Language of document : ECLI:EU:T:2012:452

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

20. September 2012(*)

„Staatliche Beihilfen – Beihilfe, die Frankreich in Form einer impliziten unbeschränkten Bürgschaft zugunsten von La Poste, aufgrund von deren Status als öffentliches Unternehmen, durchgeführt haben soll – Entscheidung, mit der die Beihilfe für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Rechtsschutzinteresse – Zulässigkeit – Beweislast für das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe – Vorteil“

In der Rechtssache T‑154/10

Französische Republik, zunächst vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues, B. Beaupère-Manokha, J. Gstalter und S. Menez, dann durch E. Belliard, G. de Bergues, J. Gstalter und S. Menez als Bevollmächtigte,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Stromsky und D. Grespan als Bevollmächtigte,

Beklagte,

betreffend eine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2010/605/EU der Kommission vom 26. Januar 2010 über die staatliche Beihilfe C 56/07 (ex E 15/05) Frankreichs zugunsten von La Poste (ABl. L 274, S. 1)

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und S. Soldevila Fragoso,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2012

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

 Nationales Recht über den Status von La Poste

 Status von La Poste mit Wirkung zum 1. Januar 1991 und dessen rechtliche Konsequenzen

1        Aufgrund des französischen Gesetzes Nr. 90-568 vom 2. Juli 1990 über die Organisation des öffentlichen Post- und Telekommunikationsdienstes (Loi n° 90‑568 du 2 juillet 1990 relative à l’organisation du service public de la poste et des télécommunications) (JORF vom 8. Juli 1990, S. 8069) wurde die ehemalige Generaldirektion für Post und Telekommunikation (Direction générale des postes et télécommunications), die bis dahin dem Ministerium für Post und Telekommunikation unterstellt war, mit Wirkung zum 1. Januar 1991 in zwei eigenständige juristische Personen des öffentlichen Rechts umgewandelt: France Télécom und La Poste. Durch dieses Gesetz wurde La Poste ausdrücklich ermächtigt, neben der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben bestimmte dem Wettbewerb unterliegende Tätigkeiten aufzunehmen.

2        In Art. 1 des Erlasses vom 31. Dezember 1990, mit dem für vor dem 31. Dezember 1990 ausgegebene PTT‑Obligationen und PTT‑Sparbriefe eine Staatsbürgschaft gewährt wurde (JORF vom 18. Januar 1991, S. 917), heißt es: „Die Zahlung von Zinsen, Tilgung, Prämien, Provisionen, Spesen und Nebenkosten der PTT‑Obligationen und ‑Sparbriefe, die vor dem 31. Dezember 1990 zur Finanzierung der Investitionsausgaben des Zusatzhaushalts für Post und Telekommunikation nach Art. L. 127 des Code des postes et télécommunications (Post- und Telekommunikationsgesetz) … ausgegeben und nach Art. 22 des Gesetzes vom 2. Juli 1990 … auf La Poste übertragen wurden, wird vom Staat unbeschränkt garantiert“.

3        Mit Urteil vom 18. Januar 2001 stellte die Cour de cassation (Zweite Zivilkammer) fest, dass La Poste grundsätzlich einem öffentlichen Industrie- und Handelsunternehmen (établissement public à caractère industriel et commercial, im Folgenden: EPIC) gleichzustellen sei.

4        Im französischen Verwaltungsrecht sind die EPIC juristische Personen des öffentlichen Rechts, die über eine vom Staat gesonderte Rechtspersönlichkeit, Finanzautonomie sowie besondere Zuständigkeiten kraft Zuweisung verfügen, zu denen im Allgemeinen die Wahrnehmung einer oder mehrerer öffentlicher Aufgaben gehört.

5        Der Status der EPIC bringt eine Reihe von rechtlichen Konsequenzen mit sich, u. a.:

–        die Nichtanwendbarkeit der Zahlungsunfähigkeits- und Konkursverfahren des allgemeinen Rechts (vgl. insbesondere Art. 2 des Gesetzes Nr. 85‑98 vom 25. Januar 1985 über die gerichtliche Sanierung und Abwicklung von Unternehmen [Loi n° 85‑98 du 25 janvier 1985 relative au redressement et à la liquidation judiciaires des entreprises] [JORF vom 26. Januar 1985, S. 1097], nunmehr Art. L. 620‑2 des Handelsgesetzbuchs [Code de commerce]);

–        die Anwendbarkeit des Gesetzes Nr. 80‑539 vom 16. Juli 1980 über die von Behörden verhängten Zwangsgelder und über die Erfüllung von Urteilen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts (Loi n° 80‑539 du 16 juillet 1980 relative aux astreintes prononcées en matière administrative et à l’exécution des jugements par les personnes morales de droit public) (JORF vom 17. Juli 1980, S. 1799) sowie die Bestimmung des Staates als für die Beitreibung der eingegangenen Verbindlichkeiten als Letztschuldner Haftenden (vgl. Art. 1 Abs. II des Gesetzes Nr. 80-539; Art. 3‑1 Abs. 4 und 5 des Dekrets Nr. 81‑501 vom 12. Mai 1981 zur Durchführung des Gesetzes Nr. 80‑539 [JORF vom 14. Mai 1981, S. 1406] und Art. 10 des Dekrets Nr. 2008‑479 vom 20. Mai 2008 [mit dem das Dekret Nr. 81‑501 aufgehoben wurde] über den Vollzug von Geldstrafen, die gegen Gebietskörperschaften verhängt werden [Décret n° 2008‑479 du 20 mai 2008 relatif à l’exécution des condamnations pécuniaires prononcées à l’encontre des collectivités publiques]).

 Änderung des Status von La Poste mit Wirkung zum 1. März 2010

6        Am 29. Juli 2009 legte die französische Regierung einen Gesetzentwurf zur Umwandlung von La Poste in eine Aktiengesellschaft vor. Dieser Entwurf führte zum Erlass des Gesetzes Nr. 2010‑123 vom 9. Februar 2010 über das öffentliche Unternehmen La Poste und die Postdienste (Loi n° 2010‑123 du 9 février 2010 relative à l’entreprise publique La Poste et aux activités postales) (JORF vom 10. Februar 2010, S. 2321), das am 1. März 2010 in Kraft trat. Art. 1‑2.I dieses Gesetzes bestimmt:

„Die juristische Person des öffentlichen Rechts La Poste wird mit Wirkung zum 1. März 2010 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, die unter La Poste firmiert. Das Kapital der Gesellschaft wird abgesehen von dem Teil des Kapitals, der als Kapitalbeteiligung der Belegschaft unter den in diesem Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen gehalten werden kann, vom Staat als Mehrheitsaktionär und von anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts gehalten. Diese Umwandlung darf nicht zur Folge haben, dass der Charakter von La Poste als nationaler öffentlicher Dienst in Frage gestellt wird.

Diese Umwandlung bringt nicht die Gründung einer neuen juristischen Person mit sich. Sämtliche Vermögensgegenstände, Rechte, Verpflichtungen, Verträge, Vereinbarungen und Genehmigungen aller Art der juristischen Person des öffentlichen Rechts La Poste in Frankreich und im Ausland sind ab dem Datum der Umwandlung von Rechts wegen und ohne weitere Förmlichkeit diejenigen der Aktiengesellschaft La Poste. Die Umwandlung hat keine Auswirkungen auf diese Vermögensgegenstände, Rechte, Verpflichtungen, Verträge, Vereinbarungen und Genehmigungen und hat insbesondere weder eine Änderung der laufenden Verträge und Vereinbarungen, die von La Poste oder den mit ihr gemäß den Art. L. 233‑1 bis L. 233‑4 des Handelsgesetzbuchs verbundenen Gesellschaften geschlossen wurden, noch ihre Auflösung oder gegebenenfalls die vorzeitige Rückzahlung der Verbindlichkeiten, die sie zum Gegenstand hatten, zur Folge …“

 Verwaltungsverfahren

7        Mit Entscheidung vom 21. Dezember 2005 billigte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Ausgliederung der Bank- und Finanzdienstleistungen von La Poste in ihre Tochtergesellschaft La Banque Postale. In dieser Entscheidung wies die Kommission darauf hin, dass hinsichtlich der unbeschränkten staatlichen Bürgschaft zugunsten von La Poste ein gesondertes Verfahren eingeleitet werde.

8        Am 21. Februar 2006 unterrichtete die Kommission die französischen Behörden gemäß Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [88 EG] (ABl. L 83, S. 1) über ihre vorläufige Auffassung zum Vorliegen einer unbeschränkten staatlichen Bürgschaft, die sich aus dem Status von La Poste ergebe und eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EG darstelle, und forderte sie auf, eine Stellungnahme abzugeben. Da diese als Bürgschaft eingestufte Maßnahme nach Auffassung der Kommission bereits vor dem Inkrafttreten des EG-Vertrags in Frankreich am 1. Januar 1958 bestand, wandte sie die Verfahrensvorschriften für bestehende Beihilfen an.

9        Die Antwort der französischen Behörden auf diese Aufforderung ging am 24. April 2006 bei der Kommission ein.

10      Am 4. Oktober 2006 forderte die Kommission die Französische Republik gemäß Art. 18 der Verordnung Nr. 659/1999 u. a. dazu auf, die La Poste aufgrund ihres Status für alle ihre Verbindlichkeiten gewährte Bürgschaft spätestens bis 31. Dezember 2008 aufzuheben.

11      Am 6. Dezember 2006 ging bei der Kommission ein Schreiben der französischen Behörden ein, mit dem die Schlussfolgerungen der Kommission in deren Schreiben vom 4. Oktober 2006 angefochten wurden und vorgeschlagen wurde, in eine Diskussion einzutreten, um die Bedenken der Kommission in Bezug auf das Bestehen einer unbeschränkten Bürgschaft des französischen Staates zugunsten von La Poste auszuräumen.

12      Am 20. Dezember 2006 fand eine Besprechung zwischen den Kommissionsdienststellen und den französischen Behörden statt.

13      Mit Schreiben vom 16. Januar 2007 fochten die französischen Behörden die Schlussfolgerungen der Kommission zwar an, unterbreiteten ihr jedoch im Bemühen, die Tragweite des Gesetzes Nr. 80-539 klarzustellen, einen Entwurf zur Änderung des Dekrets Nr. 81-501.

14      Nach Prüfung der von den französischen Behörden am 1. Februar und am 16. März 2007 u. a. zur Frage des etwaigen Eintritts der Staatshaftung im Fall unzureichender Mittel von La Poste mitgeteilten Informationen und Einzelheiten unterrichtete die Kommission die französischen Behörden mit Schreiben vom 29. November 2007 über ihren Beschluss, das in Art. 88 Abs. 2 EG vorgesehene förmliche Prüfverfahren einzuleiten. Mit der Veröffentlichung dieses Beschlusses am 3. Juni 2008 im Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. C 135, S. 7) forderte die Kommission die Beteiligten auf, sich zu der streitigen Maßnahme zu äußern.

15      Bei der Kommission gingen keine Stellungnahmen von Beteiligten zu dieser Maßnahme ein. Die französischen Behörden gaben dagegen mit Schreiben vom 23. Januar 2008 eine Stellungnahme ab. Darüber hinaus beauftragte die Kommission nach einer Ausschreibung eine Sachverständige mit der Durchführung einer Studie zur unbeschränkten Bürgschaft der Französischen Republik zugunsten von La Poste. Die Sachverständige legte ihr Gutachten am 17. November 2008 vor.

16      Nachdem bekannt wurde, dass die französische Regierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Status von La Poste verabschiedet hatte, fragte die Kommission am 20. Juli 2009 bei der Französischen Republik an, ob sie einwilligen würde, sich zur Umwandlung von La Poste in eine den gerichtlichen Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht unterliegende Aktiengesellschaft zu verpflichten. Mit gleichem Schreiben leitete die Kommission den französischen Behörden den Bericht ihrer Sachverständigen zu.

17      Mit Schreiben vom 31. Juli 2009 unterrichteten die französischen Behörden die Kommission, dass der französische Ministerrat auf seiner Sitzung vom 29. Juli 2009 einen Gesetzentwurf über La Poste und die Postdienste verabschiedet habe, der u. a. die Umwandlung von La Poste in eine Aktiengesellschaft mit Wirkung zum 1. Januar 2010 vorsehe. Ferner teilten die französischen Behörden mit, dass sie der Kommission Stellungnahmen zum Bericht ihrer Sachverständigen zukommen lassen würden.

18      Nach zwei Aufforderungen der Kommission vom 9. September und 6. Oktober 2009 übermittelte die Französische Republik mit Schreiben vom 27. Oktober 2009 ihre Stellungnahme zum Bericht der Sachverständigen der Kommission und ein von einem anderen Sachverständigen erstelltes Gutachten.

19      Mit einem am 11. Dezember 2009 eingereichten Änderungsantrag zum Gesetzentwurf über La Poste und die Postdienste wurde die Umwandlung von La Poste in eine Aktiengesellschaft auf März 2010 verschoben.

20      Am 26. Januar 2010 erließ die Kommission den Beschluss K(2010) 133 über die staatliche Beihilfe C 56/07 (ex E 15/05) Frankreichs zugunsten von La Poste (im Folgenden: angefochtener Beschluss). Dieser den französischen Behörden am 27. Februar 2010 bekannt gegebene Beschluss wurde am 19. Oktober 2010 als Beschluss 2010/605/EU im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (ABl. L 274, S. 1).

 Angefochtener Beschluss

21      Nach der Darstellung des Verlaufs des Verwaltungsverfahrens (Erwägungsgründe 1 bis 17 des angefochtenen Beschlusses), des Inhalts der streitigen Maßnahme (Erwägungsgründe 18 bis 37 des Beschlusses) sowie der Stellungnahmen und Vorschläge der französischen Behörden (Erwägungsgründe 38 bis 114 des Beschlusses) ging die Kommission zur Prüfung der Frage über, ob erstens eine unbeschränkte Bürgschaft des französischen Staates zugunsten von La Poste (Erwägungsgründe 116 bis 255 des angefochtenen Beschlusses) und zweitens ein sich aus dieser Bürgschaft ergebender selektiver Vorteil (Erwägungsgründe 256 bis 300 des Beschlusses) vorliege, der im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV den Wettbewerb verfälschen und den Handel beeinträchtigen könnte (301. Erwägungsgrund des Beschlusses).

22      In einem ersten Schritt kam die Kommission, was das Vorliegen einer unbeschränkten Bürgschaft im vorliegenden Fall betrifft, nach Prüfung der zahlreichen von den französischen Behörden vorgebrachten Argumente zu dem Schluss, dass La Poste aufgrund bestimmter untrennbar mit ihrem Status als öffentliches Unternehmen verbundener Besonderheiten über eine solche Bürgschaft des französischen Staates verfüge (vgl. insbesondere Erwägungsgründe 251 bis 253 des angefochtenen Beschlusses). Nach Ansicht der Kommission bringt diese Bürgschaft nicht nur eine Übertragung staatlicher Mittel im Sinne von Nr. 2.1 der Mitteilung 2008/C 155/02 der Kommission über die Anwendung der Artikel 87 [EG] und 88 [EG] auf staatliche Beihilfen in Form von Haftungsverpflichtungen und Bürgschaften (ABl. 2008, C 155, S. 10, im Folgenden: Mitteilung von 2008) mit sich (254. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), sondern ist dem Staat auch zurechenbar (vgl. den 255. Erwägungsgrund des Beschlusses).

23      Speziell in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens einer unbeschränkten Bürgschaft des französischen Staates zugunsten der EPIC hebt die Kommission zunächst hervor, dass La Poste nicht den Vorschriften des allgemeinen Rechts über die Sanierung und Abwicklung von Unternehmen in Schwierigkeiten unterliege und dass nach Nr. 1.2 Abs. 2 vierter Gedankenstrich der Mitteilung von 2008 die günstigeren Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, deren Rechtsform einen Konkurs oder andere Insolvenzverfahren ausschließe, als Beihilfe in Form einer Garantie gewertet würden. Die Kommission stellte fest, dass sich die französischen Behörden gegen die Schlussfolgerung wendeten, dass die Nichtanwendung der Vorschriften des allgemeinen Rechts über die Sanierung und Abwicklung von Unternehmen auf La Poste mit dem Mechanismus einer staatlichen Bürgschaft für sie vergleichbar sei, sowohl hinsichtlich der Bedienung ihrer Gläubiger als auch bezüglich ihres Fortbestehens für den Fall, dass sie zahlungsunfähig werden sollte, und prüfte alle von diesen Behörden vorgebrachten Argumente (vgl. den 117. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

24      Sie führte zunächst aus, das französische Recht schließe entgegen dem Vorbringen der französischen Behörden das Bestehen impliziter Bürgschaften und insbesondere einer Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC nicht aus; dies werde u. a. in einem Schreiben des französischen Conseil d’État, das 1995 im Rahmen der sogenannten Rechtssache „Crédit Lyonnais“ verfasst worden sei, bestätigt (vgl. Erwägungsgründe 120 bis 147 des angefochtenen Beschlusses).

25      Sie untersuchte sodann das Vorgehen eines Gläubigers von La Poste zwecks Bedienung seiner Forderung für den Fall, dass La Poste in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollte und ihre Schulden nicht begleichen könnte, und kam zu folgendem Ergebnis:

–        Die klassischen Hindernisse, die der Begleichung der Schulden privatrechtlicher Unternehmen im Wege stünden, seien bei öffentlichen Unternehmen nicht gegeben (Erwägungsgründe 150 bis 155 des angefochtenen Beschlusses).

–        Das mit dem Gesetz Nr. 80-539 eingeführte Verfahren zur Beitreibung der Schulden öffentlicher Unternehmen, die gerichtlich verurteilt worden seien, führe in keinem Fall zum Ausfall der Forderung (Erwägungsgründe 156 bis 184 des angefochtenen Beschlusses).

–        Die Regelung der Staatshaftung bei der Durchführung des Verfahrens zur Beitreibung von Schulden öffentlicher Unternehmen weise alle Merkmale eines Bürgschaftsmechanismus auf (Erwägungsgründe 185 bis 226 des angefochtenen Beschlusses).

–        Selbst wenn der Gläubiger eines öffentlichen Unternehmens nicht befriedigt werden sollte, könne er nach der Rechtsscheintheorie den begründeten Irrtum beim Zustandekommen der Forderung hinsichtlich der Tatsache, dass sie in jedem Fall beglichen würde, Rechtswirkung entfalten lassen (Erwägungsgründe 227 bis 229 des angefochtenen Beschlusses).

26      Schließlich vertrat die Kommission die Ansicht, selbst wenn eine Forderung nicht innerhalb einer angemessenen Frist und nach Inanspruchnahme der in den Erwägungsgründen 150 bis 229 des angefochtenen Beschlusses beschriebenen Verfahren zur Beitreibung beglichen worden sein sollte, hätte der Gläubiger eines öffentlichen Unternehmens weiterhin die Sicherheit, dass sie nicht ausfallen werde, da die Rechte und Verpflichtungen öffentlicher Unternehmen immer auf den Staat oder eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts übertragen würden (Erwägungsgründe 230 bis 250 des angefochtenen Beschlusses).

27      In einem zweiten Schritt gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die günstigeren Finanzierungsbedingungen, die La Poste aufgrund dieser unbeschränkten Bürgschaft erhalte, einen Vorteil (Erwägungsgründe 256 bis 299 des angefochtenen Beschlusses) selektiver Art (300. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) darstellten, der den Wettbewerb verfälschen und den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen könne (301. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

28      Was im Besonderen das Vorliegen eines Vorteils betrifft, war die Kommission zunächst der Ansicht, die streitige Bürgschaft sei ein Schlüsselelement der staatlichen Unterstützung, dank dessen La Poste günstigere Finanzierungsbedingungen als bei einer Beurteilung anhand ihrer eigenen Leistungen erhalte. Hierzu führte sie aus, die Finanzierungsbedingungen würden vor allem auf der Grundlage des Ratings festgelegt (vgl. den 257. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Aus einer Reihe von Analysen und Methoden der Ratingagenturen gehe jedoch hervor, dass die in Rede stehende Bürgschaft als Schlüsselelement der staatlichen Unterstützung zugunsten von La Poste deren Rating und somit die Finanzierungsbedingungen, die sie erhalten könne, positiv beeinflusse (Erwägungsgründe 258 bis 293 des angefochtenen Beschlusses). Die Kommission brauche im vorliegenden Fall die konkreten Auswirkungen dieser Bürgschaft in der Vergangenheit nicht darzulegen (298. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses). Angesichts der Unbeschränktheit der Bürgschaft könne im vorliegenden Fall auch die Höhe der marktüblichen Prämie, die La Poste an den Staat zahlen müsste, nicht berechnet werden, so dass die von den französischen Behörden vorgeschlagene Rückabtretungsmaßnahme nicht umsetzbar sei (299. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

29      Die Kommission gelangte letztlich zu dem Ergebnis, dass die streitige Bürgschaft, da alle Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt seien, eine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung darstelle (302. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) und dass sie, selbst wenn sie entsprechend den Vorschlägen der französischen Behörden geändert werden sollte, keine der Voraussetzungen erfülle, um für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden zu können (Erwägungsgründe 303 bis 315 des angefochtenen Beschlusses).

30      Der verfügende Teil des angefochtenen Beschlusses lautet:

„Artikel 1

Die unbeschränkte staatliche Bürgschaft, die Frankreich La Poste gewährt hat, stellt eine staatliche Beihilfe dar, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist. Frankreich hebt diese Beihilfe bis zum 31. März 2010 auf.

Artikel 2

Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die Umwandlung von La Poste in eine Aktiengesellschaft de facto zur Aufhebung der ihr gewährten unbeschränkten Staatsbürgschaft führt. Die tatsächliche Aufhebung dieser unbeschränkten Bürgschaft bis zum 31. März 2010 ist eine geeignete Maßnahme zur Beseitigung der in Artikel 1 festgestellten Beihilfe gemäß dem Recht der Union.

Artikel 3

Frankreich teilt der Kommission innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Beschlusses mit, welche Maßnahmen ergriffen wurden und werden, um diesem Beschluss nachzukommen.

Artikel 4

Dieser Beschluss ist an die Französische Republik gerichtet.“

 Verfahren und Anträge der Parteien

31      Die Französische Republik hat mit Klageschrift, die am 2. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.

32      Das Gericht (Sechste Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 19. März 2012 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

33      Die Französische Republik beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

34      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;

–        der Französischen Republik die Kosten aufzuerlegen.

 Zur Zulässigkeit

35      Die Kommission macht, ohne förmlich eine Einrede der Unzulässigkeit nach Art. 114 der Verfahrensordnung des Gerichts zu erheben, geltend, die vorliegende Klage sei unzulässig, da der angefochtene Beschluss die Französische Republik nicht beschwere. Sie trägt im Wesentlichen vor, dieser Beschluss, der eine bestehende Beihilfe betreffe, deren Aufhebung die nationalen Behörden von sich aus beschlossen hätten, entfalte keine verbindlichen Rechtswirkungen, die dazu angetan seien, die Interessen der Französischen Republik zu beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang betont die Kommission, jeder Kläger, auch ein Mitgliedstaat, müsse dartun, dass die angefochtene Entscheidung tatsächlich bestehende Interessen in qualifizierter Weise negativ beeinflusse; hieran fehle es im vorliegenden Fall.

36      Das Gericht weist darauf hin, dass mit dem Begriff des Rechtsschutzinteresses darauf verwiesen wird, dass jede natürliche oder juristische Person, die eine Nichtigkeitsklage erhoben hat, ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung nachweisen muss. Ein solches Interesse besteht nur, wenn die Nichtigerklärung der Handlung als solche Rechtswirkungen haben kann oder wenn – nach einer anderen Formel – der Rechtsbehelf der Partei, die ihn eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann. Daher kann ein Rechtsakt, der dieser Person in vollem Umfang Genüge tut, sie naturgemäß nicht beschweren, so dass sie kein Interesse hat, seine Nichtigerklärung zu beantragen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 11. März 2009, TF1/Kommission, T‑354/05, Slg. 2009, II‑471, Randnrn. 84 und 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Es ist hervorzuheben, dass Art. 263 AEUV wie Art. 230 EG deutlich zwischen dem Klagerecht der Unionsorgane und der Mitgliedstaaten einerseits und dem natürlicher und juristischer Personen andererseits unterscheidet. Abs. 2 dieses Artikels räumt u. a. den Mitgliedstaaten die Befugnis ein, die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Kommission durch eine Nichtigkeitsklage anzufechten, ohne dass die Ausübung dieses Rechts davon abhängt, dass ein Rechtsschutzinteresse dargetan wird. Ein Mitgliedstaat muss für die Zulässigkeit seiner Klage daher nicht dartun, dass ein von ihm angefochtener Rechtsakt der Kommission ihm gegenüber rechtliche Wirkungen erzeugt. Ein Rechtsakt der Kommission kann jedoch nur dann mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden, wenn er verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 27. November 2001, Portugal/Kommission, C‑208/99, Slg. 2001, I‑9183, Randnrn. 22 bis 24, und Urteil des Gerichtshofs vom 13. Oktober 2011, Deutsche Post und Deutschland/Kommission, C‑463/10 P und C‑475/10 P, Slg. 2011, I‑9639, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung), was anhand seines Inhalts festzustellen ist.

38      Im vorliegenden Fall lässt sich nicht leugnen, dass der angefochtene Beschluss, mit dem das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe zugunsten von La Poste in Form einer unbeschränkten Bürgschaft festgestellt und die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wird, zwangsläufig verbindliche Rechtswirkungen erzeugen soll und somit eine gemäß Art. 263 AEUV anfechtbare Handlung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 8. September 2011, Kommission/Niederlande, C‑279/08 P, Slg. 2011, I‑7671, Randnrn. 35 bis 42).

39      Kein von der Kommission vorgebrachter Gesichtspunkt und keines ihrer Argumente sind geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen.

40      Erstens trifft es zwar zu, dass, wie die Kommission ausgeführt hat, die französische Regierung ausweislich einer Pressemitteilung der französischen Regierung vom 29. Juli 2009 und eines Gesetzentwurfs vom selben Tag zur Umwandlung von La Poste in eine Aktiengesellschaft (siehe oben, Randnr. 6) von sich aus und ohne jeden Zwang durch die Kommission beschlossen hat, die Maßnahme, die im angefochtenen Beschluss als bestehende Beihilfe eingestuft wird, mehrere Monate vor dessen Erlass aufzuheben, doch ändert dies nichts daran, dass die Französische Republik rechtlich gezwungen war, den angefochtenen Beschluss, der vor der Umwandlung des Status von La Poste in eine Aktiengesellschaft erlassen wurde, durchzuführen. Die von der Kommission angesprochene Tatsache, dass bei der Durchführung des angefochtenen Beschlusses eine Übereinstimmung zwischen den von der Kommission vertretenen Interessen und denen der Französischen Republik vorgelegen haben mag, kann Letztere nicht daran hindern, eine Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss zu erheben. Wie die Französische Republik zu Recht betont hat, hat ein solcher Ansatz, der zu einer Benachteiligung der Mitgliedstaaten führt, je nachdem, ob sie ein eigenes Interesse finden können oder nicht, einem Beschluss der Kommission nachzukommen, höchst subjektiven Charakter. Die Prüfung der Frage, ob ein bestimmter Rechtsakt Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein kann, da er verbindliche Rechtswirkungen entfaltet oder entfalten soll, die dazu angetan sind, die Interessen des Klägers zu beeinträchtigen, muss aber auf einer objektiven Beurteilung des Inhalts dieses Rechtsakts beruhen.

41      Zweitens betrifft das Vorbringen der Kommission, es sei keineswegs dargetan, dass der angefochtene Beschluss die tatsächlich bestehenden Interessen der Französischen Republik in qualifizierter Weise negativ beeinflusst habe, in Wirklichkeit die Problematik des Vorliegens eines Rechtsschutzinteresses, eine Frage, die nicht mit dem Begriff des anfechtbaren Rechtsakts verwechselt werden darf und die, wie oben in Randnr. 37 ausgeführt, im Rahmen von Nichtigkeitsklagen, die Mitgliedstaaten erheben, nicht zu prüfen ist.

42      Drittens ist die von der Kommission angeführte Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht einschlägig.

43      Zunächst genügt hinsichtlich der Rechtssache, die zum Urteil des Gerichtshofs vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission (C‑147/96, Slg. 2000, I‑4723), geführt hat, die Feststellung, dass die Klage dort für unzulässig erklärt wurde, weil das streitige Schreiben nur vorbereitender Art war und daher keine Rechtswirkungen entfalten konnte oder sollte. Der Gerichtshof hatte daraus gefolgert, dass das Schreiben keine endgültige Entscheidung darstellt, die mit einer Nichtigkeitsklage angefochten werden kann (vgl. Randnr. 35 dieses Urteils).

44      Was sodann die im Beschluss Portugal/Kommission gewählte Lösung betrifft, so beruhte sie auf dem Umstand, dass der klagende Mitgliedstaat die Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidungen nur insoweit beantragt hatte, als er darin als Adressat bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung hatte aber offensichtlich keine eigenständige rechtliche Wirkung. In diesem Zusammenhang hatte der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass ein Rechtsakt der Kommission nur dann mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden kann, wenn er Rechtswirkungen erzeugen soll (Urteile des Gerichtshofs vom 27. September 1988, Vereinigtes Königreich/Kommission, 114/86, Slg. 1988, 5289, Randnr. 12, vom 20. März 1997, Frankreich/Kommission, C‑57/95, Slg. 1997, I‑1627, Randnr. 7, und vom 6. April 2000, Spanien/Kommission, C‑443/97, Slg. 2000, I‑2415, Randnrn. 27 und 28), die allerdings, wenn ein Mitgliedstaat eine solche Klage erheben will, nicht „für diesen selbst“ eintreten müssen (Randnr. 24 des Urteils).

45      Im Urteil des Gerichtshofs vom 18. Juni 2002, Deutschland/Kommission (C‑242/00, Slg. 2002, I‑5603), ging es um die besondere Situation, dass sowohl der Inhalt der angefochtenen Entscheidung als auch der Kontext, in dem sie erlassen worden war, darauf hindeuteten, dass diese Entscheidung weder bezweckte, einen Antrag des betroffenen Mitgliedstaats abzulehnen, noch eine solche Ablehnung bewirkte (vgl. Randnr. 45 des Urteils). Diese Rechtsprechung stützt deshalb keineswegs die Auffassung der Kommission.

46      Das Gleiche gilt für die Rechtssache, die zum Urteil des Gerichts vom 30. Januar 2002, Nuove Industrie Molisane/Kommission (T‑212/00, Slg. 2002, II‑347), geführt hat, in deren Rahmen die Klage eines in den Genuss einer angemeldeten Beihilfe gelangten Unternehmens, also einer Person und nicht eines Mitgliedstaats, wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses abgewiesen wurde, weil die Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden war und im Übrigen die Beurteilung dieser Vereinbarkeit die Interessen des Unternehmens in keiner Weise beeinträchtigt hatte.

47      Diese Erwägungen gelten auch für die Urteile des Gerichts vom 18. März 2010, Centre de coordination Carrefour/Kommission (T‑94/08, Slg. 2010, II‑1015), und Forum 187/Kommission (T‑189/08, Slg. 2010, II‑1039), mit denen Klagen natürlicher oder juristischer Personen wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses für unzulässig erklärt wurden.

48      Nach alledem ist die vorliegende Klage für zulässig zu erklären, ohne dass auf die Frage eingegangen zu werden braucht, ob die Französische Republik im Rahmen dieser Klage das Ziel verfolgt, die Nichtigerklärung einer Entscheidung zu erreichen, die bei der Prüfung des Status anderer EPIC einen Präzedenzfall darstellen würde.

 Zur Begründetheit

49      Die Französische Republik stützt ihre Klage auf drei Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wird ein Rechtsfehler gerügt, der darin bestehen soll, dass die Kommission das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe nicht rechtlich hinreichend dargetan habe. Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Französische Republik geltend, der Kommission seien bei der Annahme, dass La Poste aufgrund ihres Status als EPIC über eine implizite und unbeschränkte Staatsbürgschaft für ihre Verbindlichkeiten verfüge, Rechtsfehler und Sachverhaltsirrtümer unterlaufen. Mit dem dritten Klagegrund wird gerügt, dass kein Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliege.

 Vorbemerkungen

50      Art. 107 Abs. 1 AEUV lautet: „Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

51      In Nr. 1.2 Abs. 2 vierter Gedankenstrich der Mitteilung von 2008 heißt es: „Als Beihilfe in Form einer Garantie wertet die Kommission … die günstigeren Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, deren Rechtsform einen Konkurs oder andere Insolvenzverfahren ausschließt …“

52      Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Qualifizierung als Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass alle in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Leistung handeln. Zweitens muss diese Leistung das Risiko der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten in sich bergen. Drittens muss sie durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige ihrem Empfänger einen Vorteil gewähren. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg, C‑280/00, Slg. 2003, I‑7747, Randnrn. 74 und 75, und Urteil des Gerichts vom 22. Februar 2006, Le Levant 001 u. a./Kommission, T‑34/02, Slg. 2006, II‑267, Randnr. 110).

53      Erstens soll mit den Klagegründen, auf die sich die vorliegende Klage stützt, offensichtlich im Wesentlichen dargetan werden, dass die Kommission das Vorliegen eines Vorteils zugunsten von La Poste, der sich aus einer impliziten und unbeschränkten Staatsbürgschaft ergeben soll, deren Vorliegen ebenfalls in Frage gestellt wird, zu Unrecht bejaht habe. Diese Klagegründe stehen im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Feststellung des Vorliegens eines Vorteils.

54      Das Vorbringen der Französischen Republik in der Erwiderung, es liege auch keine Übertragung staatlicher Mittel vor, stellt keine Erweiterung eines Angriffsmittels dar, das bereits zuvor – direkt oder implizit – in der Klageschrift vorgetragen wurde und mit dem es in engem Zusammenhang steht. Dieses Vorbringen bezieht sich nämlich auf eine andere Anwendungsvoraussetzung von Art. 107 Abs. 1 AEUV (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 4. März 2009, Italien/Kommission, T‑424/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 103 bis 105).

55      Das Vorbringen, die Voraussetzung der Übertragung staatlicher Mittel sei falsch beurteilt worden, ist somit gemäß Art. 44 § 1 Buchst. c in Verbindung mit Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung, wonach die Klageschrift u. a. eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind, für unzulässig zu erklären (vgl. Urteil des Gerichts vom 19. September 2000, Dürbeck/Kommission, T‑252/97, Slg. 2000, II‑3031, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Im vorliegenden Fall ist weder dargelegt noch auch nur geltend gemacht worden, das Angriffsmittel der fehlenden Übertragung staatlicher Mittel werde auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten seien. Selbst wenn davon auszugehen sein sollte, dass das verspätete Vorbringen dieses Angriffsmittels damit zu erklären ist, dass nach Klageerhebung das Urteil des Gerichts vom 21. Mai 2010, Frankreich u. a./Kommission (T‑425/04, T‑444/04, T‑450/04 und T‑456/04, Slg. 2010, II‑2099), ergangen ist, auf das die Kommission in der Erwiderung Bezug nimmt, kann dieses Urteil nicht als neuer Grund angesehen werden, der das verspätete Vorbringen dieses Arguments rechtfertigen könnte. Ein Urteil des Unionsrichters, das nur eine Rechtslage bestätigt hat, die dem Kläger bei Erhebung seiner Klage grundsätzlich bekannt war, kann nämlich nicht als neuer Grund angesehen werden, der das Vorbringen eines neuen Klagegrundes ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 1. April 1982, Dürbeck/Kommission, 11/81, Slg. 1982, 1251, Randnr. 17, und Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996, Atlanta u. a./EG, T‑521/93, Slg. 1996, II‑1707, Randnr. 39).

57      Die Französische Republik, die hierzu in der mündlichen Verhandlung befragt wurde, hat eingeräumt, dass ihr Vorbringen nur die Voraussetzung des Vorliegens eines Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV betreffe, was im Sitzungsprotokoll vermerkt worden ist.

58      Zweitens ist zu Umfang und Art der gerichtlichen Kontrolle zunächst darauf hinzuweisen, dass der Begriff der staatlichen Beihilfe, wie er im Vertrag definiert ist, ein Rechtsbegriff ist und anhand objektiver Kriterien ausgelegt werden muss. Deshalb hat der Unionsrichter die Frage, ob eine Maßnahme in den Anwendungsbereich von Art. 107 Abs. 1 AEUV fällt, grundsätzlich unter Berücksichtigung sowohl der konkreten Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits als auch des technischen oder komplexen Charakters der von der Kommission vorgenommenen Beurteilungen umfassend zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 16. Mai 2000, Frankreich/Ladbroke Racing und Kommission, C‑83/98 P, Slg. 2000, I‑3271, Randnr. 25, und vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, Slg. 2008, I‑10515, Randnr. 111).

59      Außerdem ist die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen anhand der Informationen zu beurteilen, über die die Kommission beim Erlass der Entscheidung verfügen konnte (Urteile des Gerichtshofs vom 10. Juli 1986, Belgien/Kommission, 234/84, Slg. 1986, 2263, Randnr. 16, und vom 14. September 2004, Spanien/Kommission, C‑276/02, Slg. 2004, I‑8091, Randnr. 31). Daraus ergibt sich insbesondere, dass für diese gerichtliche Kontrolle, da der Begriff der staatlichen Beihilfe einem objektiven Sachverhalt entspricht, der zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die Kommission ihre Entscheidung trifft, die zu diesem Zeitpunkt vorgenommenen Beurteilungen zu berücksichtigen sind (Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a., C‑341/06 P und C‑342/06 P, Slg. 2008, I‑4777, Randnr. 144).

60      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den zweiten Klagegrund zu prüfen.

 Zum zweiten Klagegrund, mit dem Sachverhaltsirrtümer und Rechtsfehler in Bezug auf das Vorliegen einer unbeschränkten Bürgschaft zugunsten von La Poste gerügt werden

61      Mit ihrem zweiten Klagegrund macht die Französische Republik geltend, der Kommission seien bei ihrer Prüfung der Frage, ob eine unbeschränkte und implizite Staatsbürgschaft zugunsten von La Poste vorliege, Sachverhaltsirrtümer und Rechtsfehler unterlaufen. Dieser Klagegrund besteht aus vier Teilen, mit dem mehrere Fehler der Kommission gerügt werden, und zwar

–        dadurch, dass sie davon ausgegangen sei, dass es im französischen Recht den Grundsatz einer sich aus dem Status als EPIC ergebenden impliziten Staatsbürgschaft gebe;

–        bei der Feststellung der Folgerungen, die aus der Unanwendbarkeit der gerichtlichen Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht auf die EPIC zu ziehen seien;

–        dadurch, dass sie die Voraussetzungen für den Eintritt der Staatshaftung dem Mechanismus einer automatischen und unbeschränkten Bürgschaft für die Verbindlichkeiten von La Poste gleichgestellt habe;

–        bei der Feststellung der Folgen einer etwaigen Übertragung von Gemeinwohlverpflichtungen eines aufgelösten EPIC.

 Zum ersten Teil, mit dem ein Fehler der Kommission gerügt wird, der darin bestehen soll, dass sie davon ausgegangen sei, dass es im französischen Recht eine den EPIC gewährte implizite und unbeschränkte Staatsbürgschaft gebe

62      Die Französische Republik macht geltend, der Kommission sei dadurch ein Fehler unterlaufen, dass sie zu dem Schluss gelangt sei, im französischen Recht gebe es eine den EPIC gewährte implizite und unbeschränkte Staatsbürgschaft.

63      Zur Stützung ihrer Ausführungen macht die Französische Republik im Wesentlichen geltend, erstens schließe die Rechtsprechung des Conseil d’État eine solche Bürgschaft dem Grundsatz nach aus, zweitens sei der Auszug aus dem Jahresbericht des Conseil d’État von 1995, auf den sich die Kommission gestützt habe, insbesondere in Anbetracht einer Stellungnahme des Conseil d’État vom 8. September 2005 nicht allgemein gültig und unverbindlich, drittens schließe das französische Recht der öffentlichen Finanzen jede „implizite Bürgschaft“ grundsätzlich aus und viertens gebe es keine Maßnahmen zur Wahrung der Rechte der Gläubiger eines EPIC für den Fall, dass dessen Status sich ändern sollte.

64      Im vorliegenden Fall impliziert die Feststellung des Vorliegens einer unbeschränkten Staatsbürgschaft eine genaue und umfassende Prüfung der Mechanismen, die im französischen Recht für den Fall vorgesehen sind, dass ein EPIC wie La Poste seinen Gläubigern gegenüber zahlungsunfähig werden sollte.

65      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über staatliche Beihilfen das Gericht bei der Tatsachen- und Beweiswürdigung völlig frei ist. Zudem unterliegt in diesem Kontext die Frage, ob und in welchem Umfang eine nationale Rechtsnorm im Einzelfall anwendbar ist, der Tatsachenwürdigung des Richters und den Regeln über die Beweisführung und die Beweislastverteilung.

66      Überdies ist festzustellen, dass die Kommission, anders als das Vorbringen der Französischen Republik vermuten lassen könnte, nicht zu dem Schluss gekommen ist, dass es im französischen Recht den Grundsatz einer impliziten Staatsbürgschaft gebe, und sich dabei im Wesentlichen auf einen Auszug aus einem Bericht des Conseil d’État stützte. Aus dem angefochtenen Beschluss geht klar hervor, dass die Kommission, um das Vorliegen einer Staatsbürgschaft zugunsten von La Poste darzutun, u. a. geprüft hat, ob eine solche Bürgschaft, wie von den französischen Behörden geltend gemacht, im französischen Recht ausgeschlossen ist (vgl. Erwägungsgründe 120 bis 136 des angefochtenen Beschlusses). Sie ist zu dem Ergebnis gelangt, nach den Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung könne nicht davon ausgegangen werden, dass das französische Recht eine Bürgschaft des Staates für EPIC in Bezug auf ihre gegenüber Dritten eingegangenen Verbindlichkeiten ausschließe.

67      Dieses Ergebnis kann nicht in Frage gestellt werden.

68      Erstens ergibt sich zur Frage, ob die Rechtsprechung des Conseil d’État eine Staatsbürgschaft zugunsten öffentlicher Unternehmen dem Grundsatz nach ausschließt, aus den Schriftsätzen der Parteien, dass sie im Wesentlichen darüber streiten, wie die aus dem Urteil des Conseil d’État (Plenum) vom 1. April 1938, Sociétés de l’Hôtel d’Albe (Recueil des décisions du Conseil d’État, S. 341), hervorgegangene Rechtsprechung zu verstehen ist.

69      In diesem Urteil hat der Conseil d’État es abgelehnt, dem direkt an die staatlichen Dienststellen gerichteten Antrag eines Gläubigers eines EPIC stattzugeben, wobei er ausführte, der Staat dürfe nicht verpflichtet werden, die von diesem Unternehmen eingegangenen Verbindlichkeiten zu begleichen. Wie die Kommission im 123. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zutreffend ausgeführt hat, unterscheidet sich die Sachlage in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, jedoch deutlich vom Fall der Zahlungsunfähigkeit eines EPIC, der allein für die Prüfung der Frage relevant ist, ob die Staatsbürgschaft eingreifen kann. Dass öffentliche Unternehmen im Sinne des französischen Rechts nach diesem Urteil mit Rechtspersönlichkeit und Finanzautonomie ausgestattet sind, bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Staat nicht als Letztschuldner für diese Unternehmen bürgen kann. Die Kommission ist deshalb ohne Beurteilungsfehler zu dem Schluss gekommen, aus der Rechtsprechung könne nicht gefolgert werden, dass eine Staatsbürgschaft zugunsten von EPIC grundsätzlich ausgeschlossen sei.

70      Zweitens macht die Französische Republik geltend, die Kommission habe sich zu Unrecht auf einen Satz aus dem Jahresbericht des Conseil d’État von 1995 gestützt, obwohl die Tragweite und die Verbindlichkeit dieses Berichts zweifelhaft seien.

71      Dieses Vorbringen kann aus mehreren Gründen nicht durchgreifen. Zunächst ist, wie die Kommission betont hat, der Auszug, auf den die Kommission Bezug genommen hat (vgl. den 139. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), der seinerseits einem Schreiben aus dem Jahr 1995 anlässlich der Gründung eines öffentlichen Unternehmens, das die vom französischen Staat zur Sanierung des Crédit Lyonnais gewährte finanzielle Unterstützung übernehmen sollte, entnommen ist, seinem Wortlaut nach eindeutig. Daraus geht nämlich hervor, dass der Conseil d’État klargestellt hat, dass „die Staatsbürgschaft für [dieses Unternehmen] … mangels expliziter gesetzlicher Bestimmungen auf dem Status … als öffentliches Unternehmen beruhen wird“. Darüber hinaus stellt die dem Bericht entnommene Passage nur einen der von der Kommission angeführten konkreten Anhaltspunkte zum Nachweis des Vorliegens einer Staatsbürgschaft dar. Insbesondere geht aus den Erwägungsgründen 146 und 147 des angefochtenen Beschlusses hervor, dass die Kommission zur Untermauerung ihres Standpunkts ein Schreiben des französischen Ministers für Wirtschaft, Finanzen und Industrie vom 22. Juli 2003, das sich mit der „Erfassung impliziter oder expliziter Bürgschaftsmaßnahmen“ befasst, sowie die ihm beigefügten Unterlagen angeführt hat. Entgegen der von der Französischen Republik vertretenen Auslegung betrifft dieses Schreiben nicht nur den Fall, dass der französische Staat, insbesondere aufgrund einer Klage auf Ausgleich von Verbindlichkeiten, in seiner Eigenschaft als Aktionär verpflichtet werden kann, da in der Erläuterung explizit auf die Gründung öffentlicher Unternehmen Bezug genommen wird. Schließlich war die Stellungnahme des Conseil d’État vom 8. September 2005 nicht geeignet, den Schluss, zu dem die Kommission gelangt ist, in Frage zu stellen. Wie die Französische Republik teilweise anerkannt hat, schließt diese anlässlich der Errichtung der Commission de contrôle des assurances, des mutuelles et des institutions de prévoyance (CCAMIP, Kommission für die Aufsicht über Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen) abgegebene Stellungnahme, auch wenn darin auf den Grundsatz hingewiesen wird, dass es jeder juristischen Person des öffentlichen Rechts obliegt, die Konsequenzen aus Haftungsklagen, die gegen sie erhoben werden könnten, zu tragen, nicht von vornherein aus, dass eine Staatsbürgschaft bestehen kann, die im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines öffentlichen Unternehmens eingreifen kann.

72      Drittens macht die Französische Republik geltend, seit Inkrafttreten des verfassungsergänzenden Gesetzes vom 1. August 2001 betreffend die Haushaltsgesetze (Loi organique du 1er août 2001 relative aux lois de finances, LOLF) könne der Staat keine Bürgschaft oder Schulden eines Dritten übernehmen, es sei denn, dass das Haushaltsgesetz dies gestatte.

73      Dem kann nicht gefolgt werden. Aus der Entscheidung Nr. 2001‑448 DC des Conseil constitutionnel vom 25. Juli 2001 (Recueil des décisions du Conseil constitutionnel, S. 99) geht nämlich hervor, dass mit Art. 61 des LOLF „die Unterrichtung des Parlaments über staatliche Bürgschaften und nicht die Nichtigkeit etwaiger Bürgschaften, die in der Vergangenheit gewährt und nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen genehmigt wurden, gewährleistet werden soll …“. Ohne nähere Angaben zur Art der vom Conseil constitutionnel in dieser Entscheidung erwähnten Bürgschaften ließ nichts darauf schließen, dass die impliziten Bürgschaften, durch die vor dem Inkrafttreten des LOLF (am 1. Januar 2005) bestehende Verbindlichkeiten gedeckt wurden, ebenfalls hinfällig sind. Hierzu hat die Kommission ohne Beurteilungsfehler im 126. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, um festzustellen, ob die La Poste vom Staat gewährte implizite Bürgschaft durch das LOLF hinfällig geworden sei, müsse darauf abgestellt werden, seit wann La Poste über diese Bürgschaft verfüge, und nicht darauf, wann La Poste die Verbindlichkeiten eingegangen sei.

74      Zwar mag, wie die Französische Republik hervorgehoben hat, der von den französischen Behörden bestellte Sachverständige Zweifel daran geäußert haben, ob die Gründe, die den Conseil constitutionnel veranlassten, die Nichtigkeit von Bürgschaften auszuschließen, deren Gewährung nicht durch ein LOLF genehmigt worden war, sowohl für implizite als auch für explizite Forderungen galten, doch findet diese Auslegung im Wortlaut der Entscheidung des Conseil constitutionnel keine fundierte Stütze. Im Übrigen hat die Kommission zu Recht im 131. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, dass sie weder an die Einstufung der fraglichen Maßnahme als Bürgschaft nach französischem Recht gebunden sei noch daran, ob es sich um eine Bürgschaft handele, die unter das LOLF falle.

75      Viertens vermag das Argument, das Fehlen von Maßnahmen zur Wahrung der Ansprüche der Gläubiger von EPIC bei einer Änderung ihres Status, wie es bei der Umwandlung von France Télécom, Gaz de France, Électricité de France und Aéroports de Paris in Aktiengesellschaften der Fall gewesen sei, stelle einen Anhaltspunkt für das Fehlen jedweder Bürgschaft dar, ebenfalls nicht zu überzeugen.

76      Dass der französische Staat beschlossen hat, in bestimmten Fällen explizite Bürgschaften zu gewähren, beweist nicht, dass im vorliegenden Fall die Gewährung einer impliziten Bürgschaft ausgeschlossen ist. Im Übrigen ist der Umstand, dass, wie aus mehreren Entscheidungen des Conseil constitutionnel hervorgeht, das Forderungsrecht im französischen Recht in gleicher Weise wie das Eigentumsrecht durch die Verfassung geschützt wird, nicht geeignet, diesen Schluss in Frage zu stellen. Überdies gehört die von der Französischen Republik angeführte Rechtsprechung des Conseil constitutionnel nicht zu den der Kommission vorgetragenen und ihr damit beim Erlass des angefochtenen Beschlusses zur Verfügung stehenden Gesichtspunkten. Daraus ergibt sich, dass im Einklang mit der oben in Randnr. 59 angeführten Rechtsprechung die den Schutz des Forderungsrechts betreffende Rechtsprechung des Conseil constitutionnel nicht zu den Gesichtspunkten gehört, anhand deren die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses zu beurteilen war.

77      Zu dem Untersuchungsbericht des Conseil d’État über öffentliche Unternehmen, der vom Plenum des Conseil d’État am 15. Oktober 2009 angenommen wurde und demzufolge „schon die Existenz einer den öffentlichen Unternehmen vom Staat gewährten Bürgschaft sehr umstritten ist“, und einem im Anschluss an diesen Bericht am 28. Juni 2010 veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel, auf die die Französische Republik in der Erwiderung Bezug genommen hat, ist festzustellen, dass diese Veröffentlichungen, selbst wenn sie im Rahmen des vorliegenden Verfahrens herangezogen werden könnten, keinen neuen Gesichtspunkt enthalten, der für die Entscheidung über die Frage unmittelbar relevant wäre, ob das französische Recht das Bestehen einer impliziten Staatsbürgschaft zugunsten von EPIC grundsätzlich ausschließt. In diesem Untersuchungsbericht hat sich der Conseil d’État nämlich auf Ausführungen allgemeiner Art zu der Möglichkeit beschränkt, aus der Rechtsprechung der Union „ausgehend von rein statutarischen Gesichtspunkten“ das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe abzuleiten. Bei der Entscheidung darüber, ob das Wettbewerbsrecht das Bestehen öffentlicher Unternehmen in Frage stelle, haben sich die Verfasser dieses Berichts auf den Hinweis beschränkt, dass „die Gefahr, dass die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen öffentlichen Unternehmen systemisch unter den Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne von Art. 87 [EG] fallen, zu relativieren“ sei. Der wissenschaftliche Artikel vom 28. Juni 2010 bezieht sich auf eine Diskussion, die infolge der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts insbesondere, aber nicht ausschließlich unter dem Blickwinkel des Rechts der staatlichen Beihilfen zur Zukunft der Unternehmen, die den Status eines öffentlichen Unternehmens haben, begonnen hat. Speziell zu diesem letztgenannten Aspekt ist jedoch hervorzuheben, dass auf einen wesentlichen Pfeiler der im angefochtenen Beschluss enthaltenen Argumentation der Kommission gar nicht eingegangen wird, nämlich auf die Feststellung, dass Unternehmen, die den Status eines öffentlichen Unternehmens im Sinne des französischen öffentlichen Rechts haben, nicht den Zahlungsunfähigkeits- und Konkursverfahren nach allgemeinem Recht unterliegen können.

78      Nach alledem ist die Kommission fehlerfrei zu dem Schluss gekommen, dass entgegen dem Vorbringen der französischen Behörden das französische Recht nicht die Möglichkeit für den Staat ausschließe, den EPIC eine implizite Bürgschaft zu bewilligen. Der erste Teil des zweiten Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil, mit dem gerügt wird, der Kommission sei ein Sachverhalts- und Rechtsirrtum in Bezug auf die Folgerungen unterlaufen, die aus der mangelnden Anwendbarkeit der gerichtlichen Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht auf La Poste zu ziehen seien

79      Die Französische Republik ist der Auffassung, dass entgegen der von der Kommission vertretenen Auslegung die mangelnde Anwendbarkeit der Verfahren des allgemeinen Rechts über die gerichtliche Sanierung und Abwicklung, d. h. das Gesetz Nr. 85‑98, das nur eine „Verfahrensregelung“ darstelle, auf La Poste nicht bedeute, dass La Poste nicht in Konkurs gehen oder die Zahlungen einstellen könne. Die Französische Republik betont, die besonderen Verfahren, die den Gläubigern keineswegs garantierten, dass sie ihre gesamten Forderungen beitreiben könnten, seien auf die EPIC anwendbar. Insbesondere seien durch das Gesetz Nr. 80‑539 und die Bestimmungen zu seiner Durchführung, deren Hauptziel darin bestanden habe, die Fälle zu regeln, in denen öffentliche Unternehmen sich weigerten, bestimmte Schulden zu begleichen, obwohl sie zahlungsfähig seien, Vorschriften über die Zwangsvollstreckung eingeführt worden, die der Aufsichtsbehörde das Recht verliehen, an die Stelle des Exekutivorgans eines öffentlichen Unternehmens zu treten, um im Haushalt dieses Unternehmens die „erforderlichen Mittel“, und nicht staatliche Mittel, zur Befriedigung potenzieller Gläubiger bereitzustellen. Dieses Gesetz verleihe dem Staat, dessen Rolle mit der eines hierfür ad hoc Bevollmächtigten vergleichbar sei, jedoch keineswegs das Recht, staatliche Mittel zugunsten möglicher Gläubiger öffentlicher Unternehmen bereitzustellen, und verpflichte ihn erst recht nicht dazu. Diese Auslegung werde sowohl durch die Stellungnahme Nr. 381‑088 des Conseil d’État vom 25. März 2008 als auch durch die Verwaltungsrechtsprechung bestätigt. Schließlich könne das Bestehen der von der Kommission in den Erwägungsgründen 174 bis 178 des angefochtenen Beschlusses ermittelten Programme zur Ermöglichung von Vorschüssen des Staates für unabhängige Einrichtungen, die öffentliche Dienstleistungen erbrächten, nicht die Einführung des Mechanismus einer impliziten Bürgschaft belegen.

80      In diesem Zusammenhang stellt das Gericht fest, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass das Gesetz Nr. 85‑98 alle öffentlichen Personen, insbesondere die EPIC, von seinem Anwendungsbereich ausnahm. In Art. 2 dieses Gesetzes, nunmehr Art. L. 620‑2 des Handelsgesetzbuchs, in seiner bis zum 1. Januar 2006 geltenden Fassung heißt es nämlich: „Die gerichtliche Sanierung und die gerichtliche Abwicklung finden auf alle Kaufleute, in das Berufsregister eingetragenen Personen, Landwirte und juristischen Personen des Privatrechts Anwendung.“ Die entsprechende zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses geltende Vorschrift bestimmt gleichermaßen: „Das Schutzverfahren findet Anwendung auf alle Personen, die eine Handels- oder Handwerkstätigkeit ausüben, auf alle Landwirte, auf alle anderen natürlichen Personen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, einschließlich freier Berufe, die durch Gesetz oder Verordnung geregelt sind oder deren Bezeichnung geschützt ist, sowie auf alle juristischen Personen des Privatrechts.“ Außerdem ergibt sich nach der Rechtsprechung der französischen Cour de cassation, auf die die Französische Republik in ihren Schriftsätzen Bezug genommen hat, aus den Rechtsvorschriften Folgendes: „Gegenstände, die nicht Privatpersonen gehören, werden in der ihnen eigenen Form und nach den ihnen eigenen Regeln verwaltet und veräußert. Auf Gegenstände, die Amtspersonen gehören, können, auch wenn sie eine Gewerbe- oder Handelstätigkeit ausüben, nach dem Grundsatz der Unpfändbarkeit dieser Gegenstände die Zwangsvollstreckungsverfahren des Privatrechts nicht angewendet werden. Es ist allein Sache des Gläubigers, der über eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung verfügt, mit der eine öffentliche Person zur Zahlung eines Geldbetrags, auch als Sicherheitsleistung, verurteilt wurde, die besonderen Vorschriften des Gesetzes [Nr. 80‑539] zur Anwendung zu bringen“ (vgl. Urteil der Cour de cassation [Erste Zivilkammer] vom 21. Dezember 1987, Bureau de recherches géologiques et minières (BRGM)/Sté Llyod continental, Bulletin des arrêts de la Cour de cassation I, Nr. 348, S. 249).

81      Die Parteien streiten dagegen darüber, welche Folgerungen aus der Unanwendbarkeit der Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht auf die EPIC im Hinblick auf die Feststellung des Vorliegens einer Staatsbürgschaft zugunsten von La Poste zu ziehen sind.

82      Zunächst ist festzustellen, dass nach dem angefochtenen Beschluss (vgl. Erwägungsgründe 118 und 119) die Kommission der Ansicht war, um festzustellen, ob eine Bürgschaft für die Begleichung einzelner Forderungen vorliege, sei nach Prüfung der Rechtsvorschriften und der nationalen Rechtsprechung (siehe oben, erster Teil des zweiten Klagegrundes) zu untersuchen, ob die Vorgehensweise eines Gläubigers von La Poste zwecks Bedienung seiner Forderung für den Fall, dass sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden sollte, mit der Vorgehensweise des Gläubigers eines privatrechtlichen Unternehmens vergleichbar sei. Anders als das Vorbringen der Französischen Republik vermuten lässt, zielte das Vorgehen der Kommission nicht auf die Feststellung ab, dass ein EPIC, da es der Anwendung des allgemeinen Rechts über die gerichtliche Sanierung und Abwicklung entzogen sei, nicht in Konkurs gehen könne.

83      Im vorliegenden Fall ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass die Gläubiger der EPIC in einer günstigeren Situation seien als Privatgläubiger, da der Gläubiger eines öffentlichen Unternehmens, anders als im Rahmen der Anwendung der Vorschriften des allgemeinen Rechts über die gerichtliche Sanierung und Abwicklung, nicht Gefahr laufe, dass seine Forderung infolge der Einleitung eines gerichtlichen Abwicklungsverfahrens ausfalle (vgl. den 150. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

84      Dieser Schlussfolgerung ist zuzustimmen. Wie die Französische Republik in der Klageschrift eingeräumt hat, sieht das Gesetz Nr. 80‑539 nämlich einen anderen Mechanismus vor als den, der durch die Sanierungs- und Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht geschaffen wurde. Durch dieses Gesetz und die Bestimmungen zu seiner Durchführung wird ein Verfahren zur Forderungsbeitreibung eingeführt, dessen Einleitung, anders als ein Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht, nicht zum Ausfall der Forderungen führt, sondern allenfalls zum Aufschub ihrer Begleichung. Deshalb befinden sich die Gläubiger öffentlicher Unternehmen zwangsläufig in einer günstigeren Situation als die Gläubiger von Personen, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 85‑98 fallen, da ihre Forderung bei unzureichenden Aktiva der Person oder Einrichtung, die sie zu begleichen hat, ausfallen kann.

85      Wie sich aus der Beschreibung der auf die EPIC nach dem Gesetz Nr. 80‑539 anwendbaren Verfahren ergibt (vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 23 bis 28 des angefochtenen Beschlusses), wird bei unzureichenden Aktiva eines EPIC entweder die Begleichung der Forderungen aufgeschoben, oder die zuständige Aufsichtsbehörde stellt Mittel zu ihrer Begleichung bereit. Daraus folgt, dass die Gläubiger öffentlicher Unternehmen sich zwangsläufig in einer günstigeren Situation befinden als die Gläubiger von Privatpersonen.

86      Überdies sieht das Gesetz Nr. 80‑539 zwar, wie die Französische Republik hervorgehoben und die Kommission im Übrigen nicht in Abrede gestellt hat (vgl. insbesondere den 160. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), nicht ausdrücklich vor, dass der Staat verpflichtet ist, gemäß Art. 1‑II dieses Gesetzes staatliche Mittel bereitzustellen, um einer gerichtlichen Entscheidung nachzukommen, doch hat die Kommission fehlerfrei die Ansicht vertreten, dass die Schulden eines zahlungsunfähigen öffentlichen Unternehmens, dessen eigene Mittel erschöpft sind, aller Wahrscheinlichkeit nach aus staatlichen Mitteln beglichen würden.

87      Insoweit hat die Kommission ohne Beurteilungsfehler in den Erwägungsgründen 174 bis 176 des angefochtenen Beschlusses auf einige Finanzaufgaben und ‑programme Bezug genommen, um darzulegen, dass es staatliche Mittel gibt, auf die im Fall der Zahlungsunfähigkeit von EPIC zurückgegriffen werden könnte und die damit ein Anhaltspunkt für die Wirksamkeit der impliziten Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC sind.

88      Nach alledem sind die Feststellungen in den Erwägungsgründen 179 und 180 des angefochtenen Beschlusses als stichhaltige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unbeschränkten Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC hinsichtlich der sich aus der Anwendung des Gesetzes Nr. 80‑539 ergebenden Folgen anzusehen.

 Zum dritten Teil, mit dem gerügt wird, die Kommission habe die Möglichkeiten des Eintritts der Staatshaftung bei Zahlungsunfähigkeit eines EPIC fälschlich dem Mechanismus einer automatischen und unbeschränkten Bürgschaft für die Verbindlichkeiten gleichgestellt

89      Mit dem dritten Teil des zweiten Klagegrundes macht die Französische Republik geltend, entgegen dem Vorbringen der Kommission könnten die Gläubiger von La Poste bei deren Zahlungsunfähigkeit nicht systematisch die Staatshaftung auslösen. Sie wendet sich insbesondere gegen die Feststellung, dass die Staatshaftung allein aufgrund einer finanziellen Situation des öffentlichen Unternehmens, die es ihm nicht erlaube, seine Schulden zu begleichen, automatisch ausgelöst werden könne. Die Inanspruchnahme der Staatshaftung, die nach der Rechtsprechung des Conseil d’État strengen Voraussetzungen unterliege, könne nicht dem Mechanismus einer automatischen und unbeschränkten Bürgschaft gleichgestellt werden. Der Eintritt der Staatshaftung setze einen außergewöhnlichen und speziellen Schaden des Gläubigers sowie einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der Handlung oder Unterlassung des Staates und dem eingetretenen Schaden voraus.

90      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Vorliegen einer staatlichen Garantie nur dann anzunehmen wäre, wenn objektive Feststellungen zu dem Ergebnis führten, dass der Staat rechtlich verpflichtet ist, die Forderungen der Gläubiger eines EPIC wie des hier in Rede stehenden zu erfüllen (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 26. Juni 2008, SIC/Kommission, T‑442/03, Slg. 2008, II‑1161, Randnr. 126).

91      Im vorliegenden Fall führen die Parteien übereinstimmend aus, dass es zweifellos Unterschiede gebe zwischen einem Bürgschaftsmechanismus, der darin bestehe, automatisch und unbeschränkt an die Stelle eines Schuldners zu treten, falls dieser seine finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen könne, und einer Haftungsregelung, die auf einem der haftenden Person direkt zurechenbaren haftungsbegründenden Ereignis beruhe und bei der die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden müssten.

92      In Bezug auf den angefochtenen Beschluss beruht die Argumentation der Kommission auf dem Urteil des Conseil d’État vom 18. November 2005, Société fermière de Campoloro u. a. (Recueil des décisions du Conseil d’État, S. 515), in dem, dem 124. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses zufolge, festgestellt wird, dass das System der Staatshaftung bei der Durchführung von Verfahren zur Beitreibung von Schulden öffentlicher Unternehmen alle Merkmale eines Bürgschaftsmechanismus aufweise. Der grundlegende Erwägungsgrund dieses Urteils lautet:

„Mit diesen Bestimmungen wollte der Gesetzgeber dem Vertreter des Staates für den Fall, dass eine Gebietskörperschaft einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nicht nachkommt, die Befugnis erteilen, nach einer entsprechenden Mahnung an die Stelle der Organe dieser Körperschaft zu treten, um die Mittel bereitzustellen oder zu schaffen, die erforderlich sind, um dieser gerichtlichen Entscheidung in vollem Umfang nachzukommen. Zu diesem Zweck obliegt es ihm, unter Aufsicht des Gerichts in Anbetracht der Situation der Gebietskörperschaft und der zwingenden Gründe des Allgemeininteresses die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Zu diesen Maßnahmen gehört die Möglichkeit, Vermögensgegenstände der Körperschaft zu veräußern, wenn diese für die ordnungsgemäße Erfüllung der öffentlichen Aufgaben, mit denen sie betraut ist, nicht unverzichtbar sind. Wenn der Präfekt es unterlässt oder versäumt, die ihm damit durch Gesetz eingeräumten Befugnisse wahrzunehmen, ist der Gläubiger der Gebietskörperschaft berechtigt, sich bei grobem Verschulden bei der Ausübung der staatlichen Aufsicht an den Staat zu wenden. Zudem kann für den Fall, dass der Präfekt angesichts der Situation der Körperschaft, insbesondere der Unzulänglichkeit ihrer Mittel, oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses berechtigt war, die Ergreifung bestimmter Maßnahmen, die dazu dienen, der Gerichtsentscheidung in vollem Umfang nachzukommen, zu verweigern, der sich daraus für den Gläubiger der Gebietskörperschaft ergebende Schaden die Haftung der öffentlichen Gewalt auslösen, wenn es sich um einen außergewöhnlichen und speziellen Schaden handelt.“

93      Die Argumentation der Kommission stützt sich ferner auf ein Schreiben des Conseil d’État von 1995 (139. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) sowie auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26. September 2006, Société de gestion du port de Campoloro und Société fermière de Campoloro/Frankreich (Nr. 57516/00) (Erwägungsgründe 204 ff. des angefochtenen Beschlusses).

94      Die Kommission ist fehlerfrei im Wesentlichen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Haftung des Staates im Licht dieser Urteile und dieses Schreibens eintreten könnte, wenn die zur Umsetzung des Gesetzes Nr. 80‑539 ergangenen Bestimmungen es dem Gläubiger eines EPIC, wie im vorliegenden Fall La Poste, nicht ermöglichen würden, seine Forderung beizutreiben.

95      Keines der von der Französischen Republik vorgebrachten Argumente ist geeignet, dieses Ergebnis in Frage zu stellen.

96      Erstens geht aus der Rechtsprechung des Conseil d’État, auf die oben in Randnr. 92 hingewiesen worden ist, hervor, dass der Gläubiger berechtigt ist, sich bei grobem Verschulden bei der Ausübung der staatlichen Aufsicht an den Staat zu wenden, und dass er auch berechtigt ist, die öffentliche Gewalt haftbar zu machen, wenn ihm angesichts der Situation der betreffenden juristischen Person des öffentlichen Rechts, insbesondere angesichts der Unzulänglichkeit ihrer Mittel, oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses ein außergewöhnlicher und spezieller Schaden entstanden ist, der aus der Weigerung des Präfekten resultiert, Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Rechte des Gläubigers zu gewährleisten.

97      Am Ende des Rechtsstreits in der den Hafen von Campoloro (Frankreich) betreffenden Rechtssache übernahm, wie sich aus dem Urteil Société de gestion du port de Campoloro und Société fermière de Campoloro/Frankreich ergibt, ungeachtet des Vorbringens der Klägerin der Staat die Verpflichtung, die Zahlung an die Gläubiger sicherzustellen, was bestätigt, dass letzten Endes die Haftung des Staates eintreten kann. Wie im 208. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, vertrat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem genannten Urteil die Auffassung, dass es dem Staat obliege, die Zahlung an die Gläubiger sicherzustellen, da diese wegen des Ausbleibens der ihnen zustehenden Beträge in spezieller und übermäßiger Weise belastet worden seien.

98      Zweitens genügt in Bezug auf das Vorbringen, für den Eintritt der Staatshaftung sei der Nachweis eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen der Handlung des Staates und dem Schaden der Gläubiger erforderlich, der Hinweis, dass, wie die Französische Republik anerkannt hat, der Staat, wenn ein mit einer Gemeinwohlaufgabe betrautes EPIC seine Schulden nicht begleicht und durch gerichtliche Entscheidung zu ihrer Zahlung verurteilt wurde, von Amts wegen bevollmächtigt ist, die erforderlichen Mittel beizubringen. Weigert er sich, das EPIC unter Rückgriff auf alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Veräußerung von Vermögensgegenständen die fraglichen Forderungen tragen zu lassen, bringt er sich in eine Lage, in der seine Haftung eintreten kann. Wie die Kommission hervorgehoben hat, dürfte es aber ausgeschlossen sein, dass sich der Staat zur Veräußerung der gesamten Vermögensgegenstände von La Poste veranlasst sieht. Im Einklang mit dem Erfordernis der Kontinuität öffentlicher Dienstleistungen, das im französischen Recht einen Grundsatz mit Verfassungsrang darstellt, an den die staatlichen Behörden bei der Umsetzung des Gesetzes Nr. 80‑539 gebunden sind, dürfen für die Erfüllung der Gemeinwohlaufgaben eines EPIC erforderliche Vermögensgegenstände nicht veräußert werden.

99      Drittens macht die Französische Republik geltend, die Kommission habe auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Fällen, in denen gerichtlichen Entscheidungen nicht nachgekommen worden sei, was wiederum zu einer Beeinträchtigung des Eigentumsrechts geführt habe, und insbesondere auf das Urteil Société de gestion du port de Campoloro und Société fermière de Campoloro/Frankreich (vgl. Erwägungsgründe 204 bis 211 des angefochtenen Beschlusses) sowie auf die Rechtsscheintheorie zu Unrecht Bezug genommen, um geltend zu machen, dass die Gläubiger der EPIC berechtigtes Vertrauen auf das Bestehen einer Staatsbürgschaft haben könnten. Hierzu ist festzustellen, dass diese Theorie nur subsidiär angeführt wurde. So hat die Kommission im 227. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses ausgeführt: „Die Beweisführung lässt sich mit der Rechtsscheintheorie bestätigen.“ Das Argument, die Rechtsscheintheorie könne auf einen Fall wie den hier in Rede stehenden, in dem es um die Entstehung von Forderungen gehe, keine Anwendung finden, geht daher ins Leere. Eine fehlerhafte Begründung kann nämlich die Nichtigerklärung des mit ihr behafteten Rechtsakts nicht rechtfertigen, wenn sie keinen tragenden Charakter hat und wenn es andere, den Rechtsakt hinreichend tragende Gründe gibt (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 7. April 2011, Griechenland/Kommission, C‑321/09 P, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zum vierten Teil, mit dem ein Fehler der Kommission in Bezug auf die Folgen etwaiger Übertragungen der Verpflichtungen eines aufgelösten EPIC gerügt wird

100    Die Französische Republik macht geltend, der etwaige Fortbestand bestimmter an Gemeinwohlverpflichtungen von La Poste anknüpfender Forderungen habe nichts mit dem Status als EPIC zu tun. Sie erkenne zwar an, dass das Prinzip der Kontinuität öffentlicher Dienstleistungen im Fall des Wegfalls eines öffentlichen Unternehmens eine Übertragung dieser Aufgabe und der für ihre Erfüllung bestimmten Vermögensgegenstände impliziere, doch stehe nichts der Auflösung eines EPIC entgegen, sofern die von ihm wahrgenommenen Gemeinwohlaufgaben fortgeführt werden könnten.

101    Das Vorbringen der Französischen Republik, das nicht geeignet ist, die Schlussfolgerung in Frage zu stellen, wonach die Kommission allein aufgrund der im Rahmen der ersten drei Teile dieses Klagegrundes getroffenen Feststellungen zu dem Schluss berechtigt war, dass eine unbeschränkte Staatsbürgschaft vorliege, geht ins Leere (vgl. die oben in Randnr. 99 angeführte Rechtsprechung).

102    Die Französische Republik hat jedenfalls ausdrücklich anerkannt, dass das Prinzip der Kontinuität öffentlicher Dienstleistungen im Fall des Wegfalls eines eine Gemeinwohlaufgabe wahrnehmenden öffentlichen Unternehmens (was auf La Poste zutrifft), eine Übertragung dieser Aufgabe und der dafür bestimmten Vermögensgegenstände und somit eine Übertragung der mit ihr verbundenen Rechte und Verpflichtungen impliziere. Die Übertragung der mit einer Gemeinwohlaufgabe verbundenen Rechte und Verpflichtungen impliziert jedoch grundsätzlich, wie sich aus den von der Kommission getroffenen Feststellungen ergibt, die gleichzeitige Übertragung der Rechte und Verpflichtungen der mit dieser Aufgabe betrauten Einrichtung.

103    Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund, mit dem die Verletzung des Begriffs des Vorteils im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV gerügt wird

104    Der dritte von der Französischen Republik geltend gemachte Klagegrund besteht aus zwei Teilen.

 Zum ersten Teil, mit dem gerügt wird, die Kommission habe fälschlich angenommen, dass die Existenz einer Staatsbürgschaft, ihr Vorliegen unterstellt, einen Vorteil für La Poste begründe

105    Mit dem ersten Teil vertritt die Französische Republik die Auffassung, selbst wenn eine unbeschränkte Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC vorliegen sollte, sei nicht dargetan, dass diese einen Vorteil für La Poste begründe. Sie macht im Wesentlichen geltend, das Vorliegen einer Bürgschaft und damit eines Vorteils für La Poste sei aufgrund der von den Ratingagenturen durchgeführten Untersuchungen festgestellt worden, die unmittelbar an die Stellungnahmen der Kommission zu anderen EPIC sowie an die an die französischen Behörden gerichtete Empfehlung der Kommission vom 4. Oktober 2006 (siehe oben, Randnr. 10) anknüpften. Die Kommission sei deshalb durch einen perfekten Zirkelschluss zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Vorteil zugunsten von La Poste vorliege.

106    Es ist davon auszugehen, dass die Gewährung einer Bürgschaft zu nicht marktüblichen Bedingungen, etwa einer unbeschränkten Bürgschaft ohne Gegenleistung, generell geeignet ist, dem Empfänger einen Vorteil in dem Sinne zu verschaffen, dass sie eine Verbesserung seiner finanziellen Position durch eine Verminderung der in der Regel von ihm zu tragenden Belastungen zur Folge hat. Auf eine in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage hat die Französische Republik geantwortet, im Einklang mit der Mitteilung von 2008 könne eingeräumt werden, dass ein Unternehmen, wenn es aufgrund seiner Rechtsform keinem Konkursverfahren oder gleichwertigen Verfahren unterliege, in der Lage sei, günstigere Kreditbedingungen und infolgedessen einen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zu erlangen.

107    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Beihilfe nach gefestigter Rechtsprechung weiter ist als der der Subvention; er umfasst nicht nur positive Leistungen wie etwa die Subventionen selbst, sondern auch staatliche Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen regelmäßig zu tragen hat, und die somit, obwohl sie keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen nach Art und Wirkungen gleichstehen (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 8. Mai 2003, Italien und SIM 2 Multimedia/Kommission, C‑328/99 und C‑399/00, Slg. 2003, I‑4035, Randnr. 35, und vom 15. Juni 2006, Air Liquide Industries Belgium, C‑393/04 und C‑41/05, Slg. 2006, I‑5293, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung). Um zu beurteilen, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, ist nach ständiger Rechtsprechung zu ermitteln, ob das begünstigte Unternehmen eine wirtschaftliche Vergünstigung erhält, die es unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (vgl. Urteile des Gerichtshofs vom 11. Juli 1996, SFEI u. a., C‑39/94, Slg. 1996, I‑3547, Randnr. 60, und Kommission/Niederlande, Randnr. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

108    Mit einer unbeschränkten Staatsbürgschaft kann ihr Empfänger jedoch u. a. günstigere Kreditbedingungen erhalten als die, die er allein aufgrund eigener Leistungen erhalten hätte, und somit den Druck, der auf seinem Haushalt lastet, vermindern.

109    Es ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission auf die Stellungnahmen der Ratingagenturen und insbesondere auf die wichtigsten davon nur Bezug genommen hat, um darzulegen, dass La Poste günstigere Kreditbedingungen und infolgedessen einen finanziellen Vorteil erhalten habe. Die Kommission hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass ein Rating von Fitch und/oder von Standard & Poor’s – zwei wichtigen Ratingagenturen, deren Rating vom Markt bei der Entscheidung über die Kreditwürdigkeit eines bestimmten Unternehmens nachweislich berücksichtigt werde –, das besser ausfalle als ohne die Bürgschaft, für La Poste einen Vorteil bedeute, den sie unter marktüblichen Bedingungen nicht erlangt hätte.

110    Die Französische Republik macht demnach zu Unrecht geltend, die Kommission sei einem Zirkelschluss unterlegen. Auf die von anerkannten Agenturen verwendeten Ratingmethoden wurde nur Bezug genommen, um zu bestätigen, dass die Staatsbürgschaft für die EPIC ihnen über günstigere Kreditbedingungen einen Vorteil verschaffen kann (vgl. insbesondere den 257. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), und nicht zum Beleg dafür, dass es eine solche Bürgschaft gibt.

111    Jedenfalls fehlt dem Vorbringen, diese Stellungnahmen spiegelten nur die Ankündigungen der Kommission wider, die tatsächliche Grundlage. Die Französische Republik hat insbesondere nicht dargetan, dass die Berücksichtigung einer Staatsbürgschaft durch die Ratingagenturen auf die Entscheidung 2005/145/EG der Kommission vom 16. Dezember 2003 über staatliche Beihilfen, die Frankreich EDF und der Strom- und Gaswirtschaft gewährt hat (ABl. 2005, L 49, S. 9), zurückzuführen wäre. Allein der Umstand, dass die Dokumente der Ratingagenturen, auf die die Kommission Bezug genommen hat, aus der Zeit nach dieser Entscheidung stammen, reicht nicht als Beleg dafür aus, dass die Berücksichtigung von Staatsbürgschaften durch diese Agenturen zwangsläufig auf den Erlass der genannten Entscheidung zurückzuführen wäre. Insoweit kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, auf Dokumente aus der Zeit des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen zu haben und nicht auf Berichte, die lange vor dessen Erlass entstanden sind.

112    Der erste Teil des dritten Klagegrundes ist daher nicht begründet.

 Zum zweiten Teil, mit dem gerügt wird, die Kommission habe fälschlich angenommen, die Staatsbürgschaft sei geeignet, La Poste aufgrund des positiven Einflusses auf ihr Rating einen Vorteil zu verschaffen

113    Mit dem zweiten Teil macht die Französische Republik geltend, die Kommission sei zu Unrecht aufgrund des positiven Einflusses, den die Bürgschaft auf ihr Rating haben könne, vom Vorliegen eines Vorteils ausgegangen. Zum einen verkenne die Kommission, dass das Rating von La Poste sich aus der Erfassung der gesamten staatlichen Unterstützung durch die Ratingagenturen ergebe, wobei zahlreiche Gesichtspunkte und nicht nur das Bestehen einer Bürgschaft berücksichtigt würden. Zum anderen bliebe das Rating von La Poste durch die Ratingagenturen, die ganz besonders sensibel dafür seien, dass dieses Unternehmen vom Staat gehalten werde, auch ohne eine solche Bürgschaft unverändert. Wie die Agenturen unterscheide die Kommission nicht klar, was zum Status von La Poste gehöre und was sich aus der Inhaberschaft ihres Kapitals ergebe.

114    Dem Vorbringen der Französischen Republik kann nicht gefolgt werden.

115    Zunächst ist festzustellen, dass die Kommission nicht bestreitet, dass das Rating über die Staatsbürgschaft, die einem Unternehmen gegebenenfalls gewährt werden kann, hinaus alle Parameter berücksichtigt, die die erwartete staatliche Unterstützung bestätigen (vgl. den 280. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses).

116    Sodann ist es der Französischen Republik nicht gelungen, die auf der Grundlage methodologischer Unterlagen der Ratingagenturen getroffene Feststellung, dass die Ratingagenturen im Allgemeinen sensibel sind für die Rechtsform der gerateten Unternehmen, im vorliegenden Fall die Tatsache, dass es sich um ein EPIC handelt, zu entkräften.

117    Nach alledem ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum ersten Klagegrund, mit dem ein Rechtsfehler gerügt wird, der darin bestehen soll, dass die Kommission das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe nicht rechtlich hinreichend dargetan habe

118    Die Französische Republik macht geltend, die Kommission habe weder die ihr im Bereich der staatlichen Beihilfen obliegende Beweislast noch den Beweismaßstab beachtet. Die Kommission habe insbesondere unter Verkennung der in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze ihre Prüfung auf mehrere negative Vermutungen, Mutmaßungen und Spekulationen gestützt und damit nicht positiv das Vorliegen einer Beihilfe für La Poste nachgewiesen. Dies gelte sowohl im Rahmen des Nachweises für das Vorliegen einer impliziten Bürgschaft des französischen Staates zugunsten von La Poste (vgl. Erwägungsgründe 129, 134, 136, 152, 154, 160, 161, 165, 169, 179, 195, 202 und 251) als auch im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines Vorteils, die sich nach der Rechtsprechung gerade auf die Auswirkungen der streitigen Maßnahme erstrecken müsse. Dabei genüge nicht der Nachweis, dass die Maßnahme „geeignet“ sei, einen Vorteil zu begründen, damit sie als staatliche Beihilfe und insbesondere als bestehende Beihilfe eingestuft werden könne. Schließlich macht die Französische Republik in der Erwiderung geltend, die Kommission habe nicht den Nachweis erbracht, dass sich der Vorteil, den La Poste erlangt haben solle, aus der Übertragung staatlicher Mittel ergebe.

119    Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass die Kommission die Annahme, einem Unternehmen sei ein Vorteil zugeflossen, der eine staatliche Beihilfe darstelle, nicht auf eine bloße, auf dem Fehlen von Informationen, aus denen sich der gegenteilige Schluss ziehen ließe, beruhende negative Vermutung stützen darf, weil andere Anhaltspunkte fehlen, die es erlaubten, die Existenz eines solchen Vorteils positiv nachzuweisen. In dieser Hinsicht muss sich die Kommission zumindest vergewissern, dass die Informationen, über die sie verfügt, auch wenn sie fragmentarisch und unvollständig sein mögen, eine hinreichende Grundlage für die Annahme bilden, dass ein Unternehmen einen Vorteil erlangt hat, der eine staatliche Beihilfe darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 17. September 2009, Kommission/MTU Friedrichshafen, C‑520/07 P, Slg. 2009, I‑8555, Randnr. 56).

120    In diesem Zusammenhang ist die Art der von der Kommission zu erbringenden Nachweise weitgehend von der Art der beabsichtigten staatlichen Maßnahme abhängig. Was im Besonderen den Nachweis des Vorliegens einer impliziten Staatsbürgschaft angeht, kann dieser sich aus einer Reihe übereinstimmender, hinreichend sicherer und kohärenter Anhaltspunkte ergeben, die vor allem einer Auslegung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften entnommen sind, und er kann insbesondere aus den Rechtswirkungen abgeleitet werden, die die Rechtsform des begünstigten Unternehmens mit sich bringt. Insoweit können zum Nachweis, dass ein Staat einem mit besonderem Status ausgestatteten Unternehmen eine implizite finanzielle Garantie, die per definitionem im nationalen Recht nicht explizit vorgesehen ist, gewährt hat, Mitteilungen und Rundschreiben, die Auslegungsfragen betreffen, als beweiskräftig anzusehen sein.

121    Im vorliegenden Fall geht aus den im Rahmen der Prüfung des zweiten Klagegrundes dargelegten Erwägungen hervor, dass die Kommission das Vorliegen einer unbeschränkten Staatsbürgschaft zugunsten von La Poste positiv geprüft hat. Sie hat mehrere übereinstimmende Gesichtspunkte herangezogen, die eine hinreichende Grundlage für den Nachweis einer La Poste aufgrund ihres Status als EPIC gewährten impliziten und unbeschränkten Staatsbürgschaft bildeten. Diese objektiven Anhaltspunkte ergeben sich erstens aus der objektiven Tatsache, dass La Poste nicht den Vorschriften des allgemeinen Rechts über die Sanierung und Abwicklung von Unternehmen in Schwierigkeiten unterlag (117. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), zweitens daraus, dass das Gesetz Nr. 80‑539, dem La Poste unterlag, nicht dieselben Wirkungen entfaltete wie ein Abwicklungsverfahren nach allgemeinem Recht und die Gläubiger der EPIC in eine viel günstigere Lage versetzte als die Gläubiger von Privatpersonen (Erwägungsgründe 148 bis 180 des angefochtenen Beschlusses), und drittens, ergänzend, daraus, dass der Gläubiger „für den unwahrscheinlichen Fall, dass das im Gesetz [Nr. 80‑539] vorgesehene Verfahren keine Bedienung seiner Forderung ermöglichen würde“ (184. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses), zudem durch Auslösung der Staatshaftung Befriedigung erlangen konnte (Erwägungsgründe 185 bis 222 des angefochtenen Beschlusses).

122    Dass die Kommission es als zweckmäßig erachtet hat, als Antwort auf die von den französischen Behörden im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente darzutun, dass im französischen Recht nichts das Bestehen einer impliziten Staatsbürgschaft zugunsten der EPIC ausschließe (vgl. Erwägungsgründe 120 bis 138 des angefochtenen Beschlusses), stellt nur den Ausgangspunkt ihrer Argumentation dar, die sie in den Erwägungsgründen 116 bis 255 des angefochtenen Beschlusses klar dargelegt hat. Es kann deshalb nicht geltend gemacht werden, die Kommission habe sich zum Zweck dieses Nachweises auf bloße negative Vermutungen und Spekulationen gestützt. Wie oben in Randnr. 71 ausgeführt, hat die Kommission explizit auf ein Schreiben des Conseil d’État von 1995 (139. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses) sowie auf ein Schreiben des französischen Ministers für Wirtschaft, Finanzen und Industrie vom 22. Juli 2003 (Erwägungsgründe 146 und 147 des angefochtenen Beschlusses) Bezug genommen, deren Wortlaut eindeutig ist.

123    Die Kommission hat auch genügend Gesichtspunkte vorgetragen, um darzutun, dass diese Bürgschaft einen Vorteil darstellte. Was den Nachweis der tatsächlichen Auswirkungen der streitigen Maßnahme betrifft, geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Kommission nicht gehalten ist, ihn in Bezug auf bereits gewährte Beihilfen zu führen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juni 2006, P & O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de Vizcaya/Kommission, C‑442/03 P und C‑471/03 P, Slg. 2006, I‑4845, Randnr. 110 und die dort angeführte Rechtsprechung). In diesem Zusammenhang ist nicht zwischen bestehenden Beihilfen und rechtswidrigen Beihilfen zu unterscheiden.

124    Im Übrigen kann die tatsächliche Auswirkung des Vorteils, den eine Staatsbürgschaft verschafft, vermutet werden. Aufgrund einer solchen Bürgschaft kann der Kreditnehmer einen niedrigeren Zinssatz erhalten, oder er braucht weniger Sicherheiten zu leisten. So geht aus der Rechtsprechung hervor, dass selbst eine mittels einer potenziellen zusätzlichen Belastung für den Staat gewährte Vergünstigung eine staatliche Beihilfe darstellen kann (Urteil des Gerichtshofs vom 1. Dezember 1998, Ecotrade, C‑200/97, Slg. 1998, I‑7907, Randnr. 43, und Urteil des Gerichts vom 13. Juni 2000, EPAC/Kommission, T‑204/97 und T‑270/97, Slg. 2000, II‑2267, Randnr. 80). Bei Bürgschaften, die in der Regel mit einem Kredit oder einer anderen finanziellen Verpflichtung zusammenhängen, die ein Kreditnehmer gegenüber einem Kreditgeber eingeht, ist dies meist der Fall.

125    Der erste Klagegrund ist deshalb ebenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

126    Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

 Kosten

127    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Französische Republik unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Französische Republik trägt die Kosten.

Kanninen

Wahl

Soldevila Fragoso

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. September 2012.

Unterschriften


*Verfahrenssprache: Französisch.