Language of document : ECLI:EU:C:2013:90

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 21. Februar 2013(1)

Verbundene Rechtssachen C‑523/11 und C‑585/11

Laurence Prinz

gegen

Region Hannover

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Hannover [Deutschland])


Philipp Seeberger

gegen

Studentenwerk Heidelberg

(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe [Deutschland])

„Freizügigkeit der Unionsbürger – Finanzmittel für die Hochschulausbildung im Ausland – Wohnsitzerfordernis – ‚Drei-Jahre-Regel‘ – Verhältnismäßigkeit“





1.        Deutschland gehört zu den Mitgliedstaaten, in denen Unionsbürger Finanzmittel für eine Hochschulausbildung in Einrichtungen im übrigen Unionsgebiet beantragen können. Frau Prinz und Herr Seeberger, die beide die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, beantragten solche Finanzmittel. Ihre Anträge wurden abgelehnt, weil beide nicht nachweisen können, dass sie unmittelbar vor Aufnahme des Auslandsstudiums drei Jahre ihren ununterbrochenen Wohnsitz in Deutschland hatten (im Folgenden: Drei-Jahre-Regel). Nach dem Vorbringen der deutschen Regierung dient die Drei-Jahre-Regel dazu, der Gefahr einer übermäßigen finanziellen Belastung zu begegnen, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der zur Verfügung stehenden Beihilfe haben könne (im Folgenden: wirtschaftlicher Zweck), diejenigen Personen zu bestimmen, die in die deutsche Gesellschaft integriert seien, und sicherzustellen, dass die Finanzmittel denjenigen Studierenden gewährt würden, bei denen die höchste Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie nach dem Studium nach Deutschland zurückkehren und dort einen Beitrag zur Gesellschaft leisten (im Folgenden: gesellschaftlicher Zweck). Studierenden, die die dreijährige Innehabung eines ständigen Wohnsitzes nicht nachweisen können, wird die Ausbildungsförderung für die Gesamtdauer ihres Auslandsstudiums verweigert. Sie können jedoch Ausbildungsförderung für das erste Jahr des Studiums im Ausland oder für die gesamte Dauer des Studiums in Deutschland erhalten.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

2.        Art. 20 AEUV lautet:

„(1)       Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt sie aber nicht.

(2)       Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem

a)      das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;

Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.“

3.        Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger „das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten“.

4.        Gemäß Art. 165 Abs. 1 AEUV tragen die Mitgliedstaaten Verantwortung „für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems“. Außerdem heißt es in dieser Vorschrift, dass „[d]ie Union … zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung dadurch bei[trägt], dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten … erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt“. Nach Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich gehört zu den Zielen der Tätigkeit der Union u. a. die „Förderung der Mobilität von Lernenden“.

 Richtlinie 2004/38/EG

5.        Art. 24 der Richtlinie 2004/38(2) bestimmt:

„(1)       Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.

(2)       Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen … vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt[(3)] Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.“

 Nationales Recht

6.        Im deutschen Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz – BAföG) sind die Voraussetzungen für den Bezug von Finanzmitteln für die Ausbildung geregelt. Es wurde mehrmals geändert(4), u. a. auch, um dem Urteil des Gerichtshofs in den Rechtssachen Morgan und Bucher(5) Rechnung zu tragen. In dem genannten Urteil hatte der Gerichtshof entschieden, dass die jetzigen Art. 20 und 21 AEUV einer Voraussetzung wie derjenigen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG (a. F.) entgegenstehe, wonach die Förderung des Besuchs einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte davon abhängt, ob diese Ausbildung die Fortsetzung einer mindestens einjährigen Ausbildung im Herkunftsmitgliedstaat darstellt (im Folgenden: Erfordernis einer ersten Ausbildungsphase).

7.        Der neu gefasste § 5 Abs. 1 definiert den Begriff „ständiger Wohnsitz“ als den Ort, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den Willen zur ständigen Niederlassung ankommt. Außerdem ist darin bestimmt, dass eine Person, die sich lediglich zum Zweck der Ausbildung an einem Ort aufhält, dort nicht ihren ständigen Wohnsitz begründet hat.

8.        Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 BAföG wird Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland haben, Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch einer in einem EU-Mitgliedstaat oder in der Schweiz gelegenen Ausbildungsstätte, wenn dort eine Ausbildung aufgenommen oder fortgesetzt wird.

9.        Gemäß § 6 („Förderung der Deutschen im Ausland“) kann Deutschen, die ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben, dort oder in einem Nachbarstaat Ausbildungsförderung geleistet werden, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen.

10.      Nach § 8 Abs. 1 können deutsche Staatsangehörige sowie andere Unionsbürger, die ein Recht auf Daueraufenthalt besitzen, Ausbildungsförderung beantragen.

11.      In § 16 ist die Dauer der Ausbildungsförderung festgelegt. Die Drei-Jahre-Regel ist in § 16 Abs. 3 wie folgt normiert:

„In den Fällen … des § 5 Abs. 2 Nr. … 3 wird Ausbildungsförderung … nur dann über ein Jahr hinaus [geleistet], wenn der Auszubildende bei Beginn eines nach dem 31. Dezember 2007 aufgenommenen Auslandsaufenthalts bereits seit mindestens drei Jahren seinen ständigen Wohnsitz im Inland hatte.“

12.      Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der deutschen Regierung, mit dem die Drei-Jahre-Regel eingeführt wurde, soll damit vermieden werden, dass eine Förderung komplett im Ausland verbrachter Ausbildungsgänge auch Auszubildenden geleistet werde, die sich selbst kaum jemals in Deutschland aufgehalten hätten. Es gelte der deutsche bildungspolitische Grundsatz, dass der Bezug der Ausbildungsförderungsleistungen voraussetze, dass entweder auch eine Ausbildung innerhalb Deutschlands absolviert werde oder wenigstens eine besondere Bindung zu Deutschland bestehe. Eine Residenzpflicht als zusätzliche Voraussetzung für eine längerfristige Auslandsförderung sei auch in anderen Mitgliedstaaten verbreitet. Sie konkretisiere das berechtigte Interesse des Sozialleistungen erbringenden Staates daran, seine finanziellen Leistungen aus öffentlichen Haushalten auf einen Personenkreis zu beschränken, der ein Mindestmaß an Näheverhältnis zu dem leistenden Staat aufweisen könne.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

 Prinz

13.      Laurence Prinz wurde 1991 in Köln geboren und ist deutsche Staatsangehörige. Sie lebte mit ihrer Familie ungefähr zehn Jahre lang in Tunesien, wo ihr Vater für eine deutsche Firma tätig war. Seit Januar 2007 wohnt sie mit ihrer Familie in Deutschland.

14.       Ab Februar 2007 besuchte Frau Prinz die Schule in Deutschland und schloss den Schulbesuch dort im Juni 2009 mit dem Abitur ab. Am 1. September 2009 begann sie ein Studium an der Erasmus-Universität in den Niederlanden in der Fachrichtung Business Management.

15.      Vor Aufnahme des Studiums in den Niederlanden beantragte Frau Prinz am 18. August 2009 bei der zuständigen deutschen Behörde Ausbildungsförderung. Mit Bescheid vom 30. April 2010 wurde ihr Ausbildungsförderung für das Studienjahr 2009/10 gewährt.

16.      Frau Prinz stellte einen Folgeantrag auf Ausbildungsförderung für das nächste Studienjahr. Dieser wurde mit Bescheid vom 4. Mai 2010 mit der Begründung abgelehnt, dass Frau Prinz erst seit Januar 2007 ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland habe und daher die Voraussetzungen der Drei-Jahre-Regel nicht erfülle.

17.      Gegen diesen Bescheid erhob Frau Prinz Klage beim Verwaltungsgericht Hannover. Sie macht erstens geltend, dass sie insgesamt drei Jahre und vier Monate, nämlich von September 1993 bis April 1994(6) und von Januar 2007 bis August 2009 ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt habe. Zweitens trägt sie vor, ein Wohnsitzerfordernis wie die Drei-Jahre-Regel verletze das in Art. 21 AEUV verankerte Recht auf Freizügigkeit.

18.      Die Dritte Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stellt es eine unionsrechtlich nicht gerechtfertigte Beschränkung des durch Art. 20, 21 AEUV verliehenen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt für Unionsbürger dar, wenn einer deutschen Staatsangehörigen, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland hat und eine Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union besucht, Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) für den Besuch dieser ausländischen Ausbildungsstätte lediglich für ein Jahr gewährt wird, weil sie bei Beginn des Auslandsaufenthalts nicht bereits seit mindestens drei Jahren ihren ständigen Wohnsitz im Inland hatte?

19.      Die dänische, die deutsche, die finnische, die griechische, die niederländische, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die genannten Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der niederländischen Regierung haben in der Sitzung vom 29. November 2012 mündlich verhandelt.

 Seeberger

20.      Philipp Seeberger ist deutscher Staatsangehöriger. Er wurde 1983 in Deutschland geboren und lebte mit seinen Eltern, die ebenfalls deutsche Staatsangehörige sind, dort bis 1994. Von 1989 bis 1994 besuchte er die Grundschule und ein Gymnasium in Deutschland.

21.      Von 1994 bis Dezember 2005 lebte Herr Seeberger mit seinen Eltern in Spanien, wo sein Vater als selbständiger Unternehmensberater tätig war. Nach Angaben des nationalen Gerichts machte der Vater von Herrn Seeberger dabei von seinen Rechten aus den jetzigen Art. 45 und 49 AEUV Gebrauch. Herr Seeberger beendete seine Sekundarschulausbildung in Spanien, nachdem er im Jahr 2000 den Schulabschluss der Mittleren Reife erlangt hatte. Nach einer beruflichen Ausbildung in den Jahren 2004 bis 2005 erwarb er im April 2005 immer noch in Spanien den Abschluss eines Immobilienfachwirts. Im Januar 2006 kehrten die Eltern von Herrn Seeberger nach Deutschland zurück. Obwohl Herr Seeberger behauptet, ebenfalls ab diesem Zeitpunkt in Deutschland seinen ständigen Wohnsitz gehabt zu haben, war er in München erst ab dem 26. Oktober 2009 gemeldet. Aus einer Bescheinigung eines früheren Arbeitgebers scheint hervorzugehen, dass er vom 2. April 2007 bis 27. Juni 2007 in Köln ein Praktikum als Webdesigner absolvierte.

22.      Im April 2009 legte Herr Seeberger eine externe Prüfung ab, die ihm die Zulassung zu einem Studium an der Universität der Balearen/Palma de Mallorca ermöglicht. Im September 2009 nahm er dort das Studium der Wirtschaftswissenschaften auf. Für diese Ausbildung beantragte er in Deutschland Ausbildungsförderung.

23.      Die zuständige deutsche Behörde lehnte den Antrag ab, weil es an ausreichenden Anhaltspunkten dafür fehle, dass Herr Seeberger tatsächlich in den letzten drei Jahren vor Ausbildungsbeginn seinen ständigen Wohnsitz in Deutschland begründet habe.

24.      Gegen diese Entscheidung legte Herr Seeberger Widerspruch mit der Begründung ein, die Drei-Jahre-Regel verletze sein Unionsbürgerrecht auf Freizügigkeit. Nach der Zurückweisung dieses Widerspruchs erhob Herr Seeberger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe. Dort macht er geltend, dass er in seinem Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigt werde, da die Drei-Jahre-Regel von ihm verlange, auf seinen ständigen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat zu verzichten und den ständigen Wohnsitz so rechtzeitig nach Deutschland zurückzuverlegen, dass er Ausbildungsförderung für ein Auslandsstudium in Anspruch nehmen könne.

25.      Die Fünfte Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Steht Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegen, die die Bewilligung von Ausbildungsförderung für das Studium in einem anderen Mitgliedstaat ausschließlich aus dem Grund versagt, weil der Auszubildende, der vom Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat, bei Studienbeginn nicht seit mindestens drei Jahren den ständigen Wohnsitz in seinem Herkunftsmitgliedstaat hat?

26.      Herr Seeberger, die dänische, die deutsche, die finnische, die niederländische, die österreichische und die schwedische Regierung sowie die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die genannten Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der niederländischen Regierung haben in der Sitzung vom 29. November 2012 mündlich verhandelt; die griechische Regierung hat ebenfalls daran teilgenommen und mündliche Ausführungen gemacht.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

27.      In beiden Rechtssachen wird der Gerichtshof um Prüfung der Frage ersucht, ob die Art. 20 und 21 AEUV es einem Mitgliedstaat verwehren, die Ausbildungsförderung für ein Auslandsstudium von einem Wohnsitzerfordernis wie der Drei-Jahre-Regel abhängig zu machen.

28.      Das vorlegende Gericht in der Rechtssache Seeberger hat im Gegensatz zum Vorlagegericht in der Rechtssache Prinz seine Frage so formuliert, dass offengelassen wird, ob es sich bei dem Auszubildenden um einen Staatsangehörigen des die Leistungen gewährenden Mitgliedstaats handelt. Aus dem Vorlagebeschluss in der Rechtssache Seeberger geht jedoch im Weiteren hervor, dass es um Hinweise bezüglich der Rechtsstellung eines deutschen Staatsangehörigen ersucht.

29.      Ehe Frau Prinz und Herr Seeberger von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machten, um ein Studium in einem anderen Land in der Union zu absolvieren, hatten sie Deutschland aus unterschiedlichen Gründen verlassen. Frau Prinz hielt sich außerhalb der Union auf, als ihr Vater eine Beschäftigung in Tunesien aufnahm. Herr Seeberger begab sich nach Spanien, als sein Vater sein Recht auf Niederlassungsfreiheit wahrnahm, um dort einer selbständigen Tätigkeit nachzugehen.

30.      Im Gegensatz zu Frau Prinz scheint Herr Seeberger bereits zuvor sein unionsrechtlich verliehenes Freizügigkeitsrecht ausgeübt zu haben. Dies spielt aber für die Untersuchung der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen keine Rolle, da beide Auszubildenden sich als Unionsbürger gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat gegebenenfalls auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte – u. a. das Freizügigkeitsrecht – berufen können(7), um in einem anderen Land in der Union zu studieren. Die Kommission wirft dennoch die Frage auf, ob die Stellung von Herrn Seeberger auch unter dem Aspekt des Rechtsbereichs der Niederlassungsfreiheit geprüft werden sollte. Ich werde diesen Punkt im Rahmen der Problematik des einschlägigen Rechtsbereichs behandeln(8).

31.      Der Gerichtshof hat sich bereits mehrmals mit der Frage befasst, ob die Mitgliedstaaten die Ausbildungsförderung von einem Wohnsitzerfordernis abhängig machen dürfen, das im Wesentlichen mit dem hier streitigen vergleichbar ist. Die zugrunde liegenden Sachverhalte der beim Gerichtshof anhängig gemachten Rechtssachen waren dabei unterschiedlich ausgestaltet. Es ging um Wanderarbeitnehmer und die von ihnen abhängigen Familienangehörigen(9), aber auch um Studierende, die ihren Anspruch auf Ausbildungsfinanzierung nicht auf eine Beziehung zu einem wirtschaftlich tätigen Unionsbürger gestützt haben(10). Gegenstand waren Anträge auf Finanzmittel des Herkunftsmitgliedstaats(11), des Beschäftigungsmitgliedstaats(12) oder des Aufnahmemitgliedstaats, in dem der Auszubildende studieren will(13). Einige Fälle stammten aus der Zeit vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38, während andere unmittelbar oder mittelbar Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie betrafen. Vielfach wurde zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahmen u. a. geltend gemacht, dass damit eine übermäßige Belastung des öffentlichen Haushalts des die Finanzmittel gewährenden Mitgliedstaats vermieden und/oder die Ermittlung derjenigen Personen ermöglicht werde, die eine hinreichende Bindung an den betreffenden Mitgliedstaat aufwiesen, und derjenigen, die nach dem Studium wahrscheinlich in den die Leistungen gewährenden Mitgliedstaat zurückkehren würden.

32.      Der Gerichtshof erkennt den Mitgliedstaaten zwar einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung zu, ob und in welcher Weise ein Studium finanziert wird und wem diese Finanzmittel gewährt werden sollen, er hat meines Erachtens jedoch weniger deutlich dargelegt, welche Gesichtspunkte im Einzelnen bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob eine bestimmte Beschränkung gerechtfertigt werden kann. Genügt es, wenn ein Mitgliedstaat auf den wirtschaftlichen Zweck verweist, oder muss er auch dartun, dass die Gefahr einer übermäßigen finanziellen Belastung besteht? Kann ein Mitgliedstaat eine Beschränkung wie die Drei-Jahre-Regel mit dem Ziel rechtfertigen, dass die Ausbildungsförderung Studierenden gewährt werden soll, die einen gewissen Grad der Integration nachweisen können, ohne dass es auf Bedenken wegen der finanziellen Kosten der Regelung ankäme? Ist es angebracht, die Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung wie der Drei-Jahre-Regel im Hinblick auf den wirtschaftlichen Zweck anhand des Kriteriums zu beurteilen, ob die Regelung nicht restriktiver ist, als zur Feststellung des verlangten Grads der Integration erforderlich ist?

33.      Diese und möglicherweise auch andere Unsicherheiten mögen erklären, weshalb einige Mitgliedstaaten weiterhin ein Wohnsitzerfordernis als alleinige Maßnahme zur Erreichung sicherlich komplexer Ziele einsetzen, weshalb in den vorliegenden Verfahren sechs Mitgliedstaaten als Streithelfer zur Unterstützung Deutschlands auftreten und weshalb der Gerichtshof wiederholt um Entscheidung der Frage ersucht wird, ob eine bestimmte Variante eines Wohnsitzerfordernisses unionsrechtskonform ist.

 Einschlägiger Rechtsbereich

34.      Die Vorlagegerichte haben den Gerichtshof ausschließlich um Auslegung der Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft ersucht.

35.      Sie haben den Gerichtshof sicherlich zu Recht nicht um Prüfung von Art. 24 der Richtlinie 2004/38 gebeten. Diese Vorschrift regelt die Voraussetzungen, unter denen ein Aufnahmemitgliedstaat aufgrund der Richtlinie verpflichtet ist, in seinem Hoheitsgebiet wohnende Unionsbürger und seine eigenen Staatsangehörigen u. a. auch bei Studienbeihilfen gleichzubehandeln. Es ist jedoch nicht davon die Rede, dass Frau Prinz und Herr Seeberger Finanzmittel in den Niederlanden bzw. in Spanien beantragt hätten. Sie haben ihre Anträge auf Ausbildungsförderung vielmehr bei ihrem Herkunftsmitgliedstaat gestellt.

36.      Was ist also von dem Vorschlag der Kommission zu halten, die Stellung von Herrn Seeberger auch unter dem Aspekt des Rechtsbereichs der Niederlassungsfreiheit zu untersuchen?

37.      Als Herr Seeberger und seine Familie von dem Recht, sich nach Spanien zu begeben, Gebrauch machten, galt die Drei-Jahre-Regel noch nicht. Diese kann daher den ursprünglichen Umzug nicht beeinflusst haben.

38.      Jetzt, da die Regel in Kraft ist, könnte sie allerdings durchaus eine abschreckende Wirkung auf Unionsbürger haben, die eine Ausübung ihrer Freizügigkeitsrechte innerhalb der Union als Arbeitnehmer, als Selbständige oder einfach als Bürger ins Auge fassen. Sie benachteiligt außerdem diejenigen Personen, die von diesen Rechten Gebrauch gemacht haben und nicht rechtzeitig nach Deutschland zurückkehren, um die Voraussetzungen der Drei-Jahre-Regel zu erfüllen.

39.      Das vorlegende Gericht wurde angerufen, um die Rechtmäßigkeit des Bescheids zu überprüfen, mit dem Herrn Seeberger die Ausbildungsförderung verweigert wurde. Es hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob Herr Seeberger von seinen Eltern (oder einem Elternteil) immer noch Unterhalt bezieht oder – wenn jetzt nicht mehr – früher bezogen hat. Dem Gerichtshof liegen daher nicht genügend Erkenntnisse darüber vor, ob das vorlegende Gericht die bei ihm anhängige Rechtssache unter dem Gesichtspunkt prüfen sollte, ob Herr Seeberger seine Freizügigkeitsrechte im Zusammenhang mit i) der Wahrnehmung der Niederlassungsfreiheit seines Vaters durch diesen und ii) dessen anschließender Entscheidung zur Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat ausgeübt hat.

40.      Ich füge hinzu, dass die Vorlagebeschlüsse keine Anhaltspunkte dafür enthalten, dass sich Frau Prinz und Herr Seeberger auf ihren Status als wirtschaftlich tätige Unionsbürger oder auf relevante Familienbeziehungen zu z. B. einem Wanderarbeitnehmer in Deutschland berufen. Ebenso wie die Vorlagegerichte werde ich daher die Prüfung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Art. 20 und 21 AEUV vornehmen.

 Definition des Begriffs „Wohnsitz“

41.      Wo man sich physisch aufhält, ist eine Tatsachenfrage. Der Ort, an dem eine Person tatsächlich wohnt oder als wohnhaft gemeldet ist, mag jedoch nicht unbedingt dem Ort entsprechen, den ein Mitgliedstaat rechtlich als ständigen Wohnsitz des Betreffenden definiert.

42.      Die Drei-Jahre-Regel knüpft an das Kriterium des ununterbrochen bestehenden ständigen Wohnsitzes an. Nach § 5 Abs. 1 BAföG ist der ständige Wohnsitz „an dem Ort begründet, der nicht nur vorübergehend Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ist, ohne dass es auf den Willen zur ständigen Niederlassung ankommt“.

43.      Zumindest im Fall von Herrn Seeberger hat es hingegen den Anschein, dass die Entscheidung, ihm die Ausbildungsförderung zu verweigern, auf einen anderen Wohnsitzbegriff gestützt wurde. Herr Seeberger behauptet, seit Januar 2006 seinen Wohnsitz in Deutschland gehabt zu haben, er war aber erst ab 26. Oktober 2009 in München als Einwohner gemeldet.

44.      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung mitgeteilt, dass die zuständigen Behörden mitunter das Meldedatum als Anhaltspunkt bei der Entscheidung über die Erfüllung der Voraussetzungen der Drei-Jahre-Regel heranzögen. Werde die Ausbildungsförderung verweigert, weil der Zeitraum zwischen Wohnsitzanmeldung und Beginn des Auslandsstudiums kürzer als drei Jahre sei, habe der Antragsteller die Möglichkeit, diese Entscheidung vor den deutschen Gerichten anzufechten und Nachweise zu erbringen, dass er bereits vor der Anmeldung einen Wohnsitz in Deutschland gehabt habe. Die deutsche Regierung weist darauf hin, dass bei der Prüfung der Frage, ob der Antragsteller im Sinne von § 5 Abs. 1 BAföG seinen Wohnsitz in Deutschland habe, alle Tatsachen und Umstände zu berücksichtigen seien.

 Beschränkung des Unionsbürgerrechts auf Freizügigkeit

45.      Die Mitgliedstaaten sind unionsrechtlich nicht verpflichtet, Ausbildungsförderung für ein in ihrem Hoheitsgebiet oder anderenorts absolviertes Studium zu gewähren. Sie haben jedoch, auch wenn sie in diesem Bereich ihre Zuständigkeit behalten, bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht zu beachten(14).

46.      Nach Ansicht der Vorlagegerichte in den Rechtssachen Prinz und Seeberger könnte die Drei-Jahre-Regel die durch die Art. 20 und 21 AEUV verliehenen Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger beschränken. Aus ähnlichen Gründen, wie sie der Gerichtshof im Urteil Morgan und Bucher(15) dargelegt hat, ist die Drei-Jahre-Regel ihrer Meinung nach geeignet, Unionsbürger von einem Umzug in einen anderen Mitgliedstaat zum Zweck der Aufnahme einer Ausbildung abzuhalten oder in Fällen einer bereits begonnenen Ausbildung die Auszubildenden zu zwingen, die Ausbildung abzubrechen und nach Deutschland zurückzukehren.

47.      Auch ich bin der Auffassung, dass die Drei-Jahre-Regel eine Beschränkung darstellt.

48.      Eine Maßnahme, die den Anspruch auf eine soziale Vergünstigung an das Bestehen eines Wohnsitzes in dem die Leistung erbringenden Mitgliedstaat knüpft, ist geeignet, die Freizügigkeit zu beschränken. Sie benachteiligt jeden Unionsbürger, der vor Beantragung der Leistung von seiner Freizügigkeit bereits Gebrauch gemacht hat (nämlich jeden Bürger, der sich an einem anderen Ort in der Union aufhält oder aufgehalten hat). Ein Wohnsitzerfordernis der hier streitigen Art ist seiner Natur nach geeignet, einen Unionsbürger von der Ausübung seines Rechts abzuhalten, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben(16) und dort eine Sekundarschulausbildung zu absolvieren, ehe er Ausbildungsförderung für eine Hochschulausbildung beantragt (im Folgenden: abschreckende Wirkung).

49.      Hier wird Herr Seeberger bei seinem Vorhaben, außerhalb Deutschlands zu studieren, allein deshalb benachteiligt, weil vor Aufnahme dieses Studiums er und seine Eltern von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben und davon ausgegangen wird, dass er nicht rechtzeitig vor Beginn des Studiums nach Deutschland zurückgekehrt sei. Auch Frau Prinz ist aus finanziellen Gründen gezwungen, in Deutschland zu studieren, statt den von ihr bevorzugten Studiengang in den Niederlanden zu absolvieren, weil sie für das Studium in den Niederlanden keine Ausbildungsförderung über das erste Studienjahr hinaus erhalten kann.

50.      Ich schließe mich daher der Meinung an, dass die Drei-Jahre-Regel eine Beschränkung des durch die Art. 20 und 21 AEUV verliehenen Freizügigkeitsrechts der Unionsbürger darstellt.

51.      Eine solche Beschränkung lässt sich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven Erwägungen des Allgemeininteresses beruht, zur Verwirklichung des legitimerweise verfolgten Zwecks geeignet ist und verhältnismäßig ist, d. h., wenn sie nicht restriktiver ist, als zur Verwirklichung des Zwecks notwendig ist.

52.      Die deutsche Regierung führt zwei Zwecke zur Rechtfertigung der Drei-Jahre-Regel an. Ich werde diese nacheinander prüfen.

 Rechtfertigung durch den wirtschaftlichen Zweck

 Legitimität des Zwecks

53.      Die deutsche Regierung beruft sich zur Rechtfertigung der Drei-Jahre-Regel auf die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Bidar bzw. Morgan und Bucher. Diese Argumentation steht im Einklang mit der Begründung des Gesetzesentwurfs, mit dem die Regel eingeführt wurde(17).

54.      Im Urteil Bidar hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es in Bezug auf nicht wirtschaftlich tätige Unionsbürger „jedem Mitgliedstaat frei[steht], darauf zu achten, dass die Gewährung von Beihilfen zur Deckung des Unterhalts von Studenten aus anderen Mitgliedstaaten nicht zu einer übermäßigen Belastung wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die dieser Staat gewähren kann“(18). Somit sei es legitim, Finanzmittel „nur solchen Studenten [zu gewähren], die nachgewiesen haben, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in die Gesellschaft dieses Staates integriert haben“(19). Im Urteil Morgan und Bucher hat der Gerichtshof diesen Gedanken auf die Gewährung von Beihilfen übertragen, die ein Mitgliedstaat seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt, die in einem anderen Mitgliedstaat studieren wollen(20), und ist dann zu dem Ergebnis gelangt, dass das in jener Rechtssache streitige Erfordernis einer ersten Ausbildungsphase zu allgemein und einseitig sei, um die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit zu erfüllen(21).

55.      Der Gerichtshof hat also anerkannt, dass der Zweck der Vermeidung einer übermäßigen Belastung, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, grundsätzlich eine Beschränkung der Freizügigkeit, wie sie die Drei-Jahre-Regel darstellt, rechtfertigen kann.

56.      Genügt es jedoch, wenn ein Mitgliedstaat einfach nur ohne Weiteres behauptet, dass ein solcher wirtschaftlicher Zweck besteht?

57.      Meines Erachtens genügt dies nicht.

58.      Im Urteil Morgan und Bucher hat der Gerichtshof ausgeführt, dass Erwägungen wie die im Urteil Bidar angeführten grundsätzlich auch für die Gewährung von Ausbildungsförderung an Studierende gelten könnten, die ein Studium in anderen Mitgliedstaaten absolvieren möchten, „wenn die Gefahr einer solchen übermäßigen Belastung besteht“(22). Die Kommission weist darauf hin, dass Deutschland das Bestehen der Gefahr, die es vermeiden oder begrenzen wolle, im vorliegenden Fall nicht dargetan habe.

59.      Gewiss ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, über die Höhe des Anteils seines öffentlichen Haushalts zu entscheiden, den er für die Förderung von Studien im Inland und für Studien im Ausland bereitstellen will, und einzuschätzen, bis zu welcher Gesamthöhe die finanzielle Belastung tragbar ist(23). Einige Mitgliedstaaten mögen beschließen, nur in bescheidenem Umfang Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Andere sind vielleicht bereit, einen erheblich höheren Prozentsatz ihres öffentlichen Haushalts für diesen Zweck zu bewilligen. Zwar ist der Gerichtshof nicht befugt, die Entscheidung eines Mitgliedstaats über die von diesem als tragbar erachtete Höhe zu überprüfen, er kann aber den nationalen Gerichten Hinweise für ihre Prüfung der Frage geben, ob auf der Grundlage dieser Entscheidung die Deckung des Unterhalts (und möglicherweise anderer Kosten) von Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten die Gefahr einer übermäßigen Belastung mit sich bringt.

60.      Jede Art von Voraussetzung für einen Anspruch auf eine soziale Vergünstigung ist geeignet, die Anzahl der Personen, die diese Vergünstigung mit Erfolg beantragen können, und somit die Gesamthaushaltskosten für die Bereitstellung der Vergünstigung zu begrenzen. Dieser Umstand allein kann jedoch noch nicht eine Beschränkung der durch die Art. 20 und 21 AEUV verliehenen Freizügigkeitsrechte rechtfertigen. Ich bin vielmehr der Meinung, dass ein Mitgliedstaat die tatsächlichen und möglichen Gefahren beurteilen muss, die mit der Bereitstellung bestimmter Formen der Ausbildungsförderung verbunden sind. Auf der Grundlage dieser Beurteilung kann er dann festlegen, welches Volumen als eine übermäßige finanzielle Belastung anzusehen wäre, und Maßnahmen erlassen, die darauf abzielen, die Gefahr des Entstehens einer solchen Belastung zu vermeiden oder zu begrenzen.

61.      Vorliegend beruft sich die deutsche Regierung auf Daten des Statistischen Bundesamts, aus denen hervorgeht, dass im Jahr 2008 ungefähr eine Million deutsche Staatsbürger in anderen EU-Mitgliedstaaten lebten, darunter eine halbe Million in Nachbarländern. Die deutsche Regierung trägt vor, dass bei Wegfall des Wohnsitzerfordernisses dieser Personenkreis sowie bestimmte Personen, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, für eine Ausbildungsförderung für die Gesamtdauer ihres Studiums außerhalb Deutschlands in Betracht kämen.

62.      Es besteht zwar kein Anlass, die Genauigkeit dieser Zahlen in Frage zu stellen, sie sagen jedoch selbstverständlich nichts darüber aus, ob eine tatsächliche oder mögliche Gefahr einer übermäßigen finanziellen Belastung besteht. Es ist zweifelhaft, ob alle in anderen Mitgliedstaaten der Union lebenden Deutschen, angefangen von Säuglingen bis hin zu betagten Rentnern, ein weiteres Studium (insbesondere außerhalb Deutschlands) absolvieren möchten. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass sämtliche Personen, die studieren wollen, auch einen Ausbildungsförderungsantrag bei den deutschen Behörden stellen würden.

63.      In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung erklärt, sie könne dem Gerichtshof keine weiteren, detaillierteren Angaben machen.

64.      Meines Erachtens bedarf es einer seriöseren Beurteilung der wahrscheinlichen Gefahr „einer übermäßigen Belastung …, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte, die [der] Staat gewähren kann“(24), um darzutun, dass eine Beschränkung wie die Drei-Jahre-Regel durch den wirtschaftlichen Zweck gerechtfertigt ist. Im Rahmen einer solchen Beurteilung wäre auch zu prüfen, inwieweit die Beschränkung als Mittel zur Vermeidung oder Begrenzung der Gefahr, dass es zu einer solchen Belastung kommt, geeignet ist.

65.      Soweit in den Urteilen Bidar bzw. Morgan und Bucher als legitimer Zweck die Vermeidung einer übermäßigen finanziellen Belastung anerkannt wird, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der gewährten Beihilfe haben könnte, müssen die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit der Beschränkung in Bezug auf diesen Zweck geprüft werden.

66.      Deutschland beruft sich hier zwar sicherlich auf den wirtschaftlichen Zweck, macht zugleich aber auch geltend, dass die Beschränkung in angemessenem Verhältnis zu der Notwendigkeit stehe, nur denjenigen Studierenden Ausbildungsförderung zu gewähren, die nachweisen können, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in seine Gesellschaft integriert haben.

67.      Diese Argumentation deutet darauf hin, dass Deutschland die Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin versteht, dass eine Beschränkung wie die Drei-Jahre-Regel – unabhängig von Bedenken wegen der finanziellen Kosten der Regelung (wirtschaftlicher Zweck) – auch durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden könne, einen gewissen Integrationsgrad zu verlangen (im Folgenden: Integrationszweck).

68.      Der Gerichtshof hat zwar anerkannt, dass der wirtschaftliche Zweck dadurch verwirklicht werden kann, dass Finanzmittel nur denjenigen Studierenden gewährt werden, die nachweisen können, dass sie sich bis zu einem gewissen Grad in den die Leistung gewährenden Mitgliedstaat – sei dies nun der Aufnahmemitgliedstaat oder der Herkunftsmitgliedstaat – integriert haben. Werden Finanzmittel beim Aufnahmemitgliedstaat beantragt, braucht sich die finanzielle Solidarität mit Studierenden, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten sind, nicht auf die Zeit ihres ersten Aufenthalts zu erstrecken(25).

69.      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Niederlande habe ich dargelegt, was der Gerichtshof im Urteil Bidar meines Erachtens eigentlich entschieden hat. Ich verstehe das Urteil so, dass der Gerichtshof keinen eigenständigen Integrationszweck anerkannt hat. Das Erfordernis, einen Integrationsgrad nachzuweisen, gilt vielmehr als Mittel zur Begrenzung des Kreises der Beihilfeberechtigten und damit zur Vermeidung einer übermäßigen finanziellen Belastung(26). Ein Wohnsitzerfordernis dient als ein solches Mittel. Im Urteil Kommission/Niederlande hat der Gerichtshof diesen Punkt offengelassen. Er hat zwar entschieden, dass der wirtschaftliche Zweck nicht geeignet sei, eine Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern zu rechtfertigen, im Rahmen dieser Ausführungen den Mitgliedstaaten aber doch auch das Recht zuerkannt, von den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten einen gewissen Grad der Integration in ihre Gesellschaft zu verlangen, um soziale Vergünstigungen erhalten zu können(27).

70.      Beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts ist es einem Mitgliedstaat nicht zuzumuten, finanzielle Verantwortung für einen Auszubildenden zu übernehmen, der keine Bindung zu ihm aufweist. Andernfalls würde man unterstellen, dass sich die Mitgliedstaaten auf umfassende finanzielle Solidarität bei der Förderung von Auszubildenden verständigt haben und dass diese soziale Vergünstigung uneingeschränkt „mitnahmefähig“ ist, was eindeutig nicht der Fall ist. Die Mitgliedstaaten dürfen somit Studierenden, bei denen keine nennenswerte Bindung vorhanden ist, Ausbildungsförderung versagen, um eine übermäßige Belastung zu vermeiden, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe hätte. Anders ausgedrückt, sie dürfen den Kreis der Begünstigten eingrenzen, um den wirtschaftlichen Zweck zu verwirklichen, und es ist zulässig, dabei auf ein Kriterium abzustellen, anhand dessen sich der Integrationsgrad feststellen lässt.

71.      In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Niederlande habe ich die Möglichkeit offengelassen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs auch anders zu verstehen sein könnte, nämlich dahin, dass ein Mitgliedstaat einen Integrationsgrad unabhängig von Bedenken wegen der finanziellen Kosten für die Bereitstellung von Ausbildungsförderung verlangen darf(28). Bei dieser Sicht genügt bereits der (angemessen definierte) Integrationszweck als solcher zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Freizügigkeitsrechte. Ob ein Wohnsitzerfordernis wie die Drei-Jahre-Regel als verhältnismäßig anzusehen wäre, würde sich dann danach richten, ob die Regel restriktiver ist, als zur Ermittlung der den verlangten Integrationsgrad aufweisenden Antragsteller erforderlich ist(29).

72.      Meines Erachtens würde es den Vorlagegerichten hier weiterhelfen, wenn der Gerichtshof seine Haltung zu dem Verhältnis zwischen wirtschaftlichem Zweck und Integrationszweck klarstellte. Ist der Integrationszweck ein eigenständiger legitimer Zweck, der geeignet ist, eine Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit zu beschränken(30), und zwar auch dann, wenn die Beschränkung für die eigenen Angehörigen eines Mitgliedstaats gilt? Oder sind beide Zwecke Ausdruck von Anliegen, die in einem Zusammenhang stehen und daher als Teile eines einzigen Zwecks anzusehen sind? Oder ist das Kriterium des Integrationsgrads lediglich ein Mittel zur Verwirklichung des wirtschaftlichen Zwecks?

73.      Im restlichen Teil meiner Würdigung befasse ich mich nacheinander mit der Geeignetheit und der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme wie der Drei-Jahre-Regel im Hinblick auf den jeweiligen Zweck.

 Geeignetheit der Beschränkung

–        Wirtschaftlicher Zweck

74.      Es liegt auf der Hand, dass eine Maßnahme, durch die der Kreis der Begünstigten begrenzt wird, mit geringeren Kosten verbunden ist als eine Maßnahme, in deren Rahmen alle Unionsbürger ohne Unterschied Finanzmittel erhalten. Die Drei-Jahre-Regel führt in der Tat zu einer solchen Begrenzung des Kreises der potenziell Begünstigten.

75.      Das nationale Gericht hat aber dennoch zu beurteilen, ob die Drei-Jahre-Regel in einem vernünftigen Zusammenhang mit dem Zweck steht, eine übermäßige Belastung zu vermeiden, die Auswirkungen auf das gesamte Niveau der Beihilfe haben könnte. Entscheidend ist insoweit, ob durch Anwendung der Drei-Jahre-Regel eine etwaige Belastung auf ein tragbares Maß herabgesetzt wird.

–        Integrationszweck

76.      Anhand des Ortes, an dem eine Person wohnt, lässt sich normalerweise ablesen, wo die Person in die Gesellschaft integriert ist. Ein an den Wohnsitz anknüpfendes Erfordernis ist daher prima facie ein geeignetes Mittel zur Verwirklichung des Integrationszwecks.

 Verhältnismäßigkeit der Beschränkung

77.      Die Ungewissheit, ob eine Beschränkung wie das Wohnsitzerfordernis im Rahmen der Drei-Jahre-Regel durch den wirtschaftlichen Zweck oder den Integrationszweck gerechtfertigt werden kann, scheint zu einem logisch falschen Vorgehen bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Beschränkung geführt zu haben. Die Mitgliedstaaten berufen sich offenbar auf den wirtschaftlichen Zweck, um eine Beschränkung zu rechtfertigen, begründen dann aber die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme mit dem Integrationszweck.

78.      So macht die deutsche Regierung in den vorliegenden Rechtssachen im Wesentlichen geltend, die Drei-Jahre-Regel diene der Identifizierung derjenigen Antragsteller, bei denen eine hinreichende Bindung zur deutschen Gesellschaft bestehe, um eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Ausbildungsförderung zu erhalten. Die Prüfung des Bestehens dieser Bindung sei auch bei eigenen Staatsangehörigen von Bedeutung, da die Vergabe von Studienförderung aus öffentlichen Mitteln einen Ausdruck einer Solidarität darstelle, die zwischen den Einwohnern eines Mitgliedstaats, nicht jedoch unbedingt den Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats bestehe(31). Als eigenständiges Argument führt die deutsche Regierung an, dass die Drei-Jahre-Regel Transparenz, Rechtssicherheit und Verwaltungseffizienz biete.

79.      Ich werde die Verhältnismäßigkeit der Drei-Jahre-Regel sowohl unter dem Gesichtspunkt des wirtschaftlichen Zwecks als auch des Integrationszwecks untersuchen.

–        Wirtschaftlicher Zweck

80.      Eine Maßnahme wie die Drei-Jahre-Regel ist verhältnismäßig, wenn sie keine stärkere Beschränkung beinhaltet, als notwendig ist, um die finanzielle Belastung in vernünftigem Rahmen zu halten. Bei dieser Beurteilung muss geprüft werden, ob alternative, aber weniger beschränkende Maßnahmen zur Verfügung stehen. Verwaltungseffizienz, Rechtssicherheit und Transparenz sind Faktoren, die in einen Vergleich der tatsächlich erlassenen (oder bevorzugten) Maßnahme mit alternativen Maßnahmen einfließen.

81.      Das nationale Gericht kann diese Beurteilung nur vornehmen, wenn es weiß, i) welches Volumen als übermäßige finanzielle Belastung anzusehen ist und ii) welche quantitativen Auswirkungen die Drei-Jahre-Regel auf diese Belastung den Schätzungen nach hat.

82.      Angenommen, ein Mitgliedstaat beschließt, er sei bereit, 800 Mio. Euro für die Ausbildungsförderung für Hochschulstudien bereitzustellen. Er überprüft die von ihm ins Auge gefasste neue Regelung und stellt fest, dass ohne die Festlegung eines zusätzlichen Kriteriums die Gefahr besteht, dass er über 1 Mrd. Euro auszahlen muss. Er hält dieses Risiko für inakzeptabel. Nach Untersuchung bisheriger Wohnsitzmuster einer repräsentativen Auswahlgruppe derzeitig Studierender, die in den Genuss einer Finanzierung kommen (d. h. einer Auswahlgruppe, die groß genug ist, um statistisch zuverlässige Ergebnisse zu liefern), kommt der Mitgliedstaat zu der Schlussfolgerung, dass bei Einführung des Erfordernisses, dass sich der Antragsteller vier Jahre lang im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufgehalten haben muss, eine hinreichende Anzahl von Bewerbern ausgeschlossen würde, um die Gefahr einer erheblichen Überschreitung des Budgets zu begrenzen. Dieses einzige zusätzliche Kriterium wird gewählt, um den wirtschaftlichen Zweck zu verwirklichen. Sofern die Risiko-Kosten-Analyse sachgerecht durchgeführt wird, meine ich, dass diese Regelung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, auch wenn sie durchaus zu einer Beschränkung der Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger führen mag. Im Vergleich zu alternativen Maßnahmen könnte ein solches Kriterium auch verhältnismäßig sein. Ich betone jedoch, dass es sich hierbei um eine rein wirtschaftliche Analyse handeln würde. Das Wohnsitzerfordernis würde nicht als Maßstab zur Feststellung „eines gewissen Integrationsgrads“ herangezogen.

–        Integrationszweck

83.      Nach Ansicht der deutschen Regierung ist eine Begrenzung des Kreises der Begünstigten gleich welcher Staatsangehörigkeit auf diejenigen Personen, die die Voraussetzungen der Drei-Jahre-Regel erfüllen, eine verhältnismäßige Maßnahme, um sicherzustellen, dass nur Auszubildende mit einer hinreichenden Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft Förderung aus öffentlichen Mitteln erhalten. Zur Begründung ihrer Auffassung beruft sich die deutsche Regierung vor allem auf die Urteile Bidar und Förster.

84.      Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission/Niederlande dargelegt habe, brauchte der Gerichtshof die Verhältnismäßigkeit in der Rechtssache Bidar nicht zu prüfen(32). Im Urteil Förster hat er unter Bezugnahme auf den Wortlaut der Richtlinie 2004/38 festgestellt, dass die Beschränkung, die sich aus dem in jenem Fall streitigen Wohnsitzerfordernis ergab, gerechtfertigt sei. Dabei hat der Gerichtshof auf den Umstand abgestellt, dass diese Richtlinie spezifische Anforderungen hinsichtlich des Integrationsgrads von Ausländern im Aufnahmemitgliedstaat stelle(33).

85.      Die Richtlinie 2004/38 findet hier keine Anwendung(34). Aus diesem Grund ist es an dieser Stelle nicht angebracht, erneut auf das Urteil Förster einzugehen oder sich näher mit dem Verhältnis zwischen Art. 24 Abs. 2 der genannten Richtlinie und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu befassen. Im Übrigen meine ich, dass die im Urteil Förster vorgenommene Würdigung des Erfordernisses eines fünfjährigen Aufenthalts als Integrationsnachweis, um Studienfinanzierung vom Aufnahmemitgliedstaat beanspruchen zu können, für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssachen nicht besonders hilfreich ist.

86.      Meines Erachtens ist mangels einer Harmonisierung den Mitgliedstaaten bei der Festlegung des Integrationsgrads, den sie von Ausbildungsförderung beantragenden Personen verlangen, und bei der Wahl einer angemessenen Primärmaßnahme für die Erbringung des Integrationsnachweises ein gewisser Freiraum zuzubilligen.

87.      Die Verbundenheit eines Unionsbürgers mit der Gesellschaft eines bestimmten Mitgliedstaats ist sowohl aus der Sicht des Bürgers als auch aus der Sicht des Staates ein komplexes Thema. Eine solche Verbundenheit mag qua Geburt (und somit unfreiwillig) bestehen, oder sie mag erworben werden. Sie dürfte sich im Laufe der Zeit mit unterschiedlicher Intensität weiterentwickeln. Die Verbundenheit kann anhand subjektiver oder objektiver Merkmale erfolgen. Vernünftigerweise kann davon ausgegangen werden, dass sie in jedem Fall Zugehörigkeit zu einer definierten Gemeinschaft impliziert.

88.      Auch wenn den Mitgliedstaaten ein gewisser Freiraum bei der Definition dieser Gemeinschaft eingeräumt werden sollte, so ist doch ihr Vorbringen unzulänglich, der verlangte Integrationsgrad werde ausnahmslos durch einen eine bestimmte Anzahl von Jahren bestehenden Wohnsitz nachgewiesen. Dieses Vorbringen beinhaltet einen Zirkelschluss, denn danach wäre im Kontext der vorliegenden Fälle die Drei-Jahre-Regel verhältnismäßig, weil sie nicht restriktiver ist, als für die Feststellung, wer unmittelbar vor Beginn seines Auslandsstudiums einen dreijährigen ständigen Wohnsitz nachweisen kann, notwendig ist.

89.      Entscheidet sich ein Mitgliedstaat, den Integrationsnachweis durch eine das Freizügigkeitsrecht beschränkende Maßnahme zu verlangen, muss er hinnehmen, dass bei der Ausübung des insoweit bestehenden Ermessens u. a. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Diskriminierungsverbot zu beachten sind. So hat der Gerichtshof im Urteil Bidar ausdrücklich festgestellt, dass das für einen Studiendarlehen-Antragsteller geltende Erfordernis, im Sinne des innerstaatlichen Rechts im Vereinigten Königreich ansässig zu sein und die Voraussetzung eines dreijährigen Wohnsitzes zu erfüllen, zu einer mittelbaren Diskriminierung von Ausländern führe und daher nur gerechtfertigt sei, wenn es auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhe und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehe, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde(35).

90.      Die These, dass in Bezug auf den Integrationszweck die Heranziehung eines einzigen Kriteriums verhältnismäßig sein könne, scheint der Gerichtshof bereits verworfen zu haben.

91.      So ist er z. B. im Urteil Morgan und Bucher zu dem Ergebnis gekommen, dass das Erfordernis einer ersten Ausbildungsphase(36) unverhältnismäßig sei, weil „ein ausreichender Grad gesellschaftlicher Integration, den ein Mitgliedstaat legitimerweise verlangen kann, jedenfalls … deshalb als nachgewiesen anzusehen [ist], weil die Klägerinnen … in Deutschland aufgewachsen sind und dort ihre Schulzeit verbracht haben“. Das Erfordernis der ersten Ausbildungsphase sollte zwar als Maßstab für den Integrationsgrad dienen, jedoch ist der Gerichtshof (und auch das nationale Gericht) davon ausgegangen, dass ein ausreichender Grad der Integration im Fall der Klägerinnen (beide sind deutsche Staatsangehörige) „jedenfalls“ durch andere Faktoren wie etwa den Ort, an dem sie aufgewachsen sind und ihre Schulzeit verbracht haben, nachgewiesen wurde(37).

92.      In jüngerer Zeit hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Österreich allgemein ausgeführt, dass „der verlangte Nachweis, um das Bestehen eines solchen tatsächlichen Zusammenhangs geltend zu machen, nicht einem Gesichtspunkt unangemessen hohe Bedeutung beimessen darf, der nicht zwangsläufig für den tatsächlichen und effektiven Grad der Verbundenheit des Antragstellers mit dem Mitgliedstaat … repräsentativ ist und jeden anderen repräsentativen Gesichtspunkt ausschließt“(38). Der verlangte Zusammenhang „ist anhand der Merkmale der in Frage stehenden Leistung zu ermitteln, insbesondere ihrer Art und der mit ihr verfolgten Zwecke“(39).

93.      Diese Erwägungen führen mich zu dem Ergebnis, dass die hier in Rede stehende Drei-Jahre-Regel ebenfalls restriktiver als notwendig ist.

94.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission das Beispiel zweier deutscher Staatsbürger angeführt: Der erste kehrt nach einem 17-jährigen Aufenthalt im Ausland drei Jahre vor Beginn seines Auslandsstudiums nach Deutschland zurück, der zweite hat 17 Jahre lang in Deutschland gewohnt und verlässt das Land drei Jahre vor Aufnahme eines Studiums in einem anderen Land der Europäischen Union. Nach der Drei-Jahre-Regel kann die erste Person Ausbildungsförderung in Anspruch nehmen, die zweite hingegen nicht. Dennoch ist fraglich, wer von beiden stärker in die deutsche Gesellschaft integriert ist.

95.      Das Beispiel verdeutlicht, dass die Drei-Jahre-Regel zu unflexibel ist. Sie birgt die Gefahr, dass Auszubildende von der Förderung ausgeschlossen werden, die zwar unmittelbar vor einem Auslandsstudium nicht drei Jahre lang ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland hatten, jedoch aufgrund ihrer deutschen Staatsangehörigkeit, ihrer dort zurückgelegten Aufenthalts-, Schul- oder Beschäftigungszeiten, ihrer Sprachkenntnisse, Familien- oder sonstigen gesellschaftlichen bzw. wirtschaftlichen Bindungen oder anderer aussagekräftiger Umstände eine ausreichende Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft aufweisen.

96.      Im Rahmen des BAföG wird völlig außer Betracht gelassen, ob ein Deutscher, der in Frankreich studieren will, z. B. zuvor in Deutschland gewohnt und studiert hat oder ob seine Familie in der Nähe wohnt und/oder seine Eltern in Deutschland erwerbstätig sind. Ein Bulgare hingegen, der erst vor drei Jahren nach Deutschland gekommen ist, um ein Studium in Polen oder in seinem eigenen Mitgliedstaat aufzunehmen, hätte Anspruch auf Ausbildungsförderung aus deutschen öffentlichen Mitteln, ohne dass irgendwelche anderen Umstände zu berücksichtigen wären, um zu entscheiden, ob er der Zielgruppe der „integrierten“ Begünstigten angehört.

97.      Es geht selbstverständlich nicht um die Frage, ob bulgarische oder deutsche Studierende Anspruch auf Ausbildungsförderung durch den deutschen Staat haben. Entscheidend ist vielmehr das Verhältnis zwischen der Drei-Jahre-Regel, dem mit ihr verfolgten Zweck und der Grundlage für die Entscheidung, dass (im genannten Beispiel) der bulgarische Studierende Ausbildungsförderung erhält, der deutsche dagegen nicht.

98.      Nach der Drei-Jahre-Regel spielt es keine Rolle, ob der Antragsteller die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Staatsangehörigkeit ist jedoch, wie es der Gerichtshof im Urteil Rottmann formuliert hat, ein „Verhältnis besonderer Verbundenheit und Loyalität“ und umfasst eine „Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen“(40). Meines Erachtens ist schwer vorstellbar, dass eine solche Beziehung bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme, die ein Mitgliedstaat zur Verwirklichung des Integrationszwecks erlässt, vollkommen außer Acht gelassen werden darf.

99.      Ich bin daher der Meinung, dass eine Maßnahme wie die Drei-Jahre-Regel zu unflexibel ist und den nationalen Behörden nicht ermöglicht, den tatsächlich erreichten Integrationsgrad festzustellen.

100. Stehen alternative, weniger restriktive Maßnahmen zur Verfügung?

101. Ich halte dies für durchaus vorstellbar.

102. Das nationale Gericht mag zu der Auffassung gelangen, dass die Regelung weniger restriktiv ausgestaltet werden könnte, ohne dass sie dadurch ungeeignet wird, den Kreis der in Deutschland hinreichend integrierten Studierenden zu ermitteln. Denkbare Alternativen könnten weniger restriktiv und dennoch wirksam sein. Andere Lösungen könnten ein höheres Maß an Flexibilität erlauben. Ich betone, dass ich keine bestimmte Regelung empfehle – das ist Sache des Mitgliedstaats. Ich weise lediglich darauf hin, dass flexiblere und daher eher dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechende Regelungen geschaffen werden könnten.

103. Im Rahmen eines Vergleichs alternativer Maßnahmen muss selbstverständlich beurteilt werden, ob die Anwendung einer Maßnahme „auf klaren und im Voraus bekannten Kriterien beruh[t] und … die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs vor[sieht]“(41).

104. Insoweit stimme ich der deutschen Regierung zu, dass die Drei-Jahre-Regel Transparenz, Verwaltungseffizienz und Rechtssicherheit bietet. Die maßgebenden Daten lassen sich ohne Schwierigkeiten erfassen, und die Entscheidung ist ein mechanisch bestimmtes Ja oder Nein. Die Verwaltungskosten der Regelung dürften verhältnismäßig niedrig sein, insbesondere bezogen auf die zugewiesenen Gesamtmittel für die Ausbildungsförderung. All dies sind relevante Gesichtspunkte, die bei einem Vergleich der Drei-Jahre-Regel mit anderen möglichen Maßnahmen zu berücksichtigen sind.

105. Allerdings ist die transparenteste und effizienteste Maßnahme nicht zwangsläufig auch eine verhältnismäßige Maßnahme. Ob die Maßnahme verhältnismäßig ist, hängt von anderen Faktoren ab, etwa Konzeption und Aufbau der Regelung, ihre umfassende Kohärenz sowie angestrebtes Ziel.

106. Eine Maßnahme wie die Drei-Jahre-Regel ist wahrscheinlich transparenter und effizienter als eine Maßnahme, bei der die jeweiligen Umstände des Einzelfalls geprüft werden müssen. Maßnahmen der letztgenannten Art werden wohl weniger restriktiv wirken und zu einer größeren Teilhabe führen. Als dritte Variante sind Maßnahmen denkbar, nach denen der Wohnsitz als primärer oder gewöhnlicher Nachweis für den verlangten Grad der Integration dienen kann, ohne dass dem Antragsteller oder der Behörde die Berufung auf Umstände verwehrt wäre, aus denen sich das Bestehen (oder Fehlen) einer tatsächlich wirksamen Bindung ergibt. Eine solche Maßnahme erscheint transparenter und effizienter als Maßnahmen der zweitgenannten Art und weniger restriktiv als eine Maßnahme wie die Drei-Jahre-Regel.

107. Die Vorteile einer Maßnahme wie der Drei-Jahre-Regel müssen auch vor dem Hintergrund der Gesamtregelung gesehen werden, zu der sie gehört. Insoweit mag das nationale Gericht berücksichtigen, dass es in anderer Hinsicht – etwa bei der Beurteilung der Frage, ob der Auszubildende seinen Wohnsitz in Deutschland hat(42) oder ob „besondere Umstände“ die Gewährung von Ausbildungsförderung nach § 6 BAföG rechtfertigen(43) – offenbar möglich ist, eine sorgfältige Prüfung des Einzelfalls mit der Notwendigkeit in Einklang zu bringen, Rechtssicherheit, Transparenz und Verwaltungseffizienz zu gewährleisten.

 Rechtfertigung durch den gesellschaftlichen Zweck

108. Aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung geht nicht ganz eindeutig hervor, ob sie einen weiteren Rechtfertigungsgrund für die Drei-Jahre-Regel anführt, nämlich das Anliegen, nur denjenigen Auszubildenden eine Studienfinanzierung zu gewähren, die nach ihrem Auslandsstudium als Arbeitskräfte in Deutschland zur Verfügung stehen oder in sonstiger Weise in die deutsche Wirtschaft oder Gesellschaft eingegliedert werden.

109. Mehrere andere Mitgliedstaaten, die Erklärungen abgegeben haben, tragen jedoch vor, der Erfolg der Finanzierung von Auslandsstudien lasse sich zum Teil daran ablesen, ob die Betreffenden nach Abschluss ihres Studiums in den die Finanzmittel bereitstellenden Mitgliedstaat zurückkehren. Vielfach gewährten die Mitgliedstaaten Ausbildungsförderung wegen der erwarteten positiven Auswirkungen auf ihren Arbeitsmarkt, weil man es für wahrscheinlich halte, dass ein Studierender, dem Ausbildungsförderung gewährt werde, zurückkehren und einen Beitrag zu der Gesellschaft des betreffenden Mitgliedstaats leisten werde.

110. In der mündlichen Verhandlung hat die deutsche Regierung erklärt, dass ihrer Ansicht nach die Drei-Jahre-Regel auch durch den gesellschaftlichen Zweck gerechtfertigt sei.

 Legitimität des Zwecks

111. Dieser Zweck entspricht zum Teil dem gesellschaftlichen Zweck, der in der Rechtssache Kommission/Niederlande zur Rechtfertigung der in jenem Fall streitigen „Drei-von-sechs-Jahren“-Regel(44) geltend gemacht wurde. In der genannten Rechtssache hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Förderung der Mobilität der Studierenden ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sei, der geeignet sei, eine Beschränkung zu rechtfertigen(45). Er hat außerdem die beiden Prämissen akzeptiert, dass i) die Regelung darauf abziele, in den Niederlanden wohnende Studierende dazu zu bewegen, ein Auslandsstudium statt eines Studiums in den Niederlanden in Erwägung zu ziehen, und ii) die Niederlande erwarteten, dass die Studierenden, denen die Regelung zugutekomme, nach Abschluss ihres Studiums in die Niederlande zurückkehrten, um dort zu wohnen und zu arbeiten(46).

112. Meiner Meinung nach könnte derselbe Zweck auch die hier streitige Drei-Jahre-Regel rechtfertigen.

 Geeignetheit der Beschränkung

113. Im Urteil Kommission/Niederlande ist der Gerichtshof davon ausgegangen, dass die Drei-von-sechs-Jahren-Regel zur Verwirklichung des gesellschaftlichen Zwecks geeignet sei, da Studierende ohne diese Regelung normalerweise ihre Ausbildung im Mitgliedstaat ihres Wohnsitzes absolvierten, während Auslandsstudien sowohl für die Studierenden als auch für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaats eine Bereicherung darstellten(47).

114. In meinen Schlussanträgen in jener Rechtssache war ich aufgrund einer Erwägung, die im Urteil des Gerichtshofs nicht angesprochen wird, zu einer anderen Auffassung gelangt. Ich hatte dargelegt, dass ich zwischen dem Wohnort eines Studierenden vor Beginn seines Auslandsstudiums und dem Ort, an dem er nach Abschluss des Studiums wohnen und arbeiten wird, keinen offensichtlichen Zusammenhang erkenne(48).

115. Ich habe meine Meinung nicht geändert, und anhand der Drei-Jahre-Regel lässt sich auch der Grund hierfür verdeutlichen.

116. Erstens werden durch diese Regel alle Auszubildenden von der Förderung eines Auslandsstudiums ausgeschlossen, die nicht nachweisen können, dass sie drei Jahre lang ihren ständigen Wohnsitz in Deutschland hatten. Es wird argumentiert, diese Regel eigne sich zur Erfassung derjenigen Auszubildenden, die nach Deutschland zurückkehren werden. Aber führt dieser Gedankengang nicht genauso gut zu der Schlussfolgerung, dass nach einem dreijährigen oder längeren Studium und Aufenthalt im Ausland der Studierende nach Erwerb eines akademischen Grades in dem Mitgliedstaat, in dem er studiert hat, bleibt, um dort zu arbeiten und zu leben?

117. Zweitens dürfte der Ort, an dem ein Hochschulabsolvent nach Abschluss seines Auslandsstudiums einer Beschäftigung nachgehen wird, wohl teilweise von praktischen Fragen bestimmt werden wie etwa, wo Arbeitsplätze vorhanden sind, welche Sprache(n) der Betreffende spricht und wie sich die allgemeine Beschäftigungslage in der Union darstellt. Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, dass er in den Mitgliedstaat seines früheren Wohnsitzes zurückkehrt, aber es kann ebenso gut sein, dass er in dem Mitgliedstaat seines Studiums bleibt oder dass er sich in einen anderen Staat begibt. Darf man wirklich davon ausgehen, dass die Verbundenheit mit dem Mitgliedstaat, in dem er unmittelbar vor Aufnahme seines Studiums drei Jahre lang ununterbrochen gelebt hat, zwangsläufig jede andere Erwägung verdrängt?

118. Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, dass der Zusammenhang zwischen der Drei-Jahre-Regel und dem gesellschaftlichen Zweck keineswegs auf der Hand liegt.

119. Der Vollständigkeit halber werde ich dennoch kurz die Verhältnismäßigkeit der Drei-Jahre-Regel in Bezug auf den gesellschaftlichen Zweck prüfen.

 Verhältnismäßigkeit der Beschränkung

120. Zu diesem Punkt hat sich die deutsche Regierung in ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen wesentlich weniger eingehend geäußert als zu dem wirtschaftlichen Zweck und dem Integrationszweck.

121. Die deutsche Regierung hat zwar die Attraktivität der Drei-Jahre-Regel unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, Transparenz und Verwaltungseffizienz im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Zweck hervorgehoben, sie hat aber nicht ausdrücklich erklärt, ob sie diese Argumente auch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zweck anführt. Unterstellt, sie will dies tun, bin ich aus den bereits dargelegten Gründen(49) der Auffassung, dass die genannten Faktoren nicht hinreichen, um darzutun, dass die Drei-Jahre-Regel nicht restriktiver ist, als im Hinblick auf den gesellschaftlichen Zweck erforderlich ist.

122. Bezogen auf die ähnliche Fallkonstellation in der Rechtssache Kommission/Niederlande hat der Gerichtshof ausgeführt, dass der Mitgliedstaat begründen müsse, weshalb er ein Wohnsitzerfordernis unter Ausschluss aller anderen repräsentativen Umstände vorziehe. Ein solches Wohnsitzerfordernis habe eine „zu starke Ausschlusswirkung“, weil es „einem Umstand den Vorzug [gibt], der nicht zwangsläufig der einzige für den tatsächlichen Grad der Verbundenheit zwischen dem Betreffenden und dem [die Förderung gewährenden Mitgliedstaat] repräsentative Umstand ist“(50).

123. Bei der Drei-Jahre-Regel komme ich zu dem gleichen Ergebnis. Ich meine nicht, dass ein Wohnsitz, der in der Vergangenheit in einem Mitgliedstaat bestanden hat, als alleiniges Kriterium herangezogen werden kann, um vorherzusagen, wo sich nach einem zwischenzeitlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der zukünftige Wohnsitz befinden wird(51). Vielmehr sind, wie es die Kommission in ihrem Grünbuch formuliert hat, „[d]iejenigen, die als junge Lernende mobil sind, … zumeist auch später im Arbeitsleben mobil“(52).

 Ergebnis

124. Demnach schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

Die Art. 20 und 21 AEUV sind dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt ist, die Ausbildungsförderung für den Besuch einer ausländischen Ausbildungsstätte für die Gesamtdauer dieses Studiums von der Erfüllung der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der Unionsbürger, auch wenn es sich um einen eigenen Staatsangehörigen handelt, unmittelbar vor Beginn des Auslandsstudiums drei Jahre lang ununterbrochen seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gehabt hat.


1 – Originalsprache: Englisch.


2 – Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, Berichtigungen ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).


3 –      Nach der allgemeinen Regel des Art. 16 der Richtlinie 2004/38 wird das Recht auf Daueraufenthalt nach rechtmäßigem fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt erworben.


4 – Aus den Erklärungen der deutschen Regierung ergibt sich, dass dem Gerichtshof die Fassung in der Bekanntmachung vom 7. Dezember 2010 vorgelegt wurde.


5 – Urteil vom 23. Oktober 2007 (C‑11/06 und C‑12/06, Slg. 2007, I‑9161).


6 – Aus dem Vorlagebeschluss geht weder hervor, zu welchem Zeitpunkt nach ihrer Geburt Frau Prinz mit ihrer Familie nach Tunesien zog, noch der Grund, weshalb sie im September 1993 für kurze Zeit von Tunesien nach Deutschland zurückkehrte, ehe sie dann im April 1994 das Land offenbar wieder verließ.


7 – Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt, Randnrn. 22 f. und die dort angeführte Rechtsprechung.


8 – Siehe unten, Nrn. 36 bis 39.


9 – Vgl. z. B. Urteil vom 14. Juni 2012, Kommission/Niederlande (C‑542/09).


10 – Vgl. z. B. Urteil vom 15. März 2005, Bidar (C‑209/03, Slg. 2005, I‑2119).


11 – Vgl. z. B. Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt.


12 – Vgl. z. B. Urteil Kommission/Niederlande, oben in Fn. 9 angeführt.


13 – Vgl. z. B. Urteil Bidar, oben in Fn. 10 angeführt.


14 – Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung.


15 – Vgl. Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt, Randnrn. 25 f.


16 – Vgl. z. B. im Kontext einer Invaliditätsrente Urteil vom 22. Mai 2008, Nerkowska (C‑499/06, Slg. 2008, I‑3993, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17 – Siehe oben, Nr. 12.


18 – Urteil Bidar, oben in Fn. 10 angeführt, Randnr. 56.


19 – Ebd., Randnr. 57.


20 – Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt, Randnrn. 43 f.


21 – Ebd., Randnr. 46.


22 – Ebd., Randnr. 44 (Hervorhebung nur hier).


23 – Vgl. z. B. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande, Urteil oben in Fn. 9 angeführt, Nr. 103.


24 – Urteil Bidar, oben in Fn. 10 angeführt, Randnr. 56.


25 – Vgl. zehnter Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38; vgl. auch Urteil vom 4. Oktober 2012, Kommission/Österreich (C‑75/11, Randnr. 60).


26 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande, Urteil in Fn. 9 angeführt, Nr. 84.


27 – Urteil Kommission/Niederlande, oben in Fn. 9 angeführt, Randnrn. 63 und 69.


28 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande, Urteil oben in Fn. 9 angeführt, Nr. 120.


29 – Siehe unten, Nrn. 80 bis 82.


30 – In der Rechtssache Stewart ging es zwar nicht um dieselbe Art von sozialer Vergünstigung wie in den vorliegenden Rechtssachen, jedoch hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das Anliegen legitim sei, i) sich einer tatsächlichen Verbindung zwischen dem, der eine Leistung beantrage, und dem zuständigen Mitgliedstaat zu vergewissern und ii) das finanzielle Gleichgewicht des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu gewährleisten. Sodann hat er offenbar die Geeignetheit und die Verhältnismäßigkeit der streitigen Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des ersten Ziels untersucht und ist dann im Hinblick auf das zweite Ziel zu dem Ergebnis gelangt, dass „[d]ie vorangehenden Erwägungen … auf das [zweite Ziel] übertragbar [sind]“ und dass „[d]urch das Erfordernis, eine tatsächliche und hinreichende Verbundenheit … nachzuweisen, … sich der zuständige Mitgliedstaat vergewissern [kann], dass die Auszahlung der … Leistung keine unangemessene wirtschaftliche Belastung zur Folge hat“ – Urteil vom 21. Juli 2011, Stewart (C‑503/09, Slg. 2011, I‑6497, Randnrn. 89 und 103).


31 – Diese Argumentation mag zwar nahelegen, dass Deutschland den Anspruch auf Förderung eines Auslandsstudiums von einem Bezug zum deutschen Steuersystem abhängig macht, jedoch hat die deutsche Regierung in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass dem nicht so sei. Sie hat ausdrücklich erklärt, es sei nicht beabsichtigt, Finanzmittel nur denjenigen Unionsbürgern zu gewähren, die zuvor Beiträge zu dem öffentlichen Haushalt geleistet hätten, aus dem die Beihilfen gezahlt würden. Auf Aufforderung in der mündlichen Verhandlung, den in ihren schriftlichen Erklärungen verwandten Begriff der Solidarität zu definieren, hat die deutsche Regierung geantwortet, anspruchsberechtigt sollten Personen mit einer gewissen Verbundenheit mit der deutschen Gesellschaft sein.


32 – Urteil oben in Fn. 9 angeführt, Nr. 113.


33 – Vgl. Urteil vom 18. November 2008, Förster (C‑158/07, Slg. 2008, I‑8507, Randnrn. 54 f.).


34 – Siehe oben, Nr. 35.


35 – Vgl. Urteil Bidar, oben in Fn. 10 angeführt, Randnrn. 51 bis 54 und die dort angeführte Rechtsprechung.


36 – Siehe oben, Nr. 6.


37 – Urteil Morgan und Bucher, oben in Fn. 5 angeführt, Randnrn. 45 f.


38 – Oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 62.


39 – Urteil Kommission/Österreich, oben in Fn. 25 angeführt, Randnr. 63.


40 – Urteil vom 2. März 2010, Rottmann (C‑135/08, Slg. 2010, I‑1449, Randnr. 51).


41 – Urteil vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, Slg. 2004, I‑2703, Randnr. 72). In jener Rechtssache sollte durch das Wohnsitzerfordernis der Zugang zu einer sozialen Vergünstigung beschränkt werden, die entsprechend der vorangegangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs ihrer Art nach in einem Zusammenhang mit dem betroffenen räumlichen Arbeitsmarkt steht (vgl. Randnr. 67).


42 – Siehe oben, Nr. 44.


43 – Siehe oben, Nr. 9. In der mündlichen Verhandlung bestand Uneinigkeit hinsichtlich des Anwendungsbereichs dieser Vorschrift. Die deutsche Regierung hat sie als „Härteklausel“ beschrieben, die nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eingreife, wenn der Auszubildende (z. B. infolge Behinderung oder Minderjährigkeit) nicht in der Lage sei, sich nach Deutschland zu begeben, um dort zu studieren. Herr Seeberger hat vorgetragen, mit der Vorschrift sollten Kinder von im Ausland lebenden deutschen Diplomaten erfasst werden. Der Gerichtshof wird Gelegenheit haben, § 6 BAföG im Rahmen der derzeit anhängigen Rechtssache Thiele Meneses (C‑220/12) zu prüfen.


44 – Nach dieser Regel muss eine Person, die „mitnehmbare“ Studienfinanzierung beantragt, nicht nur die Voraussetzungen für die Förderung eines Studiums in den Niederlanden erfüllen, sondern sich darüber hinaus auch mindestens drei der sechs vorangegangenen Jahre rechtmäßig in den Niederlanden aufgehalten haben.


45 – Urteil Kommission/Niederlande, oben in Fn. 9 angeführt, Randnr. 72; vgl. auch meine Schlussanträge in jener Rechtssache, Nrn. 135 bis 140.


46 – Urteil Kommission/Niederlande, oben in Fn. 9 angeführt, Randnr. 77.


47 – Ebd., Randnrn. 76 bis 79.


48 – Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Niederlande, Urteil oben in Fn. 9 angeführt, Nr. 147.


49 – Siehe oben, Nrn. 103 bis 106.


50 – Urteil Kommission/Niederlande, oben in Fn. 9 angeführt, Randnr. 86.


51 – Siehe auch oben, Nr. 117.


52 – Kommission, Grünbuch – Die Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken fördern, KOM(2009) 329 endg., S. 2.