Language of document : ECLI:EU:T:2011:288

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

16. Juni 2011(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Preisfestsetzung – Marktaufteilung – Manipulation von Ausschreibungen – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Beweislast“

In der Rechtssache T‑210/08

Verhuizingen Coppens NV mit Sitz in Bierbeek (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte J. Stuyck und I. Buelens,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet und S. Noë als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C(2008) 926 def. der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38.543 – Internationale Umzugsdienste) und, hilfsweise, Aufhebung oder Ermäßigung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße

erlässt

DAS GERICHT (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters S. Papasavvas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten sowie der Richter N. Wahl und A. Dittrich (Berichterstatter),

Kanzler: J. Plingers, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2010

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

 Gegenstand des Rechtsstreits

1        Nach der Entscheidung C(2008) 926 def. der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR‑Abkommen (Sache COMP/38.543 – Internationale Umzugsdienste) (im Folgenden: Entscheidung), von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 11. August 2009 (ABl. C 188, S. 16) veröffentlicht wurde, beteiligte sich die Klägerin, die Verhuizingen Coppens NV, an einem auf dem Markt für internationale Umzugsdienste in Belgien bestehenden Kartell zur unmittelbaren und mittelbaren Preisfestsetzung, zur Marktaufteilung und zur Manipulation des Verfahrens zur Einreichung von Angeboten. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften führt aus, dass das Kartell fast 19 Jahre lang bestanden habe (von Oktober 1984 bis September 2003). Die Teilnehmer hätten Preise festgesetzt, den Kunden fiktive Kostenvoranschläge (sogenannte Schutzangebote) vorgelegt und sich untereinander über ein System von Abstandszahlungen (im Folgenden: Provisionen) für abgelehnte Angebote entschädigt.

 Klägerin

2        Die Vorgängerin der Klägerin wurde vor etwa 30 Jahren von Herrn Coppens gegründet. Diese Gesellschaft war Gegenstand einer Sacheinlage in das Kapital von Verhuizingen Coppens (im Folgenden: Coppens) bei deren Gründung im Mai 1998. In der Entscheidung heißt es, dass Herr Coppens alle die Gesellschaft betreffenden Entscheidungen treffe. Vor Mai 1998 habe er dies als alleiniger Eigentümer getan und seit Mai 1998 als geschäftsführender Direktor. In dem am 31. Dezember 2006 abgeschlossenen Geschäftsjahr erwirtschaftete Coppens einen weltweiten konsolidierten Umsatz von 1 046 318 Euro.

 Verwaltungsverfahren

3        Der Entscheidung zufolge leitete die Kommission das Verfahren auf eigene Initiative ein, da sie über Informationen verfügte, die darauf hinwiesen, dass sich einige im Sektor für internationale Umzüge tätige belgische Gesellschaften an Vereinbarungen beteiligten, die geeignet waren, unter das Verbot des Art. 81 EG zu fallen.

4        Daher wurden auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] (ABl. Nr. 13, S. 204), im September 2003 bei Allied Arthur Pierre NV, Interdean NV, Transworld International NV und Ziegler SA Nachprüfungen durchgeführt. Im Anschluss an diese Nachprüfungen beantragte Allied Arthur Pierre den Erlass oder die Ermäßigung ihrer Geldbuße gemäß der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3). Allied Arthur Pierre räumte ihre Beteiligung an Provisions‑ und Schutzangebotsvereinbarungen ein, benannte die beteiligten Wettbewerber, insbesondere einen den Dienststellen der Kommission vorher nicht bekannten Beteiligten, und legte Dokumente vor, die ihre mündlichen Angaben bestätigten.

5        Die an den wettbewerbswidrigen Vereinbarungen beteiligten Unternehmen, die Wettbewerber und ein Berufsverband wurden gemäß Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) schriftlich ersucht, Auskünfte zu erteilen. Am 18. Oktober 2006 erging die Mitteilung der Beschwerdepunkte und wurde mehreren Gesellschaften übermittelt. Alle Adressaten antworteten auf diese Mitteilung. Ihre Vertreter, mit Ausnahme derjenigen der Amertranseuro International Holdings Ltd, der Stichting Administratiekantoor Portielje, der Team Relocations Ltd und der Trans Euro Ltd, machten ihr Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Kommissionsakte geltend, die lediglich in den Diensträumen der Kommission einsehbar waren. Der Zugang wurde ihnen vom 6. bis 29. November 2006 gewährt. Die mündliche Anhörung fand am 22. März 2007 statt.

6        Am 11. März 2008 erließ die Kommission die Entscheidung.

 Entscheidung

7        Die Kommission stellt fest, dass die Adressaten der Entscheidung, darunter die Klägerin, an einem Kartell im Sektor für internationale Umzugsdienste in Belgien beteiligt gewesen seien oder dafür haftbar gemacht würden. Die Kartellteilnehmer hätten mindestens von 1984–2003 Preise festgesetzt, Kunden untereinander aufgeteilt und die Einreichung von Angeboten manipuliert. Damit hätten sie eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG begangen.

8        Die betreffenden Dienstleistungen würden sowohl für natürliche Personen – Privatpersonen oder Mitarbeiter von Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen – als auch für Unternehmen und öffentliche Einrichtungen erbracht. Dabei bilde Belgien entweder den Ausgangs- oder den Zielort der Umzüge. Da zudem die fraglichen internationalen Umzugsunternehmen alle ihren Sitz in Belgien hätten und das Kartell seine Tätigkeit in Belgien entfalte, sei Belgien als das geografische Zentrum des Kartells anzusehen.

9        Die mit internationalen Umzugsdiensten in Belgien erzielten kumulierten Umsätze aller Kartellteilnehmer schätzte die Kommission für 2002 auf 41 Mio. Euro. Da sie die Größe des Sektors auf ungefähr 83 Mio. Euro schätzte, setzte sie den kumulierten Marktanteil der beteiligten Unternehmen auf etwa 50 % fest.

10      Nach Ansicht der Kommission war das Kartell u. a. darauf gerichtet, erhöhte Preise zu etablieren und aufrechtzuerhalten und den Markt gleichzeitig oder nachfolgend untereinander aufzuteilen, und zwar in verschiedenen Formen: Preisvereinbarungen, Vereinbarungen über die Marktaufteilung mittels eines Systems fiktiver Kostenvoranschläge (Schutzangebote) und Vereinbarungen über ein System von Abstandszahlungen für abgelehnte oder unterlassene Angebote (Provisionen).

11      Von 1984 bis Anfang der 90er Jahre habe das Kartell insbesondere auf der Grundlage von schriftlichen Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen funktioniert. Parallel dazu seien die Provisionen und Schutzangebote eingeführt worden. Eine Provision sei ein versteckter Bestandteil des Endpreises, den der Verbraucher habe bezahlen müssen, ohne eine entsprechende Leistung zu erhalten. Es handele sich nämlich um einen Geldbetrag, den das Umzugsunternehmen, das den Vertrag über einen internationalen Umzug erhalten habe, den Wettbewerbern geschuldet habe, die den Vertrag nicht erhalten hätten, gleichviel, ob diese ebenfalls ein Angebot abgegeben hätten oder nicht. Es handele sich also um eine Art finanzieller Entschädigung für die Umzugsunternehmen, die den Vertrag nicht erhalten hätten. Die Kartellmitglieder hätten sich gegenseitig Rechnungen über die Provisionen für die abgelehnten oder nicht abgegebenen Angebote ausgestellt, dabei fiktive Leistungen aufgeführt und den Kunden den Betrag dieser Provisionen in Rechnung gestellt. Diese Praxis sei als eine mittelbare Festsetzung der Preise für internationale Umzugsdienste in Belgien anzusehen.

12      Die Kartellmitglieder hätten ferner zusammengearbeitet, um Schutzangebote abzugeben, die den Kunden, d. h. den Arbeitgebern, die den Umzug bezahlt hätten, den irrigen Eindruck vermittelt hätten, sie könnten anhand von wettbewerbsbasierten Kriterien eine Wahl treffen. Bei einem Schutzangebot handele es sich um einen fiktiven Kostenvoranschlag, den ein Umzugsunternehmen einem Kunden oder dem Umziehenden vorgelegt habe, ohne die Absicht zu haben, den Umzug durchzuführen. Für die Abgabe von Schutzangeboten habe das Umzugsunternehmen, das den Vertrag habe abschließen wollen (im Folgenden: anforderndes Unternehmen), dafür gesorgt, dass die Einrichtung oder das Unternehmen mehrere Kostenvoranschläge erhalten habe, entweder unmittelbar oder über die Person, die habe umziehen wollen. Dafür habe das anfordernde Unternehmen seinen Wettbewerbern den Preis, den Versicherungstarif und die Einlagerungskosten mitgeteilt, die sie für die Leistung in Rechnung stellen sollten. Dieser im Vergleich zu dem des anfordernden Unternehmens höhere Preis sei dann in den Schutzangeboten angegeben worden. Da ein Arbeitgeber gewöhnlich das Umzugsunternehmen wähle, das das günstigste Angebot abgebe, hätten die für denselben internationalen Umzug bietenden Unternehmen grundsätzlich im Voraus gewusst, wer von ihnen den Vertrag für diesen Umzug erhalten werde.

13      Nach Auffassung der Kommission konnte der von dem anfordernden Unternehmen verlangte Preis zudem höher sein, als er es sonst gewesen wäre, weil die anderen für denselben Umzug bietenden Unternehmen Schutzangebote abgegeben hätten, in denen der vom anfordernden Unternehmen vorgegebene Preis genannt gewesen sei. Als Beispiel führt die Kommission im 233. Erwägungsgrund der Entscheidung eine interne E-Mail von Allied Arthur Pierre vom 11. Juli 1997 an, in der es heißt: „[D]er Kunde hat zwei [Schutzangebote] angefordert, wir können also einen höheren Preis verlangen.“ Die Kommission ist daher der Meinung, dass die Abgabe von Schutzangeboten gegenüber Kunden eine Manipulation des Verfahrens zur Einreichung von Angeboten dargestellt habe, so dass die Preise in allen Angeboten absichtlich höher gewesen seien als der Preis des anfordernden Unternehmens und jedenfalls höher, als sie es in einem Umfeld mit funktionierendem Wettbewerb gewesen wären.

14      Solche Absprachen seien bis 2003 getroffen worden. Diese komplexen Tätigkeiten hätten dasselbe Ziel gehabt, nämlich, die Preise festzusetzen und den Markt aufzuteilen und damit den Wettbewerb zu verfälschen.

15      Im Ergebnis stellte die Kommission in Art. 1 des verfügenden Teils der Entscheidung fest:

„Die folgenden Unternehmen haben gegen Artikel 81 Absatz 1 [EG] verstoßen, indem sie während der nachstehenden Zeiträume unmittelbar und mittelbar Preise für Auslandsumzüge von und nach Belgien festsetzten, den Markt teilweise untereinander aufteilten und das Verfahren zur Einreichung von Angeboten manipulierten:

i)      [Coppens] vom 13. Oktober 1992 bis 29. Juli 2003;

…“

16      Die Kommission verhängte deshalb in Art. 2 Buchst. k der Entscheidung gegen die Klägerin eine Geldbuße in Höhe von 104 000 Euro.

17      Für die Berechnung der Höhe der Geldbußen bediente sich die Kommission in der Entscheidung der Methode, die in ihren Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2, im Folgenden: Leitlinien von 2006) niedergelegt ist.

 Verfahren und Anträge der Parteien

18      Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 4. Juni 2008 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

19      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Achte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. In der Sitzung am 5. Mai 2010 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

20      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

–        Art. 2 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

–        hilfsweise, die Geldbuße erheblich zu ermäßigen und auf einen Betrag festzusetzen, der höchstens 10 % ihres Umsatzes auf dem Markt für internationale Umzugsdienste entspricht;

–        jedenfalls der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

21      Die Kommission beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

22      Die Klägerin trägt zwei Hauptklagegründe und einen Hilfsklagegrund für die Aufhebung oder Ermäßigung der Geldbuße vor.

23      Der erste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen Art. 81 Abs. 1 EG.

24      Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. Die Klägerin bestreitet erstens die Feststellung, sie habe sich an einem komplexen Kartell beteiligt, und verweist auf ihre begrenzte Rolle. Zweitens wendet sie sich gegen die Bestimmung der Dauer ihrer Kartellbeteiligung. Drittens wirft sie der Kommission vor, das relative Gewicht ihrer Teilnahme nicht gewürdigt zu haben.

 Vorbringen der Parteien

25      Zum ersten Teil des Klagegrundes hebt die Klägerin hervor, dass ihr nur die Erstellung von Schutzangeboten zur Last gelegt werde. Die Kommission stelle im 296. Erwägungsgrund der Entscheidung ausdrücklich fest, dass Coppens das einzige Unternehmen sei, das nicht an der Provisionsvereinbarung beteiligt gewesen sei. Die Kommission habe auch nicht dargetan, dass die Klägerin Kenntnis von dieser Vereinbarung gehabt habe. Folglich sei die Schlussfolgerung der Kommission im 345. Erwägungsgrund der Entscheidung, die Klägerin habe sich an allen fraglichen Verhaltensweisen beteiligt, falsch. Zudem hätten die Vereinbarungen über die Schutzangebote an sich keinen wettbewerbsbeschränkenden Zweck oder Effekt. Der Klägerin sei es nämlich nicht möglich gewesen, alle Wettbewerber zu kennen, von denen der Kunde einen Kostenvoranschlag habe anfordern können, so dass die Klägerin nicht habe wissen können, ob sie höhere Preise hätte verlangen können. So sei der Umzug nur in etwa 23 % der Fälle, in denen sie Schutzangebote von anderen Kartellmitgliedern angefordert habe, tatsächlich von ihr durchgeführt worden.

26      In der Erwiderung beruft sich die Klägerin ferner auf die Urteile des Gerichtshofs vom 30. Juni 1966, LTM (56/65, Slg. 1966, 282), vom 9. Juli 1969, Völk (5/69, Slg. 1969, 295), und vom 28. Februar 1991, Delimitis (C‑234/89, Slg. 1991, I‑935), um die Anwendbarkeit des Art. 81 EG anzuzweifeln.

27      Die Kommission trägt vor, dass es unerheblich sei, ob der Wettbewerb durch Scheinangebote oder Provisionen verfälscht werde, denn es handele sich in beiden Fällen um eine Wettbewerbsverzerrung, die im Allgemeinen für den Kunden eine Preiserhöhung zur Folge habe. Daher könnten die verschiedenen Formen des Kartells als eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG angesehen werden. Die Klägerin leugne nicht, dass sie von der Existenz der Provisionsvereinbarung gewusst habe. Die im vorliegenden Fall festgestellte Zuwiderhandlung falle nicht unter die De-minimis-Regel, da die Teilnehmer auf dem Markt für internationale Umzüge zusammengenommen eine sehr bedeutende Stellung innehätten.

 Würdigung durch das Gericht

28      Hinsichtlich des ersten Teils des Klagegrundes steht fest, dass sich die aktive Beteiligung der Klägerin am Kartell auf die Erstellung von Schutzangeboten beschränkt hat (vgl. die Erwägungsgründe 173 und 296 der Entscheidung). Nach den Feststellungen der Kommission ist Coppens nämlich das einzige Unternehmen, das nicht an den Provisionsvereinbarungen beteiligt war.

29      Die Klägerin bestreitet jedoch, an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung teilgenommen zu haben. Hierzu ist auf die Rechtsprechung zu verweisen, nach der ein Unternehmen, das sich an einer vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch eigene Handlungen beteiligt hat, die den Begriff der auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG erfüllen und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollen, für die ganze Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das andere Unternehmen im Rahmen dieser Zuwiderhandlung an den Tag legen, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten weiß oder es vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnrn. 87 und 203). Um ein Unternehmen für eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung zur Verantwortung zu ziehen, ist also die (bewiesene oder vermutete) Kenntnis von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Teilnehmer an der Zuwiderhandlung erforderlich.

30      Die bloße Tatsache, dass eine Vereinbarung, an der ein Unternehmen teilgenommen hat, und ein Gesamtkartell den gleichen Gegenstand haben, genügt nicht, um diesem Unternehmen die Beteiligung am Gesamtkartell zur Last zu legen. Nur dann nämlich, wenn das Unternehmen, als es an dieser Vereinbarung teilnahm, wusste oder hätte wissen müssen, dass es sich damit in das Gesamtkartell eingliederte, kann seine Teilnahme an der betreffenden Vereinbarung Ausdruck seines Beitritts zum Gesamtkartell sein (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, Sigma Tecnologie/Kommission, T‑28/99, Slg. 2002, II‑1845, Randnr. 45).

31      Die Kommission hat jedoch nicht dargetan, dass die Klägerin, als sie an der Schutzangebotsvereinbarung teilnahm, von den wettbewerbswidrigen Aktivitäten der anderen Unternehmen betreffend die Provisionen wusste oder diese vernünftigerweise vorhersehen konnte. Die Kommission räumt nämlich ausdrücklich ein, dass die Entscheidung hinsichtlich der Kenntnis der Klägerin von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen Teilnehmer nicht auf konkreten Beweisen beruhe. Sie macht geltend, dass die Klägerin nicht bestreite, von der Provisionsvereinbarung gewusst und einen Hinweis darauf unterlassen zu haben, inwieweit sie über das Verhalten der anderen Teilnehmer an der Zuwiderhandlung informiert gewesen sei. Jedoch ist die Klägerin keineswegs verpflichtet, von sich aus darzulegen, inwieweit sie über das Verhalten der anderen Teilnehmer an der Zuwiderhandlung informiert war, da die Beweislast bei der Kommission liegt. Diese muss zunächst den Beweis für eine Tatsache vorlegen, bevor die Klägerin diese bestreiten kann. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt, dass sie von den Provisionsvereinbarungen nicht gewusst habe. Demnach hat die Kommission ihrer Beweislast nicht genügt.

32      Unter diesen Umständen durfte die Kommission nicht von der Beteiligung der Klägerin an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung ausgehen.

33      Für die Frage, welche Konsequenzen aus dieser Schlussfolgerung zu ziehen sind, ist es unerheblich, dass der einheitliche und fortgesetzte Charakter der Zuwiderhandlung nicht im verfügenden Teil der Entscheidung erwähnt ist. Erstens ist nämlich die Entscheidungspraxis der Kommission in dieser Hinsicht nicht einheitlich. Während die Kommission den einheitlichen und fortgesetzten Charakter im verfügenden Teil einiger ihrer Entscheidungen ausdrücklich festgestellt hat (vgl. z. B. Art. 1 der Entscheidung C[2006] 4180 der Kommission vom 20. September 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen [Sache COMP/F-1/38.121 – Raccords], von der eine Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 27. Oktober 2007 [ABl. L 283, S. 63] veröffentlicht wurde), hat sie dies in anderen Entscheidungen wie in der hier angefochtenen nicht getan. Die Reichweite der Nichtigerklärung kann jedoch nicht davon abhängen, ob sich die Kommission dazu entschließt, diese Feststellung in den verfügenden Teil der Entscheidung aufzunehmen oder nicht.

34      Zweitens ist der verfügende Teil eines Rechtsakts untrennbar mit seiner Begründung verbunden, so dass er gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Gründe, die zu seinem Erlass geführt haben, auszulegen ist (vgl. Beschluss des Gerichts vom 30. April 2007, EnBW Energie Baden-Württemberg/Kommission, T‑387/04, Slg. 2007, II‑1195, Randnr. 127 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zwar kann allein der verfügende Teil einer Entscheidung Rechtswirkungen erzeugen, doch können die Feststellungen in den Gründen einer Entscheidung der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Unionsrichter unterliegen, soweit sie als Begründung einer beschwerenden Maßnahme die tragenden Gründe für den verfügenden Teil dieser Maßnahme darstellen oder wenn diese Begründung geeignet ist, den materiellen Gehalt des verfügenden Teils der fraglichen Maßnahme zu ändern (vgl. Urteil des Gerichts vom 1. Juli 2009, KG Holding u. a./Kommission, T‑81/07 bis T‑83/07, Slg. 2009, II‑2411, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Wie sich aber klar aus der Begründung der Entscheidung und insbesondere aus den Erwägungsgründen 307 und 345 ergibt, zieht die Kommission die Klägerin für ihre angenommene Beteiligung an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zur Verantwortung. Dass die Kommission trotz der begrenzten Beteiligung der Klägerin für die Berücksichtigung der Schwere der Zuwiderhandlung, an der die Klägerin beteiligt war, 17 % der Umsätze angesetzt hat, also den auf alle fraglichen Unternehmen angewandten einheitlichen Satz, lässt sich zudem nur damit erklären, dass sie der Meinung ist, die Klägerin habe an einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung teilgenommen. Schließlich scheint sich dieser Charakter der Zuwiderhandlung auch auf die Beurteilung der Dauer der Beteiligung an der Zuwiderhandlung ausgewirkt zu haben (vgl. den 380. Erwägungsgrund der Entscheidung und das Urteil vom heutigen Tag, Gosselin/Kommission, T‑208/08, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 167).

36      Daher sind, obwohl die Beteiligung an einem Schutzangebots-System an sich eine mit Geldbuße bewehrte Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG darstellen kann, Art. 1 Buchst. i und Art. 2 Buchst. k der Entscheidung entsprechend dem Antrag der Klägerin für nichtig zu erklären.

37      Nach alledem sind die weiteren Teile des vorliegenden Klagegrundes und die weiteren von der Klägerin angeführten Klagegründe nicht mehr zu prüfen.

 Kosten

38      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Achte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 1 Buchst. i und Art. 2 Buchst. k der Entscheidung C(2008) 926 def. der Kommission vom 11. März 2008 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/38.543 – Internationale Umzugsdienste) werden für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Papasavvas

Wahl

Dittrich

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Juni 2011.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.