Language of document : ECLI:EU:C:2011:462

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

7. Juli 2011(*)

„Außenbeziehungen – Assoziationsabkommen – Nationale Regelung, die vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union bulgarische Staatsangehörige von der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter ausschloss – Vereinbarkeit einer solchen Regelung mit dem im Assoziationsabkommen EG–Bulgarien vorgesehenen Verbot jeglicher auf der Staatsangehörigkeit beruhender Benachteiligung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen“

In der Rechtssache C‑101/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Obersten Berufungs‑ und Disziplinarkommission (Österreich) mit Entscheidung vom 18. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Februar 2010, in dem Verfahren

Gentcho Pavlov,

Gregor Famira

gegen

Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Pavlov und Herrn Famira, vertreten durch Rechtsanwälte R. Keisler und S. Werinos,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl und G. Holley als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher und G. Braun als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. März 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des mit dem Beschluss 94/908/EGKS, EG, Euratom des Rates und der Kommission vom 19. Dezember 1994 abgeschlossenen und im Namen der Gemeinschaften genehmigten Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits (ABl. L 358, S. 1, im Folgenden: Assoziationsabkommen mit der Republik Bulgarien).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Pavlov, der die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzt, und Herrn Famira, Rechtsanwalt in Wien, auf der einen Seite und dem Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien auf der anderen Seite wegen der Abweisung eines Antrags durch Letztere, mit dem zum einen die Eintragung von Herrn Pavlov in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter und zum anderen die Erteilung einer kleinen Legitimationsurkunde für ihn begehrt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Assoziationsabkommen mit der Republik Bulgarien

3        Art. 7 Abs. 1 des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien lautet: „Die Assoziation umfasst eine Übergangszeit von höchstens zehn Jahren, die sich in zwei aufeinander folgende Stufen von grundsätzlich jeweils fünf Jahren gliedert. Die erste Stufe beginnt mit dem Inkrafttreten dieses Abkommens.“ Das Assoziationsabkommen trat am 1. Februar 1995 in Kraft.

4        Art. 38 Abs. 1 des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien, der in Kapitel I über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer des Titels IV („Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Niederlassungsrecht, Dienstleistungsverkehr“) enthalten ist, bestimmt:

„Vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten

–        wird den Arbeitnehmern bulgarischer Staatsangehörigkeit, die im Gebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig beschäftigt sind, eine Behandlung gewährt, die hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Benachteiligung gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bewirkt;

…“

5        Art. 42 Abs. 1 dieses Assoziationsabkommens sieht vor:

„Unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage in dem Mitgliedstaat und vorbehaltlich seiner Rechtsvorschriften und der Einhaltung seiner Bestimmungen über die Mobilität der Arbeitnehmer

–        sollten die bestehenden Erleichterungen für den Zugang zur Beschäftigung für bulgarische Arbeitnehmer, die die Mitgliedstaaten im Rahmen bilateraler Abkommen gewähren, beibehalten und nach Möglichkeit verbessert werden;

–        werden die anderen Mitgliedstaaten den möglichen Abschluss ähnlicher Abkommen wohlwollend prüfen.“

6        Art. 45 Abs. 1 des Assoziationsabkommens, der in dem mit „Niederlassungsrecht“ überschriebenen Kapitel II des Titels IV enthalten ist, lautet:

„Die Mitgliedstaaten gewähren vom Inkrafttreten dieses Abkommens an für die Niederlassung bulgarischer Gesellschaften und Staatsangehöriger und für die Geschäftstätigkeit der in ihrem Gebiet niedergelassenen bulgarischen Gesellschaften und Staatsangehörigen eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung ihrer eigenen Gesellschaften und Staatsangehörigen, mit Ausnahme der in Anhang XVa aufgeführten Bereiche.“

7        Art. 47 des Assoziationsabkommens, der in dem genannten Kapitel II enthalten ist, bestimmt:

„Um Staatsangehörigen der Gemeinschaft und Staatsangehörigen Bulgariens die Aufnahme und Ausübung reglementierter Berufstätigkeiten in Bulgarien bzw. der Gemeinschaft zu erleichtern, prüft der Assoziationsrat, welche Schritte zur gegenseitigen Anerkennung der Befähigungsnachweise erforderlich sind. Er kann zu diesem Zweck alle zweckdienlichen Maßnahmen ergreifen.“

8        In Art. 59 Abs. 1 des Assoziationsabkommens, der in dem mit „Allgemeine Bestimmungen“ überschriebenen Kapitel IV des Titels IV enthalten ist, heißt es:

„Für die Zwecke des Titels IV werden die Vertragsparteien durch keine Bestimmung dieses Abkommens daran gehindert, ihre Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften über Einreise und Aufenthalt, Beschäftigung, Beschäftigungsbedingungen, Niederlassung von natürlichen Personen und Erbringung von Dienstleistungen anzuwenden, sofern sie dies nicht in einer Weise tun, durch die die Vorteile, die einer Vertragspartei aus einer Bestimmung des Abkommens erwachsen, zunichte gemacht oder verringert werden. …“

 Nationales Recht

9        Das Berufsrecht der Rechtsanwälte und der Zugang zu diesem Beruf sind im Rechtsanwaltsprüfungsgesetz (BGBl. 556/1985, in der hier anwendbaren Fassung des BGBl. 71/1999) und in der Österreichischen Rechtsanwaltsordnung (RGBl. 96/1868, in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung des BGBl. 128/2004; im Folgenden: Rechtsanwaltsordnung oder RAO) geregelt.

 Rechtsanwaltsprüfungsgesetz

10      Die für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Vorschriften des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes sehen vor:

„§ 1

Die Rechtsanwaltsprüfung soll die für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse des Prüfungswerbers, im Besonderen seine Gewandtheit bei der Einleitung und Besorgung der einem Rechtsanwalt übertragenen öffentlichen und privaten Angelegenheiten sowie seine Eignung zur Abfassung von Rechtsurkunden und Rechtsgutachten sowie zum geordneten schriftlichen und mündlichen Vortrag einer Rechts‑ und Sachlage nachweisen.

§ 2

(1)      Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Erlangung des Doktorats der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978 … über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden.

…“

 Rechtsanwaltsordnung

11      Die für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Vorschriften der Rechtsanwaltsordnung bestimmen:

„§ 1

(1)      Zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft in (… Österreich) bedarf es keiner behördlichen Ernennung, sondern lediglich der Nachweisung der Erfüllung der nachfolgenden Erfordernisse und der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte. (§§ 5 und 5a)

(2)      Diese Erfordernisse sind:

a)      [die österreichische Staatsbürgerschaft];

d)      die praktische Verwendung in der gesetzlichen Art und Dauer;

e)      die mit Erfolg zurückgelegte Rechtsanwaltsprüfung;

(3)      Die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist der österreichischen Staatsbürgerschaft gleichzuhalten.

§ 2

(1)      Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; … Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. …

(2)      Die praktische Verwendung im Sinn des Abs. 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

§ 15

(1)      Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen bei ihm in Verwendung stehenden, substitutionsberechtigten Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(2)      Substitutionsberechtigt ist ein Rechtsanwaltsanwärter, der die Rechtsanwaltsprüfung mit Erfolg abgelegt hat. …

(3)      Ist die Beiziehung eines Rechtsanwalts gesetzlich nicht vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig.

(4)      Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat den bei einem Rechtsanwalt in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärtern Legitimationsurkunden auszustellen, aus denen die Substitutionsberechtigung nach Abs. 2 (‚große Legitimationsurkunde‘) oder die Vertretungsbefugnis nach Abs. 3 (‚kleine Legitimationsurkunde‘) ersichtlich ist.

§ 30

(1)      Um die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter zu erwirken, ist beim Eintritte in die Praxis bei einem Rechtsanwalte die Anzeige an den Ausschuss [der Rechtsanwaltskammer] unter Nachweisung (… der österreichischen Staatsbürgerschaft) und der Erfüllung der zum Eintritte in die Gerichtspraxis vorgeschriebenen Erfordernisse zu erstatten und wird diese Praxis erst von dem Tage des Einlangens dieser Anzeige gerechnet.

(4)      Gegen die Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, gegen die Löschung aus dieser Liste und gegen die Verweigerung der Bestätigung der Rechtsanwaltspraxis steht den Beteiligten das Recht der Berufung an die Oberste Berufungs‑ und Disziplinarkommission (§§ 59 ff DSt) zu. …

(5)      Die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist der österreichischen Staatsbürgerschaft gleichzuhalten.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

12      Herr Pavlov schloss sein Studium der Rechtswissenschaften in Wien im Jahr 2002 ab. Seit 2004 ist er als Angestellter in der Kanzlei von Herrn Famira, Rechtsanwalt in Wien, beschäftigt. Herr Pavlov ist Inhaber einer österreichischen Aufenthaltsbewilligung und einer Niederlassungsbewilligung nach österreichischem Recht, die ihm gestattet, eine Arbeit aufzunehmen und sie im gesamten österreichischen Staatsgebiet auszuüben. Herr Famira ist Inhaber einer vom Arbeitsmarktservice ausgestellten Bewilligung, nach der er Herrn Pavlov für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2004 als angestellten Rechtsanwaltsanwärter beschäftigen durfte.

13      Am 2. Januar 2004 beantragten Herr Famira und Herr Pavlov dessen Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter. Gleichzeitig beantragten sie die Erteilung einer kleinen Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs. 3 RAO für Herrn Pavlov.

14      Mit Beschluss der Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 6. April 2004 wurde dieser Antrag abgewiesen, weil Herr Pavlov das Erfordernis der Staatsbürgerschaft nach § 30 Abs. 1 und 5 RAO nicht erfülle. Die gegen diesen Beschluss erhobene Vorstellung wurde am 15. Juni 2004 vom Plenum dieses Ausschusses abgewiesen.

15      Mit Erkenntnis vom 1. August 2006 wies die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission die Berufung von Herrn Pavlov und Herrn Famira gegen den Beschluss vom 15. Juni 2004 ab, wobei sie die Ansicht vertrat, dass es sich beim Rechtsanwaltsberuf um einen reglementierten Beruf handle und dass sich diese Reglementierung auch auf Rechtsanwaltsanwärter auswirke. Nach dem Assoziationsabkommen mit der Republik Bulgarien seien Diskriminierungen nur in Bezug auf die Arbeitsbedingungen verboten, in Bezug auf den Zugang zu reglementierten Berufen hätten die Vertragsstaaten hingegen weiterhin die Möglichkeit, Beschränkungen vorzunehmen.

16      Am 8. Oktober 2007 hob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis vom 1. August 2006 auf und verwies die Sache an die Oberste Berufungs‑ und Disziplinarkommission zurück, weil diese dem Gerichtshof der Europäischen Union keine Frage nach der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Assoziationsabkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt und damit die Beschwerdeführer in ihrem nach der nationalen Verfassung gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt habe.

17      Mit Erkenntnis vom 17. April 2008 hob die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission die Bescheide des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien vom 6. April und 15. Juni 2004 in Anbetracht der Änderung der Rechtslage durch den mit Wirkung vom 1. Januar 2007 erfolgten Beitritt der Republik Bulgarien zur Union auf. Sie hielt die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 und 5 RAO für ab diesem Zeitpunkt erfüllt und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an den Ausschuss zurück.

18      Am 2. Juli 2009 behob der Verfassungsgerichtshof das Erkenntnis vom 17. April 2008, weil der Beitritt der Republik Bulgarien zur Union nichts daran geändert habe, dass die Jahre 2004 bis 2006 für Herrn Pavlov erheblich seien, da er einerseits die Rechtsanwaltsprüfung erst nach einer praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt im Ausmaß von mindestens zwei Jahren ablegen könne und andererseits für die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt von mindestens drei Jahren nachgewiesen werden müsse. Um die Frage hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2006 zu klären, müsse somit gemäß dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 8. Oktober 2007 dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung von Art. 38 des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien zur Vorabentscheidung vorgelegt werden.

19      Unter diesen Umständen hat die Oberste Berufungs‑ und Disziplinarkommission das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      War Art. 38 Abs. 1 des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien in der Zeit vom 2. Jänner 2004 bis 31. Dezember 2006 im Verfahren zur Eintragung eines bulgarischen Staatsangehörigen in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter unmittelbar anzuwenden?

Im Fall der Bejahung von Frage 1:

2.      Stand Art. 38 Abs. 1 des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien der Anwendung des § 30 Abs. 1 und 5 RAO, wonach Eintragungserfordernis u. a. der Nachweis der österreichischen Staatsbürgerschaft oder einer dieser gleichzuhaltenden Staatsangehörigkeit ist, auf den am 2. Jänner 2004 gestellten Antrag eines bei einem österreichischen Rechtsanwalt beschäftigten bulgarischen Staatsangehörigen auf Eintragung in die Liste österreichischer Rechtsanwaltsanwärter sowie auf Erteilung einer Legitimationsurkunde gemäß § 15 Abs. 3 RAO und der trotz Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen und einer gegebenen Niederlassungs‑ und Beschäftigungsbewilligung allein auf die Staatsangehörigkeit gegründeten Antragsabweisung entgegen?

 Zu den Vorlagefragen

20      Mit seinen beiden zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Diskriminierungsverbot des Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien vor deren Beitritt zur Union einer Regelung eines Mitgliedstaats wie derjenigen des § 30 Abs. 1 und 5 RAO entgegenstand, nach der ein bulgarischer Staatsangehöriger wegen einer in dieser Regelung aufgestellten und an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Voraussetzung nicht in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen werden und infolgedessen auch keine Legitimationsurkunde erhalten konnte.

21      Aus dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien ergibt sich, dass das darin enthaltene Verbot jeder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit entgegensteht, die der bereits rechtmäßig beschäftigte Betroffene hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der Entlohnung oder der Entlassung erfahren könnte.

22      Herr Pavlov macht insoweit geltend, dass die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter die Arbeitsbedingungen für diesen Beruf betreffe und dass die auf der Staatsangehörigkeit beruhende Verweigerung seiner Eintragung in diese Liste gemäß § 30 Abs. 1 und 5 RAO deshalb eine nach Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien verbotene Diskriminierung darstelle.

23      Aus den Informationen, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof gegeben hat, geht hervor, dass nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften der Zugang zur praktischen Verwendung unbedingt an die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter geknüpft ist und dass diese Eintragung somit eine Zugangsvoraussetzung für die praktische Verwendung ist. Vor der Eintragung in diese Liste kann der Betroffene rechtmäßig nur als juristischer Mitarbeiter, nicht aber als Rechtsanwaltsanwärter arbeiten.

24      Hinzu kommt, dass die Ausübung der Tätigkeit eines Rechtsanwaltsanwärters, die durchaus, wie es im Ausgangsverfahren der Fall ist, in ein Arbeitsverhältnis eingebettet sein kann, auch den praktischen Teil der für die Zulassung zum reglementierten Rechtsanwaltsberuf erforderlichen Ausbildung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2003, Morgenbesser, C‑313/01, Slg. 2003, I‑13467, Randnr. 51).

25      Daraus folgt, dass die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eine Zugangsvoraussetzung für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden reglementierten Beruf des Rechtsanwalts ist.

26      Somit kommt es darauf an, ob sich das in Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien verankerte Verbot einer auf der Staatsangehörigkeit beruhenden Diskriminierung auf Vorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden über den Zugang zum reglementierten Rechtsanwaltsberuf erstreckt.

27      Das Assoziationsabkommen mit der Republik Bulgarien enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass aus Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich oder anderen Bestimmungen dieses Abkommens der Wille der Vertragsparteien abgeleitet werden könnte, in Bezug auf den Zugang bulgarischer Staatsangehöriger zu reglementierten Berufen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit zu beseitigen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass diese Bestimmung in dem mit „Freizügigkeit der Arbeitnehmer“ überschriebenen Kapitel I des Titels IV des Abkommens enthalten ist, während dieses auf die reglementierten Berufe in seinem Art. 47 eingeht, der zu Kapitel II dieses Abkommens über das Niederlassungsrecht gehört und vom Zugang zu reglementierten Berufen handelt, ohne insoweit ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit aufzustellen.

28      Das Diskriminierungsverbot des Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien ist deshalb so zu verstehen, dass es sich nicht auf nationale Vorschriften erstreckt, die wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden den Zugang zum reglementierten Beruf des Rechtsanwalts betreffen. Die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter, die, wie oben in Randnr. 25 ausgeführt, eine Zugangsvoraussetzung für den reglementierten Rechtsanwaltsberuf ist, kann daher nicht als eine Arbeitsbedingung im Sinne des Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens angesehen werden.

29      Zur Aufenthalts- und zur Beschäftigungsbewilligung, die Herr Pavlov als Zugangsberechtigung für die praktische Verwendung anführt, genügt die Feststellung, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob diese von den Stellen des Aufnahmemitgliedstaats erteilten Bewilligungen nach dem nationalen Recht Entscheidungen von solcher Tragweite darstellen und als solche den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf ermöglichen.

30      Nach alledem ist auf die Fragen des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Assoziationsabkommens mit der Republik Bulgarien dahin auszulegen ist, dass es vor deren Beitritt zur Union einer Regelung eines Mitgliedstaats wie derjenigen des § 30 Abs. 1 und 5 RAO in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung nicht entgegenstand, nach der ein bulgarischer Staatsangehöriger wegen einer in dieser Regelung aufgestellten und an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Voraussetzung nicht in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen werden und infolgedessen auch keine Legitimationsurkunde erhalten konnte.

 Kosten

31      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Das Diskriminierungsverbot des Art. 38 Abs. 1 erster Gedankenstrich des mit dem Beschluss 94/908/EGKS, EG, Euratom des Rates und der Kommission vom 19. Dezember 1994 abgeschlossenen und im Namen der Gemeinschaften genehmigten Europa-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits ist dahin auszulegen, dass es vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union einer Regelung eines Mitgliedstaats wie derjenigen des § 30 Abs. 1 und 5 der Österreichischen Rechtsanwaltsordnung in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung nicht entgegenstand, nach der ein bulgarischer Staatsangehöriger wegen einer in dieser Regelung aufgestellten und an die Staatsangehörigkeit anknüpfenden Voraussetzung nicht in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen werden und infolgedessen auch keine Legitimationsurkunde erhalten konnte.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.