SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
EVGENI TANCHEV
vom 9. November 2017(1)
Rechtssache C‑414/16
Vera Egenberger
gegen
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])
„Gleichbehandlung im Bereich der Beschäftigung – Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG – Wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen von Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht – Ungleichbehandlung wegen der Religion im Bereich der Beschäftigung durch ein kirchliches Hilfswerk – Art. 17 AEUV – Kirchliches Privileg der Selbstbestimmung – Begrenzte gerichtliche Überprüfbarkeit des ‚Selbstverständnisses‘ von Religionsgemeinschaften nach dem Verfassungsrecht eines Mitgliedstaats – Vorrang, Einheit und Wirksamkeit des die Gleichbehandlung betreffenden Unionsrechts – Art. 52 Abs. 3 und Art. 53 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Abwägung widerstreitender Rechte – Horizontale Wirkungen der Charta“
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Rechtlicher Rahmen
A. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
B. Vertrag über die Europäische Union
C. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
D. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
E. Richtlinie 2000/78
F. Deutsches Recht
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
IV. Der Vorlagebeschluss
V. Würdigung
A. Überblick
B. Vorbemerkungen
1. Die Tätigkeiten von Religionsgemeinschaften und der Anwendungsbereich des Unionsrechts
2. Regeln für die Anwendung der Charta und das Ausgangsverfahren
3. Gerichtliche Überprüfung von Beschäftigungsverhältnissen und Religionsgemeinschaften in Deutschland
C. Zur ersten Frage
1. Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfung kirchlicher Organisationen als Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78
a) Einleitende Bemerkungen
b) Sind nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfung durch das Verfassungsrecht eines Mitgliedstaats zulässig?
1) Wortlaut
2) Kontext und Zweck
3) Entstehungsgeschichte
3. Art. 17 AEUV
4. Ergebnis in Bezug auf die erste Frage
D. Zur dritten Frage
E. Zur zweiten Frage
F. Schlussbemerkungen
VI. Antworten auf die Vorlagefragen
I. Einleitung
1. Nachdem Frau Vera Egenberger eine im November 2012 veröffentlichte Stellenanzeige gelesen hatte, bewarb sie sich ohne Erfolg auf eine auf 18 Monate befristete Stelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. (im Folgenden: Beklagter), einer privatrechtlichen Vereinigung, die ausschließlich gemeinnützige, mildtätige und religiöse Zwecke verfolgt und ein Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Zur Stellenbeschreibung gehörte die Erarbeitung eines Berichts über die Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung durch Deutschland (im Folgenden: Antirassismusbericht). Frau Egenberger (im Folgenden: Klägerin) verfügte über jahrelange Erfahrung in diesem Bereich und hatte eine Reihe einschlägiger Veröffentlichungen verfasst(2).
2. Die Klägerin macht geltend, sie habe die Stelle nicht bekommen, weil sie konfessionslos sei; dies verstoße gegen ihre in Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) zum Ausdruck kommende Freiheit der Weltanschauung. Außerdem sei sie aufgrund ihrer Weltanschauung diskriminiert worden, was gegen Art. 21 der Charta sowie die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (im Folgenden: Richtlinie 2000/78)(3) verstoße.
3. Da sich der Beklagte auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 beruft, geht es in diesem Rechtsstreit im Kern um die Ungleichbehandlung wegen des Glaubens bei „beruflichen Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht“, im Sinne dieser Vorschrift. Der Gerichtshof wird aber auch zum ersten Mal um die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ersucht(4), was komplexe Fragen nach den Wechselwirkungen zwischen dieser Bestimmung und verschiedenen Bestimmungen der Charta aufwirft, und zwar zum einen ihr Art. 22, der vorsieht, dass die „Union … die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen [achtet]“, und zum anderen Art. 17 AEUV, der bestimmt, dass der „Status“ gewahrt wird, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften sowie weltanschauliche Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen(5).
4. Darüber hinaus sind kirchliche Einrichtungen dem Vernehmen nach der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland und sollen in einigen Regionen und Arbeitsfeldern eine Quasi-Monopolstellung innehaben(6). Man kann daher gar nicht genug betonen, wie heikel die Abwägung zwischen der Wahrung des Rechts der Religionsgemeinschaften in der Union auf Autonomie und Selbstbestimmung(7) (auf das sich der Beklagte in erster Linie zur Rechtfertigung der hier in Rede stehenden Ungleichbehandlung beruft) und dem Erfordernis einer wirksamen Anwendung des Verbots der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung auf dem ethnisch und religiös vielfältigen Arbeitsmarkt der Union ist, da der gleiche Zugang zu Beschäftigung und beruflicher Weiterentwicklung für jeden von fundamentaler Bedeutung ist, nicht nur, um den Lebensunterhalt zu verdienen und ein eigenständiges Leben zu sichern, sondern auch für die Selbstverwirklichung und die Ausschöpfung des persönlichen Potenzials(8).
II. Rechtlicher Rahmen
A. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
5. Art. 9 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) bestimmt:
„(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen.
(2) Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
B. Vertrag über die Europäische Union
6. Art. 4 Abs. 2 EUV lautet:
„Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.“
C. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
7. Art. 10 AEUV bestimmt:
„Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen zielt die Union darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“
8. Art. 17 AEUV lautet:
„(1) Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.
(2) Die Union achtet in gleicher Weise den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen.
(3) Die Union pflegt mit diesen Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog.“
D. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
9. Art. 10 („Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“) der Charta bestimmt in Abs. 1:
„Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.“
10. Art. 22 („Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“) der Charta lautet:
„Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.“
11. Art. 52 Abs. 3 der Charta sieht vor:
„Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, haben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konvention verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.“
12. In Art. 53 („Schutzniveau“) der Charta heißt es:
„Keine Bestimmung dieser Charta ist als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen, die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und … die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden.“
E. Richtlinie 2000/78
13. Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 lautet:
„Die Europäische Union hat in ihrer der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11 zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass sie den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und ihn nicht beeinträchtigt und dass dies in gleicher Weise für den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften gilt. Die Mitgliedstaaten können in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können.“
14. Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt:
„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“
15. Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) der Richtlinie 2000/78 sieht in Abs. 1 vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.“
16. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a bestimmt:
„Im Sinne des Absatzes 1
a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde“.
17. Art. 4 („Berufliche Anforderungen“) der Richtlinie 2000/78 sieht in Abs. 2 Unterabs. 1 vor:
„Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder de[n] Umstände[n] ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“
F. Deutsches Recht
18. Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (im Folgenden: GG) bestimmt:
„(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
19. Nach Art. 140 GG sind die Bestimmungen der Art. 136 bis 139 und 141 der Verfassung des Deutschen Reiches (im Folgenden: WRV) Bestandteil des Grundgesetzes. Die relevanten Bestimmungen von Art. 137 WRV lauten:
„(1) Es besteht keine Staatskirche.
(2) Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften wird gewährleistet. …
(3) Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.
…
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.
…“
20. § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (im Folgenden: AGG) bestimmt:
„Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“
21. § 7 Abs. 1 AGG lautet:
„Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.“(9)
22. § 9 Abs. 1 AGG sieht vor:
„Ungeachtet des § 8 [AGG] ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefragen
23. In der Anzeige, um die es im Ausgangsverfahren geht, hieß es:
„Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der [Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland] angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“
24. Das in der Anzeige angegebene Aufgabengebiet umfasste die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und Menschenrechtsorganisationen sowie die Mitarbeit in Gremien. Es umfasste ferner die Information der Diakonie Deutschland und die Koordination des Meinungsbildungsprozesses innerhalb dieses Verbands.
25. Wie oben erwähnt, bewarb sich die konfessionslose Klägerin ohne Erfolg auf die Stellenanzeige. Der letztlich eingestellte Bewerber hatte zu seiner Konfessionszugehörigkeit angegeben, er sei ein „in der Berliner Landeskirche sozialisierter evangelischer Christ“.
26. Die Klägerin erhob beim Arbeitsgericht Berlin Klage auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 9 788,65 Euro. Das Arbeitsgericht bejahte eine Benachteiligung der Klägerin, begrenzte aber die Entschädigung auf 1 957,73 Euro. Sodann wurde in dieser Sache Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg und Revision zum Bundesarbeitsgericht eingelegt.
27. Da das Bundesarbeitsgericht Zweifel an der richtigen Auslegung des Unionsrechts unter den Umständen des vorliegenden Falles hat, hat es dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV folgende Fragen vorgelegt:
1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber wie der Beklagte des vorliegenden Falles – bzw. die Kirche für ihn – verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstellt?
2. Sofern die erste Frage verneint wird:
Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie hier § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG –, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, in einem Rechtsstreit wie hier unangewendet bleiben?
3. Sofern die erste Frage verneint wird, zudem:
Welche Anforderungen sind an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zu stellen?
28. Die Klägerin, der Beklagte, die deutsche Regierung, Irland und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme von Irland haben sie alle an der mündlichen Verhandlung am 18. Juli 2017 teilgenommen.
IV. Der Vorlagebeschluss
29. Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass Deutschland über die einschlägigen Bestimmungen des AGG von der Möglichkeit in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 Gebrauch gemacht hat, „Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften bei[zu]behalten“ oder „in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vor[zu]sehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln“, wenn es sich um „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ berufliche Anforderungen handelt(10). Nach den Angaben im Vorlagebeschluss macht die Klägerin geltend, die durch die Stellenanzeige ersichtliche Berücksichtigung der Religion in dem fraglichen Bewerbungsverfahren sei – jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung – nicht mit dem Diskriminierungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG vereinbar. § 9 Abs. 1 AGG könne die erfolgte Diskriminierung nicht rechtfertigen. Zudem habe der Beklagte nicht durchgängig bei allen von ihm ausgeschriebenen Stellen auf die Religionszugehörigkeit abgestellt, und die ausgeschriebene Stelle sei u. a. durch projektbezogene Fördermittel nicht kirchlicher Dritter finanziert worden.
30. Der Beklagte hält die hier in Rede stehende unterschiedliche Behandlung wegen der Religion durch § 9 Abs. 1 AGG für gerechtfertigt. Nach den Regelungen der Evangelischen Kirche in Deutschland sei die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche notwendige Voraussetzung für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Das Recht, eine solche Anforderung zu stellen, gehöre zum verfassungsrechtlich geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und sei Ausfluss von Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV. Dies sei, insbesondere auch im Hinblick auf Art. 17 AEUV, mit dem Unionsrecht vereinbar. Überdies stelle die Religionszugehörigkeit unter Beachtung des Selbstverständnisses der beklagten Gemeinschaft nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.
31. In Bezug auf die erste Frage wird im Vorlagebeschluss ausgeführt, nach dem ausdrücklichen Willen des deutschen Gesetzgebers habe Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 in der Weise umgesetzt werden sollen, dass die bereits geltenden Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten beibehalten würden; diese Entscheidung habe der nationale Gesetzgeber im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 WRV zum „Privileg der Selbstbestimmung“ getroffen. Daher sei nach deutschem Recht die gerichtliche Überprüfbarkeit im Kontext von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auf eine Plausibilitätskontrolle beschränkt, die auf der Grundlage des glaubensdefinierten kirchlichen Selbstverständnisses erfolgen müsse. Fraglich sei aber, ob ein solches Verständnis von § 9 Abs. 1 AGG mit dem Unionsrecht vereinbar sei.
32. Zur zweiten Frage führt das vorlegende Gericht aus, die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs enthalte Überlegungen dazu, ob das Diskriminierungsverbot aus Gründen der Religion ein subjektives Recht verleihe, so dass selbst bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen von der Anwendung bestimmter damit nicht in Einklang stehender Vorschriften der Mitgliedstaaten abgesehen werden müsse(11). Allerdings sei bislang nicht entschieden worden, ob dies auch dann gelte, wenn sich ein Arbeitgeber auf primäres Unionsrecht wie Art. 17 AEUV berufe, um eine Benachteiligung wegen der Religion zu rechtfertigen.
33. Mit der dritten Frage wird um Klarstellung ersucht, wie sich die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte etablierten Kriterien zu dem im Vorlagebeschluss als die Religion betreffende Loyalitätskonflikte in bestehenden Arbeitsverhältnissen bezeichneten Aspekt auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auswirken könnten. Zu diesen Kriterien gehörten insbesondere die Art der betreffenden Stelle(12), die Nähe der betreffenden Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag(13) und der Schutz von Rechten Dritter, z. B. das Interesse einer katholischen Universität daran, dass die dortige Lehre vom katholischen Glauben geprägt sei(14). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nehme auch eine Abwägung der konkurrierenden Rechte und Interessen vor(15).
V. Würdigung
A. Überblick
34. Ich möchte mich zu Beginn meiner Analyse mit drei Vorfragen befassen.
35. Erstens werde ich darauf eingehen, ob zur Beantwortung der Vorlagefragen geklärt werden muss, ob der Beklagte „wirtschaftliche Tätigkeiten“ ausübte, als er mittels einer Anzeige für die Erstellung des Antirassismusberichts und die fachliche Vertretung des Beklagten Mitglieder bestimmter christlicher Kirchen suchte und letztlich eine solche Person auswählte.
36. Zweitens werde ich darlegen, wie und warum Art. 52 Abs. 3 und Art. 53 der Charta für die Lösung der im Ausgangsverfahren auftretenden Rechtsfragen von zentraler Bedeutung sind. Nach Art. 52 Abs. 3 der Charta haben darin enthaltene Rechte, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite wie diese. Hinzugefügt wird in Art. 52 Abs. 3, dass diese Bestimmung „dem nicht entgegen[steht], dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt“. Der von Art. 53 in erster Linie relevante Teil betrifft die vom Gerichtshof im Urteil Melloni(16) ausgelegte Feststellung, dass keine Bestimmung „dieser Charta … als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen [ist], die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und … die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“.
37. Drittens werde ich die Unstimmigkeiten darlegen, die es bei den dem Gerichtshof unterbreiteten Angaben zum genauen Inhalt des deutschen Rechts nach seiner Auslegung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfung bei Religionsgemeinschaften gibt, die sich im Kontext des Arbeitsrechts auf das Privileg der kirchlichen Selbstbestimmung berufen.
38. Danach werde ich mich der Beantwortung der Vorlagefragen zuwenden. Zuerst werde ich die erste und die dritte Frage beantworten, da es bei ihnen im Wesentlichen um eine Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 im Licht des Primärrechts der Union – einschließlich Art. 17 AEUV – und der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht.
39. Bei der Beantwortung der ersten Frage werde ich darauf eingehen, ob die Bezugnahme auf den „Status“ von Religionsgemeinschaften nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Art. 17 AEUV in Verbindung mit der Bezugnahme auf das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78(17) ausreicht, um hinsichtlich des Umfangs und der Intensität der gerichtlichen Überprüfung in einem Fall, in dem sich ein Beschäftigter oder Bewerber(18) dagegen wendet, dass sich eine Religionsgemeinschaft zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Beschäftigungsverhältnis auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 beruft, zu einem „renvoi“ auf das Recht der Mitgliedstaaten – und im Ausgangsverfahren Deutschlands – zu führen.
40. Die bei der Beantwortung der ersten Frage vorgenommene Würdigung werde ich heranziehen, um zu klären, welche „Anforderungen“ im Sinne der dritten Frage (wobei ich es vorziehe, sie im Rahmen der Würdigung als relevante „Faktoren“ zu bezeichnen) an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zu stellen sind.
41. Die zweite Frage, auf die ich zuletzt eingehen werde, betrifft die Folgen für etwaige Rechtsbehelfe, falls die Auslegung der für die Lösung des vorliegenden Rechtsstreits relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen mit dem Wortlaut der relevanten Bestimmungen des deutschen Rechts in einem Maß unvereinbar ist, dass keine unionsrechtskonforme Auslegung der letztgenannten Bestimmungen möglich ist.
42. Diese Frage stellt sich, weil das im Unionsrecht verankerte Grundrecht, nicht aus Gründen der Weltanschauung diskriminiert zu werden, in einer Unionsrichtlinie konkreten Ausdruck gefunden hat(19) und das Ausgangsverfahren eine horizontale Situation betrifft, in der sich beide Prozessparteien der jeweils anderen Partei gegenüber auf diese Richtlinie berufen; die Klägerin ist eine Privatperson und der Beklagte ist ein privatrechtlicher Verein(20). Die Klägerin beruft sich gegenüber dem Beklagten auf die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78, und der Beklagte beruft sich der Klägerin gegenüber auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann eine Richtlinie jedoch nicht selbst eine Verpflichtung für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber keine Berufung auf die Richtlinie als solche möglich ist(21).
43. Die Verpflichtung der Gerichte der Mitgliedstaaten, innerstaatliches Recht unionsrechtskonform auszulegen, unterliegt weiteren Schranken. So findet die Verpflichtung eines nationalen Gerichts, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen(22).
44. Infolgedessen kollidiert der klassische Ausschluss einer unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien mit einer anderen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Regel. Das heißt, auch wenn das Grundrecht, nicht wegen des Alters diskriminiert zu werden, besonderen Ausdruck in einer Unionsrichtlinie gefunden hat, entfaltet es gleichwohl insofern unmittelbare horizontale Wirkung, als alle mit ihm unvereinbaren nationalen Regelungen einschließlich solcher, die contra legem ausgelegt werden müssten, unangewendet bleiben müssen, und zwar auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen zwei Privatpersonen(23).
45. Das vorlegende nationale Gericht möchte daher mit der zweiten Frage wissen, ob das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion und der Weltanschauung zur gleichen Gruppe von Rechten gehört wie das Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters, so dass das vorlegende nationale Gericht, trotz der horizontalen Natur des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, sämtliche mit dem Unionsrecht (und insbesondere mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78) unvereinbare nationale Maßnahmen unangewendet lassen muss(24). Zudem ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss, wenn auch nicht aus dem Wortlaut der zweiten Frage selbst, dass das vorlegende Gericht Aufschluss darüber erhalten möchte, ob Art. 17 AEUV dafür in irgendeiner Weise von Bedeutung ist.
B. Vorbemerkungen
1. Die Tätigkeiten von Religionsgemeinschaften und der Anwendungsbereich des Unionsrechts
46. Die Religion hatte in keinem der drei Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Atomgemeinschaft einen Platz. Überdies wurden wegen der – wie es jetzt scheinen mag – bescheidenen Ziele der Römischen Verträge, die sich im Wesentlichen darauf beschränkten, eine wirtschaftliche Integration anzustreben(25), in der frühen Rechtsprechung des Gerichtshofs die Umstände, unter denen die Mitgliedschaft in einer auf Religion oder einer anderen Form der Weltanschauung beruhenden Vereinigung unter das Gemeinschaftsrecht fiel, aus rein wirtschaftlicher Perspektive beurteilt.
47. Im Urteil Steymann aus dem Jahr 1988 stellte der Gerichtshof fest, dass der Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts die Mitgliedschaft in einer auf Religion oder einer anderen Form der Weltanschauung beruhenden Vereinigung nur insoweit erfasst, als sie „als Teil des Wirtschaftslebens im Sinne von Artikel 2 EWG-Vertrag angesehen werden kann“(26). Generalanwalt Slynn führte im gleichen Jahr in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Humbel und Edelaus, dass religiöse Orden „Personen [beschäftigen] und … für Heizung und Licht [zahlen]“ und „auch eine Gebühr für bestimmte Leistungen erheben [können].“ Generalanwalt Slynn betonte jedoch: „Das wirkliche Kriterium ist, ob die Dienstleistungen als Teil einer wirtschaftlichen Tätigkeit erbracht werden.“(27)
48. Durch spätere Änderungen der Verträge verringerte sich jedoch die Abhängigkeit der Unionszuständigkeit von der Begründung mit wirtschaftlicher Integration(28), so dass die Frage, ob eine Religionsgemeinschaft eine „wirtschaftliche Tätigkeit“ ausübt, für den materiellen Teil des fraglichen Unionsrechts nicht immer relevant sein wird. Beispielsweise haben sich solche Organisationen gegen ihre Interessen beeinträchtigende Beschränkungen der Freizügigkeit gewehrt, die von den Mitgliedstaaten mit Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt wurden(29), eine Aufgabe, die „ethisch-weltanschauliche“ politische Erwägungen umfassen kann(30). Im aktuellen verfassungsrechtlichen Rahmen der Europäischen Union können sich sowohl Religionsgemeinschaften(31) als auch Einzelpersonen(32) auf den Schutz von Art. 10 der Charta berufen, um ihr Recht auf Religionsfreiheit in Bezug auf Rechtsakte der Einrichtungen, Organe, Ämter und Agenturen der Union(33) und auf Rechtsakte der Mitgliedstaaten, wenn diese Unionsrecht durchführen(34), geltend zu machen, unabhängig davon, ob solche Maßnahmen auf eine Regelung wirtschaftlicher Tätigkeiten abzielen. Dasselbe gilt für horizontale Rechtsstreitigkeiten wie im Ausgangsverfahren, in denen die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Einklang mit einer Richtlinie ausgelegt werden müssen, soweit dies möglich ist(35).
49. Aus diesem Grund bin ich trotz der vom Vertreter der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Auffassung, dass es für die Beantwortung der im Ausgangsverfahren vorgelegten Fragen irrelevant ist, ob der Beklagte eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübte, als er per Anzeige nach Unterstützung bei der Erarbeitung des Antirassismusberichts suchte, wobei er die Anzeige nur an Bewerber richtete, die bestimmten christlichen Glaubensrichtungen angehören, und einen entsprechenden Bewerber auswählte.
50. Der von der Kommission vertretene Ansatz könnte faktisch zu einer unangemessenen Reduzierung des sachlichen Anwendungsbereichs von Art. 17 AEUV auf die Anerkennung des nach nationalem Recht bestehenden Status von Kirchen, religiösen Vereinigungen und Gemeinschaften sowie weltanschaulichen und nicht konfessionellen Gemeinschaften allein in Fällen führen, in denen sie wirtschaftlich tätig sind. Allgemeiner könnte er den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts in Bezug auf derartige Gemeinschaften in einer Weise beschränken, die mit dem modernen, durch den EU-Vertrag und den AEU-Vertrag vorgegebenen Leitbild der Unionskompetenzen unvereinbar wäre.
51. Sollte z. B. für eine Religionsgemeinschaft, die ein großes Gebetszentrum errichtet, eine Ausnahme von den Anforderungen der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten(36) gelten, nur weil diese Einrichtung keine kommerziellen Zwecke verfolgen, sondern ausschließlich der Religionsausübung dienen wird, so dass die fragliche Religionsgemeinschaft als keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübend angesehen werden könnte? Diese Frage ist zwingend zu verneinen(37).
2. Regeln für die Anwendung der Charta und das Ausgangsverfahren
52. Die Charta ist im Ausgangsverfahren anhand folgender Regeln anzuwenden.
53. Erstens sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Regeln des abgeleiteten Unionsrechts in Einklang mit den Grundrechten auszulegen und anzuwenden(38). Der Gerichtshof hat zudem festgestellt, dass „das in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierte Recht dem durch Art. 9 EMRK garantierten Recht [entspricht] und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta … die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses [hat]“(39). Durch Art. 52 Abs. 3 der Charta soll Kohärenz zwischen den in der Charta enthaltenen Rechten und den entsprechenden durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird(40). Demzufolge wird das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften wie dem Beklagten bis zum „Mindestschutzstandard“(41) gewährleistet, der sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt. Dieses forum externum der Religionsfreiheit muss bei der Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und von Art. 17 AEUV berücksichtigt werden.
54. Zweitens muss zugleich, da Art. 9 EMRK auch das forum internum der Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert(42), wozu die Freiheit gehört, keiner Religion anzugehören(43), bei der Auslegung der Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 die für diesen Teil von Art. 9 EMRK relevante Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebührend berücksichtigt werden, wenn geprüft wird, ob die Klägerin nach dem Unionsrecht rechtswidrig diskriminiert wurde oder einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung unterlag(44). Natürlich haben sowohl die Klägerin als auch der Beklagte gemäß Art. 47 der Charta das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Rechte(45).
55. Das bringt mich zu der dritten Weise, in der die Charta für das Ausgangsverfahren von Bedeutung ist. Nach der Rechtsprechung sowohl des Gerichtshofs als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist es bei kollidierenden oder widerstreitenden Rechten eine Kernaufgabe der Gerichte, eine sorgfältige Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen vorzunehmen(46). Dieser Ansatz muss notwendigerweise auch bei der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits angewendet werden, in dem es keinen unmittelbaren Konflikt zwischen einem Einzelnen und dem Staat über den Schutz von Grundrechten gibt, sondern Letzterer widerstreitende Rechte schützt(47).
56. Daher könnte man in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 den unionsinternen gesetzgeberischen Ausdruck des durch die Art. 9 und 11 EMRK geschützten Rechts des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung sehen, wobei die Wendung „angesichts des Ethos der Organisation“ das Kernelement von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 darstellt, das im Licht der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen ist. Die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 sind der gesetzgeberische Ausdruck des durch die Art. 9 und 14 EMRK geschützten Rechts der Klägerin, nicht wegen der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert zu werden, zusammen mit Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 und dem darin enthaltenen Auftrag an die Mitgliedstaaten, u. a. die „zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ notwendigen Maßnahmen zu treffen, was verdeutlicht, dass die Gerichte, wenn sie mit widerstreitenden Rechten konfrontiert sind, eine Abwägung vornehmen müssen(48).
57. Viertens ist ein weiteres Element von Art. 52 Abs. 3 der Charta neben dem Wortlaut von Art. 53 der Charta von zentraler Bedeutung für die Herangehensweise an die Fragen, die sich im Ausgangsverfahren stellen. In Art. 52 Abs. 3 heißt es ferner, dass diese Bestimmung „dem nicht entgegen[steht], dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt“, während Art. 53 („Schutzniveau“) u. a. vorsieht, dass keine Bestimmung der Charta „als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen [ist], die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Union und … die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“(49).
58. Was den „weiter gehenden Schutz“ anbelangt, den die Union nach Art. 52 Abs. 3 der Charta gewähren kann, müssen, wie nachfolgend in Abschnitt V C in der Antwort auf die erste Frage dargelegt wird, gebührende Erwägungen dazu angestellt werden, ob Art. 17 AEUV und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zu den Fällen gehören, in denen die Union sich dafür entschieden hat, in Bezug auf den Umfang und die Intensität der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen, bei denen sich Religionsgemeinschaften wie der Beklagte auf ihr Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung berufen, einen „weiter gehenden Schutz“ als den nach der EMRK zu gewähren. Dagegen sind zur Beantwortung der dritten Frage die Faktoren herauszuarbeiten, die von einem Gericht im Rahmen der Abwägung des durch die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 geschützten(50) Rechts, nicht wegen der Religion oder der Weltanschauung diskriminiert zu werden, gegen das in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 anerkannte Recht von Religionsgemeinschaften auf Selbstbestimmung und Autonomie berücksichtigt werden müssen.
59. Zu Art. 53 der Charta hat der Gerichtshof im Urteil Melloni ausgeführt, dass diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass die sich aus dem Verfassungsrecht eines Mitgliedstaats ergebenden nationalen Schutzstandards für die Grundrechte nicht anzuwenden sind, wenn sie den „Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts“ im Hoheitsgebiet dieses Staates beeinträchtigen(51).
60. Eben dies verlangt der Beklagte aber vom vorlegenden nationalen Gericht, so dass sich die Beschränkungen, die das deutsche Verfassungsrecht nach der Darstellung im Vorlagebeschluss in Bezug auf die Intensität der gerichtlichen Überprüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen mit Gründen der Religion oder Weltanschauung im Kontext von Beschäftigungsverhältnissen durch Organisationen wie den Beklagten vorsieht, offenbar nachteilig auf das durch die Art. 1 und 2 der Richtlinie 2000/78 nebst den weitreichenden und klar formulierten Rechtsbehelfen, die diese Richtlinie enthält(52), gewährleistete Verbot der Diskriminierung auswirken würden. Daher ist zu klären, ob Art. 17 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zur Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht führt.
3. Gerichtliche Überprüfung von Beschäftigungsverhältnissen und Religionsgemeinschaften in Deutschland
61. Schließlich bedarf es noch des wichtigen Hinweises, dass dem Gerichtshof widersprüchliche Angaben zum Inhalt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie zum Umfang der Beschränkungen gemacht wurden, die sich aus ihr für die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen von Religionsgemeinschaften als Arbeitgeber ergeben, um deren Recht auf kirchliche Selbstbestimmung gemäß Art. 137 WRV und insbesondere Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV zu wahren.
62. Nach den Angaben im Vorlagebeschluss bedeutet im Kontext einer auf eine Diskriminierung im Stellenbesetzungs- oder Bewerbungsverfahren gestützten Schadensersatzklage die Plausibilitätskontrolle, dass der von der Kirche selbst vorgegebene Maßstab nicht zu überprüfen, sondern ohne Weiteres zugrunde zu legen sei, sofern der kirchliche Arbeitgeber plausibel vorgetragen habe, dass die Einstellungsvoraussetzung einer bestimmten Religion Ausdruck des glaubensdefinierten kirchlichen Selbstverständnisses sei.
63. In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter Deutschlands jedoch hervorgehoben, dass das Bundesverfassungsgericht kirchliche Arbeitgeber nicht von jeder Form der gerichtlichen Überprüfung ausgenommen habe, und hat insoweit den Ausführungen im Vorlagebeschluss widersprochen(53). Der Vertreter Deutschlands hat erklärt, das Bundesverfassungsgericht habe für Konflikte der im Ausgangsverfahren aufgetretenen Art eine zweistufige Überprüfung entwickelt(54).
64. Der Vertreter Deutschlands hat angegeben, zunächst könnten kirchliche Arbeitgeber selbst entscheiden, welche Tätigkeiten die fragliche Religionszugehörigkeit bei der Einstellung voraussetzten, und auf dieser ersten Stufe finde die Plausibilitätskontrolle statt. Dabei könnten die deutschen Arbeitsgerichte die vom kirchlichen Arbeitgeber vorgenommene Einordnung würdigen, allerdings unter Ausschluss von Fragen kirchlicher Doktrin wie z. B. der Auslegung heiliger Schriften. Dann könnten die Arbeitsgerichte auf der zweiten Stufe eine Gesamtwürdigung vornehmen, bei der die Belange der Kirche und ihre Religionsfreiheit gegen widerstreitende Grundrechte des Beschäftigten abgewogen würden(55).
65. Es ist nicht Sache des Gerichtshofs, die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen auszulegen(56). Wegen der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten muss der Gerichtshof in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der ihm vorgelegten Fragen von den Ausführungen im Vorlagebeschluss ausgehen(57). Nachdem der Gerichtshof die mit der ersten und der dritten Frage erbetene Auslegung von Art. 17 AEUV und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 vorgenommen hat, obliegt es dem vorlegenden nationalen Gericht, darüber zu entscheiden, ob Art. 137 WRV und § 9 Abs. 1 AGG unionsrechtskonform ausgelegt werden können, und die Antwort des Gerichtshofs auf die zweite Frage anzuwenden, falls dies nicht möglich ist.
C. Zur ersten Frage
66. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende nationale Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass ein Arbeitgeber wie der Beklagte des Ausgangsverfahrens – bzw. die Kirche für ihn – verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos des Beklagten darstellt.
67. Zuerst werde ich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Grenzen gerichtlicher Überprüfung in Fällen analysieren, in denen das durch die Art. 9 und 11 EMRK geschützte Recht der Religionsgemeinschaften auf Autonomie in Widerstreit zu einem anderen, ebenfalls in der EMRK garantierten Recht wie dem in Art. 8 verankerten Recht auf Privatsphäre steht. Daran schließt sich eine Analyse von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 an, um zu klären, ob diese Bestimmung in Bezug auf den Umfang und die Intensität der gerichtlichen Überprüfung von Religionsgemeinschaften einen im Sinne von Art. 52 Abs. 3 der Charta weiter gehenden Schutz ihres Rechts auf Autonomie und Selbstbestimmung gewährt, wenn sie sich im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen auf dieses Recht berufen. Als dritter Schritt wird Art. 17 AEUV in gleicher Weise untersucht.
1. Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfung kirchlicher Organisationen als Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
68. Meines Erachtens stützt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eine Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung in dem in der ersten Frage beschriebenen Umfang nicht.
69. In Entscheidungen, in denen die gerichtliche Überprüfung der behaupteten Verletzung eines in der EMRK garantierten Rechts nach dem Recht eines Vertragsstaats aus Gründen, die mit der Autonomie von Religionsgemeinschaften zusammenhängen, durch das Verfassungsrecht oder durch sonstige Vorschriften beschränkt wurde, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt, dass die staatlichen Vorgaben für die gerichtliche Überprüfung gleichwohl ausreichen müssen, um zu klären, ob andere durch die EMRK geschützte Rechte gewahrt wurden.
70. So ging es z. B. im Fall Fernández Martinez/Spanien(58) um das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) eines katholischen Lehrers an einer höheren Schule, der dort seit sieben Jahren tätig war und von einer staatlichen spanischen Behörde angestellt worden war und bezahlt wurde. Sein Vertrag war nicht verlängert worden, nachdem öffentlich bekannt geworden war, dass er als Priester verheiratet war. In diesem Fall, in dem die Vorgehensweise des Tribunal Constitucional (spanisches Verfassungsgericht) bei der gerichtlichen Überprüfung eines das Grundrecht der Katholischen Kirche auf Religionsfreiheit in seiner kollektiven oder gemeinschaftlichen Ausprägung betreffenden Sachverhalts zu beurteilen war, führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem mit „Grenzen der Autonomie [von Religionsgemeinschaften]“ überschriebenen Abschnitt aus:
„[D]ie bloße Behauptung einer Religionsgemeinschaft, dass ihre Autonomie tatsächlich oder potenziell bedroht ist, [reicht] nicht aus, um jeden Eingriff in das Recht ihrer Mitglieder auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens als mit Art. 8 der Konvention vereinbar anzusehen. Die Religionsgemeinschaft muss überdies darlegen, dass im Licht der Umstände des Einzelfalls die behauptete Gefahr wahrscheinlich und erheblich ist und dass der angefochtene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens nicht über das hinausgeht, was zur Beseitigung dieser Gefahr erforderlich ist, und keinem anderen, nicht mit der Ausübung der Autonomie der Religionsgemeinschaft im Zusammenhang stehenden Zweck dient. Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darf auch nicht in seinem Kernbestand berührt werden. Die nationalen Gerichte müssen sicherstellen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, indem sie eine eingehende Prüfung der Umstände des Falles und eine sorgfältige Abwägung der widerstreitenden Interessen vornehmen.“(59)
71. Ich stimme daher der Auffassung zu, dass eine Religionsgemeinschaft in Fällen, in denen es ihr nicht gelingt, überzeugend darzulegen, dass ein staatlicher Eingriff – im Ausgangsverfahren in Form der Anwendung des die Gleichbehandlung betreffenden Unionsrechts durch die Gerichte – ihre Autonomie tatsächlich gefährdet, vom Staat nicht verlangen kann, von der Regelung der fraglichen Tätigkeiten der Gemeinschaft durch nationales Recht abzusehen. Insoweit können Religionsgemeinschaften nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit entzogen sein(60).
72. Im Urteil Schüth/Deutschland(61), in dem sowohl § 9 Abs. 1 AGG als auch Art. 137 WRV für den zu beurteilenden Rechtsstreit einschlägig waren, hat der Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Deutschland seinen positiven Verpflichtungen in Bezug auf das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK gegenüber einem Organisten und Chorleiter der katholischen Kirche St. Lambertus in Essen nicht nachgekommen war, der wegen einer außerehelichen Beziehung, aus der ein Kind hervorging, entlassen worden war. Wegen der Qualität der gerichtlichen Überprüfung durch das nationale Arbeitsgericht wurde ein Verstoß Deutschlands gegen Art. 8 EMRK bejaht.
73. Im Urteil Schüth verwies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf den bündigen Charakter der Argumentation des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Konsequenzen, die es aus dem Verhalten des Beschwerdeführers zog(62), und darauf, dass die Interessen des kirchlichen Arbeitgebers infolgedessen nicht gegen das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens abgewogen worden waren(63).
74. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fügte hinzu, dass das Landesarbeitsgericht die Frage der Nähe der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche nicht geprüft, sondern scheinbar ohne weitere Nachprüfungen den Standpunkt des kirchlichen Arbeitgebers in dieser Frage übernommen hatte. Er kam zu dem Schluss, dass ein Arbeitgeber, dessen Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zwar nach Maßgabe der EMRK seinen Arbeitnehmern spezielle Loyalitätsobliegenheiten auferlegen kann, dass eine auf die Verletzung solcher Obliegenheiten gestützte Kündigung aber nicht wegen des Selbstbestimmungsrechts des Arbeitgebers nur einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung durch das zuständige staatliche Arbeitsgericht unterworfen werden darf, ohne dass dabei die Art der vom Betroffenen bekleideten Stelle berücksichtigt wird und tatsächlich eine Abwägung der in Rede stehenden Interessen im Licht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stattfindet(64).
75. Folglich lag ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK vor, weil Deutschland seinen oben genannten positiven Verpflichtungen nicht nachgekommen war.
2. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78
a) Einleitende Bemerkungen
76. Insoweit erscheinen mir zwei einleitende Bemerkungen angebracht.
77. Erstens geht es im Ausgangsverfahren um eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin aus Gründen der Weltanschauung bzw. der fehlenden Konfessionszugehörigkeit. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund ihrer Weltanschauung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde(65). Demnach ist eine unmittelbare Diskriminierung gegeben, wenn eine vorgeblich diskriminierende Maßnahme „untrennbar mit dem in Rede stehenden Ungleichbehandlungsgrund zusammen[hängt]“(66).
78. Anders als in jüngeren Fällen, in denen der Gerichtshof darum ersucht wurde, einen horizontalen Widerstreit zwischen der Religionsfreiheit im Kontext mittelbarer Diskriminierung und einem anderen Grundrecht, insbesondere der unternehmerischen Freiheit, zu beurteilen(67), kann sich der Beklagte nicht auf Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 als Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung berufen. Dieser sieht vor, dass keine mittelbare Diskriminierung vorliegt, wenn die einschlägigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Da es im Ausgangsverfahren um eine unmittelbare Diskriminierung geht, kann sich der Beklagte nur auf die dafür in der Richtlinie 2000/78 vorgesehenen Rechtfertigungsgründe stützen(68). Die im Ausgangsverfahren einschlägigen Rechtfertigungsgründe sind Art. 4 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78(69) nach ihrer Auslegung im Licht des primären Unionsrechts, insbesondere von Art. 17 AEUV und Art. 47 der Charta(70).
79. Zweitens stimme ich der Klägerin zwar darin zu, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78, ebenso wie Art. 4 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie, als Abweichung vom Diskriminierungsverbot eng auszulegen ist(71), aber die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 kann nicht zur Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 herangezogen werden. Letzterer ist eine Sonderregel, die für die besonderen Umstände geschaffen wurde, in denen Religionsgemeinschaften, die unter Art. 3 der Richtlinie 2000/78 fallen, zu einer Ungleichbehandlung berechtigt sind. Das hat zum Erlass eines Absatzes geführt, der nur wenig Ähnlichkeit mit Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 aufweist, so dass die dazu ergangene Rechtsprechung nicht für die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 herangezogen werden kann.
80. Beispielsweise werden das religiöse Bekenntnis betreffende „Merkmale“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 nicht erwähnt, während dieser Begriff für die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 von grundlegender Bedeutung war(72). In Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist die Rede von „wesentlichen und entscheidenden“ beruflichen Anforderungen, und eine Ungleichbehandlung aus einem der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe ist ausdrücklich nur bei Vorliegen rechtmäßiger Zwecke und angemessener Anforderungen zulässig. Art. 4 Abs. 2 betrifft hingegen „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung[en] angesichts des Ethos der Organisation“, ohne unmittelbar auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Bezug zu nehmen (dazu näher unten in Abschnitt V D).
b) Sind nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 Beschränkungen der gerichtlichen Überprüfung durch das Verfassungsrecht eines Mitgliedstaats zulässig?
1) Wortlaut
81. Richtig ist, dass Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 in zweifacher Hinsicht auf das Recht der Mitgliedstaaten Bezug nimmt(73). Erstens bezieht er sich auf die Beibehaltung und den Erlass von Rechtsvorschriften, die zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie 2000/78 bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln.
82. Während dazu sowohl Art. 137 WRV als auch § 9 Abs. 1 AGG gehören, bedeutet dies meines Erachtens nicht, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung dieser Rechtsvorschriften auf dem Stand zum Zeitpunkt der Annahme der Richtlinie 2000/78 eingefroren bleibt. Eine solche Auslegung wäre weder mit dem auf Rechtsvorschriften beschränkten Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 vereinbar noch mit der Verpflichtung der Gerichte der Mitgliedstaaten, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen der Richtlinie nicht vereinbar ist(74).
83. Zweitens heißt es in Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78, dass die darin angesprochene Ungleichbehandlung die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten beachten muss (vgl. auch Art. 52 Abs. 4 der Charta zu den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten)(75). Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 deckt jedoch keine Einschränkung der Rolle der Gerichte bei der Überprüfung der Berufung einer Religionsgemeinschaft auf diese Bestimmung, zumal dort jede ausdrückliche Bezugnahme auf das Recht der Mitgliedstaaten „für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung“ fehlt(76). Daher ist die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 vorgesehene Beschränkung autonom auszulegen, unter Berücksichtigung des Kontexts der Bestimmung und des mit der Richtlinie 2000/78 verfolgten Ziels(77).
2) Kontext und Zweck
84. Darüber hinaus bietet Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 einen Anhaltspunkt dafür, dass die Gerichte eine Abwägung vorzunehmen haben, die im Licht der Tatsache erfolgen muss, dass das Ziel der Richtlinie 2000/78 nach ihrem 37. Erwägungsgrund in der Schaffung „gleicher Ausgangsbedingungen … bezüglich der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“ in der Union besteht, und zwar unter angemessener Berücksichtigung des „Status“ der Religionsgemeinschaften nach dem Recht der Mitgliedstaaten, wie im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 und in Art. 17 AEUV ausgeführt wird (dazu näher unten in Abschnitt V C 3).
3) Entstehungsgeschichte
85. Schließlich ist es mir nicht gelungen, in den Materialien zu Art. 4 Abs. 2 eine Stütze dafür zu finden, dass dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten eine so bedeutende Rolle zukommen soll, wie der Beklagte meint. Es gab z. B. keinen konkreten Vorschlag für oder gar ein Einvernehmen über die Einschränkung von Bestimmungen in der Richtlinie 2000/78, die ihrer uneingeschränkten gerichtlichen Durchsetzbarkeit dienen sollen(78), aus Rücksicht auf Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts über die gerichtliche Überprüfung(79). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die wichtigen Beweislastregeln in Art. 10 der Richtlinie 2000/78 im Fall von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nicht gelten sollen(80). Es gibt keinen Vorschlag für den Erlass von Sonderregeln, wie sie in Art. 15 der Richtlinie 2000/78 für Nordirland aufgrund der Religion gelten oder wie sie in Art. 6 der Richtlinie 2000/78 als Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen wegen des Alters oder in Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2000/78 in Form des Ausschlusses von Diskriminierungen wegen einer Behinderung oder des Alters bei den Streitkräften vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 vorgesehen sind(81).
86. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 war allerdings im Entwurfsstadium zahlreichen Änderungen unterworfen(82), ganz ähnlich, wie auch bei Art. 17 AEUV im Verlauf des Konvents, der zur Annahme des Vertrags über eine Verfassung für Europa führte(83), Uneinigkeit über den Wortlaut bestand (dazu näher unten in Abschnitt V C 3). Hieraus könnte man folgern, dass den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ein weiter Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Frage zusteht, bei welchen beruflichen Tätigkeiten nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung die Religion oder Weltanschauung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung anzusehen ist(84); dabei ist aber stets die Auslegung dieser Bestimmung durch den Gerichtshof zu beachten. Mehr kann ich den Materialien jedoch nicht entnehmen, die die schwierigen Verhandlungen widerspiegeln, die letztlich dazu führten, dass der angenommene Text einen Kompromiss darstellt, was teilweise auf Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 zurückzuführen ist(85).
87. Daher bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 in Unterabs. 1 selbst die Parameter für den Standard der gerichtlichen Überprüfung festlegt, der gilt, wenn die Auffassung einer Religionsgemeinschaft, dass eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Weltanschauung keine rechtswidrige Diskriminierung darstelle, angefochten wird. Maßgebend ist, ob die Religion oder Weltanschauung einer Person nach der Art der fraglichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Die Anforderungen dieser Bestimmung werde ich in meiner Antwort auf die dritte Frage darlegen.
3. Art. 17 AEUV
88. Eine Bestimmung des abgeleiteten Unionsrechts sollte möglichst in einer mit den Verträgen und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbaren Weise ausgelegt werden(86). Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV ist daher für die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 unmittelbar relevant. Dies vorausgeschickt, halte ich die Auswirkungen von Art. 17 AEUV auf das Verfassungsgefüge der Union für geringer, als der Beklagte vorträgt.
89. Der größere verfassungsrechtliche Rahmen der Europäischen Union und insbesondere ihr weitreichendes Engagement zur Wahrung von Grundrechten schließt eine Auslegung von Art. 17 Abs. 1 AEUV aus, nach der die Union „den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen“, unter allen denkbaren Umständen und insbesondere dann achtet und nicht beeinträchtigt, wenn der Status, den solche Organisationen nach dem Recht der Mitgliedstaaten genießen, ihre Grundrechte nicht gewährleistet.
90. Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs. Bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts sind nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(87).
91. Der durch Art. 52 Abs. 3 der Charta unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht der Religionsgemeinschaften auf Autonomie und Selbstbestimmung garantierte Mindestschutz hat nämlich eine Konsequenz von grundlegender Bedeutung für die Auslegung von Art. 17 AEUV. Zwar heißt es in Art. 17 Abs. 1 AEUV, dass die Union „den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, [achtet] und … ihn nicht [beeinträchtigt]“, doch kann das nicht bedeuten, dass die im Rahmen der Art. 9 und 11 der EMRK entwickelten (und nachfolgend in Abschnitt V D näher dargestellten) Regeln zum Schutz der Autonomie von Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften für den Fall einer Minderung des Status von Kirchen, religiösen Vereinigungen und Gemeinschaften oder weltanschaulichen und nicht konfessionellen Organisationen nach dem Recht eines Mitgliedstaats einfach außer Acht gelassen werden können, auch wenn der Wortlaut von Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV bei isolierter Betrachtung darauf hindeuten mag.
92. In diesem Fall wären sowohl der Gerichtshof als auch die Gerichte der Mitgliedstaaten aufgrund der ihnen nach Art. 47 der Charta obliegenden Verpflichtungen sowie kraft Art. 19 EUV und der sich daraus ergebenden Pflicht der Mitgliedstaaten, „die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist“(88), gehalten, im Anwendungsbereich des Unionsrechts weiterhin die durch Art. 10 der Charta gewährleistete Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, und auch die Vereinigungsfreiheit nach Art. 12 der Charta(89), in Einklang mit den Grundrechten der Europäischen Union durchzusetzen und das der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entnehmende Niveau des Schutzes der Autonomie von Religionsgemeinschaften zu sichern. Die Kommission führt dazu in ihren schriftlichen Erklärungen aus: „In einer rechtsstaatlichen Union obliegt es deren Gerichten, über die Einhaltung [des Unionsrechts] zu wachen.“(90)
93. Mit anderen Worten wäre es meines Erachtens ein Fehler, Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV als eine Art von Metaprinzip des Verfassungsrechts(91) auszulegen, das die Union dazu zwingt, den Status von Kirchen, religiösen Vereinigungen und Gemeinschaften sowie weltanschaulichen und nicht konfessionellen Organisationen nach dem Recht eines Mitgliedstaats unter allen Umständen zu achten. Ein solcher Ansatz wäre mit anderen Bestimmungen des Primärrechts der Union unvereinbar, etwa mit dem in Art. 7 EUV vorgesehenen Mechanismus zur Handhabung einer „eindeutige[n] Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 [EUV] genannten Werte [der Union] durch einen Mitgliedstaat“. Darüber hinaus sollten auch Art. 10 AEUV und die Ziele der Union bei der Festlegung und Durchsetzung ihrer Politik und ihrer Tätigkeiten berücksichtigt werden sowie die Art. 22 und 47 der Charta, von denen Ersterer den Pluralismus fördert und Letzterer den allgemeinen Grundsatz des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Fall einer Verletzung der im Unionsrecht verankerten Grundrechte und ‑freiheiten widerspiegelt. Diese Regel wurde in erster Linie aufgrund eines Rechtsstreits, der einen Verstoß gegen das Unionsrecht über die Gleichbehandlung betraf(92), in die Unionsgrundrechte aufgenommen.
94. Man könnte sicherlich die Auffassung vertreten, dass Art. 5 EUV und der dortige Verweis auf die „Subsidiarität“ für eine ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten spricht, soweit es um den Umfang und die Intensität der gerichtlichen Überprüfung diskriminierenden Handelns von Religionsgemeinschaften aus Gründen der Religion und der Weltanschauung im Rahmen von Beschäftigungsverhältnissen geht, und dass Art. 4 Abs. 2 EUV die Verpflichtung der Europäischen Union unterstreicht, die nationale Identität der Mitgliedstaaten und ihre grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zu achten.
95. Richtig ist aber auch, dass Art. 17 AEUV zwar Art. 4 Abs. 2 EUV ergänzt und konkretisiert(93), doch lässt sich aus der letztgenannten Bestimmung „nicht schließen, dass bestimmte Sachgebiete oder Tätigkeitsbereiche gänzlich dem Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 entzogen wären. Vielmehr darf die Anwendung dieser Richtlinie die nationale Identität der Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen. Die nationale Identität schränkt also nicht den Geltungsbereich der Richtlinie als solchen ein, sondern ist bei der Auslegung des dort enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie der Rechtfertigungsgründe für etwaige Ungleichbehandlungen gebührend zu berücksichtigen.“(94) Der Art. 4 Abs. 2 EUV innewohnende Schutz umfasst Fragen wie die Zuständigkeitsverteilung zwischen den verfassungsgebenden Regierungsorganen innerhalb der Mitgliedstaaten, etwa der Länder(95).
96. Folglich sind die primärrechtlichen Bestimmungen in den Verträgen nicht zwingend genug formuliert, um die Abwägung, die bei einem Widerstreit zwischen oder unter Grundrechten sowohl vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als auch vom Gerichtshof durchgeführt wird(96), beiseitezulassen oder die Zuständigkeit der Union für die gerichtliche Durchsetzung des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion zu beschneiden, wenn sich eine Religionsgemeinschaft auf Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 beruft(97).
97. Auch die Ziele von Art. 17 AEUV, soweit sie sich den Materialien entnehmen lassen(98), bieten keine unmittelbare Stütze für eine solche Herangehensweise. Der Wortlaut von Art. 17 AEUV wurde im Konvent über den Vertrag über eine Verfassung für Europa erörtert(99), wobei dem Vernehmen nach ein energisches Eintreten für die Erwähnung des religiösen und insbesondere christlichen Erbes Europas im Wortlaut(100) auf ebenso energischen Widerstand säkularer Gruppen und von Mitgliedstaaten mit einer klaren Trennung von Kirche und Staat stieß(101). Die daraus resultierenden Spannungen spiegeln sich in dem Umstand wider, dass die im Verlauf des Konvents vorgeschlagene Erwähnung eines „spirituellen Impulses“, die ohnehin von einigen Religionsgemeinschaften abgelehnt wurde, da sie nicht ausdrücklich auf das Christentum Bezug nahm, nicht in die Endfassung des Vertrags über eine Verfassung für Europa(102) aufgenommen wurde. Letztlich wurde der Wortlaut der dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Erklärung Nr. 11(103) (der Neufassung, mit der die Befugnisse der Union zur Bekämpfung von Diskriminierungen aus Gründen u. a. der Religion und der Weltanschauung erweitert wurden)(104), als Abs. 1 und 2 von Art. 17 AEUV angenommen(105), und Art. 17 Abs. 3 AEUV wurde angefügt, um dem bereits bestehenden Dialog zwischen den Unionsorganen und den Bekenntnis- und Religionsgemeinschaften einen Rahmen zu geben(106). Im Übrigen schöpft der EU-Vertrag nach seiner Präambel aus einer Reihe von „kulturellen, religiösen und humanistischen“ Quellen.
98. Auffällig ist, dass es im Rahmen von Art. 17 AEUV keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Regelung der gerichtlichen Überprüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung durch Religionsgemeinschaften, die unter Art. 3 der Richtlinie 2000/78 fallen, voll und ganz dem Recht der Mitgliedstaaten übertragen werden sollte. Vielmehr sehe ich einen engeren Zusammenhang zwischen Art. 17 AEUV und Art. 5 Abs. 2 EUV, der, wie der Beklagte in seinen schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, den Status der Kirchen der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten überantwortet.
99. Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV bedeutet also, dass die Mitgliedstaaten über ein uneingeschränktes Ermessen bei der Auswahl eines Modells für ihre Beziehungen zu religiösen Organisationen und Gemeinschaften verfügen und dass die Union insoweit neutral bleiben muss(107). Eine solche Auslegung des „Status“ nach dem Recht der Mitgliedstaaten in Art. 17 AEUV steht in Einklang mit der Verpflichtung der Union aus Art. 4 Abs. 2 EUV, die grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen der Mitgliedstaaten zu achten(108).
100. Im Ergebnis veranschaulicht Art. 17 AEUV, dass die Verfassungsgebote der Union das widerspiegeln, was in der Literatur als „Wertepluralismus“ bezeichnet wird. Infolgedessen werden Kollisionen zwischen verschiedenen Rechten oder Ansätzen als normal angesehen und durch eine Abwägung der widerstreitenden Elemente gelöst und nicht dadurch, dass einem Element hierarchisch Vorrang vor einem anderen gegeben wird(109). Das kommt in Art. 2 EUV, Art. 22 der Charta und Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zum Ausdruck.
4. Ergebnis in Bezug auf die erste Frage
101. Ich schlage daher vor, die erste Frage wie folgt zu beantworten:
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG ist dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber wie der Beklagte des Ausgangsverfahrens – bzw. die Kirche für ihn – nicht verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstellt.
D. Zur dritten Frage
102. Nicht jedes Handeln steht unter dem Schutz der Rechtsordnung, nur weil es unter Berufung auf eine irgendwie geartete religiöse Überzeugung vorgenommen wurde(110). Mit der dritten Frage erkundigt sich das vorlegende nationale Gericht nach den Anforderungen an wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen angesichts des Ethos der Organisation im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78.
103. Wie aus der vorstehenden, die Beantwortung der ersten Frage betreffenden Analyse ersichtlich ist, steht Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 im Spannungsfeld zwischen dem Recht der Religionsgemeinschaften auf Autonomie und Selbstbestimmung, forum externum, einerseits und dem Recht der Beschäftigten und Stellenbewerber im forum internum auf Freiheit der Weltanschauung sowie dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Weltanschauung andererseits.
104. Neben der Darstellung der Grundlagen für die Beantwortung der ersten Frage wurden bei dieser Analyse folgende Faktoren – oder Anforderungen, wie sie in der dritten Frage bezeichnet werden – herausgearbeitet, die für die Frage von Bedeutung sind, ob berufliche, die Religion oder Weltanschauung betreffende Anforderungen nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung angesichts des Ethos der Organisation wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sind:
i) Das Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung ist im Unionsrecht anerkannt und geschützt, wie in den Art. 10 und 12 der Charta zum Ausdruck kommt. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und insbesondere die dortige Bezugnahme auf das „Ethos“ religiöser Organisationen sind in Einklang mit diesem Grundrecht auszulegen.
ii) Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 räumt den Mitgliedstaaten einen weiten, aber keinen unbegrenzten Spielraum in Bezug darauf ein, bei welchen beruflichen Tätigkeiten nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Ausübung die Religion oder Weltanschauung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung anzusehen ist(111).
iii) Die Bezugnahme auf die „verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten“ in Unterabs. 1 von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 bedeutet bei einer Auslegung im Licht von Art. 17 Abs. 1 AEUV, dass die Richtlinie 2000/78 so umzusetzen ist, dass das von den einzelnen Mitgliedstaaten gewählte Modell für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften und dem Staat geachtet und nicht beeinträchtigt wird(112).
105. Da die Art. 10 und 12 der Charta den Art. 9 und 11 EMRK im Sinne von Art. 52 Abs. 3 der Charta „entsprechen“, genießt das Recht religiöser Organisationen auf Selbstbestimmung und Autonomie im Unionsrecht mindestens folgenden Schutz.
106. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass das durch die EMRK gewährleistete Recht auf Religionsfreiheit, von ganz besonderen Ausnahmefällen abgesehen, jeden Spielraum des Staates bei der Beurteilung ausschließt, ob religiöse Bekenntnisse oder die Mittel, um ihnen Ausdruck zu verleihen, rechtmäßig sind(113). Das Recht einer Religionsgemeinschaft auf ein autonomes Bestehen ist das Kernstück der Garantien in Art. 9 EMRK, das gleichermaßen unverzichtbar für den Pluralismus in einer demokratischen Gesellschaft ist(114). Staatliche Eingriffe in die interne Organisation von Kirchen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgeschlossen(115), und die Festlegung der religiösen Zugehörigkeit einer Religionsgemeinschaft ist allein Sache ihrer geistlichen Oberhäupter und nicht des Staates(116). Würden die organisatorischen Aspekte der Gemeinschaft nicht durch Art. 9 geschützt, würden alle anderen Aspekte der Religionsfreiheit des Einzelnen angreifbar(117).
107. Dem Staat ist es untersagt, eine Religionsgemeinschaft zur Aufnahme neuer Mitglieder oder zum Ausschluss bestehender Mitglieder zu verpflichten(118). Ebenso wenig kann der Staat eine Religionsgemeinschaft dazu verpflichten, jemandem eine bestimmte religiöse Aufgabe anzuvertrauen(119). Die Achtung der Autonomie der vom Staat anerkannten Religionsgemeinschaften bedeutet insbesondere, dass der Staat das Recht solcher Gemeinschaften akzeptieren sollte, in Einklang mit ihren eigenen Regeln und Interessen auf etwaige aus ihnen hervorgehende Splittergruppen zu reagieren, die eine Gefahr für ihren Zusammenhalt, ihr Ansehen oder ihre Einheit darstellen könnten(120). Nur ganz schwerwiegende und zwingende Gründe können ein staatliches Eingreifen unter Umständen rechtfertigen(121); so sind die Staaten z. B. berechtigt, zu prüfen, ob sich eine Bewegung oder Vereinigung, vorgeblich zu religiösen Zwecken, Tätigkeiten widmet, die der Bevölkerung oder der öffentlichen Sicherheit schaden(122). Allgemein ist der Schutz von Art. 9 EMRK nur davon abhängig, dass die Mitglieder der Religionsgemeinschaft Ansichten folgen, die ein gewisses Maß an Überzeugungskraft, Ernsthaftigkeit, Kohäsion und Bedeutung aufweisen(123).
108. Wenn es um die Organisation der Religionsgemeinschaft geht, ist Art. 9 im Licht von Art. 11 auszulegen, der Vereinigungen vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen schützt(124). Hierzu hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach festgestellt, dass die Religionsfreiheit die Freiheit umfasst, die eigene Religion „im Kreis von Personen desselben Glaubens“ zu bekennen(125).
109. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat schon oft die Rolle des Staates als neutraler und unparteiischer Organisator der Ausübung verschiedener Religionen, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen hervorgehoben und ausgeführt, dass diese Rolle der öffentlichen Ordnung, der Harmonie zwischen den Religionen und der Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft förderlich ist(126). Versuche des Staates, als Schiedsrichter zwischen Religionsgemeinschaften und ihren etwaigen verschiedenen bestehenden oder entstehenden Splittergruppen aufzutreten, können die Autonomie der fraglichen Kirchen gefährden(127). Eine willkürliche Einmischung des Staates in einen internen Führungsstreit innerhalb einer Kirche und damit in ihre innere Organisation ist als unverhältnismäßig und als Verstoß gegen Art. 9 EMRK erachtet worden(128).
110. Gleichwohl teile ich nicht die Auffassung des Beklagten, dass das für staatliche Behörden geltende Verbot, die Rechtmäßigkeit religiöser Bekenntnisse zu hinterfragen oder sich in die interne Organisation von Religionsgemeinschaften einzumischen, zwingend bedeutet, dass allein Letztere unter Ausschluss der Gerichte darüber entscheiden dürfen, ob eine berufliche Anforderung nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ist. Vielmehr pflichte ich den Ausführungen in den schriftlichen Erklärungen Irlands und seitens der Kommission in der mündlichen Verhandlung bei, dass das Ethos einer Religion subjektiv und klar von den mit seiner Bewahrung verbundenen Tätigkeiten getrennt und gesondert ist; Letzteres ist eine objektive Frage, die von den Gerichten zu überprüfen ist. Mit anderen Worten hat der Beklagte zwei unterschiedliche Konzepte miteinander verschmolzen. Während die gerichtliche Überprüfung des Ethos der Kirche begrenzt sein muss, was sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und auch in den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten widerspiegelt(129), heißt das nicht, dass das Gericht eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet wäre, die fraglichen Tätigkeiten, im Gegensatz zu dem – nahezu nicht nachprüfbaren – Ethos einer Religion, zu würdigen, um zu klären, ob eine Ungleichbehandlung wegen der Weltanschauung wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist.
111. Drei weitere Faktoren sind zu berücksichtigen, wenn das vorlegende nationale Gericht prüft, ob die Zugehörigkeit zum christlichen Glauben eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung für eine Stelle ist, zu deren Aufgabenbereich die Vorbereitung des Antirassismusberichts samt der öffentlichen und fachlichen Vertretung des Beklagten und der Koordination des Meinungsbildungsprozesses innerhalb dieses Verbandes gehört(130):
iv) Das Wort „gerechtfertigt“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 macht eine Prüfung erforderlich, ob berufliche Anforderungen, die mit einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung verbunden sind, in angemessener Weise an den Schutz des Rechts des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung angepasst sind, dergestalt, dass sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.
v) Die Worte „wesentliche, rechtmäßige“ erfordern eine Analyse der Nähe der fraglichen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag des Beklagten(131).
vi) In Einklang mit dem Erfordernis in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78, dass bei Ungleichbehandlungen die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ beachtet werden müssen, und dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 2 EMRK zur Klärung der Frage, ob die Ausübung des Rechts einer Religionsgemeinschaft auf Autonomie und Selbstbestimmung unverhältnismäßige Folgen für andere von der EMRK geschützte Rechte hat(132), müssen daher die Auswirkungen – im Sinne der Verhältnismäßigkeit – auf das rechtmäßige Ziel, die praktische Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung sicherzustellen, gegen das Recht des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung abgewogen werden(133), wobei gebührend zu berücksichtigen ist, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/78 nicht zwischen Einstellung und Entlassung unterscheidet(134).
112. Die Ziff. iv) und v) bedürfen näherer Ausführungen.
113. Die Regeln für die Auslegung von Unionsmaßnahmen sind oben in den Nrn. 81 bis 85 dargelegt worden. In Bezug auf Ziff. iv) ist meines Erachtens entscheidend, dass es in der Entstehungsgeschichte eine von der Delegation Luxemburgs vorgeschlagene Änderung des Wortes „erforderlich“ in das Wort „gerechtfertigt“ gab, im Licht eines Vorschlags der Regierung des Vereinigten Königreichs, „erforderlich“ durch „angemessen“ oder „relevant“ zu ersetzen(135). Dies stellt meiner Ansicht nach eine Entwicklung dahin gehend dar, dass der Unionsgesetzgeber durch den Rückgriff auf das Wort „gerechtfertigt“ die Anwendung des ersten Teils des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit akzeptiert hat. Dies bringt die Prüfung der Eignung der betreffenden Maßnahme zur Erreichung eines rechtmäßigen Ziels mit sich(136).
114. In Bezug auf Ziff. v) bin ich zu diesem Ergebnis anhand des Kontexts der Worte „wesentliche, rechtmäßige“ gelangt, die sowohl an das „Ethos der Organisation“ anknüpfen als auch an die „Art“ der betreffenden Tätigkeiten oder die „Umstände ihrer Ausübung“. Überdies gibt es eine Diskrepanz in den Sprachfassungen. Das Wort „genuine“ in der englischen Sprachfassung hat eine Entsprechung in der schwedischen („verkligt“), der maltesischen („ġenwin“), der lettischen („īstu“), der finnischen („todellinen“), der dänischen („regulært“), der kroatischen („stvarni“) und der ungarischen („valódi“) Sprachfassung, während in der französischen Fassung von „essentielle, légitime“ die Rede ist, was auch in der spanischen („esencial“), der italienischen („essenziale“), der portugiesischen („essencial“), der rumänischen („esențială“), der niederländischen („wezenlijke“), der deutschen („wesentliche“), der estnischen („oluline“), der bulgarischen („основно“), der slowakischen („základnú“), der tschechischen („podstatný“), der polnischen („podstawowy“), der slowenischen („bistveno“) und der griechischen („ουσιώδης“) Sprachfassung eine Entsprechung hat. Das Äquivalent zur litauischen Fassung („įprastas“) könnte ein Begriff wie gewöhnlich, üblich oder regelmäßig sein.
115. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Vorschrift, wenn ihre verschiedenen Sprachfassungen voneinander abweichen, nach dem Zusammenhang und dem Zweck der Regelung, zu der sie gehört, ausgelegt werden(137). Da sich aus den Worten „wesentliche, rechtmäßige“ aufgrund von Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen „keine klare und einheitliche Auslegung herleiten lässt“(138), bin ich zu dem Ergebnis gelangt, dass anknüpfend an den Zusammenhang und das Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 innewohnende Ziel, die Autonomie und Selbstbestimmung religiöser Organisationen zu wahren(139), die Nähe der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag der religiösen Organisationen von zentraler Bedeutung für die Auslegung ist. Dies spiegelt das Unionsrecht durch den Rückgriff auf die Worte „wesentliche, rechtmäßige“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 wider.
116. Ich schlage daher vor, die dritte Frage wie folgt zu beantworten:
Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 hat das vorlegende nationale Gericht bei der Prüfung wesentlicher, rechtmäßiger und gerechtfertigter beruflicher Anforderungen nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung und angesichts des Ethos der Organisation Folgendes zu berücksichtigen:
i) Das Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung ist im Unionsrecht anerkannt und geschützt, wie in den Art. 10 und 12 der Charta zum Ausdruck kommt. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und insbesondere die dortige Bezugnahme auf das „Ethos“ religiöser Organisationen sind in Einklang mit diesem Grundrecht auszulegen.
ii) Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 räumt den Mitgliedstaaten einen weiten, aber keinen unbegrenzten Spielraum in Bezug darauf ein, bei welchen beruflichen Tätigkeiten nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Ausübung die Religion oder Weltanschauung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung anzusehen ist.
iii) Die Bezugnahme auf die „verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten“ in Unterabs. 1 von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 bedeutet bei einer Auslegung im Licht von Art. 17 Abs. 1 AEUV, dass die Richtlinie 2000/78 so umzusetzen ist, dass das von den einzelnen Mitgliedstaaten gewählte Modell für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften und dem Staat geachtet und nicht beeinträchtigt wird.
iv) Das Wort „gerechtfertigt“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 macht eine Prüfung erforderlich, ob berufliche Anforderungen, die mit einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung verbunden sind, in angemessener Weise an den Schutz des Rechts des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung angepasst sind, dergestalt, dass sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.
v) Die Worte „wesentliche, rechtmäßige“ erfordern eine Analyse der Nähe der fraglichen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag des Beklagten.
vi) In Einklang mit dem Erfordernis in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78, dass bei Ungleichbehandlungen die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ beachtet werden müssen, und dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 2 EMRK zur Klärung der Frage, ob die Ausübung des Rechts einer Religionsgemeinschaft auf Autonomie und Selbstbestimmung unverhältnismäßige Folgen für andere von der EMRK geschützte Rechte hat, müssen daher die Auswirkungen – im Sinne der Verhältnismäßigkeit – auf das rechtmäßige Ziel, die praktische Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung sicherzustellen, gegen das Recht des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung abgewogen werden, wobei gebührend zu berücksichtigen ist, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/78 nicht zwischen Einstellung und Entlassung unterscheidet.
E. Zur zweiten Frage
117. Die zweite Frage betrifft den ungewöhnlichen Umstand, dass ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts wie das Recht auf Gleichbehandlung jeder Weltanschauung(140) konkreten Ausdruck in einer Richtlinie – hier der Richtlinie 2000/78 – gefunden hat, es aber dem Gericht eines Mitgliedstaats unmöglich ist, das nationale Recht in Einklang mit der Richtlinie auszulegen, weil dies zu einer Auslegung contra legem des nationalen Rechts führen würde, was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei Rechtsstreitigkeiten horizontaler Art zwischen zwei Privatpersonen ausgeschlossen ist(141). Sofern es dem vorlegenden nationalen Gericht unmöglich erscheint, Art. 137 Abs. 3 WRV und § 9 Abs. 1 AGG in Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und Art. 17 AEUV nach ihrer Auslegung durch das Urteil des Gerichtshofs im Ausgangsverfahren auszulegen, sind Art. 137 Abs. 3 WRV und § 9 Abs. 1 AGG dann unangewendet zu lassen?
118. Die mit der Auslegung des nationalen Rechts betrauten nationalen Gerichte müssen bei dessen Anwendung sämtliche Rechtsnormen berücksichtigen und die im nationalen Recht anerkannten Auslegungsmethoden anwenden, um seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der fraglichen Richtlinie auszurichten, damit das von ihr festgelegte Ergebnis erreicht und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachgekommen wird(142). Wie bereits erwähnt, müsen sie dabei ihre gefestigte Rechtsprechung abändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie nicht vereinbar ist(143).
119. Ich bin jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass das in Art. 21 der Charta zum Ausdruck kommende Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung in Fällen, in denen es in Widerstreit zum Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung steht und die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats nicht in Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 ausgelegt werden können, kein subjektives Recht ist, das horizontale Wirkung zwischen Privatpersonen entfaltet(144). Sollte dies das Ergebnis des Ausgangsverfahrens sein, nachdem es vor dem vorlegenden nationalen Gericht fortgesetzt worden ist, stünde der Klägerin nach dem Unionsrecht die Möglichkeit offen, gegen Deutschland eine Klage auf Schadensersatz aus Staatshaftung zu erheben(145).
120. Zu diesem Ergebnis komme ich aus folgenden Gründen.
121. Erstens ist es, wie oben dargelegt, nach Art. 17 Abs. 1 und 2 AEUV ausschließlich Sache der Mitgliedstaaten, das Modell ihrer Wahl für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat festzulegen. Wenn dies dazu führt, dass Rechtsvorschriften nicht mit den parallelen unionsrechtlichen Pflichten des Mitgliedstaats in Bezug auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie 2000/78 vereinbar sind, muss der Mitgliedstaat für eingetretenes Unrecht die Verantwortung übernehmen.
122. Zweitens wäre es, worauf Irland in seinen schriftlichen Erklärungen hinweist, mit dem Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 innewohnenden weiten Ermessen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Frage, was eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung darstellt, unvereinbar, wenn das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Religion unmittelbare horizontale Wirkung entfalten würde.
123. Drittens gibt es, worauf ebenfalls in den schriftlichen Erklärungen Irlands hingewiesen wird, im Gegensatz zu den anderen in Art. 19 AEUV aufgeführten Diskriminierungsgründen keinen hinreichenden Konsens zwischen den nationalen Verfassungsüberlieferungen dazu, unter welchen Umständen Ungleichbehandlungen wegen der Religion wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein können. Dies zeigt schon die Tatsache, dass Art. 17 AEUV und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 geschaffen wurden.
124. Ich schlage daher vor, die zweite Frage wie folgt zu beantworten:
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist es nicht notwendig, eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie hier § 9 Abs. 1 erste Alternative AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) –, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, unangewendet zu lassen, wenn es nicht möglich ist, diese Bestimmung in Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen.
F. Schlussbemerkungen
125. § 9 AGG ist eine problematische Vorschrift. Sie ist vor dem zuständigen Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen im Hinblick auf die Einhaltung des Übereinkommens der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung kritisiert worden(146). Sie war schon Gegenstand eines von der Kommission gegen Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens(147) und ist von einer deutschen Regierungsbehörde, die die Einhaltung von Antidiskriminierungsvorschriften in diesem Mitgliedstaat überwacht, in Frage gestellt worden(148).
126. Der Umstand, dass religiöse Organisationen in Deutschland etwa 1,3 Mio. Beschäftigte haben(149), verdeutlicht, dass es in diesem Mitgliedstaat ein erhebliches öffentliches Engagement der Kirchen und ihrer Untergliederungen gibt(150). Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass den durch diese Situation herbeigeführten Spannungen, für die das Ausgangsverfahren ein Beispiel ist, durch den Erlass von Art. 17 AEUV und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 sowie die Anerkennung des Rechts von Religionsgemeinschaften auf Autonomie und Selbstbestimmung als ein durch das Unionsrecht, mittels der Art. 10 und 12 der Charta in Verbindung mit ihrem Art. 52 Abs. 3, geschütztes Grundrecht Rechnung getragen wurde.
VI. Antworten auf die Vorlagefragen
127. Ich schlage daher folgende Antworten auf die vom Bundesarbeitsgericht vorgelegten Fragen vor:
1. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass ein Arbeitgeber wie der Beklagte des Ausgangsverfahrens – bzw. die Kirche für ihn – nicht verbindlich selbst bestimmen kann, ob eine bestimmte Religion eines Bewerbers nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts seines/ihres Ethos darstellt.
2. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist es nicht notwendig, eine Bestimmung des nationalen Rechts – wie hier § 9 Abs. 1 erste Alternative AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) –, wonach eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften und die ihnen zugeordneten Einrichtungen auch zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion unter Beachtung des Selbstverständnisses dieser Religionsgemeinschaft im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt, unangewendet zu lassen, wenn es nicht möglich ist, diese Bestimmung in Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen.
3. Nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 hat das vorlegende nationale Gericht bei der Prüfung wesentlicher, rechtmäßiger und gerechtfertigter beruflicher Anforderungen nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung und angesichts des Ethos der Organisation Folgendes zu berücksichtigen:
i) Das Recht religiöser Organisationen auf Autonomie und Selbstbestimmung ist im Unionsrecht anerkannt und geschützt, wie in den Art. 10 und 12 der Charta zum Ausdruck kommt. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 und insbesondere die dortige Bezugnahme auf das „Ethos“ religiöser Organisationen sind in Einklang mit diesem Grundrecht auszulegen.
ii) Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 räumt den Mitgliedstaaten einen weiten, aber keinen unbegrenzten Spielraum in Bezug darauf ein, bei welchen beruflichen Tätigkeiten nach ihrer Art oder den Umständen ihrer Ausübung die Religion oder Weltanschauung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung anzusehen ist.
iii) Die Bezugnahme auf die „verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten“ in Unterabs. 1 von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 bedeutet bei einer Auslegung im Licht von Art. 17 Abs. 1 AEUV, dass die Richtlinie 2000/78 so umzusetzen ist, dass das von den einzelnen Mitgliedstaaten gewählte Modell für die Gestaltung der Beziehungen zwischen Kirchen und religiösen Vereinigungen oder Gemeinschaften und dem Staat geachtet und nicht beeinträchtigt wird.
iv) Das Wort „gerechtfertigt“ in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78 macht eine Prüfung erforderlich, ob berufliche Anforderungen, die mit einer unmittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Religion oder Weltanschauung verbunden sind, in angemessener Weise an den Schutz des Rechts des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung angepasst sind, dergestalt, dass sie zur Erreichung dieses Ziels geeignet sind.
v) Die Worte „wesentliche, rechtmäßige“ erfordern eine Analyse der Nähe der fraglichen Tätigkeiten zum Verkündigungsauftrag des Beklagten.
vi) In Einklang mit dem Erfordernis in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78, dass bei Ungleichbehandlungen die „allgemeinen Rechtsgrundsätze“ beachtet werden müssen, und dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei der Auslegung von Art. 9 Abs. 2 EMRK zur Klärung der Frage, ob die Ausübung des Rechts einer Religionsgemeinschaft auf Autonomie und Selbstbestimmung unverhältnismäßige Folgen für andere von der EMRK geschützte Rechte hat, müssen daher die Auswirkungen – im Sinne der Verhältnismäßigkeit – auf das rechtmäßige Ziel, die praktische Wirksamkeit des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung sicherzustellen, gegen das Recht des Beklagten auf Autonomie und Selbstbestimmung abgewogen werden, wobei gebührend zu berücksichtigen ist, dass Art. 3 der Richtlinie 2000/78 nicht zwischen Einstellung und Entlassung unterscheidet.