Language of document : ECLI:EU:T:2011:362

Rechtssache T‑138/07

Schindler Holding Ltd u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für die Montage und Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Manipulation bei Ausschreibungen – Aufteilung der Märkte – Festsetzung der Preise“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Recht auf ein faires Verfahren – Unanwendbarkeit von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention

(Art. 81 EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47)

2.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird und Geldbußen verhängt werden – Strafrechtlicher Charakter – Fehlen

(Art. 81 EG und 229 EG; Verordnung Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 5 und 31)

3.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Verwendung von Erklärungen anderer Unternehmen, die an der Zuwiderhandlung teilgenommen haben, als Beweismittel – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 81 EG und 82 EG)

4.      Handlungen der Organe – Zustellung – Unregelmäßigkeiten – Wirkungen – Hemmung des Laufs der Klagefrist

(Art. 230 Abs. 5 EG und 254 Abs. 3 EG)

5.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Wirtschaftliche Einheit – Beurteilungskriterien – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

6.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Zurechnung – Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften – Vermutung, dass eine Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf Tochtergesellschaften ausübt, deren Kapital sie zu 100 % hält

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

7.      Unionsrecht – Allgemeine Rechtsgrundsätze – Rechtssicherheit – Gesetzmäßigkeit der Strafen – Tragweite

8.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Der Kommission durch Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 eingeräumtes Ermessen – Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen – Fehlen – Vorhersehbarkeit der mit den Leitlinien eingeführten Änderungen

(Art. 229 EG; Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2 und 31; Mitteilungen 98/C 9/03 und 2002/C 45/03 der Kommission)

9.      Wettbewerb – Unionsvorschriften – Zuwiderhandlungen – Geldbußen – Festsetzung – Kriterien – Anhebung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen

(Verordnungen des Rates Nr. 17, Art. 15 Abs. 2, und Nr. 1/2003, Art. 23 Abs. 2)

10.    Wettbewerb – Geldbußen – Eigene Zuständigkeit der Kommission aus dem Vertrag

(Art. 81 EG, 82 EG, 83 Abs. 1 und 2 Buchst. a und d EG, 202 dritter Gedankenstrich EG und 211 erster Gedankenstrich EG; Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Verstoß gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot – Fehlen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Zulässigkeit – Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Transparenz und der Vorhersehbarkeit – Fehlen

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit – Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot und den Grundsatz des Vertrauensschutzes – Fehlen

(Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Nichtfestsetzung oder niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens – Verstoß gegen das Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, sowie gegen die Grundsätze der Unschuldsvermutung und der Verhältnismäßigkeit – Fehlen – Ermessensüberschreitung der Kommission beim Erlass der Mitteilung über Zusammenarbeit – Fehlen

(Art. 81 EG; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 18 bis 21 und 23; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission, Nrn. 11 und 23)

15.    Unionsrecht – Grundsätze – Grundrechte – Eigentumsrecht – Beschränkungen – Zulässigkeit

(Art. 81 EG, 82 EG und 295 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Rechtsnatur

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Verpflichtung zur Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen auf den Markt – Fehlen – Vorrangige Rolle des Kriteriums der Art der Zuwiderhandlung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Begründungspflicht – Umfang

(Art. 253 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

19.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Verpflichtung zur Berücksichtigung der Größe des Marktes – Fehlen

(Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A Abs. 2 dritter Gedankenstrich)

20.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Berücksichtigung der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit des Unternehmens, einen Schaden zu verursachen – Verpflichtung, die Höhe der Geldbuße im Verhältnis zur Größe des Unternehmens festzusetzen – Fehlen – Bestimmung der Höhe der Geldbuße nach Maßgabe einer Aufteilung der Mitglieder des Kartells in Gruppen – Voraussetzungen – Gerichtliche Nachprüfung

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 1 A)

21.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Einstellung der Zuwiderhandlung vor Tätigwerden der Kommission – Fall einer schweren Zuwiderhandlung – Ausschluss

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission, Nr. 3 dritter Gedankenstrich)

22.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Mildernde Umstände – Verpflichtung der Kommission, ein Programm des betroffenen Unternehmens zur Befolgung der Wettbewerbsregeln zu berücksichtigen – Fehlen

(Art. 81 EG; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

23.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Niedrigere Festsetzung der Geldbuße als Gegenleistung für die Zusammenarbeit des beschuldigten Unternehmens

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

24.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Verhalten des Unternehmens während des Verwaltungsverfahrens – Beurteilung des Umfangs der Zusammenarbeit jedes der am Kartell beteiligten Unternehmen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2002/C 45/03 der Kommission)

25.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Ermessensspielraum der Kommission – Grenzen – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Voraussetzungen

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2)

1.      Der Grundsatz, wonach jedermann Anspruch auf ein faires Verfahren hat, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erneut bekräftigt worden ist und durch Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert wird. Dieser Grundsatz fußt auf den Grundrechten, die integraler Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts sind, deren Beachtung der Gerichtshof sichert, wobei er sich an die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und an die Hinweise anlehnt, die insbesondere der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte liefert. Zwar haben die Organe der Europäischen Menschenrechtskonvention, indem sie eine eigenständige Auslegung des Begriffs der „strafrechtlichen Anklage“ geschaffen haben, den Boden für eine schrittweise Ausdehnung der Anwendung des strafrechtlichen Aspekts von Art. 6 auf Bereiche bereitet, die formal nicht zu den herkömmlichen Kategorien des Strafrechts gehören, wie etwa die finanziellen Sanktionen, die wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht verhängt werden, jedoch sind die Garantien, die der strafrechtliche Aspekt von Art. 6 vermittelt, in Bezug auf die Kategorien, die nicht zum harten Kern des Strafrechts gehören, nicht notwendigerweise in ihrer ganzen Strenge anzuwenden.

(vgl. Randnrn. 51-52)

2.      Die Entscheidungen der Kommission, mit denen Geldbußen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht verhängt werden, haben keinen strafrechtlichen Charakter. So entspricht ein Verfahren, in dessen Rahmen die Kommission eine Entscheidung erlässt, mit der ein Verstoß festgestellt und Geldbußen verhängt werden und die später den Gerichten der Union zur Überprüfung vorgelegt werden kann, den Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zwar ist die Kommission kein Gericht im Sinne des Art. 6 dieser Konvention, doch ist sie gehalten, die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts im Lauf des Verwaltungsverfahrens zu beachten.

Die von den Gerichten der Union ausgeübte Kontrolle über die Entscheidungen der Kommission gewährleistet im Übrigen, dass den Anforderungen an ein faires Verfahren, wie sie in Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind, Genüge getan wird. Insoweit ist es erforderlich, dass das betreffende Unternehmen gegen jede derartige ihm gegenüber ergangene Entscheidung ein Organ der Rechtsprechung mit vollumfänglicher Prüfungsbefugnis anrufen kann, das insbesondere die Befugnis hat, in allen Punkten, sowohl auf tatsächlicher wie auf rechtlicher Ebene, die ergangene Entscheidung abzuändern. Überprüft der Unionsrichter die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der ein Verstoß gegen Art. 81 EG festgestellt wird, kann er von den Klägern dazu aufgerufen werden, eine erschöpfende Prüfung sowohl der materiellen Feststellung des Sachverhalts als auch dessen rechtlicher Beurteilung durch die Kommission anzustellen. Außerdem verfügt er hinsichtlich der Geldbußen gemäß Art. 229 EG und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 über die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung.

(vgl. Randnrn. 53-56)

3.      Keine Bestimmung und kein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts verbietet der Kommission, sich gegenüber einem Unternehmen auf die Aussagen anderer Unternehmen zu berufen. Andernfalls wäre die der Kommission obliegende Beweislast für Verhaltensweisen, die gegen die Art. 81 EG und 82 EG verstoßen, nicht tragbar und mit der durch den EG-Vertrag der Kommission übertragenen Aufgabe der Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung dieser Bestimmungen unvereinbar. Jedoch kann die Erklärung eines der Teilnahme an einem Kartell beschuldigten Unternehmens, deren Richtigkeit von mehreren anderen beschuldigten Unternehmen in Abrede gestellt wird, nicht ohne Untermauerung durch andere Beweismittel als hinreichender Beleg für die betreffenden Umstände angesehen werden.

(vgl. Randnr. 57)

4.      Unregelmäßigkeiten bei der Zustellung einer Entscheidung berühren die Entscheidung selbst nicht und können daher auch deren Rechtmäßigkeit nicht beeinträchtigen. Solche Unregelmäßigkeiten können lediglich unter bestimmten Umständen verhindern, dass die in Art. 230 Abs. 5 EG genannte Klagefrist zu laufen beginnt. Das ist nicht der Fall, wenn der Kläger vom Inhalt der angefochtenen Entscheidung unbestreitbar Kenntnis und von seinem Recht auf Klageerhebung innerhalb der in Art. 230 Abs. 5 EG genannten Frist Gebrauch gemacht hat.

(vgl. Randnr. 61)

5.      Einer Muttergesellschaft kann das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft insbesondere dann zugerechnet werden, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Bindungen, die die beiden Rechtssubjekte verbinden, im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. In einem solchen Fall sind nämlich die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teile ein und derselben wirtschaftlichen Einheit und bilden damit ein einziges Unternehmen. Die Tatsache, dass eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft ein Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden, ermöglicht somit der Kommission, eine Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft zu richten, ohne dass deren persönliche Beteiligung an der Zuwiderhandlung nachzuweisen wäre.

In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, kann zum einen diese Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten dieser Tochtergesellschaft ausüben und besteht zum anderen eine widerlegliche Vermutung, dass die Muttergesellschaft tatsächlich einen bestimmenden Einfluss auf das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft ausübt.

Unter diesen Umständen genügt es, dass die Kommission für die Vermutung, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die Geschäftspolitik dieser Tochtergesellschaft ausübt, nachweist, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält. Die Kommission kann in der Folge die Muttergesellschaft für die Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße gesamtschuldnerisch zur Haftung heranziehen, sofern die Muttergesellschaft, der es obliegt, diese Vermutung zu widerlegen, keine ausreichenden Beweise dafür erbringt, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt.

(vgl. Randnrn. 69-72, 82)

6.      In dem besonderen Fall, dass eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaft hält, die gegen die Wettbewerbsregeln der Union verstoßen hat, bedarf es dafür, dass die Zuwiderhandlung der Tochtergesellschaft deren Muttergesellschaft zugerechnet wird, nicht des Beweises, dass die Muttergesellschaft Einfluss auf die Politik ihrer Tochtergesellschaft in dem spezifischen Bereich nimmt, in dem es zu der Zuwiderhandlung gekommen ist. Dagegen können die organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft einen Einfluss der Erstgenannten auf die Strategie der Zweitgenannten begründen und es somit rechtfertigen, sie als wirtschaftliche Einheit zu begreifen. Wenn die Kommission also nachweist, dass das gesamte Kapital einer Tochtergesellschaft von deren Muttergesellschaft gehalten wird, kann sie diese für die Zahlung der gegen ihre Tochtergesellschaft verhängten Geldbuße gesamtschuldnerisch zur Haftung heranziehen, außer wenn die Muttergesellschaft beweist, dass ihre Tochtergesellschaft auf dem Markt eigenständig auftritt. Denn nicht ein zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft in Bezug auf die Zuwiderhandlung bestehendes Anstiftungsverhältnis und schon gar nicht eine Beteiligung Ersterer an dieser Zuwiderhandlung verleiht der Kommission die Befugnis, die Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden, an die Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe zu richten, sondern der Umstand, dass Mutter- und Tochtergesellschaft ein einziges Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG bilden.

Darin, dass die Muttergesellschaft ihren Tochtergesellschaften keine Weisungen, die gegen Art. 81 EG verstoßende Kontakte gestattet oder hierzu ermutigt hätten, erteilt und dass sie von derartigen Kontakten keine Kenntnis gehabt hat, liegt kein Beweis für die Eigenständigkeit dieser Tochtergesellschaften. Auch der Umstand, dass die Tochtergesellschaften in vier verschiedenen Ländern an verschiedenen Verstößen unterschiedlichen Charakters beteiligt waren, vermag die Haftungsvermutung nicht zu widerlegen, wenn sich die Kommission, um der Muttergesellschaft die Verantwortlichkeit für das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften zuzurechnen, nicht auf einen etwaigen Parallelismus zwischen den festgestellten Zuwiderhandlungen gestützt hat. Desgleichen ändert die Tatsache, dass die Muttergesellschaft einen Code of Conduct, mit dem Verstöße ihrer der Tochtergesellschaften gegen das Wettbewerbsrecht verhindert werden sollten, und entsprechende Leitlinien erlassen hat, zum einen nichts am realen Vorliegen der für sie festgestellten Zuwiderhandlung und ermöglicht zum anderen nicht den Nachweis, dass die genannten Tochtergesellschaften ihre Geschäftspolitik eigenständig bestimmten. Dass dieser Code of Conduct angewandt wurde, legt im Gegenteil eine tatsächliche Kontrolle der Geschäftspolitik der Tochtergesellschaften durch die Muttergesellschaft nahe.

(vgl. Randnrn. 82, 85, 87-88)

7.      Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen ist ein Korrelat des Grundsatzes der Rechtssicherheit, bei dem es sich um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts handelt und der insbesondere verlangt, dass jede Unionsregelung, insbesondere wenn sie die Verhängung von Sanktionen vorschreibt oder gestattet, klar und bestimmt ist, damit die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten unzweideutig erkennen und somit ihre Vorkehrungen treffen können.

Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten zugrunde liegen, ist auch in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen und vor allem in Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert worden.

Dieser Grundsatz verlangt, dass das Gesetz die Straftaten und die für sie angedrohten Strafen klar definiert. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Rechtsunterworfene anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung und nötigenfalls mit Hilfe ihrer Auslegung durch die Gerichte erkennen kann, welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortung begründen. Außerdem ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Klarheit des Gesetzes nicht nur anhand des Wortlauts der einschlägigen Bestimmung zu beurteilen, sondern auch anhand der Präzisierungen durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung.

Dieser Grundsatz ist sowohl bei Normen mit strafrechtlichem Charakter als auch bei spezifischen verwaltungsrechtlichen Regelungen zu beachten, die die Verhängung von Sanktionen durch die Verwaltung vorschreiben oder gestatten. Er gilt nicht nur für Normen, die die Tatbestandsmerkmale einer Zuwiderhandlung festlegen, sondern auch für solche, die die Folgen einer Zuwiderhandlung gegen Erstere regeln.

Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangt nicht, dass die Vorschriften, aufgrund deren diese Sanktionen verhängt werden, so genau formuliert sind, dass die möglichen Folgen eines Verstoßes gegen sie mit absoluter Gewissheit vorhersehbar sind. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt nämlich die Tatsache, dass ein Gesetz ein Ermessen verleiht, als solche nicht das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, sofern der Umfang und die Modalitäten der Ausübung eines solchen Ermessens im Hinblick auf das in Rede stehende legitime Ziel hinreichend deutlich festgelegt sind, um dem Einzelnen angemessenen Schutz vor Willkür zu gewähren. Dabei berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte neben dem Wortlaut des Gesetzes die Frage, ob die verwendeten unbestimmten Begriffe durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung präzisiert wurden.

(vgl. Randnrn. 95-97, 99)

8.      Was die Rechtmäßigkeit von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen angeht, hat der Unionsgesetzgeber der Kommission keinen übermäßigen oder willkürlichen Ermessensspielraum bei der Festlegung der Geldbußen wegen Verstößen gegen die Wettbewerbsvorschriften eingeräumt.

Erstens beschränkt diese Bestimmung nämlich die Ausübung des genannten Ermessens durch die Einführung objektiver Kriterien, an die sich die Kommission halten muss. Dabei hat zum einen die mögliche Geldbuße eine bezifferbare und absolute Obergrenze, die bei jedem Unternehmen für jeden Fall der Zuwiderhandlung in einer Weise berechnet wird, bei der der Höchstbetrag der möglichen Geldbuße eines konkreten Unternehmens im Voraus bestimmbar ist. Zum anderen verlangt diese Bestimmung von der Kommission, die Geldbußen in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Schwere und auch der Dauer der Zuwiderhandlung festzusetzen.

Zweitens hat die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens in Bezug auf die nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Drittens wird die Ermessensausübung durch die Kommission, um die Vorhersehbarkeit und die Transparenz ihres Vorgehens zu gewährleisten, auch durch die Verhaltensnormen eingeschränkt, die sich die Kommission selbst in der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen und in den Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, auferlegt hat. Diese Mitteilung und diese Leitlinien stellen dazu zum einen Verhaltensnormen auf, von denen die Kommission nicht abweichen kann, ohne dass dies wegen Verstoßes gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes geahndet würde, und schaffen zum anderen Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen, indem sie das Verfahren regeln, das sich die Kommission zur Festsetzung der Höhe der nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen auferlegt hat.

Außerdem hat der Erlass dieser Leitlinien und sodann der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1/2003, da er sich in den durch Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und den durch Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgegebenen rechtlichen Rahmen einfügte, nur einen Beitrag zur Klarstellung der Grenzen für die Ausübung des der Kommission durch diese Bestimmung bereits eingeräumten Ermessens geliefert, und es kann daraus nicht gefolgert werden, dass die Grenzen der Zuständigkeit der Kommission auf dem fraglichen Gebiet vom Unionsgesetzgeber ursprünglich unzureichend bestimmt worden wären.

Viertens befinden die Unionsgerichte gemäß Art. 229 EG und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 mit einer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung über Klagen gegen die Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße festsetzt, und können somit sowohl diese Entscheidungen für nichtig erklären als auch die verhängte Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen. Die bekannte und zugängliche Verwaltungspraxis der Kommission unterliegt mithin der umfassenden Kontrolle durch Unionsgerichte. Diese Kontrolle hat es durch eine ständige und veröffentlichte Rechtsprechung ermöglicht, die etwaigen unbestimmten Begriffe in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und später in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu präzisieren. Somit kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer – falls erforderlich mit Hilfe eines Rechtsberaters – in hinreichend genauer Weise die Berechnungsmethode und die Größenordnung der Geldbußen vorhersehen, die ihm bei einem bestimmten Verhalten drohen. Die Tatsache, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer das Niveau der Geldbußen, die die Kommission in jedem Einzelfall verhängen wird, nicht im Voraus genau zu erkennen vermag, kann keine Verletzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Strafen darstellen.

(vgl. Randnrn. 101-102, 105-108)

9.      Was die Erhöhung des Niveaus der Geldbußen infolge des Erlasses der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, angeht, so kann die Kommission das Niveau der Geldbußen jederzeit anpassen, wenn die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union dies verlangt, so dass eine solche Änderung einer Verwaltungspraxis als durch das Ziel, Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union generell zu verhindern, objektiv gerechtfertigt angesehen werden kann. Die Anhebung des Niveaus der Geldbußen in jüngster Zeit kann daher als solche nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Strafen angesehen werden, da sie nicht über den in Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und in Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegten gesetzlichen Rahmen hinausgeht.

(vgl. Randnr. 112)

10.    Soweit es um die Zuständigkeit der Kommission geht, Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union zu verhängen, kann keine Rede davon sein, dass die Befugnis zur Verhängung solcher Geldbußen ursprünglich dem Rat zugestanden hätte, der sie auf die Kommission übertragen oder diese im Sinne von Art. 202 dritter Gedankenstrich EG mit der Durchführung betraut hätte. Nach den Art. 81 EG, 82 EG, 83 Abs. 1 und 2 Buchst. a und d EG sowie 202 dritter Gedankenstrich EG gehört diese Befugnis zur ureigenen Rolle der Kommission, über die Anwendung des Unionsrechts zu wachen, wobei diese Rolle in Bezug auf die Anwendung der Art. 81 EG und 82 EG durch die Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 präzisiert, umrahmt und formalisiert wurde. Die der Kommission durch diese Verordnungen eingeräumte Befugnis zur Verhängung von Geldbußen ergibt sich somit aus den Bestimmungen des EG-Vertrags selbst und soll die effektive Anwendung der in den genannten Artikeln vorgesehenen Verbote ermöglichen.

(vgl. Randnr. 115)

11.    Der in Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte Grundsatz des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der bei der Verhängung von Geldbußen wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht zu beachten ist; nach diesem Grundsatz müssen die ausgesprochenen Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung festgelegt waren. Der Erlass von Leitlinien, die geeignet sind, die allgemeine Wettbewerbspolitik der Kommission auf dem Gebiet von Geldbußen zu ändern, kann grundsätzlich in den Geltungsbereich des Rückwirkungsverbots fallen.

Zur Frage, ob die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, das Rückwirkungsverbot beachten, ist festzustellen, dass sich die Anhebung des Geldbußenniveaus in dem von Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegten gesetzlichen Rahmen bewegt, da die Leitlinien unter Nr. 5 Buchst. a ausdrücklich vorsehen, dass die verhängten Geldbußen in keinem Fall die in den genannten Bestimmungen vorgesehene Obergrenze von 10 % des Gesamtumsatzes übersteigen dürfen.

Die hauptsächliche Neuerung dieser Leitlinien besteht darin, dass als Ausgangspunkt der Berechnung ein Grundbetrag herangezogen wird, der innerhalb von hierfür vorgesehenen Spannen festgelegt wird, wobei diese Spannen verschiedenen Schweregraden der Zuwiderhandlungen entsprechen, als solche aber keinen Bezug zum relevanten Umsatz aufweisen. Diese Methode beruht somit im Wesentlichen auf einer – wenn auch relativen und flexiblen – Tarifierung der Geldbußen.

Der Umstand, dass die Kommission in der Vergangenheit Geldbußen eines bestimmten Niveaus auf bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen angewandt hat, vermag ihr nicht die Möglichkeit zu nehmen, dieses Niveau im Rahmen der in den Verordnungen Nrn. 17 und 1/2003 gesetzten Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der Wettbewerbspolitik der Union sicherzustellen. Im Gegenteil verlangt die wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln von der Kommission, das Geldbußenniveau nach den Erfordernissen dieser Politik jederzeit anpassen zu können.

Daraus folgt, dass die von einem Verwaltungsverfahren, das zur Verhängung einer Geldbuße führen kann, betroffenen Unternehmen nicht darauf vertrauen können, dass die Kommission nicht die Höhe der früher angewandten Geldbußen überschreitet oder sie nach einer bestimmten Methode berechnet. Folglich müssen diese Unternehmen die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Kommission jederzeit das Geldbußenniveau gegenüber dem in der Vergangenheit praktizierten anzuheben beschließt.

Unter diesen Umständen verstoßen die genannten Leitlinien nicht gegen das Rückwirkungsverbot, weil sie zur Verhängung höherer Geldbußen als derjenigen geführt hätten, die in der Vergangenheit angewandt worden seien, oder weil im vorliegenden Fall die Grenzen der Vorhersehbarkeit überschritten worden seien. Die Leitlinien und insbesondere die in ihnen enthaltene neue Berechnungsmethode für die Geldbußen waren nämlich, falls sich diese Methode auf die Höhe der verhängten Geldbußen verschärfend ausgewirkt haben sollte, hinreichend vorhersehbar.

(vgl. Randnrn. 118-119, 123-128, 133)

12.    Aus Gründen der Transparenz und zur Verbesserung der Rechtssicherheit hat die Kommission die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, veröffentlicht und in ihnen die Berechnungsmethode dargelegt, deren Befolgung sie sich für jeden Einzelfall auferlegt hat. Durch den Erlass derartiger Verhaltensnormen und dadurch, dass sie durch deren Veröffentlichung kundtut, dass sie sie von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, hat sich die Kommission in der Ausübung ihres Ermessens selbst beschränkt und kann von diesen Regeln nicht mehr abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls als Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung und des Vertrauensschutzes geahndet wird. Die Leitlinien legen allgemein und abstrakt die Methode fest, die sich die Kommission für die Festsetzung der Höhe der Geldbußen auferlegt hat, und gewährleisten somit für die Unternehmen die Rechtssicherheit. Zum anderen kann ein verständiger Wirtschaftsteilnehmer – falls erforderlich mit Hilfe eines Rechtsberaters – hinreichend genau die Berechnungsmethode und die Größenordnung der Geldbußen vorhersehen, die ihm bei einem bestimmten Verhalten drohen. Zwar kann ein Wirtschaftsteilnehmer die Höhe der Geldbuße, die die Kommission in jedem Einzelfall verhängen wird, anhand dieser Leitlinien nicht im Voraus genau erkennen. Aufgrund der Schwere der von der Kommission zu ahndenden Zuwiderhandlungen rechtfertigen es aber die Ziele der Repression und der Abschreckung, dass die Unternehmen daran gehindert sind, den Nutzen einzuschätzen, den sie aus ihrer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung zögen, indem sie im Voraus die Höhe der Geldbuße berücksichtigten, die ihnen aufgrund dieses rechtswidrigen Verhaltens auferlegt würde.

(vgl. Randnrn. 135-136, 201-202)

13.    Es verstößt weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenn bei der Bemessung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union verhängten Geldbußen die Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen berücksichtigt wird. Dem ersten dieser beiden Grundsätze läuft es nämlich nicht zuwider, wenn Leitlinien angewandt werden, die sich möglicherweise verschärfend auf die Höhe von Geldbußen auswirken, sofern die damit umgesetzte Politik hinreichend vorhersehbar war. Was den zweiten dieser Grundsätze betrifft, können die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Lage vertrauen, die von den Organen im Rahmen ihres Ermessens geändert werden kann.

(vgl. Randnrn. 143-144)

14.    Nach den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, deren integraler Bestandteil die Grundrechte sind und in deren Licht alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen sind, dürfen zwar die Unternehmen von der Kommission nicht gezwungen werden, ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zuzugeben, jedoch ist die Kommission deswegen nicht daran gehindert, bei der Bemessung der Geldbuße den Beitrag zu berücksichtigen, den ein Unternehmen freiwillig zum Nachweis der Zuwiderhandlung geleistet hat. Die Zusammenarbeit im Sinne der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (Mitteilung über Zusammenarbeit) erfolgt insoweit seitens des betreffenden Unternehmens völlig freiwillig. Denn es wird in keiner Weise dazu gezwungen, zu dem vermuteten Kartell Beweismittel vorzulegen. Das Ausmaß der Zusammenarbeit, die das Unternehmen im Lauf des Verwaltungsverfahrens anzubieten wünscht, ist somit ausschließlich Gegenstand seiner freien Entscheidung und wird keinesfalls von der Mitteilung über Zusammenarbeit vorgegeben. Außerdem verlangt keine Bestimmung dieser Mitteilung vom betreffenden Unternehmen, dass es davon absieht, einen falschen Sachverhaltsvortrag eines anderen Unternehmens zu bestreiten oder zu berichtigen.

Die Mitteilung über Zusammenarbeit verletzt auch nicht den Grundsatz in dubio pro reo oder den u. a. in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention niedergelegten Grundsatz der Unschuldsvermutung, der ebenfalls zu den Grundrechten gehört, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, die im Übrigen durch Art. 6 Abs. 2 EU und durch Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist, in der Rechtsordnung der Union anerkannt sind. Zum einen erfolgt nämlich die Zusammenarbeit im Sinne dieser Mitteilung seitens des betreffenden Unternehmens völlig freiwillig und bedeutet für ein Unternehmen keine Verpflichtung, Beweismittel für die Zuwiderhandlung, an der es beteiligt gewesen sein soll, vorzulegen; zum anderen berührt die Mitteilung über Zusammenarbeit nicht die Verpflichtung der Kommission, die für die von ihr festgestellte Zuwiderhandlung beweispflichtig ist, Beweismittel vorzulegen, die geeignet sind, rechtlich hinlänglich das Vorliegen von Tatsachen zu belegen, die den Tatbestand der Zuwiderhandlung erfüllen. Dazu kann sich die Kommission ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung nicht nur auf Unterlagen stützen, die sie anlässlich von Nachprüfungen nach den Verordnungen Nrn. 17 und 1/2003 erlangt oder aufgrund von Auskunftsverlangen nach den genannten Verordnungen erhalten hat, sondern auch auf Beweismittel, die ihr ein Unternehmen freiwillig gemäß dieser Mitteilung unterbreitet hat.

Die Mitteilung über Zusammenarbeit verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie erscheint als ein geeignetes und unerlässliches Instrument, um das Bestehen geheimer horizontaler Kartelle zu beweisen und somit das Gebaren der Unternehmen in Richtung der Beachtung der Wettbewerbsregeln zu lenken. Selbst wenn nämlich die in den Art. 18 bis 21 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Instrumente – Auskunftsverlangen und Nachprüfungen – unerlässliche Maßnahmen bei der Verfolgung von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht sind, sind geheime Kartelle ohne die Zusammenarbeit der betreffenden Unternehmen häufig schwer zu entdecken und aufzuklären. So kann ein an einem Kartell Beteiligter, der seine Beteiligung beenden möchte, durch die ihm drohende hohe Geldbuße davon abgeschreckt werden, die Kommission zu informieren. Die Mitteilung über Zusammenarbeit zielt, indem sie den Erlass von Geldbußen oder eine bedeutende Geldbußenermäßigung für Unternehmen vorsieht, die der Kommission Beweise für das Vorliegen eines horizontalen Kartells liefern, darauf ab, zu vermeiden, dass ein solcher Beteiligter von einer Information der Kommission über das Vorliegen eines Kartells absieht.

Schließlich hat die Kommission nicht gegen die Befugnisse, die sie aus der Verordnung Nr. 1/2003 herleitet, verstoßen, als sie sich mit der Mitteilung über Zusammenarbeit Verhaltensnormen für die Ausübung ihres Ermessens bei der Festsetzung von Geldbußen gab, um insbesondere das Verhalten der Unternehmen im Lauf des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen und damit die Gleichbehandlung der betroffenen Unternehmen besser zu gewährleisten. Die Kommission ist nämlich befugt, nicht aber verpflichtet, gegen ein Unternehmen, das einen Verstoß gegen Art. 81 EG begangen hat, eine Geldbuße zu verhängen. Art. 23 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 1/2003 enthält außerdem keine abschließende Aufzählung der Kriterien, die die Kommission bei der Festsetzung der Geldbuße heranziehen kann. Das Verhalten des Unternehmens im Verwaltungsverfahren kann somit zu den Gesichtspunkten gehören, die bei dieser Festsetzung zu berücksichtigen sind.

(vgl. Randnrn. 149-150, 153, 155, 160, 162-163, 168-169, 171, 174-176)

15.    Die Befugnisse der Gemeinschaft sind unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben. Das Eigentumsrecht wird nicht nur durch das Völkerrecht geschützt, sondern gehört auch zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts. Der Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Unionsrecht erstreckt sich jedoch nicht auf das Primärrecht und insbesondere die allgemeinen Grundsätze, zu denen die Grundrechte gehören. Insoweit stellt sich das Eigentumsrecht nicht als ein absolutes Vorrecht dar, sondern muss in Bezug auf seine Funktion in der Gesellschaft betrachtet werden. Folglich kann die Ausübung des Eigentumsrechts Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde. Da die Anwendung der Art. 81 EG und 82 EG unter das öffentliche Interesse der Gemeinschaft fällt, kann die Ausübung des Eigentumsrechts nach diesen Artikeln Beschränkungen unterworfen werden, sofern sie nicht unverhältnismäßig sind und das Recht nicht in seinem Wesensgehalt antasten.

(vgl. Randnrn. 187-190)

16.    Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, können zwar nicht als Rechtsnorm qualifiziert werden, die die Verwaltung auf jeden Fall zu beachten hat, sie stellen jedoch eine Verhaltensnorm dar, die einen Hinweis auf die zu befolgende Verwaltungspraxis enthält und von der die Verwaltung im Einzelfall nicht ohne Angabe von mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung vereinbaren Gründen abweichen kann. Die Kommission hat dadurch, dass sie derartige Verhaltensnormen erlassen und durch ihre Veröffentlichung kundgetan hat, dass sie sie von nun an auf die von ihnen erfassten Fälle anwenden werde, selbst die Ausübung ihres Ermessens beschränkt und kann nicht von diesen Normen abweichen, ohne dass dies gegebenenfalls wegen eines Verstoßes gegen allgemeine Rechtsgrundsätze wie die der Gleichbehandlung oder des Vertrauensschutzes geahndet würde. Sodann legen diese Leitlinien allgemein und abstrakt die Methode fest, die sich die Kommission für die Festsetzung der Höhe der Geldbußen auferlegt hat, und gewährleisten somit für die Unternehmen die Rechtssicherheit.

(vgl. Randnrn. 200-202)

17.    Die Schwere der Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union ist anhand einer Vielzahl von Faktoren zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Nach Nr. 1 Abschnitt A Abs. 1 der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, muss die Kommission bei der Beurteilung der Schwere des Verstoßes die konkreten Auswirkungen auf den Markt nur dann prüfen, wenn sie messbar erscheinen. Bei der Beurteilung dieser Auswirkungen muss sich die Kommission auf den Wettbewerb beziehen, der normalerweise ohne eine Zuwiderhandlung geherrscht hätte. Da die Klägerinnen nicht nachweisen, dass die konkreten Auswirkungen der Kartelle messbar gewesen wären, ist somit die Kommission nicht verpflichtet, die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlungen bei der Beurteilung ihrer Schwere zu berücksichtigen. Die Auswirkung einer wettbewerbswidrigen Praxis ist nämlich bei der Beurteilung der Schwere eines Verstoßes kein ausschlaggebendes Kriterium. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens betreffen, können größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen betreffen, vor allem, wenn es sich dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie die Marktaufteilung handelt. Die Art der Zuwiderhandlung spielt somit insbesondere bei der Einstufung der Zuwiderhandlungen als „besonders schwer“ eine vorrangige Rolle. Insoweit ergibt sich aus der Beschreibung der besonders schweren Verstöße in den genannten Leitlinien, dass die Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen, die insbesondere auf die Marktaufteilung abzielen, allein schon aufgrund ihrer Natur als „besonders schwer“ eingestuft werden können, ohne dass diese Verhaltensweisen durch eine besondere Auswirkung oder einen besonderen räumlichen Umfang gekennzeichnet sein müssen und ohne dass die fehlende Berücksichtigung der konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung darstellen kann.

Unabhängig von der angeblich unterschiedlichen Struktur der Kartelle gehören in einer Entscheidung der Kommission festgestellte Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln, die aus geheimen Absprachen zwischen Kartellmitgliedern zu dem Zweck bestehen, durch die Zuteilung von Projekten für den Verkauf und den Einbau neuer Aufzüge und/oder Fahrtreppen die Märkte aufzuteilen oder Marktanteile einzufrieren sowie den gegenseitigen Wettbewerb bei der Wartung und Modernisierung von Aufzügen und Fahrtreppen zu unterlassen, zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen Art. 81 EG. Außer der schweren Störung des Wettbewerbs, die diese Absprachen mit sich bringen, bewirken sie, da sie die Parteien dazu verpflichten, gesonderte, oft durch Staatsgrenzen abgegrenzte Märkte zu respektieren, eine Abschottung dieser Märkte und konterkarieren so das Hauptziel des Vertrags, die Integration des Gemeinschaftsmarkts. Daher werden derartige Zuwiderhandlungen, insbesondere wenn es sich um horizontale Absprachen handelt, von der Rechtsprechung als besonders schwer oder als offenkundige Zuwiderhandlungen qualifiziert.

(vgl. Randnrn. 198, 214-215, 221-223, 234-235, 254)

18.    Bei Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union feststellt und Geldbußen verhängt, sind die Anforderungen an das wesentliche Formerfordernis, um das es sich bei der Begründungspflicht handelt, erfüllt, wenn die Kommission in ihrer Entscheidung die Beurteilungskriterien angibt, die es ihr ermöglicht haben, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermessen, wobei sie nicht verpflichtet ist, darin eingehendere Ausführungen oder Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbuße zu machen. Führt die Kommission in der angefochtenen Entscheidung aus, dass die Ausgangsbeträge der Geldbußen unter Berücksichtigung der Art der Verstöße und des Umfangs des betreffenden räumlichen Marktes bestimmt worden seien, und hat sie die Schwere der Zuwiderhandlungen in Bezug auf die Merkmale der Beteiligten analysiert, wobei sie für jeden Verstoß zwischen den betroffenen Unternehmen anhand ihres Umsatzes mit den Produkten, die Gegenstand des Kartells waren, in dem von der Zuwiderhandlung betroffenen Land unterschieden hat, sind die Beurteilungskriterien, die es ihr ermöglicht haben, die Schwere der festgestellten Verstöße zu bemessen, in der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf die Beachtung des Art. 253 EG hinreichend genau dargelegt.

(vgl. Randnrn. 203, 240, 243-245)

19.    Bei Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union feststellt und Geldbußen verhängt, ist die Größe des betroffenen Marktes für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung grundsätzlich kein obligatorischer, sondern nur ein relevanter Faktor unter anderen, wobei die Kommission im Übrigen nicht zur Abgrenzung des betroffenen Marktes oder der Beurteilung seiner Größe verpflichtet ist, wenn die betreffende Zuwiderhandlung einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolgt. Denn die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sehen zwar nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern.

Unter diesen Umständen sind Ausgangsbeträge für Geldbußen, die für eine in Luxemburg begangene Zuwiderhandlung festgesetzt worden sind und bei der Hälfte der Mindestschwelle liegen, die normalerweise von den Leitlinien für eine besonders schwere Zuwiderhandlung vorgesehen sind, nicht überhöht.

(vgl. Randnrn. 247-248)

20.    Im Rahmen der Berechnung der nach Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verhängten Geldbußen ergibt sich eine differenzierte Behandlung der betroffenen Unternehmen unmittelbar aus der Ausübung der der Kommission nach dieser Vorschrift zustehenden Befugnisse. Im Rahmen ihres Wertungsspielraums hat die Kommission nämlich die Sanktion entsprechend den für die betroffenen Unternehmen kennzeichnenden Verhaltensweisen und Eigenschaften individuell festzulegen, um in jedem Einzelfall die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Union sicherzustellen. Demgemäß bestimmen die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, dass für eine Zuwiderhandlung von bestimmter Schwere in Fällen, in denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, wie bei Kartellen, der allgemeine Ausgangsbetrag gewichtet werden sollte, um einen spezifischen Ausgangsbetrag festzulegen, der das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb berücksichtigt, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren. Insbesondere ist es nötig, die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen.

Des Weiteren enthält das Unionsrecht keinen allgemein anwendbaren Grundsatz, wonach die Sanktion in angemessenem Verhältnis zur Bedeutung des Unternehmens auf dem Markt der Erzeugnisse stehen muss, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind.

Was schließlich die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung entsprechend der Einstufung der Mitglieder eines Kartells in Gruppen angeht, muss sich der Unionsrichter bei der Prüfung, ob eine solche Aufteilung den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit genügt, bei seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausübung des Ermessens, über das die Kommission auf diesem Gebiet verfügt, darauf beschränken, zu kontrollieren, ob diese Aufteilung schlüssig und objektiv gerechtfertigt ist. Außerdem kann nach den genannten Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen der Grundsatz der Strafgleichheit für die gleiche Verhaltensweise dazu führen, dass abgestufte Beträge gegenüber den beteiligten Unternehmen festgesetzt werden, wobei dieser Abstufung keine arithmetische Formel zugrunde liegt.

(vgl. Randnrn. 255-258, 263, 265)

21.    Ein mildernder Umstand nach Nr. 3 dritter Gedankenstrich der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, kann nicht anerkannt werden, wenn die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet worden war. Von einem mildernden Umstand im Sinne dieser Bestimmung kann denkrichtig nur dann gesprochen werden, wenn die fraglichen Unternehmen durch das Eingreifen der Kommission zur Beendigung ihres wettbewerbswidrigen Verhaltens veranlasst wurden. Diese Bestimmung soll Unternehmen darin bestärken, ihr wettbewerbswidriges Verhalten unmittelbar nach Einleitung einer entsprechenden Untersuchung der Kommission zu beenden, so dass eine Herabsetzung der Geldbuße aus diesem Grund nicht in Betracht kommt, wenn die Zuwiderhandlung bereits vor dem ersten Eingreifen der Kommission beendet worden war. Bei einer Herabsetzung unter solchen Umständen würde nämlich die Dauer der Zuwiderhandlungen bei der Bemessung der Geldbußen doppelt berücksichtigt.

(vgl. Randnr. 274)

22.    Dass ein Unternehmen, das eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union begangen hat, ein Befolgungsprogramm eingeführt hat, verpflichtet die Kommission nicht, die Geldbuße aufgrund dieses Umstands zu ermäßigen. Auch ist es zwar wichtig, dass ein Unternehmen Maßnahmen ergreift, um künftige erneute Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Union zu verhindern, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass die festgestellte Zuwiderhandlung stattgefunden hat. Die Kommission ist also nicht gehalten, einen derartigen Aspekt als mildernden Umstand zugrunde zu legen, zumal dann, wenn die in der angefochtenen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen einen offenkundigen Verstoß gegen Art. 81 EG darstellen.

(vgl. Randnr. 282)

23.    Bei der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (Mitteilung über Zusammenarbeit) handelt es sich um ein Instrument, mit dem unter Beachtung des höherrangigen Rechts die Kriterien präzisiert werden sollen, die die Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens im Rahmen der Festsetzung der wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union verhängten Geldbußen anzuwenden gedenkt. Daraus ergibt sich eine Selbstbeschränkung dieses Ermessens, die jedoch nicht unvereinbar mit dem Fortbestand ihres erheblichen Wertungsspielraums ist.

Somit verfügt die Kommission über einen weiten Wertungsspielraum, wenn sie zu prüfen hat, ob Beweismittel, die von einem Unternehmen vorgelegt worden sind, das erklärt hat, es wolle die Mitteilung über Zusammenarbeit in Anspruch nehmen, einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 dieser Mitteilung darstellen.

Ebenso verfügt die Kommission, nachdem sie festgestellt hat, dass Beweismittel einen erheblichen Mehrwert im Sinne von Randnr. 21 der Mitteilung über Zusammenarbeit darstellen, über einen Wertungsspielraum, wenn sie den genauen Umfang der dem betreffenden Unternehmen zu gewährenden Ermäßigung der Geldbuße zu bestimmen hat. Randnr. 23 Buchst. b Abs. 1 dieser Mitteilung sieht nämlich für die verschiedenen Kategorien von Unternehmen, auf die er sich bezieht, jeweils Bandbreiten vor, innerhalb deren Geldbußen ermäßigt werden können. Angesichts dieses Wertungsspielraums kann nur dessen offensichtliches Überschreiten vom Unionsrichter beanstandet werden.

Unter diesen Umständen überschreitet die Kommission nicht offensichtlich ihren Wertungsspielraum, wenn sie die Ansicht vertritt, dass eine Erklärung, die nur in gewissem Maße eine ihr bereits vorliegende Erklärung erhärtet, keinen erheblichen Mehrwert darstellt, da sie ihre Aufgabe nicht erheblich erleichtert und folglich nicht ausreicht, um eine Ermäßigung der Geldbuße aufgrund der Kooperation zu rechtfertigen.

(vgl. Randnrn. 295-296, 298-300, 309, 311)

24.    Bei ihrer im Verwaltungsverfahren vorgenommenen Beurteilung der Zusammenarbeit der Mitglieder eines Kartells darf die Kommission den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht außer Acht lassen. Befinden sich die verschiedenen Unternehmen, gegen die eine Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union verhängt wurde, nicht in vergleichbarer Lage, begeht die Kommission keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, wenn sie bestimmten Unternehmen nach Maßgabe des Mehrwerts ihrer jeweiligen Zusammenarbeit eine Geldbußenermäßigung gewährt und einem anderen Unternehmen eine solche Ermäßigung nach der Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen verwehrt. Die Beurteilung des Mehrwerts einer Zusammenarbeit erfolgt insoweit in Abhängigkeit von den Beweismitteln, die sich bereits im Besitz der Kommission befinden. Wenn also ein Unternehmen Beweismittel vorlegt, die für die Feststellung des Vorliegens eines Kartells nicht entscheidend sind, sondern der Kommission die Feststellung der Zuwiderhandlung lediglich erleichtern, indem sie die bereits in ihrem Besitz befindlichen Beweismittel bestätigen, oder wenn ein solches Unternehmen der Kommission die Beweismittel, die einen erheblichen Mehrwert darstellen, erst mehrere Monate nach den Mitteilungen anderer Unternehmen übermittelt und jedenfalls keine zeitgleichen Beweismittel in Form von Dokumenten übermittelt, überschreitet die Kommission ihren Wertungsspielraum nicht offensichtlich, wenn sie die Ermäßigung der Höhe der Geldbuße für dieses Unternehmen auf einen ganz niedrigen Prozentsatz festsetzt.

(vgl. Randnrn. 313, 315, 319, 335-336, 344, 347)

25.    Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Union dürfen, was die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen ihrer Bemessung angeht, nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen – Beachtung der Wettbewerbsregeln – stehen, und die einem Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung im Bereich des Wettbewerbs auferlegte Geldbuße ist so zu bemessen, dass sie bei einer Gesamtwürdigung der Zuwiderhandlung unter besonderer Berücksichtigung ihrer Schwere in angemessenem Verhältnis zu ihr steht. Außerdem kann die Kommission bei der Bemessung der Geldbußen die Notwendigkeit berücksichtigen, deren abschreckende Wirkung sicherzustellen.

Erstens stellen Kartelle, die insoweit im Wesentlichen aus geheimen Absprachen zwischen Wettbewerbern zu dem Zweck bestehen, durch die Zuweisung von Projekten für den Verkauf und den Einbau neuer Aufzüge und/oder Fahrtreppen die Märkte aufzuteilen oder die Marktanteile einzufrieren sowie den gegenseitigen Wettbewerb bei der Wartung und Modernisierung von Aufzügen und Fahrtreppen zu unterlassen, Zuwiderhandlungen dar, die schon ihrem Wesen nach zu den schwerwiegendsten Verstößen gegen Art. 81 EG zählen.

Zweitens kann die Kommission bei der Berechnung der Geldbußen insbesondere die Größe und die Wirtschaftsmacht der wirtschaftlichen Einheit berücksichtigen, die als Unternehmen im Sinne von Art. 81 EG gehandelt hat. Das zu berücksichtigende maßgebende Unternehmen deckt sich jedoch nicht mit jeder Tochtergesellschaft, die an der Zuwiderhandlung beteiligt war, sondern mit der Muttergesellschaft und deren Tochtergesellschaften. Drittens ist die Kommission, was die Verhältnismäßigkeit der Geldbußen gegenüber der Größe und der Wirtschaftsmacht der betreffenden wirtschaftlichen Einheiten betrifft, an die Obergrenze von 10 % gebunden, die Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 aufstellt und deren Ziel es ist, zu vermeiden, dass die Geldbußen gegenüber der Bedeutung des Unternehmens unverhältnismäßig sind. Ein Gesamtbetrag der Geldbußen, der ungefähr 2 % des konsolidierten Umsatzes des betreffenden Unternehmens in dem Geschäftsjahr beträgt, das dem Erlass der angefochtenen Entscheidung vorausging, kann in Bezug auf die Größe dieses Unternehmens nicht als unverhältnismäßig angesehen werden.

(vgl. Randnrn. 367-370)