SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN
VERICA Trstenjak
vom 3. September 2009(1)
Rechtssache C‑304/08
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.
gegen
Plus Warenhandelsgesellschaft mbH
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])
„Zulässigkeit einer Vorlage zur Vorabentscheidung – Statthafter Auslegungsgegenstand – Entscheidungserheblichkeit – Kopplungsangebote – Richtlinie 2005/29/EG – Richtlinienkonforme Auslegung – Harmonisierung – Verbraucherschutz – Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen – Nationale Regelung, nach der eine Geschäftspraxis, die die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, grundsätzlich verboten ist“
Inhaltsverzeichnis
I – Einleitung
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
B – Nationales Recht
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
V – Wesentliches Vorbringen der Parteien
VI – Rechtliche Würdigung
A – Einleitende Ausführungen
B – Zulässigkeit der Vorlage
1. Zuständigkeit des Gerichtshofs
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
C – Untersuchung der Vorlagefrage
1. Der Begriff der „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29
2. Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29
3. Untersuchung der Strukturen beider Regelungswerke
a) Die Regelungen der Richtlinie 2005/29
i) Vollständige und maximale Angleichung der nationalen Regelungen als Regelungsziel
ii) Regelungsstruktur der Richtlinie 2005/29
b) Die Regelungen des UWG
i) Darstellung der Regelungsstruktur des Verbots in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG
c) Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Regelung mit der Richtlinie 2005/29
i) Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung
ii) Prüfung am Maßstab der Richtlinienbestimmungen
– Art. 5 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2005/29
– Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29
4. Schlussfolgerungen
VII – Ergebnis
I – Einleitung
1. Im vorliegenden Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG befasst der Bundesgerichtshof (im Folgenden: vorlegendes Gericht) den Gerichtshof mit einer Vorlagefrage zur Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarkt(2) (im Folgenden: Richtlinie 2005/29). Dabei geht es im Wesentlichen um die Frage der Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht, nach der eine Geschäftspraxis, die die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, grundsätzlich verboten ist.
2. Das Vorabentscheidungsersuchen geht auf eine Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (im Folgenden: Klägerin des Ausgangsverfahrens) zurück, mit der diese die Einzelhandelskette Plus Warenhandelsgesellschaft mbH (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) wegen wettbewerbswidriger Bewerbung einer Bonusaktion auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch nimmt.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Gemeinschaftsrecht
3. Art. 2 der Richtlinie 2005/29 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;
…“
4. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts“.
5. Art. 4 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken“.
6. Art. 5 der Richtlinie, der mit „Verbot unlauterer Geschäftspraktiken“ übertitelt ist, bestimmt:
„(1) Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.
(2) Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn
a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht
und
b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
(3) Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt.
(4) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7
oder
b) aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.
(5) Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden“.
7. Die Kopplung von Preisausschreiben und Gewinnspielen mit Umsatzgeschäften ist nicht in Anhang I der Richtlinie als eine Geschäftspraxis, die unter allen Umständen als unlauter gilt, aufgeführt.
B – Nationales Recht
8. Das deutsche Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004(3), zuletzt geändert durch Art. 1 des Ersten Änderungsgesetzes vom 22. Dezember 2008(4) (im Folgenden: UWG), dient gemäß seinem § 1 dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem Wettbewerb. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb.
9. § 3 UWG a. F. bestimmt:
„Unlautere Wettbewerbshandlungen, die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen, sind unzulässig“.
10. Diese Bestimmung ist nach der Gesetzesänderung vom Dezember 2008 in § 3 Abs. 1 UWG n. F. behalten worden. Sie ist im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 2005/29 um zwei weitere Absätze ergänzt worden. § 3 UWG n. F. lautet daher nunmehr wie folgt:
„(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig, wenn sie geeignet sind, die Interessen von Mitbewerbern, Verbrauchern oder sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.
(2) Geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern sind jedenfalls dann unzulässig, wenn sie nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn damit zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Dabei ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer auf Grund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern ist abzustellen, wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftliche Handlung nur diese Gruppe betrifft.
(3) Die im Anhang dieses Gesetzes aufgeführten geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern sind stets unzulässig.“
11. § 4 UWG a. F., der nach der Gesetzesänderung vom Dezember 2008 im Wesentlichen unverändert geblieben ist, sieht vor:
„Unlauter im Sinne von § 3 handelt insbesondere, wer
…
6. die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, es sei denn, das Preisausschreiben oder Gewinnspiel ist naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden;
…“
III – Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
12. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts warb die Beklagte, die in Deutschland etwa 2 700 Filialen unterhält, in der Zeit vom 16. September bis 13. November 2004 unter dem Hinweis „Einkaufen, Punkte sammeln, gratis Lotto spielen“ für die Teilnahme an der Bonusaktion „Ihre Millionenchance“. Kunden konnten im genannten Zeitraum Bonuspunkte sammeln; sie erhielten bei jedem Einkauf für 5 Euro Einkaufswert je einen Bonuspunkt. Ab 20 Bonuspunkten bestand die Möglichkeit, kostenlos an den Ziehungen des Deutschen Lottoblocks am 6. oder 27. November 2004 teilzunehmen. Hierzu mussten die Kunden auf einer in den Filialen der Beklagten erhältlichen Teilnahmekarte u.a. die Bonuspunkte aufkleben und sechs Lottozahlen nach ihrer Wahl ankreuzen. Die Beklagte ließ die Teilnahmekarten in ihren Filialen einsammeln und leitete sie an ein Drittunternehmen weiter, das dafür sorgte, dass die entsprechenden Kunden mit den jeweils ausgewählten Zahlen an der Ziehung der Lottozahlen teilnahmen.
13. Auf der Grundlage von § 4 Nr. 6 UWG nahm die deutsche Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. in Frankfurt am Main an, dass die beschriebene Bonusaktion eine unzulässige Verknüpfung des Warenabsatzes mit einem Gewinnspiel sei. Auf die beim Landgericht Duisburg gegen sie erhobene Klage hin wurde die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs in an den Letztverbraucher gerichteter Werbung oder sonst werblich den Verkauf von Waren mit der Ankündigung eines Gewinnspiels in der Weise zu bewerben, dass der Kunde beim Erwerb von Waren Bonuspunkte erhält, die ihm anschließend die Teilnahme an den Ausspielungen des Deutschen Lotto- und Totoblocks ermöglichen.
14. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten wies das Berufungsgericht (Oberlandesgericht Düsseldorf) mit der Maßgabe zurück, dass der Unterlassungstenor durch die Einfügung des Wortes „kostenlos“ stärker der konkreten Verletzungsform angepasst wurde.
15. Mit der vom Ersten Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
16. Das vorlegende Gericht äußert Zweifel an der Vereinbarkeit der nationalen Regelung des § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie 2005/29. Es hat deswegen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dahin auszulegen, dass diese Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Geschäftspraktik, bei der die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, grundsätzlich unzulässig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
17. Der Vorlagebeschluss mit Datum vom 5. Juni 2008 ist am 9. Juli 2008 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
18. Schriftliche Erklärungen haben die Parteien des Ausgangsverfahrens, die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Finnland, des Königreichs Spanien, der Portugiesischen Republik, der Republik Polen, der Tschechischen Republik, des Königreichs Belgien und der Italienischen Republik sowie die Kommission innerhalb der in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs genannten Frist eingereicht.
19. Der Gerichtshof hat im Rahmen prozessleitender Maßnahmen eine Frage an die Verfahrensbeteiligten gerichtet, die diese beantwortet haben.
20. In der mündlichen Verhandlung, die am 11. Juni 2009 stattgefunden hat, haben der Prozessbevollmächtigte der Beklagten des Ausgangsverfahrens, die Bevollmächtigten der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, der Portugiesischen Republik, der Republik Polen, der Tschechischen Republik, der Italienischen Republik und der Republik Österreich sowie der Bevollmächtigte der Kommission Ausführungen gemacht.
V – Wesentliches Vorbringen der Parteien
21. Die spanische und die tschechische Regierung schließen eine Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 auf den Ausgangsfall aus.
22. Die spanische Regierung rügt zunächst die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, da ihrer Ansicht nach die Merkmale des Ausgangsverfahrens sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Sie verweist dabei auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil Jägerskiöld(5). Vorsorglich macht sie die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 geltend, wobei sie vorbringt, der Sachverhalt, der den nationalen Rechtsbehelfen zugrunde liege, habe sich nicht nur vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2005/29, sondern sogar vor deren Erlass ereignet. Nationale Rechtsvorschriften, die nicht das Ergebnis einer Umsetzung und darüber hinaus sogar vor dem Erlass der fraglichen Richtlinie ergangen seien, könnten nicht vom Gerichtshof ausgelegt werden. Des Weiteren erklärt die spanische Regierung, dass es im Ausgangsfall keine konkreten Anhaltspunkte dafür gebe, dass das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst werden könnte.
23. Die tschechische Regierung erklärt, dass die streitgegenständlichen nationalen Bestimmungen, anders als die der Richtlinie 2005/29, nicht den Schutz der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken, sondern den Schutz des Wettbewerbs und daher der einzelnen Mitbewerber vor solchen Praktiken bezwecken. Demzufolge fielen diese Vorschriften nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 und könnten nicht gegen deren Bestimmungen verstoßen.
24. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens sowie die finnische, die portugiesische, die belgische, die deutsche und die italienische Regierung vertreten die Auffassung, dass die Richtlinie 2005/29 einem Verbot wie dem im UWG vorgesehenen nicht entgegensteht.
25. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens trägt vor, dass das in § 4 Nr. 6 UWG normierte Kopplungsverbot im Einzelfall nur eingreifen könne, wenn die Geschäftspraxis zum einen gemäß § 3 UWG geeignet sei, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen und zum anderen geeignet sei, die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Das vorlegende Gericht halte zu Unrecht die Vereinbarkeit von § 4 Nr. 6 UWG mit Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 für zweifelhaft.
26. Die finnische Regierung weist zunächst darauf hin, dass ein hohes Verbraucherschutzniveau eines der Ziele der Richtlinie ist. Die Richtlinie enthalte allgemeine Regeln, die es gestatteten, die unlauteren Geschäftspraktiken zu identifizieren und zu verbieten, wobei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit offenstehe, eingehendere Regelungen über verbotene Verkaufsförderungsmaßnahmen zu erlassen. Die finnische Regierung ist der Auffassung, dass eine nationale Regelung wie diejenige, um die es im vorliegenden Fall geht, das Verbot des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 konkretisiert, ohne dabei über die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 hinauszugehen. Die nationale Regelung stehe daher mit Art. 5 Abs. 2 in Einklang.
27. Die portugiesische Regierung weist darauf hin, dass Anhang I der Richtlinie 2005/29 die verschiedenen Typen von Geschäftspraktiken aufführt, die unter allen Umständen als unlauter gelten, wobei er in Nr. 16 die Geschäftspraxis der „Behauptung, Produkte könnten die Gewinnchancen bei Glücksspielen erhöhen“ verbietet. Die portugiesische Regierung scheint jedoch auszuschließen, dass die streitige Werbekampagne einer solchen Geschäftspraxis entspreche, da der bloße Kauf einer Ware oder die Inanspruchnahme einer Dienstleistung an sich nicht bereits eine Gewinnchance eröffne. Die portugiesische Regierung kommt zu dem Ergebnis, dass die deutschen Vorschriften, insbesondere die §§ 3 und 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie 2005/29 in Einklang stehen, da die Verbote, die sich aus diesen Vorschriften – in Verbindung miteinander – ergeben, nicht gegen Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie verstoßen.
28. Die belgische Regierung ist der Ansicht, dass das in § 4 Nr. 6 UWG vorgesehene Verbot der Kopplung eines Preisausschreibens mit Umsatzgeschäften nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fällt. Zudem betreffe ein solches Verbot von Kopplungsangeboten eine Verkaufsmodalität, die gemäß der Rechtsprechung Keck und Mithouard(6) nicht geeignet sei, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern. Einzig und allein die an die Verbraucher adressierten kommerziellen Mitteilungen könnten unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 darstellen. In diesem Fall hätten die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung der Umstände des ihnen vorgelegten Einzelfalls zu entscheiden, ob die Bestimmungen und Kriterien der Richtlinie 2005/29 eingehalten worden sind.
29. Die deutsche und die italienische Regierung sind der Ansicht, dass aus dem Wortlaut und der Systematik der Richtlinie 2005/29 hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten in rechtmäßiger Weise andere Geschäftspraktiken als die in Anhang I aufgeführten generell verbieten dürfen, sofern das entsprechende Verhalten des Gewerbetreibenden im Licht der in Art. 5 aufgeführten Kriterien als unlauter anzusehen ist.
30. Was konkret die streitgegenständliche Geschäftspraxis betrifft, ist die deutsche Regierung der Auffassung, dass die Kopplung der Teilnahme an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel mit dem Erwerb einer Ware ohne Zweifel eine unlautere Geschäftspraxis darstellt, die ebenjene Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Daraus folge, dass eine Regelung, die eine solche Form der Kopplung generell verbiete, mit dem Sinn und Zweck der Richtlinie 2005/29 vereinbar sei.
31. Die italienische Regierung weist im Hinblick auf das im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 erwähnte Erfordernis, vor dem Verbot bestimmter Geschäftspraktiken die konkreten Umstände des Einzelfalls zu würdigen, darauf hin, dass dieses Erfordernis erfüllt werden könne, indem dem Gewerbetreibenden die Möglichkeit gegeben werde, den gegenteiligen Beweis für die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens zu erbringen. Folglich steht das Kopplungsverbot des § 4 Nr. 6 UWG nach Auffassung der italienischen Regierung in Einklang mit den Richtlinienbestimmungen.
32. Dagegen vertreten die Beklagte des Ausgangsverfahrens und die Kommission die Auffassung, dass eine nationale Regelung wie die des § 4 Nr. 6 UWG, nach der eine Geschäftspraxis, die die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, grundsätzlich verboten ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt, mit der Richtlinie unvereinbar ist. Da diese Geschäftspraxis nicht in der Liste in Anhang I aufgeführt sei, könne sie nur verboten werden, wenn sie auf der Basis einer Einzelfallbetrachtung im Licht der in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 genannten Kriterien als unlauter eingestuft werden sollte.
33. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens trägt vor, dass das Vorhaben betreffend ein allgemeines Verbot der Teilnahme an Gewinnspielen verbunden mit einer Verpflichtung zum vorherigen Kauf einer Ware bereits im Zusammenhang mit dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt diskutiert worden sei, was zeige, dass die Problematik dem Gemeinschaftsgesetzgeber sehr wohl bekannt gewesen sei. Wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber ein solches generelles Verbot in die Richtlinie hätte aufnehmen wollen, dann hätte er diese Geschäftspraxis ausdrücklich in Anhang I der Richtlinie 2005/29 aufgeführt.
34. Nach Auffassung der polnischen Regierung hängt die Frage der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen UWG-Bestimmung mit der Richtlinie 2005/29 vom Regelungsziel dieses Gesetzes ab. Indem sie sich allen voran auf den fünften Erwägungsgrund der Richtlinie stützt, weist die polnische Regierung darauf hin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber eine klare Unterscheidung zwischen, einerseits, den Geschäftspraktiken betreffend das Verhältnis zwischen den Unternehmen und den Verbrauchern, die sich nachteilig auf Letztere auswirkten – welche die Richtlinie habe regeln wollen –, und, andererseits, den Geschäftspraktiken betreffend das Verhältnis zwischen Unternehmen, die sich nachteilig auf die wirtschaftlichen Interessen der Mitbewerber auswirkten – welche wiederum nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fielen –, habe vornehmen wollen. Dementsprechend könne die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung, die den Schutz der Mitbewerber bezwecke, mit der Richtlinie 2005/29 nicht in Frage gestellt werden.
35. Die österreichische Regierung hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung teilweise unter Bezugnahme auf das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs Österreichs in der noch anhängigen Rechtssache C-540/08 (Mediaprint Zeitungs- und Zeitschriftenverlag) die Auffassung vertreten, dass die Richtlinie 2005/29 in erster Linie verbraucherschutzpolitischen Zielen dient und daher auf nationale Regelungen, die den Schutz der Interessen von Mitbewerbern bezwecken, keine Anwendung findet. Letztere bleiben ihrer Ansicht nach von der Richtlinie 2005/29 unberührt. Die österreichische Regierung stützt ihre Rechtsauffassung insbesondere auf den achten Erwägungsgrund der Richtlinie, aber auch auf den Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt. Vorsorglich hat sie vorgetragen, falls der Gerichtshof dennoch die Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 bejahen sollte, er zugleich feststellen möge, dass sie einer nationalen Regelung wie §§ 3, 4 Nr. 6 UWG nicht entgegenstehe.
VI – Rechtliche Würdigung
A – Einleitende Ausführungen
36. Die vorliegende Rechtssache eröffnet dem Gerichtshof die Möglichkeit, seine Rechtsprechung zur Frage der Vereinbarkeit von mitgliedstaatlichen Verboten von Kopplungsangeboten mit dem Gemeinschaftsrecht fortzuentwickeln. Nützliche Hinweise für die Beantwortung der Vorlagefrage lassen sich aus dem am 23. April 2009 verkündeten Urteil in den verbundenen Rechtssachen C‑261/07 (VTB-VAB) und C‑299/07 (Galatea)(7) entnehmen, in denen der Gerichtshof ebenfalls um Auslegung der Richtlinie 2005/29 ersucht worden ist. Ähnlich wie in jenen Rechtssachen stellt sich vorliegend die Frage, ob und inwieweit den Mitgliedstaaten angesichts der gemeinschaftsweiten Harmonisierung eines Teils des Lauterkeitsrechts durch die Richtlinie 2005/29 eine Kompetenz zum Erlass von Normen verbleibt, die Kopplungsangebote grundsätzlich verbieten, ohne dass es maßgeblich auf eine Einzelfallwürdigung der betreffenden Geschäftspraxis ankäme.
37. Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen vom 21. Oktober 2008 in den oben genannten Rechtssachen erläutert habe(8), zielt die am 11. Mai 2005 vom Europäischen Parlament und vom Rat verabschiedete Richtlinie 2005/29 darauf ab, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die Regelung unlauterer Geschäftspraktiken im Verhältnis zum Verbraucher zu schaffen. Dieses Ziel soll ausweislich ihres fünften Erwägungsgrundes durch eine Harmonisierung des Lauterkeitsrechts in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft im Interesse einer Beseitigung von Hemmnissen im Binnenmarkt erreicht werden(9). Ihr Regelungsziel besteht somit in einer vollständigen Harmonisierung dieses Lebensbereichs auf Gemeinschaftsebene(10).
38. In Kraft getreten ist die Richtlinie 2005/29 laut ihrem Art. 20 bereits am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, d. h. am 12. Juni 2005. Gemäß ihrem Art. 19 Abs. 1 waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, sie bis zum 12. Juni 2007 durch Erlass der erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in das nationale Recht umzusetzen, allerdings mit einer weiteren sechsjährigen Übergangsfrist für bestimmte strengere nationale Regelungen. Angewandt werden mussten diese Rechts- und Verwaltungsvorschriften jedoch erst ab dem 12. Dezember 2007.
39. Die Bundesrepublik Deutschland ist dieser Umsetzungspflicht formal durch die Verabschiedung des Ersten Änderungsgesetzes zum UWG vom 22. Dezember 2008, das am 30. Dezember 2008 in Kraft getreten ist, nachgekommen(11). Die streitgegenständliche Bestimmung in § 4 Nr. 6 UWG ist allerdings nicht in Umsetzung der Richtlinie 2005/29 erlassen worden, sondern geht auf eine frühere nationale Gesetzgebung zurück. In seinem Vorlagebeschluss äußert das vorlegende Gericht Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Gemeinschaftsrecht. Wie vom vorlegenden Gericht anhand der ihm zur Verfügung stehenden Gesetzesmaterialien vorausgesehen(12), ist es im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2005/29 in nationales Recht weder zu einer Änderung noch zu einer Streichung von § 4 Nr. 6 UWG gekommen.
B – Zulässigkeit der Vorlage
1. Zuständigkeit des Gerichtshofs
40. Die spanische Regierung begründet ihre Unzulässigkeitseinrede in erster Linie mit dem Fehlen einer gemeinschaftlichen Dimension der Vorlagefrage. Sie beruft sich dabei auf das Urteil Jägerskiöld(13), in dem es in Randnr. 45 heißt, dass „die Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr keine Anwendung auf einen Sachverhalt wie denjenigen des Ausgangsverfahrens finden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen“. Sofern die spanische Regierung damit das Fehlen eines grenzüberschreitenden Bezugs des Sachverhalts andeutet, ist dieses Vorbringen prozessual dahin gehend zu verstehen, dass sie damit im Grunde die Zuständigkeit des Gerichtshofs bestreitet.
41. Zunächst ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen, das Gegenstand der besagten Rechtssache war, ausschließlich die Auslegung der primärrechtlichen Bestimmungen über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr betraf. Ein grenzüberschreitender Bezug ist in der Tat Voraussetzung für ihre Anwendbarkeit(14). In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof jedoch um Auslegung einer Richtlinie als Rechtsakt des abgeleiteten Gemeinschaftsrechts im Sinne des Art. 249 Abs. 3 EG ersucht. Insofern besteht bereits darin ein Unterschied zwischen beiden Rechtssachen.
42. Davon abgesehen ist daran zu erinnern, dass es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten nach Art. 234 EG allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der bei ihm anhängigen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen(15).
43. Sofern die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen die Auslegung einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts betreffen, ist der Gerichtshof somit grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden(16), es sei denn, er soll offensichtlich in Wirklichkeit dazu veranlasst werden, über einen konstruierten Rechtsstreit zu entscheiden oder Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, die begehrte Auslegung des Gemeinschaftsrechts steht in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits oder der Gerichtshof verfügt nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind(17).
44. Auf das Vorbringen der spanischen Regierung ist somit zu erwidern, dass die Beurteilung, ob ein „rein innerstaatlich“ zu betrachtender Sachverhalt vorliegt, nicht die Zulässigkeit der Vorlagefrage, sondern eine Frage der Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft(18). Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof seine Zuständigkeit auch mit dem offensichtlichen Interesse daran begründet hat, dass jede Bestimmung des Gemeinschaftsrechts eine einheitliche Auslegung erhält, und zwar unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden soll, damit künftige unterschiedliche Auslegungen verhindert werden(19).
45. Folglich ist das Vorbringen der spanischen Regierung zurückzuweisen.
2. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
46. Die Geltendmachung der Unanwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 auf den vorliegenden Fall seitens der spanischen Regierung ist prozessrechtlich als ein Bestreiten der Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zu verstehen.
47. Wie bereits oben dargelegt, kann die Vermutung der Erheblichkeit der von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen nur in Ausnahmefällen ausgeräumt werden, und zwar u. a. dann, wenn die erbetene Auslegung der in diesen Fragen erwähnten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht(20).
48. Im vorliegenden Fall ist die Vorlagefrage für die vom vorlegenden Gericht zu treffende Entscheidung nicht offensichtlich unerheblich, denn, wie es in seinem Vorlagebeschluss ausführlich darlegt, hängt der Erfolg der Revision, soweit die Verurteilung zur Unterlassung in Rede steht, davon ab, ob die Regelung in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie 2005/29 in Einklang steht(21). Ist dies der Fall, hat das vorlegende Gericht die Revision zurückzuweisen. Würde das in § 4 Nr. 6 UWG vorgesehene Verbot des mit einem Umsatzgeschäft gekoppelten Preisausschreibens oder Gewinnspiels dagegen über den von der Richtlinie gesetzten Schutz hinausgehen, wäre die Klage – soweit die Klägerin Unterlassung begehrt – vom vorlegenden Gericht abzuweisen und das angegriffene Urteil aufzuheben.
49. Unbeachtlich für die Frage der Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 auf den Ausgangsfall – soweit dies für die Prüfung der Zulässigkeit der Vorlage relevant ist – ist aus meiner Sicht der von der spanischen Regierung erhobene Einwand, dass die Ereignisse, die zum Ausgangsverfahren führten, sich in einer Zeit vor Inkrafttreten und sogar noch vor Erlass der Richtlinie 2005/29 abgespielt haben, denn jedenfalls ist der Unterlassungsanspruch der Klägerin des Ausgangsverfahrens, den sie gegen die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren erwirkt hat, wie das vorlegende Gericht in seinem Vorlagebeschluss erklärt(22), auf die Abwehr künftiger Verletzungshandlungen gerichtet. Dies hat, wenn man die Ausführungen des vorlegenden Gerichts zum anwendbaren innerstaatlichen Recht richtig deutet, zur Folge, dass der Unterlassungsanspruch bis in die Gegenwart hinein Rechtswirkungen für die betroffene Beklagte entfaltet. Angesichts der fortwährenden Wirkung des Unterlassungsanspruchs(23) erweist sich die Frage der Vereinbarkeit einer Regelung wie der des § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie 2005/29 weiterhin als aktuell und relevant für die Parteien des Ausgangsverfahrens sowie für das nationale Gericht, das über den Rechtsstreit zu befinden hat.
50. Diese Frage ist umso relevanter, als zum Zeitpunkt der Vorlageentscheidung am 5. Juni 2008 sowohl die Umsetzungsfrist am 12. Juni 2007 als auch die Frist für die späteste Anwendung der Richtlinienbestimmungen am 12. Dezember 2007 längst überschritten war. Zu diesem Zeitpunkt war das nationale Recht weder angepasst worden, noch schien der deutsche Gesetzgeber eine Aufhebung des grundsätzlichen Verbots von Kopplungsangeboten in § 4 Nr. 6 UWG in Erwägung zu ziehen, was auch dem nationalen Gericht bewusst war, wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht.
51. In seiner Eigenschaft als funktionelles Gemeinschaftsgericht wäre das nationale Gericht bei einer nicht auszuschließenden Unvereinbarkeit von § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie 2005/29 aufgrund der Zukunftsgerichtetheit nationaler wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche notfalls noch vor Ablauf der Umsetzungsfrist dazu verpflichtet gewesen, die entsprechenden nationalen Bestimmungen unangewendet zu lassen. Dies folgt aus dem Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem nationalen Recht(24), vor allem aber aus der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 10 Abs. 2 EG und Art. 249 Abs. 3 EG, alle Maßnahmen zu treffen, die zur Erreichung des durch die betreffende Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlich sind.
52. Wie ich in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen C‑261/07 (VTB-VAB) und C‑299/07 (Galatea) ausgeführt habe(25), ist damit auch die Pflicht verbunden, alles zu unterlassen, was das Ziel einer Richtlinie vereiteln könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich aus den oben genannten Bestimmungen des Vertrags in Verbindung mit der betreffenden Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten, an die die Richtlinie gerichtet ist, während der Frist für deren Umsetzung keine Vorschriften erlassen dürfen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden(26). Diese Unterlassungspflicht erstreckt sich auf alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten einschließlich der Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit(27). Diesen obliegt es gegebenenfalls zu prüfen, ob vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlassene nationale Rechtsakte das Erreichen des Richtlinienziels beeinträchtigen(28).
53. Dementsprechend hat der Gerichtshof im Urteil Adeneler(29) entschieden, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie es so weit wie möglich unterlassen müssen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde.
54. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Anwendungsbereich einer Richtlinie nicht nur die nationalen Vorschriften, die als ausdrückliches Ziel die Umsetzung der Richtlinie verfolgen, sondern – vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie an – auch die schon vorher bestehenden nationalen Vorschriften fallen, die geeignet sind, die Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie zu gewährleisten(30). Dazu gehören im vorliegenden Fall auch die vor Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29 bestehenden Bestimmungen des UWG, einschließlich der Regelungen in §§ 3, 4, Nr. 6 UWG.
55. Drängt sich also bei dem nationalen Richter der Verdacht auf, dass eine nationale Gesetzgebung geeignet ist, das Ziel einer bevorstehend umzusetzenden Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist zu vereiteln(31), so ist er gehalten, bereits während der Umsetzungsphase die erforderlichen Maßnahmen, die die Verwirklichung des Ziels der Richtlinie ermöglichen, zu ergreifen.
56. Demzufolge waren die deutschen Gerichte aufgrund der Zukunftsgerichtetheit des Unterlassungsanspruchs befugt, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 2005/29 die Vereinbarkeit von § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie zu prüfen und im Zweifelsfall dem Gerichtshof eine entsprechende Frage zur Auslegung der Richtlinie 2005/29 gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. b EG zur Vorabentscheidung vorzulegen.
57. Nach alledem kann der Vorlagefrage nicht die Entscheidungserheblichkeit abgesprochen werden. Also ist das Vorabentscheidungsersuchen als zulässig anzusehen.
C – Untersuchung der Vorlagefrage
58. Vorab ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in einem nach Art. 234 EG eingeleiteten Verfahren nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt ist. Er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen(32).
59. Die Vorlagefrage zielt darauf ab, feststellen zu lassen, ob die Richtlinie 2005/29 einer nationalen Bestimmung wie § 4 Nr. 6 UWG entgegensteht. Zu diesem Zweck muss zunächst geprüft werden, ob diese Bestimmung von ihrem Regelungsgegenstand her in den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fällt. Anschließend ist zu prüfen, ob die Richtlinie 2005/29 so auszulegen ist, dass ein Verbot der streitgegenständlichen Geschäftspraxis wie das in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG vorgesehene von ihr gedeckt ist.
1. Der Begriff der „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29
60. Die Regelung in § 4 Nr. 6 UWG in Verbindung mit § 3 UWG untersagt einem Gewerbetreibenden, die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig zu machen, es sei denn, das Preisausschreiben oder Gewinnspiel ist naturgemäß mit der Ware oder der Dienstleistung verbunden. Mit anderen Worten, sie verbietet die Verknüpfung zweier unterschiedlicher Waren oder Dienstleistungen zum Zweck der Absatzförderung und ist dementsprechend als ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten zu verstehen(33).
61. Wie ich in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen C‑261/07 (VTB-VAB) und C‑299/07 (Galatea) ausführlich dargelegt habe(34) und wie der Gerichtshof im Urteil in denselben Rechtssachen bestätigt hat(35), sind Kopplungsangebote geschäftliche Handlungen, die eindeutig in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Gewerbetreibenden gehören und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf zusammenhängen.
62. Sie stellen daher Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 dar und fallen damit in deren sachlichen Anwendungsbereich.
2. Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29
63. Ob die streitgegenständliche nationale Regelung in § 4 Nr. 6 UWG in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ist, wie die polnische Regierung zutreffend erklärt, davon abhängig, dass sie, wie die Richtlinie selbst, den Schutz der Verbraucher bezweckt.
64. Die Richtlinie regelt nämlich nur den Bereich B2C (business to consumer), d. h. das Verhältnis zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern. Besonders betont wird dieser Zusammenhang im achten Erwägungsgrund, wonach die Richtlinie unmittelbar nur die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schützt(36). Allerdings werden die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber deshalb nicht für weniger schutzwürdig gehalten, wie aus ihrem sechsten, vor allem aber aus ihrem achten Erwägungsgrund hervorgeht(37).
65. Anders als die tschechische Regierung(38) habe ich keinerlei Zweifel, dass es Sinn und Zweck der Regelung in § 4 Nr. 6 UWG ist, den Verbraucher zu schützen.
66. Erstens besagt § 1 UWG ausdrücklich, dass dieses Gesetz neben dem Schutz der Mitbewerber sowie der sonstigen Marktteilnehmer auch dem Schutz des Verbrauchers vor unlauterem Wettbewerb dient(39). Zweitens sprechen sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der Sinn und Zweck von § 4 Nr. 6 UWG für ein solches Verständnis der Bestimmung. Diese innerstaatliche Regelung kodifiziert nämlich die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs(40) zu § 1 UWG a. F., nach der es wettbewerbswidrig war, die Teilnahme an Preisausschreiben oder Gewinnspielen vom Kauf einer Ware oder der Bestellung einer Dienstleistung abhängig zu machen. Ihr gesetzgeberischer Zweck besteht ausweislich der Gesetzesmaterialien(41) darin, den Verbraucher davor zu schützen, durch Ausnutzung der Spiellust in seiner Entscheidungsfreiheit unangemessen beeinträchtigt zu werden. Ihr liegt die Überlegung zugrunde, dass durch die Kopplung von Gewinnspielteilnahme und Warenabsatz auch ein verständiger Durchschnittsverbraucher in seiner Kaufentscheidung so nachhaltig beeinflusst werden kann, dass sich diese nicht mehr nach rationalen Erwägungen richtet, sondern durch das Streben nach dem ausgelobten Gewinn bestimmt wird. Dies entspricht auch der einhelligen Auffassung des rechtswissenschaftlichen Schrifttums(42).
67. Folglich fällt diese nationale Regelung ebenfalls in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29.
3. Untersuchung der Strukturen beider Regelungswerke
68. Um feststellen zu können, ob die Richtlinie 2005/29 einer nationalen Bestimmung wie § 4 Nr. 6 UWG entgegensteht, ist es erforderlich, beide Regelungswerke im Hinblick auf ihre normative Zielsetzung und ihre Regelungsstruktur zu untersuchen und anschließend zu vergleichen.
a) Die Regelungen der Richtlinie 2005/29
i) Vollständige und maximale Angleichung der nationalen Regelungen als Regelungsziel
69. Wie eingangs ausgeführt(43) zielt die Richtlinie 2005/29 auf eine vollständige Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ab. Angestrebt wird zudem, anders als es in den sektorspezifischen Rechtsinstrumenten zur Harmonisierung des Verbraucherschutzrechts bisher der Fall war, nicht nur eine Mindestharmonisierung, sondern eine maximale Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften, die den Mitgliedstaaten, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, verwehrt, strengere Regelungen beizubehalten oder einzuführen, und zwar unabhängig davon, ob damit die Erreichung eines höheren Verbraucherschutzniveaus bezweckt wird(44). Beides ergibt sich sowohl aus der Präambel als auch aus den allgemeinen Bestimmungen dieser Richtlinie.
70. Zum einen folgt dies aus ihrem elften Erwägungsgrund, wonach die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften durch diese Richtlinie ein hohes allgemeines Verbraucherschutzniveau schaffen soll. Zum anderen spricht ihr zwölfter Erwägungsgrund davon, dass die Verbraucher und die Unternehmer in die Lage versetzt werden sollen, sich an einem einzigen Rechtsrahmen zu orientieren, der auf einem klar definierten Rechtskonzept beruht, das alle Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken in der Europäischen Union regelt. Auf die Methode der Rechtsangleichung wird erneut in Art. 1 der Richtlinie Bezug genommen, aus dem hervorgeht, dass sie dem Zweck der Verbesserung des Verbraucherschutzes und der Perfektionierung des Binnenmarkts dienen soll.
71. Das Ziel einer umfassenden und maximalen Regelung auf Gemeinschaftsebene in dem vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfassten Lebensbereich wird wiederum in den Aussagen in ihren Erwägungsgründen 14 und 15 deutlich, in denen ausdrücklich von einer vollständigen Angleichung die Rede ist. Darüber hinaus ergibt sich dies aus der Binnenmarktklausel in Art. 4 der Richtlinie, wonach die Mitgliedstaaten den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken dürfen.
72. Als Ausnahme sieht Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten dürfen, die restriktiver oder strenger sind als die Richtlinie. Allerdings ist diese Ausnahme auf jene nationalen Regelungen beschränkt, die zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten(45). Eine weitere Ausnahme von der vollständigen Harmonisierung findet sich schließlich in Art. 3 Abs. 9 im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen im Sinne der Richtlinie 2002/65/EG und Immobilien.
ii) Regelungsstruktur der Richtlinie 2005/29
73. Herzstück der Richtlinie 2005/29 ist die Generalklausel in Art. 5 Abs. 1, die das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken statuiert. Was im Einzelnen unter „unlauter“ zu verstehen ist, wird in Art. 5 Abs. 2 präzisiert. Danach ist eine Geschäftspraktik unlauter, wenn sie zum einen den Erfordernissen der „beruflichen Sorgfaltspflicht“ widerspricht und zum anderen geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers „wesentlich zu beeinflussen“. Gemäß Abs. 4 sind unlautere Geschäftspraktiken insbesondere solche, die irreführend (Art. 6 und 7) oder aggressiv (Art. 8 und 9) sind. Abs. 5 verweist auf den Anhang I und die dort genannten Geschäftspraktiken, die „unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind“. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung der Richtlinie abgeändert werden.
74. Für die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden folgt daraus, dass zunächst an die in Anhang I enthaltene Liste der 31 Fälle unlauterer Geschäftspraktiken anzuknüpfen ist. Ist eine Geschäftspraktik unter einen der Tatbestände subsumierbar, muss sie verboten werden; auf eine weitere Prüfung, z. B. der Auswirkungen, kommt es nicht an. Fällt der konkrete Sachverhalt nicht unter diese Verbotsliste, ist zu prüfen, ob einer der geregelten Beispielsfälle der Generalklausel – irreführende und aggressive Geschäftspraktiken – vorliegt. Nur wenn dies nicht der Fall ist, kommt unmittelbar die Generalklausel in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie zur Anwendung(46).
b) Die Regelungen des UWG
75. Nach ständiger Rechtsprechung hat jeder Mitgliedstaat, der Adressat einer Richtlinie ist, die Verpflichtung, in seiner nationalen Rechtsordnung alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die volle Wirksamkeit der Richtlinie gemäß ihrer Zielsetzung zu gewährleisten(47). Damit verbunden ist die Verpflichtung des nationalen Gesetzgebers, die betreffende Richtlinie ordnungsgemäß in nationales Recht umzusetzen(48). Nach seinem Wortlaut überlässt Art. 249 Abs. 3 EG jedoch den mitgliedstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Diese Wahlfreiheit steht insbesondere dem nationalen Gesetzgeber zu.
76. Aus diesem Grund ist es in der Rechtsprechung anerkannt, dass die ordnungsgemäße Umsetzung einer Richtlinie nicht notwendigerweise die wörtliche Übernahme der Richtlinienbestimmungen in einer ausdrücklichen, besonderen Gesetzesvorschrift verlangt(49). Vielmehr kommt es darauf an, dass das innerstaatliche Recht, das in Umsetzung der Richtlinie in Kraft gesetzt wird, den Erfordernissen der Rechtsklarheit und –sicherheit genügt, um sicherzustellen, dass das gesamte Richtlinienprogramm bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts durch Gerichte und Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats verwirklicht wird(50).
77. Eine Untersuchung der Frage, ob und inwiefern die streitgegenständliche Regelung in § 4 Nr. 6 UWG den Vorgaben der Richtlinie genügt, erfordert zuerst eine kurze Erläuterung der wesentlichen Eckpunkte dieser innerstaatlichen Regelung.
i) Darstellung der Regelungsstruktur des Verbots in §§ 3, 4 Nr. 6 UWG
78. Die Vorschrift des § 3 UWG in der zum Zeitpunkt des Vorabentscheidungsersuchens geltenden und daher hier maßgeblichen Fassung vom 3. Juli 2004 normiert das Verbot unlauteren Wettbewerbs. Diese Fundamentalnorm des Lauterkeitsrechts ist als eine Generalklausel gestaltet, der ein umfassender Geltungsanspruch zur Sanktionierung des wettbewerbsrechtlichen Unrechts zukommt. Diese Generalklausel besteht auch nach der Gesetzesänderung vom Jahr 2008 in § 3 Abs. 1 UWG n. F. mit lediglich geringfügigen Wortlautänderungen fort.
79. Das materielle Wettbewerbsdeliktsrecht wird anhand des Begriffs der „Unlauterkeit im Wettbewerb“ umschrieben. Der Systematik im Aufbau des UWG folgend, das in den allgemeinen Bestimmungen des Kapitels 1 (§§ 1 bis 7) neben der Schutzzweckklausel des § 1 UWG und den Definitionen des § 2 UWG die Verbotsnormen (§§ 3 bis 7) enthält, werden die Rechtsfolgen (§§ 8 bis 10) eines Verstoßes gegen eine Verbotsnorm und die Verjährung (§ 11) in Kapitel 2 und das formelle Verfahrensrecht in Kapitel 3 geregelt. Kapitel 4 (§§ 16 bis 19) enthält das Wettbewerbsstrafrecht und Kapitel 5 (§§ 20 bis 22) die Schlussbestimmungen.
80. § 4 UWG enthält einen Katalog von Beispielen, darunter die streitgegenständliche Fallgestaltung der Teilnahme von Verbrauchern an Preisausschreiben bzw. Gewinnspielen, welche das allgemeine Verbot unlauterer Wettbewerbshandlungen aus der Generalklausel des § 3 UWG konkretisieren(51). Übernommen wurden damit die im Wesentlichen von der deutschen Rechtsprechung und Rechtslehre herausgearbeiteten Fallgruppen. Durch die Aufstellung eines Katalogs von Beispielen hat der nationale Gesetzgeber den Richter von der Aufgabe einer Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals der „Unlauterkeit“ weitgehend entlasten(52) und eine größere Transparenz(53) schaffen wollen. Da § 4 Nr. 6 UWG nur das Tatbestandsmerkmal der „Unlauterkeit“ konkretisiert, müssen deshalb neben den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung – wie bei den übrigen Regelbeispielen – immer auch die Voraussetzungen von § 3 UWG vorliegen, um eine Maßnahme als wettbewerbswidrig zu beurteilen(54). Diese sehen vor, dass die unlauteren Wettbewerbshandlungen (bzw. die geschäftlichen Handlungen nach § 3 Abs. 1 UWG n. F.) geeignet sein müssen, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer nicht unerheblich zu verfälschen. Dementsprechend muss die Wettbewerbshandlung (bzw. die geschäftliche Handlung nach § 3 Abs. 1 UWG n. F.), über die Beschwerde geführt wird, nicht nur innerhalb eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses begangen worden sein, sondern auch eine bestimmte Schwelle überschreiten, also von einem gewissen Gewicht für das Wettbewerbsgeschehen sein und die Interessen der geschützten Personenkreise erheblich tangieren.
81. Durch die Einführung einer „Bagatellschwelle“ bzw. eines „Spürbarkeitserfordernisses“ werden die nationalen Gerichte insofern entlastet, als sie sich nicht mit unwichtigen Fällen missbräuchlichen Verhaltens zu befassen brauchen(55). Entscheidend für die Untersuchung der Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Regelung mit der Richtlinie 2005/29 ist aus meiner Sicht, wie hoch oder wie niedrig die nationalen Wettbewerbsgerichte diese Schwelle ansetzen.
c) Vereinbarkeit der streitgegenständlichen Regelung mit der Richtlinie 2005/29
i) Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung
82. Bei der Untersuchung der Frage, ob eine Bestimmung des nationalen Rechts im Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht steht, ist nämlich nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung maßgeblich, sondern darüber hinaus muss die Auslegung berücksichtigt werden, welche die nationalen Gerichte dieser Bestimmung zugrunde legen(56). Dadurch, dass sie die für alle Rechtsunterworfenen verbindliche Auslegung des Gesetzes wiedergibt, erweist sich die Rechtsprechung in einem Mitgliedstaat als unerlässlicher Maßstab für die Beurteilung der gemeinschaftsrechtskonformen Umsetzung und Auslegung des nationalen Rechts(57).
83. Denn obwohl bei Verwirklichung des Tatbestands des § 4 Nr. 6 UWG allein das Tatbestandsmerkmal der „Unlauterkeit“ erfüllt wird, eine Handlung insoweit nach nationalem Recht erst dann verboten ist, wenn die Voraussetzungen des § 3 UWG gegeben sind, wird ausweislich der Ausführungen des vorlegenden Gerichts(58) offenbar in der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen, dass im Fall des § 4 Nr. 6 UWG stets von der Erheblichkeit der Wettbewerbsbeschränkung auszugehen ist(59). Dies geht aus dem Verweis auf entsprechende Stimmen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum(60), den Erläuterungen der innerstaatlichen Bestimmungen im Vorlagebeschluss, aber auch aus der Formulierung der Vorlagefrage selbst hervor, nach der die streitgegenständliche Regelung Kopplungsangebote verbietet, „ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt“. Diese Formulierung deutet darauf hin, dass § 4 Nr. 6 UWG so ausgelegt wird, als habe der nationale Richter im Einzelfall kaum einen Beurteilungsspielraum. Auch die deutsche Regierung geht in ihren früheren schriftlichen Ausführungen offensichtlich von dieser Annahme aus, wenn sie im Zusammenhang mit dieser innerstaatlichen Regelung von einem „absoluten“ bzw. „generellen“ Verbot (61) spricht.
ii) Prüfung am Maßstab der Richtlinienbestimmungen
84. Im Folgenden ist zu untersuchen, ob diese Auslegung von § 4 Nr. 6 UWG, die im Ergebnis einem grundsätzlichen Verbot von Kopplungsangeboten im Zusammenhang mit Preisausschreiben bzw. Gewinnspielen gleichkommt, mit der Richtlinie vereinbar ist. Zu diesem Zweck ist das in Nr. 74 dieser Schlussanträge beschriebene Prüfungsschema zugrunde zu legen.
– Art. 5 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2005/29
85. Zunächst ist festzustellen, dass die Geschäftspraxis, die § 4 Nr. 6 UWG verbietet, keinem der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Fälle unlauterer Geschäftspraktiken entspricht(62). Nicht einschlägig ist insbesondere die in Nr. 16 aufgeführte Fallkonstellation, in der damit geworben wird, bestimmte Produkte könnten die Gewinnchancen bei Glücksspielen erhöhen. Sie betrifft eine besondere Form der Werbung, jedoch nicht die Verwendung von Kopplungsangeboten an sich. Davon abgesehen wirbt die Beklagte des Ausgangsverfahrens, worauf die portugiesische Regierung zutreffend hinweist, keinesfalls damit, der bloße Kauf einer Ware eröffne bereits eine Gewinnchance. Angeboten wird lediglich die Möglichkeit der Teilnahme an einem ohnehin jedem zugänglichen Glücksspiel, ohne dass dadurch eine höhere Gewinnchance für den Käufer versprochen würde.
86. Da Kopplungsangebote allgemein nicht zu den in Anhang I genannten Geschäftspraktiken gezählt werden, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind, dürfen sie im Prinzip nur verboten werden, wenn sie unlautere Geschäftspraktiken darstellen, etwa weil sie irreführend oder aggressiv im Sinne der Richtlinie sind(63). Indes kann die Geschäftspraxis, die § 4 Nr. 6 UWG verbietet, weder als irreführend noch als aggressiv im Sinne des Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie bezeichnet werden.
– Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29
87. Nach der Richtlinie kommt ein Verbot ferner nur in Frage, wenn eine Geschäftspraxis deshalb als unlauter zu bewerten ist, weil sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. Dazu müssen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b kumulativ erfüllt sein(64).
88. Nach Auffassung der deutschen Regierung ist dies im Hinblick auf die von § 4 Nr. 6 UWG verbotene Geschäftspraxis der Fall, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen auf die Manipulationsgefahr hinweist, die daraus erwachse, dass an die Spiellust des Verbrauchers appelliert werde.
Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht
89. Der Begriff „berufliche Sorgfalt“ ist in Art. 2 Buchst. h der Richtlinie definiert als „der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet“.
90. Diese Definition, die u. a. an den unbestimmten Rechtsbegriff der „anständigen Marktgepflogenheiten“ anknüpft, schließt eine Wertung ein, die von einem Mitgliedstaat zum anderen, bedingt durch die jeweils herrschenden kulturellen Gegebenheiten und sittlichen Vorstellungen, durchaus variieren kann(65). Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Richtlinie gemäß ihrem 13. Erwägungsgrund darauf abzielt, im Wege der Rechtsangleichung Hemmnisse für den Binnenmarkt zu beseitigen, die aus der Anwendung unterschiedlicher Generalklauseln und Rechtsgrundsätze resultieren, zumal den Mitgliedstaaten offensichtlich ein gewisser Regelungsspielraum in einem eng umgrenzten Bereich eingeräumt wird(66). Dies wird von der Richtlinie ausdrücklich anerkannt, denn aus dem siebten Erwägungsgrund geht hervor, dass „die Richtlinie sich nicht auf die gesetzlichen Anforderungen in Fragen der guten Sitten und des Anstands bezieht, die in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind“. Darin wird als Beispiel das in manchen Mitgliedstaaten unerwünschte Ansprechen von Personen auf der Straße zu Verkaufszwecken angeführt. Deshalb besagt derselbe Erwägungsgrund auch, dass „die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht in ihrem Hoheitsgebiet weiterhin Geschäftspraktiken aus Gründen der guten Sitten und des Anstands verbieten können sollten, auch wenn diese Praktiken die Wahlfreiheit des Verbrauchers nicht beeinträchtigen“.
91. Dass Glücksspiele ein potenzielles Risiko für die Gesellschaften der Mitgliedstaaten bergen(67) und Letztere deshalb in der Lage sein müssen, entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahren der Spielsucht zu ergreifen, zeigt auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs in den sogenannten Glücksspielurteilen. Im Mittelpunkt dieser Urteile stand die Abwägung zwischen einerseits der Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit und andererseits dem Schutz zwingender Gründe des Allgemeininteresses, nämlich der Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen sowie der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen(68). Darin hat der Gerichtshof die Kompetenz der Mitgliedstaaten anerkannt, die „Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen“. Nach Auffassung des Gerichtshofs können „die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, ein ausreichendes Ermessen der staatlichen Stellen rechtfertigen, festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben“, sofern die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sind(69).
92. Meines Erachtens ist es im Interesse einer kohärenten Rechtsprechung geboten, die oben genannten Grundsätze auch bei der Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, insbesondere des Tatbestandsmerkmals der „anständigen Marktgepflogenheiten“, anzuwenden und den Mitgliedstaaten – innerhalb der gemeinschaftsrechtlich festgelegten Grenzen – ein ausreichendes Ermessen beim Erlass von Maßnahmen zur Eindämmung der Gefahren der Spielsucht einzuräumen.
93. Die von der deutschen Regierung geäußerten allgemeinen Bedenken gegenüber einer Geschäftspraxis, die sich der Anlockwirkung von Glücksspielen bedient, lassen sich dieser Kategorie sittlicher Vorbehalte zuordnen. Wie die deutsche Regierung zutreffend bemerkt, ist der Einsatz von Gewinnspielen in der Werbebranche durchaus geeignet, die menschliche Spiellust zu wecken. Solche Spiele üben nicht zuletzt aufgrund der Aussicht auf unter Umständen sehr hohe Gewinne eine gewisse Anziehungskraft auf den Menschen aus. Ihr Einsatz vermag die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden zu wecken und diese im Rahmen der gewählten Werbestrategie auf bestimmte Ziele zu lenken. Das vorgebrachte Argument, eine solche Geschäftspraxis weise manipulatorische Elemente auf und könne dadurch unter Umständen eine Verletzung der beruflichen Sorgfaltspflicht darstellen, ist daher, allgemein betrachtet, nicht von der Hand zu weisen.
94. Folglich kann eine Geschäftspraxis, die die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware oder der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig macht, unter bestimmten Umständen den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie widersprechen.
Geeignetheit, das Verhalten des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich zu beeinflussen
95. Unter einer „wesentlichen Beeinflussung des wirtschaftlichen Verhaltens des Verbrauchers“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b ist gemäß der in Art. 2 Buchst. e enthaltenen Legaldefinition „die Anwendung einer Geschäftspraxis, um die Fähigkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, spürbar zu beeinträchtigen und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“, zu verstehen. Schutzgut dieser Regelung ist die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers(70).
96. Die Kopplung von Preisausschreiben und Gewinnspielen mit Umsatzgeschäften ist in Anbetracht der bereits dargestellten Risiken(71) und unter Zugrundelegung eines angemessenen mitgliedstaatlichen Entscheidungsermessens grundsätzlich geeignet, das Einkaufsverhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Es ist, wie die deutsche Regierung zutreffend erklärt(72), nicht auszuschließen, dass die Aussicht auf kostenlose Teilnahme an dem Gewinnspiel den Verbraucher dazu veranlassen kann, für höhere Beträge als geplant einzukaufen, um sich eine Teilnahme an dem Gewinnspiel zu ermöglichen. Sie ist ebenso grundsätzlich geeignet, ihn dahin gehend zu beeinflussen, dass er weitere Einkäufe bei dem solcherart werbenden Gewerbetreibenden vornimmt, um weiter am Gewinnspiel teilzunehmen.
97. Insofern wäre der Tatbestand des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie bei Zugrundelegung einer allgemeinen Betrachtungsweise grundsätzlich erfüllt.
Notwendigkeit einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls
98. Indes ist zweifelhaft, ob diese allgemeine Betrachtungsweise dem Sinn und Zweck der Richtlinie sowie dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers tatsächlich entspricht. Wie ich bereits in meinen Schlussanträgen in den verbundenen Rechtssachen C‑261/07 (VTB-VAB) und C‑299/07 (Galatea) erklärt habe(73), lässt sich die Frage, ob Kopplungsverbote deshalb als unlauter zu bewerten sind, weil sie die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie erfüllen, nämlich nicht allgemeingültig beantworten, sondern es bedarf hierzu vielmehr einer Beurteilung der konkreten Geschäftspraxis im Einzelfall.
99. Dies geht aus dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie unmissverständlich hervor, wonach bei der Anwendung dieser Richtlinie, insbesondere der Generalklauseln, die Umstände des Einzelfalls umfassend gewürdigt werden sollten. Das Wort „insbesondere“ zeigt auch, dass die jeweilige Einzelfallbeurteilung sich nicht auf die Anwendung der Generalklausel des Art. 5 Abs. 1 beschränkt, sondern sich ebenfalls auf die Anwendung der sie konkretisierenden Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie erstreckt. Von der Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie für den Fall, dass eine Geschäftspraxis nicht unter die in Anhang I aufgeführten Geschäftspraktiken fällt, geht auch der Gemeinschaftsgesetzgeber ausweislich des 17. Erwägungsgrundes aus. Dies folgt aus einem Umkehrschluss aus Satz 3 des 17. Erwägungsgrundes, der nämlich besagt, dass es sich bei den in Anhang I aufgelisteten Geschäftspraktiken um die einzigen Geschäftspraktiken handelt, die „ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können“.
100. Das grundsätzliche Kopplungsverbot des § 4 Nr. 6 UWG in der oben beschriebenen Auslegung läuft im Ergebnis darauf hinaus, die in Anhang I der Richtlinie enthaltene Liste verbotener Geschäftspraktiken zu erweitern, was den Mitgliedstaaten angesichts der mit der Richtlinie 2005/29 einhergehenden vollständigen und maximalen Harmonisierung jedoch gerade verwehrt ist(74). Einseitige Erweiterungen dieser Liste seitens der Mitgliedstaaten sind zudem, vor dem Hintergrund dessen, dass sie gemäß Art. 5 Abs. 5 nur durch eine Änderung der Richtlinie selbst, d. h. nach dem in Art. 251 EG vorgeschriebenen Verfahren der Mitentscheidung, abgeändert werden kann, verboten.
101. Die Aufgabe der Beurteilung der Lauterkeit einer Geschäftspraxis anhand konkreter Umstände, insbesondere im Hinblick auf ihre Wirkung auf das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers, überträgt der Gemeinschaftsgesetzgeber den nationalen Gerichten bzw. Verwaltungsbehörden. Darauf weist der Wortlaut des 18. Erwägungsgrundes der Richtlinie ausdrücklich hin(75). Ihnen obliegt gemäß den Art. 11 und 12 der Richtlinie die Aufgabe, im Rahmen der auf nationaler Ebene zu schaffenden Sanktionssysteme die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen(76). Wenn der deutsche Gesetzgeber aber über die in Anhang I der Richtlinie enthaltene Liste hinausgehende grundsätzliche Verbote festlegt und den Organen der gesetzesauslegenden und ‑ausführenden Staatsgewalt, die insofern gleichermaßen Adressaten der Richtlinie 2005/29 sind, keine Beurteilungsspielräume belässt, wird das Ziel der effektiven Umsetzung dieser Richtlinie auf mitgliedstaatlicher Ebene vereitelt(77).
102. Eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls bei der Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie ist umso mehr erforderlich, als nicht davon ausgegangen werden kann, dass jede Verknüpfung des Warenabsatzes mit einem Gewinnspiel grundsätzlich und per se die von der deutschen Regierung angeführte manipulatorische Wirkung aufweisen wird. Das Tatbestandsmerkmal der „Wesentlichkeit“ in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b setzt begriffsnotwendig eine Einzelfallprüfung voraus(78). Indes lassen sich Fallgestaltungen ersinnen, in denen der Anreiz, an einem Gewinnspiel oder Preisausschreiben teilzunehmen, das Kaufverhalten des Verbrauchers nicht oder nur unwesentlich beeinflussen wird.
103. So lässt sich im Hinblick auf den Ausgangsfall – ohne einer entsprechenden Würdigung durch die nationalen Gerichte, denen die Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Ausgangsrechtsstreit obliegt(79), vorgreifen zu wollen – behaupten, dass die Aussicht, Lotto zu spielen, kaum dazu geeignet ist, einen Durchschnittsverbraucher stets dazu zu bringen, Einkäufe in Höhe von 100 Euro zu tätigen, zumal erstens dieser Betrag relativ hoch ist und zweitens der Zugang zum Spiel letztlich jedem offensteht. Insofern ist der spanischen Regierung darin zuzustimmen, dass ein Durchschnittsverbraucher, der Lotto spielen möchte, in der Regel keine Einkäufe für 100 Euro abwarten wird, um Zugang zum Spiel zu bekommen(80). Der Durchschnittsverbraucher wird also in der streitgegenständlichen Fallgestaltung durchaus erkennen können, dass sich der Vorteil auf eine kostenlose Lottoteilnahme beschränkt und er hierfür mindestens Waren im Wert von 100 Euro erwerben muss. Vor diesem Hintergrund kann er frei entscheiden, ob er an der Aktion teilnimmt oder seinen Bedarf bei einem Mitbewerber deckt(81).
104. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine nationale Regelung wie § 4 Nr. 6 UWG in der ihr zugeschriebenen Auslegung, die ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten verhängt, ohne die Möglichkeit vorzusehen, die Umstände des jeweils konkreten Einzelfalls zu berücksichtigen, von ihrem Wesen her restriktiver und strenger als die Regelungen der Richtlinie 2005/29 ist.
105. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass § 4 Nr. 6 UWG einen Bereich betrifft, der der vollständigen Harmonisierung unterliegt und für den die Übergangsregelungen des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie nicht gelten. Ebenso wenig anwendbar ist die Ausnahmebestimmung des Art. 3 Abs. 9 der Richtlinie.
Zur Rücknahme des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt
106. Es fragt sich, welche Folgen die Rücknahme des Kommissionsvorschlags für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt(82) für diese Auslegung hat. Die deutsche Regierung beruft sich im Wesentlichen auf die einzelnen Änderungen, die dieser Kommissionsvorschlag im Rahmen des Rechtsetzungsverfahrens erfahren hat(83) und die ihrer Ansicht nach den Schluss auf einen breiten Konsens unter den Mitgliedstaaten und im Europäischen Parlament bezüglich der Notwendigkeit eines grundsätzlichen Kopplungsverbots zulassen(84).
107. Nach Angaben der deutschen Regierung hatte sich der deutsche Gesetzgeber beim Erlass des UWG, das am 8. Juli 2004 in Kraft trat, auf den geänderten Kommissionsvorschlag bezogen und in der Begründung zu § 4 Nr. 6 UWG die Argumentation des Europäischen Parlaments aufgenommen. Danach werde die Wettbewerbswidrigkeit damit begründet, dass die Maßnahme darauf abziele, die Spielsucht auszunutzen und das Urteil des Verbrauchers hierdurch zu trüben.
108. Entgegen der Ansicht der deutschen Regierung lassen sich jedoch weder aus dem Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über Verkaufsförderung im Binnenmarkt noch aus den im Rahmen des Rechtsetzungsverfahrens unterbreiteten Änderungsvorschlägen Schlussfolgerungen für eine Auslegung der Richtlinie 2005/29 ziehen, denn sie beruft sich dabei auf einen Vorschlag für eine Gemeinschaftsrechtsnorm, die letztlich nie in Kraft getreten ist. Sie kann sich daher nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen(85). Wie sie selbst erklärt, verliefen die Rechtsetzungsverfahren zu der Verordnung und der Richtlinie 2005/29 teilweise zeitgleich. Als verfassungsmäßige Vertreterin eines im Rat repräsentierten Mitgliedstaats war die deutsche Regierung maßgeblich an beiden Rechtsetzungsverfahren beteiligt und deshalb stets über deren Fortgang informiert(86). Auf Unkenntnis über die Vorgänge in beiden Rechtsetzungsverfahren kann sie sich daher nicht rechtswirksam berufen(87).
109. Der Gerichtshof hat die besondere Verantwortung der im Rat vertretenen Regierungen der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Richtlinien unterstrichen. So hat er aus dem Umstand, dass diese an den vorbereitenden Arbeiten für die Richtlinien teilnehmen, gefolgert, dass sie in der Lage sein müssen, innerhalb der festgesetzten Frist die zu ihrer Durchführung erforderlichen Gesetzestexte auszuarbeiten(88).
110. Spätestens zum Zeitpunkt der Rücknahme des Kommissionsvorschlags(89) hätte die deutsche Regierung daher gegebenenfalls prüfen müssen, inwiefern der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 sich auch auf bisher von der geplanten Verordnung abgedeckte Bereiche erstrecken würde. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens lag nahe, zumal die Richtlinie ihrem ursprünglichen Konzept zufolge dazu bestimmt war, zum einen allgemeine, subsidiäre Regelungen im Bereich des Verbraucherschutzrechts der Gemeinschaft einzuführen und zum anderen eine Vollharmonisierung der mitgliedstaatlichen Regeln über unlautere Geschäftspraktiken zu erreichen(90). Vor dem Hintergrund, dass die Rücknahme zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Frist für die Umsetzung der Richtlinie noch lief, oblag es dem deutschen Gesetzgeber, diesen Erkenntnissen bei der Anpassung des nationalen Rechts Rechnung zu tragen.
111. Folglich ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.
4. Schlussfolgerungen
112. In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Auslegung von §§ 3, 4 Nr. 6 UWG, wie sie in der deutschen höchstrichterlichen Rechtsprechung vertreten wird, die aus dieser innerstaatlichen Regelung ein grundsätzliches Verbot von Kopplungsangeboten im Zusammenhang mit Preisausschreiben bzw. Gewinnspielen macht(91), einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entspricht.
113. Aus alledem folgt, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass diese Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Geschäftspraktik, bei der die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, grundsätzlich unzulässig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt.
VII – Ergebnis
114. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs wie folgt zu antworten:
Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass diese Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Geschäftspraktik, bei der die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, grundsätzlich unzulässig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt.
Verica TRSTENJAK