Language of document : ECLI:EU:C:2014:302

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

8. Mai 2014(*)

„Richtlinie 2004/83/EG – Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus – Richtlinie 2005/85/EG – Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft – Nationale Verfahrensregel, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abhängig macht – Zulässigkeit – Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten – Effektivitätsgrundsatz – Recht auf eine gute Verwaltung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 41 – Unparteilichkeit und Zügigkeit des Prüfungsverfahrens“

In der Rechtssache C‑604/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Dezember 2012, in dem Verfahren

H. N.

gegen

Minister for Justice, Equality and Law Reform,

Ireland,

Attorney General

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten Kammer, der Richter M. Safjan und J. Malenovský sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von H. N., vertreten durch T. Coughlan, Solicitor, J. O’Reilly, SC, und M. McGrath, BL,

–        des Minister for Justice, Equality and Law Reform, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und C. Pochet als Bevollmächtigte,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2013

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, berichtigt in ABl. 2005, L 204, S. 24) sowie des Art. 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn N., einem pakistanischen Staatsangehörigen, und dem Minister for Justice, Equality and Law Reform (im Folgenden: Minister), Irland und dem Attorney General über die Ablehnung des Ministers, den Antrag auf subsidiären Schutzstatus bei Fehlen eines vorherigen Antrags auf Anerkennung als Flüchtling zu prüfen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Die Richtlinie 2004/83

3        Die Erwägungsgründe 5, 6 und 24 der Richtlinie 2004/83 lauten:

„(5)      In den Schlussfolgerungen von Tampere ist ferner festgehalten, dass die Vorschriften über die Flüchtlingseigenschaft durch Maßnahmen über die Formen des subsidiären Schutzes ergänzt werden sollten, die einer Person, die eines solchen Schutzes bedarf, einen angemessenen Status verleihen.

(6)      Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie ist es einerseits, ein Mindestmaß an Schutz in allen Mitgliedstaaten für Personen zu gewährleisten, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

(24)      Ferner sollten Mindestnormen für die Bestimmung und die Merkmale des subsidiären Schutzstatus festgelegt werden. Der subsidiäre Schutzstatus sollte die im [am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Band 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), in Kraft getreten am 22. April 1954 (im Folgenden: Genfer Konvention)] festgelegte Schutzregelung für Flüchtlinge ergänzen.“

4        Nach Art. 2 Buchst. a, c, e und f der Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke:

„a)      ‚internationaler Schutz‘ die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus im Sinne der Buchstaben d) und f);

c)      ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;

e)      ‚Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz‘ einen Drittstaatsangehörigen …, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt, der aber stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland … tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Artikel[s] 15 zu erleiden …;

f)      ‚subsidiärer Schutzstatus‘ die Anerkennung eines Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen durch einen Mitgliedstaat als Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat“.

5        In Kapitel V („Voraussetzungen für den Anspruch auf subsidiären Schutz“) bestimmt Art. 15 („Ernsthafter Schaden“) Buchst. c, dass als ein solcher Schaden gilt:

„eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“.

6        Art. 18 der Richtlinie 2004/83 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und V erfüllt, den subsidiären Schutzstatus zu.“

 Die Richtlinie 2005/85/EG

7        Die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13, berichtigt in ABl. 2006, L 236, S. 36) sieht in ihrem Art. 3 Abs. 3 und 4 vor:

„(3)      Wenn Mitgliedstaaten ein Verfahren anwenden oder einführen, nach dem Asylanträge sowohl als Anträge aufgrund der Genfer Flüchtlingskonvention als auch als Anträge auf Gewährung anderer Formen internationalen Schutzes, der unter den in Artikel 15 der Richtlinie 2004/83/EG definierten Umständen gewährt wird, geprüft werden, wenden sie die vorliegende Richtlinie während des gesamten Verfahrens an.

(4)      Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie bei Verfahren anzuwenden, mit denen über Anträge auf Gewährung irgendeiner Form des internationalen Schutzes entschieden wird.“

8        Nach Art. 23 Abs. 4 dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Prüfverfahren für die Anerkennung als Flüchtling beschleunigt durchzuführen, insbesondere dann, wenn der Antragsteller offensichtlich nicht als solcher anzuerkennen ist.

 Irisches Recht

9        In Irland ist bei der Gewährung von internationalem Schutz zwischen zwei Arten von Anträgen zu unterscheiden, nämlich:

–        dem Antrag auf Asyl und, falls dieser abgelehnt wird,

–        dem Antrag auf subsidiären Schutz.

10      In diesem Mitgliedstaat ist jeder der beiden Anträge Gegenstand eines spezifischen Verfahrens, wobei das eine nach dem anderen durchgeführt wird.

11      Die Bestimmungen zur Regelung der Behandlung von Anträgen auf Asyl sind im Wesentlichen im Flüchtlingsgesetz von 1996 (Refugee Act 1996) in seiner zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens geltenden Fassung enthalten.

12      Section 3 des Einwanderungsgesetzes von 1999 (Immigration Act 1999) überträgt dem Minister die Befugnis, die Abschiebung von Personen anzuordnen, u. a. nach Section 3(2)(f) „einer Person, deren Asylantrag vom [Minister] abgelehnt worden ist“.

13      Die Regelungen über das Verfahren über Anträge auf subsidiären Schutz finden sich in der Verordnung von 2006 über die Europäischen Gemeinschaften (Voraussetzungen für die Gewährung von Schutz) (European Communities [Eligibility for Protection] Regulations 2006 [Statutory Instrument n° 518/2006]), die insbesondere die Umsetzung der Richtlinie 2004/83 zum Gegenstand hat (im Folgenden: Verordnung von 2006).

14      In Regulation 3 dieser Verordnung wird Folgendes festgelegt:

„(1)      … [D]iese Verordnung findet Anwendung auf folgende … Entscheidungen …

(c)       die Mitteilung der Absicht, eine Abschiebung nach Section 3(3) des [Einwanderungsgesetzes von 1999] in Bezug auf eine Person anzuordnen, auf die sich Subsection (2)(f) dieser Section bezieht …“

15      Regulation 4 der Verordnung bestimmt:

„(1)(a) Die Mitteilung eines Vorschlags nach Section 3(3) des [Einwanderungsgesetzes von 1999] muss den Hinweis enthalten, dass eine Person, auf die Section 3(2)(f) dieses Gesetzes Anwendung findet und die meint, Anspruch auf subsidiären Schutz zu haben, neben den Erklärungen, die sie nach Section 3(3)(b) des Gesetzes abgeben kann, innerhalb der in der Mitteilung genannten Frist von 15 Tagen beim Minister einen Antrag auf subsidiären Schutz stellen kann.

(2)      Der Minister ist nicht verpflichtet, einen Antrag auf subsidiären Schutz zu prüfen, der von einer Person gestellt wird, auf die Section 3(2)(f) des [Einwanderungsgesetzes von 1999] keine Anwendung findet, oder der nicht in der in Paragraph 1(b) genannten Form gestellt wird.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

16      Herr N. ist ein pakistanischer Staatsangehöriger, der im Verlauf des Jahres 2003 mit einem Studentenvisum nach Irland einreiste.

17      Nach einer Heirat mit einer irischen Staatsangehörigen erhielt er das Recht, sich bis zum 31. Dezember 2005 in Irland aufzuhalten.

18      Am 23. Februar 2006 teilte der Minister Herrn N. zum einen mit, dass seine Aufenthaltsberechtigung aufgrund der Aufgabe der gemeinsamen Wohnung mit seiner Ehefrau nicht verlängert werde, und zum anderen, dass er erwäge, kraft gesetzlicher Befugnisse eine Abschiebungsanordnung zu erlassen.

19      Am 16. Juni 2009 beantragte Herr N., ohne zuvor einen Antrag auf Asyl gestellt zu haben, beim Minister die Prüfung seines Antrags auf subsidiären Schutz, wobei er sich im Wesentlichen darauf berief, dass er – auch wenn er keine Verfolgung fürchte – eine Rückkehr in sein Heimatland aufgrund des Risikos, dort einen „ernsthaften Schaden“ im Sinne des Art. 15 der Richtlinie 2004/83 zu erleiden, fürchte.

20      Am 23. Juni 2009 teilte der Minister Herrn N. mit, dass sein Antrag auf subsidiären Schutz nicht geprüft werden könne, wobei er darauf verwies, dass ein Antrag auf subsidiären Schutz nach irischem Recht voraussetze, dass ein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückgewiesen worden sei.

21      Aufgrund weiterer Bemühungen von Herrn N., eine Prüfung seines Antrags auf subsidiären Schutz zu erreichen, wiederholte der Minister mit Schreiben vom 27. Juli 2009 die Begründung für die Ablehnung der Prüfung dieses Antrags.

22      Am 12. Oktober 2009 erhob Herr N. Klage auf gerichtliche Überprüfung der Entscheidung des Ministers, wobei er geltend machte, dass das die Richtlinie 2004/83 umsetzende nationale Recht ihm einen Anspruch auf Stellung eines „autonomen“ Antrags auf subsidiären Schutz zugestehen müsse.

23      Nachdem diese Klage abgewiesen wurde, legte Herr N. ein Rechtsmittel zum Supreme Court ein.

24      Unter diesen Voraussetzungen hat der Supreme Court beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Gestattet es die Richtlinie 2004/83, ausgelegt im Licht des Grundsatzes der guten Verwaltung im Recht der Europäischen Union und insbesondere gemäß Art. 41 der Charta, einem Mitgliedstaat, in seinem Recht vorzusehen, dass ein Antrag auf subsidiären Schutzstatus nur geprüft werden kann, wenn der Antragsteller im Einklang mit dem nationalen Recht einen abschlägig beschiedenen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt hat?

 Zur Vorlagefrage

25      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 2004/83 sowie das Recht auf eine gute Verwaltung dahin ausgelegt werden müssen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, die sich durch zwei getrennte und aufeinander aufbauende Verfahren zur Prüfung jeweils eines Antrags auf Asyl und eines Antrags auf subsidiären Schutz auszeichnet und die eine Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling abhängig macht.

26      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/83 im Rahmen des „internationalen Schutzes“ zwei unterschiedliche Schutzsysteme regelt, nämlich die Flüchtlingseigenschaft einerseits und den subsidiären Schutzstatus andererseits.

27      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass, wie aus den Erwägungsgründen 3, 16 und 17 der Richtlinie 2004/83 hervorgeht, die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen darstellt und die Bestimmungen dieser Richtlinie erlassen wurden, um die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Konvention auf der Grundlage gemeinsamer Konzepte und Kriterien zu leiten (Urteil X u. a., C‑199/12 bis C‑201/12, EU:C:2013:720, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Die Bestimmungen dieser Richtlinie sind daher im Licht der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention und einschlägigen anderen Verträgen, auf die Art. 78 Abs. 1 AEUV Bezug nimmt, auszulegen (Urteil Abed El Karem El Kott u. a., C‑364/11, EU:C:2012:826, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass der Wortlaut des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 eine Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz als einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen definiert, der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt.

30      Die Verwendung des Begriffs „subsidiär“ sowie der Wortlaut dieses Artikels zeigen, dass sich der subsidiäre Schutzstatus an Drittstaatsangehörige richtet, die keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben.

31      Darüber hinaus geht aus den Erwägungsgründen 5, 6 und 24 der Richtlinie 2004/83 hervor, dass durch die Mindestkriterien für die Gewährung des subsidiären Schutzes die Möglichkeit geschaffen werden soll, die in der Genfer Konvention festgelegte Schutzregelung für Flüchtlinge dadurch zu ergänzen, dass die Personen, die tatsächlich internationalen Schutz benötigen, bestimmt werden und ihnen ein angemessener Status verliehen wird (Urteil Diakité, C‑285/12, EU:C:2014:39, Rn. 33).

32      Aus diesen Elementen geht hervor, dass der in der Richtlinie 2004/83 vorgesehene subsidiäre Schutz eine Ergänzung zu der in der Genfer Konvention festgelegten Schutzregelung für Flüchtlinge darstellt.

33      Eine solche Auslegung entspricht im Übrigen den in Art. 78 Abs. 2 Buchst. a und b AEUV festgelegten Zielen, nach denen das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union Maßnahmen in Bezug auf ein gemeinsames europäisches Asylsystem erlassen, das insbesondere „einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige, die keinen europäischen Asylstatus erhalten, aber internationalen Schutz benötigen“, umfasst.

34      Im Übrigen ist es, wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 und 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, vor dem Hintergrund, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt, nicht notwendigerweise in der Lage ist, zu beurteilen, auf welchen Schutzstatus sich ihr Antrag bezieht, und weiterhin, dass die Flüchtlingseigenschaft einen weiter gehenden Schutz als den aus dem subsidiären Schutz folgenden gewährt, grundsätzlich Sache der zuständigen Behörde, den der Situation des Antragstellers am ehesten angemessenen Status zu bestimmen.

35      Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass ein Antrag auf subsidiären Schutz grundsätzlich nicht geprüft werden soll, bevor die zuständige Behörde nicht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Person, die internationalen Schutz beantragt, die Bedingungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllt.

36      Daraus folgt, dass die Richtlinie 2004/83 einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die eine Prüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling vor der Prüfung der Voraussetzungen für den subsidiären Schutz verlangt.

37      Es ist jedoch noch zu prüfen, ob andere Bestimmungen des Unionsrechts einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsfall in Rede stehenden entgegenstehen, die zwei getrennte Verfahren für die Prüfung des Antrags auf Asyl einerseits und des Antrags auf subsidiären Schutz andererseits vorschreibt und bei der der zweite Antrag erst nach Ablehnung des ersten Antrags gestellt werden kann.

38      In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass die Richtlinie 2004/83 keine Verfahrensvorschriften für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz enthält. Es ist vielmehr die Richtlinie 2005/85, die Mindestnormen für die Verfahren zur Prüfung der Anträge aufstellt und die Rechte der Asylbewerber regelt.

39      Allerdings findet die Richtlinie 2005/85 keine Anwendung auf Anträge auf subsidiären Schutz, sofern ein Mitgliedstaat nicht ein einheitliches Verfahren einführt, in dessen Rahmen er einen Antrag unter dem Aspekt der beiden Formen des internationalen Schutzes, nämlich der Anerkennung als Flüchtling und des subsidiären Schutzes, prüft (Urteil M., C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 79).

40      Wie aus Rn. 37 dieses Urteils hervorgeht, ist dies jedoch in Irland nicht der Fall.

41      In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften zum Verfahren für die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz bleiben die Mitgliedstaaten gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie hierfür unter Gewährleistung der Achtung der Grundrechte und der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts zum subsidiären Schutz zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteil VEBIC, C‑439/08, EU:C:2010:739, Rn. 64).

42      Daraus folgt, dass eine nationale Verfahrensregel wie die im Ausgangsfall in Rede stehende, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling abhängig macht, den subsidiären Schutz beantragenden Personen einen effektiven Zugang zu den ihnen durch die Richtlinie 2004/83 zuerkannten Rechten gewährleisten muss.

43      In diesem Zusammenhang ist, wie in den Rn. 29 bis 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die bloße Tatsache, dass ein Antrag auf subsidiären Schutz erst nach der Ablehnung der Anerkennung als Flüchtling geprüft wird, grundsätzlich nicht dazu geeignet, den effektiven Zugang der Personen, die subsidiären Schutz beantragen, zu den ihnen durch die Richtlinie 2004/83 zuerkannten Rechten in Frage zu stellen.

44      Eine Regelung wie die im Ausgangsfall in Rede stehende bringt es allerdings mit sich, dass ein Drittstaatsangehöriger, der ausschließlich subsidiären Schutz erhalten möchte, notwendigerweise zwei unterschiedliche Verfahrensetappen durchlaufen muss, obwohl diese Verdoppelung des Verfahrens auf Zuerkennung des internationalen Schutzes die Gefahr der Verlängerung dieses Verfahrens birgt und dementsprechend eine Verspätung der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz.

45      Die Wirksamkeit des Zugangs zum subsidiären Schutzstatus erfordert aber einerseits, dass der Antrag auf Anerkennung als Flüchtling und der Antrag auf subsidiären Schutz gleichzeitig gestellt werden können, und andererseits, dass die Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen wird, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein wird.

46      In diesem Zusammenhang müssen sowohl die Dauer der Prüfung des Antrags auf Anerkennung als Flüchtling berücksichtigt werden, die zu einer Zurückweisung dieses Antrags geführt hat, als auch die Dauer der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz.

47      Wenn ein Drittstaatsangehöriger einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, aus dem sich kein Anhaltspunkt für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung ergibt, hat die zuständige Behörde schnellstmöglich festzustellen, dass es sich um eine Person handelt, die nicht als Flüchtling anerkannt werden kann, so dass kurzfristig zur Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz übergegangen werden kann.

48      Die für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz zuständigen Behörden haben insbesondere die Möglichkeit, das Prüfverfahren für die Anerkennung als Flüchtling nach Art. 23 Abs. 4 der Richtlinie 2005/85 beschleunigt durchzuführen, wenn der Antragsteller offensichtlich nicht als „Flüchtling“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 anzuerkennen ist.

49      Hinsichtlich des in Art. 41 der Charta niedergelegten Rechts auf eine gute Verwaltung ist darauf hinzuweisen, dass dieses Recht einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts widerspiegelt.

50      Da im Ausgangsverfahren ein Mitgliedstaat Unionsrecht ausführt, sind die aus dem Recht auf eine gute Verwaltung folgenden Anforderungen, insbesondere das Recht jeder Person, dass ihre Angelegenheiten unparteiisch und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden, im Rahmen des von der zuständigen nationalen Behörde durchgeführten Verfahrens auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes, wie es im Ausgangsverfahren in Rede steht, anzuwenden.

51      Daher ist zu prüfen, ob es gegen das Recht auf eine gute Verwaltung verstößt, wenn ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht eine Verfahrensvorschrift vorsieht, nach der ein Antrag auf subsidiären Schutz Gegenstand eines gesonderten Verfahrens ist, das zwingend nach Ablehnung eines Antrags auf Asyl folgt.

52      Was speziell das Unparteilichkeitsgebot angeht, umfasst es insbesondere die objektive Unparteilichkeit in dem Sinne, dass die zuständige Behörde hinreichende Garantien bieten muss, um jeden berechtigten Zweifel in dieser Hinsicht auszuschließen (vgl. entsprechend Urteil Ziegler/Kommission, C‑439/11 P, EU:C:2013:513, Rn. 155).

53      Die Tatsache, dass eine nationale Behörde unter Umständen wie denen des Ausgangsfalls dem Antragsteller vor der Einleitung der Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz ihre Absicht mitteilt, eine Abschiebungsanordnung zu erlassen, reicht als solche nicht aus, um eine fehlende objektive Unparteilichkeit dieser Behörde zu begründen.

54      Tatsächlich ist unstreitig, dass diese Absicht der zuständigen Behörde ihren Grund in der Feststellung hat, dass der Drittstaatsangehörige nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling erfüllt. Diese Feststellung beinhaltet aber nicht, dass die zuständige Behörde bereits einen Standpunkt zu der Frage eingenommen hätte, ob dieser Staatsangehörige die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes erfüllt.

55      Daher läuft die im Ausgangsfall in Rede stehende Verfahrensvorschrift dem aus dem Recht auf eine gute Verwaltung folgenden Gebot der Unparteilichkeit nicht zuwider.

56      Allerdings gewährleistet dieses Recht ebenso wie die zwingend aus dem Effektivitätsgrundsatz folgenden Gebote, die in den Rn. 41 und 42 des vorliegenden Urteils ausgeführt sind, dass die Dauer des gesamten Prüfungsverfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz eine angemessene Zeitspanne nicht überschreitet, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

57      Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Richtlinie 2004/83 sowie der Effektivitätsgrundsatz und das Recht auf eine gute Verwaltung einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsfall in Rede stehenden nicht entgegenstehen, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling abhängig macht, solange zum einen der Antrag auf Anerkennung als Flüchtling und der Antrag auf subsidiären Schutz gleichzeitig gestellt werden können und zum anderen die nationale Verfahrensvorschrift nicht dazu führt, dass die Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz erst nach Ablauf einer unangemessen langen Frist abgeschlossen werden kann, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

 Kosten

58      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes sowie der Effektivitätsgrundsatz und das Recht auf eine gute Verwaltung stehen einer nationalen Verfahrensvorschrift wie der im Ausgangsfall in Rede stehenden nicht entgegen, die die Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz von der vorherigen Ablehnung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling abhängig macht, solange zum einen der Antrag auf Anerkennung als Flüchtling und der Antrag auf subsidiären Schutz gleichzeitig gestellt werden können und zum anderen die nationale Verfahrensvorschrift nicht dazu führt, dass die Prüfung des Antrags auf subsidiären Schutz erst nach Ablauf einer unangemessen langen Frist abgeschlossen werden kann, was das vorlegende Gericht zu prüfen haben wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.