Language of document : ECLI:EU:C:2013:733

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. November 2013(1)

„Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rahmenbeschluss 2005/214/JI – Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen – ‚Auch in Strafsachen zuständiges Gericht‘ – ‚Unabhängiger Verwaltungssenat‘ nach österreichischem Recht – Art und Umfang der vom Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats ausgeübten Kontrolle“

In der Rechtssache C‑60/12

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Vrchní soud v Praze (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 27. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Februar 2012, in einem Verfahren zur Vollstreckung einer Geldstrafe gegenüber

Marián Baláž

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und A. Borg Barthet, der Richter A. Rosas, J. Malenovský und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2013,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman und C. Wissels als Bevollmächtigte,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und P. Cede als Bevollmächtigte,

–        der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und K. Ahlstrand-Oxhamre als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und Z. Malůšková als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 18. Juli 2013

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ABl. L 76, S. 16) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens zur Vollstreckung einer gegen Herrn Baláž, einen tschechischen Staatsangehörigen, wegen einer von ihm in Österreich begangenen Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften verhängten Geldstrafe.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 1, 2, 4 und 5 des Rahmenbeschlusses heißt es:

„(1)      Der Europäische Rat unterstützte auf seiner Tagung am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union werden sollte.

(2)      Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte für Geldstrafen oder Geldbußen von Gerichts- oder Verwaltungsbehörden gelten, um die Vollstreckung solcher Geldstrafen oder Geldbußen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie verhängt worden sind, zu erleichtern.

(4)      Dieser Rahmenbeschluss soll auch die wegen Zuwiderhandlungen gegen die Verkehrsvorschriften verhängten Geldstrafen und Geldbußen erfassen.

(5)      Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. …“

4        Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) des Rahmenbeschlusses sieht vor:

„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck

a)      ‚Entscheidung‘ eine rechtskräftige Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch eine natürliche oder juristische Person, die

iii)      von einer nicht gerichtlichen Behörde des Entscheidungsstaats in Bezug auf Handlungen erlassen wurde, die nach dessen innerstaatlichem Recht als Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften geahndet wurden, vorausgesetzt, dass die betreffende Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen;

b)      ‚Geldstrafe oder Geldbuße‘ die Verpflichtung zur Zahlung

i)      eines in einer Entscheidung festgesetzten Geldbetrags aufgrund einer Verurteilung wegen einer Zuwiderhandlung;

c)      ‚Entscheidungsstaat‘ den Mitgliedstaat, in dem eine Entscheidung im Sinne dieses Rahmenbeschlusses ergangen ist;

d)      ‚Vollstreckungsstaat‘ den Mitgliedstaat, dem eine Entscheidung zum Zwecke der Vollstreckung übermittelt wurde.“

5        Art. 3 („Grundrechte“) des Rahmenbeschlusses lautet:

„Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 6 des [EU‑]Vertrags.“

6        Art. 4 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses regelt die Übermittlung einer Entscheidung zusammen mit einer Bescheinigung, für die das im Anhang des Rahmenbeschlusses beigefügte Formblatt zu verwenden ist, an einen Mitgliedstaat, „in dem die natürliche oder juristische Person, gegen die eine Entscheidung ergangen ist, über Vermögen verfügt oder Einkommen bezieht, sich in der Regel aufhält bzw., im Falle einer juristischen Person, ihren eingetragenen Sitz hat“.

7        In Art. 5 („Anwendungsbereich“) des Rahmenbeschlusses sind die Straftaten und Verwaltungsübertretungen aufgezählt, bei deren Vorliegen Entscheidungen nach Maßgabe des Rahmenbeschlusses anzuerkennen und zu vollstrecken sind. Insbesondere sieht Art. 5 Abs. 1 vor:

„Die folgenden Straftaten und Verwaltungsübertretungen (Ordnungswidrigkeiten) führen – wenn sie im Entscheidungsstaat strafbar sind und so wie sie in dessen Recht definiert sind – gemäß diesem Rahmenbeschluss auch ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen:

–        gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende Verhaltensweise …“

8        Art. 6 („Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen“) des Rahmenbeschlusses lautet:

„Die zuständigen Behörden im Vollstreckungsstaat erkennen eine gemäß Artikel 4 übermittelte Entscheidung ohne jede weitere Formalität an und treffen unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu deren Vollstreckung, es sei denn, die zuständige Behörde beschließt, einen der Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung nach Artikel 7 geltend zu machen.“

9        Art. 7 Abs. 2 und 3 des Rahmenbeschlusses bestimmt:

„(2)      Ferner kann die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass

g)      laut der Bescheinigung gemäß Artikel 4 die betroffene Person im Falle eines schriftlichen Verfahrens nicht persönlich oder über einen nach innerstaatlichem Recht befugten Vertreter von ihrem Recht, die Entscheidung anzufechten, und von den Fristen, die für dieses Rechtsmittel gelten, gemäß den Rechtsvorschriften des Entscheidungsstaats unterrichtet worden ist;

i)      laut der Bescheinigung gemäß Artikel 4 die betroffene Person zu der Verhandlung, die zu der Entscheidung geführt hat, nicht persönlich erschienen ist, es sei denn, aus der Bescheinigung geht hervor, dass die betroffene Person im Einklang mit weiteren verfahrensrechtlichen Vorschriften des einzelstaatlichen Rechts des Entscheidungsstaates:

i)      rechtzeitig

–        entweder persönlich vorgeladen wurde und dabei von dem vorgesehenen Termin und Ort der Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, die zu der Entscheidung geführt hat, oder auf andere Weise tatsächlich offiziell von dem vorgesehenen Termin und Ort dieser Verhandlung in Kenntnis gesetzt wurde, und zwar auf eine Weise, dass zweifelsfrei nachgewiesen wurde, dass sie von der anberaumten Verhandlung Kenntnis hatte,

und

–        davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass eine Entscheidung auch dann ergehen kann, wenn sie zu der Verhandlung nicht erscheint;

oder

ii)      in Kenntnis der anberaumten Verhandlung ein Mandat an einen Rechtsbeistand, der entweder von der betroffenen Person oder vom Staat bestellt wurde, erteilt hat, sie bei der Verhandlung zu verteidigen, und bei der Verhandlung von diesem Rechtsbeistand tatsächlich verteidigt worden ist;

oder

iii)      nachdem ihr die Entscheidung zugestellt und sie ausdrücklich von ihrem Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein Berufungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, an dem die Person teilnehmen kann und bei dem der Sachverhalt, einschließlich neuer Beweismittel, erneut geprüft werden und die ursprünglich ergangene Entscheidung aufgehoben werden kann:

–        ausdrücklich erklärt hat, dass sie die Entscheidung nicht anficht;

oder

–        innerhalb der geltenden Frist keine Wiederaufnahme des Verfahrens bzw. kein Berufungsverfahren beantragt hat;

(3)      Bevor die zuständige Behörde des Vollstreckungsstaats in den in Absatz 1 und Absatz 2 Buchstaben c, g, i und j genannten Fällen beschließt, die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung ganz oder teilweise zu verweigern, konsultiert sie auf geeignete Art und Weise die zuständige Behörde des Entscheidungsstaats und bittet sie gegebenenfalls um die unverzügliche Übermittlung aller erforderlichen zusätzlichen Informationen.“

10      Art. 20 Abs. 3 und 8 des Rahmenbeschlusses sieht vor:

„(3)      Gibt die in Artikel 4 genannte Bescheinigung Anlass zu der Vermutung, dass Grundrechte oder allgemeine Rechtsgrundsätze gemäß Artikel 6 des Vertrags verletzt wurden, kann jeder Mitgliedstaat die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen verweigern. In diesem Fall findet das in Artikel 7 Absatz 3 genannte Verfahren Anwendung.

(8)      Jeder Mitgliedstaat, der während eines Kalenderjahres Absatz 3 angewendet hat, unterrichtet den Rat und die Kommission zu Beginn des folgenden Kalenderjahres über die Fälle, in denen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus den in dieser Bestimmung aufgeführten Gründen verweigert wurde.“

 Tschechisches Recht

11      Im tschechischen Recht ist die Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen oder Geldbußen, die von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats als der Tschechischen Republik verhängt wurden, in der Strafprozessordnung geregelt. § 460o Abs. 1 der Strafprozessordnung in ihrer zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren erlassenen Entscheidungen der tschechischen Gerichte geltenden Fassung (Gesetz Nr. 141/1961 über die gerichtliche Strafprozessordnung, im Folgenden: Strafprozessordnung) bestimmt:

„Die Bestimmungen dieses Teils finden auf das Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer strafrechtlichen oder sonstigen Zuwiderhandlung oder einer darauf beruhenden Entscheidung, falls diese nach Maßgabe von Unionsvorschriften erlassen wird, Anwendung, mit der

a)      eine Geldstrafe oder Geldbuße festgesetzt wird,

wenn sie von einem Gericht der Tschechischen Republik in einem Strafverfahren … oder von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Union in einem Strafverfahren oder von einer Verwaltungsbehörde eines solchen Staates erlassen wird, sofern die Entscheidung von Verwaltungsbehörden über die strafrechtliche oder sonstige Zuwiderhandlung mit einem Rechtsbehelf angegriffen werden kann, über den ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht befindet …“

12      In § 460r der Strafprozessordnung heißt es:

„(1)      Nach schriftlicher Stellungnahme des Staatsanwalts entscheidet der Krajský soud [Kreisgericht] durch in öffentlicher Sitzung verkündetes Urteil, ob die Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der … Union über eine Geldstrafe oder Geldbuße, die ihm von den zuständigen Behörden dieses Staates übermittelt worden ist, anerkannt und vollstreckt wird oder ob die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung verweigert wird. Das Urteil wird der betreffenden Person und dem Staatsanwalt bekannt gegeben.

(3)      Der Krajský soud verweigert die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der … Union über eine Geldstrafe oder Geldbuße im Sinne von Abs. 1, wenn

i)      die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung den in § 377 geschützten Interessen der Tschechischen Republik widerspricht,

(4)      Wenn das Vorliegen eines in Abs. 3 Buchst. c oder i genannten Grundes für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats der … Union über eine Geldstrafe oder Geldbuße festgestellt wird, ersucht der Krajský soud vor einer Entscheidung über die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung einer solchen Entscheidung um eine Stellungnahme der zuständigen Behörden des Staates, die die Entscheidung, deren Anerkennung und Vollstreckung beantragt wird, erlassen haben, insbesondere, um alle für die Entscheidung erforderlichen Informationen einzuholen. Gegebenenfalls kann der Krajský soud diese Behörden ersuchen, die erforderlichen zusätzlichen Dokumente und Informationen unverzüglich zu übermitteln.“

 Österreichisches Recht

13      Die österreichische Rechtsordnung unterscheidet zwischen Delikten, die dem „Verwaltungsstrafrecht“ zugeordnet werden, und solchen, die zum „Justizstrafrecht“ gehören. In beiden Bereichen haben die Personen, denen eine Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, Zugang zu einem Gericht.

14      Das Verfahren bei Verwaltungsübertretungen ist im Verwaltungsstrafgesetz 1991 (BGBl. Nr. 52/1991, im Folgenden: VStG) geregelt. Für diese Übertretungen ist in erster Instanz die Bezirkshauptmannschaft (BH) zuständig. Nach Erschöpfung des Rechtswegs vor dieser Verwaltungsbehörde ist der Unabhängige Verwaltungssenat in den Ländern (im Folgenden: Unabhängiger Verwaltungssenat) als Rechtsmittelinstanz zuständig.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15      Mit Schreiben vom 19. Januar 2011 beantragte die BH Kufstein beim Krajský soud v Ústí nad Labem (Kreisgericht Ústí nad Labem, Tschechische Republik) die Anerkennung und Vollstreckung ihrer Entscheidung vom 25. März 2010, mit der gegen Herrn Baláž eine Geldstrafe wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften verhängt wurde. Dem Schreiben waren eine in tschechischer Sprache verfasste Bescheinigung im Sinne von Art. 4 des Rahmenbeschlusses und die Strafverfügung beigefügt.

16      Aus diesen Dokumenten geht hervor, dass Herr Baláž, der einen Sattelzug mit tschechischem Kennzeichen führte, am 22. Oktober 2009 in der Republik Österreich das Verkehrsschild „Fahrverbot für Fahrzeuge mit über 3,5 t Gesamtgewicht“ missachtete. Deswegen wurde er zu einer Geldstrafe von 220 Euro und einer Ersatzfreiheitsstrafe von 60 Stunden bei Uneinbringlichkeit verurteilt.

17      Nach den Angaben in der Vorlageentscheidung wurde in der Bescheinigung der BH Kufstein ausgeführt, dass es bei der fraglichen Entscheidung um eine Entscheidung einer nicht gerichtlichen Behörde des Entscheidungsstaats aufgrund von Handlungen gehe, die nach dem Recht des Entscheidungsstaats als Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften geahndet würden. Weiter hieß es darin, dass die betreffende Person die Möglichkeit gehabt habe, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

18      Der Bescheinigung zufolge war die Strafverfügung am 17. Juli 2010 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Herr Baláž habe sie nämlich nicht angefochten, obwohl er im Einklang mit den Rechtsvorschriften des Entscheidungsstaats von seinem Recht unterrichtet worden sei, persönlich oder über einen beauftragten oder nach nationalem Recht bestellten Vertreter ein Rechtsmittel einzulegen.

19      Der Krajský soud v Ústí nad Labem beraumte zur Prüfung des Antrags der BH Kufstein eine mündliche Verhandlung auf den 17. Mai 2011 an. Im Rahmen dieser Verhandlung stellte er u. a. fest, dass Herrn Baláž die von der BH Kufstein erlassene Strafverfügung am 2. Juli 2010 durch den Okresní soud v Teplicích (Bezirksgericht Teplice, Tschechische Republik) in tschechischer Sprache zugestellt worden war und den Hinweis auf die Möglichkeit enthielt, gegen diese Verfügung binnen zwei Wochen nach ihrer Zustellung mündlich oder schriftlich, auch auf elektronischem Wege, Einspruch zu erheben, in diesem Einspruch Beweise für seine Verteidigung geltend zu machen und ein Rechtsmittel beim Unabhängigen Verwaltungssenat einzulegen.

20      Am Ende dieses Verfahrens stellte der Krajský soud v Ústí nad Labem fest, dass Herr Baláž keinen Einspruch eingelegt habe, und entschied, dass die Strafverfügung anzuerkennen und in der Tschechischen Republik zu vollstrecken sei.

21      Am 6. Juni 2011 legte Herr Baláž beim Vrchní soud v Praze (Obergericht Prag, Tschechische Republik) Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein. Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, trug er u. a. vor, dass zum einen die Angaben in der Bescheinigung der BH Kufstein zweifelhaft seien und zum anderen deren Strafverfügung nicht vollstreckbar sei, da sie nicht mit einem Rechtsbehelf angefochten werden könne, über den ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht befinde. Das österreichische Recht sehe nämlich gegen eine Entscheidung über eine Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften nur ein Rechtsmittel an den Unabhängigen Verwaltungssenat vor und ermögliche es daher nicht, die Rechtssache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

22      Der Vrchní soud v Praze hat insoweit zu prüfen, ob die von der BH Kufstein erlassene Strafverfügung eine Entscheidung im Sinne von § 460o Abs. 1 Buchst. a der Strafprozessordnung und somit von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses darstellt. Sollte das der Fall sein, müsste er klären, ob die Voraussetzungen für ihre Anerkennung und Vollstreckung in der Tschechischen Republik gegeben sind.

23      Unter diesen Umständen hat der Vrchní soud v Praze beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses als autonomer Begriff des Unionsrechts auszulegen?

2.      a)     Falls die erste Frage zu bejahen ist: Welche generellen Merkmale muss ein Gericht eines Staates, das auf Veranlassung der betreffenden Person in deren Sache über die Entscheidung einer nicht gerichtlichen Behörde (Verwaltungsbehörde) befinden kann, aufweisen, um als ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses zu gelten?

b)      Kann ein österreichischer Unabhängiger Verwaltungssenat als ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses angesehen werden?

c)      Falls die erste Frage zu verneinen ist: Ist der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses von der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats nach dem Recht des Staates auszulegen, dessen Behörde eine Entscheidung im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii erlassen hat, oder nach dem Recht des Staates, in dem über die Anerkennung und Vollstreckung einer solchen Entscheidung zu befinden ist?

3.      Ist die „Möglichkeit …, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen“, im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses auch dann gewahrt, wenn die betreffende Person eine Sache nicht unmittelbar vor ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ bringen kann, sondern gegen eine Entscheidung einer nicht gerichtlichen Behörde (Verwaltungsbehörde) zunächst Einspruch einlegen muss, wodurch die Entscheidung der Behörde außer Kraft tritt und ein ordentliches Verfahren vor derselben Behörde eingeleitet wird, und erst gegen die in diesem ordentlichen Verfahren ergangene Entscheidung der Behörde ein Rechtsbehelf bei einem „auch in Strafsachen zuständigen Gericht“ eingelegt werden kann?

Ist es im Hinblick auf die „Möglichkeit …, die Sache vor ein … Gericht zu bringen“, entscheidungserheblich, ob es sich bei dem Rechtsbehelf, über den ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht befindet“, dem Wesen nach um einen ordentlichen Rechtsbehelf (d. h. einen Rechtsbehelf gegen eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung) oder einen außerordentlichen Rechtsbehelf (d. h. einen Rechtsbehelf gegen eine rechtskräftige Entscheidung) handelt und ob ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ aufgrund des Rechtsbehelfs befugt ist, die Sache umfassend sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu überprüfen?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage und zu den Buchst. a und b der zweiten Frage

24      Mit seiner ersten Frage und den Buchst. a und b seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses als autonomer Begriff des Unionsrechts auszulegen ist und, wenn ja, welche Kriterien insoweit maßgeblich sind. Außerdem möchte es wissen, ob der Unabhängige Verwaltungssenat unter diesen Begriff fällt.

25      Hierzu ist festzustellen, dass – wie die Generalanwältin in Nr. 45 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat – der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ entgegen dem Vorbringen der niederländischen und der schwedischen Regierung nicht der Beurteilung der einzelnen Mitgliedstaaten überlassen bleiben kann.

26      Da Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses in Bezug auf den Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, folgt nämlich aus dem Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass dieser Begriff, der für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des Rahmenbeschlusses entscheidend ist, in der gesamten Union einer autonomen und einheitlichen Auslegung bedarf, die unter Berücksichtigung des Kontexts der Vorschrift, zu der er gehört, und des mit dem Rahmenbeschluss verfolgten Ziels gefunden werden muss (vgl. entsprechend Urteile vom 17. Juli 2008, Kozłowski, C‑66/08, Slg. 2008, I‑6041, Randnrn. 41 und 42, und vom 16. November 2010, Mantello, C‑261/09, Slg. 2010, I‑11477, Randnr. 38).

27      Wie insbesondere aus den Art. 1 und 6 sowie den Erwägungsgründen 1 und 2 des Rahmenbeschlusses hervorgeht, zielt er darauf ab, einen wirksamen Mechanismus zur Anerkennung und grenzüberschreitenden Vollstreckung von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch eine natürliche oder juristische Person nach der Begehung einer der in Art. 5 des Rahmenbeschlusses aufgezählten Straftaten und Verwaltungsübertretungen einzuführen.

28      Gibt die in Art. 4 des Rahmenbeschlusses genannte Bescheinigung, die der Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße beigefügt ist, Anlass zu der Vermutung, dass Grundrechte oder allgemeine Rechtsgrundsätze gemäß Art. 6 EUV verletzt wurden, können die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats die Anerkennung und Vollstreckung einer solchen Entscheidung verweigern, wenn einer der in Art. 7 Abs. 1 und 2 und in Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses angeführten Gründe für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung vorliegt.

29      Angesichts des Umstands, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der der Systematik des Rahmenbeschlusses zugrunde liegt, nach dessen Art. 6 bedeutet, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, eine Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße, die gemäß Art. 4 des Rahmenbeschlusses übermittelt wurde, ohne jede weitere Formalität anzuerkennen und unverzüglich alle erforderlichen Maßnahmen zu ihrer Vollstreckung zu treffen, sind die Gründe, die Anerkennung oder Vollstreckung einer solchen Entscheidung zu verweigern, eng auszulegen (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Januar 2013, Radu, C‑396/11, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Eine solche Auslegung ist umso mehr geboten, als für das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten als Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit in der Union angemessene Garantien vorgesehen sind. So hat nach Art. 20 Abs. 8 des Rahmenbeschlusses jeder Mitgliedstaat, der während eines Kalenderjahrs Art. 7 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses angewendet hat, den Rat und die Kommission zu Beginn des folgenden Kalenderjahrs über die Fälle zu unterrichten, in denen die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung aus den in dieser Bestimmung aufgeführten Gründen verweigert wurde.

31      Hat die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats Zweifel daran, ob die oben angeführten Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße in einem konkreten Fall erfüllt sind, kann sie bei der zuständigen Behörde des Entscheidungsmitgliedstaats zusätzliche Informationen einholen, bevor sie die Konsequenzen aus den Beurteilungen zieht, die diese Behörde in ihrer Antwort vorgenommen hat (vgl. in diesem Sinne, in Bezug auf den Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten [ABl. L 190, S. 1], Urteil Mantello, Randnr. 50).

32      In diesem Regelungskontext sind für die Zwecke der Auslegung des Begriffs „Gericht“ in Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses die vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien für die Beurteilung heranzuziehen, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne des Art. 267 AEUV handelt. Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Gerichtshof dabei auf eine Reihe von Merkmalen ab, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (vgl. entsprechend Urteil vom 14. Juni 2011, Miles u. a., C‑196/09, Slg. 2011, I‑5105, Randnr. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Was die Worte „auch in Strafsachen zuständig“ betrifft, ist es zwar richtig, dass der Rahmenbeschluss auf der Grundlage der Art. 31 Abs. 1 Buchst. a EU und 34 Abs. 2 Buchst. b EU im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erlassen wurde.

34      Nach Art. 5 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses fallen in seinen Anwendungsbereich jedoch Straftaten und Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit einer „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende[n] Verhaltensweise“. Diese Straftaten und Verwaltungsübertretungen werden aber in den verschiedenen Mitgliedstaaten nicht einheitlich behandelt; in einigen von ihnen werden sie als Verwaltungsübertretungen eingestuft, in anderen als Straftaten.

35      Folglich ist zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Rahmenbeschlusses eine Auslegung der Worte „auch in Strafsachen zuständig“ vorzunehmen, bei der die Einstufung der Zuwiderhandlungen durch die Mitgliedstaaten nicht entscheidend ist.

36      Dazu muss das zuständige Gericht im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses ein Verfahren anwenden, das die wesentlichen Merkmale eines Strafverfahrens in sich vereinigt, ohne dass dieses Gericht jedoch ausschließlich für Strafsachen zuständig sein muss.

37      Um festzustellen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Unabhängige Verwaltungssenat als ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht im Sinne des Rahmenbeschlusses angesehen werden kann, ist eine Gesamtwürdigung mehrerer objektiver Gesichtspunkte vorzunehmen, die diese Einrichtung und ihre Funktionsweise kennzeichnen.

38      In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass – wie das vorlegende Gericht zu Recht ausführt – der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass eine Einrichtung wie der Unabhängige Verwaltungssenat alle erforderlichen Merkmale aufweist, um als Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV anerkannt zu werden (Urteil vom 4. März 1999, HI, C‑258/97, Slg. 1999, I‑1405, Randnr. 18).

39      Ferner ist der Unabhängige Verwaltungssenat, wie aus den Angaben der österreichischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen und mündlichen Ausführungen hervorgeht, zwar gemäß § 51 Abs. 1 VStG formell als unabhängige Verwaltungsbehörde eingerichtet, aber u. a. als Berufungsinstanz bei Verwaltungsübertretungen zuständig, zu denen insbesondere Zuwiderhandlungen gegen die Verkehrsvorschriften gehören. Im Rahmen dieses Rechtszugs, der aufschiebende Wirkung hat, hat er eine Befugnis zu voller Nachprüfung und wendet ein Verfahren strafrechtlicher Art an, bei dem die in Strafsachen angemessenen verfahrensrechtlichen Garantien beachtet werden müssen.

40      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass zu den anzuwendenden verfahrensrechtlichen Garantien u. a. der in § 1 VStG aufgestellte Grundsatz nulla poena sine lege, der in den §§ 3 und 4 VStG aufgestellte Grundsatz der Strafbarkeit nur im Fall der Zurechnungsfähigkeit und der Strafmündigkeit und der in § 19 VStG aufgestellte Grundsatz der schuld- und tatangemessenen Strafbemessung zählen.

41      Der Unabhängige Verwaltungssenat ist daher als ein „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses einzustufen.

42      Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage und die Buchst. a und b der zweiten Frage zu antworten, dass der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses einen autonomen Begriff des Unionsrechts darstellt und dahin auszulegen ist, dass unter diesen Begriff jedes Gericht fällt, das ein Verfahren anwendet, das die wesentlichen Merkmale eines Strafverfahrens in sich vereinigt. Der Unabhängige Verwaltungssenat erfüllt diese Kriterien und fällt daher unter diesen Begriff.

43      Angesichts der Antwort auf die erste Frage und die Buchst. a und b der zweiten Frage ist Buchst. c der zweiten Frage nicht zu beantworten.

 Zur dritten Frage

44      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses dahin auszulegen ist, dass eine Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen, auch wenn sie vor Einlegung eines Rechtsbehelfs ein vorgerichtliches Verwaltungsverfahren durchlaufen musste, und ob dabei Art und Umfang der vom zuständigen Gericht ausgeübten Kontrolle für die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße relevant sind.

45      Was erstens die Frage betrifft, ob das Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs ungeachtet der Verpflichtung gewährleistet ist, ein vorgerichtliches Verwaltungsverfahren zu durchlaufen, bevor die Rechtssache durch ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht im Sinne des Rahmenbeschlusses geprüft wird, ist hervorzuheben, dass – wie das vorlegende Gericht und alle Parteien, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, ausführen – Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses nicht verlangt, dass die Rechtssache unmittelbar einem solchen Gericht vorgelegt werden kann.

46      Der Rahmenbeschluss gilt nämlich auch für Geldstrafen und Geldbußen, die von Verwaltungsbehörden verhängt wurden. Infolgedessen kann, wie die niederländische Regierung zutreffend hervorhebt, aufgrund der Besonderheiten der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten im Vorfeld eine verwaltungsrechtliche Phase zu durchlaufen sein. Der Zugang zu einem auch in Strafsachen zuständigen Gericht im Sinne des Rahmenbeschlusses darf jedoch keinen Voraussetzungen unterliegen, die ihn unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C‑69/10, Slg. 2011, I‑7151, Randnr. 57).

47      Was zweitens Umfang und Art der von dem Gericht, das angerufen werden kann, ausgeübten Kontrolle angeht, muss dieses Gericht in vollem Umfang zur Prüfung der Rechtssache sowohl in Bezug auf die rechtliche Würdigung als auch in Bezug auf die tatsächlichen Umstände befugt sein und insbesondere die Möglichkeit zur Prüfung der Beweise und auf dieser Grundlage zur Feststellung der Schuldfähigkeit der betreffenden Person sowie der Angemessenheit der Strafe haben.

48      Drittens hat der Umstand, dass die betreffende Person keinen Rechtsbehelf eingelegt hat und die fragliche Geldstrafe oder Geldbuße daher rechtskräftig geworden ist, keine Auswirkung auf die Anwendung von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses, da es nach dieser Bestimmung ausreicht, dass die betreffende Person „die Möglichkeit hatte“, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

49      Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses dahin auszulegen ist, dass eine Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen, auch wenn sie vor Einlegung eines Rechtsbehelfs ein vorgerichtliches Verwaltungsverfahren durchlaufen musste. Ein solches Gericht muss in vollem Umfang zur Prüfung der Rechtssache sowohl in Bezug auf die rechtliche Würdigung als auch in Bezug auf die tatsächlichen Umstände befugt sein.

 Kosten

50      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Der Begriff „auch in Strafsachen zuständiges Gericht“ im Sinne von Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung stellt einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar und ist dahin auszulegen, dass unter diesen Begriff jedes Gericht fällt, das ein Verfahren anwendet, das die wesentlichen Merkmale eines Strafverfahrens in sich vereinigt. Der Unabhängige Verwaltungssenat in den Ländern (Österreich) erfüllt diese Kriterien und fällt daher unter diesen Begriff.

2.      Art. 1 Buchst. a Ziff. iii des Rahmenbeschlusses 2005/214 in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen, auch wenn sie vor Einlegung eines Rechtsbehelfs ein vorgerichtliches Verwaltungsverfahren durchlaufen musste. Ein solches Gericht muss in vollem Umfang zur Prüfung der Rechtssache sowohl in Bezug auf die rechtliche Würdigung als auch in Bezug auf die tatsächlichen Umstände befugt sein.

Unterschriften


1 Verfahrenssprache: Tschechisch.