SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
vom 19. Mai 2011(1)
Rechtssache C‑447/09
Reinhard Prigge,
Michael Fromm,
Volker Lambach
gegen
Deutsche Lufthansa AG
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts [Deutschland])
„Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78/EG – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Art. 2 Abs. 5 – Art. 4 Abs. 1 – Art. 6 Abs. 1 – Art. 21 und 28 der Charta der Grundrechte – Tarifvertrag, nach dem das Arbeitsverhältnis der Piloten einer Fluggesellschaft mit Vollendung des 60. Lebensjahrs endet (‚zwangsweise Versetzung in den Ruhestand‘) – Flugsicherheit –Tarifautonomie – Wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen – Sozialpolitik – Verhältnismäßigkeit“
I – Einleitung
1. Mit der vorliegenden Vorlagefrage möchte das Bundesarbeitsgericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf(2) oder das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters einem Tarifvertrag entgegensteht, der zur Gewährleistung der Flugsicherheit festlegt, dass das Arbeitsverhältnis der Piloten einer Fluggesellschaft mit Vollendung des 60. Lebensjahrs endet.
2. Die vorliegende Rechtssache bietet somit dem Gerichtshof die Gelegenheit, in seiner Rechtsprechung zum Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen(3) voranzuschreiten, einmal mehr aus Anlass einer tarifvertraglichen Klausel, nach der das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers mit Erreichen eines bestimmten Alters, bei dem der Eintritt in den Ruhestand bereits in Sichtweite ist, endet(4). Konkret gilt es, die Rechtsprechung ausgehend von ihrem Stand nach dem jüngsten Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Rosenbladt weiterzuentwickeln. Der vorliegende Fall ist im Wesentlichen durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens ist das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mit Vollendung des 65. Lebensjahrs (einem Zeitpunkt, zu dem sich der Gerichtshof im Großen und Ganzen positiv geäußert hat, worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden muss), sondern zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt vorgesehen, nämlich mit Vollendung des 60. Lebensjahrs, und zweitens ist der Gerichtshof im vorliegenden Fall mit einem Beruf befasst – dem des Piloten(5) –, dessen Ausübung sozusagen ein „Verfallsdatum“ hat (nach den internationalen Rechtsvorschriften das der Vollendung des 65. Lebensjahrs). Ausgehend von der letztgenannten Besonderheit des Pilotenberufs werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu entscheiden, dass die Gewährleistung der Kollektivverhandlungen von den rechtmäßigen sozialpolitischen Zielen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 umfasst ist. Dennoch werde ich nach einer Prüfung der zeitlichen Tragweite der konkret streitigen Bestimmung im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit vorschlagen, ihre Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht festzustellen.
II – Rechtlicher Rahmen
A – Internationale Regelung
3. Am 15. April 2003 erließen die Joint Aviation Authorities(6) die Joint Aviation Requirements – Flight Crew Licensing 1.060a (im Folgenden: JAR-FCL 1.060a), die genaue Bestimmungen über Beschränkungen enthalten, die für Fluglizenzinhaber nach Vollendung des 60. Lebensjahrs gelten. Insbesondere ist vorgesehen, dass der Inhaber einer Pilotenlizenz nach Vollendung des 60. bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs nicht als Pilot eines Flugzeugs bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden darf, es sei denn, er ist Mitglied einer aus mehreren Piloten bestehenden Flugbesatzung und die anderen Piloten sind noch nicht 60 Jahre alt. Ein Inhaber einer Pilotenlizenz, der das 65. Lebensjahr vollendet hat, darf nicht als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden.
4. Diese Regelung wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Bundesanzeiger Nr. 80a vom 29. April 2003 bekannt gemacht.
B – Unionsrecht
1. Charta der Grundrechte der Europäischen Union
5. Art. 21 Abs. 1 der Charta bestimmt: „Diskriminierungen, insbesondere wegen … des Alters …, sind verboten.“
6. Art. 28 der Charta bestimmt, dass „[d]ie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber oder ihre jeweiligen Organisationen ... nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten das Recht [haben], Tarifverträge ... auszuhandeln und zu schließen“.
2. Richtlinie 2000/78/EG
7. Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ist ihr Zweck „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.
8. Art. 2 Abs. 5 dieser Richtlinie bestimmt, dass sie „nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen [berührt], die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“.
9. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sieht vor, dass ungeachtet ihres Art. 2 Abs. 1 und 2 (in dem der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die unmittelbare und die mittelbare Diskriminierung definiert werden) „die Mitgliedstaaten vorsehen [können], dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“.
10. Schließlich bestimmt Art. 6 („Gerechtfertigte Ungleichbehandlungen wegen des Alters“) Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 Folgendes:
„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs‑ und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;
b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;
c) die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.“
C – Deutsches Recht
1. Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge
11. Nach § 14 des Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21. Dezember 2000 (TzBfG)(7) ist die Befristung eines Arbeitsvertrags zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.
2. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
12. Die Richtlinie 2000/78 wurde durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (AGG)(8) in das deutsche Recht umgesetzt. Die §§ 8 und 10 AGG geben beinahe wörtlich Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 wieder.
3. Bestimmungen über die zeitliche Begrenzung der Fluglizenzen
13. Zum einen verweist § 20 Abs. 2 der Luftverkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO)(9) zur Regelung sämtlicher Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Fluglizenz auf die Verordnung über Luftfahrtpersonal und erklärt parallel dazu die JAR‑FCL 1.060a auf Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer in mehrköpfigen Flugbesatzungen für anwendbar.
14. Zum anderen bestimmt § 4 der Ersten Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal vom 15. April 2003 (1. DV LuftPersV)(10), dass der Inhaber einer in Deutschland ausgestellten Berufs‑ oder Verkehrspilotenlizenz nach Vollendung des 60. bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs die Rechte seiner Lizenz bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post oder Fracht auch in Luftfahrzeugen mit einer Mindestflugbesatzung von einem Piloten ausüben darf, jedoch beschränkt auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland.
4. Tarifvertrag
15. Schließlich ist die im vorliegenden Verfahren unmittelbar streitige Bestimmung § 19 Abs. 1 des Manteltarifvertrags Nr. 5a für das Cockpitpersonal der Deutschen Lufthansa (im Folgenden: Manteltarifvertrag Nr. 5a), dem die Arbeitsverhältnisse zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens unterliegen. In seiner Fassung vom 14. Januar 2005 sah er Folgendes vor: „Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird. …“ Ab diesem Zeitpunkt erhalten die von dieser Bestimmung betroffenen Piloten eine Übergangsversorgung(11).
16. Nach der Vorlageentscheidung werden bei anderen Fluggesellschaften des Lufthansa-Konzerns Flugzeugführer bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs beschäftigt.
III – Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
17. Herr Prigge, Herr Fromm und Herr Lambach erhoben gegen die Deutsche Lufthansa AG (im Folgenden: Deutsche Lufthansa), bei der sie als Flugzeugführer und Flugzeugkapitäne beschäftigt gewesen waren, wegen deren Entscheidung, ihre Arbeitsverhältnisse jeweils wegen Erreichens der nach dem Manteltarifvertrag Nr. 5a für sie geltenden Altersgrenze von 60 Jahren als beendet anzusehen, Klage beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main. Nach Ansicht der Kläger stellt diese Entscheidung eine mit der Richtlinie 2000/78 und dem AGG unvereinbare Diskriminierung wegen des Alters dar.
18. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, und das Landesarbeitsgericht Hessen wies die anschließend erhobene Berufung zurück. Die Betroffenen legten gegen die Berufungsentscheidung Revision an das Bundesarbeitsgericht ein.
19. Da das Bundesarbeitsgericht der Auffassung ist, dass seine Entscheidung über diese Revision von der Auslegung verschiedener Artikel der Richtlinie 2000/78 und des allgemeinen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters abhängt, hat es dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Sind Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 und/oder Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und/oder der allgemeine Grundsatz des Gemeinschaftsrechts über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters so auszulegen, dass sie Regelungen des nationalen Rechts entgegenstehen, die eine auf Gründen der Gewährleistung der Flugsicherheit beruhende tarifliche Altersgrenzenregelung von 60 Jahren für Piloten anerkennen?
IV – Verfahren vor dem Gerichtshof
20. Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 18. November 2009 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.
21. Die Bundesrepublik Deutschland, Irland, die Kommission und, mit gemeinsamem Schriftsatz, die drei Kläger des Ausgangsverfahrens (Herr Prigge, Herr Fromm und Herr Lambach) haben schriftliche Erklärungen eingereicht.
22. In der Sitzung vom 8. März 2011 haben der Vertreter von Herrn Prigge, Herrn Fromm und Herrn Lambach, die Kommission, die Bundesrepublik Deutschland und Irland mündliche Ausführungen gemacht.
V – Vorbemerkungen
23. Es erscheint mir angebracht, der Beantwortung der Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts einige Bemerkungen voranzustellen, zunächst zur Formulierung der Frage und sodann zum uns hier beschäftigenden Diskriminierungsverbot sowie zu seinen Auswirkungen auf das Recht auf Kollektivverhandlungen.
A – Zur Formulierung der Frage
24. Zunächst ist auf die zwei unionsrechtlichen Punkte einzugehen, deren Auslegung im Hinblick auf eine allfällige Unvereinbarkeit der innerstaatlichen Bestimmung beantragt wird: erstens ein Sekundärrechtsakt, die Richtlinie 2000/78, und zweitens ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, nämlich das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, das der Richtlinie als Grundlage dient und das durch diese Richtlinie „konkretisiert“ wird.
25. Beginnend mit der auf höherer Ebene angesiedelten Frage ist zunächst festzuhalten, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse, in der Tat ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist. Dies ist zumindest seit dem Urteil Mangold aus dem Jahr 2005 bekannt, in dem der Gerichtshof dies entschieden hat, und wird hier auch in keiner Weise in Frage gestellt. Seither hat die Rechtsprechung diesem Grundsatz nämlich immer wieder, ausdrücklich oder stillschweigend, Wirkung verschafft, und zwar praktisch immer im Kontext der in allen Fällen herangezogenen Richtlinie 2000/78.
26. Obwohl bei Erlass des Urteils Mangold die Charta der Grundrechte der Europäischen Union bereits feierlich verkündet war und ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen des Alters enthielt (Art. 21 der Charta), hat sie erst mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon vollen Rechtscharakter und primärrechtlichen Rang erlangt, und damit der genannte Diskriminierungsgrund als vorletztes der in diesem Artikel enthaltenen ausdrücklichen Diskriminierungsverbote. Meines Erachtens bedeutet dies, dass das Diskriminierungsverbot als Folge seiner Umwandlung in „geschriebenes Verfassungsrecht“ unionsrechtlich nunmehr schlechthin in Art. 21 der Charta verankert ist. Dies gilt unbeschadet von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 (Zuständigkeiten der Union) und Unterabs. 3 (Titel VII und Erläuterungen der Charta) EU (was insbesondere zu Art. 13 EG, jetzt Art. 19 AEUV, und zu Art. 52 der Charta hinführt). Mit anderen Worten, auch wenn die im Urteil Mangold getroffene (und im Urteil Kücükdeveci(12) bekräftigte) Feststellung, dass das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der „seinen Ursprung in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten hat“(13), weiterhin volle Gültigkeit hat, wurde dieser Grundsatz in der „Charta von Lissabon“ positiviert, und die Möglichkeiten und Grenzen dieses Verbots richten sich daher nunmehr nach ihr(14).
27. Zum Sekundärrechtsakt, der Richtlinie 2000/78, ist an dieser Stelle nur wenig vorauszuschicken. Es genügt zunächst der Hinweis, dass die Richtlinie die Zuständigkeit der Union auf diesem Gebiet „durchführt“ und in dieser Hinsicht zur Wirksamkeitsvoraussetzung dieser Zuständigkeit im Unionsbereich wird. Außerdem „konkretisiert“ sie, wie der Gerichtshof festgestellt hat, innerhalb ihres Geltungsbereichs das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters(15).
28. Die letzte Besonderheit der Vorlagefrage besteht in der in ihr enthaltenen Feststellung, dass die fragliche Tarifvertragsklausel „auf Gründen der Gewährleistung der Flugsicherheit beruh[t]“. Schon an dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Tarifvertragsklausel insoweit keinen Hinweis enthält; es handelt sich vielmehr um eine Hinzufügung, die sich dadurch erklärt, dass das Bundesarbeitsgericht diese Begründung bislang als objektive Rechtfertigung für die zitierte Bestimmung akzeptiert hat und nun wissen will, ob diese Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des AGG mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
29. Eine auf diese enge Fragestellung beschränkte Antwort des Gerichtshofs, wie sie übrigens von der Kommission vorgeschlagen wird, verfehlte jedoch möglicherweise das Ziel, dem Bundesarbeitsgericht Hinweise zu geben, die für seine Entscheidung nützlich sind. Meines Erachtens ist für das vorlegende Gericht die Frage relevant, ob die das Ende des Arbeitsverhältnisses vorverlegende Klausel mit dem Unionsrecht vereinbar ist, und zwar unabhängig von der Grundlage, die die innerstaatliche Rechtsprechung solchen Bestimmungen bislang geboten hat.
30. Nach alledem ist meines Erachtens die Frage wie folgt umzuformulieren:
Sind Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78 im Licht von Art. 21 der Charta dahin auszulegen, dass sie der Festsetzung einer tariflichen Altersgrenze für Piloten von 60 Jahren entgegenstehen?
B – Zum Alter als Diskriminierungsgrund, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse
31. Ausdrückliche Diskriminierungsverbote reichen lange in die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zurück. Alle Mitglieder der politischen Gemeinschaft und im weiteren Sinne alle Menschen sind gleich an Würde, an Würde der Person, und diese Menschenwürde findet ihren Ausdruck in einer, zunächst beschränkten, Mehrzahl spezifischer Diskriminierungsverbote, deren Inhalt eng mit dem Stand und der Entwicklung unserer Verfassungskultur verknüpft ist(16). Mittlerweile umfasst Art. 21 der Charta, unmittelbar im Anschluss an den Gleichheitsgrundsatz ihres Art. 20, sogar 15 verbotene Diskriminierungskriterien, darunter als Vorletztes das Alter.
32. Schon die Stelle, an der das Alter in dieser Aufzählung des Art. 20 der Charta genannt wird, weist darauf hin, dass es nicht gerade das älteste oder „klassischste“ Diskriminierungsverbot darstellt. Das bedeutet nicht, dass es deshalb weniger bedeutend als die anderen wäre. Sehr wohl jedoch kann deshalb die Auffassung vertreten werden, dass seine unstreitige Modernität aus ihm ein Diskriminierungskriterium macht, das sich erst festigen muss und einige seiner Aspekte einem Prozess der sozialen und politischen Konsensbildung unterliegen.
33. Die Bestimmung selbst enthält jedenfalls keine „Ungleichbehandlung“ der verschiedenen Diskriminierungskriterien: Wegen all dieser Kriterien ist gleichermaßen „jede“ Diskriminierung verboten. Unterschiede bestehen in anderer Hinsicht, nämlich der aus dem derzeitigen Stand des Unionsrechts folgenden stärkeren oder schwächeren Relevanz dieser Kriterien. Entscheidend ist, dass unabhängig von alledem zwischen den verschiedenen „Realitäten“ der Umsetzung der Texte, die die verschiedenen Nichtdiskriminierungsgebote enthalten, Heterogenität herrscht.
34. So hat bereits Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Lindorfer/Rat die Spezifität des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters betont, und zwar mit Worten, die keiner näheren Erläuterung bedürfen: „[D]ie Vorstellung einer Gleichbehandlung ungeachtet des Alters [unterliegt] zahlreichen Einschränkungen und Ausnahmen, wie beispielsweise – oft rechtsverbindlichen – Altersgrenzen verschiedener Art ..., die nicht nur als hinnehmbar, sondern als nützlich und manchmal als notwendig betrachtet werden.“(17) Dies gilt zweifellos für ein so wichtiges Gebiet wie das der Arbeitsverhältnisse. Womit wir an einem anderen Punkt angelangt wären.
35. Auch für die Grundrechte und die allgemeinen Grundsätze auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse gilt nämlich, dass die Drittwirkung dieser Rechte und Grundsätze, d. h. ihre Wirkung in Rechtsverhältnissen zwischen Einzelnen – um solche handelt es sich überwiegend und insbesondere bei Arbeitgebern –, relativ jung ist(18).
36. Diskriminierungsverbote auf dem Gebiet der Arbeitsverhältnisse reichen im primären wie sekundären Unionsrecht weit zurück(19). Die Bezugnahme auf das Alter wurde durch ihre Aufnahme in die Richtlinie 2000/78 neben drei weiteren Kriterien, deretwegen eine Diskriminierung verboten ist (Religion oder Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Ausrichtung), weiterentwickelt und konkretisiert(20).
37. Die Richtlinie behandelt diese vier Kriterien im Wesentlichen gleich. Wie sich jedoch zeigen wird, sieht sie in Bezug auf das Alter eine Kategorie vor, nämlich „Rechtfertigungen“ für bestimmte Ungleichbehandlungen (Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie), die in Bezug auf die übrigen Kriterien und in den anderen beiden Richtlinien sogar zur Gänze fehlt.
38. Nach diesem Unterschied können die drei vom vorlegenden Gericht in seiner Vorlagefrage ausdrücklich erwähnten Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 zwei Gruppen zugeordnet werden. Sie alle grenzen den Geltungsbereich oder die Wirkung des Diskriminierungsverbots im Arbeitsrecht auf die eine oder andere Weise negativ ab, so dass sie allenfalls zur Rechtfertigung der streitigen Maßnahme herangezogen werden können. Ihre Tragweite ist jedoch sehr unterschiedlich.
39. Die erste Gruppe von Bestimmungen, zu der Art. 2 Abs. 5 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gehören, bezieht sich auf alle vier Kategorien von Diskriminierungsverboten im Bereich der selbständigen und unselbständigen Beschäftigung, dem spezifischen Gegenstand dieser Richtlinie. Sie können daher nicht nur das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, sondern auch das Verbot der Diskriminierung aus religiösen oder ideologischen Gründen, wegen einer Behinderung oder wegen der sexuellen Ausrichtung relativieren(21). Die Gründe für eine Anwendung der beiden erstgenannten Tatbestände müssen daher schwerwiegend sein. Aus diesem Grund erinnert der Wortlaut von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 in gewisser Weise an die Grundrechtseinschränkungen (Art. 52 der Charta) und verwendet Art. 4 Abs. 1 kumulativ zwei recht eindeutige Adjektive: „wesentlich und entscheidend“.
40. Hingegen ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, der zur zweiten der erwähnten Gruppen gehörte, eine speziell auf die „Rechtfertigung“ der – auch unmittelbaren – Diskriminierungen wegen des Alters ausgerichtete Bestimmung. Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie erweitert so die Möglichkeiten einer – gewiss punktuellen, verhältnismäßigen und gerechtfertigten – Abweichung vom Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Dieser Artikel der Richtlinie in Verbindung mit ihrem 25. Erwägungsgrund ermöglicht es, im Zusammenhang mit diesem Diskriminierungsgrund eine Terminologie („gerechtfertigte“ Ungleichbehandlungen) zu gebrauchen, die in Bezug auf Diskriminierungen wegen z. B. der sexuellen Ausrichtung oder der ethnischen Herkunft vielleicht schwerer zu akzeptieren wäre.
C – Recht auf Kollektivverhandlungen
41. Dass die streitige Bestimmung in einem Tarifvertrag enthalten und somit das Ergebnis der Ausübung des Rechts auf Kollektivverhandlungen (Art. 28 der Charta) durch die Sozialpartner ist, bleibt nicht ohne Auswirkung auf die vorliegende Sache, wie im Übrigen bereits der bisherigen Rechtsprechung entnommen werden kann(22). All dies lädt in Verbindung mit anderen Besonderheiten des vorliegenden Falles dazu ein, die möglichen Auswirkungen dieses Umstands in ihrer Gesamtheit, jedenfalls aber in größerem Umfang zu berücksichtigen, als dies wegen der Besonderheiten der anderen vom Gerichtshof bereits entschiedenen Rechtssachen erforderlich war. In diesem Sinne sehe ich es als zweckdienlich an, schon hier einige erste Überlegungen zur Tragweite des Rechts auf Kollektivverhandlungen anzustellen und auf seine konkreten Auswirkungen auf den vorliegenden Fall erst später einzugehen.
42. Das mittlerweile in Art. 28 der Charta enthaltene Recht geht auf den Begriff der „Tarifautonomie“ zurück. Diese Autonomie ist ein Schlüsselelement für das Verständnis der Entwicklung des europäischen Arbeitsrechts, um das herum die Regeln der demokratischen Repräsentationssysteme aufgebaut und die Grenzen des Gesetzes im Verhältnis zur Koalitionsfreiheit festgesetzt sind(23). Abgesehen von den Unterschieden, die die Rechtsfigur des Tarifvertrags in den verschiedenen Mitgliedstaaten aufweist(24), ist die Tarifautonomie in ihren Rechtstraditionen besonders anerkannt(25).
43. Die Garantie der Kollektivverhandlungen bedeutet somit die Anerkennung der zentralen Rolle, die Tarifverträge bei der Regelung von Arbeitsverhältnissen, ihrem angestammten Wirkungsbereich, spielen, wobei jedoch zwischen dem Tarifvertrag und dem Gesetz und insbesondere dem Unionsrecht stets ein angemessenes Gleichgewicht zu wahren ist. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigt, dass er stets danach getrachtet hat, dieses diffizile Gleichgewicht zu wahren.
44. So hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Mitgliedstaaten es „den Sozialpartnern überlassen können, die mit einer Richtlinie in diesem Bereich verfolgten sozialpolitischen Ziele zu verwirklichen“, dabei aber auch klargestellt, dass „diese Möglichkeit ... sie jedoch nicht von der Verpflichtung [befreit], sicherzustellen, dass alle Arbeitnehmer der Gemeinschaft in vollem Umfang in den Genuss des in der Richtlinie vorgesehenen Schutzes kommen können“(26).
45. Ferner sah sich die Rechtsprechung vielen Fällen gegenüber, in denen sich die Beteiligten auf das „nach ... den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten“(27) ausgeübte Recht auf Kollektivverhandlungen als Grenze für die Anwendung des Unionsrechts beriefen. So hat der Gerichtshof im Urteil Albany(28) festgestellt, dass Tarifverträge, die die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen verbessern sollen, nicht unter die Wettbewerbsregeln des Art. 101 Abs. 1 AEUV (ex‑Art. 81 EG) fallen. Hingegen gibt es eine reichhaltige Rechtsprechung, nach der Tarifverträge nicht vom Anwendungsbereich der Bestimmungen des Vertrags über die Grundfreiheiten ausgenommen sind(29) und, konkreter, das Verbot der Diskriminierung zwischen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern hinsichtlich des Arbeitsentgelts nach den Verträgen (Art. 119 EG, danach Art. 141 EG, jetzt Art. 157 AEUV) und dem Sekundärrecht als zwingende Regel auch für Tarifverträge gilt(30). Im Gegensatz zu Art. 157 AEUV ist Art. 19 AEUV keine an die Mitgliedstaaten gerichtete Bestimmung (sondern eine Bestimmung, die dem Rat eine Zuständigkeit zuweist), doch haben sowohl die Richtlinie 2000/78 als auch z. B. Art. 21 der Charta den von der Rechtsprechung geforderten „zwingenden Charakter“.
46. Nach alledem stellen Tarifverträge zwar keinen von der Geltung des Unionsrechts ausgenommenen Bereich dar (wie sie auch keinen Bereich darstellen, der nach innerstaatlichem Recht völlig von der Verpflichtung zur Beachtung des Gesetzes befreit wäre), doch verdient die Tarifautonomie angemessenen unionsrechtlichen Schutz.
VI – Prüfung der Vorlagefrage
47. Der Formulierung der Frage durch das Bundesarbeitsgericht folgend ist nacheinander zu prüfen, ob die streitige Bestimmung unter Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78, jeweils im Licht von Art. 21 der Charta ausgelegt, fällt.
A – Zu Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie: Ausschluss möglicher Maßnahmen, die nach innerstaatlichem Recht als für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Gesundheit notwendig erlassen werden, von der Richtlinie
48. Nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 „berührt [diese Richtlinie] nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind“. Mit dieser Bestimmung, die für alle von der Richtlinie erfassten Diskriminierungsgründe gilt, erkennt der Gemeinschaftsgesetzgeber an, dass es zwischen der Wahrung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes auf dem Gebiet der Beschäftigung und den Instrumenten zum Schutz anderer grundlegender Rechte und Werte zu einem Spannungsverhältnis kommen kann, und räumt Letzteren ausnahmsweise den Vorrang ein.
49. Dieser Artikel erfasst insbesondere drei Arten von Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich sind: die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit (darunter insbesondere die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten), die zum Schutz der Gesundheit und schließlich diejenigen, die allgemein zur Gewährleistung der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.
50. Das vorlegende Gericht fragt, ob die streitige Maßnahme auf den Schutz der Flugsicherheit in Verbindung mit dieser Bestimmung gestützt werden kann. Es ist kaum zu leugnen, dass der Schutz der Flugsicherheit sowohl als Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit als auch, wie von der deutschen Regierung vorgeschlagen, als Maßnahme zum Schutz der Gesundheit anderer (der Mitglieder der Flugbesatzung, der Passagiere des Flugzeugs oder der Bewohner der überflogenen Gebiete) angesehen werden kann. Meines Erachtens kann dieser Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 einer Maßnahme zur Gewährleistung der Sicherheit des Luftverkehrs grundsätzlich eine natürliche Grundlage bieten.
51. Nun verlangt diese Bestimmung zunächst den Erlass einer Maßnahme im „einzelstaatlichen Recht“, wobei dieser Ausdruck absichtlich enger ist als die allgemeinere Wendung „die Mitgliedstaaten können vorsehen“, die, wie sich noch zeigen wird, in Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 verwendet wird. Auch wenn einzuräumen ist, dass die gebrauchte Formulierung nicht ganz eindeutig ist, kann aus ihr in Verbindung mit dem Rest des Satzes der Schluss gezogen werden, dass die Erwägungen, die zur Nichtbeachtung der Richtlinie führen können, zumindest und jedenfalls Erwägungen der Obrigkeit sein müssen(31). Trifft dies zu, kann der autonome Erlass einer solchen Maßnahme durch die Sozialpartner in keiner Weise den Erfordernissen des Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie entsprechen.
52. Ferner trifft es zwar zu, dass die Sozialpartner beim Abschluss von Tarifverträgen Ziele berücksichtigen können, die grundsätzlich außerhalb ihres Wirkungsbereichs liegen, doch nimmt Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie ausdrücklich auf Maßnahmen Bezug, die zur Erreichung der erwähnten Ziele „notwendig“ sind. Meines Erachtens verweist dieses Adjektiv nicht nur auf das Erfordernis, die fragliche Maßnahme auf ihre Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das angeführte Ziel zu prüfen, sondern bringt auch die wesentliche Bedeutung zum Ausdruck, die die Maßnahme für die Erreichung dieses Ziels haben muss. Wegen des Ausnahmecharakters jeder Abweichung vom Diskriminierungsverbot (und um eine solche handelt es sich schließlich bei Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie) darf es sich dabei nicht um Maßnahmen handeln, die nur in untergeordneter Weise zur Sicherheit oder öffentlichen Gesundheit beitragen, sondern um Bestimmungen, die gerade in Verfolgung dieser besonders schutzwürdigen Ziele erlassen wurden.
53. Schließlich bin ich der Ansicht, dass der Erlass von Entscheidungen im Bereich der Ordnung, der Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit eine Befugnis ist, die ihrer Natur nach den nationalen Behörden zusteht und im Wesentlichen, abgesehen von allfälligen mittelbaren und jedenfalls untergeordneten Auswirkungen, nicht Gegenstand von Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern ist. Es handelt sich schließlich um Bereiche, die nicht der freien Parteiendisposition unterstellt werden können und die daher den rechtmäßigen Tätigkeitsbereich der Sozialpartner überschreiten(32). Die Ziele von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 erfordern ein nahezu vollständig einheitliches Vorgehen, das daher mit Kollektivverhandlungen, die per definitionem zu einer pluralistischen Regelung führen, unvereinbar ist(33).
54. Nach alledem bin ich daher der Ansicht, dass eine in einem Tarifvertrag vorgesehene Regel, wonach die Arbeitsverhältnisse von Piloten zur Gewährleistung der Flugsicherheit mit Vollendung des 60. Lebensjahrs enden, nicht nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden kann.
B – Zu Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie: Sonderregelung für wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen
55. Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 können die Mitgliedstaaten „vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt“.
56. Die Anwendung dieser Bestimmung (umgesetzt in das deutsche Recht durch § 8 AGG, der wiederum potenziell für alle von der Richtlinie erfassten Diskriminierungsgründe gilt) hängt von sehr engen Voraussetzungen ab: Zunächst muss die diskriminierende Maßnahme einen „rechtmäßigen Zweck“ verfolgen; ferner muss es sich um eine Ungleichbehandlung wegen eines „Merkmals, das im Zusammenhang mit“ dem Diskriminierungsgrund steht, handeln; schließlich muss das diskriminierende Merkmal eine „wesentliche und entscheidende“ berufliche Anforderung und überdies angemessen sein.
1. Rechtmäßiger Zweck
57. Was zunächst den angeführten Zweck, d. h. die Flugsicherheit, anbelangt, ist nur darauf hinzuweisen, dass diese – die Erwägungen zu der Frage, ob dieser Zweck Gegenstand von Kollektivverhandlungen sein kann, einmal beiseitegelassen – durchaus einen rechtmäßigen Zweck im Sinne dieses Artikels darstellen kann.
2. Ungleichbehandlung wegen eines „Merkmals, das im Zusammenhang mit“ dem Diskriminierungsgrund steht
58. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 eine Ungleichbehandlung „wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgründe steht“, gerechtfertigt sein kann. Dieser Wortlaut legt nahe, zwischen dem Diskriminierungsgrund im eigentlichen Sinne und dem Merkmal, das mit ihm im Zusammenhang steht, zu unterscheiden. Letzteres muss eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ darstellen, um eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, und nicht der Diskriminierungsgrund an sich(34).
59. Im vorliegenden Fall wäre der Diskriminierungsgrund offensichtlich das Alter, während die „Merkmale, die im Zusammenhang mit“ ihm stünden, bestimmte körperliche oder psychische Eigenschaften wären, deren Verlust mit einem höheren Alter verbunden sind, was im vorliegenden Fall in einer sozusagen a priori festgelegten Altersgrenze zum Ausdruck gelangt.
3. „Wesentliche und entscheidende“ berufliche Anforderung
60. Was das Erfordernis einer „wesentlichen und entscheidenden“ beruflichen Anforderung betrifft, ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 eindeutig: Die zwei Adjektive „wesentlich und entscheidend“ verlangen „als Ausnahme von einem in der Richtlinie verankerten individuellen Recht“ eindeutig eine enge Auslegung der durch diese Bestimmung eröffneten Möglichkeiten(35). Gleiches ist dem 23. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 zu entnehmen, wonach eine Rechtfertigung nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie nur „unter sehr begrenzten Bedingungen“ möglich ist, die auf jeden Fall „in die Informationen aufgenommen werden [sollten], die die Mitgliedstaaten der Kommission übermitteln“.
61. Die Rechtsprechung hat von dieser Ausnahme zurückhaltenden Gebrauch gemacht und dazu geneigt, sie eng auszulegen, dabei aber eingeräumt, das von ihr jene Fälle erfasst seien, in denen aufgrund der Besonderheit der fraglichen beruflichen Tätigkeit das Vorliegen eines mit dem Alter oder einem anderen der Diskriminierungsgründe zusammenhängenden Merkmals die Fähigkeit der Person, diese Tätigkeit korrekt und effizient zu verrichten, empfindlich (oder, mit den Worten der Bestimmung, wesentlich und entscheidend) abnehme.
62. Das Urteil Wolf ist bisher der einzige Fall, in dem der Gerichtshof vom Vorliegen dieser Ausnahme nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ausgegangen ist. In dieser Rechtssache, die ebenfalls eine Diskriminierung wegen des Alters zum Gegenstand hatte, hat der Gerichtshof entschieden, dass nach dieser Bestimmung eine nationale Regelung gerechtfertigt werden kann, die für eine Einstellung im mittleren feuerwehrtechnischen Dienst eine Höchstaltersgrenze von 30 Jahren festsetzt. In der Begründung des Urteils Wolf wird ausdrücklich auf den 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 Bezug genommen, in dem klargestellt wird, dass mit dieser Richtlinie der Polizei, den Haftanstalten oder den Notfalldiensten unter Berücksichtigung des rechtmäßigen Ziels, deren Einsatzbereitschaft zu wahren, nicht zur Auflage gemacht werden darf, „Personen einzustellen oder weiter zu beschäftigen, die nicht den jeweiligen Anforderungen entsprechen, um sämtliche Aufgaben zu erfüllen, die ihnen übertragen werden können“(36). Meines Erachtens hatte im Fall Wolf der Bezug zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, dem in diesem Erwägungsgrund offensichtlich zutage tretenden Zweck, Einfluss auf die damalige Entscheidung des Gerichtshofs, der die Maßnahme von sich aus als nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie – und nicht nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, wie von den Parteien vorgebracht – gerechtfertigt ansah(37).
63. Nach dieser Rechtsprechung wäre daher zumindest grundsätzlich nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 eine Altersgrenze für die Ausübung eines so speziellen Berufs wie des Pilotenberufs zu einem Zweck wie dem der Flugsicherheit ohne Weiteres zulässig. Das Problem liegt jedoch darin, dass die fragliche nationale Maßnahme weder genau diesen Sinn noch diese Tragweite hat.
64. Gewiss kann kaum in Frage gestellt werden, dass das Alter für die Ausübung dieser Tätigkeit von Bedeutung ist(38). Zudem kann auch die Tatsache, dass eine internationale Regelung wie die JAR-FCL 1.060a Piloten zwischen 60 und 65 Jahren bestimmte Beschränkungen auferlegt (sie dürfen nur dann ein Flugzeug lenken, wenn zur Besatzung ein weiterer Pilot gehört, der das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hat), nicht nur ein Indikator dafür sein, dass der Beruf des Piloten besondere physische und psychische Eigenschaften erfordert, sondern auch dafür, dass die Vollendung des 60. Lebensjahrs in dieser Hinsicht bestimmte Auswirkungen hat.
65. Da sowohl die innerstaatliche Bestimmung als auch die internationalen Regeln erlauben, bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs – wenn auch mit bestimmten Einschränkungen – ein Flugzeug zu lenken, bin ich dennoch der Ansicht, dass eine unter diesem Alter liegende Altershöchstgrenze nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gerechtfertigt werden kann.
66. Meines Erachtens ist die Nichtvollendung des 65. Lebensjahrs in Anbetracht der derzeitigen internationalen Regelung für die Ausübung des Pilotenberufs allem Anschein nach eine wesentliche und entscheidende Anforderung für die Ausübung dieses Berufs im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78. Die Tatsache allein, dass eine internationale Regelung wie die JAR-FCL 1.060a diese Altersgrenze als absolute und allgemeine Grenze vorsieht, stellt einen ausreichenden Nachweis dafür dar, dass die Voraussetzungen nach dieser Bestimmung der Richtlinie erfüllt sind.
67. Der vorliegende Fall, in dem das Ende des Arbeitsverhältnisses der Piloten einer bestimmten Fluglinie als automatische Folge der Vollendung des 60. Lebensjahrs vorgesehen ist, liegt ganz anders. Da es nach den internationalen Regeln Piloten nach Vollendung des 60. Lebensjahrs, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen, gestattet ist, ein Flugzeug zu lenken, erscheint insoweit die Annahme unlogisch, die Nichtvollendung des 60. Lebensjahrs sei eine „wesentliche und entscheidende“ berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie. Die Voraussetzungen, die für Piloten gelten, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, können keine anderen Wirkungen als die haben, die in ihnen selbst zum Ausdruck gelangen. Die Ausübung des Pilotenberufs im Rahmen dieser Voraussetzungen verstößt gegen kein anderes Erfordernis, das sich anführen ließe, weshalb davon auszugehen ist, dass die streitige Bestimmung nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie gerechtfertigt sein kann.
68. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die zitierte Klausel des fraglichen Tarifvertrags nach keiner der beiden Bestimmungen der Richtlinie 2000/78, die die Tragweite der ihren Gegenstand bildenden Diskriminierungsverbote relativieren sollen, also weder nach Art. 2 Abs. 5 noch nach Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie, mit dem Unionsrecht vereinbar sein kann. Die Klausel ist daher zuletzt noch im Hinblick auf die Bestimmung zu prüfen, die speziell das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters flexibilisieren soll: Art. 6 der Richtlinie 2000/78. Die Beantwortung der Frage zu dieser Bestimmung der Richtlinie ist etwas komplexer.
C – Zu Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie: Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters
69. Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass „Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind“. Für die Rechtfertigung einer solchen Ungleichbehandlung müssen daher nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss ein rechtmäßiges Ziel verfolgt werden, und zum anderen muss die Maßnahme „angemessen und erforderlich“, d. h. verhältnismäßig, sein.
1. Rechtmäßiges Ziel
70. Die erste dieser Voraussetzungen nennt konkret die Berufung auf ein „legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind“.
71. Die Berufung auf die Flugsicherheit als Ziel der hier fraglichen Maßnahme macht es erforderlich, vorab zu prüfen, ob ein solches Ziel von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 umfasst ist. Anschließend werde ich jedoch darauf eingehen, ob in einem so speziellen Kontext wie im vorliegenden Fall eine Berufung auf den Schutz der Tarifautonomie als rechtmäßiges sozialpolitisches Ziel möglich ist.
a) Ziel der Flugsicherheit
72. Bei wörtlicher Auslegung der Bestimmung wären von ihr rechtmäßige Ziele jeglicher Art erfasst: Der in ihr gebrauchte Begriff „insbesondere“(39) scheint darauf hinzuweisen, dass die anschließende Aufzählung beispielhaft und nicht abschließend ist, wie auch die in der Bestimmung enthaltene weitere Aufzählung der Arten von Ungleichbehandlungen, die danach gerechtfertigt sein können, beispielhaft ist(40). Aufgrund der Art der in der Richtlinie angeführten Beispiele kann jedoch die Natur dieser Rechtfertigungen zu einem gewissen Grad abgegrenzt werden.
73. Das erklärt, warum die Rechtsprechung sich bisher für eine engere Auslegung der Bestimmung ausgesprochen und sie letztlich allgemein auf sozialpolitische Ziele eingeschränkt hat. So hat der Gerichtshof im Urteil Age Concern England ausdrücklich entschieden, dass sich „aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78 [ergibt], dass die Ziele, die als ‚rechtmäßig‘ im Sinne dieser Bestimmung und damit als geeignet angesehen werden könnten, eine Ausnahme vom Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters zu rechtfertigen, sozialpolitische Ziele wie solche aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung [sind]“ (Randnr. 46)(41).
74. Meines Erachtens gelangt in diesen Feststellungen der Gedanke zum Ausdruck, dass die Aufzählung in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in sich in der Weise nicht abschließend ist, dass die Bestimmung nicht auf Ziele aus den (als einzigen ausdrücklich angeführten) Bereichen „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung“ beschränkt ist, wenn auch ihr Anwendungsbereich nicht über sozialpolitische Ziele im weiten oder allgemeinen Sinne hinausgehen kann, von denen die ausdrücklich genannten Ziele nur Ausprägungen oder Beispiele sind.
75. Diese Auslegung steht im völligen Einklang mit der Rechtsprechung, wonach im speziellen Kontext von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ein Tätigwerden der Sozialpartner zulässig ist(42). Da diese Bestimmung Maßnahmen erfassen soll, die auf sozial‑ oder arbeitspolitischen Erwägungen – dem Wirkungsbereich von Kollektivverhandlungen – beruhen, kann folgerichtigerweise die Durchführung der Bestimmung den Sozialpartnern überlassen werden(43).
76. Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass ein Ziel wie die Flugsicherheit angesichts ihres eindeutig fehlenden Zusammenhangs mit dem Bereich der Sozialpolitik und den Arbeitsverhältnissen nicht als „rechtmäßiges Ziel“ im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung angesehen werden kann. Die natürliche Grundlage für ein Ziel wie die Flugsicherheit wäre, wie bereits ausgeführt, Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie.
77. An diesem Punkt angelangt könnte die Prüfung der fraglichen Maßnahme im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 abgebrochen werden, zumal das Bundesarbeitsgericht als Ziel der fraglichen Maßnahme ausdrücklich die Flugsicherheit nennt. Letztlich ist es gewiss Sache des nationalen Gerichts, „das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits, mit dem es befasst ist, sowie für die Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, aus welchem Grund die betreffende Maßnahme aufrechterhalten wurde, und somit das mit ihr verfolgte Ziel zu ermitteln“(44). Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, die ihm die Entscheidung des Ausgangsverfahrens ermöglicht, darf sich jedoch meines Erachtens, wie bereits vorausgeschickt und ohne damit die letztlich bei diesem Gericht liegende Zuständigkeit in Frage stellen zu wollen, die Prüfung der Vorlagefrage – zumindest im Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 – nicht auf die Annahme beschränken, dass das mit der streitigen Maßnahme verfolgte Ziel die Flugsicherheit sei, sondern muss auch andere Möglichkeiten berücksichtigen.
b) Wahrung der Tarifautonomie als rechtmäßiges sozialpolitisches Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78
78. Das „vorzeitige“ Ende des Arbeitsverhältnisses, mit dem wir hier befasst sind, wurde, wie in ähnlichen vom Gerichtshof entschiedenen Fällen, nicht durch irgendeine Rechtsnorm, sondern gerade durch einen Tarifvertrag in das innerstaatliche Recht eingeführt. Aufgrund dieses Umstands kann meines Erachtens das Vorliegen eines mit der streitigen Maßnahme möglicherweise verfolgten rechtmäßigen Ziels unter anderen Gesichtspunkten geprüft werden(45). Diese Prüfung könnte bei einigen der früheren Entscheidungen des Gerichtshofs auf diesem Gebiet ihren Ausgangspunkt nehmen und diese „in natürlicher Weise weiterentwickeln“.
79. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Tarifverträgen eine eigenständige Funktion zuerkannt wird, und zwar – als Teil der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – auch zur Erreichung der Ziele der Richtlinie 2000/78 (36. Erwägungsgrund und Art. 18 dieser Richtlinie). Darum geht es hier jedoch nicht. Die Frage ist, ob unabhängig von dieser unstreitigen Funktion das Ziel, auf diesem Gebiet (d. h. dem der Festlegung des konkreten Zeitpunkts, zu dem das Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit dem Erwerb des Anspruchs auf den Bezug von Altersrente endet) einen Bereich zu wahren, der Kollektivverhandlungen vorbehalten ist, nicht die Merkmale eines rechtmäßigen sozialpolitischen Ziels im Sinne der Richtlinie aufweisen könnte.
80. Es ist darauf hinzuweisen, dass hier nicht die umstrittene Abwägung zwischen, wenn man so will, „Grundrechten“ und „Grundfreiheiten“ in neuer Form zur Diskussion gestellt wird. Die vorliegende Fragestellung ist insofern bescheidener, als von ihr ausgehend nur herausgearbeitet werden soll, dass die Tarifautonomie ein „rechtmäßiges Ziel“ der Sozialpolitik ist, das punktuell die Tragweite des allgemeinen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters relativieren kann. Meines Erachtens sprechen nämlich sowohl die jüngste Rechtsprechung als auch die Umstände des vorliegenden Falls für diese Annahme. Was zunächst die Rechtsprechung anbelangt, scheint sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vom Urteil Palacios de la Villa bis zum Urteil Rosenbladt eine Tendenz abzuzeichnen, wonach tarifvertragliche Klauseln, die das Ende des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erwerb eines Anspruchs auf Altersrente vorsehen, nach der Richtlinie zulässig sind, da sie implizit – vereinfacht formuliert – dem rechtmäßigen Ziel dienen, nachfolgenden Generationen beim Zugang zum Recht auf Arbeit den Vorrang zu lassen(46). Hinzu treten Erwägungen zur nunmehr von der Charta garantierten Funktion von Kollektivverhandlungen sowie zur „Flexibilität“, die der Tarifvertrag bietet(47).
81. Im Urteil Rosenbladt hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass ein Tarifvertrag die automatische Beendigung von Arbeitsverträgen selbst zu einem Zeitpunkt vorsehen darf, zu dem eindeutig feststeht, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Ausübung der fraglichen Arbeit weiterhin erfüllt sind, vorausgesetzt, dass bereits die Möglichkeit besteht, eine Altersrente zu beziehen. Eine solche Klausel verfolge das rechtmäßige Ziel, den jüngeren Generationen den Zugang zur Beschäftigung zu ermöglichen.
82. Meines Erachtens ist diese Rechtsprechung nur dann ganz verständlich, wenn man berücksichtigt, dass sie sich auf eine Maßnahme bezieht, die das Ergebnis von Kollektivverhandlungen ist, was ihre Legitimität erhöht(48). Daher schlage ich dem Gerichtshof ausgehend von dieser Rechtsprechung vor, anzuerkennen, dass es unter bestimmten Umständen ein rechtmäßiges sozialpolitisches Ziel sein kann, einen Bereich zu wahren, der Kollektivverhandlungen vorbehalten ist(49).
83. Dies vorausgeschickt, sind sodann die Umstände des vorliegenden Falls, also die der Ausübung des Pilotenberufs, zu berücksichtigen. Das Begehren der Kläger des Ausgangsverfahrens, es ihnen zu gestatten, weiterhin ein Flugzeug zu lenken, allenfalls auch unter den für Personen über 60 Jahre geltenden Voraussetzungen, bis nach den JAR‑FCL 1.060a ihre Fluglizenz ausläuft, führt zum Entfall jeglichen rechtmäßigen Verhandlungsspielraums der Sozialpartner auf diesem speziellen Gebiet. Wenn es nämlich ein Merkmal gibt, das den vorliegenden Fall tatsächlich von den vom Gerichtshof bereits entschiedenen Fällen unterscheidet, dann ist es das, dass der Pilotenberuf nach einer internationalen Regelung allgemein einer Altersgrenze unterliegt, nach deren Erreichen er nicht mehr ausgeübt werden darf. Die für Piloten ausgehandelten Tarifverträge könnten so, folgte man den im vorliegenden Verfahren teilweise vorgebrachten Argumenten, anders als die Tarifverträge für andere Berufe die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur auf den Zeitpunkt festsetzen, zu dem die Fluglizenz ausläuft.
84. Ohne darauf eingehen zu müssen, ob dadurch eine ungerechtfertigte Diskriminierung zwischen dem Beruf des Piloten und dem Großteil der übrigen Berufe geschaffen würde, und ohne dass es erforderlich wäre, diese beiden Rechtspositionen gegeneinander abzuwägen, scheint zumindest klar, dass die Wahrung eines operativen Bereichs für Kollektivverhandlungen auf diesem Gebiet grundsätzlich als rechtmäßiges sozialpolitisches Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie anerkannt werden könnte.
85. Ich bin daher, ohne dass dies näher ausgeführt werden müsste, der Ansicht, dass Tarifverträge einen eigenen Wirkungsbereich haben, ein besonderes Gebiet, auf dem sie ihre Wirkungen rechtmäßig entfalten können, und die Regeln über das Ende des Arbeitsverhältnisses fallen in natürlicher Weise in diesen den Kollektivverhandlungen vorbehaltenen Bereich. Die Tatsache allein, dass in diesem Bereich Kollektivverhandlungen stattgefunden haben, stellt einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Rechtfertigung der dabei getroffenen Entscheidungen dar; die Tarifvertragspartner können jedoch selbst hier nicht völlig frei handeln, da die Maßnahme – nach Feststellung der zur Anwendung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 führenden Rechtmäßigkeit des Ziels – noch der nach dieser Bestimmung erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden muss. Für den Pilotenberuf bedeutet das, dass ein vor Vollendung des 65. Lebensjahrs gelegener Zeitraum, der Gegenstand von Kollektivverhandlungen sein kann, nicht grundsätzlich mit dieser Richtlinie unvereinbar ist, natürlich unter der Voraussetzung, dass dies – dazu sogleich – einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält.
2. Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
86. Vor der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ist das Vorbringen zurückzuweisen, die Maßnahme sei inkohärent, weil sie nicht für alle deutschen Piloten(50) und nicht einmal für alle Piloten des Lufthansa‑Konzerns gelte, sondern nur für die Piloten von Deutsche Lufthansa. Meines Erachtens ist es höchst problematisch, Kohärenz zwischen verschiedenen Tarifverträgen zu fordern, da ein Wesensbestandteil von Kollektivverhandlungen die Autonomie ist. Nicht umsonst ist dies zu einem Gutteil der Grund, aus dem meines Erachtens Tarifverträge für die Verfolgung von Zielen, die die öffentliche Sicherheit betreffen, nicht geeignet sind. Es wird jedoch vorgebracht, die betreffenden unterschiedlichen Tarifverträge seien von denselben Tarifvertragspartnern ausgehandelt worden, und schon das Urteil Enderby habe gezeigt, dass die Tarifautonomie nicht ausreiche, um sich innerhalb ein und desselben Unternehmens und mit ein und derselben Gewerkschaft dem Erfordernis der Kohärenz zwischen zwei verschiedenen Tarifverträgen zu entziehen(51). Im vorliegenden Fall scheint diese Parteienidentität jedoch nicht ganz vorzuliegen: Zum einen hat zwar die Gewerkschaft „Vereinigung Cockpit“ alle hier relevanten Tarifverträge des Lufthansa-Konzerns ausgehandelt, doch schließt dies nicht aus, dass die Verhandlungsführer je nachdem, welche Gesellschaft von dem jeweiligen Tarifvertrag betroffen war, verschieden waren; zum anderen folgt, was den konkreten Arbeitgeber betrifft, meines Erachtens aus der Tatsache, dass Deutsche Lufthansa gemeinsam mit anderen Fluggesellschaften den Lufthansa-Konzern bildet, nicht, dass die Tarifverträge für den Konzern als solchen abgeschlossen wurden; vielmehr wurden sie von jedem konzernzugehörigen Unternehmen einzeln geschlossen.
87. Da somit der Einwand der Inkohärenz verworfen wurde, ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu prüfen. Dabei sind verschiedene Merkmale dieser Maßnahme zu berücksichtigen.
88. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die betroffenen Piloten im Zeitraum zwischen dem „vorzeitigen“ Ende ihres Arbeitsverhältnisses mit 60 Jahren bis zu dem Zeitpunkt, ab dem sie Anspruch auf den Bezug ihrer jeweiligen Altersrente haben, also bis zur Vollendung des 63. Lebensjahrs, von der Fluggesellschaft eine Übergangsversorgung mit Entschädigungscharakter in Höhe von etwa 60 % der Beiträge zur Rentenversicherung erhalten(52).
89. Sodann ist die Länge des Zeitraums zu prüfen, auf den sich die Maßnahme auswirkt, nämlich fünf Jahre, da die betroffenen Piloten ihre Tätigkeit bei einer anderen Fluggesellschaft (wenn auch nur unter bestimmten Voraussetzungen) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs weiter ausüben könnten. Darin besteht meines Erachtens unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit der Haupteinwand gegen die streitige Maßnahme, die nicht nur Regeln für einen Zeitraum vor Erreichen des Alters enthält, ab dem das Lenken eines Flugzeugs nicht mehr gestattet ist (65 Jahre), sondern das automatische Vertragsende auf die Vollendung des 60. Lebensjahrs vorverlegt.
90. Es kann natürlich nicht behauptet werden, dass es sich hier um einen willkürlich gewählten Zeitraum handelt. Für die Zeit nach Vollendung des 60. Lebensjahrs wurde eine Vorkehrung getroffen (die Anwesenheit eines Kopiloten), die auf den Prozess der Alterung des menschlichen Organismus zumindest aufmerksam macht. Dieser Art von Vorkehrung ist jedoch, wie bereits aufgezeigt wurde, keine entscheidende Bedeutung beizumessen.
91. Es ist zu prüfen – da die öffentliche Sicherheit nicht „der“ Grund ist, aus dem sich die Sozialpartner auf diese Maßnahme geeinigt haben (mag sie sich auch in deren Rationalität oder Grundgedanken einfügen) –, ob eine Vorverlegung um einen so erheblichen Zeitraum wie fünf Jahre eines Berufslebens im Hinblick auf das rechtmäßige Ziel, einen Spielraum für Kollektivverhandlungen zu bewahren, verhältnismäßig ist.
92. Insoweit bin ich der Ansicht, dass wir es hier mit einer unverhältnismäßigen Vorschrift zu tun haben, zumindest in Bezug auf die Ausübung des Pilotenberufs. Zunächst ist auf die erhebliche Bedeutung hinzuweisen, die im Rahmen eines Berufslebens, das mit Vollendung des 65. Lebensjahrs enden muss, einem Zeitraum von fünf Jahren zukommt. Ferner kommt mittlerweile dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters im Unionsrecht eine so gefestigte Stellung zu, dass es in diesem konkreten Punkt schwerer wiegt als die Tarifautonomie. Damit will ich nichts anderes zum Ausdruck bringen, als dass die Zwänge, die sich aus dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ergeben, nur so weit zurückgedrängt werden, als dies nach den konkreten Fallumständen unbedingt erforderlich ist. Schließlich, obwohl dieser Aspekt in der vorliegenden Rechtssache nicht zur Sprache gekommen ist, haben diese Initiativen zur vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses Auswirkungen auf das Recht auf Arbeit, insbesondere in Bezug auf die hier in Rede stehenden Alterssegmente.
93. Nach alledem bin ich der Ansicht, dass der Tarifvertrag durch das Vorsehen einer vorzeitigen Beendigung des Arbeitsvertrags mit Vollendung des 60. Lebensjahrs den ihm grundsätzlich zustehenden Handlungsspielraum überschritten hat. Damit ist es auch nicht möglich, die streitige Maßnahme nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zu rechtfertigen.
VII – Zusammenfassung
94. Einer nationalen Bestimmung wie der im vorliegenden Fall fraglichen, soweit sie die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Piloten einer Fluglinie mit Vollendung des 60. Lebensjahrs vorsieht und in einem Tarifvertrag enthalten ist, kommt nicht der Charakter einer Maßnahme zu, die im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 im einzelstaatlichen Recht vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit oder zum Schutz der Gesundheit notwendig ist.
95. Nach den Umständen des vorliegenden Falls kann die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Piloten mit Vollendung des 60. Lebensjahrs auch nicht auf Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 gestützt werden, insbesondere, weil den Voraussetzungen für die Ausübung dieses Berufs ab Erreichen dieses Alters keine anderen Wirkungen als die beigemessen werden können, die in diesen Voraussetzungen selbst zum Ausdruck gelangen. Hingegen ist die Einschränkung der Ausübung des Pilotenberufs auf Personen, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, im Einklang mit der derzeitigen internationalen Regelung als Ausdruck und Folge einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen.
96. Was einen Beruf wie den des Berufspiloten betrifft, für den eine Altersgrenze als Ausdruck einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung besteht, verbietet die Richtlinie 2000/78, insbesondere ihr Art. 6 Abs. 1, daher nicht, es – mit dem sozialpolitischen Ziel, einen Kollektivverhandlungen vorbehaltenen Bereich zu wahren – zuzulassen, dass ein Tarifvertrag unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer ein Alter erreicht, das unter jener Altersgrenze liegt, die als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung festgesetzt wurde. Notwendige Voraussetzung ist in diesem Fall, dass der Arbeitnehmer zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf den Bezug einer Altersrente hat oder ihm alternativ für den Zeitraum bis zum Erwerb dieses Anspruchs eine angemessene Übergangsentschädigung zuerkannt wird. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob eine solche Tarifvertragsklausel im Hinblick auf das erwähnte Ziel verhältnismäßig ist, und zwar sowohl hinsichtlich der Länge des Zeitraums, um den die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorverlegt wird, als auch, gegebenenfalls, hinsichtlich der Höhe der Übergangsentschädigung.
97. Die Richtlinie 2000/78 steht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie insbesondere der für die Ausübung des Berufs festgesetzten zeitlichen Grenze jedenfalls einer Bestimmung wie der im vorliegenden Verfahren fraglichen entgegen, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses um fünf Jahre gegenüber derjenigen Altersgrenze vorverlegt, die als Ausdruck einer wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderung für Linienpiloten festgesetzt wurde.
VIII – Ergebnis
98. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, auf die vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:
Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, insbesondere Art. 2 Abs. 5, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1, ausgelegt im Licht von Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, verbietet es, in einem Tarifvertrag die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Piloten einer kommerziellen Fluggesellschaft mit Vollendung des 60. Lebensjahrs vorzusehen.