Language of document : ECLI:EU:C:2007:514

Rechtssache C-234/06 P

Il Ponte Finanziaria SpA

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM)

„Rechtsmittel – Gemeinschaftsmarke – Eintragung der Marke BAINBRIDGE – Widerspruch des Inhabers von älteren nationalen Marken, denen allen der Bestandteil ‚Bridge‘ gemeinsam ist – Zurückweisung des Widerspruchs – Markenfamilie – Nachweis der Benutzung – Begriff ‚Defensivmarken‘“

Leitsätze des Urteils

1.        Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers von für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marken

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

2.        Gemeinschaftsmarke – Definition und Erwerb der Gemeinschaftsmarke – Relative Eintragungshindernisse – Widerspruch des Inhabers von für identische oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen eingetragenen identischen oder ähnlichen älteren Marken

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 8 Abs. 1 Buchst. b)

3.        Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 15 Abs. 2 Buchst. a)

4.        Gemeinschaftsmarke – Bemerkungen Dritter und Widerspruch – Prüfung des Widerspruchs – Nachweis der Benutzung der älteren Marke

(Verordnung Nr. 40/94 des Rates, Art. 43 Abs. 2 und 3 und Art. 56 Abs. 2)

1.        Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke ist die Würdigung einer etwaigen klanglichen Ähnlichkeit nur einer der relevanten Umstände im Rahmen der umfassenden Beurteilung. Folglich lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass notwendig immer dann Verwechslungsgefahr vorläge, wenn nur eine klangliche Ähnlichkeit der beiden Zeichen besteht.

(vgl. Randnrn. 35-37)

2.        Auch wenn im Fall eines Widerspruchs gegen die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke, der auf das Bestehen einer einzigen älteren Marke, die noch nicht der Benutzungspflicht unterliegt, gestützt ist, die Beurteilung der Verwechslungsgefahr auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen den beiden Marken, so wie sie eingetragen sind, vorgenommen wird, verhält es sich anders in einem Fall, in dem der Widerspruch auf das Bestehen mehrerer Marken gestützt ist, die gemeinsame Merkmale aufweisen, infolge deren sie als Teil ein und derselben „Markenfamilie“ oder als „Serienmarken“ angesehen werden können.

Im Fall einer „Markenfamilie“ oder von „Serienmarken“ ergibt sich die Verwechslungsgefahr nämlich aus der Möglichkeit, dass sich der Verbraucher hinsichtlich der Herkunft oder des Ursprungs der von der Anmeldemarke erfassten Waren oder Dienstleistungen irrt und zu Unrecht annimmt, dass die Anmeldemarke zu der Familie oder Serie von Marken gehört.

Wenn nicht genügend viele Marken benutzt werden, um eine Familie oder Serie bilden zu können, kann von einem Verbraucher nicht erwartet werden, dass er in dieser Markenfamilie oder -serie ein gemeinsames Element entdeckt und/oder diese mit einer anderen Marke mit dem gleichen gemeinsamen Element in Verbindung bringt. Für das Bestehen einer Gefahr, dass sich das Publikum hinsichtlich der Zugehörigkeit der angemeldeten Marke zu einer „Familie“ oder „Serie“ von Marken irrt, ist es daher erforderlich, dass die dieser „Familie“ oder „Serie“ angehörenden älteren Marken auf dem Markt präsent sind.

(vgl. Randnrn. 62-64)

3.        Auch wenn es die Regelung des Art. 15 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke gestattet, eine eingetragene Marke als eine benutzte Marke anzusehen, sofern der Beweis erbracht wird, dass die Marke in einer Form benutzt wurde, die von der Form, in der sie eingetragen wurde, geringfügig abweicht, erlaubt diese Regelung es nicht, den einer eingetragenen Marke zukommenden Schutz mittels des Nachweises ihrer Benutzung auf eine andere eingetragene Marke, deren Benutzung nicht nachgewiesen ist, mit der Begründung auszuweiten, dass die letztgenannte Marke nur eine leichte Abwandlung der erstgenannten Marke darstelle.

(vgl. Randnr. 86)

4.        Insoweit kann sich der Inhaber einer nationalen Eintragung, der Widerspruch gegen die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke erhebt, der ihm gemäß Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 über die Gemeinschaftsmarke obliegenden Beweislast für die ernsthafte Benutzung seiner älteren Marke oder das Vorliegen berechtigter Gründe für die Nichtbenutzung nicht dadurch entziehen, dass er sich auf eine nationale Bestimmung beruft, die die Anmeldung von Zeichen als Marken erlaubt, welche wegen ihrer reinen Abwehrfunktion für ein anderes Zeichen, das gewerblich verwendet wird, nicht dazu bestimmt sind, im Handelsverkehr benutzt zu werden. Der in Art. 43 der Verordnung Nr. 40/94 verwandte Begriff der „berechtigten Gründe“ bezieht sich nämlich im Wesentlichen auf vom Markeninhaber unabhängige Umstände, die der Benutzung der Marke entgegenstehen, nicht aber auf nationale Rechtsvorschriften, die eine Ausnahme von der Regel des Verfalls einer Marke nach fünfjähriger Nichtbenutzung zulassen, obwohl diese Nichtbenutzung auf dem Willen des Markeninhabers beruht. Das Vorbringen, dass sich der Inhaber einer eingetragenen nationalen Marke, der Widerspruch gegen eine Gemeinschaftsmarkenanmeldung erhebt, auf eine ältere Marke, deren Benutzung nicht nachgewiesen ist, deshalb stützen könne, weil diese nach nationalen Rechtsvorschriften eine Defensivmarke sei, ist daher mit Art. 43 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 40/94 nicht vereinbar.

(vgl. Randnrn. 100-103)