Language of document : ECLI:EU:C:2012:763

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

Juliane Kokott

vom 29. November 2012(1)

Rechtssache C‑440/11 P

Europäische Kommission

gegen

Stichting Administratiekantoor Portielje u. a.

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR – Unternehmensbegriff – Zurechnung des Kartellvergehens einer Handelsgesellschaft an eine Stiftung, die direkt oder indirekt 100 % der Anteile dieser Gesellschaft kontrolliert, aber als solche nicht wirtschaftlich tätig ist – ‚Umzugskartell‘ – Belgischer Markt für internationale Umzugsdienste“





I –    Einleitung

1.        Der vorliegende Fall bietet dem Gerichtshof erneut die Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur höchst umstrittenen Problematik der Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften zu verfeinern. Im Kern stellt sich hier die Frage, ob eine solche Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit voraussetzt, dass die Muttergesellschaft eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, also für sich allein genommen schon als Unternehmen im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts anzusehen ist, oder ob es ausreicht, dass die Tochtergesellschaft ihrerseits eine solche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und beide – Mutter und Tochter – zusammen ein Unternehmen bilden.

2.        Diese Rechtsfrage stellt sich im Zusammenhang mit dem „Umzugskartell“, das die Europäische Kommission auf dem belgischen Markt für internationale Umzugsdienste vor einigen Jahren aufgedeckt und am 11. März 2008 zum Gegenstand einer Bußgeldentscheidung gemacht hat (im Folgenden auch: streitige Entscheidung)(2). Neben neun anderen Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen legte die Kommission der Firma Gosselin Group NV (im Folgenden: Gosselin) eine Beteiligung am Umzugskartell zur Last und belegte sie mit einer Geldbuße. Für einen Teil dieser Geldbuße nahm die Kommission überdies die Stichting Administratiekantoor Portielje (im Folgenden: Portielje) gesamtschuldnerisch in die Mithaftung, eine Familienstiftung, welche – direkt oder indirekt – 100 % der Gesellschaftsanteile von Gosselin kontrolliert und im Interesse der Gründerfamilie die einheitliche Verwaltung der Firma Gosselin sicherstellen soll.

3.        Das Gericht der Europäischen Union hielt allerdings die Mithaftung von Portielje für rechtswidrig und begründete dies in seinem Urteil vom 16. Juni 2011 (im Folgenden auch: Urteil des Gerichts oder angefochtenes Urteil)(3) in erster Linie damit, dass Portielje selbst keine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe und deshalb kein Unternehmen sei.

4.        Hiergegen wendet sich nun die Kommission mit ihrem Rechtsmittel. Ihrer Meinung nach ist es für die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit allein ausschlaggebend, ob Mutter und Tochter – im vorliegenden Fall also Portielje und Gosselin – gemeinsam ein Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts bilden, und ob dieser wirtschaftlichen Einheit die Beteiligung am Kartell zur Last gelegt werden kann.

5.        Mit einer Reihe weiterer Rechtsfragen zum Umzugskartell wird sich der Gerichtshof demnächst in den übrigen noch anhängigen Rechtsmittelverfahren zu befassen haben(4).

II – Hintergrund des Rechtsstreits

6.        Gosselin ist eine Handelsgesellschaft mit Sitz in Belgien, die im Jahr 1983 gegründet wurde und seit dem 20. Dezember 2007 unter ihrem jetzigen Namen als Umzugsfirma tätig ist(5).

7.        Portielje ist eine im Jahr 2001 gegründete Stiftung mit Sitz in den Niederlanden, über die Aktionäre aus dem Kreis der Gründerfamilie von Gosselin verbunden sind, um die Einheitlichkeit der Verwaltung von Gosselin zu gewährleisten. Portielje selbst übt keine kommerzielle Tätigkeit aus.

8.        Teils direkt, teils indirekt hat diese Familienstiftung seit dem 1. Januar 2002 die Gesamtheit der Gesellschaftsanteile von Gosselin unter ihrer Kontrolle. Im Einzelnen werden 92 % der Aktien von Gosselin unmittelbar von Portielje als Treuhänderin gehalten, die verbleibenden 8 % von der Vivet en Gosselin NV; 99,87 % der Anteile der letztgenannten Gesellschaft gehören wiederum Portielje.

A –    Sachverhalt und Verwaltungsverfahren

9.        Auf dem Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien bestand nach den Ergebnissen der Ermittlungen der Kommission von 1984 bis 2003 ein Kartell, an dem sich zehn Umzugsunternehmen(6) in unterschiedlichen Zeiträumen(7) und in unterschiedlichem Ausmaß beteiligten.

10.      In der streitigen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass es sich bei dem besagten Kartell um ein Gesamtkartell in Form einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung handelte(8), die auf insgesamt drei Arten von Vereinbarungen beruhte(9):

–        Preisvereinbarungen, in denen die beteiligten Umzugsunternehmen Absprachen über die Entgelte für ihre Leistungen gegenüber den Kunden trafen;

–        Vereinbarungen über ein System von Abstandszahlungen für abgelehnte oder unterlassene Angebote (Provisionen); dadurch sollten die Wettbewerber des Unternehmens, das den Auftrag für einen internationalen Umzug erhielt, gewissermaßen eine finanzielle Entschädigung erhalten, gleichviel, ob sie selbst ebenfalls ein Angebot für den Auftrag abgegeben hatten oder nicht; die besagten Provisionen flossen von den Kunden unbemerkt in den Endpreis der jeweiligen Umzugsdienstleistungen ein;

–        Vereinbarungen über die Marktaufteilung mittels eines Systems fiktiver Kostenvoranschläge (Schutzangebote), die ein Umzugsunternehmen einem Kunden oder dem Umziehenden vorlegte, ohne die Absicht zu haben, den Umzug durchzuführen; zu diesem Zweck teilte jeweils ein Unternehmen seinen Wettbewerbern den Preis, den Versicherungstarif und die Einlagerungskosten mit, die sie für die fiktive Leistung berechnen sollten.

11.      Während die Vereinbarungen über Provisionen und Schutzangebote für die gesamte Dauer des Kartells (von 1984 bis 2003) Anwendung fanden, konnte die Umsetzung der Preisvereinbarungen nicht über den Monat Mai 1990 hinaus nachgewiesen werden(10).

12.      Aus dem von ihr festgestellten Sachverhalt folgerte die Kommission in der streitigen Entscheidung, dass die beteiligten Unternehmen gegen Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR verstoßen hätten, indem sie während unterschiedlicher Zeiträume „unmittelbar und mittelbar Preise für Auslandsumzüge von und nach Belgien festsetzten, den Markt teilweise untereinander aufteilten und das Verfahren zur Einreichung von Angeboten manipulierten“(11).

13.      Die streitige Entscheidung wurde insgesamt 31 juristischen Personen zugestellt, denen die Kommission überdies teils einzeln, teils gesamtschuldnerisch Geldbußen in unterschiedlicher Höhe(12) für die Zuwiderhandlung auferlegte.

14.      Nach den Feststellungen der Kommission in Art. 1 Buchst. c der streitigen Entscheidung war Gosselin im Zeitraum vom 31. Januar 1992 bis zum 18. September 2002 an dem Gesamtkartell beteiligt, im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 18. September 2002 „mit Stichting Administratiekantoor Portielje“. Dafür wurde Gosselin gemäß Art. 2 Buchst. e der streitigen Entscheidung eine Geldbuße in Höhe von 4,5 Mio. Euro auferlegt, wobei Portielje für einen Teilbetrag dieser Geldbuße in Höhe von 370 000 Euro gesamtschuldnerisch in die Mithaftung genommen wurde.

15.      Mit Änderungsentscheidung vom 24. Juli 2009(13) korrigierte die Kommission die streitige Entscheidung dahin gehend, dass die gegen Gosselin verhängte Geldbuße auf 3,28 Millionen Euro ermäßigt wurde, wobei Portielje nunmehr für einen Betrag von 270 000 Euro gesamtschuldnerisch mitzuhaften hatte. Diese Änderung ging auf eine Neuberechnung der Umsätze zurück, welche nach Auffassung der Kommission zwecks Festsetzung des Grundbetrags der gegen Gosselin und Portielje verhängten Geldbuße zu berücksichtigen waren.

B –    Erstinstanzliches Gerichtsverfahren

16.      Gegen die streitige Entscheidung suchten mehrere ihrer Adressaten in erster Instanz vor dem Gericht im Wege von Nichtigkeitsklagen Rechtsschutz(14).

17.      Die von Gosselin und Portielje am 4. Juni 2008 erhobenen Klagen hat das Gericht zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

18.      Auf die Klage in der Rechtssache T‑208/08 hin erklärte das Gericht mit dem angefochtenen Urteil(15) die streitige Entscheidung insoweit für nichtig, als darin für den Zeitraum vom 30. Oktober 1993 bis zum 14. November 1996 eine Beteiligung von Gosselin an der Zuwiderhandlung festgestellt wurde. Dementsprechend senkte das Gericht die gegen Gosselin verhängte Geldbuße auf 2,32 Mio. Euro herab. Im Übrigen wies das Gericht die Klage von Gosselin ab und verurteilte jede Partei zur Tragung ihrer eigenen Kosten.

19.      Auf die Klage in der Rechtssache T‑209/08 hin erklärte das Gericht, ebenfalls mit dem angefochtenen Urteil(16), die streitige Entscheidung in Bezug auf Portielje in vollem Umfang für nichtig und erlegte der Kommission die Kosten des Verfahrens auf.

III – Verfahren vor dem Gerichtshof

20.      Mit Schriftsatz vom 25. August 2011 hat die Kommission das vorliegende Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts eingelegt. Dieses Rechtsmittel hat allein jenen Teil des angefochtenen Urteils zum Gegenstand, in dem das Gericht der Nichtigkeitsklage von Portielje in der Rechtssache T‑209/08 stattgab(17). Die Kommission beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit damit die Entscheidung K(2008) 926 in der durch die Entscheidung K(2009) 5810 geänderten Fassung in Bezug auf Portielje für nichtig erklärt wird;

–        die Klage von Portielje abzuweisen;

–        Portielje die Kosten der Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof aufzuerlegen.

21.      Portielje ersucht ihrerseits den Gerichtshof,

–        das Rechtsmittel der Kommission als unbegründet zurückzuweisen und

–        die Kommission zur Tragung der Kosten beider Rechtszüge zu verurteilen.

22.      Vor dem Gerichtshof wurde über das Rechtsmittel schriftlich und, am 24. Oktober 2012, mündlich verhandelt.

IV – Würdigung

23.      In ständiger Rechtsprechung zu Art. 81 EG (ehemals Art. 85 EWG-Vertrag, nunmehr Art. 101 AEUV)(18) ist anerkannt, dass eine Muttergesellschaft für Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaft gegebenenfalls gesamtschuldnerisch mithaftet, selbst wenn nur die Tochtergesellschaft unmittelbar in das jeweilige Kartell verstrickt war. Eine solche Mithaftung tritt insbesondere dann ein, wenn die Tochter sich nicht autonom auf dem Markt betätigte, sondern im Wesentlichen die Weisungen ihrer Mutter befolgte, also dem bestimmenden Einfluss der Mutter ausgesetzt war(19). Hält eine Muttergesellschaft zum maßgeblichen Zeitpunkt alle oder fast alle Anteile an ihrer Tochtergesellschaft, so wird ferner widerleglich vermutet, dass sie bestimmenden Einfluss auf das Marktverhalten dieser Tochtergesellschaft ausübt(20) (sog. „100%-Vermutung“(21) oder „Rechtsprechung Akzo Nobel“).

24.      Die Kommission wirft dem Gericht vor, diese Grundsätze im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft angewandt zu haben. Dabei stützt sie sich auf zwei Rechtsmittelgründe, von denen der eine dem persönlichen Anwendungsbereich von Art. 81 EG (vgl. dazu Abschnitt A) und der andere den Möglichkeiten der Widerlegung der 100%-Vermutung gewidmet ist (vgl. dazu Abschnitt B).

A –    Zur Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs von Art. 81 EG (erster Rechtsmittelgrund)

25.      Der erste Rechtsmittelgrund wirft einige sehr grundlegende Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff auf, thematisiert also letztlich den persönlichen Anwendungsbereich von Art. 81 EG und von Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003(22), die sich an Unternehmen und Unternehmensvereinigungen richten(23).

26.      Mit diesem Rechtsmittelgrund wendet sich die Kommission gegen die Randnrn. 36 bis 50 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht festgestellt hat, es sei „nicht nachgewiesen, dass Portielje ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG war“(24), woraufhin es der Nichtigkeitsklage von Portielje gegen die streitige Entscheidung stattgab. Nach Ansicht des Gerichts müsste Portielje selbst ein Unternehmen sein, um für die Beteiligung von Gosselin am Umzugskartell gesamtschuldnerisch mitzuhaften(25).

1.      Der Unternehmensbegriff im Rahmen von Art. 81 EG (erster Teil des ersten Rechtsmittelgrundes)

27.      Im ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes rügt die Kommission, das Gericht habe sich auf ein rechtlich unzutreffendes Kriterium gestützt. Zu Unrecht habe das Gericht den Schwerpunkt seiner Prüfung darauf gelegt, ob Portielje selbst ein Unternehmen ist, statt sich zu fragen, ob Portielje und Gosselin gemeinsam ein einheitliches Unternehmen bilden. Damit hat das Gericht nach Auffassung der Kommission den wettbewerbsrechtlichen Unternehmensbegriff verkannt.

28.      Unstreitig umfasst im Rahmen des Wettbewerbsrechts der Begriff des Unternehmens jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung(26). Fest steht auch, dass eine solche wirtschaftliche Einheit aus mehreren natürlichen oder juristischen Personen gebildet werden kann(27).

29.      Von dieser Begriffsbestimmung ist auch das Gericht im angefochtenen Urteil ausgegangen(28). Allerdings hat das Gericht sogleich hinzugefügt, „dass die Muttergesellschaft eines Unternehmens, das eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG begangen hat, in einer Entscheidung über die Anwendung von Art. 81 EG nicht mit Sanktionen belegt werden kann, wenn sie nicht selbst ein Unternehmen ist“(29).

30.      Darin kommt ein grundlegendes Fehlverständnis des Unternehmensbegriffs im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften zum Ausdruck.

31.      Die gesamtschuldnerische Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaft wird nämlich mit dem Umstand begründet, dass beide Gesellschaften gemeinsam als Rechtsträgerinnen eines einheitlichen Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts fungieren, wenn die Tochter keine hinreichende Autonomie gegenüber der Mutter hat(30). Beide bilden dann eine wirtschaftliche Einheit und können im Innenverhältnis zueinander das sog. „Konzernprivileg“ in Anspruch nehmen, d. h., das Kartellverbot gilt nicht für Vereinbarungen zwischen ihnen(31). Umgekehrt bilden Mutter- und Tochtergesellschaft auch nach außen eine wirtschaftliche Einheit und müssen somit gemeinschaftlich für etwaige Kartellvergehen des Unternehmens geradestehen, das sie zusammen verkörpern(32).

32.      Zu Unrecht hat daher das Gericht angenommen, bei dem Konzept des Unternehmens im wettbewerbsrechtlichen Sinne und bei der Zurechnung des Verhaltens einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft handle es sich um „zwei unterschiedliche Begriffe“(33). In Wirklichkeit sind der Unternehmensbegriff und die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwei Seiten derselben Medaille. In der gemeinsamen gesamtschuldnerischen Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaft für Kartellvergehen kommt, wie gesagt, zum Ausdruck, dass beide Rechtsträgerinnen eines einheitlichen Unternehmens sind. Die Bildung eben dieser wirtschaftlichen Einheit durch Mutter- und Tochtergesellschaft ist notwendige und zugleich hinreichende Voraussetzung der gesamtschuldnerischen Mithaftung der Muttergesellschaft für die von ihrer Tochtergesellschaft begangenen Kartellvergehen.

33.      Die im angefochtenen Urteil zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, wonach die Muttergesellschaft auch für sich genommen Unternehmenseigenschaft haben muss, um für die Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaft mitzuhaften, würde letztlich darauf hinauslaufen, die Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft unter eine zusätzliche, in dieser Form noch nie anerkannte Bedingung zu stellen.

34.      Meines Erachtens lässt sich eine solche zusätzliche Bedingung der bisherigen Rechtsprechung in keinster Weise entnehmen. Bestünde eine solche Bedingung, so hätte beispielsweise in der Rechtssache Akzo Nobel, dem „leading case“ der letzten Jahre zu der hier diskutierten Problematik, die Akzo Nobel NV als reine Holdinggesellschaft(34) nicht Adressatin der Bußgeldentscheidung sein dürfen.

35.      Das Gericht setzt sich in diesem Punkt mit dem Urteil Akzo Nobel(35) nicht auseinander und liefert auch sonst keinerlei Begründung für das von ihm behauptete Bestehen der besagten zusätzlichen Bedingung. Es beschränkt sich darauf, drei mehr oder weniger wahllos ausgewählte Urteile des Gerichtshofs zu zitieren(36), in denen es seiner Meinung nach „unstreitig“ gewesen sein soll, „dass die Muttergesellschaft ein Unternehmen war“(37).

36.      Für die Ahndung der Kartellvergehen eines Unternehmens auf der Grundlage von Art. 81 EG (nunmehr Art. 101 AEUV) in Verbindung mit Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 ist es jedoch unerheblich, ob alle natürlichen oder juristischen Personen, die dieses Unternehmen rechtlich verkörpern, ihrerseits wirtschaftlich aktiv und damit schon für sich allein jeweils als Unternehmen anzusehen sind.

37.      Entscheidend ist lediglich, dass – global betrachtet – ein Unternehmen die Zuwiderhandlung begangen hat und dass alle natürlichen oder juristischen Personen, denen zur Ahndung dieser Zuwiderhandlung eine Bußgeldentscheidung zugestellt wird, Rechtsträger dieses gemeinsamen Unternehmens sind. Denn mit den nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Sanktionen soll sichergestellt werden, dass diejenigen Personen, die bestimmenden Einfluss auf das in ein Kartell verstrickte Unternehmen haben, nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit zur Rechenschaft gezogen werden und dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen derartige Zuwiderhandlungen nicht wieder begeht(38). Mit Blick auf dieses Ziel ist es ohne Belang, ob die besagten natürlichen oder juristischen Personen auch sonst – d. h. unabhängig von ihrer Einflussnahme auf das kartellbeteiligte Unternehmen – eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.

38.      Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es ausführte, die Muttergesellschaft eines Unternehmens könne nicht mit Sanktionen belegt werden, wenn sie nicht selbst ein Unternehmen sei, und im Folgenden prüfte, ob Portielje für sich genommen ein Unternehmen war(39).

39.      Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist folglich begründet.

2.      Die Anwendbarkeit der 100%-Vermutung auf das Verhältnis von Portielje zu Gosselin (zweiter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes)

40.      Der Vollständigkeit halber äußere ich mich im Folgenden noch zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, den die Kommission hilfsweise geltend macht. Er beschäftigt sich im Wesentlichen mit der Frage, ob die 100%-Vermutung, wie sie sich aus der Rechtsprechung Akzo Nobel(40) ergibt, im Verhältnis von Portielje zu Gosselin zum Tragen kommen kann. Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit dieser 100%-Vermutung zu Unrecht verneint.

41.      Gegenstand dieser Rüge sind die Ausführungen des Gerichts in den Randnrn. 46 bis 49 des angefochtenen Urteils, die von der Feststellung ausgehen, dass Portielje „keine unmittelbare wirtschaftliche Tätigkeit ausübt“(41). Unter diesen Umständen konnte sich Portieljes Unternehmenseigenschaft in den Augen des Gerichts allenfalls aus einer „indirekten Beteiligung“ an der wirtschaftlichen Tätigkeit von Gosselin ergeben. Dafür verlangt das Gericht der Kommission unter Berufung auf die Randnrn. 111 bis 113 des zum Recht der staatlichen Beihilfen ergangenen Urteils Cassa di Risparmio di Firenze(42) den konkreten Nachweis einer „Einflussnahme“ von Portielje „auf die Verwaltung“ von Gosselin ab und lässt keine Anwendung der 100%-Vermutung zu(43).

42.      Konkret stützt sich das Gericht in diesem Zusammenhang auf eine Formulierung im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze, wonach der bloße Besitz von Beteiligungen, auch von Kontrollbeteiligungen, für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt(44). Vielmehr sei eine Stiftung, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält, erst dann als an der wirtschaftlichen Tätigkeit des kontrollierten „Unternehmens“ beteiligt anzusehen, wenn sie diese Kontrolle tatsächlich durch unmittelbare oder mittelbare „Einflussnahme“ auf die Verwaltung der Gesellschaft ausübe(45).

43.      Aus jener Passage des Urteils Cassa di Risparmio di Firenze hat das Gericht geschlossen, die Beweislast für die Einflussnahme einer wirtschaftlich nicht aktiven Stiftung wie Portielje auf eine am Markt tätige Handelsgesellschaft wie Gosselin liege bei der Kommission, und die Kommission könne ihrer Beweislast nicht dadurch genügen, dass sie – in Anwendung der Rechtsprechung Akzo Nobel – auf die (fast) 100%ige Kontrolle der Stiftung über die Gesellschaft verweise(46).

44.      Diese Einschätzung des Gerichts ist rechtsfehlerhaft.

45.      Anders als das Gericht zu meinen scheint, besteht Übereinstimmung zwischen dem Urteil Cassa di Risparmio di Firenze und der Rechtsprechung Akzo Nobel. Im einen wie im anderen Fall macht der Gerichtshof die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit und demzufolge das Bestehen eines einheitlichen Unternehmens zwischen einer „Muttergesellschaft“ und ihrer „Tochtergesellschaft“ davon abhängig, ob die Mutter tatsächlich bestimmenden Einfluss auf die Tochter ausübt(47).

46.      Zwar kennt die Rechtsprechung Akzo Nobel für den „besonderen Fall“, dass eine Muttergesellschaft alle oder fast alle Anteile an ihrer Tochtergesellschaft hält, überdies eine widerlegliche „Vermutung der tatsächlichen Ausübung eines bestimmenden Einflusses“ der Mutter auf das Verhalten der Tochter (100%-Vermutung)(48), wohingegen im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze(49) keine solche Vermutung angesprochen wird.

47.      Die Nichterwähnung der 100%-Vermutung im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze dürfte jedoch in erster Linie an der dortigen Verfahrensart liegen: Es handelte sich um ein Vorabentscheidungsverfahren, das Beweisfragen gar nicht zum Gegenstand hatte. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich der Gerichtshof in der Rechtssache Cassa di Risparmio di Firenze nicht spezifisch mit dem besonderen Fall einer 100%igen oder fast 100%igen Kontrolle, sondern ganz allgemein mit „Kontrollbeteiligungen“ zu befassen hatte, was auch Beteiligungen deutlich unterhalb der Schwelle von 100% einschließt.

48.      Vor diesem Hintergrund hat das Gericht den Umstand überbewertet, dass der Gerichtshof im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze „keine widerlegbare Vermutung der ‚Einflussnahme‘ … aufgestellt“ hat(50), wie sie aus der Rechtsprechung Akzo Nobel bekannt ist.

49.      Insbesondere lassen sich keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Gerichtshof in der Rechtssache Cassa di Risparmio di Firenze gerade wegen der fehlenden eigenen Unternehmenseigenschaft der „Muttergesellschaften“ oder wegen ihres Stiftungscharakters von der Anerkennung einer 100%-Vermutung abgesehen hätte.

50.      Mag auch der Gerichtshof in jüngerer Zeit nicht gänzlich ausgeschlossen haben, dass der Begriff der wirtschaftlichen Einheit im Bereich der staatlichen Beihilfen von demjenigen abweicht, der in anderen Bereichen des Wettbewerbsrechts anwendbar ist(51), so war er doch bislang stets auf eine absolut einheitliche Auslegung des Unternehmensbegriffs in allen Bereichen des Wettbewerbsrechts bedacht(52), nicht zuletzt auch im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze(53). An dieser Linie sollte der Gerichtshof auch im vorliegenden Fall festhalten.

51.      Dass der Gerichtshof speziell im Urteil Cassa di Risparmio di Firenze und in der Rechtsprechung Akzo Nobel vom gleichen Unternehmensbegriff ausgeht, belegen im Übrigen einige Querverweise zwischen diesen beiden Rechtsprechungslinien(54). Darauf hat zu Recht die Kommission im vorliegenden Verfahren hingewiesen.

52.      Alles in allem ergibt sich also aus dem Urteil Cassa di Risparmio di Firenze kein Hinderungsgrund für die Anwendung der 100%-Vermutung im Verhältnis zwischen einer Stiftung wie Portielje und einer Handelsgesellschaft wie Gosselin.

53.      Im Übrigen führt die 100%-Vermutung, anders als Portielje meint, zu keiner Umkehr der Beweislast. Vielmehr liegt darin lediglich eine Regelung für die Beweiswürdigung im Zusammenhang mit der Zurechnung der kartellrechtlichen Verantwortlichkeit zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft. Da die 100%ige (oder fast 100%ige) Beteiligung der Muttergesellschaft an ihrer Tochtergesellschaft prima facie die Schlussfolgerung zulässt, dass bestimmender Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, obliegt es der Muttergesellschaft, eben dieser Schlussfolgerung unter Vorlage stichhaltiger Gegenbeweise zu widersprechen; andernfalls genügt diese Schlussfolgerung rechtsstaatlichen Beweisanforderungen. Es kommt, mit anderen Worten, zu einem Wechselspiel der Darlegungslasten, das der Frage der objektiven Beweislast vorgelagert ist(55).

54.      Entgegen der Auffassung von Portielje wird der Geltungsbereich der 100%-Vermutung durch ihre Anwendung auf einen Fall wie den vorliegenden auch keineswegs überdehnt. Ziel dieser Vermutung ist es nämlich, die wirksame Durchsetzung der Wettbewerbsregeln der Verträge unter gleichzeitiger Wahrung des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit zu erleichtern und Rechtssicherheit zu schaffen(56). Unter diesem Gesichtspunkt ist die Situation einer Stiftung wie Portielje, deren Funktion es ist, „die Einheitlichkeit der Verwaltung“ einer von ihr kontrollierten Handelsgesellschaft zu gewährleisten, nicht anders zu beurteilen als die einer „klassischen“ Muttergesellschaft im Verhältnis zu ihrer Tochtergesellschaft oder die einer Holdinggesellschaft im Verhältnis zu den von ihr kontrollierten Konzerngesellschaften. Alle diese Mütter haben ein eminent wirtschaftliches Interesse an der konkreten Tätigkeit ihrer jeweiligen Töchter auf dem Markt. Zwischen ihnen in Bezug auf die kartellrechtliche Verantwortlichkeit einen Unterschied zu machen, würde dem Grundsatz der Gleichbehandlung widersprechen.

55.      Hinsichtlich ihrer Verantwortung für das Geschäftsgebaren der ihnen untergeordneten Gesellschaften ist es ohne Belang, ob die kontrollierenden Einrichtungen – seien es Stiftungen, Holdinggesellschaften oder sonst wie geartete Muttergesellschaften – eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Im Gegenteil wäre der Umgehung einer wirksamen Mithaftung der Konzernspitze für Kartellvergehen untergeordneter Konzernbestandteile Tür und Tor geöffnet, wenn man wirtschaftlich nicht selbst aktive Stiftungen oder Holdinggesellschaften generell vom Anwendungsbereich der 100%-Vermutung ausnehmen wollte, obwohl sie innerhalb des jeweiligen Konzerns im Hintergrund „die Fäden ziehen“(57).

56.      Nicht zielführend ist schließlich auch das Argument von Portielje, die Anwendung der 100%-Vermutung auf einen Fall wie den vorliegenden würde in anderen Fällen, in denen der Staat an einer Handelsgesellschaft beteiligt ist, zu widersinnigen Ergebnissen führen. Denn damit wird ein rein hypothetisches Problem angesprochen, das sich im vorliegenden Fall überhaupt nicht stellt. Portielje befindet sich nicht einmal annähernd in einer dem Staat als Investor vergleichbaren Lage, beschränken sich doch ihre Aktivitäten – soweit bekannt – allein auf die Gewährleistung der Einheitlichkeit der Verwaltung eines einzigen Familienunternehmens. Abgesehen davon hat der Gerichtshof bereits erkennen lassen, dass er der besonderen Situation des Staates im Zusammenhang mit der Verantwortung für etwaige Kartellvergehen der von ihm kontrollierten Unternehmen durchaus Rechnung trägt(58). Zu der von Portielje geäußerten Besorgnis besteht also kein Anlass.

57.      Insgesamt ist damit der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ebenfalls begründet.

B –    Zur Widerlegung der Vermutung der Ausübung bestimmenden Einflusses (zweiter Rechtsmittelgrund)

58.      Der zweite Rechtsmittelgrund richtet sich gegen die Randnrn. 51 bis 59 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht zu dem Schluss kommt, Portielje sei es im vorliegenden Fall durch Vorlage „geeigneter Beweise“ gelungen, die 100%-Vermutung zu widerlegen(59). Das Gericht ist der Auffassung, Portielje habe keinen bestimmenden Einfluss auf Gosselin ausgeübt und sei gar nicht in der Lage gewesen, einen solchen Einfluss auszuüben.

59.      Zwar handelt es sich bei jener Passage des angefochtenen Urteils um einen Abschnitt, in dem das Gericht lediglich „vorsorglich“ prüft, ob Portielje das Verhalten von Gosselin zugerechnet werden kann(60). Da aber der erste Abschnitt des angefochtenen Urteils, in dem der Unternehmensbegriff thematisiert wird, keinen Bestand haben kann(61), hängt der Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits entscheidend von der rechtlichen Überprüfung dieses zweiten Abschnitts ab.

60.      Unstreitig ist die Vermutung der tatsächlichen Ausübung bestimmenden Einflusses einer Muttergesellschaft auf ihre 100%ige oder fast 100%ige Tochtergesellschaft (100%-Vermutung) nach der Rechtsprechung Akzo Nobel eine widerlegliche Vermutung(62).

61.      Die Kommission rügt jedoch mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund, dass das Gericht bei der Würdigung der von Portielje vorgebrachten Argumente zur Widerlegung dieser Vermutung rechtsfehlerhaft vorgegangen sei. Im Kern beanstandet die Kommission, das Gericht habe der personellen Verflechtung zwischen Portielje und Gosselin nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Diesbezüglich erhebt sie insgesamt drei Vorwürfe, denen die drei Teile ihres zweiten Rechtsmittelgrundes gewidmet sind. Mit ihnen setze ich mich im Folgenden auseinander, wobei ich den zweiten und dritten Teil gemeinsam prüfe.

62.      Vorab ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren zwar – abgesehen von der Frage der Verfälschung – nicht befugt ist, die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts zu hinterfragen(63). Es gehört jedoch zu den Aufgaben des Gerichtshofs im Rechtsmittelverfahren, die rechtliche Qualifizierung von Tatsachen durch das Gericht zu überprüfen(64). Dies schließt die Beurteilung der Frage ein, ob das Gericht bei seiner Würdigung der Tatsachen und Beweismittel die zutreffenden rechtlichen Kriterien zugrunde gelegt hat(65).

1.      Zum Vorwurf der Beweisverfälschung in Bezug auf Art und Ausmaß der personellen Verflechtung zwischen Portielje und Gosselin (erster Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes)

63.      Im ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wirft die Kommission dem Gericht eine „offensichtliche Beweisverfälschung“ bezüglich der Stellung und des Einflusses der drei Vorstandsmitglieder von Gosselin vor, die zugleich dem Vorstand von Portielje angehörten.

64.      Konkret greift die Kommission insoweit die Feststellung des Gerichts an, „von den sechs Personen, die den Vorstand von Portielje bildeten, [sei] nur die Hälfte auch im Vorstand von Gosselin“(66), und umgekehrt stellten „die drei Personen, die den Vorstand von Gosselin bildeten, … nur die Hälfte des Vorstands von Portielje [dar]“(67). Damit hat das Gericht nach Auffassung der Kommission fälschlicherweise unterstellt, die drei besagten Vorstandsmitglieder von Gosselin könnten „zusammen nicht die Politik von Portielje bestimmen“.

65.      Eine Verfälschung von Beweismitteln liegt allerdings nur vor, wenn ohne Erhebung neuer Beweise die Würdigung der vorliegenden Beweismittel offensichtlich unzutreffend ist(68).

66.      Im vorliegenden Fall hat das Gericht an keiner Stelle im angefochtenen Urteil, insbesondere nicht in dessen Randnrn. 56 und 57, die von der Kommission unterstellte Schlussfolgerung gezogen, dass jene drei Vorstandsmitglieder von Gosselin „zusammen nicht die Politik von Portielje bestimmen konnten“. Der Vorwurf einer dahin gehenden Verfälschung von Beweismitteln ist folglich zurückzuweisen.

67.      Damit ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes unbegründet.

2.      Zum Fehlen formeller Beschlüsse der Organe von Portielje und Gosselin (zweiter und dritter Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes)

68.      Im zweiten und dritten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes beanstandet die Kommission im Wesentlichen, das Gericht habe die Möglichkeiten der Einflussnahme von Portielje auf Gosselin allein unter gesellschaftsrechtlichen Gesichtspunkten beurteilt.

69.      In der Tat stützt das Gericht seine Schlussfolgerung, die 100%-Vermutung sei widerlegt, ganz wesentlich darauf, dass der Vorstand von Portielje erst nach Ende der Zuwiderhandlung förmliche Beschlüsse fasste; die Ausübung bestimmenden Einflusses durch Portielje auf Gosselin soll nach Ansicht des Gerichts „allein aus diesem Grund ausgeschlossen“ gewesen sein(69). Außerdem merkt das Gericht an, dass im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 18. September 2002, für den Portielje nach der streitigen Entscheidung das Kartellvergehen zugerechnet wurde, keine Hauptversammlung der Aktionäre von Gosselin stattfand, in deren Rahmen Portielje auf die Geschäftspolitik von Gosselin hätte Einfluss nehmen können(70). In dem in Rede stehenden Zeitraum habe Portielje überdies keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des Vorstands von Gosselin gehabt, auch habe sich diese Zusammensetzung nicht auf Betreiben von Portielje geändert(71).

70.      Diese Ausführungen des Gerichts sind Ausdruck eines grundlegenden Fehlverständnisses der 100%-Vermutung und der rechtlichen Anforderungen an ihre Widerlegung.

71.      Ob eine Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten autonom bestimmen kann oder aber dem bestimmenden Einfluss ihrer Muttergesellschaft ausgesetzt ist, kann nicht allein nach Maßgabe des einschlägigen Gesellschaftsrechts beurteilt werden. Ansonsten wäre es den betroffenen Muttergesellschaften ein Leichtes, sich der Verantwortung für Kartellvergehen ihrer 100%igen Tochtergesellschaften unter Berufung auf rein gesellschaftsrechtliche Begebenheiten zu entziehen.

72.      Zwar ist durchaus zu berücksichtigen, über welche Befugnisse die Organe der beteiligten Gesellschaften verfügen, ob und wann sie Beschlüsse gefasst haben und welchen Inhalts diese Beschlüsse gegebenenfalls waren. Den Ausschlag geben aber letztlich die wirtschaftlichen Realitäten. Denn das Wettbewerbsrecht orientiert sich nicht an Formalien, sondern am tatsächlichen Verhalten von Unternehmen.

73.      Wie die Kommission zutreffend anmerkt, wäre es übertrieben formalistisch und würde den wirtschaftlichen Realitäten in keiner Weise gerecht, wenn man Fragen der Einflussnahme zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft ausschließlich anhand von gesellschaftsrechtlichen Handlungen beurteilen wollte.

74.      Genau in einen solchen Formalismus ist jedoch das Gericht verfallen, als es – den Argumenten der Klägerin aus erster Instanz folgend – für die Frage des bestimmenden Einflusses von Portielje auf Gosselin einzig und allein die gesellschaftsrechtliche Perspektive für maßgeblich erachtete. Durch die Verengung seiner Prüfkriterien auf rein gesellschaftsrechtliche Maßstäbe hat das Gericht einen Rechtsfehler begangen. Insbesondere hat das Gericht verkannt, dass die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit aus Mutter- und Tochtergesellschaft nicht notwendig förmliche Beschlüsse von Gesellschaftsorganen voraussetzt. Vielmehr kann diese Einheit auch informell begründet werden, namentlich aufgrund einer personellen Verflechtung zwischen beiden Gesellschaften.

75.      Zwar hat das Gericht sich am Rande auch mit der personellen Verflechtung zwischen Gosselin und Portielje auseinandergesetzt, doch hat es diesbezüglich wiederum lediglich auf gesellschaftsrechtliche Gesichtspunkte abgestellt. Dabei ging es im Übrigen um zwei vergleichsweise theoretisch anmutende Fragen, und zwar, ob erstens „die wichtigsten Vorstandsmitglieder von Portielje über die Hauptversammlung von Gosselin einen Einfluss auf den Vorstand von Gosselin ausübten“ und ob zweitens „alle Unternehmen, in denen die drei Mitglieder des Vorstands von Gosselin ebenfalls in dieser Position vertreten sind, deshalb als Muttergesellschaften von Gosselin anzusehen sind“(72).

76.      Entscheidend wäre es aber gewesen, abseits aller formalen Erwägungen zum Gesellschaftsrecht die tatsächlichen Auswirkungen der personellen Verflechtungen zwischen Portielje und Gosselin auf den Unternehmensalltag zu untersuchen und rein faktisch zu beurteilen, ob Gosselin – entgegen der 100%-Vermutung – seine Geschäftspolitik wirklich autonom bestimmte. Dazu findet sich im angefochtenen Urteil bedauerlicherweise kein Wort.

77.      Zurückzuweisen ist schließlich der Einwand von Portielje, die 100%-Vermutung würde „unwiderleglich“, wenn Einflussmöglichkeiten außerhalb der Organe der beteiligten juristischen Personen Berücksichtigung fänden. Zum einen hat Portielje diesen Einwand in keiner Weise substantiiert. Zum anderen ist es offenkundig, dass über Geschehensabläufe aus dem Unternehmensalltag, auch über Vorgänge außerhalb der Organe von juristischen Personen, durchaus Beweis geführt werden kann, beispielsweise anhand von internen Schriftwechseln und Dokumenten, Gesprächsnotizen und Zeugenaussagen(73). Je nach ihrem konkreten Inhalt können solche Beweismittel entweder zu einer Widerlegung oder zu einer Bestätigung der 100%-Vermutung führen.

78.      Der zweite und dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes sind folglich begründet.

C –    Zwischenergebnis

79.      Alles in allem lässt sich somit festhalten, dass beide Teile des ersten sowie der zweite und dritte Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes begründet sind.

80.      Aus Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung folgt, dass der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts aufhebt. Folglich sind Ziff. 4 und Ziff. 6 des Tenors des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht über die Klage von Portielje in der Rechtssache T‑209/08 entschieden hat, aufzuheben. Davon unberührt bleibt der verbleibende Teil des angefochtenen Urteils, welcher nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens ist.

V –    Entscheidung über die Nichtigkeitsklage von Portielje

81.      Nach Art. 61 Abs. 1 seiner Satzung kann der Gerichtshof überdies den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

82.      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in seinem Urteil die von Portielje im erstinstanzlichen Verfahren in der Rechtssache T‑209/08 geltend gemachten Klagegründe umfassend geprüft. Die Parteien hatten überdies im Verfahren vor dem Gericht Gelegenheit, ihre Standpunkte zu allen für die Entscheidung dieses Falles erheblichen Gesichtspunkten auszutauschen. Auch der Sachverhalt bedarf keiner weiteren Aufklärung. Damit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif.

A –    Zum ersten Klagegrund von Portielje in der Rechtssache T‑209/08

83.      Mit ihrem ersten Klagegrund in der Rechtssache T‑209/08 macht Portielje geltend, sie sei kein Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinne, so dass zwischen ihr und Gosselin keine Beziehung wie die zwischen einer Mutter- und einer Tochtergesellschaft bestehe(74).

84.      Dieser Klagegrund ist aus den oben(75) genannten Gründen zurückzuweisen.

B –    Zum zweiten Klagegrund von Portielje in der Rechtssache T‑209/08

85.      Mit ihrem zweiten Klagegrund in der Rechtssache T‑209/08 bringt Portielje vor, sie könne nicht für Handlungen von Gosselin zur Verantwortung gezogen werden, da sie auf diese Gesellschaft keinen bestimmenden Einfluss ausgeübt habe(76).

86.      Dazu ist anzumerken, dass Portielje unstreitig alle oder fast alle Anteile von Gosselin kontrolliert(77). Nach der Rechtsprechung Akzo Nobel(78) ist folglich die tatsächliche Ausübung bestimmenden Einflusses von Portielje auf Gosselin widerleglich zu vermuten.

87.      Zur Entkräftung dieser Vermutung argumentiert die Klägerin rein formal mit den stiftungs- bzw. gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen über die Organe von Portielje und Gosselin. Sie verweist auf die gesetzliche Verpflichtung der Mitglieder des Vorstands von Gosselin, allein im Interesse dieser Gesellschaft zu handeln, und betont, dass es sich bei den Vorständen von Portielje und Gosselin um Kollegialorgane handle, zwischen denen nur teilweise Personenidentität bestehe.

88.      Wie aber oben ausgeführt(79), ist ein solches Vorbringen für sich allein genommen nicht aussagekräftig, weil es entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse und die wirtschaftlichen Realitäten ankommt. Dies gilt umso mehr in einer Situation wie der vorliegenden, in der zwar keine absolute Identität zwischen den Vorstandsmitgliedern von Portielje und Gosselin, wohl aber eine erhebliche personelle Verflechtung zwischen beiden juristischen Personen in der Form dreier gemeinsamer Vorstandsmitglieder bestand. Angesichts dieser Verflechtung wird der erste Anschein einer mangelnden Autonomie von Gosselin gegenüber Portielje und eines Gleichlaufs ihrer jeweiligen Interessen weiter verstärkt.

89.      Es wäre Sache der Klägerin gewesen(80), darzulegen, dass im vorliegenden Fall die „Muttergesellschaft“ Portielje gegenüber ihrer „Tochtergesellschaft“ Gosselin Zurückhaltung geübt hat, so dass Letztere ihr Marktverhalten trotz 100%iger Kontrolle durch Erstere autonom bestimmte(81).

90.      Dabei handelt es sich keineswegs um eine probatio diabolica, die der Muttergesellschaft den Beweis negativer Tatsachen abverlangt(82). Vielmehr kann, wie bereits erwähnt(83), unter Rückgriff auf konkrete Anhaltspunkte aus dem Unternehmensalltag erläutert werden, ob und inwieweit die Tochtergesellschaft ihre Geschäftspolitik und ihr Auftreten auf dem Markt selbst bestimmte und sich somit autonom, d. h. unabhängig von ihrer Muttergesellschaft, verhielt.

91.      Da aber Portielje – abgesehen von ihrem Beharren auf den stiftungs- und gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen – nichts Konkretes zur Entkräftung der 100%-Vermutung vorgetragen und sich insbesondere nicht mit den faktischen Auswirkungen ihrer personellen Verflechtung mit Gosselin auseinandergesetzt hat, ist ihr zweiter Klagegrund ebenfalls unbegründet.

C –    Sonstiges

92.      Was die weiteren von Portielje in der Rechtssache T‑209/08 erhobenen Klagegründe anbelangt, so hat schon das Gericht sie allesamt für unbegründet erachtet. Ich habe meinerseits diese Klagegründe geprüft und halte sie – im Wesentlichen aus denselben Gründen, wie sie das Gericht im angefochtenen Urteil dargelegt hat – ebenfalls für unbegründet.

93.      Auch die Herabsetzung der Geldbuße, die das Gericht zugunsten von Gosselin ausgesprochen hat, kann sich auf Portielje nicht auswirken. Denn diese Ermäßigung der Sanktion betrifft den Zeitraum vom 30. Oktober 1993 bis 14. November 1996, wohingegen Portielje gemäß der streitigen Entscheidung nur für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 18. September 2002 gesamtschuldnerisch mithaftet.

94.      Ich kann im Übrigen auch keine Gesichtspunkte erkennen, die auf eine falsche Berechnung der gegen Portielje verhängten Geldbuße, auf ihre Unverhältnismäßigkeit oder schlicht auf ihre Unangemessenheit hindeuten würden. Mithin besteht für eine Aufhebung oder für eine Neufestsetzung dieser Geldbuße – auch unter Berücksichtigung der Befugnis des Gerichtshofs zur unbeschränkten Ermessensnachprüfung (Art. 261 AEUV in Verbindung mit Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003) – im vorliegenden Fall kein Anlass.

D –    Zwischenergebnis

95.      Alles in allem ist somit die Nichtigkeitsklage von Portielje in der Rechtssache T‑209/08 in ihrer Gesamtheit als unbegründet abzuweisen.

VI – Kosten

96.      Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet(84).

97.      Gemäß Art. 138 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, Portielje die Kosten aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen in beiden Instanzen unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen aufzuerlegen.

VII – Ergebnis

98.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1)      Ziff. 4 und Ziff. 6 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 16. Juni 2011 in den verbundenen Rechtssachen T‑208/08 und T‑209/08, Gosselin Group NV u. a./Kommission, werden aufgehoben.

2)      Die von der Stichting Administratiekantoor Portielje in der Rechtssache T‑209/08 erhobene Nichtigkeitsklage wird abgewiesen.

3)      Die Stichting Administratiekantoor Portielje trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens in der Rechtssache T‑209/08 sowie die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens.


1 – Originalsprache: Deutsch.


2 – Entscheidung der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 des EG-Vertrags und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38.543 – Auslandsumzüge), bekannt gegeben unter dem Aktenzeichen K(2008) 926 endg., zusammengefasst in ABl. 2009, C 188, S. 16; im Volltext ist diese Entscheidung allein im Internet auf der Webseite der Kommission, Generaldirektion Wettbewerb, in einer nichtvertraulichen Fassung in französischer Sprache abrufbar (http://ec.europa.eu/competition/antitrust/cases/index.html).


3 – Urteil des Gerichts vom 16. Juni 2011, Gosselin Group u. a./Kommission (T‑208/08 und T‑209/08).


4 – Die anhängige Rechtssache Gosselin Group/Kommission u. a. (C‑429/11 P) hat ein Rechtsmittel zum Gegenstand, das sich ebenfalls gegen das hier angefochtene Urteil wendet. Andere Urteile des Gerichts zum Umzugskartell sind Gegenstand von Rechtsmitteln in den anhängigen Rechtssachen Ziegler/Kommission (C‑439/11 P), Kommission/Coppens (C‑441/11 P) und Team Relocations u. a./Kommission (C‑444/11 P). In der Rechtssache Kommission/Coppens (C‑441/11 P) habe ich am 24. Mai 2012 Schlussanträge gestellt.


5 – Vgl. dazu und zum Folgenden Randnr. 2 des angefochtenen Urteils.


6 – Allied Arthur Pierre, Compas, Coppens, Gosselin, Interdean, Mozer, Putters, Team Relocations, Transworld und Ziegler (vgl. etwa den 345. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung).


7 – Diese Zeiträume betrugen zwischen drei Monaten und mehr als 18 Jahren.


8 – Vgl. insbesondere den 307., 314. und 345. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung.


9 – Vgl. dazu den 121. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung und Randnr. 1 des angefochtenen Urteils.


10 – Vgl. dazu den 123. bis 153. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung.


11 – Art. 1 der streitigen Entscheidung und Randnr. 1 des angefochtenen Urteils.


12 – Die einzelnen Geldbußen betrugen zwischen 1 500 Euro und 9,2 Mio. Euro.


13 – Entscheidung der Kommission vom 24. Juli 2009, bekannt gegeben unter dem Aktenzeichen K(2009) 5810 endg.


14 – Vgl. dazu neben dem angefochtenen Urteil vier weitere Urteile des Gerichts vom 16. Juni 2011 in den Rechtssachen Ziegler/Kommission (T‑199/08, Slg. 2011, II‑3507), Team Relocations u. a./Kommission (T‑204/08 und T‑212/08, Slg. 2011, II‑3569), Verhuizingen Coppens/Kommission (T‑210/08, Slg. 2011, II‑3713) und Putters International/Kommission (T‑211/08, Slg. 2011, II‑3729).


15 – Vgl. Ziff. 1 bis 3 und 5 des Tenors des angefochtenen Urteils.


16 – Vgl. Ziff. 4 und 6 des Tenors des angefochtenen Urteils.


17 – Der verbleibende Teil des angefochtenen Urteils, in dem es um die von Gosselin erhobene Nichtigkeitsklage geht, ist Gegenstand des Rechtsmittels in der Rechtssache C‑429/11 P.


18 – Da die streitige Entscheidung vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ergangen ist, findet im vorliegenden Fall noch das Kartellverbot in der Fassung von Art. 81 EG Anwendung. Die folgenden Ausführungen sind jedoch ohne Weiteres auch auf Art. 101 AEUV übertragbar.


19 – Urteile vom 14. Juli 1972, Imperial Chemical Industries/Kommission („ICI“, 48/69, Slg. 1972, 619, Randnrn. 132 und 133), vom 25. Oktober 1983, AEG-Telefunken/Kommission (107/82, Slg. 1983, 3151, Randnr. 49), vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission („Akzo Nobel“, C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnrn. 58 und 72), vom 29. März 2011, ArcelorMittal Luxemburg/Kommission („ArcelorMittal“, C‑201/09 P und C‑216/09 P, Slg. 2011, I‑2239 Randnrn. 95 und 96), und vom 19. Juli 2012, AOI u. a./Kommission u. a. („AOI“, C‑628/10 P und C‑14/11 P, Randnrn. 42 bis 44).


20 – Urteile Akzo Nobel (Randnrn. 60 und 61), ArcelorMittal (Randnrn. 97 und 98) und AOI (Randnrn. 46 und 47), jeweils zitiert in Fn. 19. In den beiden Urteilen vom 29. September 2011, Arkema/Kommission (C‑520/09 P, Slg. 2011, I‑8901 Randnrn. 40 und 42) und Elf Aquitaine/Kommission („Elf Aquitaine“, C‑521/09 P, Slg. 2011, I‑8947, Randnrn. 56, 63 und 95), handelte es sich jeweils um eine 98%ige Tochtergesellschaft.


21 – Siehe dazu meine Schlussanträge vom 12. Januar 2012 in der Rechtssache AOI (zitiert in Fn. 19, insbesondere Nr. 33).


22 – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).


23 – Urteile vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission (C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnr. 59), vom 11. Dezember 2007, ETI u. a. (C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Randnr. 38), vom 1. Juli 2008, MOTOE (C‑49/07, Slg. 2008, I‑4863, Randnr. 20), und Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Randnr. 54).


24 – Randnr. 50 des angefochtenen Urteils.


25 – Randnrn. 42 und 43 des angefochtenen Urteils.


26 – Urteile vom 23. April 1991, Höfner und Elser (C‑41/90, Slg. 1991, I‑1979, Randnr. 21), vom 23. März 2006, Enirisorse (C‑237/04, Slg. 2006, I‑2843, Randnr. 28), ETI u. a. (zitiert in Fn. 23, Randnr. 38), MOTOE (zitiert in Fn. 23, Randnr. 21), Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Randnr. 54), ArcelorMittal (zitiert in Fn. 19, Randnr. 95) und AOI (zitiert in Fn. 19, Randnr. 42).


27 – Urteile vom 12. Juli 1984, Hydrotherm Gerätebau (170/83, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11), Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Randnr. 55), ArcelorMittal (zitiert in Fn. 19, Randnr. 95) und AOI (zitiert in Fn. 19, Randnr. 42).


28 – Randnr. 40 des angefochtenen Urteils; vgl. auch Randnr. 44 jenes Urteils.


29 – Randnr. 42 des angefochtenen Urteils.


30 – Urteile Akzo Nobel (Randnr. 59), ArcelorMittal (Randnr. 101) und AOI (Randnr. 44), jeweils zitiert in Fn. 19; vgl. außerdem meine Schlussanträge in der Rechtssache AOI (zitiert in Fn. 19, Nr. 173) und meine Schlussanträge vom 23. April 2009 in der Rechtssache Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nr. 97).


31 – Urteile vom 13. Juli 1966, Italien/Rat und Kommission (32/65, Slg. 1966, 458, 485 f.), ICI (zitiert in Fn. 19, Randnr. 134), vom 24. Oktober 1996, Viho/Kommission (C‑73/95 P, Slg. 1996, I‑5457, Randnr. 16), und vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio (C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 44).


32 – Urteile Akzo Nobel (Randnrn. 56 und 59), ArcelorMittal (Randnrn. 95 und 101) und AOI (Randnrn. 42 bis 44), jeweils zitiert in Fn. 19.


33 – Randnr. 39 des angefochtenen Urteils.


34 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nr. 11).


35 – Urteil zitiert in Fn. 19.


36 – Urteile Hydrotherm Gerätebau (oben in Fn. 27 angeführt), ICI (zitiert in Fn. 19), und vom 16. November 2000, Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission (C‑286/98 P, Slg. 2000, I‑9925).


37 – Randnrn. 40 und 41 des angefochtenen Urteils.


38 – Vgl. dazu meine Schlussanträge vom 3. Juli 2007 in der Rechtssache ETI (zitiert in Fn. 23, Nrn. 71 und 72), ferner meine Schlussanträge in der Rechtssache Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nrn. 39 und 41).


39 – Randnrn. 42, 43 und 50 des angefochtenen Urteils.


40 – Vgl. insbesondere die Urteile Akzo Nobel (Randnrn. 60 und 61), ArcelorMittal (Randnrn. 97 und 98) und AOI (Randnrn. 46 und 47), jeweils zitiert in Fn. 19.


41 – Randnr. 46 des angefochtenen Urteils.


42 – Urteil vom 10. Januar 2006, Cassa di Risparmio di Firenze u. a. (C‑222/04, Slg. 2006, I‑289).


43 – Randnrn. 47 bis 49 des angefochtenen Urteils.


44 – Urteil Cassa di Risparmio di Firenze (zitiert in Fn. 42, Randnr. 111).


45 – Urteil Cassa di Risparmio di Firenze (zitiert in Fn. 42, Randnr. 112). Genau genommen spricht der Gerichtshof in jener Urteilspassage nicht von einer Stiftung, sondern allgemeiner von einer „Einheit“, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält. Aus dem Gesamtzusammenhang jenes Urteils ergibt sich allerdings, dass es dort um Stiftungen, und zwar um Bankstiftungen nach italienischem Recht, ging.


46 – Vgl. in diesem Sinne Randnrn. 48 und 49 des angefochtenen Urteils.


47 – Zum Kartellrecht vgl. die in Fn. 19 angeführte Rechtsprechung sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache AOI (zitiert in Fn. 19, Nr. 144); zum Recht der staatlichen Beihilfen vgl. Urteil Cassa di Risparmio di Firenze (zitiert in Fn. 42, Randnr. 112).


48 – Vgl. dazu oben, Nr. 23 dieser Schlussanträge und die in Fn. 20 angeführte Rechtsprechung.


49 – Urteil zitiert in Fn. 42, insbesondere Randnrn. 110 bis 113.


50 – Randnr. 48 des angefochtenen Urteils.


51 – Urteil vom 16. Dezember 2010, AceaElectrabel/Kommission (C‑480/09 P, Slg. 2010, I-13355, Randnr. 66).


52 – Vgl. dazu die in Fn. 26 angeführte Rechtsprechung.


53 – Urteil Cassa di Risparmio di Firenze (zitiert in Fn. 42, Randnr. 107); ebenso Urteil Enirisorse (zitiert in Fn. 26, Randnr. 28).


54 – Im Urteil Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Randnr. 54) verweist der Gerichtshof auf das Urteil Cassa di Risparmio di Firenze (zitiert in Fn. 42). Im Urteil vom 20. Januar 2011, General Química u. a./Kommission („General Química“, C‑90/09 P, Slg. 2011, I-1, Randnrn. 34 und 35) wird sowohl auf das Urteil Akzo Nobel als auch auf das Urteil Cassa di Risparmio di Firenze Bezug genommen.


55 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in den Rechtssachen Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nr. 74) und AOI (zitiert in Fn. 19, Nr. 170).


56 – Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nr. 71 in Verbindung mit Nrn. 40 und 41).


57 – Zu einigen Beispielsfällen, in denen es gleichwohl vorstellbar ist, dass die 100%-Vermutung entkräftet wird, vgl. die Anmerkungen in Fn. 67 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19).


58 – Vgl. dazu das Urteil ETI u. a. (zitiert in Fn. 23, Randnrn. 47 bis 50).


59 – Randnr. 58 des angefochtenen Urteils.


60 – Randnr. 51 des angefochtenen Urteils.


61 – Vgl. oben, Nrn. 25 bis 57 dieser Schlussanträge.


62 – Vgl. insbesondere die Urteile Akzo Nobel (Randnrn. 60 und 63), ArcelorMittal (Randnr. 97) und AOI (Randnrn. 46 und 48), jeweils zitiert in Fn. 19, sowie die Urteile General Química (zitiert in Fn. 54, Randnrn. 39, 42 und 50) und Elf Aquitaine (zitiert in Fn. 20, Randnrn. 56 und 59).


63 – Beschluss vom 17. September 1996, San Marco/Kommission (C‑19/95 P, Slg. 1996, I‑4435, Randnr. 39), sowie Urteile vom 1. Juni 1994, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a. (C‑136/92 P, Slg. 1994, I‑1981, Randnr. 49), Elf Aquitaine (zitiert in Fn. 20, Randnr. 68), vom 9. Juni 2011, Comitato „Venezia vuole vivere“/Kommission (C‑71/09 P, C‑73/09 P und C‑76/09 P, Slg. 2011, I‑4727, Randnr. 149), und AOI (zitiert in Fn. 19, Randnr. 85).


64 – Beschluss San Marco/Kommission (zitiert in Fn. 63, Randnr. 39) sowie Urteile Kommission/Brazzelli Lualdi u. a. (zitiert in Fn. 63, Randnr. 49), General Química (zitiert in Fn. 54, Randnr. 71) und Comitato „Venezia vuole vivere“/Kommission (zitiert in Fn. 63, Randnr. 149).


65 – Urteile vom 25. Oktober 2011, Solvay/Kommission (C‑109/10 P, Slg. 2011, I‑10329, Randnr. 51) und Solvay/Kommission (C‑110/10 P, Slg. 2011, I‑10439, Randnr. 46).


66 – Randnr. 56 des angefochtenen Urteils.


67 – Randnr. 57 des angefochtenen Urteils.


68 – Urteile vom 18. Januar 2007, PKK und KNK/Rat (C‑229/05, Slg. 2007, I‑439, Randnr. 37), vom 22. November 2007, Sniace/Kommission (C‑260/05 P, Slg. 2007, I‑10005, Randnr. 37), und Comitato „Venezia vuole vivere“/Kommission (zitiert in Fn. 63, Randnr. 153).


69 – Randnr. 54 des angefochtenen Urteils.


70 – Randnr. 55 des angefochtenen Urteils.


71 – Randnr. 56 des angefochtenen Urteils.


72 – Randnr. 57 des angefochtenen Urteils.


73 – Vgl. dazu etwa die vom Gerichtshof durchgeführte Beweiswürdigung im Urteil General Química (zitiert in Fn. 54, Randnr. 104).


74 – Randnrn. 28 und 29 des angefochtenen Urteils.


75 – Vgl. dazu Nrn. 27 bis 57 dieser Schlussanträge.


76 – Randnrn. 28 und 30 bis 32 des angefochtenen Urteils.


77 – Das Gericht formuliert, dass Portielje „quasi das gesamte Kapital von Gosselin“ halte (Randnrn. 49 und 53 des angefochtenen Urteils). Meines Erachtens ist es zutreffender, davon zu sprechen, dass Portielje alle Gesellschaftsanteile von Gosselin unter ihrer Kontrolle hat, weil sie 92 % dieser Anteile treuhänderisch für die Mitglieder der Gründerfamilie verwaltet und überdies fast alle Anteile (99,87 %) an der Vivet en Gosselin NV hält, welcher die verbleibenden 8 % von Gosselin gehören. Für die Anwendung der 100%-Vermutung macht diese Formulierungsfrage aber keinen Unterschied.


78 – Vgl. insbesondere die Urteile Akzo Nobel (Randnrn. 60 und 61), ArcelorMittal (Randnrn. 97 und 98) und AOI (Randnrn. 46 und 47), jeweils zitiert in Fn. 19.


79 – Vgl. dazu Nrn. 68 bis 78 dieser Schlussanträge.


80 – Urteile General Química (zitiert in Fn. 54, Randnr. 104) und Elf Aquitaine (zitiert in Fn. 20, Randnr. 61).


81 – Siehe in diesem Sinne meine Schlussanträge in den Rechtssachen AOI (zitiert in Fn. 19, Nr. 171) und Akzo Nobel (zitiert in Fn. 19, Nr. 75).


82 – In diesem Sinne auch Urteil Elf Aquitaine (zitiert in Fn. 20, Randnr. 65).


83 – Vgl. oben, Nr. 77 dieser Schlussanträge.


84 – Gemäß dem allgemeinen Grundsatz, dass neue Verfahrensregeln auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen Rechtsstreitigkeiten Anwendung finden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urteil vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, Slg. 1981, 2735, Randnr. 9), richtet sich die Kostenentscheidung im vorliegenden Fall nach der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 25. September 2012, die am 1. November 2012 in Kraft getreten ist (in diesem Sinne auch Urteil vom 15. November 2012, Rat/Bamba, C‑417/11 P, Randnrn. 91 und 92). Inhaltlich besteht allerdings kein Unterschied zu Art. 69 § 2 in Verbindung mit Art. 118 und Art. 122 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs vom 19. Juni 1991.