Language of document : ECLI:EU:C:2011:736

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 16. November 2011(1)

Rechtssache C‑357/10

Duomo Gpa Srl

gegen

Comune di Baranzate

Rechtssache C‑358/10

Gestione Servizi Pubblici Srl

gegen

Comune di Baranzate

Rechtssache C‑359/10

Irtel Srl

gegen

Comune di Venegono Inferiore

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia [Italien])

„Dienstleistungen im Binnenmarkt – Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Konzession für Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben – Nationale Regelung, die von der auftragnehmenden Gesellschaft ein Mindestgesellschaftskapital verlangt – Anwendbarkeit der Richtlinie 2006/123 – Art. 15 und 16 der Richtlinie 2006/123 – Verhältnismäßigkeit“





I –    Einleitung

1.        Die drei verbundenen Rechtssachen betreffen die Vereinbarkeit einer nationalen Bestimmung mit dem Unionsrecht, nach der Unternehmen, die sich um die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften bemühen, über ein vollständig eingezahltes Mindestgesellschaftskapital von 10 Mio. Euro verfügen müssen, weil sie, vereinfacht ausgedrückt, anderenfalls nicht an dem entsprechenden Verfahren teilnehmen können bzw. die Vergabe für nichtig erklärt wird.

2.        Konkreter fragt das vorlegende Gericht, ob eine solche nationale Bestimmung zum einen mit den Art. 15 und 16 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt(2) und zum anderen mit dem Primärrecht vereinbar ist.

3.        Die Aufnahme dieser Richtlinie in das Recht der Union hat verschiedene Fragen hervorgerufen, die in erster Linie ihren Charakter als Harmonisierungsmaßnahme(3), aber auch u. a. ihre Anwendbarkeit auf rein interne Fälle(4) und die Reichweite und die Gültigkeit von Art. 16(5) betreffen. In der vorliegenden Rechtssache ist es jedoch nicht erforderlich, sich mit sämtlichen ? und nicht einmal mit der Mehrzahl ? dieser Probleme zu beschäftigen. Insbesondere werde ich, unterstellt, dass die entsprechende Dienstleistung ohne Rückgriff auf die Niederlassungsfreiheit erbracht wird, dem Gerichtshof vorschlagen, unmittelbar auf die Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Bestimmung mit dem Recht der Union unter dem Aspekt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzugehen, ohne dass die Notwendigkeit besteht, bei dieser Gelegenheit sämtliche genannten Punkte zu prüfen.

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Das Recht der Union: die Richtlinie 2006/123

4.        Die als Dienstleistungsrichtlinie bezeichnete Richtlinie 2006/123 enthält „Bestimmungen, die bei gleichzeitiger Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen die Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit durch Dienstleistungserbringer sowie den freien Dienstleistungsverkehr erleichtern sollen“ (Art. 1 Abs. 1).

5.        Gegenstand von Kapitel III der Richtlinie ist die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer. Art. 15 Abs. 2 bestimmt, dass „[d]ie Mitgliedstaaten prüfen, ob ihre Rechtsordnung die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit“ von einer Reihe von Anforderungen „abhängig macht“, zu denen die „Anforderungen im Hinblick auf die Beteiligungen am Gesellschaftsvermögen“ gehören (Buchst. c).

6.        Art. 15 Abs. 3 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten prüfen, ob die in Absatz 2 genannten Anforderungen folgende Bedingungen erfüllen:

a)      Nicht-Diskriminierung: [D]ie Anforderungen dürfen weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei Gesellschaften – aufgrund des Orts des satzungsmäßigen Sitzes darstellen;

b)      Erforderlichkeit: [D]ie Anforderungen müssen durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein;

c)      Verhältnismäßigkeit: [D]ie Anforderungen müssen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein; sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist; diese Anforderungen können nicht durch andere weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden, die zum selben Ergebnis führen.“

7.        Kapitel IV der Richtlinie ist dem freien Dienstleistungsverkehr gewidmet. Art. 16, der unter dieses Kapitel fällt, trägt die Überschrift „Dienstleistungsfreiheit“; sein Abs. 1 lautet:

„Die Mitgliedstaaten achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen folgende Grundsätze verstoßen:

a)      Nicht-Diskriminierung: die Anforderung darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei juristischen Personen – aufgrund des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, darstellen;

b)      Erforderlichkeit: die Anforderung muss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sein;

c)      Verhältnismäßigkeit: die Anforderung muss zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.“

B –    Die italienische Regelung

8.        Art. 32 Abs. 7bis des Decreto-legge Nr. 185 vom 29. November 2008(6), als Gesetz verabschiedet durch das Gesetz Nr. 2 vom 28. Januar 2009(7), bestimmte Folgendes: „Das Mindestkapital der Gesellschaften gemäß Art. 53 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 446 vom 15. Dezember 1997 mit späteren Änderungen, das für ihre Eintragung in das Register der privaten Rechtssubjekte erforderlich ist, die zur Abrechnung und Festsetzung der Abgaben und zur Beitreibung der Abgaben und sonstigen Einnahmen der Provinzen und der Gemeinden berechtigt sind, wird auf einen Betrag von mindestens 10 Mio. Euro festgesetzt, der vollständig eingezahlt sein muss. Von der im vorstehenden Satz genannten Begrenzung sind Gesellschaften mit überwiegend öffentlicher Beteiligung ausgenommen. Die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und sonstigen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften an Rechtssubjekte, die die erwähnten finanziellen Anforderungen nicht erfüllen, ist nichtig. Die in dem genannten Register eingetragenen Rechtssubjekte müssen ihr Gesellschaftskapital auf den erwähnten Mindestbetrag aufstocken. Sie dürfen jedenfalls bis zur Vornahme dieser Aufstockung weder neue Aufträge erhalten noch sich an entsprechenden Ausschreibungen beteiligen.“

9.        Diese Bestimmung wurde durch Art. 3bis Abs. 3 des Decreto-legge Nr. 40 vom 25. März 2010(8), als Gesetz verabschiedet durch das Gesetz Nr. 73 vom 22. Mai 2010(9), aufgehoben. Die Neuregelung verlangt ein Mindestgesellschaftskapital, dessen Höhe sich nach der Einwohnerzahl der jeweiligen Gebietskörperschaft richtet.

III – Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10.      Die Rechtssachen C‑357/10 und C‑358/10 gehen auf ein offenes Ausschreibungsverfahren der Gemeinde Baranzate (Italien) zur Vergabe einer Konzession für die Dienstleistung der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung bestimmter Abgaben und sonstiger lokaler Einnahmen für den Fünfjahreszeitraum vom 1. Mai 2009 bis zum 30. April 2014 zurück. Der Wert der Dienstleistungen für den gesamten Zeitraum wurde auf 57 000 Euro veranschlagt. Sechs private Unternehmen, die sämtlich in Italien ansässig sind, reichten Angebote ein. Zu ihnen gehörten die Unternehmen Duomo Gpa Srl (im Folgenden: Duomo), Gestione Servizi Pubblici Srl (im Folgenden: GSP) und Agencia Italiana per le Pubbliche Amministrazioni SpA (im Folgenden: AIPA). Am 1. und am 3. April 2009 teilte die Gemeinde Baranzate Duomo und GSP mit, sie seien von dem Verfahren ausgeschlossen worden, da sie die in Art. 32 Abs. 7bis des Decreto-legge Nr. 185/08 vorgesehenen Anforderungen nicht erfüllten.

11.      Der Rechtssache C‑359/10 liegt ein ähnliches Ausschreibungsverfahren der Gemeinde Venegono Inferiore zugrunde. In diesem Fall ging es um die Vergabe einer Konzession für die Dienstleistung der Festsetzung und der gewöhnlichen und zwangsweisen Beitreibung der gemeindlichen Werbesteuer und der Gebühren für Plakatanschläge für den Vierjahreszeitraum vom 23. Februar 2009 bis 31. Dezember 2012 für einen Betrag von insgesamt 48 765 Euro. Zu den Unternehmen, die Angebote einreichten, gehörten die Irtel SpA (im Folgenden: Irtel) und AIPA. Am 9. März 2009 entschied die Vergabestelle, Irtel von dem Verfahren auszuschließen, da sie die Voraussetzung des Art. 32 Abs. 7bis des Decreto-legge Nr. 185/08 nicht erfülle.

12.      Duomo, GSP und Irtel legten gegen die Entscheidungen über ihren Ausschluss von den Verfahren zur Vergabe der Aufträge jeweils einen Rechtsbehelf ein.

13.      Das Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia hat die Verfahren ausgesetzt und in jedem von ihnen folgende Vorlagefragen vorgelegt:

A.      Stehen die nationalen Bestimmungen des Art. 32 Abs. 7bis des Decreto-legge Nr. 185 vom 29. November 2008, eingefügt durch das Umwandlungsgesetz Nr. 2 vom 28. Januar 2009 und später geändert durch das Gesetz Nr. 14 vom 27. Februar 2009, wonach, außer im Fall von Gesellschaften mit überwiegend öffentlicher Beteiligung,

?      die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften an Auftragnehmer, die nicht die finanzielle Voraussetzung eines vollständig eingezahlten Mindestgesellschaftskapitals von 10 Mio. Euro erfüllen, nichtig ist,

?      Rechtssubjekte, die im Register der privaten Rechtssubjekte eingetragen sind, die zur Abrechnung und Festsetzung der Abgaben und zur Beitreibung der Abgaben und sonstigen Einnahmen der Provinzen und der Gemeinden gemäß Art. 53 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 446 vom 15. Dezember 1997 mit späteren Änderungen berechtigt sind, ihr Gesellschaftskapital bis zur genannten Mindestgrenze aufstocken müssen,

?      die Annahme neuer Aufträge oder die Teilnahme an Ausschreibungen über die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und sonstigen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften bis zur Erfüllung der erwähnten Verpflichtung zur Aufstockung des Gesellschaftskapitals verboten ist,

der ordnungsgemäßen Anwendung der Art. 15 und 16 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt entgegen?

B.      Stehen die nationalen Bestimmungen des Art. 32 Abs. 7bis des Decreto-legge Nr. 185 vom 29. November 2008, eingefügt durch das Umwandlungsgesetz Nr. 2 vom 28. Januar 2009 und später geändert durch das Gesetz Nr. 14 vom 27. Februar 2009, wonach, außer im Fall von Gesellschaften mit überwiegend öffentlicher Beteiligung,

?      die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften an Auftragnehmer, die nicht die finanzielle Voraussetzung eines vollständig eingezahlten Mindestgesellschaftskapitals von 10 Mio. Euro erfüllen, nichtig ist,

?      Rechtssubjekte, die im Register der privaten Rechtssubjekte eingetragen sind, die zur Abrechnung und Festsetzung der Abgaben und zur Beitreibung der Abgaben und sonstigen Einnahmen der Provinzen und der Gemeinden gemäß Art. 53 Abs. 3 des Decreto legislativo Nr. 446 vom 15. Dezember 1997 mit späteren Änderungen berechtigt sind, ihr Gesellschaftskapital bis zur genannten Mindestgrenze aufstocken müssen,

?      die Annahme neuer Aufträge oder die Teilnahme an Ausschreibungen über die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und sonstigen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften bis zur Erfüllung der erwähnten Verpflichtung zur Aufstockung des Gesellschaftskapitals verboten ist,

der ordnungsgemäßen Anwendung der Art. 3, 10, 43, 49 und 81 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft entgegen?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

14.      Die Vorabentscheidungsersuchen sind am 19. Juli 2010 in der Kanzlei des Gerichtshofs eingetragen worden.

15.      Die Gemeinde Baranzate, die italienische und die niederländische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

V –    Prüfung der Vorlagefragen

16.      Die beiden Fragen, die mit den Vorlagebeschlüssen gestellt werden, betreffen, worauf ich bereits hingewiesen habe, die Vereinbarkeit einer nationalen Bestimmung mit der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr, so wie sie zum einen durch die Dienstleistungsrichtlinie geregelt werden und sich zum anderen unmittelbar aus dem Vertrag ergeben.

17.      Zwar wird die zweite Frage nicht formell als subsidiär gegenüber der ersten gestellt, doch kann, ohne dass dies zu gewagt wäre, angenommen werden, dass es die möglichen Schwierigkeiten hinsichtlich der Anwendbarkeit der Richtlinie auf die vorliegenden Fälle waren, die das vorlegende Gericht dazu veranlasst haben, an zweiter Stelle um eine Prüfung der in Rede stehenden nationalen Bestimmung am Maßstab der genannten Freiheiten, wie sie sich unmittelbar aus dem Vertrag ergeben, zu ersuchen.

A –    Erste Vorlagefrage

18.      In der ersten Vorlagefrage geht es darum, ob die wiederholt angeführte italienische Bestimmung, nach der Unternehmen, die den Zuschlag für Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften erhalten möchten, über ein vollständig eingezahltes Mindestgesellschaftskapital von 10 Mio. Euro verfügen müssen, weil sie anderenfalls nicht an dem entsprechenden Verfahren teilnehmen können bzw. die Vergabe gegebenenfalls für nichtig erklärt wird, mit den Art. 15 und 16 der Dienstleistungsrichtlinie vereinbar ist.

19.      Die zitierten Bestimmungen der Richtlinie sind jeweils Bestandteil der unterschiedlichen Regelung der beiden „Situationen“, in denen sich ein Dienstleistungserbringer befinden kann: der Situation „Niederlassungsfreiheit“ und der Situation „freier Dienstleistungsverkehr“, die rechtlichen Regelungen unterliegen, die etwas voneinander abweichen(10). Bevor ich mich der Frage zuwende, ob hier die eine oder die andere Regelung – oder sogar beide – einschlägig ist, ist es jedoch unumgänglich, auf die Anwendbarkeit der Richtlinie als solche einzugehen.

1.      Die Frage der Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie

20.      Die Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie wurde im Wesentlichen aus zwei unterschiedlichen Perspektiven in Frage gestellt: in zeitlicher und in materiell-rechtlicher Hinsicht.

a)      Einwände in zeitlicher Hinsicht: eine nationale Bestimmung, die während der Umsetzungsfrist erlassen wurde

21.      Sowohl der Erlass der streitigen nationalen Bestimmung als auch die Einleitung der Vergabeverfahren und die Entscheidungen über den Ausschluss der klagenden Unternehmen liegen vor dem 28. Dezember 2009, dem Datum, an dem die Frist für die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie endete (Art. 44 Abs. 1).

22.      Dieser Umstand ist jedoch aus der Perspektive der Niederlassungsfreiheit irrelevant, da Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie bestimmt, dass „[die Mitgliedstaaten a]b dem 28. Dezember 2006 … keine neuen Anforderungen der in Absatz 2 genannten Art einführen [dürfen], es sei denn, diese neuen Anforderungen erfüllen die in Absatz 3 aufgeführten Bedingungen“. Folglich ist die streitige Anforderung, die nach diesem Zeitpunkt eingeführt wurde, bereits im Licht des Art. 15 der Richtlinie zu beurteilen.

23.      Die Bestimmungen der Richtlinie zum freien Dienstleistungsverkehr enthalten keine entsprechende Stillhalteklausel; ungeachtet dessen gilt die oben getroffene Feststellung auch hier. Nach den Urteilen vom 18. Dezember 1997, Inter-Environnement Wallonie(11), und vom 5. April 2011, Société fiduciaire nationale d’expertise comptable(12), dürfen die Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die „geeignet sind, das in [einer] Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen“.

24.      Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im vorliegenden Fall nicht ersichtlich ist, dass die nationale Bestimmung vorläufigen Charakter haben sollte (sie wurde tatsächlich nur ein Jahr vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie erlassen)(13). Die kurze Geltungsdauer der streitigen Bestimmung ist daher weder ausreichend für die Annahme, dass es sich um eine bloße „Etappe“ bei der Umsetzung der Richtlinie handelte(14), noch für die Feststellung, dass sie nicht geeignet war, „das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen“: Angesichts des Wortlauts der beiden angeführten Urteile ist nicht entscheidend, ob die Maßnahme letztendlich das Ziel der Richtlinie beeinträchtigt hat, sondern ob sie geeignet war, es zu beeinträchtigen (sofern sie fortgalt).

b)      Materiell-rechtliche Einwände: Fälle, die vom Anwendungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie „ausgeschlossen“ sind

25.      Die Kommission weist zutreffend darauf hin, dass die Tätigkeit der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften in Italien eine „Dienstleistung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie darstellt und somit in deren Anwendungsbereich fällt (Art. 2 Abs. 1).

26.      Gegen die Anwendbarkeit der Dienstleistungsrichtlinie wird jedoch auch eine Reihe von Einwänden materiell-rechtlicher Art unter Berufung auf verschiedene Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich angeführt. Als Ausnahmebestimmungen sind diese eng und keinesfalls analog auszulegen. Im vorliegenden Fall ist meiner Ansicht nach keine der hier geltend gemachten Ausnahmen einschlägig.

27.      An erster Stelle ist darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben trotz ihres klaren Bezugs zur Ausübung der Besteuerungsbefugnis nicht als Tätigkeit betrachtet werden kann, die deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen ist, weil sie im Sinne von Art. 51 AEUV (Art. 2 Abs. 2 Buchst. i der Dienstleistungsrichtlinie) „mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden“ ist. Nach umfangreicher Rechtsprechung kann die in diesem Artikel des Vertrags vorgesehene Ausnahme nicht auf reine Hilfs‑ und Vorbereitungsfunktionen gegenüber einer Einrichtung ausgedehnt werden, die durch den Erlass der abschließenden Entscheidung tatsächlich öffentliche Gewalt ausübt. Der Gerichtshof hat darüber hinaus klargestellt, dass eine Berufung auf Art. 51 AEUV nicht in Betracht kommt, wenn die privaten Einrichtungen „unter der aktiven Überwachung der zuständigen Behörde“ Funktionen der öffentlichen Gewalt ausüben(15). Es ist klar, dass die italienische Rechtsordnung die Ausübung der Besteuerungsbefugnis im eigentlichen Sinne öffentlichen Einrichtungen vorbehält und die Beitreibung bestimmter Abgaben als eine Hilfstätigkeit betrachtet, die als indirekte Verwaltung unter der Aufsicht dieser Einrichtungen erbracht werden kann und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt.

28.      Ebenso wenig kann der hier geprüfte Sachverhalt aufgrund von Art. 2 Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie, der bestimmt, dass die Richtlinie nicht „für den Bereich der Steuern“ gilt, von ihrem Anwendungsbereich ausgeschlossen werden. Wie sich aus dem 29. Erwägungsgrund ergibt, sollen durch diesen Ausschluss steuerliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die besonderen Bestimmungen des Vertrags unterliegen, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden. Hingegen fallen Verwaltungstätigkeiten, die wie die in Rede stehende auf dem Gebiet der „Steuern“ erbracht werden, ebenso in den Anwendungsbereich der Richtlinie wie Tätigkeiten der Steuerberatung, die im 33. Erwägungsgrund der Richtlinie besonders erwähnt werden.

29.      Schließlich dürfte auch die in Art. 17 Nr. 5 der Richtlinie vorgesehene Ausnahme hier nicht relevant sein, nach der Art. 16 auf „die gerichtliche Beitreibung von Forderungen“ keine Anwendung findet, da die Tätigkeit ohne gerichtliche Beteiligung ausgeübt wird. 

30.      Nach alledem ist somit davon auszugehen, dass die Dienstleistungsrichtlinie auf den vorliegenden Fall anwendbar ist.

2.      Die betroffenen Freiheiten: zwei mögliche Situationen des Dienstleistungserbringers

31.      Durch die streitige nationale Bestimmung wird eindeutig eine an die betreffenden Dienstleistungserbringer gerichtete „Anforderung“ im Sinne der Dienstleistungsrichtlinie geschaffen. Mit anderen Worten: Ihre Regelung der Bedingungen der Leistungserbringung umfasst eine unverzichtbare Voraussetzung, die als „Anforderung“ eine Vereinbarkeitskontrolle mit der Richtlinie bestehen muss. Die Richtlinie sieht jedoch eine getrennte Regelung dieser „Anforderungen“ für die beiden Situationen vor, in denen eine Dienstleistung erbracht werden kann: die Situation der „Niederlassungsfreiheit“ und die Situation des „freien Dienstleistungsverkehrs“. Dies kommt bereits in der Formulierung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts zum Ausdruck, wenn es sowohl auf Art. 15 als auch auf Art. 16 der Richtlinie Bezug nimmt. Daher muss ermittelt werden, ob die streitige Bestimmung ausschließlich in Bezug auf die eine oder die andere Freiheit zu prüfen ist.

32.      Bei einer ersten Betrachtung erfüllt der vorliegende Fall die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit(16). Einerseits waren die streitigen Konzessionen nämlich von einer ziemlich langen Dauer (von vier bzw. fünf Jahren), und andererseits lässt sich eine Tätigkeit wie die Beitreibung von Abgaben schwerlich ohne eine Niederlassung oder eine „feste Einrichtung“ in der jeweiligen Gemeinde oder zumindest im Inland ausüben.

33.      Hinsichtlich der Dauer der Tätigkeit ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der Dienstleistung im Sinne des Vertrags auch Dienstleistungen umfassen kann, „deren Erbringung sich über einen längeren Zeitraum … erstreckt“(17). Nur „eine auf Dauer oder jedenfalls ohne absehbare zeitliche Beschränkung ausgeübte Tätigkeit [fällt] nicht unter die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr“(18). Die Erwartung, dass die Tätigkeit über vier oder fünf Jahre ausgeübt wird, reicht daher nicht aus.

34.      Ebenso wenig ist der Umstand entscheidend, dass eine bestimmte physische Basis in dem Staat, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird, vorhanden ist. Nach dem Urteil Gebhard ist „die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer im Sinne des Vertrages [nicht auszuschließen], sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist“(19). 

35.      Angesichts der vorstehenden Ausführungen und des Umstands, dass im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Dienstleistung sowohl in der einen als auch in der anderen Situation erbracht werden kann, bin ich der Ansicht, dass die streitige Bestimmung entsprechend dem Ersuchen des italienischen Gerichts sowohl im Licht der Niederlassungsfreiheit als auch im Licht des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 15 und 16 der Dienstleistungsrichtlinie) zu prüfen ist(20).

3.      Prüfung der streitigen Bestimmung im Licht des Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie (Niederlassungsfreiheit)

36.      In der Dienstleistungsrichtlinie sind die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, die – um die klassische Terminologie des Gerichtshofs zu verwenden – nicht gerechtfertigt werden können, und diejenigen, die gerechtfertigt werden können, sofern eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt ist, in zwei Listen aufgeführt. So werden in Art. 14 die sogenannten „unzulässigen Anforderungen“ aufgezählt, zu denen beispielsweise diskriminierende Anforderungen, das Staatsangehörigkeitserfordernis oder die Residenzpflicht gehören. Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nicht von einer dieser Anforderungen abhängig machen. In Art. 15 Abs. 2 wird hingegen eine Reihe von Anforderungen aufgezählt, die die Mitgliedstaaten aufrechterhalten können, sofern sie die Bedingungen des Abs. 3 erfüllen.

37.      Zu den Anforderungen, die dieser Bewertung oder „Prüfung“ unterliegen, gehören nach Art. 15 Abs. 2 Buchst. c die „Anforderungen im Hinblick auf die Beteiligungen am Gesellschaftsvermögen“. Man kann ohne Weiteres davon ausgehen, dass die Anforderung, die die streitige Bestimmung den Bewerbern um die Vergabe einer Konzession, wie sie hier in Rede steht, auferlegt (über ein vollständig eingezahltes Mindestgesellschaftskapital von 10 Mio. Euro zu verfügen), davon umfasst ist. Daher ist zu prüfen, ob sie die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie erfüllt: Nichtdiskriminierung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit.

a)      Nichtdiskriminierung

38.      Wie bereits ausgeführt wurde, findet die streitige Bestimmung auf In- und Ausländer Anwendung. Die Anforderung ist daher aus Sicht der Staatsangehörigkeit (und des Sitzes) weder mittelbar noch unmittelbar diskriminierend(21).

b)      Die Voraussetzung der „Erforderlichkeit“ bzw. das angeführte Ziel

39.      Die Dienstleistungsrichtlinie regelt unter der Überschrift „Erforderlichkeit“ die herkömmliche Voraussetzung, dass die Anforderung durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt sein muss(22). Konkret auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit bezieht sich dieses Erfordernis der „Erforderlichkeit“ darauf, dass „die Anforderungen … durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein [müssen]“ (Art. 15 Abs. 3 Buchst. c). Gemäß Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie sind unter „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ alle Gründe zu verstehen, „die der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als solche anerkannt hat“, einschließlich der anschließend aufgezählten Gründe(23). Diese Liste ist jedoch nur beispielhaft: Der Richtlinie lag offensichtlich nicht der Wille zugrunde, die Liste der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses auf die ausdrücklich in ihrem Art. 4 genannten zu beschränken, sondern es sollte auf eine allgemeine Kategorie Bezug genommen werden, die die Rechtsprechung immer als offen aufgefasst hat.

40.      Im vorliegenden Fall argumentieren die italienischen Behörden, die hier in Rede stehende Anforderung hinsichtlich des Mindestgesellschaftskapitals sei erforderlich, um die finanziellen Interessen der Gemeinden, die die Dienstleistung der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung ausgliedern, davor zu schützen, dass die Auftragnehmer zu gegebener Zeit nicht in der Lage sind, die beigetriebenen Beträge an die öffentlichen Kassen abzuführen, weil sie insolvent geworden sind.

41.      Diese von den italienischen Behörden vorgebrachte Rechtfertigung könnte daher als ein „zwingender Grund des Allgemeininteresses“ im Sinne des Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie betrachtet werden und grundsätzlich geeignet sein, die streitige Anforderung aus der Perspektive der Niederlassungsfreiheit zu rechtfertigen.

c)      Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit

42.      Eine andere Frage betrifft die Verhältnismäßigkeit.

43.      In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zur Rechtfertigung von Beschränkungen der im Vertrag gewährleisteten Freiheiten verlangt Art. 15 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie, dass die Anforderungen zur Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels geeignet sein müssen, nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen ersetzt werden können, die zum selben Ergebnis führen.

44.      Gegenüber der Eignung der hier in Rede stehenden Anforderung hinsichtlich des von den italienischen Behörden geltend gemachten Ziels, d. h. des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinden, bestehen keine Einwände. Es darf nämlich nicht außer Acht gelassen werden, dass die beigetriebenen Beträge nicht sofort an die Gemeinde weitergeleitet werden, sondern dass zwischen der Beitreibung und der Zahlung ein gewisser Zeitraum liegt(24), in dem der Konzessionsnehmer die Mittel verwenden kann, um Finanztransaktionen durchzuführen, mit denen er Gewinn erzielt und die gegebenenfalls ein Risiko mit sich bringen. In diesen Fällen würde das Gesellschaftskapital des Konzessionsnehmers eine geeignete Sicherheit für die Gemeinde als Gläubigerin darstellen.

45.      Trotz dieser „Eignung“ im Hinblick auf das verfolgte Ziel ist die streitige Maßnahme in zweifacher Hinsicht unverhältnismäßig.

46.      Erstens geht die Anforderung, über ein vollständig eingezahltes Mindestkapital von 10 Mio. Euro verfügen zu müssen, über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist, die öffentliche Verwaltung gegenüber einer eventuellen Nichterfüllung durch die Gesellschaft, an die die Dienstleistung vergeben wurde, zu schützen. Meiner Ansicht nach liegt das Problem weniger in der Höhe des festgelegten Betrags, sondern in dem völlig undifferenzierten Charakter der Maßnahme, die dieselbe quantitative Anforderung unabhängig von den beizutreibenden Beträgen und letztendlich der wirtschaftlichen Quantifizierung des Risikos, dem die Gemeinde als Gläubigerin ausgesetzt ist, vorsieht.

47.      In der Tat fällt es schwer, abstrakt zu bestimmen, ob der Betrag von 10 Mio. Euro eine angemessene Quantifizierung der finanziellen „Sicherheit“ darstellt, die ein privater Konzessionsnehmer der Gemeinde zu stellen hat, doch dürfte in jedem Fall offenkundig sein, dass, wenn das verfolgte Ziel darin besteht, der öffentlichen Verwaltung eine Art „Bürgschaft“ gegenüber dem Risiko anzubieten, dass die von dem Konzessionsnehmer beigetriebenen Beträge nicht rechtzeitig an die öffentlichen Haushalte überwiesen werden, der Betrag dieser Bürgschaft oder Sicherheit in Abhängigkeit von der Bedeutung dieses Risikos unterschiedlich ausfallen muss. Da die Beurteilung des subjektiven Risikos, dass der Konzessionsnehmer seine Verpflichtungen nicht erfüllt, offensichtlich keine leicht einzuschätzende oder vorhersehbare Variable ist(25), wäre es am zweckmäßigsten, von einer objektiven Risikobewertung auszugehen, d. h. der Steuererhebungskapazität der jeweiligen Gemeinde, denn je höher der Betrag ist, den der Auftragnehmer beitreiben kann, desto größer kann der Schaden sein, der der Kommunalverwaltung im Fall eines Zahlungsausfalls oder einer verspäteten Zahlung entstehen kann.

48.      Davon ausgehend kann die Quantifizierung dieser Steuererhebungskapazität (und letztendlich des objektiven Risikos, das die Gemeinde eingeht) mehr oder weniger exakt vorgenommen werden, indem entweder ausschließlich auf die Zahl der Steuerpflichtigen der jeweiligen Gemeinde abgestellt wird oder weitere Faktoren (z. B. Schätzungen auf der Grundlage der Erhebungen in vorangegangenen Steuerjahren) hinzugefügt werden und eine einzelfallbezogene Festlegung der Anforderung vorgenommen oder mit Gruppen oder Spannbreiten operiert wird. Offenkundig ist jedenfalls, dass auf die eine oder andere Weise nur eine solche Sicherheit als verhältnismäßig betrachtet werden kann, deren Betrag im Verhältnis zum potenziellen Risiko steht, das gedeckt werden soll.

49.      Voraussichtlich käme man mit einer derartigen Lösung zu dem Ergebnis, dass eine Garantie von 10 Mio. Euro nicht in allen Fällen erforderlich ist(26). Wenn es sich so verhalten sollte, wäre die streitige Anforderung unverhältnismäßig, da kleinen Unternehmen jede Möglichkeit eines Zugangs zu dieser Tätigkeit genommen würde.

50.      Zweitens bin ich der Ansicht, dass das Ziel des Schutzes der wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Gemeinden auf andere, weniger restriktive Art und Weise erreicht werden könnte, die darüber hinaus in den italienischen Bestimmungen über das öffentliche Auftragswesen bereits vorgesehen zu sein scheint. Das vorlegende Gericht hat auf das Decreto legislativo Nr. 163 vom 12. April 2006(27) Bezug genommen, in dem anscheinend allgemeine Anforderungen für die Teilnahme an Verfahren zur Vergabe von Aufträgen aufgestellt werden, die auch als Sicherheit dienen könnten, wie etwa die Stellung von Bürgschaften, der Nachweis der technischen und finanziellen Kapazität, der Solvenz und der Zuverlässigkeit usw.

51.      Aufgrund der vorstehenden Ausführungen käme man zu dem Ergebnis, dass Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie einer nationalen Bestimmung wie der hier fraglichen entgegensteht.

4.      Prüfung der streitigen Bestimmung im Licht des Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie (freier Dienstleistungsverkehr)

52.      Die Prüfung der streitigen Bestimmung im Licht der Regelung über den freien Dienstleistungsverkehr in Art. 16 der Richtlinie ist in gewissem Umfang gleichlaufend mit der soeben im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit durchgeführten Prüfung und führt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sie wegen fehlender Verhältnismäßigkeit mit der Richtlinie unvereinbar ist. Die Regelungen über die Niederlassungsfreiheit und den freien Dienstleistungsverkehr weisen jedoch einige Unterschiede auf, auf die eingegangen werden muss.

53.      Der erste Unterschied besteht darin, dass Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie im Gegensatz zu Art. 15 in seinem Abs. 2 lediglich eine Liste mit sechs Arten von Anforderungen enthält(28), ohne dass darunter eine Anforderung hinsichtlich des Gesellschaftskapitals genannt würde. Es steht jedoch nichts der Annahme entgegen, dass sie in die Anforderungen einbezogen ist, die in Art. 16 Abs. 1 allgemein geregelt werden, wobei Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 3 bestimmt, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen [dürfen]“, die gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Die Prüfung umfasst daher wiederum diese drei Voraussetzungen.

54.      Der zweite Unterschied betrifft die Definition der Voraussetzung der „Erforderlichkeit“, die für den Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs wesentlich enger ist als für den der Niederlassungsfreiheit. Im Gegensatz zu Art. 15 Abs. 3 verweist Art. 16 Abs. 1 Buchst. b nicht allgemein auf die durch die Rechtsprechung definierten „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“, sondern enthält stattdessen eine offenbar abschließende Liste von Zielen, die geeignet sind, die jeweilige Anforderung zu rechtfertigen: „[Gründe] der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt“(29).

55.      Dieser Text wirft die Frage auf, ob ein Ziel, wie es im Hinblick auf die streitige Anforderung geltend gemacht wird, unter eine der vier genannten Kategorien subsumiert werden kann. Ebenso hindert nichts daran, den abschließenden Charakter der Liste des Art. 16 Abs. 1 Buchst. b oder sogar ihre Vereinbarkeit mit den Bestimmungen des Vertrags und letztendlich die Gültigkeit der Richtlinie selbst insoweit in Frage zu stellen(30).

56.      Allerdings ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Fall des freien Dienstleistungsverkehrs die gleiche wie im Fall der Niederlassungsfreiheit, und in deren Rahmen besteht die streitige Bestimmung diese Prüfung nicht. Aufgrund dessen schlage ich dem Gerichtshof vor, im Fall des freien Dienstleistungsverkehrs unmittelbar die Verhältnismäßigkeit nach Maßgabe der Nrn. 45 bis 50 der vorliegenden Schlussanträge zu prüfen, ohne zuvor auf die Frage der Rechtmäßigkeit des angeführten Ziels einzugehen.

57.      Jedenfalls steht deshalb auch Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie einer nationalen Bestimmung wie der hier in Rede stehenden entgegen.

5.      Ergebnis hinsichtlich der ersten Vorlagefrage

58.      Angesichts der vorstehenden Ausführungen wäre der Schluss zu ziehen, dass die Art. 15 und 16 der Dienstleistungsrichtlinie einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, nach der Unternehmen, die sich um die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften bemühen, über ein vollständig eingezahltes Mindestgesellschaftskapital von 10 Mio. Euro verfügen müssen.

B –    Zweite Vorlagefrage

59.      In seiner zweiten Vorlagefrage greift das vorlegende Gericht auf das Primärrecht als Maßstab der Rechtmäßigkeit zurück und fragt, ob die streitige Norm mit den Art. 3 EG, 10 EG, 43 EG, 49 EG und 81 EG vereinbar ist.

60.      Meiner Ansicht nach ist der Teil der zweiten Vorlagefrage, der sich auf die Art. 3 EG(31), 10 EG(32) und 81 EG (Art. 101 AEUV) bezieht, für unzulässig zu erklären, und zwar mangels hinreichender Angaben zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, die es ermöglichen, die streitige Vorschrift mit den Bestimmungen des Vertrags über den Wettbewerb in Zusammenhang zu bringen. Dieses Erfordernis, das ständiger Rechtsprechung entspricht, „gilt ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist“(33). Nach Ausschluss dieser Bestimmungen beschränkt sich die zweite Vorlagefrage auf die Art. 43 EG und 49 EG (Art. 49 AEUV und 56 AEUV), d. h. auf die Vereinbarkeit der streitigen Bestimmung mit der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr.

61.      Nachdem die zweite Vorlagefrage auf diesen engen Rahmen zurückgeführt wurde und angesichts dessen, dass wir zu dem Ergebnis gelangt sind, dass die Dienstleistungsrichtlinie auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, wäre es nicht erforderlich, sie zu beantworten. Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass nach umfangreicher Rechtsprechung(34) die im Vertrag enthaltenen Vorschriften über Freiheiten in Bereichen, die Gegenstand einer Harmonisierung durch den Unionsgesetzgeber waren, keine Anwendung mehr finden(35).

62.      Jedenfalls würde, wenn man davon ausginge, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht anwendbar ist, eine Prüfung der streitigen Bestimmung im Licht des Vertrags im Kern nicht von den Ausführungen im vorangegangenen Abschnitt abweichen: Das Problem bestünde weiterhin in der Verhältnismäßigkeit der erlassenen beschränkenden Maßnahme.

63.      Selbstverständlich könnte einer „unmittelbaren“ Anwendung des Vertrags die rein interne Natur der Ausgangsverfahren nicht entgegengehalten werden. Zwar trifft es zu, dass eine nationale Regelung nur dann „Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten betreffen [kann], wenn sie auf Sachlagen anwendbar ist, die eine Verbindung zum innergemeinschaftlichen Handel aufweisen“. In der Rechtsprechung ist aber auch anerkannt, dass die Antwort des Gerichtshofs auf eine Frage zur Vereinbarkeit derartiger Regelungen mit dem Vertrag dem vorlegenden Gericht von Nutzen sein kann, wenn die fragliche Bestimmung unterschiedslos auf In- und Ausländer angewendet wird(36).

64.      Darüber hinaus hat der Umstand, dass die streitige nationale Bestimmung bereits aufgehoben wurde, keine Auswirkungen auf die oben gezogene Schlussfolgerung, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rechtssubjekte, die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind, während ihrer Geltungsdauer möglicherweise von ihr betroffen waren. Um hier eine Antwort auf das Vorbringen der italienischen Regierung zur Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens zu geben: Die Antwort des Gerichtshofs ist für die Entscheidung in rechtshängigen nationalen Rechtsstreitigkeiten erforderlich, zu denen die von Duomo, GSP und Irtel anhängig gemachten zählen.

65.      Demnach ist jedenfalls hilfsweise davon auszugehen, dass die Art. 49 AEUV und 56 AEUV einer nationalen Bestimmung wie der hier in Rede stehenden, die nach Maßgabe der Ausführungen in den Nrn. 45 bis 50 der vorliegenden Schlussanträge unverhältnismäßig ist, entgegenstehen.

VI – Ergebnis

66.      Im Ergebnis schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.      Eine nationale Bestimmung, wonach, außer im Fall von Gesellschaften mit überwiegend öffentlicher Beteiligung,

–      die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und anderen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften an Auftragnehmer, die nicht die finanzielle Voraussetzung eines vollständig eingezahlten Mindestgesellschaftskapitals von 10 Mio. Euro erfüllen, nichtig ist,

–      Rechtspersonen, die im Register der privaten Rechtspersonen eingetragen sind, die zur Abrechnung und Festsetzung der Abgaben und zur Beitreibung der Abgaben und sonstigen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften berechtigt sind, ihr Gesellschaftskapital bis zur genannten Mindestgrenze aufstocken müssen,

–      die Annahme neuer Aufträge oder die Teilnahme an Ausschreibungen über die Vergabe von Dienstleistungen der Abrechnung, Festsetzung und Beitreibung von Abgaben und sonstigen Einnahmen der lokalen Gebietskörperschaften bis zur Erfüllung der erwähnten Verpflichtung zur Aufstockung des Gesellschaftskapitals verboten ist,

steht den Art. 15 und 16 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt entgegen.

2.      Hilfsweise: Eine nationale Bestimmung, wie sie unter 1. definiert wurde, steht den Art. 49 AEUV und 56 AEUV entgegen.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – ABl. L 376, S. 36, im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie oder Richtlinie.


3 – Vgl. dazu Barnard, C., „Unravelling the Services Directive“, Common Market Law Review, 2008, S. 382 und 383, van de Gronden, J., und de Waele, H., „All’s well that bends well? The constitutional dimension to the Services Directive“, European Constitutional Law Review, 2010, S. 404, Klamert, M., „Of empty glasses and double burdens: approaches to regulating the Services Market à propos the implementation of the Services Directive“, Legal Issues of Economic Integration 37, Nr. 2 (2010), S. 129, und Mortelmans, K., „The relationship between the Treaty rules and Community measures for the establishment and functioning of the internal market – Towards a concordance rule“, Common Market Law Review, 2002, S. 1324 ff.


4 – Vgl. Barnard, C., a. a. O., S. 351, und De la Quadra-Salcedo Janini, T., „Mercado interior y Directiva de servicios“, Revista catalana de dret públic, Nr. 42, 2011, S. 257 bis 293.


5 – Vgl. van de Gronden, J., und de Waele, H., a. a. O., S. 41 ff. und Peglow, K., „La libre prestation de services dans la directive nº 2006/123/CE. Réflexion sur l’insertion dans le droit communautaire existant“, Revue trimestrielle de droit européen, 2008, § 62 ff.


6 – Decreto-legge über Eilmaßnahmen zur Unterstützung der Familien, der Arbeit, der Beschäftigung und der Unternehmen sowie zur Neudefinition des nationalen Strategierahmens im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Krise.


7 – GURI Nr. 22 vom 28. Januar 2009, Supplemento ordinario Nr. 14.


8 – GURI Nr. 71 vom 26. März 2010.


9 – GURI Nr. 120 vom 25. Mai 2010.


10 – Ich verwende diese Terminologie, die meiner Ansicht nach dem Grundgedanken einer Unionsregelung entspricht, deren wesentlicher Gegenstand die Dienstleistung ist, ohne dass es darauf ankommt, ob sie in einem Kontext der Niederlassung erfolgt.


11 – Rechtssache C‑129/96, Slg. 1997, I‑7411, Randnrn. 45 und 46.


12 – Rechtssache C‑119/09, Slg. 2011, I-2551, Randnrn. 19 und 20.


13 – Vgl. zu diesem Punkt Urteil vom 14. Juni 2007, Kommission/Belgien (C‑422/05, Slg. 2007, I‑4749, Randnrn. 64 bis 68), in dem der Gerichtshof den Umstand berücksichtigt hat, dass die mit einer Richtlinie unvereinbare nationale Regelung weniger als drei Monate vor Ablauf der Frist zu ihrer Umsetzung in Kraft getreten war.


14 – Vgl. hierzu Urteil Inter-Environnement Wallonie, Randnr. 49.


15 – Urteil vom 22. Oktober 2009, Kommission/Portugal (C‑438/08, Slg. 2009, I‑10219, Randnrn. 36 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 – Urteil vom 25. Juli 1991, Factortame u. a. (C‑221/89, Slg. 1991, I‑3905, Randnr. 20).


17 – Urteil vom 11. Dezember 2003, Schnitzer (C‑215/01, Slg. 2003, I‑14847, Randnrn. 30 und 31). Vgl. auch die Urteile vom 29. April 2004, Kommission/Portugal (C‑171/02, Slg. 2004, I‑5645, Randnr. 26), vom 16. Juli 2009, von Chamier-Glisczinski (C‑208/07, Slg. 2009, I‑6095, Randnr. 74), vom 26. Oktober 2010, Schmelz (C‑97/09, Slg. 2010, I-10465, Randnr. 42), und vom 18. November 2010, Kommission/Portugal (C‑458/08, Slg. 2010, I-11599, Randnr. 85).


18 – Urteile vom 5. Oktober 1988, Steyman (196/87, Slg. 1988, 6159, Randnr. 16), Schnitzer (Randnrn. 27 bis 29), und vom 7. September 2004, Trojani (C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573, Randnr. 28).


19 – Urteil vom 30. November 1995 (C‑55/94, Slg. 1995, I‑4165, Randnr. 27). Vgl. auch den 77. Erwägungsgrund der Richtlinie.


20 – Der Gerichtshof prüft eine in Rede stehende Maßnahme nur dann im Licht nur einer dieser beiden Freiheiten, wenn sich herausstellt, dass unter den Umständen des Einzelfalls eine der beiden Freiheiten gegenüber der anderen völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann. Vgl. die Urteile vom 24. März 1994, Schindler (C‑275/92, Slg. 1994, I‑1039, Randnr. 22), vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, Slg. 2002, I‑607, Randnr. 31), und vom 3. Oktober 2006, Fidium Finanz (C‑452/04, Slg. 2006, I‑9521, Randnr. 34).


21 – Eine mögliche Diskriminierung privater Unternehmen gegenüber Unternehmen mit überwiegend öffentlicher Beteiligung (für die diese Anforderung nicht gilt) wäre im Hinblick auf diese erste Voraussetzung irrelevant, da die Richtlinie ausschließlich Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder des Sitzes betrifft. Im Übrigen könnte die Ungleichbehandlung angesichts des verfolgten Ziels gerechtfertigt sein, und es handelt sich jedenfalls nicht um eine Problematik, die sich in der vorliegenden Rechtssache unmittelbar stellt.


22 – Dies kann Verwirrung stiften angesichts dessen, dass die Prüfung der „Erforderlichkeit“ traditionell als ein Abschnitt oder Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung betrachtet wird.


23 – Es handelt sich um folgende Gründe: „öffentliche Ordnung; öffentliche Sicherheit; Sicherheit der Bevölkerung; öffentliche Gesundheit; Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme der sozialen Sicherung; Schutz der Verbraucher, der Dienstleistungsempfänger und der Arbeitnehmer; Lauterkeit des Handelsverkehrs; Betrugsbekämpfung; Schutz der Umwelt und der städtischen Umwelt; Tierschutz; geistiges Eigentum; Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes; Ziele der Sozialpolitik und Ziele der Kulturpolitik“.


24 – Die Zahlung erfolgt am Ende des Quartals.


25 – Der italienische Gesetzgeber hat diesen Umstand in gewissem Maß bereits berücksichtigt, indem er die Anforderung nicht auf Unternehmen mit überwiegend öffentlicher Beteiligung anwendet, hinter denen die öffentlichen Haushalte stehen.


26 – Der italienische Gesetzgeber hat diesen Mangel an Verhältnismäßigkeit implizit anerkannt, als er im Jahr 2010 die streitige Bestimmung änderte. In der neuen Regelung nach dem bereits angeführten Gesetz Nr. 73 aus 2010 richtet sich die Mindestkapitalanforderung nach der Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde, so dass jetzt nur dann noch ein Kapital von 10 Mio. Euro erforderlich ist, wenn die Tätigkeit in Provinzen oder Gemeinden mit mehr als 200 000 Einwohnern ausgeübt werden soll (geht es um die Erhebung für eine Gemeinde mit weniger als 100 000 Einwohnern oder mehrere, die insgesamt nicht mehr als 100 000 Einwohner haben, beläuft sich der erforderliche Betrag auf 1 Mio. Euro, bei Gemeinden mit weniger als 200 000 Einwohnern auf 5 Mio. Euro).


27 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006).


28 – Es handelt sich offenbar um Anforderungen, die gerechtfertigt sein können, denn Art. 16 Abs. 3 bestimmt, dass „[d]er Mitgliedstaat, in den sich der Dienstleistungserbringer begibt, … nicht daran gehindert [ist], unter Beachtung des Absatzes 1 Anforderungen in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen zu stellen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sind. …“


29 – Mit Ausnahme des Schutzes der Umwelt, dessen Eigenschaft als im Allgemeininteresse stehendes Ziel in der Rechtsprechung verankert ist, entsprechen die übrigen drei den in Art. 52 AEUV (der gemäß Art. 62 AEUV auch auf den freien Dienstleistungsverkehr anwendbar ist) genannten Zielen.


30 – In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Société fiduciaire nationale d’expertise comptable vom 18. Mai 2010 hat Generalanwalt Mazák bereits hervorgehoben, dass der möglicherweise einschränkende Charakter der Auflistung in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b anderen Bestimmungen der Dienstleistungsrichtlinie zuwiderlaufen könnte, insbesondere Art. 24 Abs. 2: „Auf den ersten Blick scheinen berufsrechtliche Regeln, die eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen, nur durch die vier in Art. 16 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/123 genannten Gründe gerechtfertigt werden zu können. Eine solche Auslegung hätte jedoch zur Folge, dass Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/123 gegenstandslos würde, der die Gründe nennt, die das Bestehen einer berufsrechtlichen Regel wie des Verbots der Kundenakquise rechtfertigen können, nämlich die Gewährleistung der Unabhängigkeit, der Würde und der Integrität des reglementierten Berufsstands sowie die Wahrung des Berufsgeheimnisses. Es kann nicht verlangt werden, dass dieselben berufsrechtlichen Regeln zugleich auch die anderen Rechtfertigungsgründe berücksichtigen“ (Nr. 62).


31 – Mittlerweile aufgehoben. Sein Inhalt wurde in die Art. 3 AEUV bis 6 AEUV übernommen.


32 – Mittlerweile aufgehoben. Sein Inhalt wurde in Art. 4 Abs. 3 EUV über die loyale Zusammenarbeit übernommen.


33 – Urteile vom 26. Januar 1993, Telemarsicabruzzo u. a. (C‑320/90 bis C‑322/90, Slg. 1993, I‑393, Randnr. 7), vom 13. April 2000, Lehtonen und Castors Braine (C‑176/96, Slg. 2000, I‑2681, Randnr. 22), vom 17. Februar 2005, Viacom Outdoor (C‑134/03, Slg. 2005, I‑1167, Randnr. 23), vom 23. November 2006, Asnef-Equifax und Administración del Estado (C‑238/05, Slg. 2006, I‑11125, Randnr. 23), vom 13. Dezember 2007, United Pan-Europe Communications Belgium u. a. (C‑250/06, Slg. 2007, I‑11135, Randnr. 20), und vom 11. März 2010, Attanasio Group (C‑384/08, Slg. 2010, I‑2055, Randnr. 32).


34 – Vgl. in diesem Sinne die Urteile vom 5. Oktober 1977, Tedeschi (5/77, Slg. 1977, 1555, Randnr. 35), vom 23. November 1989, Parfümeriefabrik 4711 (C‑150/88, Slg. 1989, 3891, Randnr. 28), vom 12. Oktober 1993, Vanacker und Lesage (C‑37/92, Slg. 1993, I‑4947, Randnr. 9), vom 23. Mai 1996, Hedley Lomas (C‑5/94, Slg. 1996, I‑2553, Randnr. 18), vom 19. März 1998, Compassion in World Farming (C‑1/96, Slg. 1998, I‑1251, Randnr. 47), vom 25. März 1999, Kommission/Italien (C‑112/97, Slg. 1999, I‑1821, Randnr. 54), vom 11. Mai 1999, Monsees (C‑350/97, Slg. 1999, I‑2921, Randnr. 24), vom 13. Dezember 2001, Daimler Chrysler (C‑324/99, Slg. 2001, I‑9897, Randnr. 32), vom 22. Oktober 2002, National Farmers’ Union (C‑241/01, Slg. 2002, I‑9079, Randnr. 48), vom 24. Oktober 2002, Linhart und Biffl (C‑99/01, Slg. 2002, I‑9375, Randnr. 18), vom 24. Januar 2008, Roby Profumi (C‑257/06, Slg. 2008, I‑189, Randnr. 14), und vom 30. April 2009, Lidl Magyarország (C‑132/08, Slg. 2009, I‑3841, Randnr. 42). Vgl. auch die Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed vom 4. Juli 2002 (gemeinsame Schlussanträge in den Rechtssachen Kommission/Österreich [C‑221/00, Urteil vom 23. Januar 2003, Slg. 2003, I‑1007] sowie Sterbenz und Haug [C‑421/00, C‑426/00 und C‑16/01, Urteil vom 23. Januar 2003, Slg. 2003, I‑1065], Nr. 45). Der Generalanwalt weist auch auf einen gewissen Mangel an Kohärenz der Rechtsprechung in Bezug auf diesen Punkt hin (Nr. 44).


35 – Diese Rechtsprechung ist hier meiner Ansicht nach ungeachtet dessen anwendbar, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht dem „klassischen“ Modell einer Harmonisierungsnorm der Union entspricht.


36 – Urteile vom 5. Dezember 2000, Guimont (C‑448/98, Slg. 2000, I‑10663, Randnr. 21), vom 11. September 2003, Anomar u. a. (C‑6/01, Slg. 2003, I‑8621, Randnr. 39), vom 30. März 2006, Servizi Ausiliari Dottori Commercialisti (C‑451/03, Slg. 2006, I‑2941, Randnr. 29), vom 11. März 2010, Attanasio Group (oben in Fn. 36 angeführt, Randnrn. 23 und 24), und vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C‑570/07 und C‑571/07, Slg. 2010, I-4629, Randnrn. 39 und 40).