Language of document : ECLI:EU:C:2007:106

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JÁN MAZÁK

vom 15. Februar 20071(1)

Rechtssache C‑411/05

Félix Palacios de la Villa

gegen

Cortefiel Servicios SA

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social Nr. 33, Madrid)

„Richtlinie 2000/78/EG des Rates – Art. 6 – Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts – Diskriminierung aufgrund des Alters – Zwangsversetzung in den Ruhestand – Unmittelbare Wirkung – Verpflichtung zur Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts“






I –    Einführung

1.        Der Juzgado de lo Social Nr. 33 Madrid (Spanien) hat dem Gerichtshof mit Beschluss vom 14. November 2005(2) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, mit denen er im Wesentlichen geklärt wissen möchte, ob das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters – wie es insbesondere in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(3) niedergelegt ist – einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die die Aufnahme von Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand in Tarifverträge gestattet. Falls die Frage bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht auch wissen, ob es verpflichtet ist, die betreffende nationale Vorschrift unangewandt zu lassen.

2.        Diese Fragen sind im Rahmen privatrechtlicher Streitigkeiten erhoben worden, nämlich der Klageverfahren des Félix Palacios de la Villa gegen die Cortefiel Servicios SA, José Maria Sanz Corral und Martin Tebar Less, in denen Herr Palacios geltend macht, seine Entlassung aufgrund der Erreichung der im Tarifvertrag festgelegten Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand sei rechtswidrig.

3.        Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2000/78 sind dem Gerichtshof bereits in den Rechtssachen Mangold(4) und Navas(5) vorgelegt worden. Was insbesondere die Diskriminierung aufgrund des Alters anbelangt, ist der Gerichtshof nun – nach Mangold(6) und Lindorfer(7) – zum dritten Mal ersucht worden, sich zu einer Klage wegen einer solchen Diskriminierung zu äußern, wenn auch zu betonen ist, dass sich die vorliegende Rechtssache hinsichtlich des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens erheblich von den genannten Rechtssachen unterscheidet.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Gemeinschaftsrecht

4.        Die Richtlinie 2000/78 wurde auf der Grundlage von Art. 13 EG in der Fassung vor dem Vertrag von Nizza erlassen. Dieser Artikel lautet:

„Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrags kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“

5.        Der erste und der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 lauten wie folgt:

„(1) Nach Artikel 6 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.

(14) Diese Richtlinie berührt nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.

…“

6.        Art. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt als deren Zweck:

„… die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

7.        Art. 2, der den Begriff Diskriminierung definiert, enthält folgenden Abs. 1:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

…“

8.        Art. 3 („Geltungsbereich“) der Richtlinie 2000/78 bestimmt in Abs. 1 und 3:

„(1) Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf:

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme oder der damit gleichgestellten Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes.

…“

9.        Art. 6 sieht die Möglichkeit einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung wegen des Alters vor:

„(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)      die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c)      die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.

2.      Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt“.

10.      Nach Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 war die Richtlinie bis zum 2. Dezember 2003 umzusetzen. Da Spanien von der in Art. 18 Abs. 2 vorgesehenen Möglichkeit, eine Zusatzfrist von drei Jahren ab dem 2. Dezember 2003 in Anspruch zu nehmen, keinen Gebrauch machte, endete die Frist für die Umsetzung der Richtlinie in Spanien zu diesem Zeitpunkt.

B –    Relevantes nationales Recht

11.      Dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge wurde die Zwangsversetzung in den Ruhestand vom spanischen Gesetzgeber in der Zeit von 1980 (beginnend mit dem Gesetz 8/80 über das Statut der Arbeitnehmer) bis 2001 als Instrument zur Förderung generationenübergreifender Beschäftigung eingesetzt.

12.      Nachdem das Tribunal Constitucional Bestimmungen des Gesetzes 8/80 über die Festlegung von Altersgrenzen für die Zwangsversetzung in den Ruhestand in Tarifverträgen für verfassungswidrig erklärt hatte, wurde das Gesetz 8/80 insoweit durch das Real Decreto Legislativo 1/1995 ersetzt, das das Gesetz über das Statut der Arbeitnehmer („Estatuto de los Trabajadores“, im Folgenden: ET) regelt. Das ET ist derzeit das maßgebende nationale Gesetz im Bereich der Arbeitsbeziehungen.

13.      In der aktuellen Fassung des ET – d. h. geändert durch das seit 1. Januar 2004 geltende Gesetz 62/03, das die Richtlinie 2000/78 in spanisches Recht umgesetzt hat – ist in den Art. 4 und 17 das Verbot einer Diskriminierung u.a. aufgrund des Alters festgelegt.

14.      Hinsichtlich der Zwangsversetzung in den Ruhestand bestimmte die Zehnte Zusatzbestimmung zum ET in der bis Juli 2001 geltenden Fassung:

„Innerhalb der Grenzen und unter den Bedingungen, die in dieser Vorschrift festgelegt sind, kann die Zwangsversetzung in den Ruhestand als Instrument zur Umsetzung einer Beschäftigungspolitik benutzt werden. Für die Arbeitsfähigkeit und das Erlöschen der Arbeitsverträge gilt vorbehaltlich der Möglichkeit, Wartezeiten für einen Anspruch auf Altersrente zu erfüllen, die Altershöchstgrenze, die die Regierung in Abhängigkeit von der Aufnahmefähigkeit der Sozialversicherung und des Arbeitsmarkts festlegt. In den Tarifverhandlungen können vorbehaltlich der insoweit für die Sozialversicherung geltenden Bestimmungen Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand frei vereinbart werden.“

15.      Weil der Gesetzgeber die Zwangsversetzung in den Ruhestand fortan nicht mehr als ein beschäftigungsförderndes Instrument ansah, sondern dazu überging, sie als Kostenfaktor für das System der sozialen Sicherheit zu betrachten, wurde die Zehnte Zusatzbestimmung aufgehoben und die Zwangsversetzung in den Ruhestand abgeschafft. Dies führte zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten, in denen über die Gültigkeit von in Tarifverträgen enthaltenen Klauseln über die Zwangsversetzung von Arbeitnehmern in den Ruhestand gestritten wurde. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, hat das spanische Tribunal Supremo die Ansicht vertreten, dass die in einer Reihe von Tarifverträgen enthaltenen Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand mit der Aufhebung ihrer Rechtsgrundlage rechtswidrig geworden seien.

16.      Die Zwangsversetzung in den Ruhestand wurde jedoch auf Betreiben der Tarifparteien sowie der Unternehmer‑ und Gewerkschaftsverbände durch das Gesetz 14/2005 vom 1. Juli 2005 über Klauseln in Tarifverträgen über das Erreichen der gewöhnlichen Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand (im Folgenden: Gesetz 14/2005) wieder eingeführt, das am 3. Juli 2005 in Kraft trat. Der einzige Artikel dieses Gesetzes führte die Zehnte Zusatzbestimmung zum ET in etwas abgewandelter Fassung wieder ein (im Folgenden: endgültiges Gesetz 14/2005) und lautet wie folgt:

„Tarifverträge können Klauseln enthalten, die es ermöglichen, dass der Arbeitsvertrag erlischt, wenn der Arbeitnehmer die in den Vorschriften über die soziale Sicherheit festgelegte gewöhnliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

a)      Diese Maßnahme muss in Verbindung mit Zielen stehen, die mit der Beschäftigungspolitik übereinstimmen und im Tarifvertrag genannt sind, wie die Verbesserung der Stabilität der Beschäftigung, die Umwandlung von befristeten Verträgen in unbefristete Verträge, die Aufrechterhaltung der Beschäftigung, die Einstellung neuer Arbeitnehmer oder andere Zwecke, die auf die Verbesserung der Qualität der Beschäftigung gerichtet sind.

b)      Der vom Erlöschen des Arbeitsvertrags betroffene Arbeitnehmer muss die Mindestbeitragszeit oder, wenn dies im Tarifvertrag so vereinbart wurde, eine längere Zeit zurückgelegt haben und die übrigen in den Vorschriften über die soziale Sicherheit vorgesehenen Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente erfüllen.“

17.      Das Gesetz 14/2005 war nicht nur zur Regelung von Tarifverträgen bestimmt, die ab seinem Inkrafttreten am 3. Juli 2005 abgeschlossen wurden, sondern diente mit seiner „Einzigen Übergangsbestimmung“ (im Folgenden: EÜ) auch zur Regelung von zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Gesetzes bereits geltenden Tarifverträgen.

18.      Die EÜ, um die es in den in dieser Rechtssache vorgelegten Fragen geht, hat folgenden Wortlaut:

„Klauseln in vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossenen Tarifverträgen, in denen vereinbart wurde, dass der Arbeitsvertrag erlischt, wenn der Arbeitnehmer die gewöhnliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat, sind gültig, wenn gewährleistet ist, dass der betroffene Arbeitnehmer die Mindestbeitragszeit zurückgelegt hat und die übrigen in den Vorschriften über die soziale Sicherheit festgelegten Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente erfüllt.“

19.      Das vorlegende Gericht weist auf den Unterschied zwischen der EÜ und den Regelungen über die Zwangsversetzung in den Ruhestand im einzigen Artikel des Gesetzes 14/2005 über die nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossenen Tarifverträge hin, der darin besteht, dass nach dem Wortlaut der EÜ für die Zwangsversetzung in den Ruhestand nicht ausdrücklich beschäftigungspolitische, in den betreffenden Tarifverträgen zu nennende Ziele vorausgesetzt sind.

III – Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

20.      Dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge war Herr Palacios, geboren am 3. Februar 1940, seit dem 17. August 1981 als Organisationsleiter bei der Cortefiel Servicios SA beschäftigt.

21.      Am 18. Juli 2005 unterrichtete ihn das Unternehmen schriftlich über sein Ausscheiden mit der Begründung, dass er alle in Art. 19 des Tarifvertrags und in der EÜ vorgesehenen Voraussetzungen erfülle.

22.      Die Beziehung zwischen den Parteien wird durch den am 10. März 2005 unterzeichneten und am 26. Mai 2005 veröffentlichten Tarifvertrag für den Textilhandel für die Comunidad de Madrid (im Folgenden: TTCA) geregelt. Dieser Tarifvertrag gilt nach seinem Art. 3 bis zum 31. Dezember 2005.

23.      Art. 19 Abs. 3 TTCA sieht vor: „Mit dem Ziel der Förderung der Beschäftigung wird vereinbart, dass die Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand fünfundsechzig Jahre beträgt, es sei denn, der betroffene Arbeitnehmer hat die für den Bezug einer Altersrente erforderliche Wartezeit nicht erfüllt; in diesem Fall kann er bis zur Vervollständigung der Wartezeit weiter seiner Tätigkeit nachgehen.“

24.      Sollte Herr Palacios am 18. Juli 2005, dem Tag seines Ausscheidens aus dem Unternehmen, in den Ruhestand eingetreten sein, stand ihm vorbehaltlich der gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenzen eine Altersrente in Höhe von 100 % seiner Beitragsbemessungsgrundlage von 2 347,78 Euro zu Lasten des Systems der sozialen Sicherheit zu.

25.      Mit seiner Klage im Ausgangsverfahren macht Herr Palacios geltend, seine Entlassung sei wegen Verletzung von Grundrechten nichtig. Er trägt vor, er sei beruflichen Schikanen ausgesetzt gewesen, was das vorlegende Gericht für unzutreffend hält; außerdem macht er geltend, er sei durch die Entlassung aufgrund der Vollendung des 65. Lebensjahrs diskriminiert worden, und wendet sich direkt gegen das Entlassungsschreiben.

26.      Das vorlegende Gericht bemerkt, dass mit dem Entlassungsschreiben das Gesetz 14/2005 angewandt worden sei und dass allein dieser Punkt, nämlich die Frage der Vereinbarkeit der EÜ mit Gemeinschaftsrecht, den Gegenstand der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bilde.

27.      Zusätzlich weist das vorlegende Gericht in seiner rechtlichen Prüfung darauf hin, gemäß der EÜ sei die Entlassung eines Arbeitnehmers rechtmäßig, wenn er zwei Voraussetzungen erfülle, nämlich die Erreichung der Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand und die Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine staatliche Altersrente. Nach Ansicht des Gerichts darf die EÜ im Fall ihrer Unvereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht angewendet werden.

28.      Das vorlegende Gericht betont auch, dass die Zwangsversetzung in den Ruhestand nach dem endgültigen Gesetz 14/2005 – im Unterschied zur EÜ – an die Verfolgung von mit der Beschäftigungspolitik übereinstimmenden Zielen geknüpft ist. Wie sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt, hält das vorlegende Gericht deshalb das endgültige Gesetz 14/2005 aufgrund der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in Bezug auf Ungleichbehandlungen wegen des Alters vorgesehenen Ausnahme für mit der Richtlinie vereinbar.

29.      Außerdem stellt sich das vorlegende Gericht auf den Standpunkt, nach dem Gesetz 14/2005 würden Arbeitnehmer, die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, unterschiedlich behandelt, je nach dem, ob der Tarifvertrag, der sie zum Ruhestand im Alter von 65 Jahren verpflichte, bereits vor Erlass dieses Gesetzes gegolten hätte oder erst danach ausgehandelt worden sei.

30.      Schließlich hält das vorlegende Gericht Art. 13 EG und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 für bestimmte und unbedingte Normen, die auf den ihm vorliegenden Fall unmittelbar anwendbar seien.

31.      Vor diesem Hintergrund hat der Juzgado de lo Social dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um mit größerer Rechtssicherheit ein anwendbares Auslegungskriterium ermitteln zu können:

–        Steht der in Art. 13 des Vertrages und in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz, der jede Diskriminierung aufgrund des Alters verbietet, einem nationalen Gesetz (konkret dem ersten Absatz der Einzigen Übergangsbestimmung des Gesetzes 14/2005 über Klauseln in Tarifverträgen über das Erreichen der gewöhnlichen Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand) entgegen, das in Tarifverträgen enthaltene Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand für gültig erklärt, die als Voraussetzung lediglich verlangen, dass der Arbeitnehmer die Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat und die im Sozialversicherungsrecht des spanischen Staates festgelegten Voraussetzungen für den Bezug einer beitragsbezogenen Rente erfüllt?

Falls diese Frage bejaht wird:

–        Verpflichtet mich der in Art. 13 des Vertrages und in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz, der jede Diskriminierung aufgrund des Alters verbietet, als nationalen Richter, den ersten Absatz der Einzigen Übergangsbestimmung des Gesetzes 14/2005 auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden?

IV – Rechtliche Prüfung

A –    Die erste Frage

 Einführende Bemerkungen

32.      Vor dem Einstieg in die rechtliche Prüfung ist es angebracht, die Punkte, die sich aus der ersten Vorlagefrage ergeben, genauer herauszustellen.

33.      Erstens scheint das vorlegende Gericht, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen bemerkt hat, im Vorabentscheidungsersuchen neben der geltend gemachten Diskriminierung aufgrund des Alters auf eine mögliche Diskriminierung hinzudeuten, die sich daraus ergebe, dass zwei verschiedene Regelungen des nationalen Rechts über die Zwangsversetzung in den Ruhestand – nämlich die EÜ und das endgültige Gesetz 14/2005 – anwendbar seien, je nach dem, ob der betreffende Tarifvertrag vor oder nach Inkrafttreten des Gesetzes 14/2005 abgeschlossen worden sei.

34.      Besonders der Wortlaut der ersten Frage, der sich ausdrücklich auf eine Diskriminierung aufgrund des Alters und die entsprechenden Gemeinschaftsbestimmungen bezieht, lässt jedoch darauf schließen, dass das vorlegende Gericht die vorgenannte, sich hiervon unterscheidende Diskriminierung aufgrund des Zeitpunkts des Abschlusses des Tarifvertrags offenbar als ein Problem ansieht, das sich aus dem im nationalen Recht geregelten Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt. Dieser Punkt bildet allerdings meiner Ansicht nach nicht den Gegenstand der dem Gerichtshof in dieser Rechtssache vorgelegten Frage. Ich darf hinzufügen, dass diese Auffassung von den Verfahrensbeteiligten geteilt wird, wie sich aus den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ergibt.

35.      Zweitens ist hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund des Alters zu beachten, dass das vorlegende Gericht in seiner ersten Frage nicht nur die Richtlinie 2000/78, sondern auch Art. 13 EG erwähnt und die Ansicht äußert, diese Bestimmung könne unmittelbare Wirkung haben.

36.      Art. 13 EG ist jedoch lediglich eine Ermächtigungsnorm, die den Rat in die Lage versetzt, geeignete Vorkehrungen zur Bekämpfung u. a. von Diskriminierungen aufgrund des Alters zu ergreifen. Als solche kann Art. 13 EG weder unmittelbare Wirkung haben noch der Anwendung eines nationalen Gesetzes wie der EÜ entgegenstehen(8).

37.      Ich stimme daher mit den Beteiligten überein, dass die erste Vorlagefrage nicht direkt im Licht von Art. 13 EG zu prüfen ist. Daraus folgt andererseits nicht, dass Art. 13 EG für die Auslegung der Richtlinie 2000/78 und des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters keine Bedeutung hat.

38.      Drittens sei daran erinnert, dass die streitigen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt worden sind, bevor das Urteil Mangold(9) erging, in dem sich der Gerichtshof auf den weitreichenden Standpunkt gestellt hat, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen ist. Deshalb ist die erste Frage auch unter Berücksichtigung dieses allgemeinen Grundsatzes zu prüfen, damit das vorlegende Gericht eine hilfreiche Antwort erhält.

39.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Erwägungen ergeben sich aus der ersten Vorlagefrage meiner Ansicht nach folgende Rechtsfragen.

40.      Zunächst ist zu prüfen, ob der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 in Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt eröffnet ist. Ist dies der Fall, so muss zweitens die Frage geklärt werden, ob ein nationales Gesetz über die Zwangsversetzung in den Ruhestand – wie die EÜ – mit der Richtlinie 2000/78 vereinbar ist, und insbesondere, ob eine solche Maßnahme nach dieser Richtlinie gerechtfertigt sein kann. Drittens ist die erste Vorlagefrage im Licht des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters, wie der Gerichtshof es im Urteil Mangold definiert hat, zu beurteilen. Aufgrund der Kontroversen, die dieses Urteil – besonders im Hinblick auf das Bestehen eines solchen allgemeinen Verbots – ausgelöst hat, sind einige zusätzliche Bemerkungen angebracht.

41.      Die zweite Vorlagefrage geht dahin, welche möglichen Konsequenzen sich für das vorlegende Gericht aus der Antwort auf die erste Vorlagefrage ergeben.

 Wesentliches Vorbringen der Beteiligten

42.      Im vorliegenden Verfahren haben die Regierungen von Spanien, Irland, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission und die Parteien des Ausgangsverfahrens schriftliche Stellungnahmen eingereicht. Mit Ausnahme von Herrn Palacios waren diese Beteiligten auch in der mündlichen Verhandlung vom 21. November 2006 vertreten.

43.      Alle Beteiligten außer Herrn Palacios sind sich im Wesentlichen darüber einig – wenn auch mit leicht voneinander abweichenden Argumenten –, dass die erste Vorlagefrage zu verneinen ist. Die Regierungen von Spanien, Irland, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie Cortefiel machen geltend, das in der Richtlinie 2000/78 festgelegte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters sei auf ein nationales Gesetz wie die EÜ nicht anwendbar. Diese Beteiligten beziehen sich hierbei insbesondere auf den 14. Erwägungsgrund der Richtlinie zu einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung von Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.

44.      Hilfsweise tragen diese Regierungen vor, dass eine nationale Bestimmung über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt sei. Die Kommission macht geltend, die Richtlinie 2000/78 sei auf eine nationale Bestimmung wie die EÜ anwendbar, stimmt jedoch darin zu, dass eine solche Bestimmung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sei.

 Sachlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 eröffnet?

45.      Um festzustellen, ob sich der Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 auf eine einzelstaatliche Bestimmung wie die EÜ erstreckt, ist nicht nur auf den Wortlaut abzustellen, sondern sind auch der Zweck und der Zusammenhang der Richtlinie zu berücksichtigen (10).

46.      Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 besteht deren Zweck in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf aus den in diesem Artikel genannten Gründen, zu denen auch das Alter gehört.

47.      Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie ist in deren Art. 3 genau bezeichnet. Insbesondere gilt die Richtlinie gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“.

48.      Während die Kommission geltend macht, die EÜ lege eine Arbeitsbedingung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 fest, vertreten fast alle anderen Beteiligten den Standpunkt, dass die EÜ als nationale Regelung über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie falle.

49.      In dieser Hinsicht ist zunächst zu beachten, dass die EÜ vom vorlegenden Gericht als eine Regelung beschrieben wird, die Bedingungen für den Eintritt in den Ruhestand festlege, indem sie nämlich die Aufnahme von Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand in Tarifverträge gestatte. Hiernach stehe die Zwangsversetzung in den Ruhestand unter der Bedingung der Erfüllung der Mindestbeitragszeit und der übrigen in den Vorschriften über die soziale Sicherheit festgelegten Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine beitragsbezogene Altersrente.

50.      Andererseits verweist Herr Palacios in diesem Zusammenhang darauf, er sei entlassen worden, weil die Zwangsversetzung in den Ruhestand im Tarifvertrag auf der Grundlage der EÜ geregelt worden sei. Die spanische Regierung hat sich in der mündlichen Verhandlung gegen diese Terminologie gewandt und ausgeführt, Herr Palacios sei in Wirklichkeit nicht entlassen worden, sondern nach den nationalen Vorschriften über die Zwangsversetzung in den Ruhestand im Alter von 65 Jahren schlicht verpflichtet gewesen, in den Ruhestand zu treten. Nach Ansicht dieser Regierung ist in dem an Herrn Palacios gerichteten Schreiben nicht von Entlassung die Rede.

51.      Hierzu sei zunächst betont, dass die Richtlinie 2000/78 nach ihrem 14. Erwägungsgrund – der bei ihrer Auslegung zu berücksichtigen ist(11) – nicht die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Festsetzung der Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand berührt.

52.      Ich muss sagen, dass es mir etwas schwierig erscheint, die fragliche nationale Regelung nicht als einzelstaatliche Bestimmung im Sinne dieses Erwägungsgrunds zu betrachten.

53.      Zwar regelt die EÜ die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Altersrente nicht selbst, sondern nimmt vielmehr auf diese Regelungen als eine Bedingung für die Festsetzung einer Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand Bezug. Dadurch ändert sich meiner Meinung nach aber nichts an der Tatsache, dass die EÜ – in Verbindung mit einem hierauf beruhenden Tarifvertrag – eine Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand festlegt, die zur Folge hat, dass das Beschäftigungsverhältnis endet und der Ruhestand beginnt.

54.      Dies stattdessen als Entlassung zu betrachten, ist aus meiner Sicht ziemlich weit hergeholt, obwohl der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung zum Begriff Entlassung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen(12) zugegebenermaßen eine entsprechende Auslegung vertreten hat.

55.      In der Rechtsprechung, auf die ich Bezug nehme(13), hat der Gerichtshof zwischen dem Zugang zu einem gesetzlichen oder betrieblichen Rentensystem – d. h. den Voraussetzungen für die Gewährung der Alters- oder Ruhestandsrente – und der Festsetzung einer Altersgrenze für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unterschieden. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die letztere Frage die Entlassungsbedingungen betrifft und folglich unter die Richtlinie 76/207 fällt(14).

56.      Diese Auslegung beruhte jedoch auf der Prämisse, dass der Begriff Entlassung in dieser Richtlinie weit auszulegen sei(15).

57.      Im Gegensatz dazu ist der Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 meiner Ansicht nach – insbesondere, soweit das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters betroffen ist – eng auszulegen.

58.      Hierin stimme ich mit der von Generalanwalt Geelhoed in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Navas vertretenen Ansicht überein, dass die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut von Art. 13 EG als Rechtsgrundlage für die Richtlinie 2000/78 eine eher zurückhaltende Auslegung dieser Richtlinie nahelegten und dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber der potenziell weitreichenden wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen – insbesondere hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters – bewusst gewesen sein müsse(16).

59.      Bei der Auslegung und Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Diskriminierungsverbote empfiehlt sich in der Tat im Allgemeinen eine sehr sorgfältige Herangehensweise, weil aufgrund des relativ offenen und nicht klar definierbaren Begriffs Nichtdiskriminierung die Gefahr besteht, dass in nationalen Vorschriften niedergelegte Erfordernisse und Voraussetzungen durch solche Regelungen generell „eingeebnet“ oder in Frage gestellt werden(17).

60.      Wie Generalanwalt Geelhoed zutreffend dargestellt hat, könnten Diskriminierungsverbote „gehandhabt werden …, um ohne Einschaltung des Vertragsgebers oder des Gemeinschaftsgesetzgebers die Abwägungen zu korrigieren, die die Mitgliedstaaten in Ausübung der ihnen noch verbliebenen Zuständigkeiten vorgenommen haben“(18).

61.      Was insbesondere das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters angeht, sei daran erinnert, dass dieses Verbot insofern besonders beschaffen ist, als das Alter als Kriterium einen Punkt auf einer Skala darstellt, und dass eine Diskriminierung aufgrund des Alters deshalb abgestuft sein kann(19). Es ist daher viel schwieriger, eine Diskriminierung aufgrund des Alters festzustellen, als z. B. eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, da im letzteren Fall die Vergleichsparameter klarer definiert sind(20).

62.      Hinzu kommt noch – während die Anwendung des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters also eine vielschichtige und feinsinnige Betrachtung erfordert –, dass altersbezogene Unterscheidungen in der Arbeits- und Sozialpolitik sehr verbreitet sind.

63.      Es liegt in der Natur der Sache, dass insbesondere Rentensysteme altersbezogene Unterscheidungen mit sich bringen. Zu vergegenwärtigen ist, dass nationale Bestimmungen über Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand automatisch eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters im Sinne der Definition des Begriffs Diskriminierung in Art. 2 der Richtlinie 2000/78 nach sich ziehen. Demzufolge wäre – wenn derartige nationale Bestimmungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 fielen – jede solche nationale Bestimmung grundsätzlich an dieser Richtlinie zu messen, gleichgültig, ob sie ein Mindest- oder ein Höchstalter für den Eintritt in den Ruhestand festlegt.

64.      Auch wenn Art. 6 der Richtlinie hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund des Alters bestimmte Ausnahmen und Begrenzungen vorsieht, wäre es meiner Ansicht nach sehr problematisch, dieses Damoklesschwert über allen nationalen Bestimmungen über Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand schweben zu lassen, zumal diese Altersgrenzen eng mit Bereichen wie Sozial- und Beschäftigungspolitik zusammenhängen, für die primär die Mitgliedstaaten zuständig sind.

65.      Ich bin der Ansicht, dass sich der Gemeinschaftsgesetzgeber dieser Probleme bewusst war und den 14. Erwägungsgrund in die Präambel der Richtlinie 2000/78 eingefügt hat, um klarzustellen, dass er nicht die Absicht hatte, den Anwendungsbereich dieser Richtlinie auf Vorschriften zu erstrecken, die Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand festlegen(21).

66.      Schließlich hat mich das Argument der Kommission nicht überzeugt, der 14. Erwägungsgrund beziehe sich möglicherweise nicht auf den Anwendungsbereich der Richtlinie, sondern auf die in Art. 6 der Richtlinie vorgesehenen Rechtfertigungsgründe. Die Möglichkeit der Rechtfertigung nationaler Bestimmungen im Rahmen einer Richtlinie unterscheidet sich deutlich von dem Fall, dass eine Richtlinie solche Bestimmungen „nicht berührt“. Außerdem bezieht sich Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie nur auf die Festsetzung der Altersgrenzen für betriebliche Systeme der sozialen Sicherheit, nicht aber – wie der 14. Erwägungsgrund – auf allgemeine Bestimmungen über die Festsetzung von Altersgrenzen für den Eintritt in den Ruhestand.

67.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen gelange ich zu dem Standpunkt, dass eine nationale Bestimmung wie die EÜ über die Festsetzung einer Altersgrenze für die Zwangsversetzung den Eintritt in den Ruhestand nicht „die Beschäftigungs- oder Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“ betrifft und deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt. Einer solchen nationalen Bestimmung kann das in dieser Richtlinie verankerte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters somit nicht entgegenstehen.

 Rechtfertigung einer Bestimmung wie der vorliegenden?

68.      Sollte der Gerichtshof trotzdem zu dem Schluss kommen, dass eine nationale Bestimmung wie die EÜ in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt, ist zu prüfen, ob diese Bestimmung nach Art. 6 der Richtlinie gerechtfertigt sein kann, wobei – wie oben erwähnt – davon auszugehen ist, dass eine Bestimmung über die Festsetzung einer Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Alters im Sinne von Art. 2 der Richtlinie mit sich bringt.

69.      Offenbar bestünde die geltend gemachte Diskriminierung bei einer korrekten Anwendung des Konzepts der Diskriminierung in der vorliegenden Rechtssache darin, dass Personen, die die Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand erreichen, im Gegensatz zu jüngeren Personen nicht mehr beschäftigt werden dürfen. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass die Menschen normalerweise wohl eher eine Mindestaltersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand – die vermutlich in den meisten Rentensystemen der Mitgliedstaaten vorgesehen ist – als Benachteiligung aufgrund ihres Alters empfinden, weil der Ruhestand im Allgemeinen weniger als Verpflichtung, sondern vielmehr als soziales Recht wahrgenommen wird.

70.      Jedenfalls bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 insbesondere in Bezug auf Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters, dass die Mitgliedstaaten vorsehen können, dass solche Ungleichbehandlungen „keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“.

71.      Aus dem Vorabentscheidungsersuchen sowie aus den Erklärungen der spanischen Regierung ergibt sich, dass die EÜ, die die Aufnahme von Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand in Tarifverträge gestattet, auf Betreiben der Sozialpartner als Teil eines Programms zur Förderung generationenübergreifender Beschäftigung verabschiedet worden ist.

72.      Meines Erachtens besteht kein Zweifel daran, dass diese Bestimmung in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 des Tarifvertrags einem rechtmäßigen, im öffentlichen Interesse liegenden Ziel aus dem Bereich der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik dient, so dass eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aufgrund des Alters gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie in Betracht kommt. Ich gebe zu, dass ich in diesem Zusammenhang nicht mit der wohl vom vorlegenden Gericht vertretenen Ansicht einverstanden bin, d. h., ich halte es nicht für erforderlich, dass das legitime politische Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in der fraglichen nationalen Bestimmung ausdrücklich genannt sein muss, damit diese nach dieser Vorschrift gerechtfertigt sein kann. Auch vor dem Hintergrund, dass Richtlinien nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, muss es ausreichend und entscheidend sein, dass das nationale Gesetz in tatsächlicher Hinsicht und im Ergebnis durch ein solches legitimes Ziel gerechtfertigt ist.

73.      Bezüglich der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Voraussetzung, dass die Mittel zur Erreichung der rechtmäßigen Ziele „angemessen und erforderlich“ sein müssen, ist zu betonen, dass – worauf der Gerichtshof im Urteil Mangold hingewiesen hat – die Mitgliedstaaten über einen weiten Ermessensspielraum bei der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfügen(22).

74.      In der Tat kann es grundsätzlich nicht Sache des Gerichtshofs sein, die Beurteilung des nationalen Gesetzgebers oder der anderen politischen und sozialen Kräfte, die – wie in der vorliegenden Rechtssache die Sozialpartner – an der Gestaltung der Sozial- und Arbeitspolitik eines bestimmten Mitgliedstaats beteiligt sind, in derart komplexen Fragestellungen durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen. Eine solche Zensur kommt höchstens bei einer offensichtlich unverhältnismäßigen nationalen Maßnahme in Betracht.

75.      Im Urteil Mangold ist der Gerichtshof auf der Grundlage der vom nationalen Gericht vorgelegten Informationen jedoch zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die in dieser Rechtssache streitige nationale Bestimmung über befristete Arbeitsverträge über das hinausgegangen ist, was zur Erreichung des Ziels der beruflichen Eingliederung arbeitsloser älterer Arbeitnehmer angemessen und erforderlich ist. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang u. a. darauf hingewiesen, dass eine große, ausschließlich nach dem Lebensalter definierte Gruppe von Arbeitnehmern während eines erheblichen Teils ihres Berufslebens Gefahr läuft, von festen Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen zu sein(23).

76.      Im Gegensatz dazu sind in der vorliegenden Rechtssache keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Zwangsversetzung in den Ruhestand als solche oder – im konkreten Fall – die Festsetzung einer Altersgrenze von 65 Jahren für den Eintritt in den Ruhestand über das hinausginge, was zur Erreichung der verfolgten Ziele angemessen und erforderlich ist.

77.      Zugegebenermaßen besteht angesichts der demografischen Herausforderungen und haushalterischen Beschränkungen, denen fast alle Mitgliedstaaten unterworfen sind – was die Kommission erst kürzlich veranlasst hat, zu raschem Handeln aufzurufen – die entscheidende Frage in Europa offenbar vielmehr darin, die Beschäftigungszeiten zu verlängern und das Rentenalter zu erhöhen. Doch selbst dann bleibt es Sache der Mitgliedstaaten, ihre damit zusammenhängende Politik zu gestalten.

78.      Aus diesen Gründen komme ich zu dem Schluss, dass die Richtlinie 2000/78 – selbst wenn sie dahin gehend auszulegen wäre, dass eine nationale Bestimmung wie die vorliegende von ihrem Anwendungsbereich gedeckt ist – einer solchen Bestimmung nicht entgegenstünde.

 Das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts und die Bedeutung des Urteils Mangold, Teil 1

79.      Der herausragende Aspekt im Urteil Mangold, in dem der Gerichtshof über die Vereinbarkeit einer Bestimmung im deutschen Recht über den Abschluss befristeter Arbeitsverträge für Arbeitnehmer, die das 52. Lebensjahr vollendet haben, mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zu entscheiden hatte, besteht wohl in der Feststellung, dass „das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters … als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen“ ist(24).

80.      Der Gerichtshof ist mit diesen Ausführungen Generalanwalt Tizzano gefolgt, der vorgeschlagen hatte, als Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Vereinbarkeit der fraglichen nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz – und nicht die Richtlinie selbst – heranzuziehen(25). Dieser Ansatz ermöglichte offenbar, zwei der Rechtssache zugrunde liegende Probleme zu überwinden: Erstens ist der Gerichtshof dieser Auffassung gefolgt, um dem Einwand entgegenzutreten, die Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78 sei für Deutschland zum entscheidenden Zeitpunkt noch nicht abgelaufen gewesen(26), und zweitens konnte er die Frage umgehen, ob die Richtlinie „unmittelbare horizontale Wirkung“ hat(27).

81.      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf nicht in der Richtlinie 2000/78 selbst verankert ist. Vielmehr hat „das grundsätzliche Verbot dieser Formen der Diskriminierung, wie sich aus der ersten und vierten Begründungserwägung der Richtlinie [ergibt], seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten“(28).

82.      In diesem Zusammenhang geht der Gerichtshof offenbar von der Annahme aus, dass ein besonderes Diskriminierungsverbot aufgrund des Alters im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz bereits enthalten ist oder sich daraus ableitet(29).

83.      Der vom Gerichtshof im Urteil Mangold vertretene Ansatz ist von der Rechtslehre, den Medien und den meisten Beteiligten des vorliegenden Verfahrens scharf kritisiert worden und bedarf weiterer Kommentierung.

84.      Zunächst ist zu betonen, dass die Schaffung allgemeiner Rechtsgrundsätze für die Entwicklung der Rechtsordnung der Gemeinschaft eine zentrale Rolle gespielt hat.

85.      Durch die Formulierung allgemeiner Grundsätze des Gemeinschaftsrechts hat der Gerichtshof – entsprechend seiner nach Art. 220 EG bestehenden Verpflichtung zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung des Vertrags – dem Gemeinschaftsrecht Substanz verliehen; andernfalls wäre es – als eine Rechtsordnung, die auf einem Rahmenvertrag beruht – nur ein Stückwerk von Vorschriften geblieben, ohne wirklich eine eigentliche rechtliche „Ordnung“ darzustellen.

86.      Diese Rechtsquelle hat den Gerichtshof in die Lage versetzt, in wichtigen Bereichen, wie dem Schutz von Grundrechten und dem Verwaltungsrecht, Rechtsgrundsätze zu garantieren und ihnen Inhalt zu geben, wobei er sich oft an den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und an völkerrechtlichen Verträgen ein Beispiel genommen hat. Jedoch liegt es in der Natur allgemeiner Rechtsgrundsätze – die wohl mehr dem platonischen Rechtshimmel als den Gesetzbüchern entstammen –, dass sowohl ihre Existenz als auch ihr materieller Inhalt von Unbestimmtheit gekennzeichnet sind.

87.      Trotzdem kann man sich mit der Frage auseinander setzen, ob die Gründe, auf die der Gerichtshof seine Feststellungen im Urteil Mangold über das Bestehen eines allgemeinen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters gestützt hat, vernünftig und schlüssig sind.

88.      Diesbezüglich darf bemerkt werden, dass in der Tat in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten, auf die der Gerichtshof im Urteil Mangold verweist, ein allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz verankert ist, nicht aber – von wenigen Fällen, wie z. B. der finnischen Verfassung, abgesehen – ein besonderes Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters als solches.

89.      Bei genauerer Prüfung ist es eigentlich ein gewagter Vorschlag und ein bemerkenswerter Schritt, allein aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz das Bestehen eines spezifischen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters – oder irgendeiner anderen besonderen Diskriminierung der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Arten – abzuleiten. Die folgenden allgemeinen Bemerkungen über den Mechanismus von Diskriminierungsverboten sollen diese Ansicht veranschaulichen.

90.      Nach allgemein anerkannter Definition und ständiger Rechtsprechung verlangt der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. das Diskriminierungsverbot, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden(30).

91.      Der Nachweis, dass zwei Sachverhalte unterschiedlich oder gegebenenfalls gleich behandelt werden, fällt nicht übermäßig schwer. Der wirklich entscheidende Schritt bei der Anwendung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes besteht vielmehr darin, erstens festzustellen, ob die fraglichen Sachverhalte vergleichbar, oder – mit anderen Worten – erheblich gleichartig sind, was eine Prüfung nach Relevanzgesichtspunkten erfordert. Diese Beurteilung kommt in den Urteilen des Gerichtshofs in der Regel nicht eindeutig zum Ausdruck und ist mit einem Werturteil verbunden.

92.      Der Unterschied zwischen dem allgemeinen Diskriminierungsverbot und einem besonderen Verbot einer spezifischen Art der Diskriminierung liegt im Wesentlichen darin, dass im letzteren Fall das Kriterium, nach dem nicht differenziert werden darf, bereits ausdrücklich feststeht. So ist bereits bestimmt, dass nicht nach der Nationalität, dem Geschlecht, dem Alter oder einem anderen in dem betreffenden besonderen Verbot genannten Diskriminierungskriterium unterschieden werden darf. Im Gegensatz dazu lässt das allgemeine Diskriminierungsverbot die Frage offen, welche Unterscheidungsgründe akzeptiert werden können. Diese Frage ist im Lauf der Zeit offenkundig unterschiedlich beantwortet worden und unterliegt derzeit sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene einer laufenden Weiterentwicklung.

93.      Es ließe sich sagen, dass der allgemeine Gleichheitsgrundsatz potenziell ein Verbot von Diskriminierungen ausjeder Art von Gründen, die als inakzeptabel gelten könnten, umfasst.

94.      Deshalb trifft die Feststellung des Gerichtshofs in Bezug auf Verbote der Diskriminierung aus spezifischen Gründen zu, dass ein spezifisches Diskriminierungsverbot einen besonderen Ausdruck des zu den Grundlagen der Gemeinschaft gehörenden allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes darstellt(31). Aus dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz die Existenz eines Verbots der Diskriminierung aus einem spezifischen Grund abzuleiten – wie der Gerichtshof es im Urteil Mangold getan hat –, hat jedoch eine ganz andere Qualität und ist keineswegs zwingend.

95.      Überdies sind meiner Ansicht nach weder Art. 13 EG noch die Richtlinie 2000/78 zwingender Ausdruck eines bezüglich aller dort genannten Diskriminierungen bereits existierenden Verbots. Der zugrunde liegende Gedanke bestand in beiden Fällen vielmehr darin, es dem Gemeinschaftsgesetzgeber und den Mitgliedstaaten zu überlassen, geeignete Vorkehrungen mit entsprechender Wirkung zu ergreifen. Jedenfalls scheint der Gerichtshof selbst dies im Urteil Grant zu sagen, in dem er die Schlussfolgerung gezogen hat, dass das Gemeinschaftsrecht nach seinem damaligen Stand eine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung nicht erfasste(32).

96.      Hinzu kommt, dass – wenn man aus den Erwägungen im Urteil Mangold den logischen Schluss zieht – nicht nur das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters, sondern alle besonderen Diskriminierungsverbote des Art. 1 der Richtlinie 2000/78 als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zu betrachten wären.

97.      Angesichts der vorstehenden Erwägungen halte ich die im Urteil Mangold gezogene Schlussfolgerung bezüglich des Bestehens eines allgemeinen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters nicht für unbedingt zwingend.

98.      Selbst wenn der Gerichtshof diese Feststellung als Grundlage für die Beurteilung des vorliegenden Falles heranziehen sollte, ergibt sich aus dem Urteil Mangold, dass er von der Annahme ausgeht, dass das allgemeine Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters – besonders hinsichtlich der Rechtfertigung – sich nicht substanziell von dem entsprechenden Verbot in der Richtlinie 2000/78 unterscheidet(33).

99.      Aus meinen vorgenannten Erwägungen zu diesem Punkt kann ich daher folgern, dass das Gemeinschaftsrecht einer nationalen Bestimmung wie der vorliegenden selbst dann nicht entgegenstünde, wenn das Bestehen eines allgemeinen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters angenommen würde.

100. Aus den oben dargelegten Gründen sollte der Gerichtshof daher meines Erachtens auf die erste Vorlagefrage antworten, dass das in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 niedergelegte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters einer nationalen Vorschrift wie der EÜ nicht entgegensteht.

B –    Die zweite Frage

 Wesentliches Vorbringen der Beteiligten

101. Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen geklärt wissen, ob es verpflichtet ist, die EÜ unangewandt zu lassen, falls sich herausstellt, dass das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters dieser Vorschrift entgegensteht.

102. Da die Regierungen von Spanien, Irland, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs sowie Cortefiel in ihren Erklärungen die Ansicht vertreten haben, der Gerichtshof solle die erste Frage verneinen, haben sie sich nur hilfsweise zur Frage der Nichtanwendung der nationalen Vorschrift geäußert, wenn auch die Regierung des Vereinigten Königreichs auf diese Frage besonderes Gewicht gelegt hat.

103. Alle diese Beteiligten sind sich im Wesentlichen darin einig, dass weder aufgrund der Richtlinie 2000/78 noch aufgrund eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, der Diskriminierungen aufgrund des Alters verbietet, von einem nationalen Gericht die Nichtanwendung einer entgegenstehenden nationalen Bestimmung verlangt werden kann. Eine solche Feststellung würde – da es sich im Ausgangsverfahren um eine Streitigkeit zwischen Privaten handelt – den Grundsatz unterwandern, dass Richtlinien keine unmittelbare horizontale Wirkung entfalten können. Es bliebe jedoch bei der Verpflichtung der nationalen Gerichte, die nationale Vorschrift soweit wie möglich in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2000/78 und dem dort verankerten Grundsatz auszulegen.

104. Im Gegensatz dazu macht die Kommission – wie offenbar auch Herr Palacios – geltend, dass im Fall der Bejahung der ersten Frage das nationale Gericht zur Nichtanwendung jeder entgegenstehenden nationalen Bestimmung verpflichtet wäre. Sie beruft sich auch in diesem Zusammenhang auf das Urteil Mangold und trägt vor, wenn der Gerichtshof in diesem Urteil die Feststellung getroffen habe, das nationale Gericht sei verpflichtet, dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters entgegenstehendes nationales Recht unangewandt zu lassen(34), müsse dies erst recht für die vorliegende Rechtssache gelten, in der die Frist für die Umsetzung der Richtlinie bereits abgelaufen sei.

 Verpflichtung zur Nichtanwendung oder die Bedeutung des Urteils Mangold, Teil 2

105. Wenn der Gerichtshof meinem Vorschlag folgt und die fragliche Vorschrift für mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar erklärt, stellt sich die zweite Frage offensichtlich nicht. Trotzdem will ich mich – nur hilfsweise – der Frage widmen, welche Schlussfolgerungen das vorlegende Gericht für das Ausgangsverfahren zu ziehen hat, falls das in der Richtlinie 2000/78 niedergelegte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters oder gegebenenfalls ein entsprechender allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts so zu verstehen sind, dass sie einer Bestimmung wie der EÜ entgegenstehen, wobei nicht zu vergessen ist, dass diese Frage aus einer Streitigkeit zwischen Privaten über die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses herrührt.

106. Erinnern wir uns zunächst an die Eckpunkte der einschlägigen Rechtsprechung.

107. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich der Einzelne in allen Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind, vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat(35).

108. Der Gerichtshof hat Richtlinien – obwohl nach dem Wortlaut von Art. 249 EG, soweit er Richtlinien betrifft, dem Einzelnen keine individuellen Rechte verliehen sind – diese Wirkung im Hinblick auf den verbindlichen Charakter und den praktischen Nutzen der Richtlinien, vor allem aber aus dem folgenden Grund zuerkannt: Ein Mitgliedsstaat, der die Richtlinie nicht ordentlich umsetzt, soll dem Einzelnen nicht entgegenhalten können, dass er – der Staat – die aus der Richtlinie erwachsenden Verpflichtungen nicht erfüllt habe(36).

109. Für die einem Einzelnen obliegenden Verpflichtungen können diese Erwägungen natürlich nicht gleichermaßen gelten. Dementsprechend hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und daher als solche nicht gegenüber einer derartigen Person in Anspruch genommen werden kann(37).

110. Somit kann sich ein Einzelner grundsätzlich – wenn eine Richtlinienbestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist – gegenüber dem Staat auf diese Bestimmung berufen (unmittelbare vertikale Wirkung), nicht aber gegenüber einer anderen Einzelperson (unmittelbare horizontale Wirkung).

111. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang betont, dass die Annahme einer unmittelbaren horizontalen Wirkung darauf hinauslaufen würde, „der Gemeinschaft die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zu Lasten der Bürger Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist“(38). Der Gerichtshof hat auch darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit der Begründung von Verpflichtungen für den Einzelnen durch Richtlinien entgegensteht(39).

112. Allerdings muss dieser allgemeine Rechtsgrundsatz zumindest in zweierlei Hinsicht nuanciert werden. Erstens hat der Gerichtshof angenommen, dass „bloße negative Auswirkungen“ auf die Rechte Dritter, selbst wenn sie gewiss sind, es nicht rechtfertigen, dem Einzelnen das Recht zu versagen, sich gegenüber dem betreffenden Mitgliedsstaat auf Bestimmungen einer Richtlinie zu berufen(40). Zweitens weist eine Reihe von Urteilen darauf hin, dass sich ein Einzelner sogar in rein privatrechtlichen Streitigkeiten unter bestimmten Umständen auf eine Richtlinie berufen kann, um die Nichtanwendung der entgegenstehenden nationalen Vorschrift zu erreichen (gelegentlich als „sekundäre unmittelbare Wirkung“ bezeichnet)(41).

113. Wenden wir nun den Blick auf die vorliegende Rechtssache, so möchte ich zuerst die Frage einer möglichen Verpflichtung zur Nichtanwendung der fraglichen nationalen Vorschrift im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78 behandeln. Anschließend will ich mich den Auswirkungen widmen, die ein allgemeines Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters – wie im Urteil Mangold angenommen – nach sich ziehen kann.

114. Zunächst bestehen aus meiner Sicht keine Zweifel daran, dass das in der Richtlinie 2000/78, besonders in den Art. 1 und 6, niedergelegte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters inhaltlich hinreichend bestimmt und unbedingt ist, um die materiellen Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung in Bezug auf die Festsetzung einer Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand zu erfüllen. Wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, bedeutet nämlich die Tatsache, dass Bestimmungen einer Richtlinie Ausnahmen oder, wie hier, eine Rechtfertigungsmöglichkeit vorsehen, für sich allein nicht, dass diese Bestimmungen die notwendigen Voraussetzungen für die Entfaltung unmittelbarer Wirkung nicht erfüllen(42).

115. Sodann ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass das vorlegende Gericht – das sich dabei u. a. auf die Rechtsprechung des Tribunal Constitucional beruft – den Tarifvertrag, der die Altersgrenze für die Zwangsversetzung in den Ruhestand festsetzt, als unrechtmäßig zu betrachten hätte, wenn die hierfür in der EÜ geregelte Rechtsgrundlage fehlte.

116. Die Nichtanwendung der EÜ, auf die sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bezieht, als Folge des entgegenstehenden Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters würde also dazu führen, dass der Tarifvertrag vom vorlegenden Gericht als unrechtmäßig zu betrachten wäre.

117. In der Auseinandersetzung im Ausgangsverfahren wendet sich Herr Palacios gegen das Schreiben seines Arbeitgebers Cortefiel, mit dem dieser ihm die Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses wegen Eintritts in den Ruhestand mitteilte. Somit haben wir es eindeutig mit horizontalen Vertragsbeziehungen zu tun, aus denen sich gegenseitige Rechte und Verpflichtungen in Bezug auf die Beschäftigung ergeben. Würde das vorlegende Gericht feststellen, dass die Klage von Herrn Palacios begründet und die – auf die EÜ und den Tarifvertrag gestützte – Beendigung des Arbeitsverhältnisses nichtig ist, wäre Cortefiel hiervon dergestalt direkt betroffen, dass sie zur Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses oder gegebenenfalls zur Tragung anderer Konsequenzen, wie z. B. der Zahlung einer Entschädigung, verpflichtet wäre.

118. Folglich würde die Bezugnahme auf die Richtlinie im vorliegenden Zusammenhang einem anderen Einzelnen – in diesem Fall dem früheren Arbeitgeber – eindeutig eine Verpflichtung auferlegen.

119. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rechtsprechung könnte zunächst fraglich sein, ob diese Wirkung nicht deswegen akzeptabel ist, weil sie im Sinne des Urteils Wells lediglich eine „nachteilige Auswirkung“ darstellt. Im Urteil Wells macht der Gerichtshof immerhin einen feinen Unterschied zwischen einer Situation, in der es „sich um eine Verpflichtung des Staates handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt“, und „bloße[n] negative[n] Auswirkungen auf die Rechte Dritter“(43).

120. Zu beachten ist jedoch, dass das Urteil Wells eine Dreiecksbeziehung betrifft, da es in erster Linie auf die Erfüllung einer sich aus einer Richtlinie ergebenden Verpflichtung durch einen Mitgliedstaat geht, und die daraus folgende Belastung eines Einzelnen nur ein Nebeneffekt dieser Verpflichtung ist.

121. Sicherlich könnte man die vorliegende Situation theoretisch als Dreiecksbeziehung auslegen in dem Sinn, dass sich in Wirklichkeit der Einzelne gegenüber der EÜ und dem Tarifvertrag auf die Richtlinie beruft, d. h. gegenüber dem Staat, dem die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Umsetzung der Richtlinie obliegt(44).

122. Ein solcher Ansatz würde den im Urteil Wells verfolgten Grundgedanken jedoch sicherlich überspannen und könnte im Prinzip auf fast jedes horizontale Rechtsverhältnis angewendet werden, da sich auch privatrechtliche Vertragsbeziehungen letztlich immer auf das staatliche (Vertrags-)Recht stützen und mit diesem konform gehen müssen. In einem Ausgangsverfahren wie dem vorliegenden erscheint es mir vielmehr angemessen, die Tatsache, dass einem Einzelnen eine Verpflichtung auferlegt wird, als eine direkte Folge der Berufung auf die Richtlinie und nicht nur als Nebeneffekt der Geltendmachung der Richtlinie gegenüber dem Staat zu betrachten.

123. Die Frage der unmittelbaren horizontalen Wirkung ist von den Beteiligten auch noch aus einer anderen Perspektive behandelt worden, nämlich im Hinblick darauf, welche besonderen Folgen sich für die vorliegende Rechtssache ergäben, wenn der Richtlinie unmittelbare Wirkung zuzuerkennen wäre. Herr Palacios beruft sich auf die Richtlinie 2000/78, um die Anwendung der EÜ auszuschließen und stattdessen die für ihn günstigeren allgemeinen nationalen Regelungen zur Anwendung kommen zu lassen, nach denen – wie sich aus dem Vorlagebeschluss ergibt – die Zwangsversetzung in den Ruhestand wegen Wegfalls ihrer Rechtsgrundlage rechtswidrig wäre.

124. Diese Diskussion betrifft die – in Lehrmeinungen verbereitete, aber auch von der Rechtsprechung in gewissem Umfang erwogene – Unterscheidung zwischen der „ausschließenden“ und der „ersetzenden“ Wirkung der Berufung auf eine Richtlinie. Nach dieser Argumentation muss es in einer Streitigkeit zwischen Privaten möglich sein, sich auf eine Richtlinie zu berufen, wenn deren einzige Wirkung darin bestehe, entgegenstehende nationale Vorschriften „auszuschalten“ und den Weg für andere nationale Vorschriften frei zu machen, auf die die Partei dann ihre Klage stützen könnte. Nach dieser Ansicht würde die Richtlinie nicht selbst in materieller Hinsicht an die Stelle der entgegenstehenden nationalen Vorschrift treten bzw., um es mit den Urteilen M. H. Marshall und Faccini Dori(45) auszudrücken, „nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen“.

125. Bei dieser Herangehensweise wird die unmittelbare Wirkung wohl weniger unter dem Gesichtspunkt der Möglichkeit Einzelner, sich auf die Richtlinie zu berufen, bzw. der Rechtsposition Einzelner nach der Richtlinie betrachtet, sondern mehr aus dem Blickwinkel des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts und der damit in der Regel für die nationalen Gerichte – sowie für alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten – verbundenen objektiven Verpflichtung, sicherzustellen, dass das mit der Richtlinie verfolgte Ziel erreicht wird, und insbesondere entgegenstehende Bestimmungen des nationalen Rechts unangewandt zu lassen(46).

126. Wie dem auch sei, kommt es aus meiner Sicht – besonders mit der gebotenen Rücksicht auf den Grundsatz der Rechtssicherheit – darauf an, ob sich die Rechtsposition eines Einzelnen infolge der Berufung auf eine Richtlinie nachteilig verändert, gleichgültig, ob diese nachteilige Wirkung technisch durch den bloßen Ausschluss der entgegenstehenden nationalen Regelung oder infolge ihrer Ersetzung durch die Richtlinie hervorgerufen wurde.

127. Deshalb kann der Ansicht, dass man Richtlinien in Fällen wie dem vorliegenden wenigstens eine „ausschließende“ unmittelbare horizontale Wirkung zumessen könne, meiner Ansicht nach nicht gefolgt werden(47).

128. Zwar hat der Gerichtshof anscheinend in einigen Urteilen wie CIA Security und Unilever eine solche Wirkung angenommen und die Nichtanwendung der nationalen Vorschriften in einem Rechtsstreit zwischen Einzelnen angeordnet(48). Diese Urteile sind aber, wie ich meine, im Licht der jeweils zugrunde liegenden Umstände zu betrachten. Dort ging es nämlich um Richtlinien über öffentlich-rechtliche Verpflichtungen mit technischem bzw. verfahrensrechtlichem Charakter, die mit einer Richtlinie wie der hier fraglichen nicht vergleichbar sind.

129. Schließlich ist zu beachten, dass der Gerichtshof im Urteil Pfeiffer u. a. – in dem es um einen Rechtsstreit zwischen Privaten ging – die entgegenstehende nationale Vorschrift über Arbeitszeit in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung im Urteil Simmenthal(49) nicht für unanwendbar erklärt hat, obwohl dies zur Erreichung des gewünschten Ziels ausgereicht hätte. Stattdessen hat er auf die weniger einschneidende, allgemein anwendbare „Auffang“-Verpflichtung verwiesen, das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen(50).

130. Bedeutet dies, dass der Gerichtshof seine vorherige Auffassung, dass es keine unmittelbare horizontale Wirkung gibt, kurz nach dem Urteil Pfeiffer u. a. wieder aufgegeben hat, indem er im Urteil Mangold(51) entschieden hat, dass es – gemäß dem Urteil Simmenthal(52) – dem nationalen Gericht obliegt, jede dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewandt zu lassen?

131. Bei näherer Betrachtung meine ich, dass dies nicht wirklich der Fall ist. Tatsächlich hat die Anwendung des allgemeinen Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters den Gerichtshof dazu bewogen, im Urteil Mangold in diesem Sinne zu entscheiden. Aufschlussreich könnte in diesem Zusammenhang sein, dass der Gerichtshof in seiner Antwort auf die zweite Frage zur Vereinbarkeit der nationalen Regelung insbesondere auf die Richtlinie 2000/78 hingewiesen hat, während er in der darauffolgenden Randnummer in Beantwortung der dritten Frage entschieden hat, dass es dem nationalen Gericht obliegt, die volle Wirksamkeit „des allgemeinen Verbotes der Diskriminierung wegen des Alters“ zu gewährleisten(53).

132. Nach meinem Verständnis des Urteils hat der Gerichtshof deshalb nicht angenommen, dass die Richtlinie 2000/78 eine unmittelbare horizontale Wirkung hat. Vielmehr ist er über deren Fehlen hinweggegangen, indem er dem entsprechenden allgemeinen Rechtsgrundsatz eine unmittelbare Wirkung zugeschrieben hat.

133. Mit diesem Ansatz hat sich der Gerichtshof in sehr schwieriges Fahrwasser begeben, nicht nur hinsichtlich der Frage, ob ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Alters existiert(54), sondern auch im Hinblick darauf, wie er diesen Grundsatz angewendet hat.

134. Ich behaupte nicht, dass allgemeine Rechtsgrundsätze die inhaltlichen Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung (Unbedingtheit und hinreichende Bestimmtheit) grundsätzlich nicht erfüllen. Der Begriff des allgemeinen Grundsatzes bezieht sich nämlich mehr auf eine spezifische Regelungsform als auf einen bestimmten Inhalt: Er bezeichnet eine Rechtsquelle, die Regelungen umfassen kann, die hinsichtlich ihres Inhalts und des Grades ihrer Vollständigkeit erheblich voneinander abweichen, wobei die Skala von Auslegungsvorgaben bis hin zu voll ausgefüllten Normen wie Grundrechten oder den hochentwickelten gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und des ordnungsgemäßen Verfahrens reicht.

135. Dementsprechend verändert sich auch die Funktion der allgemeinen Grundsätze, je nachdem, welcher Grundsatz betroffen ist und in welchem aktuellen Kontext er verwendet wird(55). Allgemeine Grundsätze können z. B. als Auslegungskriterium dienen, als unmittelbarer Maßstab für die Prüfung der Rechtmäßigkeit gemeinschaftlicher Akte oder als Grundlage für einen Anspruch auf einen bestimmten gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbehelf.

136. Wenn jedoch – wie im vorliegenden Fall – eine Richtlinie erlassen worden ist, ist zu beachten, dass ein solcher Akt des sekundären Gemeinschaftsrechts grundsätzlich im Licht der diesem zugrundeliegenden allgemeinen Grundsätze ausgelegt und an diesen Grundsätzen gemessen werden kann. Den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, auf die sich der Gerichtshof auf der Grundlage von Art. 220 EG als Teil des primären Gemeinschaftsrechts bezieht, wird somit durch die besondere Gemeinschaftsgesetzgebung Ausdruck und Wirkung verliehen. Dieser Betrachtung ist der Gerichtshof im Urteil Caballero(56) gefolgt, auf das er im Urteil Mangold(57) verwiesen hat. Auch in diesem Urteil wird der allgemeine Gleichheits- bzw. Nichtdiskriminierungsgrundsatz nicht selbständig angewandt, sondern als Mittel zur Auslegung der Richtlinie 80/987/EWG(58).

137. Probleme könnten jedoch auftauchen, wenn dieser Gedanke praktisch auf den Kopf gestellt würde, indem einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der, wie hier, als in besonderer Gemeinschaftsgesetzgebung zum Ausdruck gekommen verstanden werden kann(59), ein Grad an Selbständigkeit dergestalt zuerkannt würde, dass eine Berufung auf den Grundsatz anstelle oder unabhängig von dieser Gesetzgebung möglich wäre.

138. Eine solche Betrachtung würde nicht nur im Hinblick auf die Rechtssicherheit ernsthafte Bedenken hervorrufen, sondern auch die Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten sowie die im Vertrag vorgesehene Kompetenzzuweisung im Allgemeinen in Frage stellen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass gemäß Art. 13 EG ausdrücklich dem Rat die Kompetenz vorbehalten ist, in dem in diesem Artikel festgelegten Verfahren geeignete Vorkehrungen zur Bekämpfung u.a. von Diskriminierungen aufgrund des Alters zu treffen, wozu sich der Rat mittels einer Richtlinie entschieden hat. Meiner Ansicht nach dürfen die Beschränkungen, die mit dieser Richtlinie insbesondere hinsichtlich der unmittelbaren horizontalen Wirkung verbunden sind, daher nicht im Wege des Rückgriffs auf einen allgemeinen Grundsatz unterlaufen werden.

139. Nach alledem komme ich zu dem Schluss, dass das nationale Gericht, falls das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Alters, wie es in der Richtlinie 2000/78 oder gegebenenfalls in einem entsprechenden allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verankert ist, so zu verstehen ist, dass es einer nationalen Bestimmung wie der EÜ entgegensteht, nicht verpflichtet ist, diese Bestimmung unangewandt zu lassen.

V –    Ergebnis

140. Aufgrund dieser Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

Das in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG niedergelegte Verbot einer Diskriminierung aufgrund des Alters steht einem nationalen Gesetz (konkret dem ersten Absatz der Einzigen Übergangsbestimmung des Gesetzes 14/2005 über Klauseln in Tarifverträgen über das Erreichen der gewöhnlichen Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand) nicht entgegen, das in Tarifverträgen enthaltene Klauseln über die Zwangsversetzung in den Ruhestand für gültig erklärt, die lediglich verlangen, dass der Arbeitnehmer die gewöhnliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand erreicht hat und die in den Vorschriften des Mitgliedstaats im Bereich der Sozialen Sicherheit festgelegten Voraussetzungen für den Bezug einer Rente nach dem relevanten Beitragssystem erfüllt.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 22. November 2005.


3 – ABl. 2000, L 303, S. 16.


4 – Urteil vom 22. November 2004 (C‑144/04, Slg. 2005, I‑9981).


5 – Urteil vom 11. Juli 2006 (C‑13/05, Slg. 2006, I‑0000).


6 – Angeführt in Fn. 4.


7 – Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache C‑227/04 P (Lindorfer/Rat, beim Gerichtshof anhängig). Diese Rechtssache wurde durch Beschluss des Gerichtshofs vom 26. April 2006 wieder eröffnet; vgl. die zweiten Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in dieser Rechtssache vom 30. November 2006.


8 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Oktober 2004, Olga Lutz Herrera/Kommission (verbundene Rechtssachen T‑219/02 und T‑337/02, Slg. ÖD 2004, IA‑319 und II‑1407, Randnr. 89), und Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 30. November 2006 in der Rechtssache Lindorfer/Rat (angeführt in Fn. 7, Randnr. 65).


9 – Angeführt in Fn. 4.


10 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 24. Februar 2000, Kommission/Frankreich (C‑434/97, Slg. 2000, I‑1129, Randnr. 22), und vom 7. Mai 2002, Kommission/Schweden (C‑478/99, Slg. 2002, I‑4147, Randnr. 15).


11 – Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 11. März 2004, Asociación Profesional de Empresas de Reparto y Manipulado de Correspondencia (C‑240/02, Slg. 2004, I‑2461, Randnr. 22); vgl auch Urteil Navas (angeführt in Fn. 5, Randnrn. 45 und 49).


12 – ABl. 1976, L 39, S. 40.


13 – Vgl. insbesondere Urteile vom 26. Februar 1986, Vera Mia Beets-Proper (262/84, Slg. 1986, 773), und M. H. Marshall (152/84, Slg. 1986, 723).


14 – Vgl. Urteile Vera Mia Beets-Proper (angeführt in Fn. 13, Randnr. 34) und M. H. Marshall (angeführt in Fn. 13, Randnr. 32).


15 – Vgl. Urteile Vera Mia Beets-Proper (angeführt in Fn. 13, Randnr. 36) und M. H. Marshall (angeführt in Fn. 13, Randnr. 34).


16 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in der Rechtssache Navas (angeführt in Fn. 5, Nrn. 46 bis 51).


17 – Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in den verbundenen Rechtssachen Alfa Vita und Carrefour Marinopoulos (C‑158/04 und C‑159/04, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 41) und Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Kaj Lyyski (C‑40/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 56).


18 – Schlussanträge in der Rechtssache Navas (angeführt in Fn. 5, Randnr. 54).


19 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Lindorfer (angeführt in Fn. 7, Randnrn. 83 und 84).


20 – Bereits aus diesem Grund bin ich der Ansicht, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen, in der der Gerichtshof festgestellt hat, dass Altersrenten als „Entgelt“ in den Geltungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) fallen können, nicht ohne weiteres auf die vorliegende Rechtssache, in der es um eine Diskriminierung aufgrund des Alters geht, übertragbar ist. Vgl. zu dieser Rechtsprechung u. a. Urteile Lilli Schröder (C‑50/96, Slg. 2000, I‑743) und Pirkko Niemi (C‑351/00, Slg. 2002, I‑7007).


21 – Dieser Erwägungsgrund war – worauf die irische Regierung zutreffend hingewiesen hat – im Richtlinienvorschlag der Kommission (ABl. 2000, C 177 E, S. 42) nicht enthalten, sondern wurde später vom Rat in die Präambel der Richtlinie eingefügt.


22 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 63).


23 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 64).


24 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 75).


25 – Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnrn. 84 und 101).


26 – Vgl. Randnrn. 74 und 76 des Urteils.


27 – Vgl. Randnrn. 77 und 78 des Urteils.


28 – Vgl. Randnr. 74 des Urteils.


29 – Vgl. insbesondere Randnrn. 74 und 76 des Urteils. Vgl. zu einem ähnlichen Verständnis des Urteils Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Lindorfer (angeführt in Fn. 7, Nrn. 55 bis 56).


30 – Vgl. u. a. Urteile vom 17. Juli 1997, National Farmers’ Union u.a. (C‑354/95, Slg. 1997, I‑4559, Randnr. 61), und vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, Slg. 2003, I‑11613, Randnr. 31).


31 – Vgl. u. a. Urteil vom 3. Oktober 2006, Cadman (C‑17/05, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 28).


32 – Vgl. Urteil vom 17. Februar 1998, Grant (C‑249/96, Slg. 1998, I‑621, Randnr. 48).


33 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, insbesondere Randnrn. 74 und 78).


34 – Vgl. Randnr. 78 dieses Urteils (angeführt in Fn. 4).


35 – Vgl. besonders Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, Slg. 1991, I‑5357, Randnr. 11), und vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, Slg. 2002, I‑6325, Randnr. 25).


36 – Vgl. u. a. Urteile vom 4. Dezember 1974, van Duyn (41/74, Slg. 1974, 1337, Randnr. 12), und vom 5. April 1979, Tullio Ratti (148/78, Slg. 1979, 1629, Randnr. 22).


37 – Vgl. u. a. Urteile H. Marshall (angeführt in Fn. 13, Randnr. 48), vom 14. Juli 1994, Faccini Dori (C‑91/92, Slg. 1994, I‑3325, Randnr. 20), und vom 7. Januar 2004, Urteil Wells (C‑201/02, Slg. 2004, I‑723, Randnr. 56).


38 – Vgl. Urteil Faccini Dori (angeführt in Fn. 37, Randnr. 24).


39 – Vgl. Urteil Wells (angeführt in Fn. 37, Randnr. 56).


40 – Vgl. insbesondere Urteil Wells (angeführt in Fn. 37, Randnr. 57).


41 – Vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 30. April 1996, CIA Security (C‑194/94, Slg. 1996, I‑2201), und Urteil vom 26. September 2000, Unilever (C‑443/98, Slg. 2000, I‑7535).


42 – Vgl. hierzu Urteile vom 17. Februar 2005, Linneweber und Akritidis (verbundene Rechtssachen C‑453/02 und C‑462/02, Slg. 2005, I‑1131, Randnrn. 32 bis 38), und vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (verbundene Rechtssachen C‑397/01 bis C‑403/01, Slg. 2004, I‑8835, Randnr. 105).


43 – Vgl. Urteil Wells (angeführt in Fn. 37, Randnrn. 56 und 57).


44 – Ich darf hinzufügen, dass der Begriff „Staat“, wie er vom Gerichtshof im Hinblick auf die unmittelbare vertikale Wirkung definiert worden ist, auch die Sozialpartner, soweit sie mit dem Abschluss von Tarifverträgen eine öffentliche Aufgabe erfüllen, als Beauftragte des Staates einschließt. Vgl. in dieser Hinsicht u. a. Urteil vom 12. Juli 1990, Foster u. a. (C‑188/89, Slg. 1990, I‑3313, Randnr. 18).


45 – Siehe oben, Randnr. 109.


46 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Oktober 1996, Kraaijeveld (C‑72/95, Slg. 1996, I‑5403, Randnrn. 55 bis 61), und vom 22. Juni 1989, Fratelli Costanzo (103/88, Slg. 1989, 1839, Randnr. 33).


47 – Vgl. in diesem Sinne auch Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 106).


48 – Urteile CIA Security (angeführt in Fn. 41, Randnrn. 54 und 55) und Unilever (angeführt in Fn. 41, Randnrn. 49 bis 52).


49 – Urteil vom 9. März 1978 (106/77, Slg. 1978, 629).


50 – Vgl. Urteil Pfeiffer u. a. (angeführt in Fn. 42, Randnrn. 107 bis 117).


51 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 77).


52 – Vgl. Urteil Simmenthal (angeführt in Fn. 49, Randnr. 21).


53 – Vgl. Urteil Mangold (angeführt in Fn. 4, Randnr. 78 und Tenor des Urteils, zweite Antwort).


54 – Siehe oben, Randnrn. 79 bis 97.


55 – Vgl. für einen Überblick über die Stellung und die Rolle der Grundrechte als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl in der Rechtssache Omega (C‑36/02, Slg. 2004, I‑9609, Randnrn. 48 bis 66).


56 – Urteil vom 12. Dezember 2000, Rodríguez Caballero (C‑442/00, Slg. 2002, I‑11915).


57 – Vgl. insbesondere die Antwort des Gerichtshofs in Randnr. 40 dieses Urteils.


58 – Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. 1980, L 283, S. 23).


59 – Siehe oben, Randnr. 99.