Language of document : ECLI:EU:C:2007:56

Rechtssache C-278/05

Carol Marilyn Robins u. a.

gegen

Secretary of State for Work and Pensions

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division)

„Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers – Richtlinie 80/987/EWG – Umsetzung – Art. 8 – Betriebliche oder überbetriebliche Zusatzversorgungseinrichtungen – Leistungen bei Alter – Schutz erworbener Rechte – Umfang des Schutzes – Haftung eines Mitgliedstaats wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung einer Richtlinie – Voraussetzungen“

Leitsätze des Urteils

1.        Sozialpolitik – Rechtsangleichung – Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers – Richtlinie 80/987

(Richtlinie 80/987 des Rates, Art. 8)

2.        Sozialpolitik – Rechtsangleichung – Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers – Richtlinie 80/987

(Richtlinie 80/987 des Rates, Art. 8)

3.        Gemeinschaftsrecht – Dem Einzelnen verliehene Rechte – Verletzung durch einen Mitgliedstaat – Pflicht zum Ersatz des dem Einzelnen entstandenen Schadens

(Richtlinie 80/987 des Rates, Art. 8)

1.        Art. 8 der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist in dem Sinne auszulegen, dass die Finanzierung erworbener Rechte auf Leistungen bei Alter in dem Fall, dass der Arbeitgeber zahlungsunfähig wird und die Aktiva betrieblicher oder überbetrieblicher Zusatzversorgungseinrichtungen nicht ausreichen, weder zwangsläufig von den Mitgliedstaaten selbst sichergestellt werden noch vollständig sein muss.

Denn zum einen verpflichtet Art. 8 der Richtlinie, soweit er allgemein bestimmt, dass sich die Mitgliedstaaten „vergewissern …, dass die notwendigen Maßnahmen … getroffen werden“, sie seinem Wortlaut nach nicht, die Leistungsansprüche, die entsprechend der Richtlinie geschützt werden sollen, selbst zu finanzieren, sondern lässt ihnen einen Ermessensspielraum hinsichtlich des für diesen Schutz einzuführenden Mechanismus. Zum anderen räumt Art. 8 der Richtlinie, da er lediglich allgemein den Erlass der notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Betroffenen vorschreibt, den Mitgliedstaaten insoweit einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Festlegung des Schutzniveaus ein, der eine Pflicht zur vollständigen Absicherung ausschließt.

(vgl. Randnrn. 35-36, 45-46, Tenor 1)

2.        Art. 8 der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte auf Leistungen bei Alter aus Zusatzversorgungseinrichtungen getroffen werden, steht einem Schutzsystem entgegen, das in bestimmten Situationen auf eine Leistungsgarantie hinausläuft, die auf weniger als die Hälfte der Ansprüche begrenzt ist, die einem Arbeitnehmer zustanden.

Zwar enthält weder Art. 8 noch irgendeine andere Vorschrift dieser Richtlinie Anhaltspunkte, anhand deren sich das genaue Mindestniveau bestimmen lässt, das für den Schutz von Ansprüchen auf Leistungen aus Zusatzversorgungssystemen verlangt wird. In Anbetracht des zum Ausdruck gekommenen Willens des Gemeinschaftsgesetzgebers kann jedoch ein solches System nicht als der Definition des in Art. 8 der Richtlinie verwendeten Begriffs „Schutz“ entsprechend angesehen werden.

(vgl. Randnrn. 56-57, 62, Tenor 2)

3.        Die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, setzt voraus, dass die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, dass der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und dass zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht setzt voraus, dass der Mitgliedstaat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat, wobei zu den insoweit zu berücksichtigenden Gesichtspunkten insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift sowie der Umfang des Ermessensspielraums gehören, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belässt. Dieser Ermessensspielraum, der ein wichtiges Kriterium darstellt, hängt weitgehend vom Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift ab.

Art. 8 der Richtlinie 80/987 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, sich zu vergewissern, dass die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Interessen der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Rechte auf Leistungen bei Alter aus Zusatzversorgungseinrichtungen getroffen werden, räumt den Mitgliedstaaten wegen seines allgemein gehaltenen Wortlauts einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Festlegung des Niveaus für den Schutz der Leistungsansprüche ein. Folglich hängt die Haftung eines Mitgliedstaats wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung dieser Bestimmung von der Feststellung ab, dass dieser Staat die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt waren, offenkundig und erheblich überschritten hat.

Bei der Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, muss das mit einer Schadensersatzklage befasste nationale Gericht alle Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere – neben dem Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift und dem Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen Behörden belässt – die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, dass die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, dass nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden.

(vgl. Randnrn. 69-70, 72-77, 82, Tenor 3)