Language of document : ECLI:EU:C:2013:482

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

18. Juli 2013(*)

„Rechtsmittel – Kartelle – Markt für Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk – Festlegung von Preiszielen, Aufteilung der Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen und Austausch von Geschäftsinformationen – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Ermessen der Kommission – Multiplikator zu Abschreckungszwecken – Gleichbehandlung“

In der Rechtssache C‑499/11 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. September 2011,

The Dow Chemical Company mit Sitz in Midland (Vereinigte Staaten von Amerika),

Dow Deutschland Inc. mit Sitz in Schwalbach (Deutschland),

Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH mit Sitz in Schwalbach,

Dow Europe GmbH mit Sitz in Horgen (Schweiz),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte D. Schroeder und T. Kuhn sowie T. Graf, advokat,

Klägerinnen,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und V. Bottka als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg-Barthet, E. Levits und J.‑J. Kasel,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2013,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen The Dow Chemical Company (im Folgenden: Dow Chemical), die Dow Deutschland Inc. (im Folgenden: Dow Deutschland), die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH (im Folgenden: Dow Deutschland Anlagengesellschaft) und die Dow Europe GmbH (im Folgenden: Dow Europe, und für alle diese Gesellschaften gemeinsam: Dow) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2011, Dow Chemical u. a./Kommission (T‑42/07, Slg. 2011, II‑4531, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 5700 endg. der Kommission vom 29. November 2006 in einem Verfahren nach Artikel 81 [EG] und Artikel 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/F/38.638 – Butadienkautschuk und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk) (im Folgenden: streitige Entscheidung), soweit sie Dow Chemical betrifft, und auf Herabsetzung der gegen Dow verhängten Geldbuße teilweise abgewiesen hat.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitige Entscheidung

2        Am 20. Dezember 2002 wandte sich die Bayer AG (im Folgenden: Bayer) mit dem Wunsch an die Europäische Kommission, mit ihr gemäß ihrer Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) in Bezug auf Butadienkautschuk (im Folgenden: BR) und Emulsionsstyrol-Butadienkautschuk (im Folgenden: ESBR) – synthetische Kautschuke, die vor allem in der Reifenproduktion verwendet werden – zusammenzuarbeiten.

3        Am 16. Oktober 2003 besuchten Dow Deutschland und Dow Deutschland Anlagengesellschaft die Kommission und schlugen eine Zusammenarbeit gemäß der Kronzeugenregelung vor. Am 4. März 2005 teilte die Kommission Dow Deutschland mit, dass sie die Absicht habe, ihr eine Ermäßigung der Geldbuße von 30 % bis 50 % zu gewähren.

4        Am 7. Juni 2005 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) betreffend den Markt für BR und ESBR. Sie richtete eine erste Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: erste Mitteilung) u. a. an Dow.

5        Am 6. April 2006 nahm die Kommission eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte (im Folgenden: zweite Mitteilung) an.

6        Das Verwaltungsverfahren führte am 29. November 2006 zum Erlass der streitigen Entscheidung. Nach deren Art. 1 haben Dow und die anderen Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet ist, nämlich Bayer, die Versalis SpA, vormals Polimeri Europa SpA, und die Eni SpA (im Folgenden zusammen: Eni), die Shell Petroleum NV, die Shell Nederland BV und die Shell Nederland Chemie BV (im Folgenden zusammen: Shell), die Unipetrol a.s., die Kaučuk a.s. (im Folgenden: Kaučuk) und die Trade-Stomil sp. z o.o. (im Folgenden: Stomil), gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verstoßen, indem sie an einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt waren, in deren Rahmen sie Preisziele für ihre Produkte festlegten, Kunden durch Nichtangriffsvereinbarungen aufteilten und sensible Geschäftsinformationen über Preise, Wettbewerber und Kunden im BR- und im ESBR-Sektor austauschten.

7        Hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung wurden folgende Zeiträume berücksichtigt: 1. Juli 1996 bis 28. November 2002 für Dow Chemical, 1. Juli 1996 bis 27. November 2001 für Dow Deutschland, 22. Februar 2001 bis 28. Februar 2002 für Dow Deutschland Anlagengesellschaft und 26. November 2001 bis 28. November 2002 für Dow Europe.

8        Nach den Erwägungsgründen 16 bis 21 der streitigen Entscheidung standen in der Zeit, in der Dow an der fraglichen Zuwiderhandlung beteiligt war, Dow Deutschland, Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe unmittelbar oder mittelbar vollständig unter der Kontrolle von Dow Chemical.

9        Die mit der streitigen Entscheidung verhängte Geldbuße wurde anhand der Mitteilung der Kommission mit „Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden“ (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), berechnet.

10      So betrachtete die Kommission zunächst die begangene Zuwiderhandlung als „besonders schwer“ und setzte den Grundbetrag für die Berechnung der Geldbuße fest, indem sie nach den Verkaufszahlen für BR und ESBR jedes der betroffenen Unternehmen im Jahr 2001 differenzierte. Bei Dow beliefen sich die Verkaufszahlen für BR und ESBR nach dem 469. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung auf 126,936 Mio. Euro im Jahr 2001. In Anbetracht dieses Betrags wurde Dow, gemessen an den Verkaufszahlen für BR und ESBR, der zweiten Kategorie der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zugeordnet. Auf dieser Grundlage setzte die Kommission den Grundbetrag der gegen Dow verhängten Geldbuße auf 41 Mio. Euro fest.

11      Sodann wendete die Kommission, gestaffelt nach den Weltumsätzen der betreffenden Unternehmen im Jahr 2005, Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken an. Sie war der Ansicht, dass weder bei Stomil, deren Umsatz 38 Mio. Euro betrug, noch bei Kaučuk, deren Umsatz sich auf 2,718 Mrd. Euro belief, ein Multiplikator anzuwenden sei, und wandte Multiplikatoren von 1,5 bei Bayer, 1,75 bei Dow, 2 bei Eni und 3 bei Shell an, deren Umsätze sich auf 27,383 Mrd. Euro, 37,221 Mrd. Euro, 73,738 Mrd. Euro und 246,549 Mrd. Euro beliefen.

12      Darüber hinaus wurde bei Dow Chemical der Grundbetrag für die Berechnung der Geldbuße insbesondere wegen ihrer Beteiligung an der fraglichen Zuwiderhandlung während eines Zeitraums von sechs Jahren und vier Monaten um 50 % erhöht. Bei Dow Deutschland belief sich diese Erhöhung auf 40 %. Bei Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe wurde entsprechend der Dauer ihrer Beteiligung am Kartell eine Erhöhung um 10 % festgesetzt.

13      Schließlich gewährte die Kommission Dow als dem zweiten Unternehmen, das sich nach der Kronzeugenregelung an sie gewandt hatte, und als dem ersten Unternehmen, das die in Nr. 21 dieser Regelung genannten Bedingungen erfüllte, eine Ermäßigung der Geldbuße, die gegen Dow verhängt worden wäre, wenn sie bei der Untersuchung nicht mitgewirkt hätte, um 40 %.

14      Daher verhängte die Kommission in Art. 2 Buchst. b der streitigen Entscheidung eine Geldbuße von 64,575 Mio. Euro gegen Dow Chemical, wobei Dow Deutschland für 60,27 Mio. Euro sowie Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe jeweils für 47,355 Mio. Euro gesamtschuldnerisch haften sollten.

 Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

15      Mit am 16. Februar 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift erhob Dow eine Klage gegen die streitige Entscheidung und beantragte für Dow Chemical, die Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese an sie gerichtet ist, für Dow Deutschland, Art. 1 dieser Entscheidung insofern für nichtig zu erklären, als darin eine Verletzung von Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens durch Dow Deutschland ab dem 1. Juli 1996 festgestellt wird, und für alle Klägerinnen – für Dow Chemical hilfsweise –, den gegen sie verhängten Betrag der Geldbuße deutlich herabzusetzen.

16      Ferner beantragten alle Klägerinnen, der Kommission ihre sämtlichen mit dem vorliegenden Verfahren verbundenen Kosten sowie die Kosten aufzuerlegen, die ihnen für die Bereitstellung einer Bankbürgschaft zur Deckung der durch die streitige Entscheidung gegen sie verhängten Geldbuße bis zu einer Entscheidung des Gerichts in der Sache entstanden sind, und jede vom Gericht für sachdienlich gehaltene andere Maßnahme zu ergreifen.

17      Mit dem ersten Klagegrund machte Dow die Rechtswidrigkeit der Zurechnung der Zuwiderhandlung an Dow Chemical geltend. Mit dem zweiten Klagegrund wurde gerügt, die Kommission habe die Dauer der Beteiligung von Dow Deutschland an der Zuwiderhandlung falsch bestimmt. Mit dem in neun Teile gegliederten dritten Klagegrund machte Dow geltend, die Kommission habe die gegen sie verhängte Geldbuße falsch bestimmt.

18      Das Gericht hat den ersten Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückgewiesen. Insoweit hat es in den Randnrn. 74 und 75 des angefochtenen Urteils insbesondere entschieden, dass Dow Chemical „an der Spitze des Konzerns“ stehe und dass „nicht bestritten wird, dass sie, auch mittelbar, alle Anteile der an der Zuwiderhandlung direkt beteiligten Gesellschaften hält“. Es hat weiter ausgeführt, dass „die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft im Ermessen der Kommission“ steht und dass „einzig die Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis angenommen hat, dass die Umstände eines Falles die Zurechnung eines Verhaltens einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft nicht rechtfertigen, nicht bedeutet, dass sie dieselbe Bewertung auch in einer späteren Entscheidung anwenden muss“.

19      In Randnr. 76 des angefochtenen Urteils hat das Gericht festgestellt, dass der „Umstand, dass Dow Chemical als Adressatin der [streitigen] Entscheidung zu Unrecht verletzt sein soll, … deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage stellen“ könne. Schließlich hat das Gericht zum Vorwurf des Begründungsmangels in Randnr. 77 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass das „Begründungserfordernis … anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen“ sei und dass in „der Begründung … nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden [brauchen], weil die Frage, ob sie den Erfordernissen des Art. [296 AEUV] genügt, nicht nur anhand des Wortlauts des fraglichen Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand des Zusammenhangs, in dem dieser Rechtsakt erlassen wurde“. Die Kommission habe jedoch „in den Erwägungsgründen 333 bis 338 und 340 bis 364 der [streitigen] Entscheidung eindeutig die Beurteilungsgesichtspunkte herausgestellt …, die es ihr hier ermöglicht haben, die Verantwortlichkeit von Dow Chemical anzunehmen“ (vgl. Randnr. 79 des angefochtenen Urteils).

20      Zum zweiten Klagegrund hat das Gericht ausgeführt, dass die Kommission das Vorliegen von Umständen, die eine Zuwiderhandlung von Dow Deutschland zwischen dem 1. Juli und dem 2. September 1996 belegen, nicht hinreichend bewiesen habe.

21      Zum dritten Klagegrund hat das Gericht in den Randnrn. 123 und 124 des angefochtenen Urteils zunächst festgestellt, dass „der individuelle Beitrag jedes Unternehmens zum Erfolg des Kartells, gemessen an der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit, … von den tatsächlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlung nach Nr. 1 A Abs. 1 der Leitlinien zu unterscheiden“ sei und dass „die Kommission selbst bei Fehlen einer konkreten, messbaren Auswirkung der Zuwiderhandlung gemäß Nr. 1 A Abs. 3, 4 und 6 der Leitlinien und nach Einstufung der Zuwiderhandlung als minder schwer, schwer und besonders schwer beschließen [kann], zwischen den betroffenen Unternehmen zu differenzieren“.

22      Sodann hat das Gericht in den Randnrn. 126 und 127 ausgeführt, dass „Dow … nicht den rechtswidrigen Gegenstand des Kartells, wie er in der [streitigen] Entscheidung … beschrieben wird“, bestreite und dass die „Kommission … keinen Fehler begangen [hat], indem sie die streitigen Praktiken aufgrund ihrer Natur als besonders schwere Verstöße einstufte, ohne die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu berücksichtigen“. Zudem habe die Kommission „im 462. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung eindeutig angegeben …, dass sie bei der Bemessung der Geldbußen die Auswirkungen auf den Markt nicht berücksichtigen werde“.

23      Bezüglich des Vorwurfs der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs von Dow hat das Gericht in Randnr. 128 des angefochtenen Urteils entschieden, dass „die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen [erfüllt], wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte … anführt“. Vorliegend habe die Kommission „die Auswirkungen des Kartells auf dem Markt zur Bestimmung der Schwere der Zuwiderhandlung nicht berücksichtigt … (462. Erwägungsgrund der [streitigen] Entscheidung)“. Aufgrund dessen ist nach Auffassung des Gerichts „der Anspruch von Dow auf rechtliches Gehör nicht verletzt“.

24      Zu der von Dow mit dem siebten Teil des dritten Klagegrundes gerügten rechtswidrigen Anwendung eines Multiplikators zu Abschreckungszwecken hat das Gericht in Randnr. 146 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass sich dieser Teil „auf die im Rahmen des ersten Klagegrundes entwickelte Argumentation [stützt]“ und dass, „da der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen ist, … auch [dieser] Teil … als unbegründet zurückzuweisen“ ist.

25      In den Randnrn. 147 und 149 des angefochtenen Urteils hat das Gericht weiter festgestellt, dass „die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen ist, Wettbewerber und Verbraucher wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und dass die Geldbuße auf einen Betrag festzusetzen ist, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet (Nr. l A Abs. 4 der Leitlinien)“, und dass „[d]ies verlangt, dass die Geldbuße angepasst wird, um der gewünschten Auswirkung auf das Unternehmen, gegen das sie verhängt wird, Rechnung zu tragen“. In Randnr. 150 des angefochtenen Urteils hat das Gericht hinzugefügt, dass insoweit die „Berücksichtigung des Gesamtumsatzes jedes an einem Kartell beteiligten Unternehmens für die Festlegung der Geldbuße“ relevant sei.

26      Nach Ansicht des Gerichts kann auch keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung angenommen werden. Hierzu hat das Gericht in Randnr. 153 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass „Dow … die von der Kommission in der [streitigen] Entscheidung angeführten Umsätze“ und insbesondere nicht bestreitet, „dass sie im Jahr 2005 größer als Bayer und kleiner als EniChem [d. h. als, gemäß der Definition im 36. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung, alle im Besitz der Eni SpA stehenden Unternehmen] war“. Daher sei „es kohärent und objektiv gerechtfertigt, dass der Multiplikator zu Abschreckungszwecken zur Berechnung der gegen Dow verhängten Geldbuße höher ist als der, der zur Berechnung der gegen Bayer verhängten Geldbuße und niedriger als der zur Berechnung der gegen EniChem verhängten Geldbuße angewendete Multiplikator ist“.

27      Das Gericht hat in Randnr. 154 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass, da „die Weltumsätze im Jahr 2005 bei 27,383 Mrd. Euro für Bayer und 37,221 Mrd. Euro für Dow (also 35,93 % höher als Bayer) lagen[,] … die Erhöhung des Multiplikators zur Berechnung der gegen Dow verhängten Geldbuße um 16,66 % im Vergleich zu demjenigen, der zur Berechnung der gegen Bayer verhängten Geldbuße angewandt wurde (1,75 gegen 1,5), keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung [darstellt]“. Denn „aus der [streitigen] Entscheidung [ergibt sich], dass der auf Dow angewendete Multiplikator auf der Grundlage des Multiplikators von Bayer errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von EniChem oder Shell“. Das Gericht hat auch darauf hingewiesen, dass „die Kommission bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße über ein Ermessen [verfügt] und … nicht verpflichtet [ist], eine genaue mathematische Formel anzuwenden“.

28      Schließlich hat das Gericht in Randnr. 155 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass Dow „keinen konkreten Anhaltspunkt dafür [vorträgt], dass der auf sie angewandte Multiplikator im Hinblick auf die Schwere der Zuwiderhandlung und das Ziel, eine abschreckende Höhe der Geldbuße zu gewährleisten, unverhältnismäßig wäre“.

29      Das Gericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der von Dow Deutschland vorgebrachte zweite Klagegrund durchgreife und Art. 1 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären sei, soweit darin die Beteiligung von Dow Deutschland an der streitigen Zuwiderhandlung ab dem 1. Juli 1996 statt dem 2. September 1996 angenommen werde. Die Geldbuße sei jedoch nicht zu ermäßigen. Alle anderen Klagegründe von Dow hat das Gericht zurückgewiesen. Da diese Klagegründe die Anträge auf Änderung des Betrags der Geldbuße betrafen, hat das Gericht sie als unbegründet zurückgewiesen. Dasselbe gilt für den Antrag von Dow auf Verurteilung der Kommission zur Tragung der Kosten.

 Anträge der Parteien

30      Dow Chemical beantragt,

–        das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als damit ihr Antrag auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung, soweit diese Dow Chemical betrifft, zurückgewiesen wird, und

–        die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese Dow Chemical betrifft.

31      Alle Rechtsmittelführerinnen beantragen,

–        das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als damit ihr Antrag, die gegen sie verhängte Geldbuße deutlich herabzusetzen, zurückgewiesen wird;

–        die gegen sie verhängte Geldbuße deutlich herabzusetzen und

–        die Kosten der Kommission aufzuerlegen und alle vom Gerichtshof für sachdienlich gehaltenen Maßnahmen zu ergreifen.

32      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        Dow die Kosten aufzuerlegen.

 Zum Rechtsmittel

33      Dow stützt ihre Anträge auf vier Rechtsmittelgründe. Erstens rügt sie einen Rechtsfehler, den das Gericht dadurch begangen habe, dass es zum einen angenommen habe, dass die Kommission nicht verpflichtet sei, ihr Ermessen auf angemessene Weise auszuüben, und dass es zum anderen seine Kontrollbefugnis bezüglich der Art und Weise, in der die Kommission ihr Ermessen ausgeübt habe, um die Verantwortlichkeit von Dow Chemical festzustellen, nicht uneingeschränkt ausgeübt habe. Zweitens sei bei den Grundbeträgen für die Geldbuße rechtsfehlerhaft differenziert worden. Drittens habe das Gericht rechtsfehlerhaft festgestellt, dass die Kommission den Umsatz von Dow Chemical habe berücksichtigen dürfen. Viertens habe das Gericht rechtsfehlerhaft bestätigt, dass die Anwendung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken durch die Kommission nicht diskriminierend gewesen sei.

 Zum ersten Rechtsmittelgrund, mit dem im Wesentlichen gerügt wird, das Gericht habe die Art und Weise, in der die Kommission ihr Ermessen ausgeübt habe, um die Verantwortlichkeit von Dow Chemical festzustellen, rechtsfehlerhaft überprüft

 Vorbringen der Parteien des Verfahrens

34      Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht Dow geltend, das Gericht habe bei der Zurückweisung des ersten Klagegrundes einen Rechtsfehler begangen, indem es zum einen angenommen habe, dass die Kommission nicht verpflichtet sei, ihr Ermessen auf angemessene Weise auszuüben, und dass es zum anderen seine Kontrollbefugnis bezüglich der Art und Weise, in der die Kommission ihr Ermessen ausgeübt habe, um die Verantwortlichkeit von Dow Chemical für das Verhalten ihrer Tochtergesellschaften festzustellen, nicht uneingeschränkt ausgeübt habe. Das Gericht habe lediglich entschieden, dass die Kommission die Verantwortlichkeit von Dow Chemical habe annehmen dürfen, ohne die Frage zu prüfen, ob und wie die Kommission ihr Ermessen ausgeübt habe.

35      Dow führt aus, sie habe in ihrer Klageschrift geltend gemacht, dass die Kommission die Argumente zur Verantwortlichkeit von Dow Chemical nicht abgewogen habe und dass die streitige Entscheidung insoweit nicht begründet gewesen sei. Die Kommission müsse, wenn sie eine Ermessensentscheidung treffe, alle erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte berücksichtigen und unterliege insbesondere einer Begründungspflicht. Im 362. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung habe sich die Kommission jedoch darauf beschränkt, eine vorgebliche allgemeine Politik anzuführen, die darin bestehe, die betreffende Zuwiderhandlung der Muttergesellschaft des Unternehmens, das sich daran beteiligt habe, zuzurechnen, und habe die Argumente von Dow als „eindeutig politisch“ zurückgewiesen.

36      Die Kommission, die sich nicht für verpflichtet halte, die Auswahl der Adressaten ihrer Entscheidung zu erläutern, habe nicht berücksichtigt, dass sie damit, dass sie die Entscheidung an Dow Chemical gerichtet habe, diese der Gefahr eines ungerechtfertigten zivilrechtlichen Haftungsprozesses in den Vereinigten Staaten ausgesetzt habe, was in Anbetracht dessen, dass Dow Chemical Kronzeugin gewesen sei, nicht der die Kronzeugenregelung betreffenden Politik der Kommission entspreche, da eine solche Praxis bewirke, Unternehmen von der Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung abzuhalten. Die Kommission habe in der streitigen Entscheidung jedenfalls nicht erläutert, warum sie diese Gesichtspunkte nicht berücksichtigt habe.

37      Dow weist darauf hin, dass die Kommission nicht durch eine allgemeine Politik wie die im 362. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung angeführte beschränkt sei und dass es zahlreiche Entscheidungen gebe, in denen die Kommission keine Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft angenommen habe, obwohl diese 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft gehalten habe, die die Zuwiderhandlung begangen habe.

38      Daher habe das Gericht in Randnr. 76 des angefochtenen Urteils zu Unrecht entschieden, dass der „Umstand, dass Dow Chemical als Adressatin der [streitigen] Entscheidung zu Unrecht verletzt sein soll, … deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage stellen [kann], da die Kommission … Dow Chemical die Verantwortlichkeit für die fragliche Zuwiderhandlung zurechnen durfte“. Zwar habe das Gericht in Randnr. 75 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Kommission die streitige Entscheidung an Dow Chemical habe richten dürfen, weil „die Zurechnung der Zuwiderhandlung an die Muttergesellschaft im Ermessen der Kommission“ stehe, doch habe es nicht geprüft, ob sie das Ermessen tatsächlich ausgeübt habe und, wenn ja, ob sie dies getan habe, ohne einen Rechtsfehler oder einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen.

39      Dow trägt vor, dass es tatsächlich keine allgemeine Politik dahin gebe, die Muttergesellschaft zur Verantwortung zu ziehen, und dass ihre Befürchtung, in den Vereinigten Staaten der Gefahr eines ungerechtfertigten zivilrechtlichen Haftungsprozesses ausgesetzt zu sein, nicht „eindeutig politisch“ sei. In den Erwägungsgründen der streitigen Entscheidung, auf die das Gericht in Randnr. 79 des angefochtenen Urteils verwiesen habe, werde nicht auf die Gründe eingegangen, die die Kommission dazu veranlasst hätten, Dow Chemical für das rechtswidrige Verhalten ihrer Tochtergesellschaften zur Verantwortung zu ziehen. Das Gericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, den Begründungsmangel der streitigen Entscheidung zu prüfen und zu bewerten.

40      In der mündlichen Verhandlung hat Dow ein Dokument mit Rechtsausführungen zur ordnungsgemäßen Ermessensausübung durch nationale Behörden im deutschen, spanischen, italienischen und österreichischen Recht vorgelegt.

41      Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund nicht für begründet. Das Gericht habe seine Kontrollbefugnis uneingeschränkt ausgeübt. Nach ständiger Rechtsprechung sei das Gericht nicht verpflichtet, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln. Ein Unternehmen, das gegen die Wettbewerbsregeln des AEU-Vertrags verstoße, habe keinen Anspruch darauf, dass die Kommission das Für und Wider abwäge, wenn sie es für seine Zuwiderhandlung zur Verantwortung ziehe. Dass sich ein Zuwiderhandelnder der Gefahr einer Zivilklage ausgesetzt sehe, sei eine generell wünschenswerte Folge, wenn er sich rechtswidrig verhalten habe.

42      Außerdem beantragt die Kommission, das von Dow vorgelegte Dokument zu anderen die Ermessensausübung betreffenden nationalen Rechtsvorschriften wegen Verspätung unberücksichtigt zu lassen.

 Würdigung durch den Gerichtshof

43      Zunächst ist festzustellen, dass nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 AEUV] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) die Kommission gegen Unternehmen durch Entscheidung Geldbußen verhängen „kann“, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen.

44      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich zum einen, dass die Kommission bei der Entscheidung, ob sie gegen ein Unternehmen, das eine solche Zuwiderhandlung begangen hat, eine Geldbuße verhängt, über ein Ermessen verfügt, und zum anderen, dass sich etwaige Grenzen des der Kommission insoweit zustehenden Ermessens allein nach dem Unionsrecht bestimmen, da Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 keinen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthält.

45      Folglich ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Übersicht über die Rechtsprechung verschiedener nationaler Gerichte in dem Dokument, das Dow dem Gerichtshof in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, offenkundig jeder Relevanz entbehrt. Es ist daher nicht erforderlich, über die Frage zu befinden, ob Dow das Dokument verspätet vorgelegt hat oder nicht.

46      Was die unionsrechtlichen Grenzen des Ermessens der Kommission auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts angeht, so ist dieses Organ nach Art. 105 Abs. 1 AEUV verpflichtet, die u. a. in Art. 101 AEUV festgelegten Grundsätze zu wahren, wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat.

47      Zu diesen Grundsätzen gehört aber unstreitig, dass gegen Unternehmen, die eine wettbewerbswidrige Vereinbarung geschlossen haben, auf der Grundlage von Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 Geldbußen verhängt werden, so dass die Kommission, wenn sie ausnahmsweise beschließt, keine Geldbuße gegen ein Unternehmen zu verhängen, obwohl dieses einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Europäischen Union begangen hat, diese Entscheidung auf sachliche Gründe stützen muss, die eine solche Abweichung von den Grundsätzen des Art. 101 AEUV rechtfertigen können. Ein solcher sachlicher Grund kann u. a. der Umstand sein, dass die Kommission in einem konkreten Fall nicht in der Lage ist, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf ihre unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligte Tochtergesellschaft ausgeübt hat, wobei der Nachweis gemäß einer ständigen Rechtsprechung im Übrigen erheblich erleichtert ist, wenn die Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 10. September 2009, Akzo Nobel u. a./Kommission, C‑97/08 P, Slg. 2009, I‑8237, Randnr. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung zum einen die Möglichkeit, eine Geldbuße gegen die Muttergesellschaft einer Tochtergesellschaft, die unmittelbar an einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union beteiligt war, zu verhängen, voraussetzt, dass diese Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt, und zwar vor allem wegen der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Verbundenheit dieser beiden Rechtssubjekte, und dass dies zum anderen darin begründet liegt, dass in einem solchen Fall die Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft Teil ein und derselben wirtschaftlichen Einheit sind und damit ein Unternehmen im Sinne der Rechtsprechung bilden (vgl. insbesondere Urteil Akzo Nobel u. a./Kommission, Randnrn. 58 und 59 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Da Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft in dem in der vorstehenden Randnummer angeführten Fall ein einziges Unternehmen bilden, gilt die der Kommission nach Art. 105 Abs. 1 AEUV obliegende Verpflichtung, bei der Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße die u. a. in Art. 101 AEUV festgelegten Grundsätze zu wahren, daher in gleicher Weise, ob es sich um die betroffene Muttergesellschaft oder ihre Tochtergesellschaft handelt. Denn wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, besteht bei der Verhängung einer Geldbuße durch die Kommission gegen die eine oder andere dieser Gesellschaften kein „Vorrang“ (vgl. entsprechend Urteil vom 24. September 2009, Erste Group Bank u. a./Kommission, C‑125/07 P, C‑133/07 P, C‑135/07 P und C‑137/07 P, Slg. 2009, I‑8681, Randnrn. 81 und 82).

50      Ferner besteht einer der in Randnr. 46 des vorliegenden Urteils angeführten Grundsätze auch darin, dass die Kommission, wenn sie bei einem Kartell eine spezifische Methode wählt, um die Verantwortung der betroffenen Muttergesellschaften für die Zuwiderhandlungen ihrer Tochtergesellschaften zu ermitteln, bei allen diesen Muttergesellschaften dieselben Kriterien anwenden muss, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juli 2012, Alliance One International und Standard Commercial Tobacco/Kommission und Kommission/Alliance One International u. a., C‑628/10 P und C‑14/11 P, Randnrn. 57 und 59).

51      Folglich hätte die Kommission im vorliegenden Fall von der Verhängung einer Geldbuße auch gegen Dow Chemical nur dann absehen dürfen, wenn es sachliche Gründe, die eine Abweichung von den Grundsätzen des Art. 101 AEUV rechtfertigen konnten, gegeben und eine solche Entscheidung nicht zu einer Vorzugsbehandlung von Dow Chemical gegenüber den anderen an der fraglichen Zuwiderhandlung beteiligten Muttergesellschaften geführt hätte. Diese Voraussetzungen waren für die Kommission hier jedoch nicht erfüllt.

52      Denn erstens kann der Umstand, dass Dow Chemical der Gefahr eines zivilrechtlichen Haftungsprozesses in den Vereinigten Staaten ausgesetzt ist, für sich genommen offensichtlich nicht rechtfertigen, dass die Kommission davon absieht, gegen dieses Unternehmen eine Geldbuße zu verhängen. Zum einen besteht die Gefahr, auf Schadensersatz verklagt zu werden, ebenso bei den Tochtergesellschaften von Dow Chemical, wie im Übrigen bei allen Unternehmen, an die die streitige Entscheidung gerichtet ist. Diese Gefahr liegt sachlich nur darin begründet, dass Dow Chemical an einem wettbewerbswidrigen Verhalten beteiligt war, und nicht darin, dass die Kommission dieses Verhalten förmlich festgestellt hat.

53      Zum anderen ist in diesem Zusammenhang das Vorbringen, ein solcher Haftungsprozess könne in Bezug auf Dow Chemical in den Vereinigten Staaten stattfinden, da Dow Chemical dort ihren Sitz habe, offensichtlich unbeachtlich.

54      Zweitens ergibt sich aus der streitigen Entscheidung, dass die Kommission alle an der Spitze der an der fraglichen Zuwiderhandlung beteiligten Konzerne stehenden Muttergesellschaften zur Verantwortung gezogen hat, soweit sie 100 % oder fast 100 % des Kapitals ihrer Tochtergesellschaften hielten, ohne geprüft zu haben, ob der Umstand, dass sie die streitige Entscheidung an diese Gesellschaften richtet, zu wirtschaftlichen Schäden führt, die über den der Zahlung der Geldbuße als solche immanenten Schaden hinausgehen. Daher war es der Kommission nicht möglich, solche behaupteten Schäden nur bei Dow Chemical zu berücksichtigen, ohne damit gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verstoßen.

55      Daraus folgt, dass das Gericht in Randnr. 76 des angefochtenen Urteils zutreffend entschieden hat, dass die Kommission Dow Chemical die Verantwortlichkeit für die fragliche Zuwiderhandlung zurechnen durfte.

56      Schließlich ist, was den angeblichen Begründungsmangel des angefochtenen Urteils in dieser Hinsicht betrifft, darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung das Gericht nicht dazu verpflichtet, bei seinen Ausführungen alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgetragenen Argumente nacheinander erschöpfend zu behandeln, und dass die Begründung des Gerichts daher implizit erfolgen kann, sofern sie es den Betroffenen ermöglicht, die Gründe zu erkennen, aus denen das Gericht ihrer Argumentation nicht gefolgt ist, und dem Gerichtshof ausreichende Angaben liefert, damit er seine Kontrolle ausüben kann (vgl. insbesondere Beschluss vom 13. Dezember 2012, Alliance One International/Kommission, C‑593/11 P, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Im vorliegenden Fall hat das Gericht in den Randnrn. 74 bis 80 des angefochtenen Urteils die mit einem angeblichen Fehler bei der Ausübung des Ermessens der Kommission und einem entsprechenden Begründungsmangel verbundenen Fragen geprüft. Das Gericht hat im Rahmen der inhaltlichen Prüfung dieses Rechtsmittelgrundes in Randnr. 76 dieses Urteils ausdrücklich entschieden, dass der „Umstand, dass Dow Chemical als Adressatin der [streitigen] Entscheidung zu Unrecht verletzt sein soll, … deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage stellen [kann]“. Hinsichtlich des für die Kommission bestehenden Begründungserfordernisses hat das Gericht in Randnr. 79 des angefochtenen Urteils auf die Erwägungsgründe 333 bis 338 und 340 bis 364 der streitigen Entscheidung Bezug genommen und festgestellt, dass die Kommission dort eindeutig die Beurteilungsgesichtspunkte herausgestellt habe, die es ihr hier ermöglicht hätten, die Verantwortlichkeit von Dow Chemical zu bejahen.

58      Zwar ist diese Begründung des angefochtenen Urteils bezüglich der Frage, ob die Kommission in Anbetracht der Dow Chemical unter Umständen drohenden Gefahr eines Haftungsprozesses in den Vereinigten Staaten deren Verantwortlichkeit in der streitigen Entscheidung nicht hätte feststellen dürfen, knapp, doch ändert dies nichts daran, dass sie es dieser Gesellschaft ermöglicht, nachzuvollziehen, dass das Gericht den insbesondere im 362. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung dargelegten Standpunkt der Kommission teilte, wonach dieses „eindeutig politische“ Argument nicht geeignet sei, die Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung insoweit in Frage zu stellen.

59      In Anbetracht dessen weist das angefochtene Urteil in diesem Zusammenhang weder einen Rechtsfehler noch einen Begründungsmangel oder einen – von Dow in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten – Verstoß gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf.

60      Da folglich keines der von Dow zur Stützung des ersten Rechtsmittelgrundes angeführten Argumente durchgreift, ist dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Rechtsmittelgrund einer rechtsfehlerhaften Differenzierung bei den Grundbeträgen für die Geldbuße

 Vorbringen der Parteien des Verfahrens

61      Zur Stützung ihres zweiten Rechtsmittelgrundes macht Dow geltend, dass die Kommission bei den Grundbeträgen für die Geldbuße differenziert habe, indem sie im 466. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung ausgeführt habe, dass „das Gewicht jedes einzelnen Unternehmens und damit die tatsächliche Auswirkung seines rechtswidrigen Verhaltens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen“ sei, im 462. Erwägungsgrund dieser Entscheidung jedoch gleichzeitig erklärt habe, dass diese konkreten Auswirkungen auf den Markt des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) nicht messbar seien und die Kommission „bei der Bemessung der Geldbußen die Auswirkungen auf den Markt nicht berücksichtigen werde“, was widersprüchlich sei.

62      Außerdem habe die Kommission die konkreten Auswirkungen des Kartells auf den Markt nicht bewertet, obwohl diese messbar seien. Sie habe weder die Wahrscheinlichkeit solcher Auswirkungen abgeschätzt noch die Durchführung der fraglichen Zuwiderhandlung nachgewiesen. Überdies habe die Kommission den Anspruch von Dow auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie ihr nicht Gelegenheit gegeben habe, sich zu der Art und Weise zu äußern, in der die Kommission die tatsächlichen Auswirkungen des rechtswidrigen Verhaltens der einzelnen Unternehmen auf den Wettbewerb habe berücksichtigen wollen.

63      Das Gericht habe diese Argumente in Randnr. 124 des angefochtenen Urteils damit zurückgewiesen, dass „die Kommission selbst bei Fehlen einer konkreten, messbaren Auswirkung der Zuwiderhandlung gemäß Nr. 1 A Abs. 3, 4 und 6 der Leitlinien … beschließen [kann], zwischen den betroffenen Unternehmen zu differenzieren“. Bei Fehlen konkreter Auswirkungen auf den Markt könne es jedoch keine tatsächlichen Auswirkungen auf den Wettbewerb geben, und damit könne die Kommission diese auch nicht berücksichtigen, um bei der Festsetzung des Grundbetrags der Geldbußen Differenzierungen vorzunehmen. Die Kommission habe dadurch, dass sie die erste Mitteilung zurückgezogen und dann die zweite Mitteilung versandt habe, die weder konkrete Auswirkungen auf den Markt noch tatsächliche Auswirkungen auf den Wettbewerb angesprochen habe, auch den Anspruch von Dow auf rechtliches Gehör verletzt.

64      Folglich dürfe der für die Rechtsmittelführerinnen festgesetzte Grundbetrag der Geldbuße nicht denjenigen übersteigen, der für die anderen betroffenen Unternehmen festgesetzt worden sei, und müsse somit auf 5,5 Mio. Euro herabgesetzt werden, so dass die Geldbuße für Dow Chemical auf 8 662 500 Euro, für Dow Deutschland auf 8 085 000 Euro sowie für Dow Deutschland Anlagengesellschaft und Dow Europe auf 6 352 000 Euro zu ermäßigen sei.

65      Nach Auffassung der Kommission hat das Gericht in den Randnrn. 127 und 128 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass es nicht erforderlich gewesen sei, Dow zu den konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung anzuhören, und dass das Recht von Dow, sich zu dieser Frage zu äußern, nicht verletzt worden sei. Die Kommission habe im 462. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung überzeugend die Durchführung des Kartells dargetan, obwohl diese bei der Bemessung der Geldbuße nicht berücksichtigt worden sei. Außerdem habe sie ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der betroffenen Unternehmen damit erfüllt, dass sie in der zweiten Mitteilung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass sie prüfen werde, ob gegen diese Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte genannt habe, die eine Geldbuße nach sich ziehen könnten.

66      Was schließlich die konkreten Auswirkungen des Kartells anbelange, ergebe sich aus dem 465. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung, dass die vorgenommene Differenzierung auf der „wirtschaftlichen Fähigkeit“ zur Schädigung des Wettbewerbs beruhe und es folglich nicht erforderlich sei, die konkreten Auswirkungen der Zuwiderhandlung auf den Markt zu messen. Dies entspreche den Leitlinien und der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts.

 Würdigung durch den Gerichtshof

67      Was zunächst das Vorbringen von Dow betrifft, wonach die Kommission weder die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Auswirkung der Zuwiderhandlung auf den fraglichen Markt bewertet noch die Durchführung dieser Zuwiderhandlung nachgewiesen habe, so ist dieses Vorbringen unzutreffend. Im 462. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung hat die Kommission nämlich ausdrücklich festgestellt, dass, „was den EWR betrifft, die Kartellvereinbarungen von europäischen Herstellern umgesetzt wurden und diese Umsetzung Auswirkungen auf den Markt hatte, selbst wenn die konkreten Auswirkungen schwer messbar sind“. Dow trägt kein Argument in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht vor, das diese Feststellung entkräften könnte.

68      Da folglich das Vorliegen tatsächlicher– wenn auch schwer messbarer – Auswirkungen der fraglichen Zuwiderhandlung auf den Markt feststeht, geht das Vorbringen von Dow fehl, wonach es bei „Fehlen einer konkreten Auswirkung auf den Markt … keine tatsächliche Auswirkung auf den Wettbewerb geben und damit … die Kommission diese auch nicht berücksichtigen [könne], um bei der Festsetzung des Grundbetrags der Geldbußen Differenzierungen vorzunehmen“.

69      Aus dem Vorstehenden ergibt sich weiter, dass der von Dow behauptete Widerspruch zwischen dem 462. Erwägungsgrund und dem 466. Erwägungsgrund der streitigen Entscheidung nicht besteht. Denn zum einen findet sich dieser 462. Erwägungsgrund, in dem die Kommission ausgeführt hat, dass sie „bei der Bemessung der Geldbußen die Auswirkungen auf den Markt nicht berücksichtigen werde“ in Nr. 9.1. („Schwere [der fraglichen Zuwiderhandlung]“) der streitigen Entscheidung und bezieht sich nur auf die Einstufung der Zuwiderhandlung als „besonders schwer“. Zum anderen betrifft der 466. Erwägungsgrund in Nr. 9.2. („Differenzierte Anwendung“) dieser Entscheidung nur die Differenzierung des Grundbetrags der Geldbuße nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit der einzelnen Unternehmen, den Wettbewerb zu beschränken; diese Differenzierung darf, wie im vorliegenden Fall, auf die Verkaufszahlen der einzelnen betroffenen Unternehmen für die Produkte, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind, gestützt werden, und zwar auch bei Fehlen einer messbaren Auswirkung auf den Markt.

70      Schließlich kann auch das Vorbringen von Dow, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, nicht durchgreifen. Insoweit ist auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, nach der die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des Anhörungsrechts der Unternehmen erfüllt, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den Umstand anführt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht die Kommission gegenüber den Unternehmen nämlich die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung der Zuwiderhandlung, sondern auch gegen deren Ahndung durch Verhängung einer Geldbuße benötigen (vgl. insbesondere Urteil vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425, Randnr. 428 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71      Darüber hinaus ist ergänzend festzustellen, dass die Kommission in der zweiten Mitteilung in Nr. 425 der Begründung klargestellt hat, dass sie „die konkreten Auswirkungen [der Zuwiderhandlung] auf den Markt [zu berücksichtigen beabsichtige], wenn sie messbar sind“. Außerdem hat die Kommission in Nr. 430 dritter Gedankenstrich der Begründung dieser Mitteilung erwähnt, dass sie in der streitigen Entscheidung die „tatsächliche Auswirkung des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb … berücksichtigen“ werde. Eine Verletzung des Anspruchs von Dow auf rechtliches Gehör liegt daher nicht vor.

72      Unter diesen Umständen hat das Gericht in Randnr. 124 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kommission selbst bei Fehlen einer konkreten, messbaren Auswirkung der Zuwiderhandlung beschließen konnte, zwischen den betroffenen Unternehmen zu differenzieren.

73      Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum dritten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, das Gericht habe rechtsfehlerhaft bestätigt, dass die Kommission die Umsätze von Dow Chemical habe berücksichtigen dürfen

 Vorbringen der Parteien des Verfahrens

74      Mit ihrem dritten Rechtsmittelgrund macht Dow geltend, dass die streitige Entscheidung aus den im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes dargelegten Gründen nicht an Dow Chemical hätte gerichtet werden dürfen und die Kommission daher zu Unrecht die Umsätze dieses Unternehmens berücksichtigt habe, um einen Multiplikator zu Abschreckungszwecken festzulegen. In Randnr. 146 des angefochtenen Urteils habe das Gericht den siebten Teil ihres dritten Klagegrundes, der auf denselben Argumenten beruht habe, die im Rahmen des ersten Klagegrundes entwickelt worden seien, aus dem Grund als unbegründet zurückgewiesen, weil es auch den ersten Klagegrund einer rechtswidrigen Zurechnung der Zuwiderhandlung an Dow Chemical als unbegründet zurückgewiesen habe.

75      Da das Gericht den ersten Klagegrund rechtsfehlerhaft zurückgewiesen habe, habe es auch das Vorbringen zur Berücksichtigung der Umsätze von Dow Chemical rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Dow schließt daraus, dass die gegen Dow Chemical verhängte Geldbuße für nichtig zu erklären sei.

76      Nach Auffassung der Kommission kann diesem Rechtsmittelgrund, da der erste Rechtsmittelgrund von Dow unbegründet sei, ebenfalls nicht stattgegeben werden.

 Würdigung durch den Gerichtshof

77      Der dritte Rechtsmittelgrund von Dow beruht auf der Prämisse, dass die streitige Entscheidung nicht an Dow Chemical als die an der Spitze des Dow-Konzerns stehende Gesellschaft hätte gerichtet werden dürfen; dieses Vorbringen ist Gegenstand des ersten Rechtsmittelgrundes.

78      Wie sich aus den Erwägungen in den Randnrn. 43 ff. des vorliegenden Urteils ergibt, ist diese Prämisse unzutreffend, so dass der erste Rechtsmittelgrund in Randnr. 60 des vorliegenden Urteils als unbegründet zurückgewiesen worden ist. Demnach ist auch der dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum vierten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, das Gericht habe rechtsfehlerhaft bestätigt, dass die Anwendung des Multiplikators zu Abschreckungszwecken durch die Kommission nicht diskriminierend gewesen sei

 Vorbringen der Parteien des Verfahrens

79      Mit ihrem vierten Rechtsmittelgrund macht Dow, wie sie es vor dem Gericht getan hat, geltend, dass der auf sie angewandte Multiplikator zu Abschreckungszwecken von 1,75 überhöht und diskriminierend sei. Das Gericht habe den entsprechenden Klagegrund mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Multiplikator zur Berechnung der gegen Dow verhängten Geldbußen in Anbetracht des Verhältnisses zwischen den Umsätzen von Dow und Bayer keine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung darstelle.

80      In Bezug auf den Vergleich des Multiplikators zu Abschreckungszwecken, der auf Dow angewandt worden sei, mit demjenigen, der auf EniChem und auf Shell angewandt worden sei, habe das Gericht in Randnr. 154 des angefochtenen Urteils entschieden, dass „der auf Dow angewendete Multiplikator [1,75] auf der Grundlage des Multiplikators von Bayer [1,5] errechnet wurde und nicht auf der Grundlage des Multiplikators von EniChem [2] oder Shell [3]“. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, als es Dow nur mit Bayer und nicht auch mit EniChem und Shell verglichen habe.

81      Es sei offensichtlich diskriminierend, dieselbe Erhöhung auf zwei Unternehmen, deren Umsätze um 36 % voneinander abgewichen seien, nämlich Bayer, deren Umsätze sich auf 27,383 Mrd. Euro belaufen hätten, und Dow mit Umsätzen von damals 37,221 Mrd. Euro, sowie auf zwei Unternehmen anzuwenden, deren Umsätze um 100 % voneinander abgewichen seien, nämlich auf Dow und auf EniChem, die Umsätze von 73,738 Mrd. Euro verzeichnet habe.

82      In der mündlichen Verhandlung hat Dow dem Gerichtshof ein Dokument übergeben, das eine mathematische Formel enthielt, anhand deren sich im vorliegenden Fall ein Multiplikator zu Abschreckungszwecken berechnen lasse, der zum einen jede Diskriminierung zwischen den Adressaten der streitigen Entscheidung und zum anderen die Anwendung eines höheren Multiplikators als 3 verhindere. Nach dieser Formel betrage der Multiplikator, der auf Dow anzuwenden sei, ungefähr 1,3.

83      Die Kommission hält dem entgegen, dass der Multiplikator, der zur Festsetzung des Grundbetrags einer Geldbuße gewählt werde, nur annäherungsweise arithmetische Proportionen widerspiegeln müsse. Im vorliegenden Fall hätten beträchtliche Größenunterschiede zwischen den an der fraglichen Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen bestanden. Daher wäre es unrealistisch und mathematisch unmöglich gewesen, einen Multiplikator anzuwenden, der dem Verhältnis der Umsätze sämtlicher betroffenen Unternehmen genau entsprochen hätte.

84      Sie habe daher entschieden, bei der Anwendung der Multiplikatoren von den kleinsten Unternehmen auszugehen und darauf zu achten, dass der auf das einzelne Unternehmen angewandte Multiplikator mehr oder weniger proportional zu den Umsätzen des unmittelbar hinter ihm liegenden Unternehmens sei. Außerdem hätte sie, wie das Gericht zutreffend ausgeführt habe, auf dieser Grundlage für Dow sogar einen noch höheren Multiplikator festlegen können.

85      Das Dokument, das Dow in der mündlichen Verhandlung vorgelegt habe, sei unzulässig, weil es nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens vorgelegt worden sei.

 Würdigung durch den Gerichtshof

86      Nach ständiger Rechtsprechung findet zum einen das Ziel des Multiplikators zu Abschreckungszwecken und der in diesem Zusammenhang erfolgenden Berücksichtigung der Größe und der Gesamtressourcen des betreffenden Unternehmens seinen Grund in der angestrebten Wirkung auf dieses Unternehmen, da die Sanktion insbesondere im Hinblick auf dessen Wirtschaftskraft nicht unerheblich sein darf (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, Slg. 2010, I‑5361, Randnrn. 104 und 105, sowie Beschluss vom 7. Februar 2012, Total und Elf Aquitaine/Kommission, C‑421/11 P, Randnr. 82). Zum anderen hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass dem Umsatz keine übermäßige Bedeutung beigemessen werden darf (vgl. Beschluss Total und Elf Aquitaine/Kommission, Randnr. 80).

87      Die differenzierte Behandlung von an einem Kartell beteiligten Unternehmen bei der Berechnung der ihnen auferlegten Geldbußen gehört daher untrennbar zur Ausübung der der Kommission insoweit zustehenden Befugnisse. Die Kommission hat nämlich in Ausübung ihres Ermessens die Sanktion entsprechend den für die betroffenen Unternehmen kennzeichnenden Verhaltensweisen und Eigenschaften individuell festzulegen, um in jedem Einzelfall die volle Wirksamkeit der Wettbewerbsregeln der Union sicherzustellen (vgl. Urteil vom 12. November 2009, SGL Carbon/Kommission, C‑564/08 P, Randnr. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Aufgrund der in Randnr. 86 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hat die Kommission vor allem darauf zu achten, dass die Sanktion insbesondere im Hinblick auf die Wirtschaftskraft der betroffenen Unternehmen nicht „unerheblich“ ist, was jedoch nicht verlangt, dass einem Unternehmen, das einen gegenüber dem Umsatz der anderen Teilnehmer an einem Kartell besonders hohen Umsatz aufweist, eine Geldbuße aufzuerlegen wäre, die strikt nach Maßgabe des Verhältnisses erhöht wird, das zwischen dessen Umsatz und dem aller anderen an dem betreffenden Kartell beteiligten Unternehmen besteht. Wäre dem so, könnten nämlich die gegen die größten Unternehmen eines Kartells festgesetzten und nach einer solchen Rechenmethode erhöhten Geldbußen zwar eine hinreichende Abschreckungswirkung entfalten, drohten aber insbesondere dann außer Verhältnis zur Schwere der konkret begangenen Zuwiderhandlung zu stehen, wenn sich – wie hier – die Umsätze der betroffenen Unternehmen erheblich unterscheiden (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013, Versalis/Kommission, C‑511/11 P, Randnr. 105).

89      Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung darf sich das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf eine allein auf den Umsatz des betroffenen Unternehmens gestützte mathematische Berechnungsmethode seines Ermessens hinsichtlich der Festsetzung der Höhe der Geldbußen begeben (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825, Randnr. 121, vom 16. November 2000, Mo och Domsjö/Kommission, C‑283/98 P, Slg. 2000, I‑9855, Randnr. 47, und Dansk Rørindustri u. a./Kommission, Randnr. 243).

90      Nach alledem kann dem Gericht nicht zum Vorwurf gemacht werden, im Wesentlichen das Vorgehen der Kommission bestätigt zu haben, die für Dow einen Multiplikator zu Abschreckungszwecken von 1,75, für EniChem einen solchen von 2 und für Shell einen solchen von 3 festgesetzt hatte. Dieses Vorgehen dient dazu, zum einen sicherzustellen, dass die gegen das einzelne Unternehmen verhängte Geldbuße im Hinblick auf seine Wirtschaftskraft nicht unerheblich ist, und zum anderen dazu, keine unverhältnismäßigen Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken auf die größten Unternehmen anzuwenden, auf die allein auf der Grundlage des zwischen ihrem Umsatz und dem der kleineren Unternehmen bestehenden mathematischen Verhältnisses theoretisch deutlich höhere Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken hätten angewandt werden können.

91      Unerheblich ist ferner, dass, wie aus dem von Dow in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokument – ohne dass über dessen Zulässigkeit entschieden zu werden brauchte – hervorgehen soll, eine Berechnung der Multiplikatoren zu Abschreckungszwecken allein anhand des Umsatzes der einzelnen betroffenen Unternehmen unter Beibehaltung eines Multiplikators von höchstens 3 mathematisch möglich sei. Eine rein arithmetische Berechnung würde die Kommission nämlich daran hindern, ihrer sich insbesondere aus der in den Randnrn. 86 bis 89 des angefochtenen Urteils angeführten Rechtsprechung ergebenden Verpflichtung nachzukommen, Geldbußen zu verhängen, die für die einzelnen Unternehmen weder unerheblich noch unverhältnismäßig sind.

92      Unter diesen Umständen ist der vierte Rechtsmittelgrund von Dow ebenfalls zurückzuweisen.

93      Da folglich keiner der von Dow geltend gemachten Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

 Kosten

94      Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensverordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da Dow mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihr gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      The Dow Chemical Company, die Dow Deutschland Inc., die Dow Deutschland Anlagengesellschaft mbH und die Dow Europe GmbH tragen ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.