen liege das Prinzip der sozialen Solidarität zugrunde. Allen Versicherten werde unabhängig von ihrem Einkommen, ihrem Gesundheitszustand und der Höhe des Risikos, das sie darstellten, derselbe elementare Leistungsumfang garantiert. Auf der individuellen Ebene seien die Beiträge von den Leistungen unabhängig. Damit eine solche Solidarität beibehalten werden könne, sei die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse für die meisten in Deutschland tätigen Arbeitnehmer verpflichtend.

37.     Das deutsche System der gesetzlichen Krankenversicherung hat sicherlich eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit den Systemen, um die es in den Urteilen Poucet und Cisal ging. Ich habe jedoch den Eindruck, dass es dadurch, dass es ein gewisses Maß an Wettbewerb zwischen den Krankenkassen untereinander sowie zwischen den Krankenkassen und privaten Versicherern einführt, einige Merkmale aufweist, die es von jenen unterscheiden und damit zeigen, dass das Umverteilungselement des Systems nicht so ausgeprägt ist, dass es eine wirtschaftliche Tätigkeit ausschließt.

38.     Erstens stehen die Krankenkassen, wie der Bundesgerichtshof in seinem Vorlagebeschluss ausführt und die Beklagten in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt haben, untereinander in einem gewissen Preiswettbewerb. Die Arbeitnehmer können wählen, welcher Krankenkassen sie beitreten. Die Krankenkassen legen selbst die Höhe des Beitrags fest, den sie von den Versicherten verlangen. Folglich weist die Beitragshöhe je nach Krankenkasse einen gewissen Unterschied auf. Die Solidarität wird offenbar mittels eines Mechanismus (des Risikostrukturausgleichs) garantiert, der Unterschiede im Risikoumfang ausgleichen soll, den die verschiedenen Krankenkassen zu tragen haben, so dass es ihnen möglich ist, zu konkurrieren, ohne damit den Umverteilungsaspekt des Systems zu unterlaufen. Wenn einige Krankenkassen einen Bestand von Versicherten haben, die unverhältnismäßig teurer medizinischer Versorgung bedürfen, müssen die anderen Krankenkassen einen Beitrag zu diesen höheren Kosten leisten.

39.     Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Cisal (16) ausgeführt habe, kann der Umstand allein, dass – wie hier – der Umfang der von einem System gewährten Leistungen gesetzlich festgelegt ist, die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht ausschließen. In mehreren Bereichen der Wirtschaft bestimmt der Gesetzgeber im Voraus verbindlich Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, die die Unternehmen zu liefern oder zu erbringen haben. Solange die betroffenen Unternehmen z. B. hinsichtlich des Preises dieser Waren oder Dienstleistungen konkurrieren können, üben sie weiterhin eine wirtschaftliche Tätigkeit aus.

40.     Zweitens ist es nach dem Vorbringen der Klägerinnen den Krankenkassen in gewissem Umfang auch möglich, hinsichtlich der von ihnen angebotenen Leistungen zu konkurrieren. Der elementare Leistungsumfang sei zwar gesetzlich festgelegt, die Krankenkassen verfügten aber über ein gewisses Ermessen bei der Entscheidung, wie sie ihren Verpflichtungen nachkämen. So könnten sie z. B. darüber entscheiden, ob sie bestimmte Zusatz- und Vorsorgebehandlungen anböten. Wenn das Vorbringen der Klägerinnen richtig ist, sind die Krankenkassen also in der Lage, sich voneinander abzugrenzen, um sich für die Versicherten attraktiver zu machen.

41.     Schließlich konkurrieren die Krankenkassen und private Krankenversicherer, wie die Beklagten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt haben, eindeutig hinsichtlich des Geschäftsbereichs derjenigen Arbeitnehmer, die nicht verpflichtet sind, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern.

42.     Die Krankenkassen sind somit offenbar tatsächlich in der Lage, bei der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen – wenn auch nur in bestimmten Grenzen – miteinander und mit privaten Unternehmen zu konkurrieren. In Anbetracht des Bestehens eines solchen Wettbewerbs sollten meines Erachtens die Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaften anwendbar sein.

Fällt die Festsetzung von Festbeträgen in den Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit der Krankenkassen?

43.     Selbst wenn man der Ansicht ist, dass die Krankenkassen bei der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen als Unternehmen handeln, bleibt zu prüfen, ob die Festbetragsfestsetzung, bei der es sich um das wettbewerbswidrige Verhalten handeln soll, in den Bereich der von den Krankenkassen ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit fällt.

44.     Das Vorbringen der Beklagten, dass die Festsetzung von Festbeträgen von der Haupttätigkeit der Krankenkassen, nämlich der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen, in gewisser Weise getrennt werden könne, so dass zwar möglicherweise letztere, aber nicht notwendig erstere wirtschaftlicher Natur sei, geht nach meiner Ansicht fehl.

45.     Es ist zwar richtig, dass der Unternehmensbegriff in dem Sinne relativ ist, als eine bestimmte Einheit hinsichtlich eines Teils ihrer Tätigkeiten als Unternehmen betrachtet werden kann, während der Rest nicht den Wettbewerbsvorschriften unterliegt (17) . Für mich steht jedoch fest, dass dann, wenn die Erbringung einer Dienstleistung eine wirtschaftliche Tätigkeit ist, gleiches auch für die Entscheidungen des Erbringers hinsichtlich der Parameter der anzubietenden Dienstleistung gilt. Mit der Festsetzung der Festbeträge legen die Krankenkassen den Höchstpreis fest, zu dem sie ein zentrales Einsatzgut einkaufen; sie legen auch den Umfang der Versicherungsleistungen fest, die sie den Versicherten erbringen. Solche Entscheidungen lassen sich somit von der Kerntätigkeit der Krankenversicherung nicht trennen.

46.     In Anbetracht dieses Ergebnisses kann dahinstehen, ob die Festsetzung von Festbeträgen auch dann eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen könnte, wenn die Haupttätigkeit der Krankenkassen keine solche wäre. Das Oberlandesgericht vertritt die Meinung, dass der Einkauf unabhängig davon eine wirtschaftliche Tätigkeit darstellen kann, ob die einkaufende Einheit selbst auf einem anderen Markt tätig ist, für den die eingekauften Waren oder Dienstleistungen ein Einsatzgut darstellen. Die Kommission, die Beklagten und die deutsche Regierung vertreten einen anderen Standpunkt. Die Frage stellt sich jedoch nicht, da die Krankenkassen auf einem anderen Markt tätig sind und einen Beitrag zum Erwerb von Arzneimitteln als Teil ihrer Tätigkeit auf diesem Markt leisten (18) .

Handeln die Beklagten bei der Festsetzung von Festbeträgen als Unternehmensvereinigung?

47.     Auf der letzten Stufe der Prüfung, welchen Status die Beklagten nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft haben, ist zu untersuchen, ob sie als Unternehmensvereinigung handeln, wenn sie einheitliche Festbeträge festsetzen, die anschließend von den Krankenkassen angewandt werden.

48.     Die Verfahrensbeteiligten vertreten unterschiedliche Ansichten zu der Frage, ob die Festbetragsfestsetzungen der Beklagten als Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Artikel 81 EG angesehen werden können. Die Klägerinnen machen geltend, dass die Entscheidungen auf der ersten Stufe des Verfahrens (19) von den Beklagten gemeinsam mit dem Bundesausschuss, einer Einrichtung, die selbst zum Teil aus Vertretern der Beklagten bestehe, getroffen würden, während auf der zweiten Stufe des Verfahrens die Festbeträge ausschließlich von den Beklagten festgesetzt würden. Wenn die Krankenkassen Unternehmen seien, seien ihre Spitzenverbände ebenso eindeutig Unternehmensvereinigungen, und die von diesen Verbänden getroffenen Entscheidungen stellten Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung dar.

49.     Die Beklagten vertreten die Auffassung, auch wenn die Krankenkassen, die ihnen angehörten, Unternehmen seien, handelten sie selbst bei der Festsetzung von Festbeträgen im gesetzlich vorgegebenen Rahmen, was gewährleiste, dass sie unabhängig und im Allgemeininteresse tätig seien. Ihre Festsetzungen könnten für sich genommen nicht als Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung qualifiziert werden.

50.     Erstens weisen sie darauf hin, dass sie bei der Festsetzung von Festbeträgen nach den in § 35 Absatz 5 SGB V gesetzlich festgelegten Kriterien vorgehen müssten. Zweitens gewährleiste das von ihnen einzuhaltende Verfahren, dass sowohl auf der Stufe der Bestimmung der Gruppen, für die Festbeträge gelten sollten, als auch auf der nachfolgenden Stufe, auf der die Festbeträge tatsächlich festgesetzt würden, unterschiedliche Interessen berücksichtigt würden. Medizinischen Sachverständigen, die die Pharma-Unternehmen und den Berufsstand der Apotheker verträten, werde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und ihre Standpunkte müssten berücksichtigt werden. Drittens unterlägen sie verschiedenen Aufsichtsmechanismen. Die auf der ersten Stufe getroffenen Entscheidungen bedürften der Genehmigung des Bundesgesundheitsministeriums. Auf der zweiten Stufe unterlägen sie der gerichtlichen Überprüfung.

51.     Mich überzeugt dieses Vorbringen der Beklagten nicht.

52.     Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes schließt der Umstand, dass der Staat einer Einrichtung die Aufgabe zuweist, Preise festsetzen, nicht automatisch das Vorliegen von Vereinbarungen oder Beschlüssen im Sinne des Artikels 81 EG aus. Ebenso wenig folgt jedoch aus dem Umstand, dass sich eine Einrichtung aus Personen zusammensetzt, die Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen angehören, dass ihre Entscheidungen automatisch in den Anwendungsbereich dieses Artikels fallen. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob die Mitglieder der Einrichtung als Vertreter von Unternehmen und in deren Interesse oder unabhängig und im öffentlichen Interesse handeln (20) .

53.     Ein wichtiger Faktor bei der Durchführung dieser Prüfung sind die Kriterien, anhand deren die Mitglieder der fraglichen Einrichtung ausgewählt werden. Wenn die Mitglieder wegen ihrer Stellung als unabhängige Fachleute ausgewählt werden, kann in der Regel angenommen werden, dass ihre Entscheidungen keine Beschlüsse im Sinne von Artikel 81 EG darstellen. Ein anderer wichtiger Faktor, der zu berücksichtigen ist, sind die materiellen und formalen Anforderungen, denen die fragliche Einrichtung bei ihrer Entscheidungsfindung unterliegt. Wenn sie verpflichtet ist, Erwägungen des Allgemeininteresses zu berücksichtigen und die verschiedenen Betroffenen anzuhören, ist sie grundsätzlich nicht als Unternehmensvereinigung anzusehen (21) .

54.     Was die Festsetzung der Festbeträge anbelangt, so halte ich den Standpunkt für vertretbar, dass die erste Stufe des Verfahrens (22) nicht zu Beschlüssen einer Unternehmensvereinigung führt. Die die Entscheidungen treffende Einrichtung setzt sich aus Vertretern von Ärzten und Vertretern der Beklagten zusammen. Die Kriterien des § 35 Absatz 1 SGB V verlangen, dass die Entscheidungen ausschließlich auf der Grundlage von Sachkenntnis getroffen werden. Darüber hinaus unterliegen die Entscheidungen der Kontrolle durch das Bundesgesundheitsministerium, bevor sie wirksam werden.

55.     Was die zweite Stufe des Verfahrens anbelangt, überzeugt mich das Vorbringen der Beklagten, dass sie unabhängig und im Allgemeininteresse handelten, jedoch weitaus weniger. Die die Entscheidungen treffende Einrichtung setzt sich ausschließlich aus den Beklagten zusammen. Ihre Entscheidungen werden sofort wirksam, ohne dass es einer Genehmigung durch das Gesundheitsministerium bedarf. Die von den Spitzenverbänden vertretenen Krankenkassen konkurrieren miteinander in mehrfacher Hinsicht und haben als Unternehmen ein klares Interesse daran, die Festbeträge so niedrig wie möglich festzusetzen. Je niedriger die Festbeträge sind, desto weniger werden ihre Mittel durch die Gewährleistung der Versorgung mit Arzneimitteln in Anspruch genommen und umso mehr Mittel stehen zur Verfügung, um sie in die Lage zu versetzen, miteinander in anderer Hinsicht zu konkurrieren.

56.     Es ist zwar richtig, dass § 35 SGB V Kriterien aufstellt, nach denen die Beklagten bei der Festsetzung von Festbeträgen vorzugehen haben, so dass das Ermessen, das sie möglicherweise besitzen, begrenzt ist. Die anwendbaren Kriterien unterscheiden sich jedoch meines Erachtens nicht ausreichend von den Eigeninteressen der Beklagten, um auszuschließen, dass die Entscheidungen, die diese Kriterien anwenden, Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung darstellen.

57.     Dass in § 35 Absatz 3 SGB V davon gesprochen wird, dass die Festbeträge auf der Grundlage von mittleren Tages- oder Einzeldosen oder anderen geeigneten Vergleichsgrößen festzusetzen sind, ist ein rein praktischer Aspekt der Berechnung der Festbeträge, der jedenfalls auf der ersten Stufe des Verfahrens konkretisiert werden wird.

58.     Was die Kriterien des § 35 Absatz 5 SGB V (23) anbelangt, so liegt der Schwerpunkt darauf, – entsprechend der Hauptaufgabe der Beklagten, für alle eine ausreichende, zweckmäßige und in der Qualität gesicherte Versorgung aufrechtzuerhalten – Arzneimittelpreise zu gewährleisten, die so niedrig wie möglich sind. Dieses Ziel ist dadurch zu erreichen, dass alle Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen und die preisgünstigsten Versorgungsmöglichkeiten zu sichern sind. Zu dem Zeitpunkt, auf den sich die vorliegenden Verfahren beziehen, sah § 35 Absatz 5 SGB V ferner vor, dass die Festbeträge an den niedrigsten Apothekenabgabepreisen in der Vergleichsgruppe auszurichten sind. In seiner neueren Fassung verlangt dieser Absatz weiterhin, dass die Festbeträge den höchsten Abgabepreis des unteren Drittels des Abstands zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Preis der Arzneimittel der jeweiligen Vergleichsgruppe nicht übersteigen.

59.     Auch das Erfordernis, einen wirksamen Preiswettbewerb zu sichern, stellt nach meiner Ansicht kein bedeutendes Gegengewicht zu den verschiedenen Kriterien dar, die den Schwerpunkt auf das Erfordernis legen, die Festpreise niedrig festzusetzen. Festbeträge können dazu dienen, hohe Preise zu überwinden, die sich aus einem Mangel an Preiswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt ergeben, sie können aber nicht an sich einen Preiswettbewerb einführen, wenn damit gemeint ist, dass sich die Preise durch einen wirksamen Wettbewerb zwischen den Anbietern von selbst einpendeln.

60.     Die Verpflichtung der Beklagten, bei der Festsetzung von Festbeträgen medizinische und pharmazeutische Sachverständige anzuhören und ihre Standpunkte zu berücksichtigen, ändert nichts an meiner Auffassung. Medizinische und pharmazeutische Sachkenntnis ist nur einer der Faktoren, auf deren Grundlage die Beklagten ihrer Aufgaben nachkommen, Festbeträge so niedrig wie möglich festzusetzen, und eine Pflicht, solche Sachkenntnis zu berücksichtigen, schließt daher nicht die Möglichkeit aus, dass die Beklagten als Vertreter der Krankenkassen handeln, die ihnen angehören.

61.     Ich bin daher der Meinung, dass die Entscheidungen, mit denen die Beklagten Festbeträge festsetzen – auch wenn noch zu sehen sein wird, ob sie gerechtfertigt sein können –, nicht überzeugend als Entscheidungen einer öffentlichen Einrichtung qualifiziert werden können, die von den Unternehmen, aus denen sich die Beklagten zusammensetzen, zu unterscheiden wäre, und dass sie daher als Beschlüsse einer Unternehmensvereinigung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG anzu sehen sind.

Anwendung von Artikel 81 EG auf die Beschlüsse, mit denen die Spitzenverbände der Krankenkassen die Festbeträge festsetzen

62.     Geht man davon aus, dass die Beklagten als Unternehmensvereinigung Beschlüsse treffen, wenn sie Festbeträge festsetzen, hängt die Anwendung von Artikel 81 EG auf solche Beschlüsse davon ab, ob dargetan werden kann, dass diese erstens eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, dass sie zweitens den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und dass drittens ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel spürbar sind. Die Meinungsunterschiede zwischen den Verfahrensbeteiligten hinsichtlich der Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG konzentrieren sich auf den ersten dieser drei Punkte.

63.     Die Klägerinnen machen geltend, dass diese Beschlüsse eine unmittelbare oder mittelbare Festsetzung des Ankaufspreises für Arzneimittel darstellten, die in Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG als eine der Praktiken genannt werde, auf die dieser Artikel anwendbar sein solle. Sie weisen auf die unstreitige Tatsache hin, dass mindestens 93 % der Arzneimittel, für die Festbeträge gälten, auf dem deutschen Markt zu einem Preis verkauft würden, der dem anwendbaren Festbetrag entspreche oder darunter liege. In der Praxis sei daher festzustellen, dass die Festbeträge eine Obergrenze für die Ankaufspreise für Arzneimittel in Deutschland auferlegten.

64.     Die Klägerinnen weisen darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Zweck einer Vereinbarung zwischen Lieferanten, den Preis festzulegen, zu dem Waren oder Dienstleistungen angeboten würden, in der Einschränkung des Wettbewerbs liege, ohne dass ihre tatsächlichen Auswirkungen geprüft werden müssten (24) . Gleiches müsse für eine Vereinbarung zwischen Käufern gelten, ihre Ankaufspreise auf einem bestimmten Markt festzulegen.

65.     Die Beklagten vertreten die Ansicht, dass die in Rede stehenden Beschlüsse keine Festsetzung von Ankaufspreisen für Arzneimittel darstellten. Nach deutschem Recht würden Arzneimittel von den Patienten und ihren Ärzten und nicht von den Krankenkassen gekauft. Die Festbeträge legten lediglich den Höchstbetrag fest, zu dem die Krankenkassen bereit seien, sich an den Kosten zu beteiligen, die den bei ihnen Versicherten entstünden. Als solche seien sie lediglich die natürliche und notwendige Folge der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen, die erforderliche medizinische Versorgung aller Versicherten in wirtschaftlicher Weise zu gewährleisten.

66.     Außerdem habe der Arzneimittelmarkt in Deutschland vor Einführung der Festbeträge zu strukturellen Verzerrungen geneigt, was einen Preiswettbewerb verhindert habe. Da weder die Patienten noch die Ärzte für die verschriebenen Arzneimittel hätten bezahlen müssen, habe es für keine der beiden Gruppen einen Anreiz gegeben, das günstigste verfügbare Arzneimittel zu kaufen, und die Pharma-Unternehmen seien keinem Druck ausgesetzt gewesen, hinsichtlich des Preises zu konkurrieren. Es könne daher nicht gesagt werden, dass sich die Festsetzung von Festbeträgen negativ auf den Wettbewerb ausgewirkt habe.

67.     Für mich steht fest, dass die Krankenkassen unabhängig davon, ob sie nach nationalem Recht die Käufer der Arzneimittel sind, Geschäftsbedingungen im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 Buchstabe a EG festlegen, wenn sie mit der Festsetzung der Festbeträge den Höchstbetrag abstimmen, zu dem sie sich an den Kosten dieser Arzneimittel beteiligen. Außerdem halte ich die Auffassung der Klägerinnen für zutreffend, dass diese Praxis als Festsetzung des Ankaufspreises für Arzneimittel zu qualifizieren ist.

68.     Entgegen dem Vorbringen der Kommission hängt dieses Ergebnis nach meiner Ansicht nicht davon ab, wie die vertraglichen Beziehungen, die dem Kauf der Arzneimittel zugrunde liegen, nach nationalem Recht zu beurteilen sind. Der Käuferstatus der Krankenkassen hängt meines Erachtens vielmehr davon ab, ob es tatsächlich sie sind, die die Mittel zur Verfügung stellen, mit denen die Arzneimittel gekauft werden, und die den Preis bestimmen, zu dem sie gekauft werden. Bei den meisten der fraglichen Arzneimittel erscheint es offensichtlich, dass die Krankenkassen beide dieser Funktionen wahrnehmen. Ein Beitrag des Versicherten zu den Kosten eines Arzneimittels ist nur dann erforderlich, wenn der Festbetrag überschritten wird. In Anbetracht der nachvollziehbaren fehlenden Bereitschaft der Versicherten, selbst Kosten zu tragen, wird die Nachfrage nach Arzneimitteln maßgeblich durch die von den Spitzenverbänden der Krankenkassen festgesetzten Festbeträge bestimmt. Der geringe Anteil der Arzneimittel, die in Deutschland zu einem Preis verkauft werden, der den anwendbaren Festbetrag übersteigt, bestätigt diese wirtschaftliche Realität.

69.     Ich bin ebenso überzeugt, dass eine Vereinbarung oder ein Beschluss der Käufer, den Ankaufspreis auf einem bestimmten Markt festzulegen, darauf abzielt, den Wettbewerb zu beschränken, ohne dass auf dieser Prüfungsstufe die Auswirkungen dieser Vereinbarung oder dieses Beschlusses auf den Wettbewerb untersucht werden müssten. Ankaufskartelle fallen nach Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG ausdrücklich unter das Verbot des Artikels 81 EG. Die besondere Aufmerksamkeit, die ihnen gewidmet wird, ist verständlich in Anbetracht ihres Potenzials, den Einkaufspreis von Gütern auf ein nicht mehr konkurrenzfähiges Niveau zu drücken, mit negativen Folgen für die Angebotsseite des relevanten Marktes. Ich bin daher der Meinung, dass sie denselben strengen Kontrollen unterliegen sollten, wie sie nach dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft für Anbieterkartelle gelten.

70.     Ich bin jedenfalls der Auffassung, dass die Festsetzung von Festbeträgen eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Arzneimittelmarkt im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG bewirkt. Nach den in den Vorlagebeschlüssen enthaltenen Informationen haben sich die Festbeträge eindeutig auf die von den Pharma-Unternehmen in Deutschland verlangten Preise ausgewirkt. Mich überzeugt auch nicht das Vorbringen der Beklagten, dass keine wettbewerbswidrige Wirkung dargetan werden könne, da vor Einführung der Festbeträge strukturelle Verzerrungen einen Preiswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt in Deutschland verhindert hätten. Selbst wenn man das Bestehen solcher strukturellen Verzerrungen unterstellt, beseitigt die Festsetzung von Festbeträgen nicht diese Verzerrungen durch Einführung eines Preiswettbewerbs. Stattdessen wird dadurch eine andersartige wettbewerbswidrige Wirkung erzeugt, die der deutsche Arzneimittelmarkt bisher nicht kannte, indem ein großer Teil der Nachfrage auf diesem Markt koordiniert wird.

71.     Hinsichtlich der verbleibenden Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit Artikel 81 Absatz 1 EG Anwendung findet, steht für mich fest – obwohl letztlich das nationale Gericht darüber zu entscheiden hat –, dass die fraglichen Beschlüsse geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen, und sich auch auf den Wettbewerb spürbar auswirken können. Keiner der Verfahrensbeteiligten hat versucht, etwas anderes zu behaupten.

72.     Ich bin daher der Ansicht, dass Beschlüsse, mit denen Festbeträge festgesetzt werden, grundsätzlich unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallen. Wenn dem so ist, hängt die Verantwortlichkeit der Krankenkassen somit davon ab, ob sie erfolgreich den Einwand staatlichen Handelns geltend machen oder ihre Beschlüsse nach Artikel 86 Absatz 2 EG rechtfertigen können.

Der Einwand staatlichen Handelns als Rechtfertigung der Beschlüsse der Spitzenverbände der Krankenkassen, mit denen sie Festbeträge festsetzen

73.     Artikel 81 EG gilt nur für wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die die Unternehmen aus eigener Initiative an den Tag legen. Wird den Unternehmen ein wettbewerbswidriges Verhalten durch nationale Rechtsvorschriften vorgeschrieben oder bilden diese einen rechtlichen Rahmen, der jede Möglichkeit für ein Wettbewerbsverhalten ihrerseits ausschließt, so ist Artikel 81 EG nicht anwendbar. In einem solchen Fall findet die Wettbewerbsbeschränkung nicht, wie diese Vorschrift voraussetzt, in selbständigen Verhaltensweisen der Unternehmen ihre Ursache (25) . Um erfolgreich geltend machen zu können, was als Einwand staatlichen Handels bezeichnet werden kann, müssen Unternehmen somit dartun, dass die nationalen Rechtsvorschriften, denen sie unterliegen, keine Möglichkeit eines Wettbewerbs bestehen lassen, der durch selbständige Verhaltensweisen ihrerseits eingeschränkt werden kann (26) . Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist dieses Kriterium restriktiv anzuwenden (27) .

74.     Vor einer Erörterung, ob den Beklagten durch den rechtlichen Rahmen, in dem sie tätig sind, tatsächlich jede Möglichkeit selbständiger Verhaltensweisen genommen wird, sind vorab drei Argumente zu prüfen, die die Klägerinnen gegen die Berücksichtigung des Einwands staatlichen Handelns auf die vorliegenden Verfahren angeführt haben.

75.     Erstens machen die Klägerinnen geltend, dass der Einwand staatlichen Handelns nur im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor der Kommission erhoben werden könne. Ich glaube nicht, dass es eine solche Begrenzung gibt. In der Neuformulierung dieses Einwands durch den Gerichtshof in den Randnummern 33 und 34 seines Urteils Ladbroke (28) wird eine solche Begrenzung nicht erwähnt. Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen, dass alle früheren Urteile, auf die sich der Gerichtshof in Randnummer 33 des Urteils Ladbroke stütze, Beschwerdeverfahren vor der Kommission betroffen hätten, zitiert der Gerichtshof nämlich zur Stützung seiner Neuformulierung Randnummer 20 seines Urteils GB-Inno-BM (29) , dem ein Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lag. Es steht jedenfalls fest, dass der Einwand staatlichen Handelns eine Doktrin von allgemeiner Geltung ist, da er auf grundlegende Prinzipien der Gemeinschaftsrechtsordnung gestützt ist, insbesondere auf den Grundsatz der Rechtssicherheit und das damit verbundene Verbot der rückwirkenden Strafbewehrung eines Verhaltens (nulla poena sine lege) (30) .

76.     Zweitens vertreten die Klägerinnen die Ansicht, dass der Einwand staatlichen Handelns nicht in Situationen erhoben werden könne, in denen ein Mitgliedstaat seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nehme, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Unternehmen übertrage. Ich räume ein, dass in dem Fall, dass es tatsächlich eine solche Übertragung der Verantwortung, Entscheidungen zu treffen, gegeben hat, die fraglichen Unternehmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit über ein Maß an Selbständigkeit verfügen, dass sie daran gehindert sind, den Einwand staatlichen Handelns geltend zu machen. Im vorliegenden Fall ist es meines Erachtens jedoch erforderlich, den für die Beklagten geltenden gesetzlichen Rahmen zu untersuchen, bevor beurteilt werden kann, ob ihnen tatsächlich ein solches Maß an Selbständigkeit eingeräumt wurde.

77.     Drittens sind die Klägerinnen der Auffassung, dass den Beklagten der Einwand staatlichen Handelns versagt sei, da sie nämlich versuchten, sich selbst als indirekter Teil der staatlichen Verwaltung zu definieren. Wenn das objektiv wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten tatsächlich als eine Form der staatlichen Rechtsumsetzung anzusehen sei, müssten sie die Verpflichtung zur loyalen Zusammenarbeit akzeptieren, die das Gemeinschaftsrecht dem Staat auferlege. Dieses Vorbringen geht meines Erachtens fehl. Unternehmen, die versuchen, den Einwand staatlichen Handelns geltend zu machen, werden immer in einem nationalen rechtlichen Rahmen tätig sein. Sollten sie deswegen als Teil des Staates anzusehen sein, könnte der Einwand staatlichen Handelns nie erhoben werden.

78.     Die vorlegenden Gerichte beurteilen das Ausmaß, in dem die Spitzenverbände der Krankenkassen bei der Festbetragsfestsetzung durch den nationalen rechtlichen Rahmen eingeengt sind, unterschiedlich. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf verfügen die Beklagten über ein erhebliches Maß an Selbständigkeit. Erstens enthielten die Rechtsvorschriften keine zwingenden Bestimmungen hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem der Festbetrag erstmals festgesetzt oder anschließend angepasst werden müsse. Zweitens räume das Gesetz den Beklagten ein gewisses Ermessen bei der Festsetzung der Höhe der Festbeträge ein. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass die in § 35 Absatz 5 SGB V genannten Kriterien in unterschiedliche Richtungen gingen.

79.     Der Bundesgerichtshof ist dagegen der Meinung, dass die Beklagten bei der Festbetragsfestsetzung keinen Handlungsspielraum hätten. Sie seien verpflichtet, die Festbeträge festzusetzen, und sollten sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, würde dies der Bundesgesundheitsminister an ihrer Stelle tun. Die Festbetragsfestsetzung unterliegende den gesetzlich festgelegten Anforderungen und sei gerichtlich vollständig überprüfbar.

80.     Es ist eindeutig Sache der nationalen Gerichte, zu klären, ob der gesetzliche Rahmen keinen Raum für selbständige Verhaltensweisen der Beklagten bei der Festsetzung der Festbeträge lässt. Dennoch kann es zweckdienlich sein, zwei Prüfungspunkte zu unterscheiden, die eine solche Beurteilung nach meiner Ansicht notwendig umfasst.

81.     Erstens muss geprüft werden, ob es den Beklagten möglich ist, die Festsetzung von Festbeträgen nach dem SGB V ganz zu vermeiden. Wenn nicht, können sie wegen der bloßen Handlung der Festsetzung von Festbeträgen in einem bestimmten Fall eindeutig nicht zur Verantwortung gezogen werden. Bei dieser Prüfung können sich die nationalen Gerichte möglicherweise auf die zweite Stufe des Verfahrens der Festbetragsfestsetzung beschränken. Wie ich bereits oben ausgeführt habe (31) , ist es gut möglich, dass die erste Stufe des Verfahrens wegen der Zusammensetzung der die Entscheidungen treffenden Einrichtung und der damit verbundenen Sachkenntnis nicht unter Artikel 81 Absatz 1 EG fällt. Was den Spielraum für selbständige Verhaltensweisen auf der zweiten Stufe des Verfahrens anbelangt, scheint § 35 Absatz 3 SGB V den Beklagten eindeutig eine klare und kategorische Handlungspflicht aufzuerlegen. Dieser Verpflichtung wird nach meiner Ansicht ihre verbindliche Natur auch dann nicht genommen, wenn für ihre Nichtbeachtung keine Sanktion vorgesehen ist. Hinsichtlich des Zeitpunkts verfügen die Beklagten zwar eindeutig über ein Ermessen, wann sie die Festbeträge festsetzen, es steht jedoch fest, dass sie die Höhe der Festbeträge wenigstens einmal jährlich überprüfen und sie dann ändern müssen, wenn dies unter Berücksichtigung der Marktbedingungen angemessen ist. Das Vorbringen, dass sie ihr Ermessen hinsichtlich des Zeitpunkts so ausüben könnten, dass sie die Festsetzung von Festbeträgen ganz vermeiden könnten, ist somit nicht glaubwürdig.

82.     Zweitens muss geprüft werden, ob die Beklagten bei der Festlegung der Höhe der Festbeträge über ein echtes Maß an Selbständigkeit verfügen. Wenn nicht, greift der Einwand staatlichen Handelns durch. Wenn sie jedoch über eine solche Freiheit verfügen, muss untersucht werden, ob ein dem ersten Anschein nach vorliegender Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG entweder vollständig der Art und Weise zugeschrieben werden kann, in der sie ihr Ermessen ausgeübt haben, oder zumindest durch die von ihnen getroffenen Entscheidungen verschlimmert worden sein kann (32) .

83.     Was die Festsetzung der Festbeträge anbelangt, lässt sich meines Erachtens erstere Möglichkeit, bei der der Verstoß gegen Artikel 81 EG vollständig den Beklagten zugeschrieben werden könnte, ausschließen. Da die Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt verpflichtet waren, auf der Grundlage der niedrigsten Apothekenabgabepreise der Vergleichsgruppe Festbeträge festzusetzen, dürfte es ihnen realistischerweise nicht freigestanden haben, einen Festbetrag zu wählen, mit dem jede spürbare wettbewerbswidrige Auswirkung auf den Arzneimittelmarkt in Deutschland vermieden worden wäre.

84.     Beim zweiten Prüfungspunkt können sich die nationalen Gerichte somit höchstwahrscheinlich darauf beschränken, unter Zugrundelegung des Sachverhalts des bei ihnen anhängigen Falles zu untersuchen, ob die Beklagten ein ihnen eingeräumtes Ermessen in dem speziellen Fall benutzt haben, um den Wettbewerb spürbar stärker zu beschränken, als es sich aus einer anderen Entscheidung ergeben hätte, die sie zulässigerweise hätten treffen dürfen.

85.     Wenn der Einwand staatlichen Handelns greift, entfällt in den vorliegenden Verfahren eine Verantwortlichkeit der Beklagten. Es ist jedoch zu bedenken, dass die anwendbaren deutschen Rechtsvorschriften selbst möglicherweise mit der Begründung beanstandet werden können, dass sie gegen die Verpflichtung verstießen, die den Mitgliedstaaten durch Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe g EG in Verbindung mit den Artikeln 10 und 81 EG auferlegt werde (33) , es sei denn, sie ließen sich nach Artikel 86 Absatz 2 EG rechtfertigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes darf ein Mitgliedstaat gegen Artikel 81 EG verstoßende Kartellabsprachen weder vorschreiben noch erleichtern oder deren Auswirkungen verstärken oder seiner eigenen Regelung dadurch ihren staatlichen Charakter nehmen, dass er die Verantwortung für in die Wirtschaft eingreifende Entscheidungen privaten Wirtschaftsteilnehmern überträgt (34) .

Die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG

86.     Falls die Beklagten selbständig gehandelt haben, als sie unter Verstoß gegen Artikel 81 Absatz 1 EG Festbeträge festgesetzt haben, und daher nicht den Einwand staatlichen Handelns erheben können, verbleibt ihnen die Möglichkeit, ihr Verhalten nach Artikel 86 Absatz 2 EG zu verteidigen. Hinsichtlich dieser Möglichkeit hat das Oberlandesgericht dem Gerichtshof verschiedene Fragen vorgelegt. Mit seiner dritten Fragen möchte es wissen, ob die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG dadurch ausgeschlossen wird, dass die Befugnis, Festbeträge festzusetzen, statt den Beklagten einer Institution übertragen werden könnte, die nicht Marktteilnehmer auf dem Arzneimittelmarkt ist, insbesondere der Bundesregierung oder einem Bundesminister. Mit dem ersten Teil seiner vierten Frage möchte es wissen, welche Voraussetzungen die Beklagten darlegen und beweisen müssen, damit sie sich zu ihrer Verteidigung auf Artikel 86 Absatz 2 Satz 1 berufen können. Mit dem zweiten Teil seiner vierten Fragen möchte es wissen, ob Artikel 86 Absatz 2 Satz 2 EG die Gewährung einer Ausnahme wegen der Auswirkungen des Festbetragsystems auf den Handelsverkehr ausschließt. Der Bundesgerichtshof fragt (mit seiner zweiten Frage) nur danach, ob die Festsetzung von Festbeträgen nach Artikel 86 Absatz 2 EG den Artikeln 81 und 82 EG entzogen ist, wenn sie dazu dient, ein infolge eines starken Anwachsens der Kostenbelastung in Frage gestelltes System der Krankenversicherung zu sichern.

87.     Um sich auf Artikel 86 Absatz 2 EG berufen zu können, müssten die Beklagten erstens dartun, dass sie mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut wurden. Ich habe keinen Zweifel, dass die deutschen Krankenkassen mit solchen Dienstleistungen betraut sind, nämlich mit der Bereitstellung eines auf Solidarität beruhenden Systems der gesetzlichen Krankenversicherung. Weder die Verfahrensbeteiligten noch die vorlegenden Gerichte bestreiten dies.

88.     Die Beklagten müssten ferner nachweisen, dass die Festsetzung von Festbeträgen erforderlich ist, um ihnen die ordnungsgemäße Erfüllung ihrer im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe zu ermöglichen (35) . Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes klar ergibt, geht ihre Beweislast nicht so weit, dass sie nachweisen müssten, dass ihnen ihre Aufgabe unmöglich gemacht würde, wenn sie keine Festbeträge festsetzen könnten (36) . Es würde genügen, dass sie ihre Aufgabe nicht unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen (37) oder finanziell stabilen Bedingungen (38) erfüllen könnten.

89.     Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass es den Beklagten grundsätzlich möglich ist, die Festbetragsfestsetzung entsprechend den vom Bundesgerichtshof in seiner zweiten Frage aufgezeigten Linien zu verteidigen. Es ist selbstverständlich Sache der nationalen Gerichte, in den Hauptverfahren zu beurteilen, ob die Festsetzung von Festbeträgen tatsächlich für die finanzielle Stabilität der deutschen Krankenkassen erforderlich ist.

90.     Die wesentlichen Meinungsunterschiede hinsichtlich der Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG bestehen im Zusammenhang mit der Verhältnismäßigkeit des gegenwärtigen Systems der Festbetragsfestsetzung.

91.     Nach Ansicht der Klägerinnen können Beschlüsse oder Vereinbarungen, die unter Artikel 81 Absatz 1 EG fallen und nicht der Kommission zwecks Befreiung gemäß Artikel 81 Absatz 3 EG notifiziert worden sind, nicht nach Artikel 86 Absatz 2 EG verteidigt werden. Eine solche Notifizierung stelle eine angemessenere Methode dar, um die Vereinbarkeit solcher Beschlüsse oder Vereinbarungen mit den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft zu gewährleisten. Da hinsichtlich der Festbetragsfestsetzungen keine Notifizierungen erfolgt seien, könnten sich die Beklagten nicht auf Artikel 86 Absatz 2 EG berufen.

92.     Meines Erachtens bedarf es keiner Notifizierung an die Kommission zwecks Befreiung nach Artikel 81 Absatz 3 EG, um sich zur Verteidigung von Beschlüssen oder Vereinbarungen, die gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen, auf Artikel 86 Absatz 2 EG berufen zu können. Im Urteil Amelo (39) hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass Artikel 86 Absatz 2 EG auf die dort in Rede stehenden Vereinbarungen anwendbar ist (40) , obwohl sie nicht notifiziert wurden (41) .

93.     Ferner weisen die Klägerinnen, ebenso wie das Oberlandesgericht, darauf hin, dass sich die Festbetragsfestsetzungen der Beklagten nicht rechtfertigen ließen, da sich die Kontrolle der Arzneimittelkosten institutionell anders regeln lasse. Die Beklagten und die Kommission sind anderer Meinung.

94.     Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil Kommission/Niederlande ausgeführt hat, dass ein Mitgliedstaat, um sich erfolgreich auf Artikel 86 Absatz 2 EG berufen zu können, zwar eingehend darlegen muss, aus welchen Gründen in seinen Augen die Erfüllung der im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben zu wirtschaftlich tragbaren Bedingungen im Falle einer Aufhebung der beanstandeten Maßnahmen gefährdet wäre, darüber hinaus aber nicht positiv belegen muss, dass keine andere vorstellbare, der Natur der Sache nach hypothetische Maßnahme es erlaube, die Erfüllung dieser Aufgaben unter solchen Bedingungen sicherzustellen (42) . Nach meiner Ansicht trifft auch die Beklagten als Unternehmen, die selbst versuchen, ihr Handeln zu verteidigen, in ähnlicher Weise keine solche Beweislast.

95.     Zweitens halte ich es für wichtig, bei der Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG im vorliegenden Zusammenhang auch die Freiheit zu berücksichtigen, die das Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten bei der Organisation ihrer eigenen Sozialversicherungssysteme gewährt (43) . Angesichts des weiten Ermessens, über das die nationalen Behörden dabei verfügen (44) , bin ich der Auffassung, dass die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 EG nur dann ausgeschlossen ist, wenn gezeigt werden kann, dass die Festbetragsfestsetzung als Methode, mit der die Arzneimittelkosten für Krankenkassen kontrolliert werden sollen, offensichtlich unverhältnismäßig ist.

96.     Dies ist meines Erachtens hier nicht der Fall. Wie die Kommission ausführt, ist das deutsche System der Festbetragsfestsetzung eine deutlich weniger eingreifende Methode zur Kontrolle von Ausgaben für Arzneimittel als bestimmte Mechanismen, die andere Staaten gewählt haben. So wird zum z. B. durch die Festsetzung von Festbeträgen anders als bei dem System der Negativlisten, das im Urteil Duphar (45) geprüft und grundsätzlich für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gehalten wurde, nicht rundweg ausgeschlossen, dass den Versicherten bestimmte Arzneimittel verschrieben werden können.

97.     Auch teile ich nicht die Ansicht des Oberlandesgerichts, dass die Möglichkeit, die Festsetzung von Festbeträgen der Bundesregierung oder einem Bundesministerium zu übertragen, ausreicht, um die offensichtliche Unverhältnismäßigkeit der bestehenden Regelung für die Festsetzung von Festbeträgen darzutun.

98.     Wie der Gerichtshof im Urteil Albany ausgeführt hat, lässt sich eine nationale Maßnahme im Bereich der sozialen Sicherheit auch dann nach Artikel 86 Absatz 2 EG rechtfertigen, wenn sie die Übertragung einer Entscheidungsbefugnis auf ein Unternehmen einschließt und dadurch einen potenziellen Interessenkonflikt herbeiführt (46) . Der Gerichtshof hat insbesondere die folgenden vier Faktoren berücksichtigt. Der erste Faktor ist die Spezifizierung der Kriterien, nach denen das Unternehmen bei Ausübung seiner Entscheidungsbefugnis vorgehen muss. Auch im vorliegenden Fall gehen die Beklagten bei der Festbetragsfestsetzung nach Kriterien vor. Ich kann nicht erkennen, inwiefern ein Bundesministerium, das nach denselben gesetzlichen Kriterien wie die Beklagten vorgehen würde, einem geringeren Druck als die Beklagten ausgesetzt sein sollte, die Festbeträge so niedrig wie möglich festzusetzen.

99.     Der zweite Faktor, der den Gerichtshof im Urteil Albany beeinflusst hat, war die Komplexität der Bewertung, wie sich bestimmte Entscheidungen auf das finanzielle Gleichgewicht des Unternehmens ausgewirkt hatten. Hinsichtlich des zweiten Faktors besteht kein Zweifel, dass die Beklagten ohne weiteres in der Lage sind, sowohl die medizinischen Bedürfnisse derjenigen, die sie versichern, als auch die Auswirkung der Arzneimittelkosten auf ihr eigenes finanzielles Gleichgewicht zu beurteilen.

100.   Der dritte Faktor war der Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit. Dieser Faktor ist auf die vorliegenden Verfahren eindeutig in gleicher Weise anwendbar.

101.   Der vierte Faktor war das Bestehen eines angemessenen Maßes gerichtlicher Überprüfung, um zu verhindern, dass der Wirtschaftsteilnehmer seine Entscheidungsbefugnis willkürlich ausübt. Hinsichtlich der Anwendung dieses Faktors auf die Umstände des vorliegenden Falls bestehen zwischen den Verfahrensbeteiligten Meinungsunterschiede in Bezug auf die Angemessenheit der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle der Festbetragsfestsetzung. Unter Berücksichtigung des Urteils Albany ist es erforderlich, dass die nationalen Gerichte eine ausreichende Kontrolle ausüben, um sicherzustellen, dass die Festbeträge nicht in willkürlicher oder diskriminierender Weise festgesetzt werden und dass sie entsprechend den in § 35 SGB V genannten Kriterien und Verfahren festgesetzt werden. Es Sache der vorlegenden Gerichte, zu beurteilen, ob diese Voraussetzung tatsächlich erfüllt ist.

102.   Was die vierte Frage des Oberlandesgerichts anbelangt, so ist der Teil hinsichtlich der Voraussetzungen, die die Beklagten zu beweisen haben, damit ihnen für die Festsetzung der Festbeträge eine Ausnahme nach Artikel 86 Absatz 2 EG zuteil werden kann, nach meiner Ansicht durch die vorangegangene Analyse bereits angemessen beantwortet. Hinsichtlich ihres zweiten Teils, der die Anwendbarkeit von Artikel 86 Absatz 2 Satz 2 EG betrifft, bin ich der Auffassung, dass, auch wenn man anerkennt, dass dieser Satz unmittelbare Wirkung haben kann, die vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen keinen Anlass zu der Annahme bieten, dass die Festsetzung der Festbeträge sich derart auf die Entwicklung des Handelsverkehrs auswirkt, dass sie dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Das Oberlandesgericht verweist auf das Ausmaß der Einsparungen, die sich aus der Festbetragsfestsetzung ergeben hätten, ohne Zahlen zu nennen, aus denen sich eine damit verbundene bedeutende Auswirkung auf die Ein- oder Ausfuhr von Arzneimitteln nach oder aus Deutschland oder eine andere Auswirkung auf die Entwicklung des Handelsverkehrs ergäbe. Mangels umfassenderer Ausführungen für oder gegen die Anwendung von Artikel 86 Absatz 2 Satz 2 EG auf den vorliegenden Fall halte ich es für unangemessen, weiter darauf einzugehen.

Möglichkeit, nach dem Gemeinschaftsrecht die Krankenkassen auf Schadensersatz oder Beseitigung in Anspruch zu nehmen

103.   Zu prüfen bleibt lediglich die dritte Frage des Bundesgerichtshofes, ob die Beklagten wegen der Festsetzung von Festbeträgen auf Abhilfe in Anspruch genommen werden können, wenn sie einer gesetzlichen Anordnung Folge leisten, auch wenn nach dem nationalen Recht eine Verweigerung der Mitwirkung bei dieser Festsetzung keine Sanktionen zu ihren Lasten auslöst.

104.   Wenn dargetan werden könnte, dass die Beklagten bei der Festsetzung der Festbeträge in einer Art und Weise selbständig gehandelt haben, dass ein Verstoß gegen Artikel 81 EG vorläge, und wenn es ihnen nicht gelänge, ihr Verhalten nach Artikel 86 Absatz 2 EG zu rechtfertigen, hätte ich keinen Zweifel, dass jeder, dem durch dieses Verhalten ein Schaden entstanden ist, vorbehaltlich nationaler Verfahrensvorschriften, die den Grundsätzen der Äquivalenz und Effizienz entsprechen, nach dem Gemeinschaftsrecht sowohl Schadensersatz als auch Beseitigung verlangen kann. Wie der Gerichtshof entschieden hat, wären die volle Wirksamkeit des Artikels 81 EG und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 81 Absatz 1 EG ausgesprochenen Verbots beeinträchtigt, wenn nicht jedermann in einem Verfahren vor einem nationalen Gericht Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb zu beschränken oder zu verfälschen geeignet ist, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist (47) . Dieselbe Beurteilung gilt meines Erachtens auch für den Anspruch auf Beseitigung.

105.   Der Frage des Bundesgerichtshofes scheint jedoch die Annahme zugrunde zu liegen, dass die Beklagten nach dem geltenden gesetzlichen Rahmen verpflichtet sind, Festbeträge unter Verstoß gegen Artikel 81 EG festzusetzen. Wenn eine solche Verpflichtung der Beklagten besteht, fallen sie selbst, wie ich bei der Erörterung des Einwands staatlichen Handelns bereits klargestellt habe, nicht unter Artikel 81 EG und können nicht wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift zur Verantwortung gezogen werden, auch wenn es an einer Sanktion der Weigerung, den ihnen nach nationalem Recht obliegenden Verpflichtungen nachzukommen, fehlt. Ich meine deswegen, dass die letzte Frage des Bundesgerichtshofes durch die von mir vorgeschlagene zweite Antwort auf die vorgelegten Fragen angemessenen beantwortet wird.

Ergebnis

106.   Ich bin daher der Ansicht, dass der Gerichtshof die ihm vom Oberlandesgericht Düsseldorf und vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen wie folgt beantworten sollte:

1.
Die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen in einem Mitgliedstaat wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden sind als Unternehmensvereinigung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG anzusehen, wenn sie gemeinsam den Höchstpreis festlegen, zu dem die Krankenkassen Arzneimittel kaufen und bezahlen, und damit die Höhe ihrer Leistungspflicht im Verhältnis zu ihren Versicherten beschränken.

2.
Eine solche gemeinsame Festsetzung stellt einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung dar, der eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs i. S. des Artikels 81 Absatz 1 EG bezweckt oder bewirkt.

Mit einer solchen Festsetzung verstoßen die Spitzenverbände jedoch nicht gegen Artikel 81 EG, soweit die daraus folgende Einschränkung des Wettbewerbs nicht ihrem selbständigen Verhalten zuzuschreiben ist, sondern durch das nationale Recht vorgeschrieben ist, und zwar unabhängig davon, ob für die Nichtbefolgung des in Rede stehenden nationalen Rechts eine Sanktion vorgesehen ist.

3.
Eine solche gemeinsame Festsetzung unterliegt nach Artikel 86 Absatz 2 EG nicht den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft, es sei denn, dass dargetan werden kann, dass sie als Methode, die die Fähigkeit der Krankenkassen sichern soll, ihre im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegende Aufgabe unter finanziell stabilen Bedingungen zu erfüllen, offensichtlich unverhältnismäßig ist. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist.


1
Originalsprache: Englisch.


2
 ‑ Zum Grundsatz der Solidarität siehe unten, Nr. 32.


3
 ‑ Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2002, 1 BvL 28/95, 1 BvL 29/95 und 1 BvL 30/95.


4
 ‑ Vgl. z. B. Urteile vom 23. April 1991 in der Rechtssache C-41/90 (Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 21), vom 17. Februar 1993 in den Rechtssachen C-159/91 und C-160/91 (Poucet und Pistre, Slg. 1993, I-637, Randnr. 17) und vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C-218/00 (Cisal, Slg. 2002, I-691, Randnr. 22).


5
 ‑ Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-67/96 (Albany, Slg. 1999, I-5751, Randnrn. 85 und 86).


6
 ‑ Vgl. Urteil Höfner und Elser, zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 22 und 23. Vgl. ferner meine Schlussanträge in der Rechtssache Albany, zitiert in Fußnote 5, Nr. 311.


7
 ‑ Urteil vom 16. November 1995 in der Rechtssache C-244/94 (Fédération Française des Sociétés d’Assurance, Slg. 1995, I-4013 [ „FFSA“], Randnr. 21).


8
 ‑ Zitiert in Fußnote 4.


9
 ‑ Zitiert in Fußnote 4.


10
 ‑ Zum Grundsatz der Solidarität in Systemen der sozialen Sicherheit vgl. Urteil Poucet und Pistre, zitiert in Fußnote 4, Randnrn. 10 ff.


11
 ‑ Zitiert in Fußnote 5, Nr. 338.


12
 ‑ Zitiert in Fußnote 4, Nr. 62.


13
 ‑ Zitiert in Fußnote 7.


14
 ‑ Zitiert in Fußnote 5.


15
 ‑ Beide zitiert in Fußnote 4.


16
 ‑ In Nr. 73.


17
 ‑ Vgl. z. B. die Amministrazione Autonoma dei Monopoli di Stato im Urteil des Gerichtshofes vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 118/85 (Kommission/Italien, Slg. 1987, 2599, Randnr. 7) und die Bundesanstalt für Arbeit im Urteil Höfner und Elser, zitiert in Fußnote 4.


18
 ‑ Darin unterscheidet sich das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 4. März 2003 in der Rechtssache T-319/99 (FENIN, Slg. 2003, II-0000, Randnrn. 38 und 40).


19
 ‑ Siehe oben, Nrn. 11 bis 14.


20
 ‑ Vgl. z. B. Urteil vom 17. November 1993 in der Rechtssache C-185/91 (Reiff, Slg. 1993, I-5801, Randnr. 16).


21
 ‑ Urteil vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-35/96 (Kommission/Italien, Slg. 1998, I-3851, Randnr. 44).


22
 ‑ Siehe oben, Nr. 11.


23
 ‑ Siehe oben, Nr. 12.


24
 ‑ Urteil vom 30. Januar 1985 in der Rechtssache 123/83 (BNIC, Slg. 1985, 391, Randnr. 22).


25
 ‑ Urteil vom 11. November 1997 in den Rechtssachen C-359/95 P und C-379/95 P (Ladbroke, Slg. 1997, I-6265, Randnr. 33).


26
 ‑ Urteil Ladbroke, zitiert in Fußnote 25, Randnr. 34.


27
 ‑ Urteil des Gerichts erster Instanz vom 30. März 2000 in der Rechtssache T-513/93 (Consiglio Nazionale degli Spedizionieri Doganali/Kommission, Slg. 2000, II-1807, Randnr. 60 und die dort zitierte Rechtsprechung).


28
 ‑ Zitiert in Fußnote 25.


29
 ‑ Urteil vom 13. Dezember 1991 in der Rechtssache 18/88 (Slg. 1991, I-5941).


30
 ‑ Siehe Nrn. 48 bis 50 meiner Schlussanträge vom 30. Januar 2003 in der Rechtssache C-198/01 (CIF).


31
 ‑ In Nr. 54.


32
 ‑ Vgl. Nr. 69 meiner Schlussanträge in der Rechtssache C-198/01, zitiert in Fußnote 30.


33
 ‑ Vgl. Nr. 51 meiner Schlussanträge in der Rechtssache C-198/01, zitiert in Fußnote 30.


34
 ‑ Vgl. Urteil Kommission/Italien, zitiert in Fußnote 21, Randnr. 54 und die dort zitierten Urteile.


35
 ‑ Urteil vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91 (Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnr. 14).


36
 ‑ Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-157/94 (Kommission/Niederlande, Slg. 1997, I-5699, Randnr. 43).


37
 ‑ Urteil Corbeau, zitiert in Fußnote 35, Randnr. 16.


38
 ‑ Ebendort, Randnr. 17 und Tenor.


39
 ‑ Urteil vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Slg. 1994, I-1477).


40
 ‑ Randnrn. 49 bis 51 des Urteils.


41
 ‑ Vgl. Nr. 108 der Schlussanträge des Generalanwalts Darmon.


42
 ‑ Zitiert in Fußnote 36, Randnr. 58.


43
 ‑ Urteil vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 238/82 (Duphar, Slg. 1984, 523, Randnr. 16).


44
 ‑ Vgl. Urteil Albany, zitiert in Fußnote 5, Randnr. 122.


45
 ‑ Zitiert in Fußnote 43.


46
 ‑ Zitiert in Fußnote 5, Randnrn. 116 bis 122.


47
 ‑ Urteil vom 20. September 2001 in der Rechtssache C-453/99 (Courage und Crehan, Slg. 2001, I-6297, Randnr. 26).