Language of document : ECLI:EU:T:2011:419

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte erweiterte Kammer)

6. September 2011(*)

„Nichtigkeitsklage – Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 – Handel mit Robbenerzeugnissen – Einfuhr- und Verkaufsverbot – Ausnahmen für Inuit-Gemeinschaften – Anwendung von Art. 263 Abs. 4 AEUV – Begriff ‚Rechtsakt mit Verordnungscharakter‘ – Fehlende unmittelbare oder individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑18/10

Inuit Tapiriit Kanatami mit Sitz in Ottawa (Kanada),

Nattivak Hunters and Trappers Association mit Sitz in Qikiqtarjuaq (Kanada),

Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Association mit Sitz in Pangnirtung (Kanada),

Jaypootie Moesesie, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

Allen Kooneeliusie, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

Toomasie Newkingnak, wohnhaft in Qikiqtarjuaq,

David Kuptana, wohnhaft in Ulukhaktok (Kanada),

Karliin Aariak, wohnhaft in Iqaluit (Kanada),

Efstathios Andreas Agathos, wohnhaft in Athen (Griechenland),

Canadian Seal Marketing Group mit Sitz in Quebec (Kanada),

Ta Ma Su Seal Products, Inc. mit Sitz in Cap-aux-Meules (Kanada),

Fur Institute of Canada mit Sitz in Ottawa,

NuTan Furs, Inc. mit Sitz in Catalina (Kanada),

GC Rieber Skinn AS mit Sitz in Bergen (Norwegen),

Inuit Circumpolar Conference Greenland (ICC) mit Sitz in Nuuk, Grönland (Dänemark),

Johannes Egede, wohnhaft in Nuuk,

Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK) mit Sitz in Nuuk,

Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte J. Bouckaert, M. van der Woude und H. Viaene, dann Rechtsanwälte J. Bouckaert und H. Viaene,

Kläger,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch I. Anagnostopoulou und L. Visaggio als Bevollmächtigte,

und

Rat der Europäischen Union, vertreten durch M. Moore und K. Michoel als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels, Y. de Vries, J. Langer und M. Noort als Bevollmächtigte,

und

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch É. White, P. Oliver und J.‑B. Laignelot, dann durch É. White, P. Oliver und K. Mifsud-Bonnici als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 286, S. 36)

erlässt

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich sowie der Richter F. Dehousse, I. Wiszniewska-Białecka, M. Prek (Berichterstatter) und A. Popescu,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt, Verfahren und Anträge der Parteien

1        Am 16. September 2009 erließen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union die Verordnung (EG) Nr. 1007/2009 über den Handel mit Robbenerzeugnissen (ABl. L 286, S. 36) (im Folgenden: angefochtene Verordnung), die nach ihrem Art. 1 einheitliche Vorschriften für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen enthält.

2        Mit Klageschrift, die am 11. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, haben die Kläger, die Inuit Tapiriit Kanatami, die Nattivak Hunters and Trappers Association, die Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Association, Jaypootie Moesesie, Allen Kooneeliusie, Toomasie Newkingnak, David Kuptana, Karliin Aariak, Efstathios Andreas Agathos, die Canadian Seal Marketing Group, die Ta Ma Su Seal Products, Inc., das Fur Institute of Canada, die NuTan Furs, Inc., die GC Rieber Skinn AS, die Inuit Circumpolar Conference Greenland (ICC), Johannes Egede und die Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK), die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung erhoben.

3        Mit am 11. Februar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem besonderen Schriftsatz haben die Kläger beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung der angefochtenen Verordnung auszusetzen.

4        Das Parlament und der Rat haben zu diesem Antrag fristgemäß Stellung genommen.

5        Mit Beschluss vom 30. April 2010, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T‑18/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), hat der Präsident des Gerichts den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen.

6        Mit besonderen Schriftsätzen, die am 20. und am 21. Mai 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben das Parlament und der Rat Unzulässigkeitseinreden nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben.

7        Mit Schriftsätzen, die am 31. und am 21. Mai 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments und des Rates zugelassen zu werden. Die Kläger und das Parlament haben hierzu fristgemäß Stellung genommen. Der Rat hat keine Stellungnahme eingereicht.

8        Mit am 8. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem besonderen Schriftsatz hat der Rat beantragt, die Anlage A 7 zur Klageschrift, die aus der Stellungnahme des Juristischen Dienstes des Rates vom 18. Februar 2009 zu dem von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Parlaments und des Rates über den Handel mit Robbenerzeugnissen (KOM [2008] 469 endg. vom 23. Juli 2008) besteht, aus den Akten zu entfernen, ebenso wie den in Randnr. 46 der Klageschrift zitierten Auszug aus dieser Stellungnahme.

9        Mit am 2. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz hat das Parlament seine Stellungnahme zum Antrag des Rates auf Entfernung aus den Akten eingereicht.

10      Mit Beschluss vom 6. Juli 2010 hat der Präsident der Fünften Kammer des Gerichts das Königreich der Niederlande und die Kommission als Streithelfer zugelassen.

11      Am 13. Juli 2010 haben die Kläger ihre Stellungnahmen zu den Unzulässigkeitseinreden des Parlaments und des Rates eingereicht.

12      Am 19. und 20. August 2010 haben das Königreich der Niederlande und die Kommission ihre auf die Unzulässigkeitseinreden beschränkten Streithilfeschriftsätze eingereicht.

13      Mit am 28. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz haben die Kläger, von einer Ausnahme abgesehen, gestützt auf die Art. 278 und 279 AEUV und Art. 109 der Verfahrensordnung erneut beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung die Durchführung der angefochtenen Verordnung bis zur Entscheidung des Gerichts über die gegen diese Verordnung gerichtete Nichtigkeitsklage auszusetzen.

14      Mit Beschluss vom 19. August 2010, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T‑18/10 R II, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), hat der Präsident des Gerichts in Bezug auf die Kläger die Durchführung der Bedingungen, die nach Art. 3 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen einschränken, bis zum Erlass des Beschlusses, der dieses Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet, ausgesetzt.

15      Das Parlament und der Rat sowie die Kommission haben am 7. September 2010 ihre Stellungnahmen zum zweiten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz eingereicht. Das Königreich der Niederlande hat keine Stellungnahme eingereicht.

16      Am 5. Oktober 2010 haben die Kläger einen Antrag nach Art. 129 der Verfahrensordnung auf Auslegung des Beschlusses des Präsidenten des Gerichts vom 19. August 2010, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (oben in Randnr. 14 angeführt), gestellt.

17      Das Parlament, der Rat und die Kommission haben am 14., 18. und 13. Oktober 2010 ihre Stellungnahmen zu diesem Antrag eingereicht.

18      Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 19. Oktober 2010, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T‑18/10 RII‑INTP, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), ist der Auslegungsantrag als unzulässig zurückgewiesen worden.

19      Mit Beschluss vom 25. Oktober 2010, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat (T 18/10 R II, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rechtsmittelverfahren anhängig), hat der Präsident des Gerichts den zweiten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen.

20      Mit besonderen Schriftsätzen, die am 6. und am 14. Oktober 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben der Rat und die Kommission beantragt, die vorliegende Rechtssache an die Große Kammer zu verweisen. Hilfsweise hat die Kommission für eine Entscheidung in der Sache die Verweisung an eine Kammer mit fünf Richtern beantragt.

21      Auf diese Anträge hat das Gericht am 26. Oktober 2010 nach Art. 51 § 1 Abs. 2 der Verfahrensordnung beschlossen, die Rechtssache an die Siebte erweiterte Kammer zu verweisen.

22      Am 19. Oktober 2010 haben die Kläger und das Parlament ihre jeweiligen Stellungnahmen zu den auf die Unzulässigkeitseinreden beschränkten Streithilfeschriftsätzen des Königreichs der Niederlande und der Kommission eingereicht.

23      Mit Schreiben vom 8. Februar 2011 hat das Gericht die Verfahrensbeteiligten um Beantwortung einer Frage zur unmittelbaren Betroffenheit der Kläger durch die angefochtene Verordnung ersucht. Die Kläger, das Parlament, der Rat und die Kommission haben diese Frage fristgemäß beantwortet. Das Königreich der Niederlande hat keine Antwort auf die Frage des Gerichts eingereicht.

24      Die Kläger beantragen in der Klageschrift,

–        die Klage für zulässig zu erklären;

–        die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären;

–        dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

25      Das Parlament beantragt,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        hilfsweise, ihm und dem Rat für den Fall, dass das Gericht die Unzulässigkeitseinrede zurückweisen oder die Entscheidung darüber vorbehalten sollte, gemäß Art. 114 § 4 der Verfahrensordnung eine Frist zur Einreichung einer Klagebeantwortung einzuräumen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

26      Das Königreich der Niederlande und der Rat beantragen,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

27      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen;

–        den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

28      Die Kläger beantragen in ihren Stellungnahmen zu den Einreden der Unzulässigkeit,

–        die Entscheidung über die Unzulässigkeitseinreden dem Endurteil vorzubehalten;

–        hilfsweise, die Klage für zulässig zu erklären;

–        jedenfalls dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen;

–        dem Königreich der Niederlande und der Kommission ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

29      Nach Art. 114 §§ 1 und 4 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Einrede der Unzulässigkeit entscheiden.

30      Außerdem kann das Gericht nach Art. 113 der Verfahrensordnung jederzeit von Amts wegen nach Anhörung der Parteien darüber entscheiden, ob unverzichtbare Prozessvoraussetzungen fehlen. Diese Entscheidung ergeht gemäß Art. 114 §§ 3 und 4 der Verfahrensordnung.

31      Nach Art. 114 § 3 der Verfahrensordnung wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend und beschließt, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen.

 Zur Anwendbarkeit von Art. 263 Abs. 4 AEUV

32      Die angefochtene Verordnung ist auf der Grundlage des EG-Vertrags (Art. 95 EG) ergangen, während die Klage nach Inkrafttreten des AEU-Vertrags erhoben worden ist.

33      Nach Ansicht der Verfahrensbeteiligten ist für die Prüfung der Zulässigkeit der vorliegenden Klage auf Art. 263 Abs. 4 AEUV abzustellen.

34      Insoweit ist zu beachten, dass bezüglich der Frage der zeitlichen Anwendbarkeit von Vorschriften, die die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage regeln, die ein Einzelner bei einem Unionsgericht erhebt, der ständigen Rechtsprechung zum einen zu entnehmen ist, dass sich die Frage der Zulässigkeit einer Klage gemäß dem Grundsatz tempus regit actum nach den zum Zeitpunkt der Klageerhebung geltenden Vorschriften bestimmt, und zum anderen, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Klage auf den Zeitpunkt der Klageerhebung, d. h. der Einreichung der Klageschrift, abzustellen ist (vgl. Beschlüsse des Gerichts vom 7. September 2010, Norilsk Nickel Harjavalta und Umicore/Kommission, T‑532/08, Slg. 2010, II‑0000, Randnr. 70, und Etimine und Etiproducts/Kommission, T‑539/08, Slg. 2010, II‑0000, Randnr. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im vorliegenden Fall waren zum Zeitpunkt der Klageerhebung die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Klage in Art. 263 AEUV geregelt. Daher ist unter Berücksichtigung der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung für die Entscheidung über die Zulässigkeit der vorliegenden Klage auf diesen Artikel abzustellen.

 Zur Zulässigkeit der vorliegenden Klage

36      Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich der Niederlande und die Kommission, machen drei Unzulässigkeitsgründe geltend: Die angefochtene Verordnung sei kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter, sie ziehe Durchführungsmaßnahmen nach sich, und sie betreffe die Kläger nicht individuell.

37      Die Kläger treten den Anträgen des Parlaments und des Rates, unterstützt durch das Königreich der Niederlande und die Kommission, entgegen.

 Zum Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV

38      Nach Art. 263 Abs. 4 AEUV kann „[j]ede natürliche oder juristische Person … unter den Bedingungen nach den Absätzen 1 und 2 gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben“.

39      Mit dieser Bestimmung wird zwar für den Zugang zu den Unionsgerichten eine Neuerung gegenüber dem EG-Vertrag eingeführt, nämlich, dass nunmehr eine natürliche oder juristische Person gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben kann; der AEU-Vertrag enthält aber keine Definition des Begriffs „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“.

40      Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der vorliegenden Klage ist daher eine grammatikalische, historische und teleologische Auslegung dieser Bestimmung vorzunehmen.

41      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 230 Abs. 4 EG natürliche und juristische Personen Klage erheben konnten gegen Entscheidungen, die als Handlungen mit individueller Geltung einzustufen sind, sowie gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung wie eine Verordnung, die sie unmittelbar betrifft und sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder wegen besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten einer Entscheidung (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 15. Juli 1963, Plaumann/Kommission, 25/62, Slg. 1963, 213, 238, und vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677, Randnr. 36).

42      In Art. 263 Abs. 4 AEUV werden, auch wenn der Begriff „Entscheidung“ dort nicht vorkommt, diese beiden Alternativen übernommen, und eine dritte wird hinzugefügt. So kann nach dieser Bestimmung Klage erhoben werden gegen individuelle Handlungen, gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung, die eine natürliche oder juristische Person unmittelbar und individuell betreffen, sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die diese Person unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen. Aus dem gewöhnlichen Wortsinn des Ausdrucks „mit Verordnungscharakter“ ergibt sich, dass die Rechtsakte, auf die sich diese dritte Alternative bezieht, ebenfalls allgemeine Geltung haben.

43      Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass sich diese Alternative nicht auf sämtliche Handlungen mit allgemeiner Geltung bezieht, sondern auf eine engere Kategorie dieser Handlungen, eben auf Rechtsakte mit Verordnungscharakter.

44      Art. 263 Abs. 1 AEUV sieht nämlich mehrere Kategorien von Handlungen der Union vor, die Gegenstand einer Rechtmäßigkeitskontrolle sein können – zum einen Gesetzgebungsakte und zum anderen sonstige verbindliche Handlungen mit Rechtswirkung gegenüber Dritten, wobei dies individuelle Handlungen oder Handlungen mit allgemeiner Geltung sein können.

45      Daraus ist zu folgern, dass nach Art. 263 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 AEUV eine natürliche oder juristische Person Klage erheben kann gegen die an sie gerichteten Handlungen sowie zum einen gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung – Gesetzgebungsakte oder Rechtsakte mit Verordnungscharakter –, die sie unmittelbar und individuell betreffen, und zum anderen gegen bestimmte Handlungen mit allgemeiner Geltung, nämlich Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen.

46      Diese Auslegung des Ausdrucks „mit Verordnungscharakter“ und des entsprechenden Ausdrucks in den verschiedenen Sprachfassungen des AEU-Vertrags im Gegensatz zum Ausdruck „Gesetzgebung“ ergibt sich im Übrigen auch aus mehreren anderen Bestimmungen des AEU-Vertrags, insbesondere aus Art. 114 AEUV, der sich auf die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten bezieht.

47      Insoweit ist das Vorbringen der Kläger zurückzuweisen, die von Parlament und Rat vorgeschlagene und in den Randnrn. 42 bis 45 des vorliegenden Beschlusses übernommene Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten mit Verordnungscharakter bedeute, dass der sich auf die ersten beiden in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehenen Alternativen beziehende Begriff „Handlungen“ als „Gesetzgebungsakte“ gelesen werde. Wie sich nämlich aus der Schlussfolgerung in Randnr. 45 des vorliegenden Beschlusses ergibt, erfasst der sich auf diese ersten beiden Alternativen beziehende Begriff „Handlungen“ neben den an eine natürliche oder juristische Person gerichteten Handlungen alle Handlungen – Gesetzgebungsakte oder Rechtsakte mit Verordnungscharakter –, die sie unmittelbar und individuell betreffen. Insbesondere fallen Gesetzgebungsakte und Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, unter die letztgenannte Alternative.

48      Darüber hinaus ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Kläger aus dem Wortlaut des letzten Satzteils von Art. 263 Abs. 4 AEUV, dass die Mitgliedstaaten den Geltungsbereich dieser Bestimmung nicht allein auf delegierte Rechtsakte im Sinne von Art. 290 AEUV beschränken wollten, sondern allgemeiner auf Rechtsakte mit Verordnungscharakter.

49      Sodann spricht für die in den Randnrn. 42 bis 45 des vorliegenden Beschlusses vorgenommene Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung, die ursprünglich als Art. III‑365 Abs. 4 des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa vorgeschlagen worden war. Insbesondere aus dem Übermittlungsvermerk des Präsidiums des Konvents (Sekretariat des Europäischen Konvents, CONV 734/03) vom 12. Mai 2003 ergibt sich nämlich, dass, obwohl in dem betreffenden Änderungsvorschlag zu Art. 230 Abs. 4 EG von „Rechtsakten mit allgemeiner Geltung“ die Rede war, das Präsidium sich für eine andere Option entschied, in der von „Durchführungsrechtsakten“ die Rede war. Wie sich aus dem genannten Übermittlungsvermerk ergibt, wurde durch diese Formulierung „eine Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsrechtsakten ermöglicht, unter Beibehaltung des restriktiven Ansatzes in Bezug auf die Klagebefugnis von Einzelpersonen gegen Gesetzgebungsakte (für die das Kriterium ‚unmittelbar und individuell betroffen‘ weiterhin gilt)“.

50      Schließlich ist aufgrund der Entscheidung für die Aufnahme einer entsprechenden Formulierung in Art. 263 Abs. 4 AEUV davon auszugehen, dass der Zweck dieser Bestimmung darin besteht, es natürlichen oder juristischen Personen zu ermöglichen, gegen Handlungen mit allgemeiner Geltung, die keine Gesetzgebungsakte sind, sie aber unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage zu erheben, und dadurch zu vermeiden, dass sie gegen das Recht verstoßen müssten, um Zugang zu den Gerichten zu erhalten (vgl. den vorstehend angeführten Übermittlungsvermerk des Präsidiums des Konvents). Wie aus der Analyse in den vorstehenden Randnummern hervorgeht, ist nach der Formulierung in Art. 263 Abs. 4 AEUV nicht gegen alle Handlungen, die die Kriterien der unmittelbaren Betroffenheit und des Fehlens von Durchführungsmaßnahmen erfüllen, und auch nicht gegen alle Handlungen mit allgemeiner Geltung, die diese Kriterien erfüllen, eine Klagemöglichkeit gegeben, sondern nur gegen eine spezifische Kategorie der letztgenannten Handlungen, nämlich die der Rechtsakte mit Verordnungscharakter. Demzufolge sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage gegen einen Gesetzgebungsakt nach wie vor restriktiver als bei einer Klage gegen einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter.

51      Dieses Ergebnis kann durch die Argumentation der Kläger mit dem Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz, insbesondere mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2007, C 303, S. 1), nicht in Frage gestellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung können nämlich die Unionsgerichte die Voraussetzungen, unter denen ein Einzelner Klage gegen eine Verordnung erheben kann, nicht so auslegen, dass es zu einer Abweichung von diesen Voraussetzungen, die im Vertrag ausdrücklich vorgesehen sind, kommt, ohne damit ihre Befugnisse zu überschreiten; dies gilt auch im Licht des Grundsatzes eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 1. April 2004, Kommission/Jégo-Quéré, C‑263/02 P, Slg. 2004, I‑3425, Randnr. 36, und Beschluss des Gerichts vom 9. Januar 2007, Lootus Teine Osaühing/Rat, T‑127/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 50).

52      Ebenso ist das Argument der Kläger zurückzuweisen, dass sich die Verpflichtung zu einer „weiten“ Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV auch aus zwei internationalen Übereinkommen im Rahmen der Vereinten Nationen ergebe, nämlich aus dem am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichneten Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten und dem am 5. Juni 1992 in Rio de Janeiro unterzeichneten Übereinkommen über die biologische Vielfalt.

53      Erstens kommen die Kläger zwar zu dem Schluss, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV im Einklang mit diesen beiden Übereinkommen auszulegen sei, doch machen sie keine Angaben dazu, wie die verschiedenen Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 263 Abs. 4 AEUV im Licht der geltend gemachten internationalen Vorschriften konkret auszulegen sein sollen, da ihre Argumente sehr allgemein und für diese Zulässigkeitsvoraussetzungen irrelevant sind.

54      Zweitens bezieht sich die von den Klägern insoweit angeführte Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofs vom 14. Juli 1998, Bettati, C‑341/95, Slg. 1998, I‑4355, Randnr. 20, und vom 1. April 2004, Bellio F.lli, C‑286/02, Slg. 2004, I‑3465, Randnr. 33) auf die Pflicht der mit einer Frage nach der Gültigkeit eines Akts des abgeleiteten Unionsrechts befassten Unionsgerichte, diese Gültigkeit auch im Licht des Völkerrechts zu prüfen.

55      Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Vertrag ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen wurde, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der die Unionsgerichte betraut werden, gewährleisten soll (vgl. in diesem Sinne Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, oben in Randnr. 41 angeführt, Randnr. 40). Die Bestimmungen der geltend gemachten internationalen Übereinkommen dürfen nicht von dieser Regelung des Primärrechts der Union abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351, Randnrn. 306 bis 308, und Urteil des Gerichts vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, Slg. 2007, II‑3601, Randnr. 798).

56      Aus alledem ergibt sich, dass der Begriff „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV dahin zu verstehen ist, dass er mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte jede Handlung mit allgemeiner Geltung erfasst. Eine natürliche oder juristische Person kann gegen einen Gesetzgebungsakt daher nur dann Nichtigkeitsklage erheben, wenn sie von ihm unmittelbar und individuell betroffen ist.

 Zur rechtlichen Einstufung der angefochtenen Verordnung

57      Aufgrund des Ergebnisses, zu dem das Gericht in Randnr. 56 des vorliegenden Beschlusses hinsichtlich der Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV gelangt ist, ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall die angefochtene Verordnung als Gesetzgebungsakt oder als Rechtsakt mit Verordnungscharakter einzustufen ist.

58      Die angefochtene Verordnung ist daher anhand der im AEU-Vertrag vorgesehenen Kategorien von Handlungen einzustufen.

59      Die Verordnung wurde auf der Grundlage von Art. 95 EG nach dem Mitentscheidungsverfahren des Art. 251 EG erlassen.

60      Aus Art. 289 Abs. 2 und 3 AEUV ergibt sich insoweit, dass Rechtsakte, die nach dem in Art. 294 AEUV festgelegten „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ angenommen werden, Gesetzgebungsakte sind.

61      Da das in Art. 294 AEUV festgelegte Verfahren im Wesentlichen dem Verfahren des Art. 251 EG entspricht, ist darauf zu schließen, dass die angefochtene Verordnung im Rahmen der im AEU-Vertrag vorgesehenen Kategorien von Rechtsakten als Gesetzgebungsakt einzustufen ist.

62      In diesem Zusammenhang machen die Kläger geltend, dass sich die Natur eines Rechtsakts nicht nach der Form, in der er angenommen worden sei, sondern danach bestimme, ob die Maßnahme individuelle oder generelle Tragweite habe. Eine Verordnung könne in Abhängigkeit von ihrem Geltungsbereich als Rechtsakt mit Verordnungscharakter einzustufen sein oder nicht. Darüber hinaus sei das Attribut „mit Verordnungscharakter“ nach seinem gewöhnlichen Wortsinn auszulegen, d. h. als Bezugnahme auf einen Rechtsakt, mit dem allgemein geltende Vorschriften festgelegt werden sollten.

63      Nach ständiger Rechtsprechung besteht das Kriterium für die Unterscheidung zwischen einer Verordnung und einer Entscheidung darin, ob die betreffende Handlung allgemeine Geltung hat. Eine Handlung hat nämlich allgemeine Geltung, wenn sie für objektiv bestimmte Situationen gilt und Rechtswirkungen gegenüber allgemein und abstrakt umschriebenen Personengruppen entfaltet (vgl. Beschluss des Gerichts vom 30. November 2009, Veromar di Tudisco Alfio & Salvatore/Kommission, T‑313/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Diese Rechtsprechung hat sich insbesondere auf die zweite Alternative von Art. 230 Abs. 4 EG – Klagen gegen Handlungen, die natürliche oder juristische Personen unmittelbar und individuell betreffen – bezogen. Mit dieser Bestimmung, wie sie in der Rechtsprechung ausgelegt worden ist, sollte insbesondere verhindert werden, dass die Unionsorgane durch die bloße Wahl der Verordnungsform die Klage eines Einzelnen gegen eine Entscheidung ausschließen können, die ihn unmittelbar und individuell betrifft; auf diese Weise sollte klargestellt werden, dass die Wahl der Form die Rechtsnatur einer Handlung nicht ändern kann (vgl. Beschluss des Gerichts Veromar di Tudisco Alfio & Salvatore/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die allgemeine Geltung der angefochtenen Verordnung, sondern um ihre behauptete Einstufung als Rechtsakt mit Verordnungscharakter. Auch wenn das Kriterium für die Unterscheidung zwischen einer Handlung mit allgemeiner Geltung und einer individuellen Handlung darin besteht, ob die betreffende Handlung allgemeine Geltung hat, beruht nach dem AEU-Vertrag ihre Einstufung als Gesetzgebungsakt oder als Rechtsakt mit Verordnungscharakter auf dem Kriterium, ob sie im Gesetzgebungsverfahren ergangen ist.

66      In Anbetracht der in den Randnrn. 41 bis 56 des vorliegenden Beschlusses vorgenommenen Auslegung des Begriffs „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV und der Schlussfolgerung, dass die angefochtene Verordnung kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne dieser Bestimmung ist, ist festzustellen, dass die vorliegende Klage nicht nach der letzten Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV zulässig ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die angefochtene Verordnung Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

67      Folglich ist zu prüfen, ob die Kläger von der angefochtenen Verordnung unmittelbar und individuell betroffen sind.

 Zur unmittelbaren Betroffenheit der Kläger

68      In den Unzulässigkeitseinreden haben das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich der Niederlande und die Kommission, den Antrag auf Abweisung der Klage als unzulässig nicht auf das Fehlen der unmittelbaren Betroffenheit gestützt, mit Ausnahme einer einzigen dahin gehenden, nicht weiter ausgeführten Erwähnung in der Unzulässigkeitseinrede des Parlaments.

69      Da die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage zu den unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen gehören (Beschluss des Gerichtshofs vom 7. Oktober 1987, d. M./Rat und WSA, 108/86, Slg. 1987, 3933, Randnr. 10; vgl. auch Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 2008, TV 2/Danmark u. a./Kommission, T‑309/04, T‑317/04, T‑329/04 und T‑336/04, Slg. 2008, II‑2935, Randnr. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung), hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die in Art. 263 Abs. 4 AEUV vorgesehene Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit erfüllt ist.

70      Die Kläger, das Parlament und der Rat sowie die Kommission haben auf eine Frage des Gerichts vom 8. Februar 2011 zu diesem Punkt Stellung genommen (vgl. oben, Randnr. 23).

71      Nach ständiger Rechtsprechung ist Voraussetzung für eine unmittelbare Betroffenheit eines Einzelnen, dass sich die angefochtene Handlung der Union erstens auf die Rechtsstellung dieser Person unmittelbar auswirkt und zweitens ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessensspielraum lässt, ihre Durchführung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der unionsrechtlichen Regelung ergibt, ohne dass weitere Durchführungsvorschriften angewandt werden (vgl. Beschluss Lootus Teine Osaühing/Rat, oben in Randnr. 51 angeführt, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72      Aus dieser Rechtsprechung geht eindeutig hervor, dass zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine Handlung eine natürliche oder juristische Person unmittelbar betrifft (Beschluss des Gerichts vom 21. Mai 2010, ICO Services/Parlament und Rat, T‑441/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 56).

73      Insoweit ist davon auszugehen, dass die Durchführungsvorschriften, auf die sich die in Randnr. 71 des vorliegenden Beschlusses erwähnte Rechtsprechung bezieht, denjenigen Vorschriften entsprechen, die auf nationaler Ebene oder auf Unionsebene zu erlassen sind.

74      Im vorliegenden Fall ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs.1 der angefochtenen Verordnung, der die zentrale Vorschrift dieser Verordnung ist, „[d]as Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen … nur in Fällen gestattet [ist], in denen die Robbenerzeugnisse aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt“.

75      Folglich wirkt sich die angefochtene Verordnung unmittelbar nur auf die Rechtsstellung derjenigen Kläger aus, die im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen in der Union tätig sind. Die Verordnung verbietet nämlich keineswegs die Robbenjagd, die zudem außerhalb des Marktes der Europäischen Union stattfindet, und auch nicht die Verwendung oder den Verbrauch von Robbenerzeugnissen, die nicht vermarktet werden. Es ist daher festzustellen, dass zwar nicht ausgeschlossen werden kann, dass das in der angefochtenen Verordnung vorgesehene allgemeine Verbot des Inverkehrbringens Auswirkungen auf die Tätigkeit von Personen haben kann, die diesem Inverkehrbringen vor- oder nachgelagert ist; gleichwohl können derartige Auswirkungen nicht als unmittelbare Folge dieses Verbots angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichts vom 11. Juli 2005, Bonino u. a./Parlament und Rat, T‑40/04, Slg. 2005, II‑2685, Randnr. 56). Außerdem betreffen etwaige wirtschaftliche Auswirkungen dieses Verbots nach der Rechtsprechung nicht die Rechtsstellung, sondern allein die faktische Lage der Kläger (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 27. Juni 2000, Salamander u. a/Parlament und Rat, T‑172/98, T‑175/98 bis T‑177/98, Slg. 2000, II‑2487, Randnr. 62).

76      Zweitens ergibt sich aus Art. 3 Abs. 4 der angefochtenen Verordnung in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 3, dass „zur Durchführung [von Art. 3] Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung durch Ergänzung nach dem … Regelungsverfahren mit Kontrolle erlassen [werden]“, das in Art. 5a des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. L 184, S. 23) vorgesehen ist. Auch geht aus dem 17. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung hervor, dass insbesondere die Kommission ermächtigt werden sollte, „die Bedingungen für das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen aus einer Jagd festzulegen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt“.

77      Es ist festzustellen, dass zwar nach dieser Bestimmung der angefochtenen Verordnung davon ausgegangen werden kann, dass das Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen verboten ist, die nachweislich nicht aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt, jedoch die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die diesen Bedingungen entsprechen können, nicht bestimmt sind.

78      In der angefochtenen Verordnung wird nämlich insbesondere nicht näher bestimmt, was unter den in Art. 3 Abs. 1 genannten „anderen indigenen Gemeinschaften“ zu verstehen ist, und es finden sich auch weder Erläuterungen zur Jagd, die traditionsgemäß betrieben wird und zum Lebensunterhalt beiträgt, noch dazu, wie der Ursprung bei den Inuit oder anderen indigenen Gemeinschaften nachgewiesen werden soll. Die nationalen Behörden sind daher im Hinblick auf die Erzeugnisse, die unter die Ausnahmeregelung fallen können, nicht in der Lage, die angefochtene Verordnung ohne Durchführungsmaßnahmen anzuwenden, die in einer Durchführungsverordnung festgelegt sind und in denen gerade die Bedingungen festzulegen sind, unter denen das Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse zulässig ist (17. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung). Eine derartige Bestimmung ist daher keine vollständige und erschöpfende Regelung, die keiner weiteren Durchführungsbestimmungen bedarf und den Einzelnen deshalb unmittelbar betreffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, Slg. 1986, 1339, Randnr. 31). Nur auf der Grundlage der Maßnahmen zur Durchführung der angefochtenen Verordnung kann die Stellung der unter die betreffende Ausnahme fallenden Kläger beurteilt werden.

79      Es ist daher davon auszugehen, dass sich die angefochtene Verordnung nur auf die Rechtsstellung derjenigen Kläger auswirkt, die im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen in der Union tätig und von dem allgemeinen Verbot des Inverkehrbringens dieser Erzeugnisse betroffen sind. Anders verhält es sich dagegen mit den Klägern, die nicht im Inverkehrbringen dieser Erzeugnisse tätig sind, und/oder mit denen, die unter die in der angefochtenen Verordnung vorgesehene Ausnahme fallen, da das Inverkehrbringen in der Union von Robbenerzeugnissen, die aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt, grundsätzlich weiterhin zulässig ist.

80      So kann, erstens, bei der ersten Gruppe von Klägern, nämlich den Inuit, die Robben jagen und Robbenfallen stellen, und bei der aus Organisationen, die deren Interessen vertreten, bestehenden zweiten Gruppe von Klägern nicht davon ausgegangen werden, dass sie im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen tätig sind.

81      Zu diesen beiden Kategorien von Klägern gehören Jaypootie Moesesie, Allen Kooneeliusie, Toomasie Newkingnak, David Kuptana und Johannes Egede sowie die Inuit Tapiriit Kanatami, eine nationale kanadische Organisation, die die Interessen der Inuit vertritt und sich für sie einsetzt, die ICC, eine nationale grönländische Organisation, die die Interessen dieser Volksgruppen vertritt und sich für sie einsetzt, die Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Association, eine Organisation, die sich für die Interessen der in der Region Pangnirtung lebenden Inuit, die Jagd- und Schlachttätigkeiten nachgehen, einsetzen und sie schützen will, die Nattivak Hunters and Trappers Association, eine Organisation, die sich für die Interessen der in der Region Broughton Island lebenden Inuit, die dieser Art von Tätigkeiten nachgehen, einsetzt und sie schützt, und die KNAPK, die die Jäger und Fischer Grönlands (Inuit und Nicht-Inuit) vertritt.

82      Zweitens ist Frau Karliin Aariak in der Verarbeitung von Robbenerzeugnissen tätig, nämlich im Design und Verkauf von Bekleidungsartikeln, die aus Robbenfellen gefertigt werden. Aus der Klageschrift und den Stellungnahmen der Kläger zu den Unzulässigkeitseinreden geht jedoch hervor, dass sie ebenfalls der Inuit-Gemeinschaft angehört. Da Frau Aariak in keiner Weise behauptet, im Inverkehrbringen von anderen Waren, als denen, die unter die in Rede stehende Ausnahme fallen, tätig zu sein, ist sie von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen.

83      Drittens handelt es sich bei Herrn Efstathios Andreas Agathos um einen Arzt, der klinische Versuche für die medizinische Verwendung von Herzklappen von Robben durchführt und infolgedessen nicht im Bereich des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen tätig ist.

84      Viertens gilt dasselbe für das Fur Institute of Canada, das eine nationale Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht ist, in der die kanadische Pelzindustrie, einschließlich der staatlichen Regulierungsagenturen, zusammengeschlossen ist. Seine Tätigkeiten umfassen die Koordinierung, die wissenschaftliche Forschung und die Kommunikation mit den Medien, der breiten Öffentlichkeit und den Regierungen in Bezug auf die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Pelzhandel. Demzufolge ist dieses Institut nicht unmittelbar vom Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen betroffen.

85      Dagegen ergibt sich aus den Akten, dass Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs und GC Rieber Skinn sowie die Einrichtung, in der sie zusammengeschlossen sind, die Canadian Seal Marketing Group, sehr wohl in der Verarbeitung und/oder Vermarktung von Robbenerzeugnissen tätig sind, die von Jägern und Fallenstellern stammen, bei denen es sich um Inuit und Nicht-Inuit handelt. Infolgedessen ist davon auszugehen, dass ihre Rechtsstellung von dem in der angefochtenen Verordnung vorgesehenen allgemeinen Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen betroffen ist.

86      Folglich sind die Kläger mit Ausnahme von Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs, GC Rieber Skinn und der Canadian Seal Marketing Group von der angefochtenen Verordnung nicht unmittelbar betroffen.

87      Da die Voraussetzungen der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit kumulativ sind, ist noch zu prüfen, ob Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs, GC Rieber Skinn und die Canadian Seal Marketing Group von der angefochtenen Verordnung individuell betroffen sind.

 Zur individuellen Betroffenheit von Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs, GC Rieber Skinn und der Canadian Seal Marketing Group

88      Wie in Randnr. 41 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt, ist eine natürliche oder juristische Person, die nicht Adressat einer Entscheidung ist, von einer angefochtenen Handlung nur dann individuell betroffen, wenn sie von ihr aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wird, wie es bei dem Adressaten einer Entscheidung der Fall ist.

89      Wie das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich der Niederlande und die Kommission, zutreffend vortragen, gilt die angefochtene Verordnung für objektiv festgelegte Situationen und entfaltet Rechtswirkungen gegenüber Personengruppen, die allgemein und abstrakt bestimmt sind. Insbesondere ist das allgemeine Verbot des Inverkehrbringens von Robbenerzeugnissen mit Ausnahme von Robbenerzeugnissen, die aus einer Jagd stammen, die von Inuit und anderen indigenen Gemeinschaften traditionsgemäß betrieben wird und zu deren Lebensunterhalt beiträgt, allgemein formuliert und kann unterschiedslos für jeden Wirtschaftsteilnehmer gelten, der unter die angefochtene Verordnung fällt.

90      Wie in Randnr. 85 des vorliegenden Beschlusses festgestellt, sind Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs und GC Rieber Skinn sowie die Einrichtung, in der sie zusammengeschlossen sind, die Canadian Seal Marketing Group, im Inverkehrbringen von Robbenerzeugnissen tätig, die von Jägern und Fallenstellern stammen, bei denen es sich um Inuit und Nicht-Inuit handelt. Als solche sind sie von der angefochtenen Verordnung wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer betroffen, der Robbenerzeugnisse in den Verkehr bringt.

91      Die Kläger tragen insoweit vor, dass die Einrichtungen, die Inuit- und Nicht-Inuit-Unternehmen, die im Bereich der Herstellung von Robbenerzeugnissen tätig sind, vertreten, sowie die Unternehmen, die in der Verarbeitung von Robbenerzeugnissen tätig sind, zumindest im Hinblick auf ihre Inuit-Mitglieder oder die von Inuit stammenden Erzeugnisse individuell betroffen seien.

92      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Denn selbst wenn unterstellt wird, dass die betreffenden Kläger nicht nur unter das allgemeine Verbot, sondern auch unter die Ausnahme für von Inuit stammende Erzeugnisse fallen, reicht dies nicht aus, um sie in ähnlicher Weise zu individualisieren, wie es bei dem Adressaten einer Entscheidung der Fall wäre. Im Übrigen legen die Kläger in keiner Weise dar, inwiefern die angefochtene Verordnung diese Einrichtungen und Unternehmen aufgrund bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühren soll.

93      Daraus folgt, dass Ta Ma Su Seal Products, NuTan Furs und GC Rieber Skinn sowie die Canadian Seal Marketing Group von der angefochtenen Verordnung nicht individuell betroffen sind.

94       Nach alledem ist die vorliegende Nichtigkeitsklage als unzulässig abzuweisen, ohne dass über den Antrag des Rates, die Anlage A 7 zur Klageschrift und einen in der Klageschrift daraus zitierten Auszug aus der Akte zu entfernen, zu entscheiden ist.

 Kosten

95      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger unterlegen sind, sind ihnen ihre eigenen Kosten sowie gemäß den Anträgen des Parlaments und des Rates deren Kosten aufzuerlegen.

96      Das Königreich der Niederlande und die Kommission haben nach Art. 87 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Inuit Tapiriit Kanatami, die Nattivak Hunters and Trappers Association, die Pangnirtung Hunters’ and Trappers’ Association, Jaypootie Moesesie, Allen Kooneeliusie, Toomasie Newkingnak, David Kuptana, Karliin Aariak, Efstathios Andreas Agathos, die Canadian Seal Marketing Group, die Ta Ma Su Seal Products, das Fur Institute of Canada, die NuTan Furs, Inc., die GC Rieber Skinn AS, die Inuit Circumpolar Conference Greenland (ICC), Johannes Egede und die Kalaallit Nunaanni Aalisartut Piniartullu Kattuffiat (KNAPK) tragen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

3.      Das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 6. September 2011

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

       A. Dittrich


* Verfahrenssprache: Englisch.