Language of document : ECLI:EU:C:2013:812

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

10. Dezember 2013(*)

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Befreiung von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle – Aufgabe des Gerichts – Vom Unionsrichter von Amts wegen geprüfter Klagegrund – Verhältnis zwischen Steuerharmonisierung und Kontrolle staatlicher Beihilfen – Jeweilige Befugnisse des Rates und der Kommission – Grundsatz der Rechtssicherheit – Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union“

In der Rechtssache C‑272/12 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 1. Juni 2012,

Europäische Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, G. Conte, D. Grespan, N. Khan und K. Walkerová als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Irland, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte im Beistand von P. McGarry, SC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Französische Republik, vertreten durch G. de Bergues und zunächst J. Gstalter, dann N. Rouam als Bevollmächtigte,

Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Eurallumina SpA mit Sitz in Portoscuso (Italien), Prozessbevollmächtigte: R. Denton, A. Stratakis, L. Martin Alegi und L. Philippou, Solicitors,

Aughinish Alumina Ltd mit Sitz in Askeaton (Irland), Prozessbevollmächtigte: C. Waterson, C. Little und J. Handoll, Solicitors,

Klägerinnen im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter A. Rosas, J. Malenovský, E. Levits und A. Arabadjiev, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. Vajda,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Juli 2013

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Kommission die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 21. März 2012, Irland u. a./Kommission (T‑50/06 RENV, T‑56/06 RENV, T‑60/06 RENV, T‑62/06 RENV und T‑69/06 RENV, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem die Entscheidung 2006/323/EG der Kommission vom 7. Dezember 2005 über die Befreiung von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung in den Regionen Gardanne und Shannon und auf Sardinien verwendet werden, durch Frankreich, Irland und Italien (ABl. 2006, L 119, S. 12, im Folgenden: streitige Entscheidung) insoweit für nichtig erklärt wird, als diese feststellt oder auf der Feststellung beruht, dass die bis zum 31. Dezember 2003 von der Französischen Republik, Irland und der Italienischen Republik gewährten Befreiungen von der Verbrauchsteuer auf Mineralöle, die als Brennstoff zur Tonerdegewinnung verwendet werden, staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellen, und mit ihr angeordnet wird, dass die Französische Republik, Irland und die Italienische Republik alle notwendigen Maßnahmen ergreifen müssen, um von den Empfängern diese Befreiungen zurückzufordern, soweit diese nicht mindestens eine Verbrauchsteuer von 13,01 Euro je 1 000 kg schweres Heizöl gezahlt haben.

 Rechtlicher Rahmen

2        Die Verbrauchsteuern auf Mineralöle sind Gegenstand mehrerer Richtlinien, und zwar der Richtlinien 92/81/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Mineralöle (ABl. L 316, S. 12), 92/82/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Annäherung der Verbrauchsteuersätze für Mineralöle (ABl. L 316, S. 19) und 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABl. L 283, S. 51), die die Richtlinien 92/81 und 92/82 mit Wirkung vom 31. Dezember 2003 ersetzt hat.

3        Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 bestimmte:

„Der Rat kann auf Vorschlag der Kommission einstimmig einen Mitgliedstaat ermächtigen, weitere Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen aus besonderen politischen Erwägungen zu gewähren.

Mitgliedstaaten, die eine solche Maßnahme einzuführen beabsichtigen, setzen die Kommission hiervon in Kenntnis und übermitteln ihr alle einschlägigen oder erforderlichen Informationen. Die Kommission unterrichtet die übrigen Mitgliedstaaten innerhalb eines Monats über die vorgeschlagene Maßnahme.

Die vorgeschlagene Steuerbefreiung oder Ermäßigung gilt als vom Rat genehmigt, wenn innerhalb von zwei Monaten nach der in Unterabsatz 2 genannten Unterrichtung der übrigen Mitgliedstaaten weder die Kommission noch ein Mitgliedstaat beantragt hat, dass der Rat mit dieser Frage befasst wird.“

4        Art. 8 Abs. 5 dieser Richtlinie lautete:

„Gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass die in Absatz 4 genannten Befreiungen oder Ermäßigungen – insbesondere unter dem Aspekt des fairen Wettbewerbs, wegen einer Verzerrung des Funktionierens des Binnenmarktes oder aufgrund der Umweltschutzpolitik der Gemeinschaft – nicht länger aufrechterhalten werden können, so unterbreitet sie dem Rat geeignete Vorschläge. Der Rat beschließt einstimmig über diese Vorschläge.“

5        In Art. 6 der Richtlinie 92/82 wurde der Mindestsatz der Verbrauchsteuer auf schweres Heizöl, den die Mitgliedstaaten ab 1. Januar 1993 anzuwenden hatten, auf 13 Euro je 1 000 kg festgelegt.

6        Die Richtlinie 2003/96 sah in ihrem Art. 2 Abs. 4 Buchst. b zweiter Gedankenstrich vor, dass sie nicht für Energieerzeugnisse mit zweierlei Verwendungszweck gilt, also nicht für Erzeugnisse, die sowohl als Heizstoff als auch für andere Zwecke als die von Heiz- oder Kraftstoff verwendet werden. Die Verwendung von Energieerzeugnissen bei der chemischen Reduktion, bei Elektrolysen und bei Prozessen in der Metallindustrie wurde als zweierlei Verwendungszweck angesehen. Daher galt ab 1. Januar 2004, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie, keine Mindestverbrauchsteuer für zur Tonerdegewinnung verwendetes schweres Heizöl mehr. Außerdem ermächtigte Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten vorbehaltlich einer vorherigen Überprüfung durch den Rat, die in Anhang II aufgeführten Steuerermäßigungen und Steuerbefreiungen bis zum 31. Dezember 2006 beizubehalten, wobei dieser Anhang die Befreiungen von der Verbrauchsteuer auf Schweröl nannte, das als Brennstoff bei der Tonerdegewinnung in der Region Gardanne, der Region Shannon und auf Sardinien Verwendung fand.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

7        Bei der Tonerdegewinnung verwendete Mineralöle wurden in Irland, in der Italienischen Republik und in der Französischen Republik von der Verbrauchsteuer befreit, und zwar in der Region Shannon seit 1983, auf Sardinien seit 1993 und in der Region Gardanne seit 1997.

8        Diese Befreiungen (im Folgenden: streitige Befreiungen) wurden jeweils mit den Entscheidungen 92/510/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, gemäß dem Verfahren in Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 92/81 ermäßigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen auf Mineralöle, die zu bestimmten Zwecken verwendet werden, beizubehalten (ABl. L 316, S. 16), 93/697/EG des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Ermächtigung einiger Mitgliedstaaten, gemäß dem Verfahren in Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie 92/81 ermäßigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen auf Mineralöle, die zu bestimmten Zwecken verwendet werden, zu gewähren oder beizubehalten (ABl. L 321, S. 29), und 97/425/EG des Rates vom 30. Juni 1997 zur Ermächtigung bestimmter Mitgliedstaaten, gemäß dem Verfahren der Richtlinie 92/81 ermäßigte Verbrauchsteuersätze oder Verbrauchsteuerbefreiungen für Mineralöle mit bestimmten Verwendungszwecken anzuwenden und beizubehalten (ABl. L 182, S. 22), genehmigt. Der Rat verlängerte diese Genehmigungen danach mehrfach, zuletzt mit der Entscheidung 2001/224/EG des Rates vom 12. März 2001 über Verbrauchsteuerermäßigungen und ‑befreiungen für Mineralöle, die zu bestimmten Zwecken verwendet werden (ABl. L 84, S. 23), bis zum 31. Dezember 2006.

9        Im fünften Erwägungsgrund der Entscheidung 2001/224 wird ausgeführt, dass diese Entscheidung dem Ergebnis etwaiger Verfahren nicht vorgreift, „die möglicherweise gemäß den Artikeln 87 [EG] und 88 [EG] wegen einer Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts eingeleitet werden“, und dass sie „die Mitgliedstaaten keinesfalls ihrer Pflicht [enthebt], etwaige staatliche Beihilfen gemäß Artikel 88 [EG] bei der Kommission anzumelden“.

10      Mit drei Entscheidungen vom 30. Oktober 2001 leitete die Kommission für jede der streitigen Befreiungen das Verfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG ein. Nach Abschluss dieses Verfahrens erließ die Kommission die streitige Entscheidung, nach der

–        die bis 31. Dezember 2003 von Irland, der Französischen Republik und der Italienischen Republik gewährten Befreiungen von der Verbrauchsteuer auf schwere Heizöle, die zur Tonerdegewinnung verwendet werden, staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellen;

–        die zwischen dem 17. Juli 1990 und dem 2. Februar 2002 gewährten Beihilfen, soweit sie mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, nicht zurückgefordert werden, da dies gegen die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts verstoßen würde;

–        die zwischen dem 3. Februar 2002 und dem 31. Dezember 2003 gewährten Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Art. 87 Abs. 3 EG unvereinbar sind, soweit die Begünstigten nicht mindestens einen Steuersatz von 13,01 Euro pro 1 000 kg schweres Heizöl zahlten, und

–        diese Beihilfen zurückzufordern sind.

11      In der streitigen Entscheidung stufte die Kommission die streitigen Befreiungen als neue und nicht als bestehende Beihilfen im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1) ein. Diese Beurteilung stützte sie insbesondere darauf, dass die streitigen Befreiungen nicht vor Inkrafttreten des EG-Vertrags in den betroffenen Mitgliedstaaten bestanden hätten, dass sie niemals nach den Regeln für staatliche Beihilfen beurteilt oder genehmigt worden seien und dass sie niemals angemeldet worden seien.

12      Nachdem sie dargelegt hatte, inwiefern die in Rede stehenden Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar seien, befand die Kommission angesichts der Entscheidungen des Rates über die Genehmigung der streitigen Befreiungen (im Folgenden: Genehmigungsentscheidungen) und aufgrund des Umstands, dass diese auf ihren Vorschlag angenommen worden seien, dass die Rückforderung von unvereinbaren Beihilfen, die vor dem 2. Februar 2002, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidungen über die Einleitung des Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, gewährt worden seien, gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit verstieße.

 Verfahren und angefochtene Entscheidung

13      Mit Klageschriften, die am 16., 17. und 23. Februar 2006 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Italienische Republik, Irland und die Französische Republik, die Eurallumina SpA (im Folgenden: Eurallumina) und die Aughinish Alumina Ltd (im Folgenden: AAL) Klagen auf vollständige oder teilweise Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung erhoben.

14      Mit Urteil vom 12. Dezember 2007, Irland u. a./Kommission (T‑50/06, T‑56/06, T‑60/06, T‑62/06 und T‑69/06), hat das Gericht die streitige Entscheidung für nichtig erklärt. Mit Urteil vom 2. Dezember 2009, Kommission/Irland u. a. (C‑89/08 P, Slg. 2009, I‑11245), auf das für eine umfassende Darstellung des bisherigen Verfahrens verwiesen wird, hat der Gerichtshof dieses Urteil aufgehoben, soweit damit die angefochtene Entscheidung mit der Begründung für nichtig erklärt worden ist, dass die Kommission in dieser Entscheidung gegen die Begründungspflicht in Bezug auf die Nichtanwendung von Art. 1 Buchst. b Ziff. v der Verordnung Nr. 659/1999 im vorliegenden Fall verstoßen habe.

15      Nach der Zurückverweisung an das Gericht wurden die Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

16      Um die streitige Entscheidung erneut für nichtig zu erklären, hat das Gericht im angefochtenen Urteil denjenigen Klagegründen oder Rügen der Parteien oder einiger Parteien stattgegeben, die auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Gültigkeit der Rechtsakte der Europäischen Union gestützt waren und mit denen der Kommission vorgeworfen wurde, sie habe mit dieser Entscheidung die Rechtswirkungen der Genehmigungsentscheidungen teilweise zunichtegemacht. Bei der Prüfung dieser Klagegründe ist das Gericht u. a. davon ausgegangen, dass die Kommission durch diese Entscheidungen daran gehindert gewesen sei, den betreffenden Mitgliedstaaten die streitigen Befreiungen zuzurechnen, und sie folglich auch nicht als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG habe einstufen können. Außerdem hat das Gericht in der Rechtssache T‑62/06 RENV der auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung gestützten Rüge stattgegeben.

 Anträge der Parteien

17      Die Kommission beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, die Rechtssachen an das Gericht zurückzuverweisen und die Kostenentscheidung vorzubehalten.

18      Irland, die Französische Republik, die Italienische Republik, Eurallumina und AAL beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

19      Die Kommission stützt ihr Rechtsmittel auf fünf Rechtsmittelgründe. Die ersten beiden betreffen Verfahrensfragen, während mit den drei anderen ein materiell-rechtlicher Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird.

20      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund sollen die Unzuständigkeit des Gerichts, Verfahrensmängel sowie ein Verstoß gegen den Dispositionsgrundsatz, gegen Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie gegen die Art. 44 § 1 und 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts und – hilfsweise – ein Begründungsmangel dargetan werden.

 Vorbringen der Parteien

21      Die Kommission rügt, das Gericht habe von Amts wegen einen Klagegrund betreffend einen Verstoß gegen Art. 87 Abs. 1 EG geprüft oder den Gegenstand der Klagen umgedeutet. Der eigentliche Grund für die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung sei nämlich darin zu sehen, dass nach Auffassung des Gerichts die streitigen Befreiungen nicht unter die Vorschriften über die Kontrolle der staatlichen Beihilfen fielen, weil sie nicht den betroffenen Mitgliedstaaten, sondern der Union zuzurechnen seien. Keiner der Kläger im ersten Rechtszug habe diesen Klagegrund vorgebracht. Vielmehr sei er durch eine den Parteien am 20. Juli 2011 vom Gericht übermittelte Frage aufgeworfen worden, obwohl ein solcher Aspekt nicht von Amts wegen geprüft werden dürfe. Das Gericht habe daraufhin versucht, diesen Klagegrund im angefochtenen Urteil denen gleichzustellen, die von den Parteien vorgetragen worden seien, nämlich eine Verletzung der Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union.

22      Irland, die Französische Republik, die Italienische Republik, Eurallumina und AAL treten diesem ersten Rechtsmittelgrund entgegen.

23      Erstens weisen die Französische Republik und die Italienische Republik darauf hin, dass die Argumentation im angefochtenen Urteil nicht allein darauf gestützt sei, dass die streitigen Befreiungen den Mitgliedstaaten nicht zuzurechnen seien, sondern auch auf einer Prüfung beruhe, die sich gleichzeitig mit der Wettbewerbsverzerrung und der Frage befasse, ob die Maßnahme dem Staat zuzurechnen sei. Dies seien zwei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, damit eine Maßnahme als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei. Die Italienische Republik ist der Auffassung, dass das Gericht seine Entscheidung zwar innerhalb der durch die Klagegründe definierten Grenzen treffen müsse, dass es aber von Amts wegen prüfen dürfe, ob eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe fehle, wenn es dabei den Rahmen der zur Begründung dieser Klagegründe angeführten Vorschriften nicht verlasse.

24      Weiter führen Irland und die Italienische Republik aus, dass das Gericht von Amts wegen eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften prüfen dürfe. Im vorliegenden Fall habe die Kommission dadurch gegen ihre Begründungspflicht verstoßen, dass sie in der angefochtenen Entscheidung nicht angegeben habe, weshalb sie der Auffassung sei, dass die streitigen Befreiungen den Mitgliedstaaten zuzurechnen seien.

25      Zweitens sind die Französische Republik, Eurallumina und AAL der Ansicht, dass das Gericht die von ihnen vorgetragenen Klagegründe aufgrund des im Laufe des Verfahrens zwischen den Parteien erfolgten Schriftwechsels erweitert habe. Die Französische Republik erinnert daran, dass ihr erster Nichtigkeitsgrund auf eine falsche Auslegung des Begriffs der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG gestützt gewesen sei. Dagegen macht Eurallumina geltend, sie habe, ohne den Begriff „Zurechenbarkeit“ zu verwenden, die Frage aufgeworfen, ob die sie betreffende Befreiung eine von der Italienischen Republik gewährte Beihilfe darstellen könne. Die Kommission selbst habe die Frage der Zurechenbarkeit der streitigen Beihilfen im Rahmen der Verteidigung gegen den auf die Verletzung des Grundsatzes der Rechtssicherheit gestützten Klagegrund in die Diskussion eingeführt. Das Gericht habe, wie Eurallumina weiter ausführt, daraufhin diese Frage geprüft, um das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen und seine Auffassung zu der Frage zu untermauern, ob die Auswirkungen einer von einem EU-Organ erteilten Genehmigung, die den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum lasse, wenn sie Gebrauch von ihr machten, in Frage gestellt und zunichtegemacht werden könnten, wie das ein anderes Organ der Union getan habe. AAL ist der Meinung, das Gericht habe lediglich ein Argument der Kommission geprüft und dann zurückgewiesen.

26      Drittens sind die Französische Republik, die Italienische Republik und Eurallumina der Auffassung, dass die Frage der Zurechenbarkeit der streitigen Befreiungen jedenfalls von untergeordneter Bedeutung für die Begründung des angefochtenen Urteils sei, das für den Fall, dass dieser erste Rechtsmittelgrund durchgreife, auch noch auf andere Gründe gestützt sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

27      Aus den Vorschriften, die das Verfahren vor den Unionsgerichten regeln, insbesondere aus Art. 21 der Satzung des Gerichtshofs und Art. 44 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts, ergibt sich, dass der Rechtsstreit grundsätzlich von den Parteien bestimmt und begrenzt wird und der Unionsrichter nicht ultra petita entscheiden darf.

28      Zwar können oder müssen manche Klagegründe sogar von Amts wegen geprüft werden, etwa eine fehlende oder unzureichende Begründung der fraglichen Entscheidung, die zu den wesentlichen Formvorschriften gehört; ein Klagegrund, der die materielle Rechtmäßigkeit einer Entscheidung betrifft und mit dem die Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm im Sinne von Art. 263 AEUV gerügt wird, darf aber vom Unionsrichter nur geprüft werden, wenn sich der Kläger darauf beruft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink’s France, C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnr. 67, vom 30. März 2000, VBA/Florimex u. a., C‑265/97 P, Slg. 2000, I‑2061, Randnr. 114, und Kommission/Irland u. a., Randnr. 40).

29      Ein Klagegrund, der darauf gestützt ist, dass Art. 87 Abs. 1 EG verletzt sei, weil die fragliche Maßnahme dem Staat nicht zuzurechnen sei, darf also nicht von Amts wegen geprüft werden.

30      Im vorliegenden Fall hat das Gericht zunächst in den Randnrn. 73 und 74 des angefochtenen Urteils daran erinnert, dass für die Einstufung von Vergünstigungen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 AEUV diese u. a. dem Staat zuzurechnen sein müssen. Danach hat das Gericht in den Randnrn. 98 und 99 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Kommission zurückgewiesen, wonach die Genehmigungsentscheidungen jedenfalls nicht bewirkt haben könnten, dass Irland, die Französische Republik und die Italienische Republik von ihrer Verpflichtung zur Beachtung der Verfahren und Vorschriften im Bereich staatlicher Beihilfen enthoben würden, und wonach der Rat bei der Ausübung seiner Befugnisse im Bereich der Steuerharmonisierung nicht in die ausschließlichen Zuständigkeiten der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen habe eingreifen dürfen. Nach Auffassung des Gerichts sind die durch die streitigen Befreiungen möglicherweise gewährten Vergünstigungen im Einklang mit den Genehmigungsentscheidungen eingeräumt worden und somit nicht den Mitgliedstaaten, sondern der Union zuzurechnen. Daher könne die Kommission sie auch nicht in Ausübung ihrer nahezu ausschließlichen Zuständigkeit aus den Art. 87 EG und 88 EG als staatliche Beihilfen einstufen.

31      In Randnr. 104 des angefochtenen Urteils ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kommission durch die Genehmigungsentscheidungen daran gehindert war, den betreffenden Mitgliedstaaten die streitigen Entscheidungen zuzurechnen, sie folglich als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG einzustufen und ihre teilweise Rückforderung anzuordnen, soweit sie sie gemäß Art. 87 Abs. 3 EG für mit dem Binnenmarkt unvereinbar hielt.

32      Infolgedessen hat das Gericht in Randnr. 110 und im Tenor des angefochtenen Urteils die streitige Entscheidung insoweit für nichtig erklärt, „als darin festgestellt wird oder sie auf der Feststellung beruht, dass die [streitigen] Befreiungen staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellen“, und als mit ihr die Rückforderung dieser Befreiungen von den Empfängern angeordnet wird.

33      Mit der Annahme, die streitigen Befreiungen seien der Union zuzurechnen, hat das Gericht nicht – wie Irland und die Italienische Republik meinen – einen die Verletzung wesentlicher Formvorschriften betreffenden Klagegrund, sondern einen die materielle Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung betreffenden Klagegrund geprüft, der sich auf die Verletzung des EG-Vertrags bezieht.

34      Wie die Kommission geltend gemacht und der Generalanwalt in den Nrn. 57 bis 63 seiner Schlussanträge festgestellt hat, hat keine der Klägerinnen vor dem Gericht einen solchen Klagegrund vorgetragen. Aus der Akte des Gerichts geht hervor, dass die Frage der Zurechenbarkeit der streitigen Befreiungen, die lediglich von der Kommission in ihrer Klagebeantwortung in der Rechtssache T‑56/06 sowie von Eurallumina in ihrer Erwiderung in der Rechtssache T‑62/06 erwähnt wurde ‒ in der Letztere aber darauf hinwies, „dass es jedoch nicht erforderlich ist, sich mit diesem Problem zu befassen“ ‒, vom Gericht in das Verfahren eingeführt worden ist, als es den Parteien eine schriftliche Frage gestellt hat; dies ergibt sich im Übrigen auch aus Randnr. 98 des angefochtenen Urteils.

35      Anders als von der Französischen Republik, Eurallumina und AAL ausgeführt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Gericht die von den Parteien vorgetragenen Klagegründe erweitert hat. Obwohl das Gericht bei der Frage der Zurechenbarkeit der streitigen Befreiungen an die von den Parteien vorgetragenen Klagegründe betreffend einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union angeknüpft hat, befasst sich zum einen diese Frage doch mit einem eigenständigen und anders gearteten Klagegrund, bei dem es nicht um eine Verletzung allgemeiner Grundsätze des Unionsrechts, sondern um eine Verletzung des EG‑Vertrags geht. Zum anderen geht u. a. aus der Zusammenfassung der von den Parteien vorgetragenen Klagegründe in den Randnrn. 53 bis 56 des angefochtenen Urteils hervor, dass diese Grundsätze von den Parteien nicht angeführt wurden, damit das Gericht feststellt, dass die streitigen Befreiungen keine staatlichen Beihilfen darstellten.

36      Folglich hat das Gericht im angefochtenen Urteil dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es von Amts wegen den Klagegrund geprüft hat, wonach die streitigen Befreiungen nicht den Mitgliedstaaten, sondern der Union zuzurechnen seien und daher keine staatlichen Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstellten.

37      Das Vorbringen betreffend die Zurechenbarkeit der streitigen Befreiungen, mit dem sich nur die Randnrn. 73, 74, 98, 99 und 104 des angefochtenen Urteils befassen, stellt aber nur einen Teil der Begründung des angefochtenen Urteils dar. Daher ist zu prüfen, ob das Urteil aufgrund der anderen darin dargelegten Gründe begründet bleibt.

38      Das Gericht hat das angefochtene Urteil nämlich nicht nur auf die Ausführungen zur Frage, ob die streitigen Befreiungen den Mitgliedstaaten zuzurechnen sind, sondern auch auf folgende Gründe gestützt.

39      In den Randnrn. 63 bis 72 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zunächst dargelegt, dass im Hinblick auf das mit den Bestimmungen zur Harmonisierung der nationalen Steuervorschriften und denen über staatliche Beihilfen verfolgte gemeinsame Ziel, nämlich die Förderung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts durch Bekämpfung u. a. von Wettbewerbsverzerrungen, für die kohärente Durchführung dieser Bestimmungen davon auszugehen sei, dass der Begriff der Wettbewerbsverzerrung in beiden Bereichen dieselbe Tragweite und Bedeutung habe. Das Gericht hat insoweit festgestellt, Art. 8 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 92/81 überlasse der Kommission, die vorschlage, und dem Rat, der entscheide, die Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Wettbewerbsverzerrung, wenn es darum gehe, einen Mitgliedstaat zu ermächtigen, eine Befreiung von der harmonisierten Verbrauchsteuer zu gewähren oder beizubehalten. Bei voneinander abweichenden Beurteilungen habe die Kommission die Möglichkeit, Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung des Rates zu erheben.

40      Weiter hat das Gericht in den Randnrn. 76 bis 97 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass im vorliegenden Fall nicht bestritten worden sei, dass Irland, die Französische Republik und die Italienische Republik sich für die Gewährung oder Beibehaltung der streitigen Befreiungen bis zum 31. Dezember 2003 auf die Genehmigungsentscheidungen gestützt und die in diesen enthaltenen und für sie verbindlichen räumlichen und zeitlichen Einschränkungen vollständig beachtet hätten.

41      In diesem Zusammenhang hat das Gericht in den Randnrn. 79 bis 96 des angefochtenen Urteils das Vorbringen der Kommission zurückgewiesen, wonach die Genehmigungsentscheidungen zum einen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Gewährung der streitigen Befreiungen durch die betreffenden Mitgliedstaaten darstellten und zum anderen nichts daran änderten, dass die streitigen Befreiungen, wenn es sich um staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG handele, angemeldet und von der Kommission gemäß Art. 88 EG genehmigt werden müssten. Darauf weise der fünfte Erwägungsgrund der Entscheidung 2001/224 hin. Das Gericht hat insoweit festgestellt, dass die vor der Entscheidung 2001/224 ergangenen Genehmigungsentscheidungen keinen solchen Vorbehalt enthielten, und die Auffassung vertreten, dass der fünfte Erwägungsgrund nicht als eine Bekundung des Willens des Rates angesehen werden könne, die Wirkungen seiner Genehmigung von etwaigen anschließenden Verfahren und Entscheidungen der Kommission im Bereich der staatlichen Beihilfen abhängig zu machen.

42      Nach Auffassung des Gerichts wird die von der Kommission vorgenommene Auslegung des fünften Erwägungsgrundes der Entscheidung 2001/224 durch die Antwort des Rates auf die Fragen des Gerichts entkräftet. Außerdem könne ihr jedenfalls nicht gefolgt werden, da sie unter den Umständen des vorliegenden Falles auf eine widersprüchliche Durchführung der Bestimmungen zur Harmonisierung der Steuervorschriften und der Vorschriften über staatliche Beihilfen hinausliefe. Denn erstens beruhten die Genehmigungsentscheidungen, die einstimmig auf Vorschlag der Kommission erlassen worden seien, auf einer gemeinsamen Einschätzung dieser beiden Organe, dass die streitigen Befreiungen nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führten und das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts nicht beeinträchtigten, zweitens ergebe sich die regionale Selektivität der Befreiungen unmittelbar aus den Entscheidungen und drittens seien mit den Entscheidungen vollständige Befreiungen von der Verbrauchsteuer genehmigt worden.

43      In den Randnrn. 100 bis 103 des angefochtenen Urteils hat das Gericht zunächst festgestellt, dass die Kommission zu keiner Zeit von den Befugnissen nach Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 92/81 oder den Art. 230 EG und 241 EG Gebrauch gemacht habe, um die Aufhebung oder Umgestaltung der Genehmigungsentscheidungen, deren Nichtigerklärung oder eine Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie zu erwirken. Schließlich hat es in den Randnrn. 104 und 105 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Entscheidung 2001/224 zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung weiterhin gültig gewesen sei und für sie ebenso wie für die vorausgegangenen Entscheidungen und die Richtlinie die Vermutung der Rechtmäßigkeit jedes Rechtsakts der Union gegolten habe und sie alle ihre Rechtswirkungen entfaltet hätten. Folglich seien Irland, die Französische Republik und die Italienische Republik ermächtigt gewesen, sich für die Beibehaltung der streitigen Befreiungen auf diese Entscheidungen zu stützen. Das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die streitige Entscheidung unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles unmittelbar die Gültigkeit der streitigen Befreiungen und mittelbar, aber zwingend auch die Gültigkeit der Genehmigungsentscheidungen und deren Rechtswirkungen in Zweifel ziehe. Damit verstoße sie gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union.

44      Darüber hinaus hat das Gericht in den Randnrn. 107 bis 109 des angefochtenen Urteils der von Eurallumina in der Rechtssache T‑62/06 RENV vorgetragenen Rüge stattgegeben, dass der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verletzt sei. Denn die Kommission habe die streitige Entscheidung erlassen, ohne die spezifischen Rechte zu berücksichtigen, die die Italienische Republik Eurallumina in Anwendung der Entscheidung 2001/224 gewährt habe und die als Rechtswirkungen dieser Entscheidung rechtlich durch die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union geschützt gewesen seien.

45      Damit hat das Gericht jedoch die jeweiligen Befugnisse des Rates und der Kommission auf dem Gebiet der Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Verbrauchsteuer bzw. auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen missachtet.

46      Es ist daran zu erinnern, dass die Richtlinie 92/81 auf der Grundlage von Art. 99 des EWG-Vertrags (später Art. 99 des EG-Vertrags, jetzt Art. 93 EG) erlassen wurde, demzufolge der Rat die Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern, die Verbrauchsabgaben und sonstige indirekte Steuern erlassen kann, soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts notwendig ist.

47      Die Genehmigungsentscheidungen wurden nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie erlassen, wonach der Rat auf Vorschlag der Kommission einstimmig einen Mitgliedstaat ermächtigen kann, „aus besonderen politischen Erwägungen“ über die in der Richtlinie genannten hinaus weitere Steuerbefreiungen oder Ermäßigungen zu gewähren. Das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren hat eine andere Zielsetzung und einen anderen Anwendungsbereich als die Regelung nach Art. 88 EG.

48      Wie der Gerichtshof in den Randnrn. 29 bis 31 des Urteils vom 29. Juni 2004, Kommission/Rat (C‑110/02, Slg. 2004, I‑6333), festgestellt hat, liegt dem Vertrag, indem er in Art. 88 EG der Kommission die fortlaufende Überprüfung und Kontrolle der Beihilfen überträgt, der Gedanke zugrunde, dass die Feststellung der etwaigen Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt in einem geeigneten Verfahren zu erfolgen hat, dessen Durchführung vorbehaltlich der Kontrolle durch das Gericht und den Gerichtshof Sache der Kommission ist. Die Art. 87 EG und 88 EG verleihen der Kommission damit eine zentrale Rolle bei der Feststellung der etwaigen Unvereinbarkeit einer Beihilfe. Die dem Rat durch Art. 88 Abs. 2 Unterabs. 3 EG übertragene Befugnis auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen hat Ausnahmecharakter, weshalb sie zwangsläufig eng auszulegen ist (vgl. auch in diesem Sinne Urteil vom 4. Dezember 2013, Kommission/Rat, C‑111/10, Randnr. 39).

49      Somit konnte eine Entscheidung des Rates, mit der dieser einem Mitgliedstaat gemäß Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 92/81 die Gewährung einer Verbrauchsteuerbefreiung genehmigt hat, nicht zur Folge haben, dass die Kommission an der Ausübung der ihr vom Vertrag eingeräumten Befugnisse und folglich daran gehindert wird, das Verfahren nach Art. 88 EG zur Prüfung, ob diese Befreiung eine staatliche Beihilfe darstellt, einzuleiten und im Anschluss an diese Prüfung gegebenenfalls eine Entscheidung wie die streitige Entscheidung zu erlassen.

50      Die durch die Genehmigungsentscheidungen gewährte vollständige Befreiung von der Verbrauchsteuer in Form genau festgelegter räumlicher und zeitlicher Einschränkungen, die durch die Mitgliedstaaten strikt beachtet wurden, hatte keinerlei Auswirkungen auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Rat und der Kommission und konnte die Kommission daher nicht an der Ausübung ihrer Befugnisse hindern.

51      Im Übrigen wird diese Aufteilung der Zuständigkeiten im fünften Erwägungsgrund der Entscheidung 2001/224, die zu dem Zeitraum, für den die streitige Entscheidung die Rückforderung der Beihilfen anordnet, in Kraft war, beachtet, wenn es darin heißt, dass dem Ergebnis etwaiger Verfahren, die möglicherweise gemäß den Art. 87 EG und 88 EG eingeleitet werden, nicht vorgegriffen wird und die Mitgliedstaaten keinesfalls „ihrer Pflicht, etwaige staatliche Beihilfen … bei der Kommission anzumelden“, enthoben werden.

52      Zwar sind die Genehmigungsentscheidungen auf Vorschlag der Kommission erlassen worden, und sie hat zu keiner Zeit von ihren Befugnissen aus Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 92/81 oder den Art. 230 EG und 241 EG Gebrauch gemacht, um eine Aufhebung oder Umgestaltung der Genehmigungsentscheidungen, eine Nichtigerklärung dieser Entscheidungen oder eine Feststellung der Ungültigkeit der Richtlinie zu erwirken. Insoweit geht aus der streitigen Entscheidung hervor, dass die Kommission beim Erlass der Genehmigungsentscheidungen des Rates meinte, dass die Befreiungen nicht zu einer Wettbewerbsverfälschung führten und dass sie das Funktionieren des Binnenmarkts nicht behinderten (Urteil Kommission/Irland u. a., Randnr. 83).

53      Wie die Kommission jedoch geltend gemacht hat, entspricht der Begriff der Beihilfe einer objektiven Situation und kann nicht vom Verhalten oder von den Erklärungen der Organe abhängen (Urteil Kommission/Irland u. a., Randnr. 72). Folglich konnte der Umstand, dass die Genehmigungsentscheidungen auf Vorschlag der Kommission erlassen worden sind, der Einstufung der Befreiungen als staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG nicht entgegenstehen, wenn die Voraussetzungen für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe erfüllt waren. Dagegen war ein solcher Umstand in Bezug auf die Pflicht zur Rückforderung der unvereinbaren Beihilfe sowie im Hinblick auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zu berücksichtigen, wie die Kommission dies in der streitigen Entscheidung getan hat, indem sie davon absah, die Rückforderung der Beihilfen anzuordnen, die vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidungen über die Einleitung des Verfahrens nach Art. 88 Abs. 2 EG im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften gewährt worden waren.

54      Daraus folgt, dass die in den Randnrn. 39 bis 44 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründe des angefochtenen Urteils die Feststellung des Gerichts, dass durch die streitige Entscheidung die Gültigkeit der Genehmigungsentscheidungen des Rates in Frage gestellt werde, rechtlich nicht begründen können und daher gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Vermutung der Rechtmäßigkeit der Rechtsakte der Union verstoßen. Dasselbe gilt für die auf denselben Gründen beruhende Feststellung, dass die Kommission in der Rechtssache T‑62/06 RENV gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoßen habe.

55      Nach alledem ist das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben, ohne dass es erforderlich ist, die übrigen Argumente und Rechtsmittelgründe der Parteien zu prüfen.

 Zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht

56      Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

57      Da das Gericht im vorliegenden Fall nur über einen Teil der zahlreichen von den Parteien vorgetragenen Klagegründe in der Sache entschieden hat, hält der Gerichtshof den vorliegenden Rechtsstreit nicht für entscheidungsreif. Deshalb sind die verbundenen Rechtssachen an das Gericht zurückzuverweisen.

 Kosten

58      Da die Rechtssachen an das Gericht zurückverwiesen werden, ist die Entscheidung über die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 21. März 2012, Irland u. a./Kommission (T‑50/06 RENV, T‑56/06 RENV, T‑60/06 RENV, T‑62/06 RENV und T‑69/06 RENV), wird aufgehoben.

2.      Die verbundenen Rechtssachen T‑50/06 RENV, T‑56/06 RENV, T‑60/06 RENV, T‑62/06 RENV und T‑69/06 RENV werden an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.

3.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Unterschriften


* Verfahrenssprachen: Französisch, Englisch und Italienisch.