Language of document : ECLI:EU:C:2011:839

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

15. Dezember 2011(*)

„Wandererwerbstätige – Soziale Sicherheit – Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausgeübt hat – Rückkehr in sein Herkunftsland“

In der Rechtssache C‑257/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta förvaltningsdomstol (ehemals Regeringsrätt) (Schweden) mit Entscheidung vom 27. April 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2010, in dem Verfahren

Försäkringskassan

gegen

Elisabeth Bergström

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis, T. von Danwitz und D. Šváby,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Elisabeth Bergström, vertreten durch U. Öberg und I. Otken Eriksson, advokater,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch K. Petkovska und A. Falk als Bevollmächtigte,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch E. Jenkinson und L. Seeboruth als Bevollmächtigte sowie durch R. Palmer, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und J. Enegren als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Juni 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 72 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) und des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999 (ABl. 2002, L 114, S. 6, im Folgenden: Abkommen).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Bergström, einer schwedischen Staatsangehörigen, und der Försäkringskassa (im Folgenden: nationaler Sozialversicherungsträger), wegen der Weigerung der Letzteren, für die Berechnung der Höhe des Elterngelds nach der Rückkehr der Klägerin nach Schweden die Beschäftigungszeit zu berücksichtigen, die diese in der Schweiz zurückgelegt hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In der Präambel des Abkommens heißt es:

„[Die Vertragsparteien],

in der Überzeugung, dass die Freizügigkeit der Personen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei wesentlicher Bestandteil einer harmonischen Entwicklung ihrer Beziehungen ist,

entschlossen, diese Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen …“

4        Art. 1 dieses Abkommens bestimmt:

„Ziel dieses Abkommens zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ist Folgendes:

a)      Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;

d)      Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer.“

5        Art. 2 („Nichtdiskriminierung“) des Abkommens lautet: „Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, werden bei der Anwendung dieses Abkommens gemäß den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.“

6        Art. 8 des Abkommens sieht vor:

„Die Vertragsparteien regeln die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß Anhang II, um insbesondere Folgendes zu gewährleisten:

a)      Gleichbehandlung;

c)      Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigten Versicherungszeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

d)      Zahlung der Leistungen an Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien haben;

…“

7        Art. 1 des Anhangs II („Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“) des Abkommens lautet:

„1.      Die Vertragsparteien kommen überein, im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit untereinander die gemeinschaftlichen Rechtsakte, auf die Bezug genommen wird, in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens geltenden Fassung einschließlich der in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Änderungen oder gleichwertige Vorschriften anzuwenden.

2.      Der Begriff ‚Mitgliedstaat(en)‘ in den Rechtsakten, auf die in Abschnitt A dieses Anhangs Bezug genommen wird, ist außer auf die durch die betreffenden gemeinschaftlichen Rechtsakte erfassten Staaten auch auf die Schweiz anzuwenden.“

8        Anhang II des Abkommens sieht in Abschnitt A („Rechtsvorschriften, auf die Bezug genommen wird“) Nr. 1 vor:

„371 R 1408: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern,

…“

9        Art. 3 („Gleichbehandlung“) der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt in Abs. 1:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörige dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.“

10      Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung lautet:

„[E]ine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.“

11      Art. 23 dieser Verordnung in Kapitel 1 („Krankheit und Mutterschaft“) des Titels III mit besonderen Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten bestimmt:

„(1)      Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung von Geldleistungen ein Durchschnittsarbeitsentgelt oder -einkommen oder ein Durchschnittsbeitrag zugrunde zu legen ist, ermittelt das Durchschnittsarbeitsentgelt oder -einkommen oder den Durchschnittsbeitrag ausschließlich aufgrund der Arbeitsentgelte oder ‑einkommen, die für die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats zurückgelegten Zeiten festgestellt worden sind.

(2)      Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung von Geldleistungen ein pauschales Arbeitsentgelt oder pauschales Arbeitseinkommen zugrunde zu legen ist, berücksichtigt ausschließlich das pauschale Arbeitsentgelt oder pauschale Arbeitseinkommen oder gegebenenfalls den Durchschnitt der pauschalen Arbeitsentgelte oder pauschalen Arbeitseinkommen für Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats zurückgelegt worden sind.

…“

12      Art. 72 („Zusammenrechnung der Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit“) in Kapitel 7 („Familienleistungen“) des Titels III der Verordnung lautet:

„Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig ist, berücksichtigt, soweit erforderlich, auch Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, als handelte es sich um Zeiten, die nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.“

13      Art. 89 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:

„Die Besonderheiten bei der Anwendung der Rechtsvorschriften bestimmter Mitgliedstaaten sind im Anhang VI aufgeführt.“

14      Anhang VI Abschnitt N („SCHWEDEN“) Nr. 1 dieser Verordnung sieht vor: „Bei Anwendung des Artikels 72 der Verordnung werden zur Feststellung eines Anspruchs auf Erziehungsgeld die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungszeiten so berücksichtigt, als lägen ihnen die gleichen Durchschnittseinkommen zugrunde wie den schwedischen Versicherungszeiten, mit denen sie zusammengerechnet werden.“ Diese Bestimmung wurde später durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Änderung der Verordnung Nr. 1408/71 (ABl. L 392, S. 1) aufgehoben.

 Nationales Recht

15      Das Sozialversicherungsgesetz (1999:799) (Socialförsäkringslag [1999:799]) sieht in Kapitel 3 („Sozialversicherungsschutz“) u. a. Folgendes vor:

„§ 1      Wer in Schweden wohnhaft ist, hat Anspruch auf die folgenden, im Gesetz (1962:381) über die allgemeine Versicherung (Lag om allmän försäkring [1962:381]) aufgeführten Leistungen:

1.      Ersatz der Kosten für Heilbehandlung u. a. gemäß Kapitel 2, soweit es um Leistungen geht, die von den allgemeinen Versicherungskassen beschlossen werden;

2.      Elterngeld in Höhe des Mindest- und des Grundbetrags;

3.      Ausgleichsleistung bei verminderter Erwerbsfähigkeit in Form eines Garantiebetrags;

§ 4      Wer in Schweden arbeitet, hat Anspruch auf folgende Leistungen nach dem Gesetz über die allgemeine Versicherung (1962:381):

1.      Krankengeld und Schwangerschaftsgeld;

2.      Elterngeld über dem Mindestbetrag und zeitweiliges Elterngeld;

3.      einkommensabhängige Ausgleichsleistung bei Krankheit und verminderter Erwerbsfähigkeit;

…“

16      Das Gesetz über die allgemeine Versicherung bestimmt insbesondere:

„Kapitel 3. Krankengeld

§ 2      Krankengeldwirksames Einkommen ist das jährliche Einkommen in Geld, das der Versicherte durch seine Arbeit im Inland voraussichtlich bis auf Weiteres erzielen wird, sei es als Arbeitnehmer eines öffentlichen oder privaten Arbeitgebers (Einkommen aus Arbeitsverhältnis), sei es auf andere Weise (Einkommen aus anderer Erwerbstätigkeit) … Das krankengeldwirksame Einkommen wird vom Sozialversicherungsamt festgestellt …

Die Berechnung des krankengeldwirksamen Einkommens beruht in den Fällen, in denen die Verhältnisse dem Sozialversicherungsamt nicht bekannt sind, auf den Angaben, die das Sozialversicherungsamt von dem Versicherten oder dessen Arbeitgeber erhalten kann oder die sich aus der Einschätzung des Einkommens des Versicherten ableiten lassen, die bei der steuerlichen Veranlagung vorgenommen wurde. Das Urlaubsgeld darf beim krankengeldwirksamen Einkommen nicht mit einem höheren Betrag berücksichtigt werden als dem, der in der entsprechenden Zeit als Entgelt für die geleistete Arbeit gezahlt worden wäre.

Kapitel 4. Elterngeld

§ 6      Das vollständige Elterngeld beträgt mindestens 60 Kronen am Tag (Mindestbetrag).

Das Elterngeld für die ersten 180 Tage wird in der Höhe ausbezahlt, die dem Krankengeld des Elternteils entspricht, das nach dem fünften Absatz berechnet wird, wenn der Elternteil vor der Geburt des Kindes oder dem für die Geburt errechneten Zeitpunkt mindestens 240 Tage in Folge für ein über dem Mindestbetrag liegendes Krankengeld versichert gewesen ist oder dies gewesen wäre, wenn das Sozialversicherungsamt sämtliche Umstände gekannt hätte. Das Elterngeld wird in den ersten 180 Tagen jedoch mindestens in Höhe des vollständigen Elterngelds von 150 Kronen (Grundbetrag) ausbezahlt. Für einen Elternteil, der nur gemäß Kapitel 3 § 4 [Sozialversicherungsgesetz (1999:799)] versichert ist, gilt dies unter der Voraussetzung, dass er die Bedingungen des Satzes 1 erfüllt.

Über die Regelung im zweiten Absatz hinaus wird Elterngeld ausbezahlt für:

–        210 Tage in Höhe des nach Abs. 5 berechneten Krankengelds des betreffenden Elternteils, jedoch mindestens in Höhe des Grundbetrags und für

–        90 Tage in Höhe des Mindestbetrags.

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17      Frau Bergström, eine schwedische Staatsangehörige, wohnte seit Januar 1994 in der Schweiz und arbeitete dort, bis sie am 19. März 2002 ihre Tochter gebar. Sie kehrte sodann mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter am 1. September 2002 nach Schweden zurück. Ihr Ehemann nahm in Schweden sofort eine Erwerbstätigkeit auf, während Frau Bergström keine neue Erwerbstätigkeit aufnahm, um ihre Tochter zu betreuen. Sie beantragte Elterngeld vom 16. März 2003 an in Höhe des Krankengelds, berechnet auf der Grundlage ihres Arbeitseinkommens in der Schweiz.

18      Der nationale Sozialversicherungsträger bewilligte ihr Elterngeld in Höhe des Grundbetrags mit der Begründung, dass sie keinen Anspruch auf Elterngeld in Höhe des Krankengelds habe, da sie in Schweden keine Erwerbstätigkeit in den 240 Tagen vor der Entbindung ausgeübt habe, was ihr einen Anspruch auf ein höheres Krankengeld als in Höhe des Grundbetrags eröffnet hätte.

19      Frau Bergström erhob gegen den Bescheid Klage beim Länsrätt i Stockholms län (Verwaltungsgericht für den Bezirk Stockholm). Das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Elterngeld in Höhe des Krankengelds eine Leistung sei, die auf einer Erwerbstätigkeit beruhe, und dass die Versicherte, um darauf Anspruch zu haben, während eines Zeitraums, welcher der Zeit, für die die Leistung beantragt werde, hinreichend nahe sei, persönlich in Schweden gearbeitet haben müsse. Es genüge somit nicht, wenn der Ehegatte der Versicherten in Schweden arbeite.

20      Frau Bergström legte daraufhin Berufung zum Kammarrätt i Stockholm (Verwaltungsberufungsgericht Stockholm) ein, das in seiner Entscheidung über die Begründetheit feststellte, dass sie die Anwartschaftszeit von 240 Arbeitstagen nach den schwedischen Rechtsvorschriften durch ihre Tätigkeit in der Schweiz erfülle. Frau Bergström habe Anspruch auf Elterngeld, das höher als das Elterngeld in Höhe des Grundbetrags sei, berechnet auf der Grundlage ihrer Erwerbstätigkeit in der Schweiz.

21      Der nationale Sozialversicherungsträger legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein und beantragte, das Urteil des Länsrätt i Stockholms län zu bestätigen. Frau Bergström beantragte, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

22      Für das vorlegende Gericht ist unstreitig, dass Frau Bergström gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 den schwedischen Rechtsvorschriften unterliegt, obwohl sie in Schweden keine Erwerbstätigkeit ausübt. Sie erfülle jedoch nicht die Voraussetzungen, die nach nationalem Recht für einen Anspruch auf Elterngeld in Höhe des Krankengelds erfüllt sein müssten.

23      Die Voraussetzung, dass sie vor der Geburt ihres Kindes mindestens 240 Tage in Folge in Schweden krankenversichert gewesen sein müsse, sei nicht erfüllt. Es stelle sich die Frage, ob die in der Schweiz zurückgelegte Zeit der Erwerbstätigkeit als Erfüllung dieser Voraussetzung zu betrachten sei.

24      Frau Bergström habe keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und auch kein Einkommen erzielt, das nach den schwedischen Bestimmungen als Grundlage für die Feststellung eines krankengeldwirksamen Einkommens herangezogen werden könnte. Fraglich sei, ob ihr früheres Arbeitseinkommen in der Schweiz bei der Anwendung dieser Bestimmungen zu berücksichtigen sei.

25      Aufgrund dieser Überlegungen hat der Högsta förvaltningsdomstol beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Folgt aus dem Unionsrecht, insbesondere dem Abkommen und Art. 72 der Verordnung Nr. 1408/71, dass eine Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Familienleistungen in Gestalt eines einkommensabhängigen Ausgleichs für die Betreuung von Kindern in ihrer Gänze durch Arbeit und Versicherung in der Schweiz erfüllt werden kann?

2.      Folgt aus dem Unionsrecht, insbesondere dem Abkommen und den Art. 3 Abs. 1 und 72 der Verordnung Nr. 1408/71, dass ein in der Schweiz erzieltes Einkommen bei der Entscheidung, ob ein Anspruch auf Familienleistungen in Gestalt eines einkommensabhängigen Ausgleichs für die Betreuung von Kindern besteht, inländischem Einkommen gleichzustellen ist?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

26      Die Antwort auf die gestellten Fragen setzt voraus, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt in den Anwendungsbereich des Abkommens fällt. Hierzu ist festzustellen, dass es sich bei Frau Bergström um eine Erwerbstätige handelt, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist und nach Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Gebiet eines anderen Vertragsstaats in ihren Herkunftsmitgliedstaat zurückgekehrt ist und dort aufgrund dieser Erwerbstätigkeit eine nach der Regelung dieses Mitgliedstaats vorgesehene Familienleistung beantragt.

27      In Bezug auf die Frage des Anwendungsbereichs des Abkommens ist erstens festzustellen, dass nach dem zweiten Satz der Präambel des Abkommens die Vertragsparteien „entschlossen [sind], diese Freizügigkeit zwischen ihnen auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen“.

28      Diese Freiheit würde beeinträchtigt, wenn ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats in seinem Herkunftsland einen Nachteil allein deshalb erlitte, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat.

29      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 8 des Abkommens die Vertragsparteien die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß Anhang II zu den dort aufgeführten Zwecken regeln. Diese Bestimmung verweist weder unmittelbar noch mittelbar auf ein Erfordernis hinsichtlich des Aufenthaltsorts der Personen, auf die diese Bestimmungen der sozialen Sicherheit anzuwenden sind, und gibt auch nicht an, welche Vertragspartei diese Bestimmungen anzuwenden hat.

30      Zu den mit Art. 8 verfolgten Zwecken gehört nach Buchst. a die „Gleichbehandlung“. Der ausdrückliche und allgemeine Verweis auf diesen Grundsatz zeigt, dass dieser Grundsatz im Anwendungsbereich dieses Artikels unabhängig von Art. 2 des Abkommens gilt, der die Anwendung des Diskriminierungsverbots vom Aufenthalt einer begünstigten Person im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei abhängig macht.

31      Drittens sieht Anhang II Abschnitt A Nr. 1 des Abkommens die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 zwischen den Vertragsparteien vorbehaltlich bestimmter Anpassungen vor, die jedoch für die Beurteilung der vorgelegten Frage nicht erheblich sind. Nach Art. 1 Abs. 2 dieses Anhangs ist der Begriff „Mitgliedstaat(en)“ in den Rechtsakten, auf die in Abschnitt A dieses Anhangs Bezug genommen wird, außer auf die durch die betreffenden gemeinschaftlichen Rechtsakte erfassten Staaten auch auf die Schweiz anzuwenden.

32      Zuletzt ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1408/71 nicht nur auf Familienleistungen, sondern auch auf andere Kategorien von Leistungen anwendbar ist, zu denen beispielsweise die Leistungen bei Alter gehören.

33      Somit wäre nach der Rückkehr eines Erwerbstätigen in sein Herkunftsland die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Mitgliedstaaten der Union ohne Anwendung der Regel der Zusammenrechnung in einer nicht unbeachtlichen Zahl von Fällen, u. a. für den Erwerb von Leistungen bei Alter, ausgeschlossen.

34      Daher ist festzustellen, dass das Abkommen und die Verordnung Nr. 1408/71 auf die Situation eines Erwerbstätigen, wie sie in Randnr. 26 des vorliegenden Urteils beschrieben ist, Anwendung finden.

 Zur ersten Frage

35      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der zuständige Träger eines Mitgliedstaats nach dem Abkommen und der Verordnung Nr. 1408/71, wenn die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Gewährung einer Familienleistung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig machen, zu diesem Zweck solche Zeiten berücksichtigen muss, die vollständig im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt wurden.

36      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass Frau Bergström, um einen Anspruch auf das Elterngeld in Höhe des Krankengelds geltend machen zu können, eine Zeit der Erwerbstätigkeit in den 240 Tagen vor ihrer Entbindung nachweisen muss. Frau Bergström hat diese gesamte Anwartschaftszeit durch Erwerbstätigkeit im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt.

37      Unstreitig stellt die von Frau Bergström beantragte Leistung eine Familienleistung im Sinne von Art. 1 Buchst. u Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 dar.

38      Die Antwort auf die vorgelegte Frage erfordert die Auslegung von Art. 8 Buchst. c des Abkommens und von Art. 72 der Verordnung Nr. 1408/71, die für den Erwerb des Anspruchs auf die betreffende Leistung die Anwendung der sogenannten Zusammenrechnungsregel vorsehen.

39      Unter Berufung auf das Wort „Zusammenrechnung“ machen einige der Beteiligten, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, geltend, dass dieser Begriff logischerweise mindestens zwei in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten der Erwerbstätigkeit voraussetze. Daher könne der Mitgliedstaat des für die Gewährung einer Leistung zuständigen Trägers zu diesem Zweck vorsehen, dass eine Zeit der Erwerbstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sein müsse, was die Zugrundelegung einer einzigen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Zeit für den Erwerb eines Anspruchs auf eine Leistung der sozialen Sicherheit ausschließe.

40      Dieser Auslegung kann nicht gefolgt werden.

41      Sowohl der Wortlaut von Art. 8 Buchst. c des Abkommens als auch derjenige von Art. 72 der Verordnung Nr. 1408/71 sind völlig eindeutig. Nach der erstgenannten Bestimmung umfasst die Zusammenrechnung „alle“ nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigten „Versicherungszeiten“, während die Letztgenannte verlangt, dass im Rahmen der Zusammenrechnung „Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat“ berücksichtigt werden, als handelte es sich um Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Trägers zurückgelegt worden sind.

42      Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde auf der Grundlage von Art. 51 EWG-Vertrag (dann Art. 51 EG-Vertrag, später nach Änderung Art. 42 EG) erlassen, der den Rat der Europäischen Union ermächtigt, die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen zu erlassen, wobei er zu diesem Zweck insbesondere ein System einführt, welches aus- und einwandernden Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen die Zusammenrechnung „aller“ nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten „Zeiten“ für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen sichert.

43      Diese Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel des Abkommens, das darin besteht, die Freizügigkeit der Personen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Gemeinschaft zu gewährleisten. Sie wahrt auch den in Art. 8 Buchst. a des Abkommens verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung, da sie gewährleistet, dass die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit nicht bewirkt, dass dem Wandererwerbstätigen Vergünstigungen der sozialen Sicherheit im Vergleich zu anderen Erwerbstätigen, die dieses Recht nicht ausgeübt haben, entzogen werden.

44      Somit kann der zuständige Träger eines Mitgliedstaats für die Gewährung einer Familienleistung nicht verlangen, dass neben einer in einem anderen Staat, hier der Schweiz, zurückgelegten Beschäftigungs- oder Erwerbstätigkeitszeit eine weitere Versicherungszeit in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sein muss.

45      Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, wenn die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Gewährung einer Familienleistung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig machen, nach Art. 8 Buchst. c des Abkommens und Art. 72 der Verordnung Nr. 1408/71 für die Gewährung dieser Familienleistung solche Zeiten berücksichtigen muss, die vollständig im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt wurden.

 Zur zweiten Frage

46      Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob, falls die erste Frage zu bejahen ist, aus dem Abkommen und der Verordnung Nr. 1408/71 folgt, dass ein in der Schweiz erzieltes Einkommen aus Erwerbstätigkeit dem inländischen Einkommen gleichgestellt ist, das in Schweden zur Berechnung des Betrags der beantragten Familienleistung dient.

47      Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass Frau Bergström eine Familienleistung in Höhe des Krankengelds beantragt hat, das nach den Bestimmungen für die Krankenversicherung festgesetzt wird (Elterngeld in Höhe des Krankengelds). Diese Familienleistung steht im Zusammenhang mit dem jährlichen Einkommen des Sozialversicherten aus Erwerbstätigkeit.

48      In einem solchen Fall sind daher bei der Berechnung des Betrags der Familienleistungen dieser besonderen Kategorie die einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 für den Zweig „Krankheit“ der sozialen Sicherheit zu berücksichtigen.

49      Diese Bestimmungen enthält Art. 23 der Verordnung Nr. 1408/71. Unabhängig davon, ob sich die Bestimmung des Einkommens, das bei der Berechnung der Geldleistungen zugrunde zu legen ist, aus der Anwendung von Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels ergibt, wird dieses Einkommen entweder aufgrund der Arbeitsentgelte oder ‑einkommen, die für die nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Trägers zurückgelegten Zeiten festgestellt worden sind, oder aufgrund des pauschalen Arbeitsentgelts oder pauschalen Arbeitseinkommens oder gegebenenfalls des Durchschnitts der pauschalen Arbeitsentgelte oder pauschalen Arbeitseinkommen für Zeiten, die nach diesen Rechtsvorschriften, also im vorliegenden Fall den schwedischen, zurückgelegt wurden, ermittelt.

50      Eine solche Lösung steht im Einklang mit der in zeitlicher Hinsicht anwendbaren Bestimmung in Anhang VI Abschnitt N Nr. 1 der Verordnung Nr. 1408/71, wonach bei Anwendung des Art. 72 dieser Verordnung zur Feststellung eines Anspruchs auf Erziehungsgeld die in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungszeiten so berücksichtigt werden, als lägen ihnen die gleichen Durchschnittseinkommen zugrunde wie den schwedischen Versicherungszeiten.

51      Im Ausgangsverfahren hat Frau Bergström jedoch in der Anwartschaftszeit von 240 Tagen in Schweden kein Einkommen erzielt.

52      In einem solchen Fall muss, damit Art. 8 Buchst. c des Abkommens und Art. 72 der Verordnung Nr. 1408/71, wie sie in Randnr. 45 des vorliegenden Urteils ausgelegt worden sind, praktische Wirksamkeit erlangen und dem Gebot der Gleichbehandlung in Art. 8 Buchst. a des Abkommens sowie in Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung genügt wird, das krankengeldwirksame Einkommen von Frau Bergström unter Berücksichtigung des Einkommens einer Person berechnet werden, die in Schweden eine Tätigkeit ausübt und über eine berufliche Erfahrung und berufliche Qualifikationen verfügt, die mit denen von Frau Bergström vergleichbar sind.

53      Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 8 Buchst. a des Abkommens sowie Art. 3 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und 2, Art. 72 und Anhang VI Abschnitt N Nr. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen sind, dass die Höhe einer Familienleistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, falls sie nach den Bestimmungen für die Leistungen bei Krankheit zu berechnen ist, für eine Person, die die für den Erwerb dieses Anspruchs erforderlichen Zeiten einer Erwerbstätigkeit zur Gänze im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei zurückgelegt hat, unter Berücksichtigung des Einkommens einer Person zu berechnen ist, die über eine Erfahrung und Qualifikationen verfügt und im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem diese Leistung beantragt wird, eine Tätigkeit ausübt, die mit denen der erstgenannten Person vergleichbar sind.

 Kosten

54      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 8 Buchst. c des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999, und Art. 72 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, wenn die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats die Gewährung einer Familienleistung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen von der Zurücklegung von Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig machen, für die Gewährung dieser Familienleistung solche Zeiten berücksichtigen muss, die vollständig im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt wurden.

2.      Art. 8 Buchst. a des Abkommens sowie Art. 3 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 und 2, Art. 72 und Anhang VI Abschnitt N Nr. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sind dahin auszulegen, dass die Höhe einer Familienleistung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, falls sie nach den Bestimmungen für die Leistungen bei Krankheit zu berechnen ist, für eine Person, die die für den Erwerb dieses Anspruchs erforderlichen Zeiten einer Erwerbstätigkeit zur Gänze im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei zurückgelegt hat, unter Berücksichtigung des Einkommens einer Person zu berechnen ist, die über eine Erfahrung und Qualifikationen verfügt und im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem diese Leistung beantragt wird, eine Tätigkeit ausübt, die mit denen der erstgenannten Person vergleichbar sind.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Schwedisch.