Language of document : ECLI:EU:C:2011:154

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

17. März 2011(*)

„Richtlinie 85/337/EWG – Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten – Flugplätze mit einer Startbahngrundlänge von 2 100 m und mehr – Begriff ‚Bau‘ – Verlängerung der Betriebsgenehmigung“

In der Rechtssache C‑275/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Belgien) mit Entscheidung vom 14. Juli 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2009, in dem Verfahren

Brussels Hoofdstedelijk Gewest,

Pieter De Donder,

Fernande De Becker,

Katrien Colenbie,

Philippe Hutsenbaut,

Bea Kockaert,

VZW Boreas,

Frédéric Petit,

Stéphane de Burbure de Wezembeek,

Lodewijk Van Dessel

gegen

Vlaams Gewest,

Beteiligte:

The Brussels Airport Company NV,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter J.‑J. Kasel, A. Borg Barthet und M. Ilešič sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin),

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Brussels Hoofdstedelijk Gewest, vertreten durch F. Tulkens und J. Mosselmans, advocaten,

–        von F. De Becker, K. Colenbie, P. Hutsenbaut, B. Kockaert und der VZW Boreas, vertreten durch I. Larmuseau und H. Schoukens, advocaten,

–        von F. Petit, vertreten durch J. Verstraeten und S. Vanthienen, advocaten,

–        von S. de Burbure de Wezembeek, vertreten durch M. Denys, advocaat,

–        von L. Van Dessel, vertreten durch P. Flamey und P.‑J. Vervoort, advocaten,

–        dem Vlaams Gewest, vertreten durch J. Vanpraet und S. Ronse, advocaten,

–        der The Brussels Airport Company NV, vertreten durch D. Ryckbost und A. Lippens, advocaten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Fiengo, avvocato dello Stato,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver, J.‑B. Laignelot und B. Burggraaf als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. November 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Nr. 7 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. L 73, S. 5) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/337).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Brussels Hoofdstedelijk Gewest (Region Brüssel-Hauptstadt) und mehreren Klägern im Vlaams Gewest (Flämische Region) wegen einer Entscheidung über den Betrieb des Flughafens Brüssel-Zaventem.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

Projekt:

–        die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen,

–        sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen;

Genehmigung:

Entscheidung der zuständigen Behörde oder der zuständigen Behörden, aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält.“

4        Nach Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 85/337 treffen die „Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit vor Erteilung der Genehmigung die Projekte, bei denen unter anderem aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Genehmigungspflicht unterworfen und einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden“.

5        Die betroffenen Projekte sind in Art. 4 der Richtlinie 85/337 definiert. Diese Vorschrift unterscheidet zwischen den im Anhang I aufgeführten Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen, und den im Anhang II der Richtlinie genannten Projekten, bei denen die Mitgliedstaaten anhand einer Einzelfalluntersuchung oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien bestimmen müssen, ob sie einer derartigen Prüfung unterzogen werden müssen oder nicht.

6        Nr. 7 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 85/337 betrifft den „Bau von … Flugplätzen mit einer Start‑ und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr“.

7        Nr. 13 erster Gedankenstrich des Anhangs II der Richtlinie erfasst die „Änderung oder Erweiterung von bereits genehmigten, durchgeführten oder in der Durchführungsphase befindlichen Projekten des Anhangs I oder II, die erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt haben können“.

 Nationales Recht

8        Die in der Flämischen Region geltende Regelung unterscheidet zwischen einer „Baugenehmigung“, mit der die Durchführung bestimmter Arbeiten genehmigt wird, und einer „Umweltgenehmigung“ zur Genehmigung des Betriebs einer als störend klassifizierten Anlage.

9        Die Erteilung einer Umweltgenehmigung, deren Gültigkeit stets befristet ist, ist in dem Dekret des flämischen Parlaments vom 28. Juni 1985 über die Umweltgenehmigung in Verbindung mit der Durchführungsverordnung der flämischen Regierung vom 6. Februar 1991 geregelt.

10      Seit dem Inkrafttreten einer neuen Klassifizierungsliste am 1. Mai 1999 in der durch ein Dekret der flämischen Regierung vom 12. Januar 1999 geänderten Fassung fallen „Gelände für Flugplätze mit einer Start‑ und Landebahngrundlänge von … 1 900 m und mehr“ in die Kategorie der störenden Anlagen, die einer Umweltgenehmigung bedürfen.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Der in der flämischen Region gelegene Flughafen Brüssel-Zaventem verfügt über drei Start‑ und Landebahnen mit einer Länge von mehr als 2 100 m. Zwar existiert er bereits seit mehreren Jahrzehnten, jedoch bedarf sein Betrieb erst seit 1999 einer Umweltgenehmigung.

12      Die erste Umweltgenehmigung wurde am 1. Februar 2000 für die Dauer von fünf Jahren erteilt. Diese Genehmigung, in der u. a. Lärmschutznormen festgelegt waren, wurde dreimal im Sinne einer stärkeren Herabsetzung der gesamten Lärmbelastung geändert. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass den Akten nicht zu entnehmen ist, ob für diese Genehmigung sowie deren spätere Änderungen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde.

13      Am 5. Januar 2004 beantragte The Brussels Airport Company NV für die Fortsetzung des Flughafenbetriebs und eine Änderung des Flugplatzes durch seine Erweiterung um einige Parzellen die Erteilung einer Umweltgenehmigung.

14      Am 8. Juli 2004 erteilte die Bestendige Deputatie des Provinzialrats von Flämisch-Brabant für die Fortsetzung des Betriebs des Flughafens die beantragte Genehmigung, wies den Antrag auf dessen Erweiterung jedoch zurück. Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung hielt die Bestendige Deputatie nicht für erforderlich.

15      Gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch eingelegt. Die Widerspruchsführer machten insbesondere geltend, dass dem Antrag auf Erteilung einer Umweltgenehmigung eine Umweltverträglichkeitsstudie hätte beigefügt werden müssen.

16      Am 30. Dezember 2004 bestätigte der flämische Minister für öffentliche Arbeiten, Energie, Umwelt und Natur den Bescheid der Bestendige Deputatie von Flämisch-Brabant. Er hielt die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung weder nach der flämischen Regelung noch nach der Richtlinie 85/337 für erforderlich.

17      Das Brussels Hoofdstedelijk Gewest und einige weitere Kläger legten gegen diese Entscheidung, die den ersten Bescheid bestätigte, beim Raad van State Rechtsmittel ein. Sie machen geltend, dass sie rechtsfehlerhaft sei, weil die Erteilung einer Umweltgenehmigung die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung voraussetze und hiergegen verstoßen worden sei.

18      Unter diesen Umständen hat der Raad van State das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist, wenn für Arbeiten an der Infrastruktur eines Flugplatzes mit einer Start‑ und Landebahngrundlänge von 2 100 m und mehr einerseits und für den Betrieb dieses Flugplatzes andererseits unterschiedliche Genehmigungen vorgeschrieben sind und die Genehmigung im letzteren Fall – die Umweltgenehmigung – nur für einen bestimmten Zeitraum erteilt wird, der Begriff „Bau“ im Sinne von Nr. 7 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 85/337 dahin auszulegen, dass nicht nur für die Vornahme von Infrastrukturarbeiten eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, sondern auch für den Betrieb des Flugplatzes?

2.      Gilt diese Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch für die Verlängerung der Umweltgenehmigung für den Flugplatz, etwa in dem Fall, dass die Verlängerung nicht mit einer Veränderung oder Erweiterung des Betriebs einhergeht, ebenso wie in dem Fall, dass eine solche Veränderung oder Erweiterung angestrebt wird?

3.      Ist die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der Verlängerung einer Umweltgenehmigung für einen Flugplatz anders zu beurteilen, wenn eine solche Umweltverträglichkeitsprüfung bereits zu einem früheren Zeitpunkt, etwa aus Anlass der Erteilung einer Betriebsgenehmigung, durchgeführt oder der Flugplatz zum Zeitpunkt der Einführung der Umweltverträglichkeitsprüfungspflicht durch den Gemeinschafts- oder innerstaatlichen Gesetzgeber bereits betrieben wurde?

 Zu den Vorlagefragen

19      Zur Beantwortung dieser Fragen, die zusammen zu prüfen sind, ist zu untersuchen, ob der Betrieb eines Flughafens ein „Projekt“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 sein kann und ob bejahendenfalls ein derartiges Projekt unter die in den Anhängen I und II dieser Richtlinie genannten Projekte fällt.

20      Wie der Gerichtshof in Randnr. 23 seines Urteils vom 28. Februar 2008, Abraham u. a. (C‑2/07, Slg. 2008, I‑1197), festgestellt hat, bezieht sich das Wort „Projekt“ schon nach dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 auf materielle Arbeiten oder Eingriffe.

21      In der Vorlageentscheidung wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Maßnahme, um die es in dem Ausgangsrechtsstreit geht, lediglich die Verlängerung der bestehenden Betriebsgenehmigung für den Flughafen Brüssel-Zaventem, nicht jedoch Arbeiten oder Eingriffe zur Änderung des materiellen Zustands eines Platzes betrifft.

22      Einige der Kläger des Ausgangsverfahrens haben allerdings geltend gemacht, dass der Begriff „materielle Eingriffe“ weit im Sinne eines jeden Eingriffs in die Natur auszulegen sei. Sie verweisen hierzu auf die Randnrn. 24 und 25 des Urteils vom 7. September 2004, Waddenvereniging und Vogelbeschermingsvereniging (C‑127/02, Slg. 2004, I‑7405), wo der Gerichtshof festgestellt habe, dass eine Tätigkeit wie die mechanische Herzmuschelfischerei vom Begriff Projekt, wie ihn Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337 definiere, erfasst werde.

23      Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Wie nämlich der Generalanwalt in Nr. 22 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, war die Tätigkeit, um die es in der Rechtssache ging, in der jenes Urteil ergangen ist, mit der in Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337 ausdrücklich erwähnten Tätigkeit des Abbaus von Bodenschätzen vergleichbar und führte zu regelrechten materiellen Veränderungen des Meeresgrundes.

24      Daraus folgt, dass die nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung des materiellen Zustands des Platzes verbundene Verlängerung einer bestehenden Betriebsgenehmigung für einen Flughafen nicht als Projekt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337 eingestuft werden kann.

25      Darüber hinaus gebietet Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 jedenfalls nicht, dass jedes Projekt, das erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, dem in der Richtlinie vorgesehenen Prüfungsverfahren unterzogen wird, sondern schreibt ein solches Verfahren nur für die in den Anhängen I und II der Richtlinie genannten Projekte vor (Beschluss vom 10. Juli 2008, Aeillo u. a., C‑156/07, Slg. 2008, I‑5215, Randnr. 34).

26      Wie der Generalanwalt in Nr. 26 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der in Nr. 7 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 85/337 verwendete Begriff „Bau“ unmissverständlich und im üblichen Sinne zu verstehen, d. h., er bezieht sich auf die Errichtung von vorher nicht bestehenden Bauwerken oder die Veränderung, im materiellen Sinne, von bereits bestehenden Werken.

27      Der Gerichtshof hat den Begriff „Bau“ in seiner Rechtsprechung zwar weit ausgelegt, indem er festgestellt hat, dass Arbeiten zur Erneuerung einer bestehenden Straße aufgrund ihres Umfangs und ihrer Art dem Bau einer neuen Straße gleichkommen können (Urteil vom 25. Juli 2008, Ecologistas en Acción-CODA, C‑142/07, Slg. 2008, I‑6097, Randnr. 36). Ebenso hat er Nr. 13 des Anhangs II der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit Nr. 7 ihres Anhangs I dahin ausgelegt, dass sich diese Vorschriften auch auf Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start‑ und Landebahn beziehen, sofern diese Arbeiten, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind (Urteil Abraham u. a., Randnr. 40).

28      Aus diesen Urteilen ergibt sich jedoch, dass es in allen ihnen zugrunde liegenden Fällen um materielle Arbeiten ging, was gemäß den Angaben des vorlegenden Gerichts im Ausgangsverfahren nicht der Fall ist.

29      Zwar hat die Richtlinie 85/337 nach ständiger Rechtsprechung, wie der Generalanwalt in Nr. 28 seiner Schlussanträge bemerkt, einen ausgedehnten Anwendungsbereich und einen sehr weitreichenden Zweck (vgl. insbesondere Urteile Abraham u. a., Randnr. 32, sowie Ecologistas en Acción-CODA, Randnr. 28), aber ihre teleologische Auslegung darf den klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Unionsgesetzgebers nicht verfälschen.

30      Infolgedessen kann die nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung des materiellen Zustands des Platzes verbundene Verlängerung einer bestehenden Betriebsgenehmigung für einen Flughafen jedenfalls nicht als „Bau“ im Sinne von Nr. 7 Buchst. a des Anhangs I der Richtlinie 85/337 eingestuft werden.

31      Allerdings haben einige der Kläger des Ausgangsverfahrens im Verfahren vor dem Gerichtshof und insbesondere in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass seit dem Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 85/337 Arbeiten zur Änderung der Infrastruktur des Flughafens Brüssel-Zaventem vorgenommen worden seien, ohne dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden wäre.

32      Dazu ist zu bemerken, dass eine Genehmigung, die sich wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht ausdrücklich auf eine Tätigkeit bezieht, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne der Anhänge I und II der Richtlinie 85/337 zu unterziehen ist, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gleichwohl die Durchführung einer derartigen Prüfung erfordern kann, wenn diese Maßnahme eine Stufe in einem Verfahren darstellt, das letztlich die Genehmigung einer Tätigkeit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der genannten Richtlinie zum Ziel hat (vgl. in diesem Sinne Urteil Abraham u. a., Randnr. 25).

33      Sieht das nationale Recht ein mehrstufiges Genehmigungsverfahren vor, so ist nach derselben Rechtsprechung grundsätzlich die Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts durchzuführen, sobald es möglich ist, sämtliche Auswirkungen zu ermitteln und zu prüfen, die das Projekt möglicherweise auf die Umwelt hat (vgl. Urteil vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, Slg. 2004, I‑723, Randnr. 53, sowie Abraham u. a., Randnr. 26). In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof auch entschieden, dass eine nationale Vorschrift, nach der die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung lediglich während der ersten Stufe des Genehmigungsverfahrens, nicht aber auf einer späteren Stufe dieses Verfahrens durchgeführt werden kann, gegen die Richtlinie 85/337 verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Mai 2006, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑508/03, Slg. 2006, I‑3969, Randnrn. 105 und 106).

34      In der vorliegenden Rechtssache ist es deshalb Sache des vorlegenden Gerichts, im Licht der in den Randnrn. 27, 32 und 33 des vorliegenden Urteils genannten Rechtsprechung anhand der anwendbaren nationalen Regelung festzustellen, ob eine Entscheidung wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, als eine Stufe in einem mehrstufigen Genehmigungsverfahren angesehen werden kann, das letztlich die Durchführung von Tätigkeiten zum Ziel hat, die ein Projekt im Sinne der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 85/337 darstellen.

35      Hinsichtlich der Prüfung des Sachverhalts ist das vorlegende Gericht daran zu erinnern, dass der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass Änderungen der Infrastruktur eines vorhandenen Flugplatzes ohne Verlängerung der Start‑ und Landebahn unter Nr. 13 des Anhangs II der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit Nr. 7 ihres Anhangs I fallen, sofern diese Arbeiten, insbesondere aufgrund ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Merkmale, als Änderung des Flugplatzes selbst anzusehen sind (Urteil Abraham u. a., Randnr. 40).

36      Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass das Ziel der Unionsregelung nicht durch eine Aufsplitterung von Projekten umgangen werden darf und dass die Nichtberücksichtigung der kumulativen Wirkung von Projekten nicht zur Folge haben darf, dass die Projekte insgesamt der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung entzogen werden, obwohl sie zusammengenommen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 haben können (Urteil Abraham u. a., Randnr. 27).

37      Sollte sich herausstellen, dass seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 85/337 Arbeiten oder materielle Eingriffe, die als Projekt im Sinne dieser Richtlinie anzusehen sind, auf dem Flugplatz durchgeführt wurden, ohne dass deren Umweltverträglichkeit auf einer früheren Stufe des Genehmigungsverfahrens geprüft wurde, wird das vorlegende Gericht dem auf der Stufe der Erteilung der Betriebsgenehmigung Rechnung zu tragen und die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie sicherzustellen haben, indem es dafür sorgt, dass eine derartige Prüfung zumindest auf dieser Stufe durchgeführt wird.

38      Somit ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337 und Nr. 7 ihres Anhangs I dahin auszulegen sind, dass

–        die Verlängerung einer bestehenden Betriebsgenehmigung für einen Flughafen, die nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung des materiellen Zustands des Platzes verbunden ist, weder als „Projekt“ noch als „Bau“ im Sinne dieser Bestimmungen eingestuft werden kann;

–        es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand der anwendbaren nationalen Regelung, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der kumulativen Wirkung mehrerer seit Inkrafttreten dieser Richtlinie durchgeführter Arbeiten oder Eingriffe festzustellen, ob diese Genehmigung Teil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens ist, das letztlich die Durchführung von Tätigkeiten zum Ziel hat, die ein Projekt im Sinne von Nr. 13 erster Gedankenstrich des Anhangs II in Verbindung mit Nr. 7 des Anhangs I dieser Richtlinie darstellen. Falls die Umweltverträglichkeit derartiger Arbeiten oder Eingriffe nicht auf einer früheren Stufe des Genehmigungsverfahrens geprüft wurde, wird das vorlegende Gericht die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie sicherzustellen haben, indem es dafür sorgt, dass eine derartige Prüfung zumindest auf der Stufe der Erteilung der Betriebsgenehmigung durchgeführt wird.

 Kosten

39      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Art. 1 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 geänderten Fassung und Nr. 7 ihres Anhangs I sind dahin auszulegen, dass

–        die Verlängerung einer bestehenden Betriebsgenehmigung für einen Flughafen, die nicht mit Arbeiten oder Eingriffen zur Änderung des materiellen Zustands des Platzes verbunden ist, weder als „Projekt“ noch als „Bau“ im Sinne dieser Bestimmungen eingestuft werden kann;

–        es jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist, anhand der anwendbaren nationalen Regelung, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der kumulativen Wirkung mehrerer seit Inkrafttreten dieser Richtlinie durchgeführter Arbeiten oder Eingriffe festzustellen, ob diese Genehmigung Teil eines mehrstufigen Genehmigungsverfahrens ist, das letztlich die Durchführung von Tätigkeiten zum Ziel hat, die ein Projekt im Sinne von Nr. 13 erster Gedankenstrich des Anhangs II in Verbindung mit Nr. 7 des Anhangs I dieser Richtlinie darstellen. Falls die Umweltverträglichkeit derartiger Arbeiten oder Eingriffe nicht auf einer früheren Stufe des Genehmigungsverfahrens geprüft wurde, wird das vorlegende Gericht die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie sicherzustellen haben, indem es dafür sorgt, dass eine derartige Prüfung zumindest auf der Stufe der Erteilung der Betriebsgenehmigung durchgeführt wird.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Niederländisch.