Language of document : ECLI:EU:C:2017:223

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

ELEANOR SHARPSTON

vom 16. März 2017(1)

Rechtssache C98/15

María Begoña Espadas Recio

gegen

Servicio Público de Empleo Estatal (SPEE)

(Vorabentscheidungsersuchen des Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona [Sozialgericht Nr. 33 Barcelona, Spanien])

„Richtlinie 79/7/EWG – Art. 4 Abs. 1 – Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern – Richtlinie 97/81/EG – Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit – Nationale Rechtsvorschriften für die Berechnung der Bezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit – Nichteinbeziehung nicht gearbeiteter Tage – Diskriminierung“






1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wünscht das Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Sozialgericht Nr. 33 Barcelona, Spanien) Aufschluss über die Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit(2) sowie der Richtlinie 97/81/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit(3). Im Wesentlichen möchte das vorlegende Gericht zunächst wissen, ob aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen finanzierte Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung fallen. Es wünscht weiterhin die Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit der Rahmenvereinbarung und/oder der Richtlinie 79/7 zu prüfen, nach denen bei einer Beschäftigten mit einer „vertikalen Arbeitszeitvereinbarung“ (in deren Rahmen z. B. 50 % der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft dergestalt zu erbringen ist, dass montags, dienstags und mittwochs gearbeitet wird, während der Donnerstag und der Freitag jeweils arbeitsfrei sind) die arbeitsfreien Tage nicht für die Berechnung der Gesamtbezugsdauer von Leistungen bei Arbeitslosigkeit herangezogen werden.

 Unionsrecht

 Richtlinie 79/7

2.        Nach dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 79/7 sollte der Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit in erster Linie bei den gesetzlichen Systemen verwirklicht werden, die Schutz gegen die Risiken bieten, zu denen u. a. die Arbeitslosigkeit gehört.

3.        Nach Art. 2 findet die Richtlinie 79/7 u. a. auf Arbeitnehmer Anwendung, deren Erwerbstätigkeit durch unverschuldete Arbeitslosigkeit unterbrochen ist. Nach Art. 3 gilt die Richtlinie beispielsweise für gesetzliche Systeme, die Schutz gegen Arbeitslosigkeit bieten.

4.        Der Grundsatz der Gleichbehandlung wird in Art. 4 Abs. 1 so definiert, dass er

„den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand [beinhaltet], und zwar im Besonderen betreffend:

–        den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,

–        die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,

–        die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen“.

 Richtlinie 97/81

5.        Am 6. Juni 1997 haben die europäischen Sozialpartner (Union der Industrie- und Arbeitgeberverbände Europas [UNICE], Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft [CEEP] und Europäischer Gewerkschaftsbund [EGB]) eine Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit geschlossen (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), durch die u. a. eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten beseitigt werden soll(4).

6.        Die Rahmenvereinbarung wurde durch die Richtlinie 97/81 ordnungsgemäß in (Unions-)Recht umgesetzt. Nach Art. 1 dieser Richtlinie soll mit ihr die Rahmenvereinbarung durchgeführt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen, bis zum 20. Januar 2000 in Kraft zu setzen oder sich zu vergewissern, dass die Sozialpartner im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben. Die Rahmenvereinbarung ist im Anhang der Richtlinie enthalten(5).

7.        Im dritten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung heißt es:

„Die Vereinbarung erstreckt sich auf die Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten und erkennt an, dass Fragen der gesetzlichen Regelung der sozialen Sicherheit der Entscheidung der Mitgliedstaaten unterliegen. …“

8.        Die Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit soll nach deren Paragraf 1 Buchst. a „die Beseitigung von Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten sicherstellen und die Qualität der Teilzeitarbeit verbessern“.

9.        Nach Paragraf 2 Abs. 1 gilt die Rahmenvereinbarung für „Teilzeitbeschäftigte, die nach den Rechtsvorschriften … in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben oder in einem Arbeitsverhältnis stehen“.

10.      Nach Paragraf 3 Abs. 1 ist „,Teilzeitbeschäftigter‘ ein Arbeitnehmer, dessen normale, auf Wochenbasis oder als Durchschnitt eines bis zu einem Jahr reichenden Beschäftigungszeitraumes berechnete Arbeitszeit unter der eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten liegt“.

11.      Paragraf 4 trägt die Überschrift „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“. Paragraf 4 Abs. 1 lautet: „Teilzeitbeschäftigte dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“

 Spanisches Recht

12.      Nach Aussage des vorlegenden Gerichts hat das spanische Sozialversicherungssystem seine Grundlage in Art. 41 der spanischen Verfassung und wird hauptsächlich durch die Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) (im Folgenden: LGSS), gebilligt durch das Real Decreto Legislativo (Königliche Gesetzesverordnung) Nr. 1/94 vom 20. Juni 1994, ausgestaltet. Art. 204 LGSS enthält Bestimmungen für zwei Arten des Schutzes bei Arbeitslosigkeit: eine beitragsbezogene Ebene und eine Unterstützungsebene. Das System ist öffentlicher Natur, und der Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist obligatorisch.

13.      Art. 210 LGSS trägt die Überschrift „Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit“. Die Dauer, in der Arbeitslosen die Leistung bei Arbeitslosigkeit gezahlt wird (im Folgenden: Bezugsdauer), richtet sich i) nach den Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung in den letzten sechs Jahren vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes oder ii) vor dem Zeitpunkt des Endes der Beitragspflicht. Die Vorschrift enthält eine Tabelle, in der die Beitragszeiten in Tagen und die entsprechende Bezugsdauer von Leistungen in Tagen gegenübergestellt sind. So führt beispielsweise eine Beitragszeit von 360 bis 539 Tagen zu einer Bezugsdauer von Leistungen von 120 Tagen, eine Beitragszeit von 1 260 bis 1 439 Tage zu einer Bezugsdauer von Leistungen von 420 Tagen und eine Beitragszeit von über 2 160 Tagen zu einer Bezugsdauer von Leistungen von 720 Tagen (dem maximalen Leistungsbezugszeitraum).

14.      Regel 4 von Abs. 1 der Disposición Adicional Séptima (Siebte Zusatzbestimmung) des LGSS, die Regelungen für Teilzeitbeschäftigte enthält, bestimmt: „Zur Ermittlung der Beitragszeiten und der Berechnungsgrundlage für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit sind die im Verordnungswege erlassenen speziellen Vorschriften anzuwenden.“ Diese speziellen Vorschriften sind im Real Decreto 625/1985 de protección por desempleo (Königlicher Erlass 625/1985 über den Schutz bei Arbeitslosigkeit) (im Folgenden: RD 625/1985) enthalten. Art. 3 dieser Regelung legt fest, wie die Bezugsdauer von Leistungen zu berechnen ist. Art. 3 Abs. 1 behandelt die Vollzeitbeschäftigten. Er lautet: „Die Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit richtet sich nach den Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung in den letzten vier Jahren vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes oder vor dem Zeitpunkt, zu dem die Beitragspflicht endete“. In Bezug auf Teilzeitbeschäftigte heißt es in Art. 3 Abs. 4: „Entsprechen die nachgewiesenen Beitragsleistungen einer Teilzeitbeschäftigung oder im Falle einer Verringerung der Arbeitszeit einer tatsächlichen Arbeitsleistung, wird jeder Arbeitstag als ein Beitragstag berücksichtigt, unabhängig von der Dauer des Arbeitstags.“

15.      Das vorlegende Gericht legt dar, dass gemäß der innerstaatlichen Rechtsprechung der Verlust von Arbeit das Recht auf den Bezug der Leistung bei Arbeitslosigkeit auslöst. Zur Feststellung der Bezugsdauer der Leistungen sind allein jene Tage heranzuziehen, an denen der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, auch wenn die entsprechende Beitragspflicht zur Sozialversicherung für das Risiko der Arbeitslosigkeit das ganze Jahr über bestand.

 Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

16.      Frau María Begoña Espadas Recio war als Reinigungskraft beschäftigt. Sie stand seit dem 23. Dezember 1999 ununterbrochen bei mehreren Reinigungsunternehmen nacheinander in einem Arbeitsverhältnis. Ihre Arbeitszeitregelung war dergestalt, dass sie montags, mittwochs und donnerstags je zweieinhalb Stunden und am ersten Freitag jedes Monats vier Stunden arbeitete. Ihre Arbeitszeit war demnach „vertikal“ strukturiert – die Teilzeitarbeit wurde nur an bestimmten Wochentagen erbracht und nicht über die fünf Tage der Arbeitswoche verteilt („horizontale“ Verteilung). Zum 29. Juli 2013 erlosch das Arbeitsverhältnis von Frau Espadas Recio.

17.      Am 30. September 2013 gab der Servicio Público de Empleo Estatal (im Folgenden: SPEE) ihrem Antrag auf Leistung bei Arbeitslosigkeit statt. Der SPEE entschied, zunächst Leistungen für 120 Tage, vom 10. September 2013 bis einschließlich zum 9. Januar 2014, berechnet auf 6,10 Euro/Tag, zuzuerkennen. Für Frau Espadas Recio wurde dabei eine Beitragszeit von 452 Tagen zugrunde gelegt. Frau Espadas Recio legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein, mit der Begründung, die Leistung stehe ihr für 720 Tage zu (was die Höhe der Leistungen pro Tag angeht, wurde die Berechnungsgrundlage von ihr nicht bestritten)(6). Durch eine Entscheidung vom 9. Dezember 2013 half der SPEE ihrem Widerspruch teilweise ab. Er erkannte ihr Leistungen bei Arbeitslosigkeit für 420 Tage auf der Grundlage ihrer Arbeitszeit zu, die er mit 8,5 Stunden pro Woche ansetzte.

18.      Aus Art. 210 LGSS in Verbindung mit Art. 3 Abs. 4 RD 625/1985 ergab sich nach Ansicht der SPEE, dass sich die Dauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit nach der Zahl der Beitragstage in den letzten sechs Jahren vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit von Frau Espadas Recio im Sinne des Gesetzes richte. Im Fall einer Teilzeitbeschäftigung habe dabei jeder Tag, an dem tatsächlich gearbeitet worden sei, als ein Beitragstag zu zählen. Daraus ergebe sich, dass Frau Espadas Recio in den letzten sechs Jahren vor dem Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit nachweislich 1 387 Beitragstage angesammelt habe. Als Bezugsdauer der Leistung wurden demzufolge 420 Tage ermittelt. Der SPEE berücksichtigte nicht den Rest des sechsjährigen Zeitraums, in dem Frau Espadas Recio und ihre ehemaligen Arbeitgeber Beiträge gezahlt hatten.

19.      Es ist unstreitig, dass Frau Espadas Recio bei einer horizontalen Arbeitszeitvereinbarung – 1,75 Stunden pro Tag an fünf Wochentagen und damit insgesamt 8,5 Wochenstunden – Anspruch auf die maximale Bezugsdauer der Leistung von 720 Tagen gehabt hätte.

20.      Gegen die Entscheidung des SPEE zur Dauer des Bezugs der Leistung bei Arbeitslosigkeit hat Frau Espadas Recio vor dem vorlegenden Gericht Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, dass ihr die Leistung, nachdem sie sechs Jahre in Folge gearbeitet und jeweils für 30 oder 31 Tage im Monat Beiträge geleistet habe (insgesamt 2 160 Tage), für eine Bezugsdauer von 720 Tagen anstatt der zuerkannten 420 Tage zustehe. Sie trägt vor, dass alle Beitragstage und nicht nur die Tage, an denen sie tatsächlich gearbeitet habe, für die Bezugszeit berücksichtigt werden müssten. Dies nicht zu tun, stelle nicht nur eine unlogische und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widersprechende doppelte Sanktion dar(7), sondern auch eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts.

21.      Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass der Gerichtshof einen vergleichbaren Sachverhalt bereits in der Rechtssache Bruno u. a. behandelt habe(8). Er hat dort in Bezug auf Kabinenpersonal der Alitalia, für die das italienische Sozialversicherungssystem galt, befunden, dass Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung nationalen Regelungen entgegensteht, die arbeitsfreie Zeiträume bei der Berechnung der für den Erwerb eines Anspruchs auf Altersversorgung erforderlichen Zeiten nicht berücksichtigt, da eine solche Regelung Teilzeitbeschäftigte diskriminiert, es sei denn, eine solche Ungleichbehandlung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

22.      Sollte die Rahmenvereinbarung nicht anwendbar sein, könnte nach Meinung des vorlegenden Gerichts eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts entgegen der Richtlinie 79/7 vorliegen. Die sich aus den in Rede stehenden nationalen Regelungen ergebende kürzere Bezugsdauer für Beschäftigte mit „vertikalen“ Teilzeitarbeitsverträgen gegenüber denen mit „horizontalen“ Teilzeitarbeitsverträgen stelle eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, da sich die angewandten Regelungen negativ auf die Gruppe der weiblichen Arbeitnehmer auswirke. Nach den jährlichen Statistiken ist die überwiegende Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten in Spanien (etwa 70 % bis 80 %) weiblichen Geschlechts.

23.      Das vorlegende Gericht ersucht daher um Vorabentscheidung folgender Fragen:

1.      Ist nach der auf das Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juni 2010, Bruno u. a., C‑395/08, zurückgehenden Rechtsprechung Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen, dass er auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die ausschließlich durch Beiträge des Arbeitnehmers und der Unternehmen, bei denen er beschäftigt war, finanzierte Leistung anzuwenden ist, die nach Art. 210 LGSS nach Maßgabe der Zeiten beitragspflichtiger Beschäftigung in den letzten sechs Jahren vor dem Eintritt der Arbeitslosigkeit im Sinne des Gesetzes gewährt wird?

2.      Falls dies bejaht wird, ist dann nach der auf das Urteil Bruno u. a. zurückgehenden Rechtsprechung Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung in dem Sinne auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die wie Art. 3 Abs. 4 des Real Decreto 625/1985, auf den Regel 4 des Abs. 1 der Siebten Zusatzbestimmung des LGSS verweist, in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung an nur drei Tagen pro Woche) bei der Berechnung der Bezugsdauer der Leistung bei Arbeitslosigkeit die Tage nicht einbezieht, an denen nicht gearbeitet wurde, obwohl für diese Tage Beiträge entrichtet wurden, mit der Folge einer entsprechenden Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung?

3.      Ist das in Art. 4 der Richtlinie 79/7 enthaltene Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in dem Sinne auszulegen, dass es einer nationalen Vorschrift entgegensteht, die wie Art. 3 Abs. 4 des Real Decreto 625/1985 in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung an nur drei Tagen pro Woche) bei der Berechnung der Beitragszeiten Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht, mit der Folge einer entsprechenden Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung?

24.      Die spanische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht, und beide Parteien haben in der Sitzung vom 15. Juni 2016 mündlich verhandelt.

 Würdigung

 Vorbemerkungen

25.      Nach ständiger Rechtsprechung lässt das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt, wobei in Ermangelung einer Harmonisierung auf der Ebene der Union das Recht jedes Mitgliedstaats bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit haben die Mitgliedstaaten jedoch das Unionsrecht zu beachten(9).

26.      Demnach ist Spanien grundsätzlich berechtigt, den Zugang zu beitragsbezogenen Leistungen in Bezug auf Arbeitslosigkeit im Rahmen seines Sozialversicherungssystems, die gemeinsam von dem Arbeitnehmer und dem Unternehmen finanziert werden, sowie deren Umfang von der Beitragszeit des arbeitslosen Arbeitnehmers abhängig zu machen, wie es in Art. 210 LGSS und Art. 3 des RD 625/1985 geregelt ist. Allerdings müssen diese Vorschriften im Einklang mit dem geltenden Unionsrecht angewandt werden.

27.      Nach Angabe des vorlegenden Gerichts arbeitete Frau Espadas Recio 8,5 Stunden pro Woche. Ihre Arbeitsstunden leistete sie während dreier Wochentage, und ihre Arbeitszeitregelung ist als „vertikal“ beschrieben worden. Hätte sie dieselbe Stundenzahl nach einer „horizontalen“ Arbeitszeitregelung gearbeitet, so hätte sie an fünf Tagen pro Woche jeweils 1,75 Stunden gearbeitet. Ist das Diskriminierungsverbot aus Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung im Falle von Frau Espadas Recio anwendbar?

 Zur ersten und zur zweiten Frage

28.      Mit der ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die des Ausgangsrechtsstreits anwendbar ist. Ist diese Frage zu bejahen, so muss geprüft werden, ob die Rahmenvereinbarung den in Rede stehenden nationalen Vorschriften entgegensteht. Nach diesen Vorschriften werden bei der Berechnung der Bezugsdauer der Leistungen bei Arbeitslosigkeit lediglich die Tage berücksichtigt, an denen der arbeitslose Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, obwohl Beiträge für jeden Tag eines jeden Monats bezahlt werden. Diese Regelung führt entweder im Vergleich zu Teilzeitbeschäftigten mit „horizontaler“ Arbeitszeitvereinbarung oder im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten zu einer Verringerung der Leistungsbezugsdauer.

29.      Die beiden Fragen sind eng miteinander verbunden, weswegen ich sie gemeinsam behandle.

30.      Das vorlegende Gericht gibt an, dass der Status von Frau Espadas Recio als Teilzeitbeschäftigte mit „vertikaler“ Arbeitszeitregelung zwei Konsequenzen zur Folge habe. Erstens erhalte sie eine geringere Leistung als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte, da sie als Teilzeitbeschäftigte weniger Wochenstunden arbeite. Zweitens würden nicht alle Beitragstage bei der Berechnung der Bezugsdauer berücksichtigt, für die sie und ihr Arbeitgeber tatsächlich Beiträge gezahlt hätten. Der Anspruch auf die Leistung im Ausgangsrechtsstreit hänge vom Bestehen des Beschäftigungsverhältnisses zwischen Frau Espadas Recio und ihren vorherigen Arbeitgebern ab, und das System für die Zahlung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit werde aus ihren jeweiligen Beiträgen finanziert. Innerhalb dieses Systems würden sozialpolitische Erwägungen über die Leistung auf Unterstützungsebene („beitragsunabhängig“) abgedeckt, die ausschließlich öffentlich finanziert werde. Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass die beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit im Wesentlichen von einem Beschäftigungsverhältnis abhänge und nur in geringerem Maße von sozialpolitischen Erwägungen. Demzufolge geht es davon aus, dass das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Bruno u. a.(10) entsprechend auf die spanische beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit anzuwenden sei.

31.      Die Kommission und Spanien sind demgegenüber der Auffassung, dass die Leistungen bei Arbeitslosigkeit im spanischen System nicht unter den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ im Sinne von Paragraf 4 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung fallen.

32.      Ich schließe mich dieser Meinung an.

33.      Die Rahmenvereinbarung erstreckt sich ausschließlich auf die „Beschäftigungsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten“(11). Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass der Begriff Versorgungsbezüge erfasst, die von einem Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängen, ausgenommen Versorgungsbezüge aus einem gesetzlichen System der sozialen Sicherheit, die weniger von einem Beschäftigungsverhältnis abhängen, sondern vielmehr durch sozialpolitische Erwägungen bestimmt werden(12). Leistungen der sozialen Sicherheit, die keine „Entgelte“ im Sinne von Art. 157 Abs. 2 AEUV sind, fallen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Für sie gilt daher der Grundsatz der Nichtdiskriminierung des Paragrafen 4 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung nicht (auch wenn natürlich andere unionsrechtliche Vorschriften für sie gelten können). Die Einordnung der vorliegenden Leistung bei Arbeitslosigkeit hängt demnach von der unionsrechtlichen Bedeutung des Ausdrucks „Entgelt“ ab.

34.      Unter „Entgelt“ im Sinne von Art. 157 Abs. 2 AEUV sind „die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und ‑gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen“ zu verstehen, „die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst der Begriff des „Entgelts“ „alle gegenwärtigen oder künftigen Vergütungen, sofern der Arbeitgeber sie dem Arbeitnehmer, sei es auch mittelbar, aufgrund von dessen Beschäftigung gewährt“(13). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof festgestellt, dass es für die Anwendung von Art. 157 AEUV auf die Rechtsnatur dieser Vergünstigungen nicht ankommt, sofern sie im Zusammenhang mit der Beschäftigung gewährt werden(14). Der Gerichtshof hat ferner hervorgehoben, dass „zwar zahlreiche von Arbeitgebern gewährte Vergünstigungen auch sozialpolitischen Erwägungen Rechnung [tragen], doch kann der Entgeltcharakter einer Leistung nicht in Zweifel gezogen werden, wenn der Arbeitnehmer auf sie wegen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch gegen seinen Arbeitgeber hat“(15). Auch wenn jedoch Vergünstigungen mit Sozialversicherungs- oder Sozialleistungscharakter nicht grundsätzlich vom Entgeltbegriff auszuschließen sind, so können doch unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Sozialversicherungssysteme oder ‑leistungen, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten, nicht in den Entgeltbegriff einbezogen werden(16).

35.      Aus der Tatsache, dass ein Arbeitgeber Beiträge in ein System einzahlt, aus dem Leistungen bei Arbeitslosigkeit gezahlt werden, folgt meiner Ansicht nach nicht zwingend, dass der Entgeltbegriff die entsprechende Leistung umfasst. Genauso wenig sind Geldleistungen des Staates für Arbeitslose automatisch als Sozialversicherungsleistungen anzusehen. Jede Bewertung muss notwendigerweise differenziert erfolgen. In diesem Zusammenhang kann nicht ausschließlich auf das Beschäftigungskriterium abgestellt werden(17). So legte der Gerichtshof in Bezug auf das Versorgungssystem in der Rechtssache Bruno u. a. dar: „Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder gar den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems durch den nationalen Gesetzgeber tatsächlich oder möglicherweise eine Rolle gespielt haben, [können] nicht ausschlaggebend sein, wenn die Versorgung nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, wenn sie unmittelbar von der abgeleisteten Dienstzeit abhängt und wenn ihre Höhe nach den letzten Bezügen berechnet wird“(18).

36.      Diese drei Kriterien müssen gemeinsam angewendet werden und sind hier relevant. Wenn auch die Auslegung des nationalen Rechts und die Bewertung des Sachverhalts letztlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, so kann doch der Gerichtshof Klarstellungen und Erläuterungen beitragen.

37.      Das vorlegende Gericht gibt an, dass die Leistung bei Arbeitslosigkeit einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern gezahlt werde – denen, die arbeitslos im Sinne des Gesetzes seien. Jedoch gibt es an anderer Stelle der Vorlageentscheidung an, dass das spanische Sozialversicherungssystem für alle Bürger gelte, indem es ihnen ausreichende Hilfe und soziale Leistungen in Notlagen garantiere, vor allem im Fall der Arbeitslosigkeit(19). Es ist schwer einsehbar, wie „alle Bürger“ eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern sein soll. Vielmehr sind die Leistungsempfänger die Mitglieder einer Gruppe, die die notwendigen allgemeinen Merkmale aufweist, um für die entsprechende Leistung anspruchsberechtigt zu sein – dass sie arbeitslos im Sinne des Gesetzes sind. Dies unterscheidet sich sehr von den Beispielen für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs genannt wurden, wie etwa nationale Beamte oder Bühnenschaffende(20).

38.      Das vorlegende Gericht gibt an, dass die in Rede stehende Leistung bei Arbeitslosigkeit einzig aus den von dem Arbeiter und dem Arbeitgeber gezahlten Beiträgen finanziert werde. Diese Beiträge werden jedoch aufgrund nationaler Rechtsvorschriften geleistet. Sie unterliegen keiner Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Dies legt nahe, dass die Regelung eher einem öffentlichen Sozialversicherungssystem als einer Leistung entspricht, die Teil der Vergütung eines Arbeitnehmers gemäß einer individuellen oder tariflichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ist. In den Begriff der „Beschäftigungsbedingungen“ können „unmittelbar durch Gesetz geregelte, keinerlei vertragliche Vereinbarungen innerhalb des Unternehmens oder in dem betroffenen Gewerbezweig zulassende Sozialversicherungssysteme oder ‑leistungen, …, die zwingend für allgemein umschriebene Gruppen von Arbeitnehmern gelten, nicht … einbezogen werden“(21). Ich füge hinzu, dass das RD 625/1985 (nach dem sich die Bezugsdauer richtet) eine Regelung ist, die der Kommission von den spanischen Behörden gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit notifiziert wurde(22). Diese Notifizierung beinhaltet das ausdrückliche Anerkenntnis von Seiten der spanischen Regierung, dass es sich bei der Leistung um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit für die Zwecke jener Verordnung handelt(23).

39.      Somit ist meiner Ansicht nach Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung nicht auf eine Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende anwendbar.

40.      In Anbetracht meiner Antwort auf Frage 1 bedarf Frage 2 keiner weiteren Berücksichtigung (deren Inhalt sich in jedem Fall mit dem von Frage 3 überschneidet, der ich mich unten widme).

41.      Ich schließe demnach, dass die Rahmenvereinbarung so auszulegen ist, dass sie nicht auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die aus Art. 210 LGSS anwendbar ist, die ausschließlich aus Beiträgen einer Arbeitnehmerin und ihrer vormaligen Arbeitgeber finanziert wird.

 Zur dritten Frage

42.      Mit der dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 den nationalen Regelungen für die Bestimmung der Bezugsdauer von Leistungen (im Besonderen Art. 3 des RD 625/1985) entgegensteht, weil sie eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen.

43.      Leistungen bei Arbeitslosigkeit wie die des Ausgangsrechtsstreits sind vom Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7 umfasst, da diese Leistungen Teil eines gesetzlichen Systems sind, das u. a. Schutz gegen Arbeitslosigkeit bietet – eines der in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a aufgeführten Risiken. Nach Art. 4 Abs. 1 ist jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verboten, und zwar insbesondere hinsichtlich der Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.

44.      Die in Rede stehende nationale Regelung ist keine direkte Diskriminierung, da sie unterschiedslos sowohl für männliche als auch für weibliche Beschäftigte gilt. Nach ständiger Rechtsprechung liegt jedoch eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 79/7 vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt(24).

45.      Das vorlegende Gericht führt in seiner Vorlageentscheidung aus, dass die in Rede stehende nationale Regelung – eine kürzere Bezugsdauer für „vertikale“ Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten – sich auf mehr Frauen als Männer nachteilig auswirke, da etwa 70 % bis 80 % der Teilzeitbeschäftigten weiblichen Geschlechts seien.

46.      Auch wenn die in Rede stehende nationale Regelung keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen macht, weisen die vom vorlegenden Gericht beigebrachten Statistiken darauf hin, dass wesentlich mehr weibliche als männliche Beschäftigte benachteiligt werden. Somit stellen die Regelungen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 dar.

47.      Solche Regelungen wirken eindeutig zum Nachteil von Teilzeitbeschäftigten wie Frau Espadas Recio. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sie für die maximale Bezugsdauer von 720 Tagen anspruchsberechtigt gewesen wäre, wenn sie vollzeitbeschäftigt gewesen wäre. Bei der Berechnung wäre berücksichtigt worden, dass in den sechs Jahren vor ihrer Arbeitslosigkeit für jeden Arbeitstag im Monat Beiträge gezahlt wurden(25). Wäre die Arbeitszeit von Frau Espadas Recio „horizontal“ strukturiert gewesen (1,75 Stunden täglich an fünf Tagen je Woche), wäre sie ebenfalls für diese maximale Bezugsdauer leistungsberechtigt gewesen. Ändert die Tatsache, dass die in Rede stehenden Regelungen nur eine bestimmte Gruppe von Teilzeitbeschäftigten – die mit einer „vertikalen“ Arbeitszeitregelung – betreffen, meine Ansicht, dass diese Regelungen zu einer mittelbaren Diskriminierung führen?

48.      Das ist nicht der Fall.

49.      Es stimmt, dass der Gerichtshof der Bewertung nationaler Gerichte in bestimmten Fällen, in denen die in Rede stehenden nationalen Maßnahmen nur eine bestimmte Gruppe von Teilzeitbeschäftigten betrafen, nicht gefolgt ist. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass solche Maßnahmen nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung führen, weil statistische Daten zu Teilzeitbeschäftigten im Allgemeinen (bei fehlenden spezifischen Daten) nicht nachweisen konnten, dass Frauen die große Mehrheit bei der Gruppe von Teilzeitbeschäftigten ausmachten, die von den nationalen Gerichten in diesen Fällen benannt worden waren(26).

50.      So ging es in der Rechtssache Cachaldora Fernández(27) um die Bestimmung der Berechnungsgrundlage einer Rente wegen dauerhafter Berufsunfähigkeit. Die Beurteilung des nationalen Gerichts beruhte auf der Prämisse, dass die dort in Rede stehende nationale Bestimmung eine Gruppe von Teilzeitbeschäftigten betraf, die vornehmlich aus weiblichen Arbeitnehmern bestand, jedoch nicht alle Teilzeitbeschäftigten. Die nationale Regelung galt nur für solche Arbeitnehmer, die eine Beitragslücke im Referenzzeitraum der letzten acht Jahre vor dem Eintritt des Versicherungsfalls aufwiesen, soweit diese Lücke an eine Teilzeitbeschäftigung anschloss. Welche Gruppe von Teilzeitbeschäftigten genau betroffen war, konnte jedoch nicht klar bestimmt werden. Dem Gerichtshof lagen keine statistischen Informationen vor, aus denen hervorgegangen wäre, bei wie vielen Teilzeitbeschäftigten Beitragslücken bestanden oder ob dies vornehmlich Frauen betraf. Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass einige Teilzeitbeschäftigte tatsächlich von der in dem Fall in Rede stehenden nationalen Regelung begünstigt sein konnten(28). Der Gerichtshof vertrat daher die Ansicht, dass allgemeine Statistiken, auf die das nationale Gericht seine Prämisse gestützt hatte, nicht die Feststellung erlaubten, dass die Gruppe der Arbeitnehmer, die durch die im dortigen Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung benachteiligt wurden, vornehmlich aus – insbesondere weiblichen – Teilzeitbeschäftigten bestand.

51.      Die Situation im Fall von Frau Espadas Recio ist eine andere. Alle Teilzeitbeschäftigten mit einer „vertikalen“ Arbeitszeitregelung sind von der in Rede stehenden nationalen Maßnahme nachteilig betroffen, und nichts weist darauf hin, dass bestimmte Beschäftigte in dieser Gruppe im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten einen Vorteil hätten.

52.      Die in Rede stehende nationale Regelung in der Rechtssache Plaza Bravo(29) galt ebenfalls nicht für alle Teilzeitbeschäftigten. Es war nach den Verfahrensakten nicht klar, ob in Bezug auf die Gruppe der Arbeitnehmer, die speziell von der dort in Rede stehenden nationalen Vorschrift betroffen waren, statistische Daten vorlagen, mit denen sich nachweisen ließe, dass eine weitaus größere Zahl Frauen als Männer von ihr betroffen war. Außerdem wurde festgestellt, dass jene Regelungen ebenso Vollzeitbeschäftigte benachteiligen konnten. Der Gerichtshof kam zu der Auffassung, dass die allgemeinen statistischen Daten in Bezug auf die Gruppe der Teilzeitarbeitnehmer in ihrer Gesamtheit nicht die Feststellung erlaubten, dass von der in Rede stehenden nationalen Bestimmung wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen waren. Daher wurde jene Maßnahme nicht als eine mittelbar diskriminierende Maßnahme angesehen(30).

53.      Im Fall von Frau Espadas Recio erklärt das vorlegende Gericht, dass die statistischen Angaben in Bezug auf Teilzeitarbeit gleichermaßen für Beschäftigte mit „horizontaler“ wie auf solche mit „vertikaler“ Arbeitszeitregelung gelten würden. Die vom vorlegenden Gericht zitierte Information zu Teilzeitbeschäftigten zeigt, dass 70 % bis 80 % derer, deren Arbeitszeit „vertikal“ strukturiert ist, Frauen sind. Dasselbe Zahlenverhältnis von Männern zu Frauen gilt für Beschäftigte mit einer „horizontalen“ Teilzeitregelung. Es ist legitim, aus der Information zu schließen, dass ein größerer Anteil von Frauen von der nationalen Maßnahme nachteilig betroffen ist als von Männern. Außerdem hat das vorlegende Gericht keine Hinweise dahin gehend gegeben, dass die in Rede stehenden nationalen Regelungen in manchen Fällen zu denselben Nachteilen bei Vollzeitbeschäftigten führen könnten, wie sie für Teilzeitbeschäftigte entstehen.

54.      Daraus ergibt sich, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7 nationalen Maßnahmen wie den in Rede stehenden entgegensteht, es sei denn, dass sie durch sachliche Faktoren gerechtfertigt sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. Dies ist der Fall, wenn diese Mittel einem legitimen Ziel der Sozialpolitik dienen und zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind(31).

55.      Spanien hat keine schriftliche Stellungnahme dazu abgegeben, ob eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gerechtfertigt sein könnte. Allerdings bestätigte die spanische Regierung bei der mündlichen Verhandlung am 15. Juni 2016, dass ihre Stellungnahme in Bezug auf die Rechtfertigung einer Diskriminierung nach der Rahmenvereinbarung auch als solche in Bezug auf eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verstehen sei. Nach ihrer Auffassung liefert der Grundsatz des „Beitrags zum Sozialversicherungssystem“ eine sachliche Begründung für jede Ungleichbehandlung. Da das Recht auf Leistung bei Arbeitslosigkeit und die Bezugsdauer dieser Leistung einzig vom Zeitraum abhänge, in dem der Arbeitnehmer gearbeitet habe oder im Sozialversicherungssystem angemeldet gewesen sei, sei es nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar, nicht die tatsächlich gearbeiteten Tage zu berücksichtigen.

56.      Dem stimme ich nicht zu.

57.      Das vorlegende Gericht hat dargelegt, dass es das Ziel der beitragsbezogenen Leistung bei Arbeitslosigkeit sei, Rücklagen für die Beschäftigten als Ausgleich für das nicht mehr erhaltene Entgelt zu schaffen (Art. 204 LGSS).

58.      Ich bin der Ansicht, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der folgenden Aspekte erreicht werden kann: i) des Zeitraums, in dem der Beschäftigte und sein Arbeitgeber Beiträge gezahlt hat, ii) der Höhe dieser Beiträge und iii) der Arbeitsstunden des betroffenen Beschäftigten (in Teilzeit oder in Vollzeit). Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts berücksichtigt das spanische System bei Vollzeitbeschäftigten und bei Teilzeitbeschäftigten mit „horizontaler“ Arbeitszeitregelung offenbar genau diese Faktoren. Jeder Beschäftigte, der über denselben Zeitraum Beiträge zahlt, würde die Leistung bei Arbeitslosigkeit über denselben Zeitraum beziehen. Allerdings wären die Leistungen für eine Person, die 50 % der Vollzeit arbeitet, wegen der geringeren Beiträge aufgrund ihres geringeren Teilzeitentgelts entsprechend reduziert. Dies entspricht vollkommen dem Pro-rata-temporis-Grundsatz(32).

59.      Die Leistung für eine Teilzeitbeschäftigte mit „vertikaler“ Arbeitszeitregelung würde jedoch im Vergleich zu einer Vollzeitbeschäftigten für einen kürzeren Zeitraum ausgezahlt werden, obwohl sie auch für jeden Tag eines jeden Monats des Jahres Beiträge zahlt. Das System behandelt die zwei Beschäftigtengruppen unterschiedlich. Bei den Teilzeitbeschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitregelung betont es die Tage mit tatsächlicher Arbeitsleistung anstatt des Zeitraums, den die Beschäftigte im Laufe einer Arbeitswoche bei ihrer Arbeit verbracht hat.

60.      Dies schafft eine unlogische und übermäßige Abweichung, die Beschäftigte mit „vertikaler“ Arbeitszeitregelung benachteiligt. Teilzeitbeschäftigte, die verhältnismäßig gering bezahlte Tätigkeiten wie etwa Reinigungstätigkeiten ausführen, haben oft kaum eine Wahl hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Arbeitsverträge. Es ist durchaus möglich, dass sie sich gezwungen sehen, ihren Arbeitgebern zugutekommende „vertikale“ Arbeitszeitregelungen einzugehen, um ihre Beschäftigung zu sichern.

61.      Art. 4 der Richtlinie 79/7 ist demnach dahin gehend auszulegen, dass er nationalen Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung nur an bestimmten Wochentagen) bei der Berechnung der Beitragszeiten Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht, mit der Folge einer Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung, wenn die Mehrheit der Beschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitvereinbarung Frauen sind, die von diesen nationalen Maßnahmen nachteilig betroffen sind.

 Ergebnis

62.      Nach dem Dargelegten bin ich der Ansicht, dass der Gerichtshof die vom Juzgado de lo Social n° 33 de Barcelona (Sozialgericht Nr. 33 Barcelona, Spanien) vorgelegten Fragen wie folgt beantworten sollte:

1.      Die am 6. Juni 1997 geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang zur Richtlinie 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinigung über Teilzeitarbeit in ihrer Fassung durch die Richtlinie 98/23/EG vom 7. April 1998 ist dahin auszulegen, dass sie nicht auf eine beitragsbezogene Leistung bei Arbeitslosigkeit wie die aus Art. 210 der spanischen Ley General de la Seguridad Social (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz) anwendbar ist, die ausschließlich aus Beiträgen einer Arbeitnehmerin und ihrer vormaligen Arbeitgeber finanziert wird.

2.      Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er nationalen Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in den Fällen „vertikaler“ Teilzeitarbeit (Arbeitsleistung nur an bestimmten Wochentagen) bei der Berechnung der Beitragszeiten Tage, an denen nicht gearbeitet wurde, nicht einbezieht, mit der Folge einer Verringerung der Bezugsdauer der zuerkannten Leistung, wenn die Mehrheit der Beschäftigten mit „vertikaler“ Arbeitszeitvereinbarung Frauen sind, die von diesen nationalen Maßnahmen nachteilig betroffen sind.


1 –      Originalsprache: Englisch.


2 –      Richtlinie des Rates vom 19. Dezember 1978 (ABl. 1979, L 6, S. 24).


3 –      Richtlinie des Rates vom 15. Dezember 1997 (ABl. 1998, L 14, S. 9).


4 –      Vgl. die Erwägungsgründe 8 bis 12.


5 –      Vgl. auch Richtlinie 98/23/EG des Rates vom 7. April 1998 zur Ausdehnung der Richtlinie 97/81/EG zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit auf das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (ABl. 1998, L 131, S. 10). Für den Sachverhalt im Ausgangsrechtsstreit gilt die Richtlinie 97/81 in ihrer durch die Richtlinie 98/23 geänderten Fassung.


6 –      Der SPEE überprüfte später von Amts wegen die Berechnungsgrundlage für die Leistung bei Arbeitslosigkeit pro Tag und entschied, sie von 6,10 Euro/Tag auf 10,91 Euro/Tag zu erhöhen.


7 –      Frau Espadas Recio weist darauf hin, dass die Höhe der von ihr empfangenen Leistung bei Arbeitslosigkeit pro Tag bereits anteilig reduziert war, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass sie teilzeit- und nicht vollzeitbeschäftigt war.


8 –      Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329).


9 –      Vgl. Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández (C‑527/13, EU:C:2015:215, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10 –      Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329).


11 –      Vgl. Erwägungsgründe 8 bis 12 der Richtlinie 97/81.


12 –      Vgl. Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández (C‑527/13, EU:C:2015:215, Rn. 36 und 37).


13 –      Vgl. Urteil vom 5. November 2014, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑476/12, EU:C:2014:2332, Rn. 16). Vgl. auch Urteil vom 17. Mai 1990, Barber (C‑262/88, EU:C:1990:209).


14 –      Vgl. Urteil vom 5. November 2014, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑476/12, EU:C:2014:2332, Rn. 17).


15 –      Vgl. Urteil vom 5. November 2014, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑476/12, EU:C:2014:2332, Rn. 18). Vgl. auch Urteil vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179, Rn. 41 bis 44).


16 –      Vgl. Urteil vom 29. November 2001, Griesmar (C‑366/99, EU:C:2001:648, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).


17 –      Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2003, Schönheit u. a. (C‑4/02 und C‑5/02, EU:C:2003:583, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).


18 –      Vgl. Urteil vom 10. Juni 2010, Bruno u. a. (C‑395/08 und C‑396/08, EU:C:2010:329, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


19 –      Siehe oben, Nr. 12.


20 –      Vgl. Urteile vom 23. Oktober 2003, Schönheit u. a. (C‑4/02 und C‑5/02, EU:C:2003:583), bzw. vom 1. April 2008, Maruko (C‑267/06, EU:C:2008:179). Wie im zuletzt genannten Urteil verwende ich den Begriff „Bühnenschaffende“, um alle einzuschließen, die an Theaterproduktionen beteiligt sind, nicht nur Schauspieler.


21 –      Vgl. Urteil vom 22. November 2012, Elbal Moreno (C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).


22 –      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. 2004, L 166, S. 1). Art. 9 Abs. 1 der Verordnung bestimmt, dass die Mitgliedstaaten der Kommission schriftlich die Rechtsvorschriften in Bezug auf die Zweige der sozialen Sicherheit notifizieren, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Dazu gehören nationale Regelungen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit umfassen.


23 –      Vgl. auch Urteil vom 20. Februar 1997, Martínez Losada u. a. (C‑88/95, C‑102/95 und C‑103/95, EU:C:1997:69, Rn. 17 bis 20).


24 –      Vgl. z. B. Beschluss vom 17. November 2015, Plaza Bravo (C‑137/15, EU:C:2015:771, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).


25 –      Spanien hat vorgetragen, dass ein Koeffizient von 1,4 % angesetzt wird, um bei der Bestimmung der Leistungsbezugsdauer die Situation von Teilzeitbeschäftigten an die von Vollzeitbeschäftigten anzugleichen. Es hat jedoch keine weiteren Informationen beigebracht hinsichtlich der genauen Funktionsweise des Verfahrens, was in jedem Fall eine Tatsachenfrage ist, deren Prüfung Sache des vorlegenden Gerichts ist.


26 –      Vgl. z. B. Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández (C‑527/13, EU:C:2015:215), und Beschluss vom 17. November 2015, Plaza Bravo (C‑137/15, EU:C:2015:771).


27 –      Urteil vom 14. April 2015, Cachaldora Fernández (C‑527/13, EU:C:2015:215).


28 –      In allen Fällen nämlich, in denen der Vertrag, der der beruflichen Untätigkeit vorausging, ein Vollzeitbeschäftigungsvertrag war, in denen die Arbeitnehmer aber während des verbleibenden Referenzzeitraums oder sogar während ihres gesamten Berufslebens nur teilzeitbeschäftigt waren, würden diese bevorzugt, da sie eine gegenüber den tatsächlich geleisteten Beiträgen überbewertete Rente erhalten würden.


29 –      Beschluss vom 17. November 2015, Plaza Bravo (C‑137/15, EU:C:2015:771).


30 –      Beschluss vom 17. November 2015, Plaza Bravo (C‑137/15, EU:C:2015:771, Rn. 24 bis 26 und Rn. 29).


31 –      Vgl. Urteil vom 22. November 2012, Elbal Moreno (C‑385/11, EU:C:2012:746, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).


32 –      Vgl. z. B. Urteil vom 5. November 2014, Österreichischer Gewerkschaftsbund (C‑476/12, EU:C:2014:2332, Rn. 22 bis 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).