Language of document : ECLI:EU:C:2012:595

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 27. September 2012(1)

Verbundene Rechtssachen C‑356/11 und C‑357/11

O. (C‑356/11),

S.

gegen

Maahanmuuttovirasto

und

Maahanmuuttovirasto (C‑357/11)

gegen

L.

(Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus [Finnland])

„Unionsbürgerschaft – Recht auf Familienzusammenführung – Anwendbarkeit der im Urteil Ruiz Zambrano aufgestellten Grundsätze – Zusammenführender, der Elternteil eines Kindes aus einer ersten Ehe ist, das die Unionsbürgerschaft besitzt – Aufenthaltsrecht des neuen Ehepartners des Zusammenführenden, der Angehöriger eines Drittstaats ist – Ablehnung, die auf das Fehlen ausreichender Einkünfte gestützt ist – Recht auf Achtung des Familienlebens – Verpflichtung, das Interesse des minderjährigen Kindes zu berücksichtigen“






1.        Kann das Recht eines Drittstaatsangehörigen auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aus der Unionsbürgerschaft eines Kindes abgeleitet werden, wenn der Drittstaatsangehörige nicht Elternteil, sondern Stiefelternteil des Kindes ist?

2.        Dies ist im Wesentlichen die Frage, die das Korkein hallinto-oikeus (Finnland) im Rahmen zweier Vorabentscheidungsersuchen stellt.

3.        Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Maahanmuuttovirasto (Einwanderungsbehörde) und Frau S., einer ghanaischen Staatsangehörigen (C356/11), und Frau L., einer algerischen Staatsangehörigen (C357/11)(2), die unter Berufung auf das in der Richtlinie 2003/86/EG(3) verankerte Recht auf Familienzusammenführung einen Aufenthaltstitel zugunsten ihrer Ehegatten, Herrn O. bzw. Herrn M.(4), die Drittstaatsangehörige sind, beantragen. Die Maahanmuuttovirasto lehnte diese Anträge mit der Begründung ab, die Antragsteller verfügten nicht über ausreichende Mittel für einen Aufenthalt in Finnland.

4.        Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Entscheidungen mit den Grundsätzen, die der Gerichtshof im Urteil Ruiz Zambrano(5) herausgearbeitet hat, und mit der Auslegung der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Unionsbürgerschaft durch den Gerichtshof. Sowohl Frau S. als auch Frau L. üben nämlich das alleinige Sorgerecht für ein Kind aus ihrer ersten Ehe aus, das die Unionsbürgerschaft besitzt. Daher fragt sich das vorlegende Gericht, ob die Maahanmuuttovirasto den Antragstellern in Anbetracht der Begleitumstände der familiären Situation der Betroffenen nicht einen Aufenthaltstitel hätte erteilen müssen, um zu verhindern, dass die Kinder, für die die Zusammenführenden das alleinige Sorgerecht ausüben, gezwungen sind, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen und ihnen so der Genuss der Rechte verwehrt wird, die ihr Unionsbürgerstatus ihnen verleiht.

5.        Mit den Fragen des vorlegenden Gerichts wird der Gerichtshof somit aufgefordert, die Tragweite und die Grenzen der im Urteil Ruiz Zambrano aufgestellten Grundsätze im besonderen Kontext einer Patchworkfamilie, in der der Antragsteller für das Kind, das die Unionsbürgerschaft besitzt, weder eine elterliche noch eine finanzielle Verantwortung hat, näher zu bestimmen.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

1.      Charta der Grundrechte der Europäischen Union

6.        Nach Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(6) hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens.

7.        Zudem muss nach Art. 24 Abs. 2 der Charta bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein. Nach Art. 24 Abs. 3 der Charta hat ein Kind Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

2.      Richtlinie 2003/86

8.        Die Richtlinie 2003/86 legt die Voraussetzungen fest, unter denen das Recht auf Familienzusammenführung ausgeübt wird, das Drittstaatsangehörigen zusteht, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Gemäß ihrem zweiten Erwägungsgrund steht diese Richtlinie im Einklang mit den Grundrechten, insbesondere dem Recht auf Achtung des Familienlebens, das in Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(7) und in der Charta verankert ist.

9.        Art. 4 der Richtlinie bestimmt den Kreis der Personen, die als Familienangehörige des Zusammenführenden in den Genuss eines Aufenthaltsrechts kommen können. Zu diesen Personen gehört nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2003/86 der Ehegatte des Zusammenführenden.

10.      Hinsichtlich der Modalitäten der Prüfung des Antrags auf Familienzusammenführung verpflichtet der Unionsgesetzgeber die Mitgliedstaaten in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86, das Wohl minderjähriger Kinder zu berücksichtigen. Zudem müssen sie nach Art. 17 der Richtlinie im Fall der Ablehnung eines Antrags, dem Entzug oder der Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels sowie der Rückführung des Zusammenführenden oder seiner Familienangehörigen in gebührender Weise die Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland berücksichtigen.

11.      Gleichwohl verfügen die Mitgliedstaaten über einen Spielraum bei der Anwendung der Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Zusammenführung. So können sie nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/86 verlangen, dass der Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen.

B –    Finnisches Recht

12.      Nach § 37 Abs. 1 des Ausländergesetzes (Ulkomaalaislaki) gilt der Ehegatte einer in Finnland ansässigen Person als Familienangehöriger.

13.      Nach § 39 Abs. 1 dieses Gesetzes setzt die Ausstellung eines Aufenthaltstitels voraus, dass der Ausländer über ausreichende Einkünfte verfügt. Die zuständigen Behörden können jedoch von dieser Bedingung absehen, wenn ein außerordentlich schwerwiegender Grund hierfür besteht oder das Wohl des Kindes dies erfordert.

14.      Schließlich müssen die zuständigen Behörden nach § 66a des genannten Gesetzes, wenn ein Aufenthaltstitel aufgrund familiärer Bindungen beantragt wird, bei ihrer Prüfung die Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts im Inland sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland berücksichtigen.

II – Sachverhalte der Ausgangsverfahren

A –    Rechtssache C‑356/11

15.      Frau S. ist ghanaische Staatsangehörige und verfügt über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in Finnland. Sie heiratete am 4. Juli 2001 einen finnischen Staatsangehörigen, mit dem sie ein am 11. Juli 2003 geborenes Kind hat. Da das Kind die finnische Staatsangehörigkeit besitzt, ist es Unionsbürger. Es hat jedoch nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht. Frau S. erhielt ab 2. Juni 2005 das alleinige Sorgerecht für das Kind und wurde am 19. Oktober 2005 geschieden. Der Vater des Kindes lebt in Finnland. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau S. während ihres Aufenthalts in Finnland Bildungseinrichtungen besuchte, Mutterschaftsurlaub nahm, einen Beruf erlernte und eine Erwerbstätigkeit ausübte.

16.      Am 26. Juni 2008 heiratete Frau S. Herrn O., einen ivorischen Staatsangehörigen. Dieser beantragte auf dieser Grundlage bei der Maahanmuuttovirasto einen Aufenthaltstitel. Aus ihrer Ehe ist ein am 21. November 2009 in Finnland geborenes Kind hervorgegangen, das die ghanaische Staatsangehörigkeit besitzt und für das die Eltern das Sorgerecht gemeinsam ausüben. Herr O. lebt mit Frau S. und ihren beiden Kindern im selben Haushalt. Nach der Vorlageentscheidung unterschrieb Herr O. am 1. Januar 2010 einen Arbeitsvertrag für ein Jahr, der eine tägliche Arbeitszeit von acht Stunden und ein Arbeitsentgelt von 7,50 Euro in der Stunde vorsah. Er hat jedoch keine Nachweise dafür vorgelegt, dass er tatsächlich auf der Grundlage dieses Arbeitsvertrags gearbeitet hat.

17.      Mit Entscheidung vom 21. Januar 2009 lehnte die Maahanmuuttovirasto den Antrag von Herrn O. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels auf der Grundlage von § 39 Abs. 1 Satz 1 des Ausländergesetzes ab, da sie der Ansicht war, dass Herr O. nicht über ausreichende Einkünfte verfüge. Sie sah darüber hinaus keine Notwendigkeit, von dieser Voraussetzung abzusehen, wie es dieses Gesetz erlaubt, wenn ein außerordentlich schwerwiegender Grund besteht oder das Wohl des Kindes es erfordert.

18.      Das Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki) (Finnland) wies in der Folge die Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung ab. Herr O. und Frau S. legten gegen diese Gerichtsentscheidung ein Rechtsmittel beim vorlegenden Gericht ein.

B –    Rechtssache C‑357/11

19.      Die Rechtssache C‑357/11 weist starke Ähnlichkeiten mit der Rechtssache C‑356/11 auf, da das Kind, das Unionsbürger ist, und der Antragsteller ebenfalls im Rahmen einer Patchworkfamilie miteinander verbunden sind. Dagegen unterscheiden sich die Sachverhalte der Ausgangsverfahren u. a. in Bezug auf den gegenwärtigen Wohnsitz des Antragstellers.

20.      In dieser Rechtssache verfügt Frau L., eine algerische Staatsangehörige, infolge ihrer Ehe mit einem finnischen Staatsangehörigen über einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Aus dieser Ehe ist 2004 ein Kind hervorgegangen, das die finnische Staatsangehörigkeit besitzt und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat. Nach der am 10. Dezember 2004 ausgesprochenen Scheidung erhielt Frau L. das alleinige Sorgerecht für das Kind. Der Vater des Kindes lebt in Finnland.

21.      Am 19. Oktober 2006 heiratete Frau L. Herrn M., einen algerischen Staatsangehörigen. Dieser reiste im März 2006 rechtmäßig nach Finnland ein, wo er politisches Asyl beantragte und nach eigenen Angaben ab April 2006 mit Frau L. zusammenlebte. Im Oktober 2006 wurde er in sein Herkunftsland abgeschoben. Am 29. November 2006 beantragte Frau L. bei der Maahanmuuttovirasto, Herrn M. auf der Grundlage ihrer Ehe einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und am 14. Januar 2007 brachte sie ein Kind zur Welt, das die algerische Staatsangehörigkeit besitzt und für das die Ehegatten gemeinsam sorgeberechtigt sind. Es ist nicht bekannt, ob Herr M. sein Kind getroffen hat.

22.      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass Frau L. während ihres Aufenthalts in Finnland keine Erwerbstätigkeit ausgeübt hat und ihren Lebensunterhalt mit Sozialhilfe und anderen Leistungen bestreitet.

23.      Die Maahanmuuttovirasto lehnte aus den gleichen Gründen wie denen, die sie im Rahmen der Prüfung des von Herrn O. in der Rechtssache C‑356/11 gestellten Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels angeführt hatte, den Antrag von Herrn M. auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ab. Diese Entscheidung wurde jedoch vom Helsingin hallinto-oikeus aufgehoben, was die Maahanmuuttovirasto veranlasste, beim vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel gegen diese Gerichtsentscheidung einzulegen.

24.      In den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen fragt sich das vorlegende Gericht nach der Anwendbarkeit der Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil Ruiz Zambrano aufgestellt hat. Es stellt sich nämlich die Frage, ob in Anbetracht der Weigerung der Maahanmuuttovirasto, den Antragstellern einen Aufenthaltstitel zu erteilen, deren Ehefrauen und die Kinder, für die diese das Sorgerecht haben, nicht faktisch gezwungen sind, das Gebiet der Union zu verlassen, um zusammenleben zu können.

III – Vorlagefragen

25.      In diesem Zusammenhang hat das Korkein hallinto-oikeus zur Behebung seiner Zweifel beschlossen, die Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, deren Formulierung in Bezug auf die jeweils erste Frage nahezu übereinstimmt.

–        In der Rechtssache C‑356/11:

1.      Verstößt es gegen Art. 20 AEUV, einem Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel mangels gesicherten Lebensunterhalts zu verweigern, wenn sich die Familienverhältnisse so darstellen, dass sein Ehegatte das Sorgerecht für ein Kind hat, das die Unionsbürgerschaft besitzt, und der Drittstaatsangehörige weder Elternteil noch Sorgeberechtigter dieses Kindes ist?

2.      Wenn die erste Frage zu verneinen ist: Ist die Wirkung von Art. 20 AEUV anders zu beurteilen, wenn der Drittstaatsangehörige, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, sein Ehegatte und das Kind, für das der Ehegatte das Sorgerecht hat und das die Unionsbürgerschaft besitzt, zusammenleben?

–        In der Rechtssache C‑357/11:

1.      Verstößt es gegen Art. 20 AEUV, einem Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel mangels gesicherten Lebensunterhalts zu verweigern, wenn sich die Familienverhältnisse so darstellen, dass sein Ehegatte das Sorgerecht für ein Kind hat, das die Unionsbürgerschaft besitzt, und der Drittstaatsangehörige weder Elternteil noch Sorgeberechtigter dieses Kindes ist und auch nicht mit seinem Ehegatten oder dem betreffenden Kind zusammenlebt?

2.      Wenn die erste Frage zu verneinen ist: Ist die Wirkung von Art. 20 AEUV anders zu beurteilen, wenn der Drittstaatsangehörige, der keinen Aufenthaltstitel besitzt und nicht in Finnland lebt, und sein Ehegatte ein gemeinsames Kind haben, für das sie gemeinsam das Sorgerecht ausüben, das in Finnland lebt und das Drittstaatsangehöriger ist?

26.      Die Beteiligten des Ausgangsrechtsstreits, die dänische, die deutsche, die italienische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben Erklärungen abgegeben.

IV – Beurteilung

27.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft dahin auszulegen sind, dass sie einem Drittstaatsangehörigen in dem Mitgliedstaat, in dem sich sein ebenfalls drittstaatsangehöriger Ehegatte und dessen Kind aus erster Ehe, das Unionsbürger ist, rechtmäßig aufhalten, ein Aufenthaltsrecht verleihen, obwohl der Antragsteller nicht über ausreichende Einkünfte verfügt.

28.      Mit dieser Frage wird der Gerichtshof aufgefordert, den Umfang und die Grenzen der Grundsätze, die er im Urteil Ruiz Zambrano aufgestellt hat, im besonderen Kontext einer Patchworkfamilie näher zu bestimmen, in der ein Elternteil das alleinige Sorgerecht für ein Kind aus erster Ehe ausübt, das Unionsbürger ist.

29.      Es stellt sich die Frage, ob der Mitgliedstaat dem Antragsteller in Anbetracht dieser Rechtsprechung einen Aufenthaltstitel auch dann ausstellen muss, wenn der Antragsteller nicht Elternteil des Kindes ist, das die Unionsbürgerschaft besitzt, und keine elterliche Verantwortung gegenüber diesem Kind hat, da der neue Haushalt anderenfalls gezwungen würde, das Gebiet der Union zu verlassen, und diesem Kind nach der vom Gerichtshof verwendeten Formulierung „der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt“ würde.

30.      Für den Fall, dass der Gerichtshof der Auffassung ist, dass der Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, eine solche Erlaubnis zu erteilen, möchte das vorlegende Gericht mit seiner jeweils zweiten Frage wissen, ob die betreffenden Bestimmungen des Vertrags unter Berücksichtigung der Begleitumstände der familiären Situation der Antragsteller unterschiedlich auszulegen sind. In der Rechtssache C‑356/11 leben der Antragsteller, seine Ehefrau und das Kind, das die Unionsbürgerschaft besitzt, gemeinsam in einem Haushalt in Finnland. In der Rechtssache C‑357/11 hingegen ist der Antragsteller in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt, hat aber mit seiner Ehefrau ein Kind, das Drittstaatsangehöriger ist, in Finnland lebt und für das beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind(8).

31.      Ich werde diese Fragen nicht bloß anhand der Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft, insbesondere seines Art. 20, prüfen, sondern auch am Maßstab der Richtlinie 2003/86.

32.      Dagegen werde ich sie nicht unter dem Blickwinkel der in der Richtlinie 2004/38/EG(9) enthaltenen Vorschriften über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, prüfen, da diese Richtlinie meines Erachtens nicht anwendbar ist.

33.      Nach ständiger Rechtsprechung können nicht alle Drittstaatsangehörigen aus der Richtlinie 2004/38 das Recht ableiten, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur diejenigen, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat(10). Wie der Gerichtshof erst kürzlich im Urteil Dereci u. a.(11) ausgeführt hat, fällt nämlich ein Unionsbürger, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese auf ihn nicht anwendbar ist. Unter diesen Umständen fällt auch sein Familienangehöriger nicht unter diesen Begriff, da die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte keine eigenen Rechte, sondern abgeleitete Rechte sind, die als Familienangehöriger des Berechtigten erworben werden(12).

34.      Im vorliegenden Fall haben die betroffenen Unionsbürger, die Kinder von Frau S. und von Frau L., nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in Finnland aufgehalten, dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Meines Erachtens fallen sie daher, wie im Übrigen die Kommission in ihren Erklärungen hervorgehoben hat, nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese weder auf sie selbst noch auf ihre Familienangehörigen anwendbar ist.

A –    Zur Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft

35.      Zunächst ist zu beachten, dass die Kinder von Frau S. und Frau L. als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats den Unionsbürgerstatus gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV genießen und sich daher auch gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, auf die mit diesem Status verbundenen Rechte berufen können.

36.      Der Gerichtshof hat im Wesentlichen auf der Grundlage dieser Bestimmung in der Rechtssache, in der das Urteil Ruiz Zambrano ergangen ist, nationale Maßnahmen abgelehnt, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird(13).

37.      In dieser Rechtssache hatte der Gerichtshof darüber zu befinden, ob dies die Folge ist, wenn ein Mitgliedstaat einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die als Angehörige des genannten Mitgliedstaats die Unionsbürgerschaft besitzen, Unterhalt gewährt, Aufenthalt und Arbeitserlaubnis verweigert. Er hat entschieden, dass eine solche Weigerung dazu führt, dass sich diese Kinder gezwungen sehen, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Eltern zu begleiten, was es ihnen unmöglich macht, den Kernbestand der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch zu nehmen(14).

38.      Meiner Ansicht nach lassen sich diese Grundsätze nicht auf Situationen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden übertragen.

39.      Die Ausgangsverfahren weisen nämlich wesentliche Unterschiede zu der Rechtssache auf, in der das Urteil Ruiz Zambrano ergangen ist.

40.      Aus den Akten ergibt sich, dass die Antragsteller nicht Elternteile der minderjährigen Kinder sind, die die Unionsbürgerschaft besitzen. Sie haben keine elterliche Verantwortung diesen gegenüber und gewähren ihnen keinen Unterhalt. Die Verantwortung für diese Kinder haben ausschließlich die Mütter, und diese sorgen folglich alleine für deren Unterhalt und Erziehung. Die Entscheidung der Maahanmuuttovirasto, die Anträge der Antragsteller auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzulehnen, nimmt den Unionsbürgern somit weder den Vater noch die Mittel für ihren Lebensunterhalt, da für diesen ihre Mütter aufkommen, die das alleinige Sorgerecht haben und, ich erinnere daran, über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in Finnland verfügen.

41.      Zwar lässt sich nicht ausschließen, dass sich Frau S. und Frau L. dafür entscheiden, ihren Ehemännern in deren jeweiligen Herkunftsstaat zu folgen, um die Familiengemeinschaft zu erhalten. Dass ihre Kinder die Unionsbürgerschaft besitzen, kann im Übrigen nicht bedeuten, dass sie verpflichtet wären, ihren Wohnsitz nur im Gebiet der Union zu nehmen, da ihnen die Justizbehörden der Union selbst die umfassende elterliche Sorge zugesprochen haben.

42.      Sollten sie sich dafür entscheiden, auszureisen – was mir insbesondere in der Rechtssache C‑357/11 aus noch darzulegenden Gründen unwahrscheinlich erscheint –, hätten die minderjährigen Kinder, die die Unionsbürgerschaft besitzen, jedenfalls keine andere Wahl, als das Unionsgebiet zu verlassen, und würden damit den Genuss der Rechte verlieren, die ihnen der Status als Unionsbürger verleiht. Sie würden jedoch aufgrund einer freien Entscheidung ihrer Mütter, die diese aus einem Grund getroffen hätten, der mit der Aufrechterhaltung des Familienlebens zusammenhängt, aus der Union ausreisen, nicht aber, weil sie in Umsetzung des nationalen Rechts dazu gezwungen wären.

43.      Zieht man die Grundsätze heran, die der Gerichtshof im Urteil Dereci u. a. aufgestellt hat, kann ein solcher Grund meines Erachtens nicht ausreichen, um einen Verstoß gegen Art. 20 AEUV zu begründen. In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, hat der Gerichtshof die im Urteil Ruiz Zambrano festgelegten Kriterien nämlich äußerst restriktiv ausgelegt. In Randnr. 68 des Urteils hat er in Bezug auf einen Unionsbürger insbesondere ausgeführt, dass die bloße Tatsache, dass es für diesen aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft wünschenswert erscheinen könnte, dass ein Familienangehöriger, der Drittstaatsangehöriger ist, einen Aufenthaltstitel erhält, für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltstitel erteilt würde.

44.      Die Gründe für die Ausreise des Unionsbürgers aus dem Gebiet der Union sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs somit sehr genau umschrieben. Sie betreffen Situationen, in denen der Unionsbürger keine andere Wahl hat, als dem Betroffenen, dem der Aufenthalt verweigert wurde, zu folgen, weil dieser ihm Unterhalt gewährt, er also zur Bestreitung seines Lebensunterhalts völlig von diesem abhängig ist.

45.      Davon können Eltern betroffen sein, die Drittstaatsangehörige sind und minderjährigen Kindern, die die Unionsbürgerschaft besitzen, Unterhalt gewähren, wie es in der Rechtssache, in der das Urteil Ruiz Zambrano ergangen ist, der Fall war. Es können auch volljährige Kinder betroffen sein, die einem Elternteil wegen Krankheit oder Invalidität Unterhalt gewähren. Nicht davon betroffen sein können dagegen Drittstaatsangehörige, die gegenüber dem Unionsbürger weder eine elterliche noch eine finanzielle Verantwortung haben. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass ein Aufenthaltsrecht Drittstaatsangehöriger allein auf der Grundlage von Art. 20 AEUV und außerhalb der vom Unionsgesetzgeber u. a. im Rahmen der Richtlinie 2003/86 ausdrücklich vorgesehenen Bestimmungen des Sekundärrechts begründet würde.

46.      Nach meiner Ansicht besteht kein Anlass, diese Beurteilung im Hinblick auf die besonderen Umstände, die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner zweiten Vorlagefragen anführt, zu ändern.

47.      In der Rechtssache C356/11 ist die familiäre Situation des Antragstellers dadurch gekennzeichnet, dass er in Finnland lebt und mit seiner Ehefrau und deren Kind zusammenwohnt.

48.      Dieser Umstand kann offenkundig kein Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Unionsbürger herstellen und ändert nichts daran, dass trotz des Zusammenlebens der Ehegatten nur die Mutter des Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitzt, für dessen Lebensunterhalt aufkommt, da sie das alleinige Sorgerecht für dieses Kind hat und eine Erwerbstätigkeit ausübt. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Antragsteller nicht nachweisen konnte, dass er tatsächlich eine berufliche Tätigkeit ausübte.

49.      In der Rechtssache C357/11 ist die familiäre Situation des Antragstellers dadurch gekennzeichnet, dass er in seinen Herkunftsstaat abgeschoben wurde und mit seiner Ehefrau ein Kind hat, das Drittstaatsangehöriger ist, in Finnland lebt und für das beide Eltern gemeinsam sorgeberechtigt sind.

50.      Meines Erachtens kann dieser Umstand keine Auswirkungen auf die von mir vorgeschlagene Auslegung von Art. 20 AEUV haben, da er, weil er ein zweites Kind betrifft, das Drittstaatsangehöriger ist, nicht den Status des Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitzt, berührt.

51.      Dieses zweite Kind, könnte zwar den Ausschlag für die Entscheidung der Mutter geben, ihrem Ehemann in dessen Herkunftsstaat zu folgen und damit das Kind, das Unionsbürger ist, zum Verlassen des Unionsgebiets zu zwingen. Eine derartige Folge ergäbe sich jedoch, wie ausgeführt, nicht aus einer auf der Umsetzung des nationalen Rechts beruhenden Verpflichtung, sondern aus einer freien Entscheidung der Mutter.

52.      Der Sachverhalt der Rechtssache C357/11 lässt dies besonders gut erkennen. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass der Antragsteller sein Kind nie getroffen hat. Mit anderen Worten ist Frau L., die Mutter des Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitzt, seit der Rückkehr des Antragstellers in dessen Herkunftsstaat nie nach Algerien gereist, um ihren Ehemann wiederzusehen und ihm Gelegenheit zu geben, sein Kind zu treffen. Ebenso wenig hat es der Antragsteller – obwohl seine Abschiebung offenbar nicht mit einem Einreiseverbot verbunden war – nicht für erforderlich gehalten, seine in Finnland verbliebenen Familienangehörigen zu besuchen. Berücksichtigt man, dass Frau L. seit neun Jahren rechtmäßig in Finnland lebt und während dieser Zeit ein erstes Kind zur Welt gebracht hat, das die finnische Staatsangehörigkeit besitzt, dass sie über einen unbefristeten Aufenthaltstitel und über Einkünfte verfügt und dass sie nur während eines relativ kurzen Zeitraums von sieben Monaten mit ihrem Partner zusammengelebt hat, erscheint es nicht offensichtlich, dass sie sich dafür entscheiden wird, ihrem Ehemann in dessen Herkunftsstaat zu folgen und damit das Kind, das die Unionsbürgerschaft besitzt, dazu zu zwingen, das Gebiet der Union zu verlassen. Dass diesem Kind der Kernbestand der Rechte, die ihm der Unionsbürgerstatus verleiht, vorenthalten werden könnte, hängt somit vor allem von Zufällen und/oder dem Schicksal der Ehe seiner Mutter ab, nicht aber von durch die Umsetzung des nationalen Rechts bedingten zwingenden Gründen.

53.      Nach alledem ist Art. 20 AEUV nach meiner Auffassung dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet mit der Begründung zu verweigern, dass er nicht über genügend Einkünfte verfügt, wenn dieser Drittstaatsangehörige mit seinem Ehegatten, der Drittstaatsangehöriger ist und sich rechtmäßig im genannten Mitgliedstaat aufhält, und dem Kind aus erster Ehe seines Ehegatten, das die Unionsbürgerschaft besitzt, zusammenleben möchte.

54.      Diese Bestimmung ist auch dann nicht anders auszulegen, wenn unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren der Drittstaatsangehörige mit seinem Ehegatten und dessen Kind im betreffenden Mitgliedstaat zusammenlebt. Ebenso wenig ist Art. 20 AEUV anders auszulegen, wenn der Drittstaatsangehörige in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist, aber mit seinem Ehegatten ein Kind hat, das die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, im betreffenden Mitgliedstaat wohnt und für das beide Eltern gemeinsam das Sorgerecht haben.

55.      Dies greift jedoch nicht der Frage vor, ob den Antragstellern nicht aufgrund des Anspruchs auf Schutz des Familienlebens und insbesondere des Anspruchs auf Familienzusammenführung, der in der Richtlinie 2003/86 niedergelegt ist, ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Die in den Ausgangsverfahren beantragten Aufenthaltstitel sollen nämlich die Zusammenführung von Drittstaatsangehörigen mit ihrer Ehefrau, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, und ihrem gemeinsamen Kind ermöglichen(15).

B –    Zum Recht auf Familienzusammenführung

56.      Die Voraussetzungen, unter denen ein Drittstaatsangehöriger, der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, sein Recht auf Familienzusammenführung ausüben kann, sind in der Richtlinie 2003/86 festgelegt. Diese Richtlinie ist anwendbar, wenn dieser Drittstaatsangehörige über einen Aufenthaltstitel für ein Jahr oder länger verfügt, eine begründete Aussicht auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel hat und seine Familienangehörigen Drittstaatsangehörige sind.

57.      Alle diese Voraussetzungen sind in den Ausgangsverfahren erfüllt, da die Zusammenführenden – die die ghanaische bzw. algerische Staatsangehörigkeit besitzen – in Finnland über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügen und die Erteilung eines Aufenthaltstitels für ihre drittstaatsangehörigen Ehegatten beantragen, um die Familiengemeinschaft aufrechtzuerhalten.

58.      Folglich ist die Richtlinie 2003/86 auf die Betroffenen anwendbar.

59.      Dem Gerichtshof zufolge stellt die Genehmigung der Familienzusammenführung die Grundregel dar(16). Gleichwohl können die Mitgliedstaaten sie an bestimmte Voraussetzungen knüpfen, die in den Art. 6 bis 8 dieser Richtlinie angeführt sind. Insbesondere können sie nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verlangen, dass der Zusammenführende nachweist, dass er über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen.

60.      Auf der Grundlage dieser Bestimmung und insbesondere des § 39 Abs. 1 des Ausländergesetzes lehnte die Maahanmuuttovirasto die Anträge von Frau S. und Frau L. auf Anerkennung eines Anspruchs auf Familienzusammenführung ab. Außerdem bestand nach ihrer Ansicht kein Anlass, von dem in der genannten Bestimmung festgelegten Grundsatz abzuweichen, da die Umstände nicht besonders schwerwiegend seien und auch das Wohl der Kinder dies nicht erfordere.

61.      Angesichts der im Rahmen der Richtlinie 2003/86 und der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Grundsätze erscheint es mir wichtig, dass sich das vorlegende Gericht vergewissert, dass die Entscheidungen der Maahanmuuttovirasto unter Achtung des Familienlebens von Frau S. und Frau L. erlassen wurden und dabei insbesondere dem Wohl der betroffenen Kinder Rechnung getragen wurde.

62.      Zwar erkennt der Gerichtshof an, dass die Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung über einen Ermessensspielraum verfügen(17), insbesondere bei der Umsetzung der im Rahmen der Richtlinie 2003/86 festgelegten Kriterien.

63.      Bezüglich des in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie aufgestellten Kriteriums hat der Gerichtshof jedoch im Urteil Chakroun entschieden, dass diese Bestimmung eng auszulegen ist, um das Richtlinienziel – die Begünstigung der Familienzusammenführung – und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht zu beeinträchtigen(18). Zudem müssen die Mitgliedstaaten nach Ansicht des Gerichtshofs ihr Ermessen im Licht des Rechts auf Achtung des Familienlebens ausüben, das in Art. 8 EMRK verankert ist und in Art. 7 der Charta in gleicher Weise gewährleistet wird(19). Der Gerichtshof hat dazu auf den zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/86 Bezug genommen, in dem der Unionsgesetzgeber verlangt, dass Maßnahmen zur Familienzusammenführung im Einklang mit der in den genannten Vorschriften verankerten Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden.

64.      Was bedeutet dies in der Praxis für die Prüfung, die das nationale Gericht durchführt?

65.      Zur Beantwortung dieser Frage ist das Prüfungsschema zu beachten, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstellt hat und auf das sich die Rechtsprechung des Gerichtshofs weitgehend gründet.

66.      Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte garantiert das Recht auf Achtung des Familienlebens nicht allgemein das Recht, den Ort zu wählen, der für die Entwicklung des Familienlebens am geeignetsten ist(20).

67.      Außerdem hat er entschieden, dass ein Staat – vorbehaltlich seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen natürlich – das Recht hat, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen in sein Gebiet einem Kontrollregime zu unterwerfen, da die EMRK einem Ausländer kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in einen bestimmten Staat garantiert. Im Bereich der Einwanderung sind die Staaten nach seiner Auffassung zudem nicht verpflichtet, die Wahl anzuerkennen, die Ehepaare ausländischer Staatsangehörigkeit hinsichtlich ihrer ehelichen Niederlassung getroffen haben, und die Zusammenführung einer Familie auf ihrem Gebiet zu erlauben(21).

68.      Er hat jedoch eingeräumt, dass die Entscheidung eines Staats im Bereich der Einwanderung und der Familienzusammenführung das Recht auf Achtung des Familienlebens beeinträchtigen kann, insbesondere wenn diese Entscheidung auf die Beendigung des Aufenthalts einer Person in einem Staat, in dem seine Familienangehörigen leben, gerichtet ist(22).

69.      Folglich verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass die betreffende Entscheidung gemäß den in Art. 8 Abs. 2 EMRK aufgestellten Anforderungen erlassen wird. Im Rahmen einer Einzelfallprüfung prüft er daher, ob diese Entscheidung tatsächlich „gesetzlich vorgesehen“, von einem legitimen Ziel wie der Erhaltung der öffentlichen Ordnung geleitet und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, und führt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch.

70.      Entscheidend bei seiner Prüfung ist, ob in jedem Einzelfall ein gerechter Ausgleich zwischen dem Allgemeininteresse, den Interessen des Paares und gegebenenfalls denen des Kindes getroffen wurde.

71.      Im Rahmen seiner Prüfung untersucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zahlreiche Faktoren, die mit der individuellen und familiären Situation der betroffenen Personen zusammenhängen.

72.      In Bezug auf den Antragsteller berücksichtigt er dessen Staatsangehörigkeit sowie die Art der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen, die er zum Aufnahmestaat und zum Herkunftsstaat geknüpft hat. Gegebenenfalls berücksichtigt er auch die Dauer der Ehe und die Geburt ehelicher Kinder sowie jeden anderen Gesichtspunkt, der darauf hinweist, dass die Ehegatten tatsächlich ein Familienleben führen. In Bezug auf den Ehegatten berücksichtigt er die Art und das Ausmaß der Schwierigkeiten, mit denen dieser im Herkunftsstaat des Antragstellers möglicherweise konfrontiert sein wird(23).

73.      Bei der Abwägung der verschiedenen zu berücksichtigenden Interessen ist nach Ansicht des Gerichtshofs für Menschenrechte das Wohl des Kindes entscheidend und kann je nach Art und Schwere das Interesse der Eltern überwiegen(24). Das Wohl des Kindes verlange, dass die Bindungen zwischen ihm und seiner Familie erhalten blieben. Grundsätzlich könnten nur außergewöhnliche Umstände zu einem Zerbrechen der familiären Bindung führen, und es müsse alles unternommen werden, um die persönlichen Beziehungen und die Familiengemeinschaft aufrechtzuerhalten oder die Familie „wiederherzustellen“(25).

74.      In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einige auf das Kind bezogene individuelle Umstände, um das Wohl des Kindes bestmöglich zu bestimmen und sein Wohlbefinden sicherzustellen. Er berücksichtigt u. a. das Alter und den Reifegrad des Kindes sowie dessen Grad an Abhängigkeit von seinen Eltern und insoweit deren An- oder Abwesenheit. Er stellt auch auf das Umfeld, in dem das Kind lebt, und auf die Situation im Herkunftsstaat des betreffenden Elternteils ab, um die Schwierigkeiten zu beurteilen, denen das Kind dort möglicherweise ausgesetzt sein wird(26).

75.      Für die Beurteilung, ob der Staat in seiner Entscheidung einen gerechten Ausgleich geschaffen und die Vorschriften des Art. 8 EMRK eingehalten hat, berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle diese Gesichtspunkte und wägt sie gegen das allgemeine Interesse des Staates ab.

76.      Bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/86 haben die Mitgliedstaaten ebenfalls die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen und dabei insbesondere die des Kindes zu berücksichtigen. Der Gerichtshof hat dies in der Rechtssache, in der das Urteil Parlament/Rat ergangen ist, ausdrücklich anerkannt und hierzu weitgehend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Beachtung von Art. 8 EMRK Bezug genommen(27).

77.      Das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens wird in Art. 7 der Charta in Gleichlaut mit Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistet, was gemäß Art. 52 Abs. 3 der Charta bedeutet, dass die Bedeutung und die Tragweite der garantierten Rechte unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu bestimmen sind, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hierzu entwickelt hat(28).

78.      Ferner ist das nach Art. 7 der Charta garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Verbindung mit der in Art. 24 Abs. 2 der Charta niedergelegten Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls zu lesen(29). Mit anderen Worten und gemäß den Erfordernissen der letztgenannten Vorschrift müssen die Mitgliedstaaten das Wohl des Kindes beim Erlass von Kinder betreffenden Rechtsetzungsmaßnahmen durch eine öffentliche oder eine private Stelle zu einer vorrangigen Erwägung machen. Auf dieses Erfordernis wird in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86 ausdrücklich hingewiesen. Die Mitgliedstaaten müssen darüber hinaus sicherstellen, dass das Kind regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen pflegen kann(30).

79.      Aufgrund dessen ist es meines Erachtens Aufgabe des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die zuständige nationale Behörde die Interessen der Betroffenen bei der Anwendung der in der Richtlinie 2003/86 festgelegten Kriterien in den Grenzen des Ermessensspielraums, über den der Mitgliedstaat in diesem Bereich verfügt, gerecht und ausgewogen gewürdigt und dabei insbesondere dafür Sorge getragen hat, dass das Familienleben der Betroffenen geachtet und die beste Lösung für das Kind gefunden wird. Dabei wird es eine eingehende Prüfung der gesamten familiären Situation vorzunehmen und die besonderen Umstände des Einzelfalls – seien sie tatsächlicher, affektiver, psychologischer oder materieller Art – zu berücksichtigen haben.

80.      Gleichwohl möchte ich einige Bemerkungen zur Situation der Betroffenen in den beiden vorliegenden Fällen anführen.

81.      In der Rechtssache C356/11 stellt sich die Frage der „Fortsetzung“ des Familienlebens in Finnland, da der Antragsteller mit der Zusammenführenden, ihrem gemeinsamen Kind und dem Kind, das die Unionsbürgerschaft besitzt, zusammenlebt.

82.      Zwar hat der Antragsteller nicht nachgewiesen, dass er eine berufliche Tätigkeit ausübt, die ihm ausreichende Einkünfte verschafft, um die Voraussetzung des § 39 Abs. 1 des Ausländergesetzes zu erfüllen. Dennoch frage ich mich, inwieweit die Ablehnung seines Antrags und die Niederlassung der Familie in Côte d’Ivoire nicht zu Konsequenzen führen würde, die für die Kinder und die Zusammenführende zu schwerwiegend wären.

83.      Erstens liegt es im Interesse des Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitzt, soweit es geht, regelmäßige Beziehungen zu seinem Vater zu unterhalten, der in Finnland lebt und vielleicht ein Umgangsrecht hat – natürlich nur, wenn er sich nicht als besonders unwürdig erwiesen hat(31). Die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels an den Antragsteller und der Umzug der Familie nach Côte d’Ivoire würde faktisch zum Zerbrechen dieser Bindungen führen, da es für die Betroffenen schwieriger wäre, regelmäßige Kontakte aufrechtzuerhalten. Im Übrigen hat das betroffene Kind immer in Finnland gelebt, im kulturellen, sozialen und sprachlichen Umfeld dieses Mitgliedstaats, und besucht dort sogar die Schule. Daher hat es nur wenige oder gar keine Bindungen zur Republik Côte d’Ivoire. Auch wenn es in einem Alter ist, in dem die Anpassungsfähigkeit noch groß ist, sollte das nationale Gericht meines Erachtens die Schwierigkeiten bedenken, denen das Kind möglicherweise begegnet, wenn es seinem gewohnten Umfeld entrissen wird, um im Herkunftsstaat des Antragstellers zu leben.

84.      Ebenso ist offensichtlich, dass das Interesse des gemeinsamen Kindes, insbesondere in Anbetracht seines geringen Alters, verlangt, dass es im familiären Umfeld aufwächst und die Bindungen zwischen ihm und seinem Vater aufrechterhalten werden.

85.      Zweitens ergibt sich aus den Akten, dass die Zusammenführende in Finnland Bildungseinrichtungen besuchte, einen Beruf erlernte und eine Erwerbstätigkeit ausübte, so dass sie dort nicht nur persönliche und soziale, sondern auch wirtschaftliche und berufliche Beziehungen aufgebaut hat. Außerdem hat sie dort einen unbefristeten Aufenthaltstitel erlangt. Es stellt sich daher die Frage, ob von Frau S. erwartet werden kann, sich zu entscheiden, ob sie die Situation, die sie in Finnland erreicht hat, und damit die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die ihr Privatleben ausmachen, aufgeben oder auf das Zusammenleben mit ihrem Ehemann, mit dem sie zusammenlebt und der ein grundlegender Bestandteil ihres Familienlebens ist, verzichten will. Jedenfalls wird die Weigerung, ihrem Ehemann einen Aufenthaltstitel zu gewähren, eine Vielzahl von Konsequenzen haben, nämlich erstens für die Verantwortung, die sie als Mutter des Kindes, das die Unionsbürgerschaft besitzt, trägt, da es offenkundig im Interesse dieses Kindes liegt, in Finnland zu bleiben, zweitens für sie als Ehefrau eines ivorischen Staatsangehörigen und Mutter eines zweiten Kindes, das die ghanaische Staatsangehörigkeit besitzt, da alle ein Interesse daran haben, zusammenzuleben, und drittens für ihre persönliche und berufliche Situation, da es in Anbetracht der Situation, die sie in Finnland erreicht hat, mit Sicherheit in ihrem Interesse liegt, dort zu bleiben.

86.      In der Rechtssache C357/11 stellt sich dagegen die Frage der „Wiedervereinigung“ der Familie, da der Antragsteller nicht mehr mit der Zusammenführenden zusammenlebt. Diese Rechtssache unterscheidet sich von der ersten unter zwei Gesichtspunkten, die die tatsächliche Situation des Antragstellers betreffen.

87.      Erstens geht aus den Akten hervor, dass der Antragsteller nur während eines relativ kurzen Zeitraums von sieben Monaten mit seiner Partnerin zusammengelebt hat und sein Kind, das heute fünfeinhalb Jahre alt ist, nie getroffen hat. Zwar musste er Finnland vor der Geburt dieses Kindes verlassen. Wie bereits ausgeführt, ergibt sich aus den Akten jedoch nicht, dass seine Abschiebung mit einem Verbot der Einreise nach Finnland verbunden gewesen wäre. Daher frage ich mich, inwieweit es ihm nicht möglich gewesen wäre, seine Familienangehörigen zu besuchen und sein Kind zu treffen. Ebenso ergibt sich aus den Akten, dass Frau L., die doch algerische Staatsangehörige ist und nicht nur über einen unbefristeten Aufenthaltstitel in Finnland, sondern auch über finanzielle Mittel verfügt, nie in ihren Herkunftsstaat gereist ist, um ihren Ehemann wiederzusehen und ihm Gelegenheit zu geben, ihr gemeinsames Kind zu treffen. Diese Gesichtspunkte zeugen meines Erachtens nicht von einem wirklichen Willen, zusammenzuleben, und, was den Vater betrifft, nicht von dem wirklichen Wunsch, sein Kind zu treffen und sich um dieses zu kümmern.

88.      Zweitens meine ich, dass das Familienleben von Frau L. und Herrn M. zu einem Zeitpunkt begründet wurde und sich während eines Zeitraums entwickelte, zu dem ihnen bewusst war, dass der Fortbestand des Familienlebens in Finnland im Hinblick auf die Einwanderungsregelungen von vorneherein unsicher war(32). Der Antragsteller besaß nämlich nie einen befristeten Aufenthaltstitel in Finnland und erfüllte nicht die nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Voraussetzungen in Bezug auf die finanziellen Mittel. Folglich waren beide mit Sicherheit in der Lage, realistisch vorherzusehen, dass die Gefahr einer Abschiebung bestand und dass der Fortbestand des Familienlebens in Finnland unsicher war.

89.      Dies vorausgeschickt, verfüge ich nicht über alle Angaben, um sämtliche betroffenen Interessen gerecht abzuwägen, wofür selbstredend ein unmittelbarer Kontakt zu den Betroffenen erforderlich ist, über den nur die nationalen Behörden verfügen.

90.      Nach alledem ist es Aufgabe des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die zuständige nationale Behörde die betroffenen widerstreitenden Interessen bei der Anwendung der in der Richtlinie 2003/86 festgelegten Kriterien in den Grenzen des Ermessensspielraums, über den der Mitgliedstaat in diesem Bereich verfügt, gerecht und ausgewogen gewürdigt und dabei insbesondere dafür Sorge getragen hat, dass das Familienleben der Betroffenen geachtet und die beste Lösung für das Kind gefunden wird. Dabei wird es eine eingehende Prüfung der familiären Situation vorzunehmen und die besonderen Umstände des Einzelfalls – seien sie tatsächlicher, affektiver, psychologischer oder materieller Art – zu berücksichtigen haben.

V –    Ergebnis

91.      Im Licht der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Korkein hallinto-oikeus wie folgt zu antworten:

1.      Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht verbietet, einem Angehörigen eines Drittstaats den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet mit der Begründung zu verweigern, dass er nicht über ausreichende Einkünfte verfügt, wenn dieser Drittstaatsangehörige mit seinem Ehegatten, der Angehöriger eines Drittstaats ist und sich rechtmäßig im genannten Mitgliedstaat aufhält, und einem Kind aus erster Ehe seines Ehegatten, das die Unionsbürgerschaft besitzt, zusammenleben möchte.

Diese Bestimmung ist nicht anders auszulegen, wenn der Drittstaatsangehörige mit seinem Ehegatten und dessen Kind in dem Mitgliedstaat zusammenlebt.

Sie ist auch nicht anders auszulegen, wenn der Drittstaatsangehörige in seinen Herkunftsstaat zurückgekehrt ist, aber mit seinem Ehegatten ein Kind hat, das die Staatsangehörigkeit eines Drittstaats besitzt, in dem betreffenden Mitgliedstaat wohnt und für das beide Eltern gemeinsam das Sorgerecht haben.

2.      Es ist jedoch Aufgabe des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob die zuständige nationale Behörde die betroffenen widerstreitenden Interessen bei der Anwendung der in der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung festgelegten Kriterien in den Grenzen des Ermessensspielraums, über den der Mitgliedstaat in diesem Bereich verfügt, gerecht und ausgewogen gewürdigt und dabei insbesondere dafür Sorge getragen hat, dass das Familienleben der Betroffenen geachtet und die beste Lösung für das Kind gefunden wird. Dabei wird es eine eingehende Prüfung der familiären Situation vorzunehmen und die besonderen Umstände des Einzelfalls – seien sie tatsächlicher, affektiver, psychologischer oder materieller Art – zu berücksichtigen haben.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 –      Im Folgenden zusammen: Zusammenführende.


3 –      Richtlinie des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12).


4 –      Im Folgenden zusammen: Antragsteller.


5 –      Urteil vom 8. März 2011, C‑34/09, Slg. 2011, I‑1177.


6 –      Im Folgenden: Charta.


7 –      Unterzeichnet am 4. November 1950 in Rom, im Folgenden: EMRK.


8 – Dies ist auch in der Rechtssache C356/11 der Fall.


9 –      Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und Berichtigungen ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2005, L 197, S. 34).


10 –      Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a. (C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnr. 73).


11 –      Urteil vom 15. November 2011 (C‑256/11, Slg. 2011, I‑11315).


12 –      Randnrn. 53 bis 56 und die dort angeführte Rechtsprechung.


13 –      Randnr. 42.


14 –      Randnrn. 43 f.


15 – Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof, um dem Gericht, das ihm eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, eine sachdienliche Antwort zu geben, auf unionsrechtliche Vorschriften eingehen, die das vorlegende Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (vgl. hierzu Urteil vom 19. April 2012, Bonnier Audio, C461/10, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).


16 –      Urteil vom 4. März 2010, Chakroun (C578/08, Slg. 2010, I‑1839, Randnr. 43).


17 –      Urteil vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat (C‑540/03, Slg. 2006, I‑5769, Randnr. 59).


18 –      Urteil Chakroun (Randnr. 43).


19 –      Urteil Parlament/Rat (Randnrn. 52 ff.).


20 – Vgl. Urteil des EGMR vom 28. November 1996, Ahmut/Niederlande, Reports 1996-VI, 2030, § 71.


21 – Vgl. Urteile des EGMR vom 19. Februar 1996, Gül/Schweiz, Reports 1996-I, 174, § 38; Ahmut/Niederlande (§ 67), und vom 21. Dezember 2001, Şen/Niederlande, Reports 2001-I, § 36. Vgl. auch aus der neueren Rechtsprechung Urteil des EGMR vom 12. Juni 2012, Bajsultanov/Österreich, § 78 und die dort angeführte Rechtsprechung.


22 – Vgl. u. a. Urteile des EGMR vom 2. August 2001, Boultif/Schweiz, § 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Bajsultanov/Österreich, § 78 und die dort angeführte Rechtsprechung.


23 – Vgl. Urteile des EGMR Boultif/Schweiz, § 48, und vom 28. September 2011, Nunez/Norwegen, § 70.


24 – Zum Wohl des Kindes in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vgl. u. a. EGMR, Urteil vom 6. Juli 2010, Neulinger und Shuruk/Schweiz, §§ 49 bis 64.


25 –      Ebd. (§ 136 und die dort angeführte Rechtsprechung).


26 – Vgl. Urteile des EGMR Şen/Niederlande, § 37, und vom 31. Januar 2006, Rodrigues da Silva und Hoogkamer/Niederlande, Reports 2006-I, § 39, sowie die Richtlinien des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (HCR) zur Bestimmung des Kindeswohls, hrsg. vom HCR im Mai 2008, abrufbar unter der Internetadresse http://www.unhcr.org/refworld/docid/48480c342.html.


27 –      Randnrn. 62 bis 66 und die dort angeführte Rechtsprechung.


28 –      Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, Slg. 2010, I‑13849, Randnr. 35).


29 –      Urteil Parlament/Rat (Randnr. 58).


30 – Die in der Charta niedergelegten Rechte orientieren sich unmittelbar an den Rechten, die in der Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989, die am 2. September 1990 in Kraft getreten ist, United Nations Treaty Series, Bd. 1577, S. 3, niedergelegt sind. Vgl. insbesondere Art. 3 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 und 3 sowie Art. 10 dieser Konvention.


31 – Vgl. allgemeiner Kommentar Nr. 17 des Menschenrechtsausschusses zu Art. 24 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, der am 16. Dezember 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde und am 23. März 1976 in Kraft getreten ist.


32 – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat entschieden, dass in einem solchen Fall die Ausweisung eines Familienmitglieds, das nicht die Staatsangehörigkeit des Gastlandes besitzt, nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellt, vgl. EGMR, Urteil Rodrigues da Silva und Hoogkamer/Niederlande, § 39 und die dort angeführte Rechtsprechung.