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Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien), eingereicht am 3. Januar 2017 – Bahtiar Fathi/Predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

(Rechtssache C-56/17)

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Administrativen sad Sofia-grad

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Bahtiar Fathi

Beklagter: Predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

Vorlagefragen

Folgt aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/20131 , ausgelegt in Verbindung mit dem 12. Erwägungsgrund und Art. 17 der Verordnung, dass er es zulässt, wenn in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung erlassen wird, die eine Prüfung eines in ihm gestellten Antrags auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Verordnung darstellt, ohne dass über die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats nach den Kriterien der Verordnung ausdrücklich entschieden wurde, wenn im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für eine Abweichung nach Art. 17 der Verordnung gegeben sind?

Folgt aus Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 604/2013, ausgelegt in Verbindung mit dem 54. Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/322 , dass über einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung unter den Umständen des Ausgangsverfahrens und wenn keine Abweichung gemäß Art. 17 Abs. 1 der Verordnung anwendbar ist, eine Entscheidung erlassen werden muss, mit der sich der Mitgliedstaat verpflichtet, den Antrag nach den Kriterien der Verordnung zu prüfen, und die darauf gestützt wird, dass die Vorschriften der Verordnung für den Antragsteller gelten?

Ist Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU dahin auszulegen, dass in einem gegen einen Bescheid zur Versagung von internationalem Schutz gerichteten Klageverfahren das Gericht nach dem 54. Erwägungsgrund der Richtlinie beurteilen muss, ob die Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 für den Antragsteller gelten, wenn der Mitgliedstaat nicht ausdrücklich über seine Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz nach den Kriterien der Verordnung entschieden hat? Ist aufgrund des 54. Erwägungsgrunds der Richtlinie 2013/32 davon auszugehen, dass wenn keine Anhaltspunkte für die Anwendung des Art. 17 der Verordnung Nr. 604/2013 gegeben sind und der Antrag auf internationalen Schutz auf der Grundlage der Richtlinie 2011/953 vom Mitgliedstaat, in dem er gestellt wurde, geprüft wurde, die Rechtslage der Person vom Anwendungsbereich der Verordnung auch dann umfasst ist, wenn der Mitgliedstaat nicht ausdrücklich über seine Zuständigkeit nach den Kriterien der Verordnung entschieden hat?

Folgt aus Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU, dass der Verfolgungsgrund der „Religion“ unter den Umständen des Ausgangsverfahrens vorliegt, wenn der Antragsteller nicht in Bezug auf alle vom Religionsbegriff im Sinne dieser Vorschrift umfassten Komponenten, die für die Zugehörigkeit der Person zu einer bestimmten Religion von grundlegender Bedeutung sind, Erklärungen abgegeben und Dokumente vorgelegt hat?

Folgt aus Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU, dass auf Religion im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie beruhende Verfolgungsgründe gegeben sind, wenn unter den Umständen des Ausgangsverfahrens der Antragsteller geltend macht, dass er wegen seiner Religion verfolgt worden sei, er aber keine Erklärungen abgegeben und keine Beweise über Umstände, die für die Zugehörigkeit einer Person zu einer bestimmten Religion üblich sind, darunter solche, die mit der Vornahme oder Nichtvornahme von religiösen Betätigungen, mit religiösen Meinungsäußerungen zusammenhängen und für den Verfolger einen Grund wären, anzunehmen dass die Person dieser Religion angehört, sowie über Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind, vorgelegt hat?

Folgt aus Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU, ausgelegt in Verbindung mit Art. 18 und 10 der Charta der Grundrechte der EU und dem Begriff der Religion im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens:

a.    der Begriff der Religion nach dem Unionsrecht Handlungen nicht umfasst, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten? Können solche Handlungen, die im Herkunftsstaat des Antragstellers als strafbar gelten, Verfolgungshandlungen darstellen?

b.    zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der öffentlichen Ordnung im Herkunftsstaat des Antragstellers festgelegte Einschränkungen als zulässig gelten sollen, wenn man das Verbot des Proselytismus und das Verbot von Handlungen gegen die Religion, auf der die Gesetzes- und Verordnungsvorschriften in diesem Land gründen, berücksichtigt? Stellen die genannten Verbote an sich Verfolgungshandlungen im Sinne der angeführten Vorschriften der Richtlinie dar, wenngleich die Gesetze nicht ausdrücklich gegen eine bestimmte Religion gerichtet sind, wenn der Verstoß dagegen unter Todesstrafe gestellt ist?

Folgt aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU, ausgelegt in Verbindung mit Abs. 5 Buchst. b der Vorschrift, Art. 10 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die Bewertung der Tatsachen und der Umstände nur anhand der vom Antragsteller abgegebenen Erklärungen und vorgelegten Dokumente erfolgen soll, es jedoch zulässig ist, einen Nachweis der vom Begriff der Religion im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie umfassten Komponenten, die fehlen, zu verlangen, wenn:

–    ohne diese Angaben der Antrag auf internationalen Schutz als unbegründet im Sinne von Art. 32 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 8 Buchst. e der Richtlinie 2013/32/EU gelten würde und

    nach dem nationalen Recht die zuständige Behörde verpflichtet ist, alle für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz relevanten Umstände festzustellen, während das Gericht im Rahmen der Anfechtung des Versagungsbescheids darauf hinweisen muss, dass die Person keine Beweise angeboten und vorgelegt hat?

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1     Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).

2     Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).

3     Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).